Buch Band V Zeitung Daten
Band II

 

    


[LSZ - 1854.12.12]

Fünfter Band.

____________________________________

Die Armesuenderbank in der
Mesa.

    Ein Jahr war verstrichen seit jener Nacht,wo Hiram dem Weibe Diana Robert den strengen Befehl ertheilt hatte, nach Orleans zu eilen, um ihren Verwandten in der Atchafalaya-Bank zu verkunden, daß, wenn Hiram das wandelnde Kreuz des Sudens käme und sie eine gelbe Maske sähen, die Stadt weinen und zittern soll. Dies war in Jahre achtzehnhundert und zwei und fünfzig und nach dem Dahinscheiden von fünf Sommern der letzte, in dem die Mantis Religiosa blühen sollte, ohne Samen zu tragen. Die Mantis Religiosa blüht jedes Jahr, aber nur in gewissen Jahren trägt die Samen. Es läuft eine geheime Zahlensymbolik durch die ganze Natur, noch unerforscht und auch unergründlich bis ans Ende der Zeiten. Wie das Jahr achtzehnhundert und sieben und vierzig, so war auch das Jahr achtzehnhundert drei und fünfzig in das große Schuldbuch des Südens eingeschrieben. Ihr Rosen auf den Wangen blühender Frauen, klaget Hiram nicht an, wenn ihr erbleichen und sterben müßt; denn ihn zwingt ein unerbittliches Geschick. Und ist es nicht eure Schuld, wenn man euch bald zu Grabe tragen wird? Habt ihr nicht gewußt, daß jene Zeiten immer wiederkehren werden, jene Zeiten des Elends, der Noth und der gewaltigen Vernichtung? Und habt ihr nicht immer wieder eure Kinder in jenen verfluchten Grundsätzen unterrichtet, die eure Republik schänden und in Zukunft noch morden werden?
    Ein Jahr war auch verstrichen, seitdem Emil und Lucy dem Capitain Marcy die Quellen des Red River verriethen, um ihm die Mantis Religiosa aufsuchen zu helfen. Noch zur rechten Zeit erschien damals Hiram und erinnerte sie mit einem donnernden „Ja!“ an ihren Schwur. Nachdem der erste Schrecken, in den sie das plötzliche Erscheinen Hiram's versetzt hatte, vorüber war, verließen Emil und Lucy den Garan, der

 

- 02 -

nun ohne ihre Beihülfe sich mit seiner Eskorte auf den Weg machte, um den geheimnißvollen Quellen des Red River nachzuspüren. Aber eine unsichtbare Hand führte den Capitain irre und brachte ihn an hundert Meilen ab von der Heimath der Mantis Religiosa. Der Capitän berichtete zwar später über seine Auffindung der Quellen des Red River nach Washington, aber schon die Thatsache, daß er die geheimnißvolle Pflanze nicht aufgefunden, beweist, daß er einen großen, jedoch sehr verzeihlichen Irrthum begangen hat; denn der Nebenarme und Einflüsse des genannten Stromes sind gar unzähliche und haben schon Alexander von Humboldt und den sehr gewissenhaften Lieutenant Pike irre geführt.
    Ein Jahr war ferner verstrichen seit jener Nacht, wo Hiram in den brennenden Sichel des zunehmenden Mondes die Jahreszahl: Achtzenhundert und drei und fünfzig las.
    Diese Trias der Momente ereignete sich im Jahre acht zehnhundert und zwei und fünfzig und das Jahr, das im genannten Jahre prophetisch in der brennenden Sichel des Mondes stand: nemlich das Jahr achtzehn hundert drei und fünfzig, war nun wirklich angebrochen. --
    Wir befinden uns an den Quellen des Red River. Und wieder ist jene Stunde herangemaht, wo das Mondlicht das schwarze Fell des Panthers kämmt und die dunklen Schuppen der Cobrichlange mit flimmernden Smaragden betreut. Außerhalb des Felsen-Corridors steht ein Pärchen langhalsiger Flamingo's. Das junge Waffer rieselt in glänzenden Wellchen über ihr rosenfarbenes Gefieder und bespritzt die weichen Daunen an der lebenswarmen Brust. Sie treiben um diese Zeit ein märchenhaftes Spiel. Haben sie ausgespielt, so segeln sie von hier weg, mehrere hundert Meilen hinunter, wo das Bett des Fluffes tief und breit ist. Hier halten sie dann ihr Mitternachtsmahl; denn außerhalb des Felsen-Corridors, in seiner Nähe, giebt es für sie keine Nahrung. Hier schwärmen und dichten sie nur: -- Aus der Mulde des höchsten Gipfels jener Felsenterasse, die mit ihren dunkelgrauen Zacken nach Süden starrt, erhebt sich Falco Leucocephalus, unser Adler, mit dem bleichen Scheitel und den langen, magern Schenkeln. Es ist derselbe Adler, den der Verräther Arnold einst in die Gefangenschaft schleppen wollte, und der seine Freiheit dazu benützt hat, selbst zum Verräther zu werden. Falco Leucocephalus begnügt sich nicht mit Tändeln im Mondenscheine, mit Fischen und kleinem Gewürm -- seine liebste Speise ist schwarzes

 

- 03 -

Menschenfleisch. Dieses Schwarzwild jagt er und hetzt es zu Tode. Obwohl dieser Herr der Lüfte ungeheuere Jagdgründe besitzt -- das Areal von fünfzehn Staaten --, so ist er damit noch nicht zufrieden; er fliegt weit, weit hinaus über die Marken seines Reiches und holt sich das Schwarzwild zurück, das ihm entlaufen. -- Dort, schweren Fluges, dicht vor der Nase eines kohlschwarzen Panthers, steigt ein unheimlicher, gespensterhafter Dickkopf auf. Er ist ein treuer Genosse der Nacht. Sein Blick ist scheu und wie von schweren Nebeln verschleiert. Es ist die Nebraska-Eule, das Bräutchen des Falco Leucocephalus, mit dem es eben im zitternden Mondlichte schnäbelt, als wußte es dieser befiederte Dickkopf auch, was Liebe und zärtliches Verlangen sei. -- Von einer andern Region, in südwestlichem Auffluge, segelt mit trägem, aber sicherm Fittig über der Mesa majestätischen Plan, Louisiana's Vogel -- der blutende Pelican. Was treibt diesen Vogel in diese feierliche Stille der Mitternachtsstunde? Und so viele hundert und hundert Meilen von einer sumpfigen Heimath entfernt? Jetzt streicht er mit seinen Flügeln den äußern Arcus des Felsen-Corridors, aus dessem Schooße es geheimmißvoll rieselt und plätschert. Hat Louisiana's Vogel ein Stelldichein mit dem Adler und der Eule?
[LSZ - 1854.12.13]
    Der Mond ist heute im Abnehmen und erinnert nicht mehr an jene große Stadt im Süden, Crescent City genannt. Wie damals der zunehmende Mond, so liegt jetzt die umgekehrte Sichel auf jener Felsenterasse, auf ihrem obersten Teller. Die Sichel flackert auf einige Augenblicke blutroth auf und es weht jener kühle mysteriöse Wind, wie er einer Mondfinsterniß vorherzugehen pflegt.
    Es wäre wohl möglich, daß es eine partielle Mondfinsterniß ist-aber, wenn ihr in den Kalender blickt, werdet ihr sehen, daß ihr euch getäuscht habt; denn hier steht der Mond deutlich im letzten Viertel.
    Aber jetzt? Wo ist der Mond so plötzlich hingerathen?
    Es ist weiter nichts, als daß sich drei große Vögel vor ihm aufpostiert haben und ihn verdecken, bis er sich mehr erhoben hat.
    Diese drei großen Vögel sind: Falco Leucocephalus, die Nebraska Eule und Louisiana's Pelikan. Was thun sie hier beisammen? Erwarten sie irgend Jemanden? Halten sie vielleicht auf dem Felsen in der Mesa Gericht über ihre Brüder und Schwestern? Sitzt Falco Leucocephalus nicht da,

 

- 04 -

wie ein Stuhlherr der geheimen Vehme? Sieht die Nebraska Eule mit ihrem schattigen Dickkopf nicht drein, wie ein Freischöppe mit verlarvtem Gesichte? Warum senkt Louisiana's Vogel den Kopf und sieht mit nassem Auge herab auf eine Brust, aus der schwere Tropfen Blutes herabträufeln?
    Das richterliche Aussehen des Adlers und der Eule täuschen.
    Sie Beide, sowie der Pelikan, sitzen in diesem Augenblick auf der Armesünderbank in der Mesa. -- -- --
    Aus dem Felsen-Corridor treten zwei Gestalten hinaus in die erleuchtete Nacht. An ihren nackten Leibern glänzen unzählige Waffertropfen. Sie waren ermattet und müde von der sengenden Glut des geschiedenen Tages und haben daher ein kühlendes Bad genommen. In die Quellen des rothen Flusses haben sie ihre Glieder getaucht und gehen nun Arm in Arm über den weiten Plan der Mesa. Jener kohlschwarze Panther, den sie aufgeschreckt haben, thut ihnen nichts zu Leide. Als er die beiden Gestalten gewahr wird, bleibt er ruhig stehen und sieht ihnen mit trunkenen Blicken nach. Wer sind sie, diese beiden Gestalten? Wären nicht schon längst alle Götter verjagt, so würde man schwören, es wären Endymion und Artemis. So schön wie sie glänzen nicht die Sterne des Centaur und des südlichen Kreuzes. Der Gürtel des Orion würde erbleichen, wenn man ihn um die schimmernden Lenden dieser Gestalten bände, die selbst den wildesten Sohn der Mesa, den kohlschwarzen Panther, bezaubern konnten.
    „Es ist jetzt schon über ein Jahr verflossen, seit Er uns von der Eskorte des Capitains weg in diese Mesa gebracht hat -- die Prüfungszeit naht ihrem Ende und wir können wieder zurückkehren zu den schönen Gärten und Wohnungen der Menschen -- der Mantis Religiosa sagen wir auf ewig Lebewohl.“
    „Dein Herz ist froh und ruhig, meine Geliebte, und Du träumt von goldenen Tagen der Zukunft -- aber mir sagt eine innere Stimme, daß die in der Mesa verlebten Monde nicht zu den unglücklichsten unseres Leben gehören -- meine Geliebte Du freust Dich auf unsere Wiederkehr nach New-Orleans -- wollte Gott, keine Wolke verdeckte die Sonne Deiner glänzenden Hoffnungen. Sieh zu Deinen Füßen, die Samenkapseln der Mantis Religiosa bersten und prophezeien wieder ein großes Unglück für die gute Stadt New-Orleans. Wenn die Verheerung am stärksten, werden wir dort sein -- zwar wir bleiben

 

- 05 -

verschont, denn für uns ist die Mantis Religiosa ein Gegengift -- aber wer mag leben mitten unter Todten, mitten unteraufgehäuften Leichen und Tag und Nacht rasselnden Todten karren? Wer kann sich freuen, wenn man Alles um sich sterben und welken sieht? Und -- -- wir werden in New-Orleans noch andere Dinge zu sehen bekommen, als den Tod -- das prophezeit mir mein Inneres, das verkündete. Er uns ja selbst -- --“
    „Besser, wir freuen uns, mein Geliebter, da wir einmal in jene Stadt zu gehen gezwungen sind -- und warum jetzt schon so traurig und verstimmt! -- -- Sieh' Dich an, sieh' mich an, mein Geliebter. Das Jahr, welches wir in der einsamen schauerlichen Mesa dahingebracht, hat ein Füllhorn . reichlich über uns ausgeschuttet. Die Rosen, welche von Deinen Wangen gewichen waren, sind wieder zurückgekehrt und bluhen schöner und frischer, als je. Dein Lockenhaar ist reicher und goldiger geworden und fällt in nie gesehener Herrlichkeit auf Deine vollen, alabasterweißen Schultern. Du warst schön, mein Geliebter, als Du Dich damals in meine Kleider warfst -- aber, wenn ich Dich jetzt betrachte, bist Du noch weit schöner und ich zittere schon bei dem Gedanken -- -- doch nein, Eifersucht und Mißtrauen seien auf ewig aus meinem Herzen verbannt und ich umfasse mit Vertrauen und nie versiegbarer Gluth den warmen Marmor Deines Götterleibes -- --“
    Lucy sank in die Arme Emil’s. Derselbe wehrte sie nicht ab, bis das strenge tiefgebeugte Haupt Hiram's vor ihnen emportauchte und sie aus seinem Munde die feierlichen Worte hörten:
    „Euer Kind wird den Namen Toussaint Louverture erhalten!“
    „Unser Kind?“ riefen Emil und Lucy zu gleicher Zeit und sahen fragend zu Hiram auf.
    „Zweifelt nicht!“ antwortete dieser in einem strengen, geisterhaften Tone.

[LSZ - 1854.12.14]
    „Heute ist der ein und zwanzigste April des Jahres achtzehnhundert und drei und fünfzig. In diesem Jahre, in diesem Monat und an diesem Tage werden ein Caukasier und eine Aethiopierin ihre Glieder un die Quellen des rothen Flusses tauchen. Sie werden über die Mesa schreiten und sich liebend in die Arme sinken. Sie werden dann einen Sohn bekommen, der der Befreier der schwarzen Race sein wird: so steht es geschrieben im Buche Hiram's II. des Freimaurers!“

 

- 06 -

    Hiram schwieg einige Augenblicke, dann fuhr er fort:
    „Doch Ihr braucht nicht zu jauchzen und zu frohlocken bei dieser Kunde. Erinnert Ihr Euch noch, wie begeistert. Ihr waret, als ich Euch damals mit der Aufgabe bekannt machte, die Ihr zu erfüllen verspracht? Wie freudig flammten Eure Augen, als ich Euch sagte, "Ihr solltet die Repräsentanten einer neuen Morgenröthe werden. Ihr hattet über Millionen zu verfügen, um jene Propaganda zu unterstützen und ihr mit allen Kräften beizustehen -- -- was thatet Ihr aber, als Ihr damals die Atchafalaya Bank verließet! Euer Enthusiasmus war mit dem Besitz der Reichthumer verschwunden und Ihr reitet in der Welt herum wie ein furistliches Paar, das es allenthalben gerne sieht, daß man ihm Weihrauch streut. Nur eine kurze Spanne Zeit und Euerer Verschwendung sind alle jene Schätze zum Opfer gefallen. Arm betratet Ihr wieder den Boden Amerika's -- der Zufall führte Euch in die Hände des Capitains Marcy -- Ihr erfuhret von ihm den Zweck seiner Expedition und was thatet Ihr? Ihr verriethet die Mantis Religiosa eines schnöden Gewinnes halber. Eure strafbare Eitelkeit ließ die Schmeicheleien, die der Capitän Euch sagte, als wahr erscheinen und Dich -- dabei wendete sich der Alte zu Emil -- setzte der Capitain, in einem Innern spottend, in eine Reihe mit Washington und Lafayette. Und Du bist bei dieser unverdienten Apotheose sehr ernst geblieben, Emil; Du warst wirklich der Meinung, daß Du ein sehr großer Mann seist -- doch ein Einziges Wort, das ich vom Red River in's Bivouak hinüber rief, flürzte Dich aus allen Deinen Himmeln. Ich nahm Dich und Lucy hieher in die Mesa, hoffend, daß dann jene Prophezeiung in Erfüllung gehe, die sich nun in diesem Augenblicke wirklich an Euch bewahrheitet hat. Bis jetzt unfruchtbar, wird Lucy einen Sohn gebären, der der Befreier ihrer Race werden wird. Es wird dieser Sohn seine Mission erfüllen, so viele Hindernisse ihm auch in den Weg treten werden. An dem Tage der Befreiung, wenn allenthalben die Ketten rasselnd niederklirren, wird auch die Mantis Religiosa auf ewig verschwinden und New-Orleans wird frei von der fürchterlichen Fieberpest sein, die daselbst wieder in einigen Tagen in nie erlebter Wuth ihren Einzug halten wird -- -- --
    Lucy und Emil standen mit niedergeschlagenen Augen da, während der Alte diese Worte sprach.
    Von der Felsenterasse herab vernahm man ein wehmüthiges Wimmern. Dann klang es wieder wie das Hülferufen

 

- 07 -

einer Mntter, der man ihre Kinder raubt. Dann war wieder Alles ganz ruhig und nur hie und da vernahm man das Knistern und Bersten der Samenkapseln der Mantis Religiosa, deren befiederte Körnchen ein weicher Wind nach jener Gegend hin entführte, wo die Halbmondstadt New-Orleans liegt.
    Das wehmüthige Wimmern begann von Neuem und wurde zuletzt so laut, daß Lucy und Emil ihr Antlitz erhoben und ihren Blick nach jener Gegend hin schweifen ließen.
    „Das ist Louisiana's Vogel, der blutende Pelikan,“ sagte der Alte und hob drohend seine rechte Hand. „Er weint und klagt über seine Kinder, die ihm der Tod bald entreißen wird. So oft die Samenkapseln der Mantis Religiosa bersten, erscheint er hier und weint über ein unglückliches Geschick. Was er in einer Reihe von Jahren geboren, gepflegt und gehütet, wird ihm nun in einem einzigen Sommer wieder entrissen und er ritzt sich in einem Schmerze die eigene Brust auf, aus der unzählige Tropfen Blutes auf jene Felsenterasse rinnen. -- --“
    „Der arme Vogel!“ athmeten Emil und Lucy zu gleicher Zeit leise auf.
    „Beklagt Louisiana's Vogel nicht,“ versetzte im ernsten Tone der Alte, „denn Ihr selbst seid es, die Ihr mit an seinem Herzeleid Schuld seid.“
    Wieder war es ruhig auf der weiten, schauerlichen Mesa. Kein Klagelaut ertönte mehr aus der Brust des nnglücklichen Vogels. Er barg seinen Kopf in seine Fittige und weinte stille Zähren. Aber Falco Leucocephalus und die Nebraska Eule schoben sich unruhig hin und her und schlugen den Felsen mit ihren Flügeln, als sie jetzt den Alten mit Lucy und Emil herannahen sahen. Zitternd blies der unheimliche Dickkopfder Eule seine Federn auf. Falco Leucocephalus erhob frech seinen weißen Scheitel. --
    „Falco Leucocephalus!“ rief jetzt Hiram auf die Felsenterasse hinauf, wo die drei Vögel bei Einander saßen: „erheber nicht so frech Deinen bleichen Scheitel! Besser fände es Dir, Du bärgeft vor Scham Deinen Kopf in Deine Fittige, wie es Louisiana's Vogel vor Gram und Herzeleid thut. Wo ist Dein hoher Flug geblieben, Adler? Sind Dir die Thaten Deiner Vorfahren nicht mehr im Gedächtniß? Denkst Du nicht mehr an Bunkerhill -- nicht mehr an die Väter unserer Republik? Falco Leucocephalus, Du bist ein schmutziger Stymphalide geworden und mästet Deinen Bauch mitdem Fleische der Kinder

 

- 08 -

einer andern Zone, die Du in Dein Land geschleppt, gefesselt und geknebelt hast. Elender Menschenjäger, möge die Zeit bald kommen, wo man den Verräther erkennt und richtet -- --“
[LSZ - 1854.12.15]
    Kreischend erhob sich Faleo Leucocephalus von einem felsigen Sitze und versuchte in die Höhe zu steigen. Aber gleich darauf sank er wieder träg und schwer herab.
    „Die Sterne wollen Dich nicht mehr!“ rief ihm Hiram zu: „sie fürchten Deinen schmutzigen Geifer!“
    Falco Leucocephalus versuchte es noch einmal, in die Höhe zu steigen -- aber wieder vergebens! Die Sterne verstießen den unsaubern Gast. Derselbe erhob jetzt ein schrilles Gekreische und zog in niederm Flug über die unendliche Mesa davon. --
    „Mußte es so weit kommen, daß unser Adler, der uns einst in den Schlachten siegreich voranflog und vor dessem kühnen Blicke die Feinde flohen und zitterten, jetzt wie ein armer Sünder wegschleicht und sich flüchtet? -- --“
    „Was ist das für ein häßlicher Vogel mit dem breiten, dicken Kopfe und dem scheuen Blicke?“ getraute sich Emil jetzt zu fragen, nachdem er bisher mit Lucy ein feierliches Still schweigen beobachtet hatte. Er deutete, indem er so frug, auf die Felsenterasse.
    „Das ist die Nebraska Eule,“ versetzte der Alte ernst und seine Augen brannten in unaussprechlicher Gluth.
    „Von Nebraska wird großes Unheil über unsere Republik kommen,“ rief er prophetisch aus: „ein Mann, den man jetzt noch den jungen Riesen des Westens nennt, wird durch seine Gemeinschaft mit dieser Eule in Bälde als Verräther gebrandmarkt werden; Falco Leucocephalus wird die Nebraska Eule unter seine Fittige nehmen und mit ihr das Capitol beherrschen. Was hieraus entsteht, werde ich nicht mehr schauen; denn meine grauen Haare werden mich noch vor Verlauf dieses Schreckensommers in die Grube ziehen: so will es mein Geschick! -- Viele Menschenalter zwar sind schon über meinen Scheitel hinweggezogen und ich könnte zufrieden sein, so lange auf der Erde gewandelt zu sein -- aber dennoch scheide ich ungerne. Begrüßen möchte ich noch den Tag, an dem Euch der Sohn geboren wird, der die Heloten befreien und die Schönheit von der Welt Unflätherei, von Qual und Noth erlösen wird.“
    Während Hiram diese Worte an Emil und Lucy richtete, hatte die Nebraska Eule ihren Sitz auf der Felsenterasse

 

- 09 -

verlassen und ihren Flug nach jener Gegend hingerichtet, wo der Potomac träg und nüchtern seine Fluthen dahinwälzt. Die Eule mußte sich während ihres Fluges öfter umgesehen haben; denn noch in weiter Ferne sah man hie und da das Aufblitzen zweier grünen Punkte.
    Von der Stelle aber, wo noch vor wenigen Augenblicken die drei Vögel bei einander saßen, erhob sich ein wunderbares Bild, um das die brennende Sichel des Mondes einen leuchtenden Rahmen zog.
    Bei dem Anblick des Bildes sank Emil entsetzt und bleich wie ein Stern in der Milchstraße zu Boden.
    Er hatte ein furchtbares Gemälde geschaut.
    Er sah den alten Grafen, seinen Vater; Melanien seine Mutter, seine Schwestern Constanze, Gertrude, Amelie und seinen Bruder Hugo. Alle in Särgen neben Einander aufgestellt und über denselben grinzte die scheußliche Fratze des Ungarn, ebenso kalt und bleich wie jene, -- -- Doch das Bild zeigte noch mehr und viel Erschrecklicheres -- aber Alles war wieder verschwunden, als Emil seine Augen aufschlug
    Das war die letzte Fata Morgana in der Mesa.
    Sechs Tage nach diesen Ereignissen, am 27. April, war Hiram der Freimaurer auf dem Wege nach der Altchafalaya-Bank in New-Orleans. Emil und Lucy waren ihm bereits zwei Tage vorher in jene Stadt vorausgefolgt. --
__________________________________________________

Erstes Kapitel.

Heute roth, Morgen todt.

    Der Fluch des gelben Fiebers lag bereits seit mehreren Wochen auf New-Orleans. Was fliehen konnte, floh und nur Die jenigen blieben zurück, die entweder der Mittel zur Weiterreise entbehrten oder die irgend eine bestimmte Pflicht hier festhielt, oder auch, denen Habsucht und schmutziger Geiz dictirten, ohne alle Umstände ihr bischen Leben zu riskieren. Der Letzteren gab es Viele und wunderbarer Weise waren es Diejenigen, deren Reihen am wenigsten von der schrecklichen Seuche gelichtet wurden. Habsucht und Geiz haben in dieser trüben traurigen

 

- 10 -

Zeit dem Tode frech die Stirne geboten und der Tod rührte sie selten an diese bleichen kalten Kinder des Mammons. Auch der Tod läßt sich bestechen. Das würden hundert und hundert Geschichten, die während jener Schreckenszeit spielten, bezeugen.-- Reißt die Nägel aus den Särgen des Elends und der Verzweiflung und laßt sie als Kläger vor Gericht erscheinen. Und wenn sie nun sprechen könnten diese stummen Zeugen? Was würden sie aussagen? Würden sie nicht jenem Arzte, der jetzt wohlgemuth und behäbig in elegantem Wagen durch die Straßen unserer Stadt fährt, zurufen: Halte Deine Pferde an, Mörder und Räuber! Steige aus Deinem Wagen und gehe zu Fuße, wie Du es früher gethan! Solltest Du dafür, daß Du hunderten von armen Kranken den letzten Cent aus der Tasche gezogen und sie dann doch umgebracht hat, jetzt glänzen und schwelgen dürfen? Und was würde jener Quacksalber, Räuber und Mörder erwidern, falls er diese Stimmen vernähme?
[LSZ - 1854.12.16]
    Er würde hämisch lächeln und die trockene Antwort geben: Was kümmert mich Euer Geheul und Gewinsel um die Verstorbenen? Was gehen mich die Todten in der feuchten Erde an? Ich habe nur Einen Zweck im Auge gehabt und den hab' ich erreicht -- ich wollte Geld machen.-- Das ist nur ein einziges Bild aber zugleich die hervorragendste Staffage auf dem bleichen Grunde jener Todtenlandschaft mit ihren giftigen Miasmen, die das Palmettoboudoir von Louisiana genannt wird. Diese Staffage hat sich am meisten gesättigt, hat die Meisten umgebracht und war der größte Dieb: kann man es uns auch dann verargen, wenn wir sie an die Spitze jener Räuber- und Mördercolonnen stellen, die in ihrer Grausamkeit und Unersättlichkeit selbst die Seuche übertrafen? Gegen eine solche Anklage erhebt sich kein Widerspruch; jede Opposition zu Gunsten solcher Quacksalber oder auch wirklicher Aerzte wird nicht mehr vernommen: man hat es selbst gesehen, selbst gefühlt und vielerlei Verluste zu beklagen gehabt; in einer solchen Anklage findet man nichts Infamierendes mehr; nicht als Injurie wird mehr betrachtet, was einmal die öffentliche Meinung bestimmt und festgesetzt hat. Noch sind die Wunden fühlbar, die man uns damals geschlagen, noch siechen viele Familien dahin, die diese Staffage ausgeplündert und bestohlen hat! Doch drohend hebt die Vergeltung ihren Finger empor -- und man weiß nicht wie es jenem Arzte, Räuber und Mör der noch gehen mag. -- Freilich giebt es Ausnahmen und wo

 

- 11 -

sollte es die nicht geben? Aber nur Wenige sind es, die im ehrenden Andenken verblieben sind. Unter hundert Teufeln findet sich auch hin und wieder ein Engel vor, der mit edler Hingebung und uneigennütziger Aufopferung das Elend seiner leidenden Mitmenschen zu mildern und zu verscheuchen sucht, Heil. Diesen, denn sie tragen das bei Aerzten so seltene Bewußt sein in ihrer Brust, keine Diebe und Mörder gewesen zu sein. -- -- --
    „Fort! fort! Hier findest du kein Herz -- wenn du kein Geld hat, so suchst du umsonst.
    Fort! fort! Der da ist nur ein Quacksalber, aber auch dieser verlangt Geld und noch mehr, als jener; denn er wird sich den Mord, den er an Deinen Angehörigen begehen will, theuer bezahlen lassen. Umsonst wird. Niemand gemordet -- Geld! Geld! - Hast du keines! Nun -- fort, fort, nur immer fort! Versuch' es hier noch! Auch da nicht? Fort, fort -- kehre zurück zu Deinen Lieben und sage ihnen, daß sie sterben müssen!“ -- Von dieser Stimme,von der man nicht weiß, woher sie kommt, wird ein armes schönes Kind durch die Straßen von Haus zu Haus gehetzt und sucht schon seit drei Stunden vergebens nach einem Arzt. Es möchte zusammensinken vor Müdigkeit, aber die Angst beflügelt seine Schritte immer wieder von Neuem; denn Alles zu Hause liegt am gelben Fieber darnieder, Vater, Mutter und Geschwister. Eine mitleidige Seele, die das schöne Kind weinend eiligen Schrittes daher laufen sah, hat es, nachdem sie von ihm die Ursache seiner Thränen erfahren, nach einem Hause in * Straße, im dritten Districte, gewiesen, wo ein *** Arzt wohne, der gewiß helfen werde und dem es vielleicht nicht darauf ankomme, seinen Gang umsonst zu machen. Dahin wendet sich nun das arme Kind -- und jetzt geht es in das Haus, wo der *** Doctor wohnt. Schüchtern,doch entschloffen in seiner unseligen Angst, fragt es nach dem Doctor. Das Kind zittert vor Freude und namenloser Aufregung, als es von einer ältlichen Frau vernimmt,daß der Doctor zu Hause sei und gleich erscheinen werde.
    Betrachten wir das schöne, arme Kind genau.
    Es ist ein Mädchen von edler und sanfter Gesichtsbildung und mag kaum das neunte Jahr erreicht haben. Das Blau seiner sonst hellen Vergißmeinnichtaugen ist jetzt getrübt von den vielen bittern Thränen, die es vergoffen. Das kluge Gesichtchen, das schon etwas über das Kindesalter hinauszublicken scheint, muß schon bei dem ersten Anblicke jedes Herz gefangen

 

- 12 -

nehmen und wenn Du das Kind jetzt so blaß und leidend sieht, so treibt es Dich, in Deinem Innern zu fragen: Mein Kind, was fehlt Dir? Und falls ich Dir helfen kann, wirst Du mir Dein Vertrauen schenken?
    Das Mädchen trägt keine Kopfbedeckung und ihr langes blondes Haar hängt halb in Zöpfen geflochten, halb aufgelöst um ihren Nacken, weit über die Einbiegung ihrer graziösen Taille herab. Man sieht, sie konnte sich nicht mehr die Zeit nehmen, sich zu coiffüren oder ihrer Toilette überhaupt nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Und wie konnte dies auch möglich sein? Sie hat die ganze vergangene Nacht am Bette ihrer kranken Eltern und Geschwister gewacht und als der Morgen heraufkam, hatte sie der Schlaf überwältigt -- doch auch diesen konnte sie nicht lange genießen, da der Arzt nicht mehr seine Besuche wiederholte, nachdem er Tags vorher gesehen, daß kein Geld mehr zu haben sei. So kam das Mäddhen nach langem, immer vergeblichen Herumirren endlich zu jenem Doctor im dritten Districte.
    Der Doctor ließ nicht lange auf sich warten. Wie ein Habicht schoß er, von der oben erwähnten ältlichen Frau begleitet, in das Zimmer, wo das Mädchen mit pochendem Herzen seiner harrte.
    „Jemand krank? Gelbes Fieber wahrscheinlich?“ frug der Doctor hastig.
    Es lag bei dieser Frage etwas Widerliches in seinem Gesichte. Nicht das geringste Wohlwollen sah aus diesen grauen Augen, denen eine gewisse Malpropretät die Wimpern versengt und dafür einen rothen Rand gegeben hatte.

[LSZ - 1854.12.17]
    Sein Mund, wenn er sprach, zeigte auf der Unterlippe einen häßlichen weißen Faden, wie man ihn in manchen Conchilienarten findet, wenn man sie mit den Fingern rasch zerdrückt. Und des ungeachtet war dieser Mensch einmal an ein bildhübsches Mädchen verheirathet. Jetzt hat er eine schon etwas bejahrte und ohne alle Maßen garstige Frau als Haushälterin bei sich. --
    Das schöne Mädchen trat schüchtern zurück und schien kaum den Muth zu haben, diesem malpropren Subjekte auf seine Frage zu antworten.
    „Jemand krank? Gelbes Fieber, he?“ schnauzte er das Mädchen an.
    Dasselbe trat jetzt etwas couragierter vor.
    „Nun, gelbes Fieber oder sonst etwas!“

 

- 13 -

    „Ja,“ antwortete das Mädchen und die hellen Thränen traten ihr in die Augen. Dabei sah sie mit einem unbeschreiblich wehmüthigen Blicke den Doctor an.
    „Ist Vater, Mutter krank?“ fuhr der Doctor fort.
    „Alles zu Hause ist krank bis herab auf mein jüngstes Schwesterchen.“
    „Wann haben Deine Angehörigen den Anfall bekommen?“
    „Schon vor drei Tagen.“
    „Und so lange sind sie ohne Arzt dagelegen?“
    „O, nein -- wir haben gleich Anfangs einen Arzt gehabt, aber er ist schon seit gestern ausgeblieben -- -- wahrscheinlich weil wir ihm auf sein Verlangen kein Geld mehr geben konnten,“ setzte das Mädchen leise und schüchtern hinzu.
    „Habt Ihr jetzt Geld?“ frug der Doctor in herabgestimmtem Tone und drehte sich halb auf seinem Absatze herum.
    „Ach nein -- wo sollten wir plötzlich Geld herbekommen haben? Wir haben kaum so viel, um das Eis für die Ueberschläge zu bezahlen.“
    „Ja, dann kann ich auch nicht helfen,“ versetzte der Doetor und wandt" dem armen Mädchen den Rücken, um wieder zur Thüre hinauszugehen.
    „Da haben wir's - wieder die alte Bettel-Leier,“ bemerkte die Frau, die vorher mit dem Doctor wieder zurückgekehrt war und maß das Mädchen vom Kopf bis zu den Füßen. Dann fügte sie noch ärgerlich bei: „ich habe mir's auch gleich gedacht, daß wieder eine Bettelei mit im Spiele ist -- die Leute meinen gerade, man soll sich umsonst abrackern und noch dazu eine Gesundheit aufs Spiel setzen -- --“
    „Doctor, Doctor!“ rief das arme Kind, vom tiefsten Schmerze ergriffen, aus und eilte dem kalten Geldmenschen nach, „wenn wir Sie auch jetzt nicht gleich bezahlen können, wir werden es Ihnen später doppelt und dreifach zurückerstat ten; O kommen Sie, kommen Sie mit mir nach Hause! -- --“
    Der Doctor, der schon die Thürklinke in der Hand hielt, wandte sich gegen das Mädchen und sagte:
    „Warum bist Du nicht gleich zu mir gekommen, als Deine Eltern und Geschwister vom Fieber ergriffen wurden? Der Arzt, den Ihr Anfangs hattet, wird Euch wohl auch nicht umsonst aufgewartet haben -- --“
    „O nein,“ schluchzte das Mädchen, „wenn wir ihm nicht

 

- 14 -

gleich 25 Dollars gegeben hätten, er hätte keinen Schritt in unser Haus gerhan.“
    „Nun siehst Du: jetzt, wo Ihr nichts mehr habt, soll Ich herhalten -- -- nun, wie gesagt -- wenn Du Geld bringst, bin ich bereit,anders nicht -- -- doch, einen guten Rath will ich Dir geben, bringe Deine ganze Sippschaft zu Hause in's Spital oder laßt Euch von der Howardassoeiation einen Doctor schicken -- die können's eher thun, als unser Einer -- --“
    „Von der Howardassociation hat man mir auch gesagt,“ versetzte das gepeinigte Mädchen, aber wenn ich nur wüßte, wo ich da hinzugehen hätte. -- --“
    In dem nemlichen Augenblicke wurde die Thüre so rasch geöffnet, daß der Doctor, der noch immer die Klinke in der Hand hielt, sehr unsanft bei Seite gestoßen wurde.
    Ein junger, sehr elegant gekleideter Mann trat ein und ohne viel Complimente zu machen, ging er auf den betroffenen Doctor zu und bat ihn stürmisch, ihm gleich zu folgen.
    „Haben Sie ein Cab mitgebracht. Meine Pferde müssen ausruhen, sie sind heute schon genug strapaziert worden,“ versetzte der Doctor mürrisch.
    „Kommen Sie nur schnell, Doctor, meine Frau ist plötzlich unwohl geworden und alle Symptome deuten daraufhin, daß sie am gelben Fieber erkrankt ist -- eilen Sie, es ist sehr weit von hier und ich war schon bei vier Aerzten und konnte keinen Einzigen zu Hause antreffen -- --“
    „Den Teufel auch, mein Freund, ich frage Sie, ob Sie auch gleich ein Cab mitgebracht haben? zu Fuße gehe ich keinen Schritt aus dem Hause,“ entgegnete der Doctor im phlegmatischen Tone, der zu der Aufregung, in der sich der eben Angekommene befand, im grellsten Contraste stand.
    „Nein,“ entgegnete der junge Mann mit immer stürmischerem Accente, „'s ist auch nicht nöthig -- beim nächsten Carriage Haltplatz steigen wir ein -- eilen, eilen Sie, 's ist keine Minute mehr zu verlieren -- --“
    Bei den letzten Worten ergriff der aufgeregte junge Mann den Doktor beim Arme, um ihn mit sich fortzuziehen,
    „So schnell geht es nicht, mein Lieber, ich bin auf diese Weise schon mehr als einmal angeführt worden -- entweder bringen Sie mir ein Cab vor mein Haus -- oder Sie geben mir gleich jetzt die gehörige Sicherheit -- im Falle -- im Falle wir kein Cab mehr auf dem Haltplatze finden können.“ -- --

[LSZ - 1854.12.19]
    „Recht gerne -- Sie sollen Alles haben, was ich bei mir

 

- 15 -

habe, aber kommen Sie nur gleich mit, ich ersuche Sie auf's Inständigste -- --“
    Während der junge Mann diese Worte sprach, ließ er vom Arme des Doctors und ging rasch auf den großen runden Tisch zu, der in der Mitte des Zimmers stand. Hier leerte er den ganzen Inhalt seiner Börse aus, und warf auch noch mehrrere kleinere Geldstücke, die er aus seiner Westentasche hervorgeholt hatte, auf die Marmorplatte des Tisches.
    Der Doctor schob ruhig seine Augengläser etwas in die Höhe und drückte sie mit dem Zeigefinger der rechten Hand dicht an die Nase.
    Die ältliche Frau war ebenfalls schnell an den Tisch getreten und blinzte prüfend auf das Geld hin.
    „Dreißig Dollars!“ rief der Doctor aus: „wo denken Sie hin, mein Lieber? Für dreißig Dollars setze ich keinen Fuß über die Thürschwelle -- -- ha, ha -- -- merkwürdige Zumuthung das, mein Herr -- -- für diese Bagatelle läuft Ihnen in der jetzigen Zeit der erbärmlichste Quacksalber nicht mit -- --“
    „Sie sind grausam, Doctor,“ rief der junge Mann in verzweifeltem Tone aus -- --„Sie sollen weitere fünfzig Dollars erhalten, wenn wir in meiner Wohnung angelangt sind -- -- eilen Sie, eilen Sie -- verlangen Sie dann von mir, was Sie wollen -- --“
    Die ältliche Frau stieß den Doctor leise mit ihrem Ellen bogen an und flüsterte ihm zu:
    „Du kannst mitgehen, Alter -- der Mann hat Geld -- --“
    Dann ging sie wieder an den Tisch vor und rasste die dreißig Dollars zusammen.
    „Nun, so kommen Sie,“ sagte jetzt der Doctor zu dem jungen Manne, „es ist aber das Letzte mal, daß ich unter solchen Umständen meine Wohnung verlasse.“
    Beide eilten nun rasch auf die Straße.-- Doch, wo ist unser gutes Kind ?
    Das arme schöne Mädchen war, als der junge elegant gekleidete Mann so jäh hereinstürmte, schüchtern zurückgetreten und hatte mit bleichem Gesichte und pochendem Herzen den ganzen Vorfall mit angesehen. Noch ehe Ersterer mit dem Doctor das Zimmer verließ, war sie trostlos aus dem Hause des niederträchtigsten aller Doctoren geeilt und stand nun einige Augenblicke ruhig und starr wie eine Bildsäule an einer Straßenecke. Wohl liefen an ihr viele Menschen vorbei,

 

- 16 -

Arme wie Reiche, Männer, Frauen und Kinder -- doch sieht von Allen keiner auf das bildschöne blasse Kind, mit den langen, aufgelösten Haaren und den leidenden Vergißmeinnichtaugen. Was sollen sie sich auch um Andere bekümmern -- jeder hat für sich genug zu thun und die Meisten von ihnen ahnen es schon, daß sie zum letzten Male über die Straße gehen und vielleicht schon Morgen in sumpfiger, feuchter Erde liegen. Der Fluch des gelben Fiebers trifft oft so unerwartet, daß keiner mit frohem Muth und leichtem Herzen der nächsten Stunde gedenken kann. Jedem Munde, der sich öffnet, entschlüpfen die schauerlichen Worte: Heute roth, Morgen todt -- und so lebe wohl, mein Freund, und nur noch diesen und die den Kuß; denn wer weiß, ob wir uns je wiedersehen. -- In einer solchen Zeit der Verheerung und entsetzlichen Vernichtung hört man beständig um sich Stimmen flüstern, von denen man in ruhigen heiteren Tagen kein Sterbenswort vermummt. Alles spricht zu Dir, weint, seufzt und fürchtet mit Dir. Und obwohl Alles mit Dir weint, seufzt und fürchtet, so hast Du bisweilen doch keine Freunde und nur das Geld meint es stets gut mit Dir und streichelt Dir die bekümmerten Wangen und pricht zu Dir: sei unbesorgt, mein Freund, Du hast mich in ruhigen und gesunden Tagen so liebevoll im Herzen getragen, nun will ich Dir Deine Liebe und Zärtlichkeit vergelten. So spricht das Geld und der Unglückselige glaubt dieser glatten, falschen Schlange und Morgen ist er doch gestorben. -- Das Mädchen, obwohl noch halb Kind, fühlte den ganzen Ernst dieser fürchterlichen Zeit. Der Schmerz zählt nicht nach Jahren. Ernagt zuweilen so gut am Herzen eines Kindes, als an dem einer Jungfrau und Mutter. Zu Hause liegen Eltern und Geschwister hilflos, ohne Warte und Pflege und doch steht das Mädchen wie eine Bildsäule an der Straßenecke und wäre vielleicht noch länger to dagestanden, hätte sie nicht ein Mann, der eben eine Leiter an den Pfosten einer Laterne anlegte, um das Gas anzuzünden, bei Seite gestoßen. Das blasse Mädchen -- wo mögen ihre Gedanken gewesen sein? -- schrack bis in ihr Innerstes zusammen und erst jetzt dachte sie wieder an die kranken Eltern und die Geschwister daheim. Sie läuft von der Stelle, bleibt wieder stehen, sieht bald da, bald dorthin -- sollte sie es noch einmal wagen und fragen, wo ein Doctor wohnt doch wer weiß, wie es jetzt schon zu Hause aussieht -- d'rum laufe, laufe, mein Kind, nach Hause; denn Du findest doch keinen Doctor, findet Nirgends ein Herz, weil Du kein Geld

 

- 17 -

hast. Laufe nach Hause, so arm und so sorgenvoll, wie Du weggegangen bist, -- dann bist Du doch wenigstens bei denen, die Dich lieben und sollten sie auch schon todt sein! -- -- -- Von dieser innern Stimme angetrieben läuft das Mädchen, als würde es von dem bösen Geiste der schrecklichen Seuche verfolgt, fort und fort, bis es endlich in jene Straße einbiegt, wo seine Angehörigen krank und hilflos darniederliegen, An der Ecke der Straße bleibt es stehen. Von hier aus sind es nur noch vier Squares, dann ist es zu Hause. Doch hier an der Straßenecke muß es einige Augenblicke ausruhen -- es ist dem guten Kinde nicht möglich, weiter zu gehen, ohne erst wieder frischen Athem zu holen.
[LSZ - 1854.12.20]
    Es drückt sich in die Vertiefung einer Ladenthüre und fährt mehrmals mit der kleinen Hand an sein Herz. Im nächsten Augenblicke aber schon läßt die Hand vom Herzen und bewegt sich an die Stirne in der Nähe der Schläfe. Das Gaslicht, das nicht weit von dem Mädchen brennt, nimmt dasselbe in seinen vollen Schimmer und beleuchtet seinen sonderbaren Blick, Jetzt steht das Mädchen nicht mehr an die Thüre des Ladens gelehnt, sondern hat sich auf die steinerne Schwelle niederge lassen und drückt mit beiden Händchen an seine Stirne. -- -- Betrunkene eilen vorbei, wilde Gesellen und Störer der nächt lichen Ruhe. Sie wandern von Caffeehaus zu Caffeehaus und bringen der Todtengöttin ihre wahnsinnigen Libationen dar. Da scherzen, lachen und lärmen sie vorüber und rufen den Todtenkarren, die über das holprige Pflaster ächzen und stöhnen, ein stürmisches „Prosit!“ zu. Einem Wachtmanne, der des Weges kommt, dünkt es seltsam, daß hier aufder steinernen Schwelle ein Kind sitzt und seine Stirn in die hohle Hand drückt. Er berührt das Kind leise mit seinem Stabe. Es fährt zusammen, will sich erheben, muß sich aber gleich wieder niedersetzen. „Bringen Sie mich nach Hause, ich wohne gleich hier um die nächste Ecke, ich glaube, ich bin krank,“ seufzt es und sieht nach dem Wachtmanne auf. Seine Schläfe pochen und eine brennende Hitze zieht sich durch die Stirne. Der Wachtmann,der schon hunderte von solchen Fällen auf offener Straße erlebt, weiß es gleich, was dem Kinde fehlt. Er nimmt seinen Stab unter den linken Arm, um dem Kinde aufzuhelfen und es nach Hause zu bringen. Da schiebt sich plötzlich ein Kinderkopf unter dem Arme des Wachtmannes hindurch und zwei magere Aermchen schlingen sich um den Hals des kranken Mädchens, das eben nach Hause gebracht werden, soll -- -- --

 

- 18 -

    „Gertrude!“
    „Lorchen!“ ertönte es zu gleicher Zeit und die kranke Gertrude, die Tochter des alten Grafen, hängt zitternd vor Freude an dem Halle ihrer kleinen Freundin, die sie seit jenem Gange zu den Coffeepickers nicht mehr gesehen hatte. Der Wachtmann sieht erstaunt diesem Schauspiele zu und wartet geduldig den Verlauf desselben ab. Wäre der Wachtmann ein Deutscher gewesen und hätte er somit die Sprache der beiden Freundinnen verstehen können, es würden ihm die hellen Zähren über die Wangen gelaufen sein.
    Die freudige Aufregung, in die Gertrude bei dem so plötzlichen Erscheinen ihres Lorchen's versetzt wurde, hatte den heimtückischen Feind scheinbar zurückgeschlagen, um bald darauf nur um so gieriger über ein armes Opfer herzufallen. Das unvermuthete Besserwerden, das Gertrude jetzt zu verspüren glaubte, war nur eine jener furchtbaren Täuschungen, denen die vom gelben Fieber Befallenen in jener entsetzlichen Zeit sehr oft unterworfen waren.
    Die Tochter des Grafen sollte dies auch erfahren.
    „Wie kommst Du hierher, Gertrude? Was will denn der Wachtmann da mit Dir?“ frug Lorchen.
    „Nichts, mein Lorchen,“ entgegnete die Gefragte, „ich wollte ihn nur ersuchen, mich nach Hause zu bringen, da ich nicht mehr gehen konnte.“
    „Fehlt Dir denn etwas, Gertrude? Bist Du krank?“
    „Mir war's vorher so -- ich glaube aber jetzt, daß ich's mir nur so eingebildet habe -- man sieht nichts als Todtenwagen und Särge und da meint man zuletzt selbst, man muß sterben.“
    „Du fürchtet Dich doch nicht vor dem gelben Fieber, Ger trude ? - Das darfst Du nicht, sonst kannst Du's wirklich bekommen -- das haben mir die Leute gesagt, bei denen ich jetzt wohne -- --“
    „Wohnst Du denn nicht mehr bei Deiner Mutter und -- --“
    „Ich habe keine Mutter mehr, Gertrude -- -- sie ist todt,“ sagte Lorchen und heiße Thränen erstickten ihre Stimme.
    „Todt, Lorchen?“ seufzte die Tochter des Grafen und lehnte ihr Köpfchen an die Schulter ihrer Freundin.
    „Ja, Gertrude -- wir brachten die Mutter in’s Charity Hospital und wer da ohne Geld hineinkommt, kommt nur im

 

- 19 -

Sarge wieder heraus -- -- Es sind häßliche, abscheuliche Menschen in diesem Hospital -- sie haben sie mitten unter die schwersten Fieberkranken gelegt und da mußte sie wohl sterben -- es war nicht anders möglich -- -- da haben sie auch alle ihre wenigen Sachen weggenommen und wollten mir nichts mehr herausgeben und ich bin doch ihr Kind und ich darf doch die Sachen meiner Mutter haben*) -- -- jetzt warte ich fremde Leute ab -- -- da eben habe ich ein Stück Eis hergeschleppt -- -- --“
[LSZ - 1854.12.21]
    „Lorchen, meine Beine werden mir wieder so schwer, wie vorher,“ sagte Gertrude mit. Einemmal und klammerte sich da bei so fest an das kleine Lorchen, daß sie dasselbe fast auf den Boden herabzog. - -
    Der Wachtmann, der bisher ruhig und aufmerksam da gestanden hatte, trat jetzt ganz nahe an die beiden Kinder heran und indem er sich zu Gertruden herabneigte, sagte er
    „Es wird wohl das Beste sein, ich bringe Dich nach Hause, mein Kind-Du befindest Dich nicht wohl.“
    „Ja, Gertrude, ich und der Wachtmann bringen Dich zu
______________________________


*) Wir könnten hier leicht dazu verführt werden, eine vollkommene Schilderung der Handhabung der Oekonomie im Charity Hospital während der Epidemie zugeben, wenn es sich mit dem Entwurf unseres Werkes nur einigermaßen vertragen würde. Obgleich gewisse Thatsachen, deren Veröffentlichung uns zu Gebote stände, alle Wahrscheinlichkeit übersteigen, so sind sie doch nichts weniger als übertrieben. Man schien daran gewöhnt zu sein, die Unglücklichen, welche keine Mittel hatten, auf die schmählichste Art zu vernachlässigen. In seltenen Fällen war es gewöhnlich nur das Gefühl des Anstandes, das zur besseren Behandlung der Kranken schritt. Welche übergroße Aufmerksamkeit man den Effekten der armen Kranken widmete, geht daraus hervor, daß so. Viele den Verlust ihrer Koffer zu beklagen hatten, wenn ihnen je das Glück zu Theil wurde, genannte Anstalt verlassen zu können. Wir riskiren es, auf indirektem Wege die Frage aufzuwerfen -- Verschwanden vielleicht deshalb so viele Effekten und Habseligkeiten, um beim Rechnungsabschluß so wenig als möglich Ausfall zu bekommen? Diese Frage scheint etwas verwegen, und sollte sich Jemand finden, der sie zuversichtlich mit „ja“ beantworten kann, so wird derselbe sicherlich ein Trappisten-Schweigen beobachten. Eine etwaige Arroganz würde die Sache nur verschlinmern. Einem armen Deutschen, der in's Hospital gebracht wurde, war, während er auf dem Krankenlager lag, sein Koffer erbrochen und er so all' seines Eigenthums bis zum letzten Cent beraubt. Derselbe wurde zufälligerweise trotz der schlechten Behandlung wieder gesund und als der Unglückliche das Hospital verließ, war er voll kommen ausgeplündert und es wäre in der That besser gewesen, wenn er in die Hände von Wegelagerern, als in die der öffentlichen Wohlthätigkeit gefallen wäre, Ueberhaupt ließen sich einige Quidam zur Auftreibung von Douceurs Gewaltmaßregeln zu Schulden kommen, die jedes edlere Gefühl aufs Höchste empören müssen. Derlei Erpressungen sind auch die vielen Rückfälle zuzuschreiben, denen jene Unglücklichen, die ohne alle Mittel zu ihrer weitern Pflege, der sie als Rekonvaleszenten so sehr bedürfen, das Hospital verließen, fast immer unterworfen waren. Zwar bestanden drei Asyle für arme Reconvaleszenten, aber ihre Einrichtungen waren so mangelhaft und die Bedingungen zum Eintritte in dieselben so tyrannisch in die Höhe geschraubt, daß sie gar keinen Nutzen gewährten. Wenn man bedenkt, welche ungeheure Summen ans allen Thelen der Union für die „sufferers“ in New-Orleans zusammen strömten, so muß man wirklich erstaunen, das trotzdem so viel Moth und Elend geherrscht haben, Woran liegt es? Hoffen wir, daß diese Frage bei einem nächsten Schreckenssommer zum Besten der Nothleidenden erledigt wird. Es wäre traurig, wenn dies nicht der Fall wäre. --

 

- 20 -

Deinen Eltern -- -- -- wo wohnst Du denn?“ frug Lorchen mit ängstlicher Stimme und sah ihrer Freundin prüfend um's Gesicht. --
    „Das dritte Haus um die Ecke, Lorchen -- O bring mich, bringt mich doch nach Hause -- bat Gertrude und wollte versuchen, allein aufrecht zu stehen. Doch ihr fehlten die Kräfte. Der Wachtmann nahm sie ohne weiters auf seine Arme. Lorchen ging dicht neben her und schleppte nur mit Mühe einen großen Eisklumpen, um den ein Strick gebunden war, hinter sich her.
    „Dies ist das dritte Haus von der Ecke ab,“ sagte der Wachtmann: „Ist es hier?“ „Ja“ antwortete Gertrude kaum hörbar.
    Der Wachtmann setzte das Kind auf den Boden, nachdem er vorher die Thüre, welche in die weniger als einfache Wohnung führte, geöffnet hatte. Dann begab er sich wieder in sein ihm angewiesenes Revier. --

------------------------0o0------------------------

Zweites Kapitel.

Die Krankenwaerterin.


     Die Geschichte der Völker, wie die der einzelnen Individuen, wird nicht nur durch außerordentliche glänzende Handlungen merkwürdig, sondern auch durch die niedern Dienste, die den Leidenden im Stillen erwiesen werden. Ja, manchmal werden sogar glänzende und hervorragende Handlungen, die bei oberflächlicher Beschauung als ruhmwürdig erscheinen, bei genauerer Durchsicht bedeutend verdunkelt und in den Hintergrund gestellt -- wenn nemlich den Motiven hiezu ein unreiner Flecken vindicirt werden kann. Das Letztere gilt von jenen Männern, denen es durch ihren Reichthum leicht gemacht wurde, sich wegen ihrer bei der letzten Epidemie gespendeten Geldsummen einen eminenten Namen zu verschassen. Aber diese verdienen den beneidenswerthen Namen eines Wohlthäters ihrer leidenden Mitmenschen eben so wenig, als der Tyrann, der, nachdem er das Volk sein ganzes Leben hindurch ausgebeutet und bestohlen hat, bei einer Hungersnoth oder andern

 

- 21 -

bedeutenden Unglücksfällen unter die Aermsten seines Reiches Geld und Lebensmittel austheilen läßt. Diese Wohlthäter aus der Upper-ten Classe waren ungeachtet ihrer großen Geldspenden an Wohlthätigkeits-Vereine oft ganz niederträchtige Menschen, die, was sie auf der einen Seite verausgabt, auf der andern Seite wieder doppelt und dreifach zu gewinnen suchten. Ihre Namen mußten in den Zeitungen glänzen und die Geldsummen dabei genau angegeben werden, die sie auf dem Altare der Armuth und des Elends geopfert hatten. Wie hätten sie sonst auch nur Einen Cent verausgaben mögen! Die besten und edelsten Menschenfreunde waren sicherlich diejenigen, die in dieser schrecklichen Zeit persönlich die Hütten der Armuth aufsuchten und so, ohne ihre Thaten durch die Journale in alle Welt ausposa:nen zu lassen, durch ihre unmittelbare Hilfe mehr Gutes stifteten, als jene Pseudo-Philanthropen, die es für bequemer und weniger gefahrbringend hielten, die Mittel zur Linderung des Elends Associationen zur Verfügung zu stellen, Jedoch das wäre noch zu entschuldigen; denn nicht Jeder ist zum Samariter geboren und dann können sich auch Idiosynkrasteen einstellen -- und wie gefährlich dieselben bei einer Epidemie sind, wissen wir -- aber daß ihnen trotz ihrer Geldunterstützung gar nichts daran gelegen war, wie sie für die armen Kranken verwendet werden könnte, das ist der Stein, den wir auf sie werfen und der, da er sie nun einmal getroffen hat, centner schwer auf ihrem Gewissen liegen soll. Falls niemlich die Idee von einem Gewissen in dieser Sache bei ihnen vorhanden ist. Beispiele erläutern in Etwas die Zweideutigkeit ihrer Gaben und nehmen zugleich auch viel von dem falschen Glanze mit, mit dem die englische Zeitungsmetze damals ihre Namen übergoldet hat.
[LSZ - 1854.12.22]
    Ein Herr Josuah W* hatte der „Howard-Association“ *)
______________________________


*) Howard Association. Dieselbe hat ihren Namen von dem rühmlichst bekannten englischen Philanthropen Howard, der im Jahre 1809 in Cort gestorben ist. Derselbe hatte eine vollständige Umgestaltung der Gefängnisse und Armenhäuser unternommen. Trotz der ungeheuern Schwierigkeiten, mit denen er Anfangs zu kämpfen hatte, so wurden seine Anstrengungen und seine konsequente Ausdauer endlich mit dem glänzendsten Erfolge gekrönt und auf seinem Todtenbette wurde ihm, dem großen, edlen und uneigennützigen Menschenfreunde, der Trost zu Theil, daß er in den Herzen seiner Landsleute den Sinn und die Gefühle für Humanität angeregt hatte. Leider aber sind wir der Wahrheit das Geständnis schuldig, daß sich dieser Sinn und diese Gefühle nur wenig über ein Viertel-Jahrhundert in dem Geburtslande. Howards erhalten haben, Besonders sind in neuester Zeit gewisse materialistische Theorien aufgetaucht und auch schon in einzelnen Fällen in die Praxis übergeführt worden, -- Theorieen, welche unter dem Deckmantel der Oekonomie alle Humanität völlig untergraben. Der Kern derselben besteht in folgender Marime: „Die Reichen haben nicht nöthig, den Armen eine unterstützung zu geben; Jeder soll für sein Bedürfnis sorgen, wie er kann: öffentliche Unterstützung ist ein Unding, welches die Trägheit und jegliches Laster unter-

 

- 22 -

die Summe von $250 für die Nothleidenden in New-Orleans zukommen lassen. Das ist schön und edel gehandelt von diesem Manne, wird man sagen, daß er seiner leidenden Mitmenschen gedenkt, indem er zu dem Fond beisteuert, aus dem den armen Kranken unserer Stadt Hilfe und Rettung erwachsen soll -- schön ist es von Mr.Josuah W*, daß er auch in seinem Ueberflusse die Hilfsbedürftigen nicht außer Acht läßt, ja, daß er sogar während der gräßlichsten Verheerungen, die das gelbe Fieber anrichtete, in der Stadt verblieb, wo er doch die Mittel dazu gehabt hätte, in die entferntesten Regionen der Erde zu reisen und so jeder Gefahr zu entgehen. So werden diejenigen sagen, denen noch nicht die Ehre zu Theil geworden, genannten Herrn kennen zu lernen oder die ihn nur auf das Factum hin beurtheilen, daß er in den Opferstock der reichen Howard-Association seine 250 Dollars gelegt hat. Abgesehen davon, daß er bloß deshalb etwas gegeben hat, um in seinem Renommé als Wohlthäter nicht hinter die anderen reichen Cumpane und moralischen Don Quirote's zurückzubleiben und somit in den Journalen ausposaunt zu werden, so war Mr.Josuah gerade. Einer von denjenigen, die durch ihre Grausamkeit und Habsucht den Tod ganzer Familien herbeigeführt haben. -- Mr.Josuah besitzt nemlich eine große Anzahl von Häusern, deren geräumige und luftig gelegenen Wohnungen fast die ganze Zeit der Epidemie hindurch leer gestanden, da seine vermöglichen Miethsleute die Stadt verlassen hatten. Nebenbei hat er aber auch elende jämmerliche Barraken, wahre Schmutzlöcher, die schon seit Jahr und Tag nicht mehr ausgebessert und gereinigt wurden. Schon allein der Aufenthalt in ihnen wirkt machtheilig auf die Gesundheit und führt zum gelben Fieber, wenn auch sonst keine Epidemie in der Stadt herrscht,


stützt. Doch wir schweifen zu weit ab, und wir wollen lieber auf die Gesellschaft in New-Orleans zurückkommen, die von dem englischen Philanthropen den Namen adoptiert hat. Die Howard Gesellschaft, die einen Charter von der Gesetzgebung hat, wurde am 28. Februar 1842 incorporiert. Der Incorporations-Aft sagt: „Da mehrere men schenfreundliche Bürger von New-Orleans eine Gesellschaft gebildet haben (welche seit dem Beginne der Epidemie im Jahre 1837 besteht), in der Absicht, arme Personen zu unterstützen, und besonders den Kranken und Armen während der Epidemie zu Hilfe zu kommen, und in der Erwartung, daß der Nutzen und Einfluß besagter Gesellschaft be deutend vermehrt werde durch den Besitz der Ermächtigungen, welche die Charters anderen Wohlthätigkeits-Instituten verleihen, so sei es hiermit beschlossen, daß u.s.w. u.s.w. --“ -- -- Die Gesellschaft bestand Anfangs aus den Herren J.W.Andrews; G.Kursheedt; J.P.Bredlone und F.W.Leslie. -- Dieselbe besitzt alle Privilegien incorporierter Gesellschaften und soll kraft des Gesetzes einen Präsidenten, zwei Vizepräsidenten, einen Sekretär, einen Schatzmeister und neun Direktoren haben. Diese Beamte werden am 1.Juni eines jeden Jahres gewählt. Der Charter der Gesellschaft hat ferner eine Dauer von 20 Jahren und da die Gesellschaft bereits schon 11 Jahre (bis zum Juni 1853) besteht, so bleiben ihr demnach nur noch 9 Jahre übrig. Im Jahre 1862 ist der Charter abgelaufen. --

 

- 23 -


Diese Barracken sind zu alt und baufällig, als daß der Besitzer nur das Geringste daran wenden möchte. Die Dielen sind halb verfault und die Pfeiler, auf denen diese Fieberhütten stehen, stecken in fußhohem Schlamme. Daneben noch der Auskehricht und Abfall aus den nahegelegenen Matrosenkost häusern und das Bild dieser paradiesischen Wohnplätze ist fertig. Aber Mr. Josuah versteht es aus Schmutz Geld zu machen. Diese Barracken, sechs bis acht an der Zahl, waren während der gelben Fieber Zeit sämmtlich an ärmliche Familien verrentet, weil dieselben natürlicherweise in seine großen Häuser nicht ziehen konnten. Hat nun Mr.Josuah wirklich so großen Wohlthätigkeitssinn, wie seine Svende an die Howard Society beweisen soll, warum hat er diese armen Familien aus diesen offenen Gräbern nicht weg und in seine gesunderen Häuser gebracht, die ja doch den ganzen Sommer hindurch leer standen? Nun, das ist eine zu große Zumuthung, wird der bornierte Vulgus der Häuserspekulanten ausrufen; wie kann man von Mr.Josuah verlangen, daß er seine Rente einbüßen soll einiger armen Familien halber, denen der Aufenthalt in diesen Barracken schädlich werden könnte? Hat er nicht genug gethan, daß er der Howard Society 250 Dollars schenkte? Dieser Vulgus hat Recht, ja -- aber Mr.Josuah hat aus seinen Sumpflöchern doch nicht so viel Rente bezogen, als er sich geträumt haben mag. Zwischen dem 23. und 29.Juli waren alle seine Miethsleute der Seuche zum Opfer gefallen und einige alte Matratzen und zerbrochene Stühle, die er als Inventar vorfand, konnte er nicht einmal auf die Auktion bringen, wie er es so gerne gewünscht hätte. Das ist Einer Deiner Erösuffe, New-Orleans, die sich zu jener Schreckenszeit mit der Maske der Philanthropie bekleideten ! Ist Mr. Josuah Wein Mörder? --
    Aus einer ähnlichen Barracke, nur etwas geräumiger und nicht so tief im Schlamme steckend, bestand auch jene Wohnung, in die wir vorher Gertrude mit Lorchen, des Raftmanns Töchterchen, eintreten sahen. Welche schrecklichen und außerordentlichen Ereignisse dieser hülfsbedürftigen Lage, in der wir die gräfliche Familie zum zweitenmale finden, vorausgegangen sein müssen, bleibe der Vorstellung des Lesers einstweilen an beim gestellt, bis wir ihrer in einem andern Capitel erwähnen werden. --
    Durch das Geräusch, welches das Oeffnen der Thüre verursachte, aufmerksam gemacht, richtete sich eine Frauensgestalt,

 

- 24 -

die mit dem Kopfe gegen die Thüre zu unter einer durchlöcherten Muskitobare auf einem schmalen Feldbette lag, mit halbem Leibe empor.
[LSZ - 1854.12.23]
    „Bist Du endlich da, mein gutes Kind?“ rief dieselbe im schmerzlichen und besorgten Tone Gertruden zu, die sich kaum auf den Füßen erhalten konnte und auf das Bett zu schwankte, woher die Stimme kam.
    „Mutter, ich war bei mehreren Doktoren, aber keiner wollte mitkommen, wenn wir nicht gleich voraus bezahlen -- ich weiß jetzt nicht mehr, was ich thun soll -- --“
    „O mein gutes Kind, Du hast Dich zu viel echauffiert, gieb Deiner Mutter vorerst noch einen Kuß und dann lege Dich zu Amelie hin und ruhe Dich etwas aus; sonst könntest Du auch noch krank werden.“
    „Komm' Gertrude,“ rief jetzt eine schwache Kinderstimme, „Mutter hat Recht, lege Dich zu mir -- ich bin auch nicht so krank wie die Andern, aber bring' mir ein Glas Eiswasser mit, ich habe so viel Durst.“
    Gertrude fühlte es nur zu gut, daß sie auch schon krank war, aber das kluge Kind wollte nichts sagen, um ihre Mutter nicht zu erschrecken. Nachdem sie ihrer Mutter einen Kuß gegeben hatte, sank sie auf die Matratze hin, die auf dem Boden neben dem Bette der Mutter lag und das Krankenlager der kleinen Amelie war.
    Auf dem Kaminsimse brannte eine schlechte Kerze und neben derselben standen mehrere leere Senfbüchsen und Gläser, auf deren Boden noch etwas Castoröl klebte. Das waren die einzigen Medicamente, die sich die gräfliche Familie anschassen konnte; denn die Recepte, die der Doktor verschrieben, hatte Gertrude von der nahegelegenen Apotheke wieder zurückge bracht, da die wenigen Cents, die man ihr mitgab, nicht hinreichten, die Medizin zu bezahlen. In barschem Tone hatte der Apotheker von Gertruden die Bezahlung verlangt oder Tickets und die Verordnung eines Arztes von der Howardassociation, und als ihn Gertrude wegen genannter Gesellschaft um nähere Auskunft gebeten, so hatte er ihr die Recepte wieder zugeschoden und ihr geheißen, mit denselben zu einem andern Apotheker zu gehen. Er fand es nicht einmal der Mühe werth, ihr die Wege anzugeben, auf welchen Tickets zu holen sind. *)
______________________________


*) Wir sagen hier nicht zu viel. Hunderte von solchen Fällen kamen während der epidemischen Periode vor. Man schaudert, wenn man an die Hartherzigkeit denkt, mit der einige Apotheker gegen Arme verfuhren. Die Tyrannei, mit der man das Einzie-

 

- 25 -

    Es war ein elender Raum, in dem sich Melanie, die Mutter, mit den beiden Kindern befand. Gertrude sollte heute und übrigens das Erstemal hier schlafen, da sie bisher ganze Nächte hindurch gewacht hatte und wenn ihr endlich die Augen vor Mattigkeit zufielen, an unbestimmten Plätzen eingeschlafen war.
    Neben diesem Ranme, der, ehe die unglückliche Familie hier einzog, von einer schwarzen Waschfrau, die nebenbei noch ein horizontales Gewerbe trieb, benützt wurde, befand sich ein ebenso erbärmlicher Bretterverschlag, der nur dadurch den Anstrich einer Wohnung gewann, daß sich Menschen darin aufhielten. Geräumig genug war dieser Verschlag. Zu was er früher gedient hatte, wollen wir hier nicht erwähnen. Es wäre eine Verfündigung gegen jene Gefühle, die uns beim Anblicke solchen Elends und Jammers so furchtbar bestürmen.
    Von diesem Verschlage heraus, in den die im vordern Raume brennende Kerze nur einen schmalen Lichtstreifen warf, rief eine Mädchenstimme in fieberhaftem Tone:
    „Mutter! Suschen rührt sich nicht mehr; ich habe Vater und Hugo schon zweimal gerufen, aber sie hören mich nicht --“
    „Großer Gott!“ rief Melanie aus und wollte sich von ihrem Lager erheben. Aber sie sank immer wieder zurück,
    „Mutter, Mutter! Ich fürchte mich -- Ist Gertrude bei Dir? Laß ihr das Licht hereintragen, ich kann nicht aufstehen -- ich bin so schwach -- --“ rief die “wieder.
    „Gertrude!“ preßte jetzt Melanie mit großer Anstrengung heraus und ihre hohe Gestalt versuchte es noch einmal, aber wieder vergebens, sich aufzurichten. „Gertrude, bringe Constanzen das Licht -- --“
    Ein bloßes Wimmern war die Antwort.
    „Amelie!“ rief jetzt Melanie: „Amelie! -- -- Schläft Gertrude ?
    „Mutter, liebe Mutter, ich glaube, ich muß sterben --“
______________________________


den der bekannten Tickets betrieb, übersteigt alle Begriffe, Abgesehen davon, daß die Druggisten, mit nur wenigen Ausnahmen, diese Tickets sehr unreell verwertheiten und somit oft unmenschliche Prozente gewannen, so waren an die Howardgesellschaft selbst späterhin, als das gelbe Fieber bereits verschwunden war, Forderungen eingegangen, die mit Beihilfe gewisser Quacksalber fabriziert, jenen wie diesen Summen in die Hände spielten, die ihnen nie und nimmermehr auf geradem Wege zugekommen wären. Aber so macht man Geld. Viele haben durch diese Manöver ihre zerrütteten Finanzen wieder in Ordnung gebracht und noch mehr solche Sommer, wie der vergangene, und sie müssen steinreiche Leute werden. -- Der Wille der Howard-Gesellschaft war gut, ihre Grundsätze sind vortrefflich- aber man wird auch einsehen, daß es, um dem Elend zu steuern, nicht so sehr auf die Größe der Summe ankommt, die in ihre Casse fließt, als auf eine genauere Umsicht der Verwendung deserselben.

 

- 26 -

antwortete es von dem Lager her, wo Gertrude und Amelie lagen.
    Die unglückliche Mutter stieß einen Schmerzensschrei aus, der das härteste Herz hätte erweichen müssen.
    Von dem Verschlage heraus eilte im selben Momente ein nur halb bekleidetes Mädchen und griff nach dem Lichte, mit dem es hastig wegging. Die Furcht hatte Constanzen auf einige Augenblicke in jenes schreckenerregende Stadium getrieben, wo ein Fieberkranker halb rasend werden kann. Wenn sie kurz vorher nicht einmal im Stande war, sich aufstehend um Gleichgewicht zu erhalten, so schien es jetzt, als hätte die Flügel an den Füßen.
    Dieser Impuls wird aber stets sehr bald gebrochen. -- --
    Es war einige Augenblicke todtenstill, als Constanze mit der tief herabgebrannten Kerze aus dem vordern Raume in den Verschlag geeilt war.
    Rührt sich denn Niemand mehr von der ganzen Familie? Kein Wort, nicht einmal ein Schmerzenslaut?

[LSZ - 1854.12.24]
    Hat Melanie den Angstruf Konstanzens vergessen und auch, weßhalb sie das Licht geholt? -- -- Wozu diese fürchterliche Pause ?
    Hier, wo Melanie mit ihren Kindern Gertrude und Amelie liegt, können wir nichts sehen, da Konstanze das Licht fortgetragen.
    Deßhalb sehen wir hin, wo Licht ist -- sehen wir in den Verschlag.
    Da steht Konstanze mit dem Leuchter in der zitternden Rechten neben dem armseligen Bette, auf dem der alte Graf, ihr Vater, mit Hugo liegt. Hugo hat sein Gesicht dem des Vaters zugekehrt. Sie sehen sich einander an und wachen doch nicht. Sie liegen so ruhig da und doch schlafen sie nicht. Der Sohn ist so bleich wie der Vater. Bei der Mund ist weit geöffnet und doch sprechen sie nicht. Wie sollten sie auch sprechen können, da sie nicht mehr athmen? Ueber blauschwarze Lippen wagt sich kein Laut mehr.
    Laß' ab von Deinem schrecklichen Pantominenspiel, Konstanze! Lasse Deinen Thränen lieber freien Lauf und gebe Deinen Schmerz um den verlorenen Vater und Bruder in lauten Klagetönen Kund! Laß' uns mit Dir weinen, aber stehe nicht länger so ruhig da!
    Deine Mutter im Nebengemache rührt sich nicht, aber sie horcht auf Dein erstes Wort, Deinen ersten Ruf; sie will es

 

- 27 -

wissen, warum Du das Licht mitgenommen hast, Konstanze!
    Da wendet sich die älteste Tochter des Grafen von ihrem Vater und Bruder und neigt sich auf ihr Lager hin, wo sie kurz vorher noch mit ihrem jüngsten Schwesterchen, mit Suschen, gelegen hat.
    Schon wieder das nemliche Pantominenspiel, Konstanze Erschrick' nicht Konstanze, daß einige Tropfen von Deiner Kerze auf Suschen's Wangen herabgefallen sind. Dein Schwesterchen fühlt es nicht mehr. --
    Es ist Dein Glück, Feder, daß sich mir in Deinem Stahle eine erhabene Tragödie wiederspiegelt und daß Du mich nicht dazu verleitet hat, gemeine Worte, wie schwarzes Erbrechen u.a.m. hinzukritzeln. Es ist Dein Glück, daß Du hier nicht die profane Sprache eines Arztes führst. --
    Man hat Thränen und kann nicht weinen; man hat ein Herz und fühlt nichts; man hat Worte, aber sie ersterben auf den Lippen -- es ist der Zustand des höchsten Schmerzes und die Thränen, das Herz und die Worte geben erst wieder von ihrem Dasein Kunde, wenn der Schmerz eine Erinnerung wird. So tritt Konstanze wieder mit dem Lichte in der Hand aus dem Verschlage und geht an's Bett ihrer Mutter. Die hohe, edle Gestalt Melaniens richtet sich empor, eine trauernde Niobe jetzt schon, noch ehe ihr die Tochter gesagt hat: „Mutter! Vater, Bruder und Suschen sind nicht mehr.“ Die Mutter hat es bereits geahnt, was die Tochter sagen wird, wenn sie wieder mit dem Lichte zurückkommt. Es war für sie keine Ueberraschung mehr.
    Der Fluch des gelben Fiebers trifft oft schnell und ganz unerwartet und wer heute noch frisch und munter ist, kann morgen schon todt sein. --
    Wie sich ein schöner Garten, auch wenn der ganze Nacht Himmel mit schwarzem Gewölke überzogen ist, gar bald durch die zauberischen Düfte, die seine Blumen und Blüthen ausströmen, verräth; wie uns die frischen Blumenbilder anreizen und unsere Sinne in feenhafte Regionen verlocken -- ebenso leicht verräth sich auch jenes Haus, jenes Gemach, in dem der Würgengel der Fieberpest seine blinkende Sense geschliffen. Aber hier sind keine Blumenkelche, in deren Schooß wir uns träume, risch versenken könnten; hier treibt uns ein warnender Odem zurück und haucht Eckel und Grauen auf die, die noch kurz vorher ein namenloser Schmerz zur Verzweiflung trieb. Und das ist der fürchterlichste Fluch dieser Pest! Vor seinem eigenen

 

- 28 -

Blute tritt man mit Widerwillen zurück und wo man Mitleiden fühlen sollte, erhebt sich der Eckel mit einem kalten Schweiße und Leichengeruche.-- Deßhalb trat auch Konstanze nicht mehr hinein in jenen Verschlag, sondern sie schlich an die Thüre und schloß sie leise. Die Mutter sah es, aber sie sagte Nichts. Bei Beiden war jetzt nur ein Gedanke möglich: „Sie sind gestorben, um uns bald zu sich zu rufen.“ --
    Draußen hielt eben ein Wagen.
    Gleich darauf öffnete sich die Thüre und ein junger Mann, von einem kleinen Mädchen in ärmlicher Kleidung gefolgt, trat ein.
    Es war Lorchen mit einem Arzte von der Howard-Association.
    Lorchen war nemlich, als sie die hilflslose Lage gewahr wurde, in der sich die Angehörigen ihrer Freundin Gertrude befanden, gleich hinweggeeilt, um in einer nahe gelegenen Filiale der Howard Gesellschaft Hilfe zu suchen. Zwar hätte sie die Pflicht zu jenen Leuten zurückführen sollen, wo sie nach ihrer eigenen Aussage als Wärterin fungierte und für die sie den großen Eisklumpen herbeischleppte, der nun, freilich schon bis auf ein ganz kleines Stück zusammengeschmolzen, in der Wohnung der gräflichen Familie lag, ohne bisher weder von Gertruden noch von den Andern bemerkt worden zu sein -- aber ihr kindliches Herz gebot ihr, zuerst für ihre ehemalige Gespielin, für deren Eltern und Geschwister zu sorgen. Wärter und Wärterinnen waren in dieser Zeit oft sehr selten und bedeutende Mittel waren erforderlich, um ihren -- übrigens nicht mit Unrecht -- übermäßig gestellten Forderungen Genüge leisten zu können. Sie waren oft selbst schon von der Seuche dahingerafft, noch ehe sie ihren Pflegebefohlenen die geringste Hilfeleistung angedeihen lassen konnten.

[LSZ - 1854.12.26]
    So ging es in Privathäusern, wie in den öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalten. Die schützende Hand ließ sich theuer bezahlen und man gab auch gerne, wenn man etwas hatte. -- So hatte sich Lorchen, obwohl noch halb Kind, aber so gewandt und diensteifrig wie eine erwachsene Person, nach dem Tode ihrer Mutter -- die gleich bei dem Beginne der Seuche von der selben hingerafft wurde -- bei einer vermöglichen Familie als Wärterin angetragen und wurde auch gleich angenommen, da die Domestiken, die im Dienste jener Familie standen, schnell nach Einander am gelben Fieber gestorben waren. Lorchen hatte sich gerade zu einer Zeit als Nurse angeboten, wo das

 

- 29 -

Haupt der Familie und zwei schon erwachsene Söhne an der Seuche darniederlagen. Man versprach ihr jeden Tag drei Dollars, gewiß ein sehr guter Lohn für ein so blutjunges Ding, wie Lorchen. Diesen Dienst hatte sie, um ihrer Freundin Gertrude beizustehen, verlassen und in ihrem regen Eifer dachte sie auch nicht gleich daran, welches Unheil sie dadurch in jener Familie anstiften könnte. Bei der gräflichen Familie konnte sie nichts verdienen -- doch, wie können auch Kinder daran denken, da Geld zu machen, wohin sie ihr Herzensdrang führt. Das ist nur eine Prärogative der Erwachsenen. --
    Glücklicherweise hatte Lorchen einen tüchtigen und gewissenhaften Arzt angetroffen. Wäre sie nur eine halbe Stunde später gekommen, so hätte man ihr vielleicht einen von jenen Aerzten mitgegeben, die, anstatt für ihre Patienten besorgt zu sein, wofür sie doch von der Gesellschaft bezahlt wurden, an die Lake fuhren und sich da den ganzen Tag in seligsten Dolce farniente wiegten. Es ist eine große Seltenheit, daß junge Aerzte ihren Patienten das für die Heilung oft so nothwendige Vertrauen einflößen, um so weniger, wenn sich zu ihrer Jugend ein chevalereskes ungeniertes Benehmen gesellt. Das hat seinen triftigen Grund. Zu junge Aerzte haben weder die gehörige Erfahrung, die nur durch langjährige, vielfach erprobte Praris gewonnen werden kann, noch ist bei ihnen jenes edle Kleinod zu finden, das man in der nüchternen Lebens sprache Gewissenhaftigkeit nennt. Dies gilt besonders von den Aerzten in unserer Stadt. Man nimmt gewöhnlich als Quacksalber einen Anflug und hat man unter zwanzig Patienten nur Einen -- wenn auch nur durch Zufall -- gerettet, so kann man sich keck einen ordentlichen vielgeprüften Arzt schmähen lassen. In diese Kategorie gehörte ausnahmsweise nicht der Arzt, der mit Lorchen eben angekommen war. Er war trotz seiner Jugend ein Arzt von vorzüglichem Renommé, ein gelbe Fieber-Arzt par excellence. Er hatte nicht nur Glück bei Behandlung der von der Seuche Ergriffenen, sondern zeigte auch in allen andern Krankheiten, deren Entstehen man in unserm ermattenden Klima suchen muß, eine glänzende Routine.
    Entsetzt blieb der Doctor einige Augenblicke stehen, als er das namenlose Elend gewahr wurde, das sich ihm so unverhüllt zeigte. Er hatte schon viele Hütten der Armuth während dieser traurigen Zeit besucht, aber noch nirgends trat ihm dieselbe in so erschütternder Weise entgegen. Konstanze lag ausgestreckt auf den halbverfaulten Dielen dicht neben dem Fußgestelle

 

- 30 -

des Feldbettes ihrer Mutter. Sie war niemlich, als sie ihrer Mutter die Todtenbotschaft gebracht hatte, auf der Stelle niedergesunken. Die rechte Hand drückte sie krampfhaft auf ihre Brust, während ihre linke auf der glühenden Stirne ruhte. Alles Blut war ihr gegen die Brust, den Kopf und die obern Ertremitäten geeilt und jagte in wilden Strömungen wie ein rasendes Feuermeer umher. Vom Magen abwärts bis an die Füße war die Unglückliche kalt wie Eis. Der Unterkörper schien schon abgestorben, während der Oberkörper von der Gluth, die in ihm raste, fast verzehrt wurde. Im nemlichen Zustande fand der Arzt die Mutter, Gertrude und Amelie. Die beiden Jüngsten phantasierten viel und heftig. Besonders Gertrude. Sie rief zu mehreren Malen den Namen Lorchen aus. Der richtige, geübte Blick des Doctors hatte im Momente erkannt, daß zwei von seinen Patienten schon einmal unter Behandlung gewesen sein mußten und daß dieselbe auf irgend eine Weise unterbrochen wurde. Des Doctors, den man gleich Anfangs gehabt, der aber, wie wir bereits wissen, weggeblieben war, nachdem man ihm eine zweite Forderung nicht bezahlen konnte, wurde gar nicht erwähnt. Jetzt lagen alle Vier im schrecklichsten Fieber und an das Aufspüren einer nachlässigen Behandlung war jetzt gar nicht zu denken. Da weder Papier noch Tinte vorgefunden werden konnte, so riß der Arzt in Eile ein Blatt aus seiner Brieftasche und schrieb ein Recept. Dann ertheilte er Lorchen auf's Genaueste seine Instruktionen, was sie zu thun hätte, wenn er fort wäre und sie mit der Medizin von der Apotheke zurückkomme. Er versprach ihr ferner, binnen zwei Stunden wieder zu erscheinen und im Nothfalle sie die Strapazen nicht ertragen könne, eine Nurse mitzubringen. Er selbst sah aber nur zu gut ein, daß hier. Alles schon zu spät sei und daß ein übermenschliches Wunder geschehen müsse, wenn Konstanze und ihre Mutter mit dem Leben davonkommen soll ten. Nur bei Gertrude und Amelie war eine Rettung möglich, Deßungeachtet glaubte der gewissenhafte junge Mann auch bei ihnen nichts versäumen zu dürfen und Alles aufbieten zu müssen, was in seinen Kräften stand. -- --
    Als der Doctor auf die Straße trat und eben im Begriffe stand, in seinen Wagen zu steigen, war er nicht wenig erstaunt, einen Mann in demselben zu finden, der die Zügel seines Pferdes in Händen hielt.
    „Sie sind ein Doctor?“ herrschte ihn derselbe in befehlendem Tone an.

 

- 31 -

    „Ja,“ antwortete der junge Arzt bestürzt und trat mit dem linken Fuße auf eine Speiche des Vorder-Rades.
[LSZ - 1854.12.27]
    „Das hab' ich dem miserablen Fuhrwerk gleich angesehen -- gut, daß ich's getroffen habe,“ versetzte jener,
    „Aber, mein Herr, was soll das? Was wünschen Sie Wer giebt Ihnen die Erlaubniß, sich in meinen Wagen zu setzen und die Zugel meines Pferdes zu ergreifen! -- -- Steigen Sie aus oder sagen Sie mir, was Sie eigentlich im Schilde fuhren?“
    Statt der Antwort versetzte jener dem Arzte einen so furchterlichen Faustschlag auf die Stirne, daß derselbe, ohne auch nur den geringsten Laut von sich zu geben, rückwärts auf die scharfe Kante eines der Steine fiel, die die Straßenrinnen von den Banquets abmarken. In demselben Momente feuchte eine kleine, bucklige Gestalt quer über die Straße gerade auf den Wagen zu.
    „Eilen Sie, Abbé,“ sagte der Mann im Wagen, „die Hunde von Wachtleuten sind uns auf der Ferse.“ Zugleich langte er herab, ergriff die kleine Gestalt hinten beim Kragen und warf sie zurück auf den Sitz. Dann rasselte der Wagen in schnellem Räderfluge die Straße hinab. --
    Als der Doctor aus seiner Betäubung erwachte, sah er zwei Wachtleute vor sich, die ihn trotz aller Protestationen und Versicherungen mit sich fortführten. Es war augenscheinlich, daß sie den armen Mann für irgend ein verdächtiges Individuum hielten, eine Annahme, die sie sicherlich fallen lassen mußten, wenn sie dem Arzte genauer in's Gesicht gesehen hätten. Sie sollten auch später erfahren, daß ihr Diensteifer hier am unrechten Platze war.
___________________________


    Gegen Mitternacht war ein abscheuliches Wetter eingetreten. Ein schwerer träger Regen, der in gleichmäßigen Strichen auf das holperige, lückenhafte Pflaster niederrauschte, hatte einen Theil der Straße, in der die elende Barracke der unglücklichen Familie stand, in wenigen Augenblicken vollkommen unter Wasser gesetzt. Ungeachtet des unaufhörlichen Regens war die Luft so schwül, daß sich auch die gesundesten Naturen halb krank fühlten und von den peinigendsten Gefühlen

 

- 32 -

bestürmt wurden. Ja, manchmal schien es, als wäre alle Luft aus der Stadt gepumpt. So leblos sah auch der träge warme Regen aus, so der einfarbige dunkelgraue Nachthimmel, an dem keine vorüberjagende Wolke nur das geringste Zeichen von Leben angedeutet hätte -- kurz, es war ein recht heimtückisches Fieberwetter. -- In dieser Nacht hat auch die Seuche am fürchterlichsten gewüthet. -- Lorchen hatte das einzige Fenster, vordessen Außenseite ein schlechter Laden von verblaßter grüner Farbe nur noch an einem losen Nagel hing, hinaufgeschoben; denn die Schwüle in dem Gemache war unerträglich. Gerne hätte sie auch noch die Thüre geöffnet, aber sie fürchtete, Neugierige herbeizuziehen, die sie in ihrem Thun beobachten und stören könnten. Denn es gab um diese Zeit viele nichts wurdige Herumstreicher, die, wo sie eine Thure offen stehen sahen, ganz ungeniert eintraten und unter dem Vorwande, den Fieberkranken beizustehen, die schändlichsten Dinge verübten. Von derlei Gesindel hatte auch Lorchen schon mehrmals sprechen hören und sie hielt es daher für sicherer, die Thüre verschlossen zu lassen, bis der Arzt wiederkäme, von dessen unglücklicher Affaire die Nichts ahnen konnte. -- Das kleine Lorchen hatte mit ihren Pflegebefohlenen große Noth. Mit Konstanzen und deren Mutter, denen sie unter anderm auch ein Magenpflaster mit einem großen Stück Eis darauf, wodurch nemlich das Blut, welches sich ganz nach dem Oberkörper gedrängt hatte, wieder nach unten getrieben werden sollte, auflegen mußte, ging es ihr so leidlich. Auch das Quinline, das sie ihnen nach der Order des Arztes reichte, wurde ohne Widerstreben eingenommen; aber Gertrude und Amelie wollten sich durchaus zu nichts bequemen. Die Erstere schien überhaupt ihr Lorchen gar nicht mehr zu kennen. Sie phantasierte zwar immer von derselben und sprach zu wiederholten Malen den Namen ihrer Freundin aus, aber wenn ihr Lorchen zu nahe kam, so schrie sie schrecklich auf, stampfte mit Händen und Füßen und meinte immer, es wäre eine fremde Person bei ihr, die ihr etwas zu Leide thun wollte. Lorchen vergoß deßhalb bittere Thränen. Sie war nicht im Stande, ihr auch nur einen Tuopfen Medicin einzugeben, die ihr der Arzt verschrieben hatte. Nur sehr schwer gelang es ihr, Gertrude in eine solche Stellung zu bringen, daß sie ihre Füße in ein Senfbad tauchen konnte. Das nemliche Maneuvre, nur mit etwas gelinderem Widerstreben, hatte das gutherzige, gefällige Lorchen mit Amelie durchzumachen. -- Große Schwierigkeiten hatte die kleine

 

- 33 -

Wärterin mit dem Zubereiten des Bades selbst, Die wenigen Hobelspäne, die in einer Ecke des Kamins lagen und die Gertrude Tags vorher von dem nahegelegenen Coopershop geholt hatte, brannten zu schnell auf, ohne daß sie das Wasser auch nur halbwarm gemacht hätten. Lorchen befand sich deshalb in einer nicht geringen Verlegenheit. Da erinnerte sie sich, daß sie bei ihrem ersten Eintreten über ein Brett gestolpert war, das auf dem Banquet dicht neben der Thüre lag, Mit großer Anstrengung hatte sie dasselbe mit einem langen rostigen Tischmesser in mehrere Stücke gespalten, diese Stücke, da sie zu lang waren, wieder mehrere Male über das Knie gebrochen und im Kamun zu einem kleinen Häufchen aufgelegt. Aber auch jetzt dauerte es noch eine ziemlich geraume Zeit, bis sie das Holz in Brand brachte; denn dasselbe war etwas feucht und es entstand ein häßlicher Rauch.
[LSZ - 1854.12.28]
    Nach langem, schwerem Abmühen und geduldigem Zu warten gelang es ihr endlich, Feuer zu bekommen und somit das heiße Wasser zum Bade zu erhalten. -- Das kleine gutmüthige Ding hatte auch keinen Augenblick Ruhe, Beständig mußten Eis umschläge gemacht, die nassen Tücher wieder ausgewunden oder andere, die gerade nicht in zu großer Anzahl vorräthig waren, hergenommen werden. Es war das letztere Verfahren unumgänglich nothwendig, da sonst das vorräthige Eis zu schnell aufgebraucht worden wäre. So wanderte sie von einem Patienten zum Andern, bald hier bald dort wieder frische Stückchen Eis auflegend. Oft fielen ihr die Augen zu und sie hätte gerne ein Stündchen geschlafen, aber immer besiegte sie den herannahenden Schlaf und ging ihrer Pflicht nach. -- Gutes, armes Lorchen! Dir zu Liebe wünschte ich, daß es einen Himmel gäbe, wo Dir Belohnung zu Theil würde. Dir zu Liebe könnte ich einen Gott erschassen, Der Deinem stillen Treiben zusähe und Dir Engelsflügel anhauchte. Denn die Menschen, Lorchen, beachten nur glänzende hervorragende Thaten. Das arme Kind, das im Stillen mitten unter Fieberkranken, allein, so ganz allein schafft und wirkt und sich selbst auferlegte Pflichten so treu und ergeben erfüllt -- ein so armes gutes Kind ist nicht der Beachtung werth. Es sind eckel hafte Menschen. Herr Josuah W* ist ihr Mann, er hat der Howard Association 8250 für die armen Kranken in der Stadt geschenkt -- der wird genannt, gelobt und gerühmt! Die Leute sind einmal so und nicht Anders. --
    So ungern es Lorchen hat und so sehr e fürchtete, so

 

- 34 -

mußte es endlich doch geschehen, daß sie die Thüre öffnete. Es war nicht so fast die Schwüle, die sie zu diesem Schritte zwang, als vielmehr ein widerlicher Dunst, der sich im Raume breit zu machen begann und der durch eine zugemachte Thüre zu dringen schien, der Lorchen bisher nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hatte; denn vom Verschlage wußte sie nichts und sie glaubte, daß der Raum, in dem sie sich mit ihren vier Patienten befand, das einzige Gemach sei, das von ihnen beansprucht würde. Einmal dachte sie wohl daran und es kam ihr seltsam vor, daß weder der alte Graf, noch Hugo und Sus, chen gegenwärtig waren, aber der Zustand ihrer Kranken er laubte ihr nicht in dieser Sache an sie eine Frage zu richten. Und so vergaß sie bald wieder, über was sie anfangs Aufschluß zu haben wünschte. Jetzt aber fielen ihre Augen auf jene Thüre, die in den Verschlag führte, wo sich die schreckliche Seuche ein Nachtlager zurecht gemacht hatte. Wohin sollte wohl diese Thüre führen? dachte die gute Kleine. Vielleicht in eine Küche, eine Yard, wo eine Cisterne stände, von der sie Wasser erhalten könnte. Und Wasser hatte die Krankenwärterin äußerst nöthig, denn dasselbe war ihr bis auf den letzten Tropfen ausgegangen. So dachte und überlegte sie. Nachdem sie noch jedem Kranken frische Ueberschläge gemacht hatte, ging sie auf den Zehen nach der Thüre zu. Den leeren Eimer nahm sie in die linke Hand. Leise öffnete sie die Thüre und sah mit vorgebeugtem Halse hinein- doch es war da drinnen sehr dunkel. Sie konnte weiter nichts unterscheiden, als den unteren Theil einer Matratze, die dicht neben der Wand lag und an die Schwelle streifte. - Es wird ihr übel, sie tritt zurück; sie fährt mit der rechten Hand an die hintere Seite des Kopfes und läßt den Eimer fallen. Den Fall vernimmt die Mutter -- sie versucht es, sich emporzurichten. Konstanzen weckt der Fall aus ihrem Fiebertraume auf -- -- es war kein schwerer Fall. Es war nur ein Eimer, der auf den Boden fiel, aber von solchen Kranken wird das geringste Geräusch vernommen. Gertrude hingegen hat nichts gehört. --
    Sie phantasiert noch in Einem fort. Und Amelie ? Wer weiß, weshalb die es nicht vernommen hat! --
    Draußen hörte man in selbem Augenblicke ein starkes Platschen im Wasser, das sich von dem ewigen Regnen rings um die Barracke gesammelt hatte. Dann traten rasch zwei Männer ein, von denen der Eine, ein schlanker Mann mit

 

- 35 -

pechschwarzen, langen Haaren und einem üppigen Barte von derselben Farbe, dem Andern zurief:
    „Schließen Sie die Thüre, Abbé, hier sind wir geborgen!“ --
    _________________________________

Drittes, Kapitel.

Wie es kam.

    Der Strom des Lebens treibt uns in eine solche Charybdis von Pein und Schmerzen, daß gewiß schon. Jeder das Bedürfniß gefühlt hat, stille zu stehen und zu weinen. Aber zum großen Glücke fließen die Thränen nicht lange und die Ironie schlägt bald wieder ihr homerisches Gelächter auf. So sehen wir oft Demokrit und Heraklit sich die Hände reichen und es ist sehr hübsch, daß es so kommt. -- Wir mußten weinen am anspruchslosen Paradebette Tantchen Cölestine's -- des halb schlossen wir jenes Drama und hörten auch gleich darauf in der Hamburger Mühle ein helles Auflachen. Nun fanden wir die gräfliche Familie zum zweiten Male im Unglücke. Und wieder mußten wir stille stehen und weinen, ohne daß wir die Ursachen kennen gelernt haben, die das namenlose Elend herbeiführten,

[LSZ - 1854.12.29]
    Waren denn nicht schon alle Vorbereitungen getroffen, um Jenny und Frida in die Arme der gräflichen Familie zu führen? Und mußte sich die gräfliche Familie nicht in einer heitern Situation über dem Lake Pontchartrain, wo, wie wir bereits wissen, das Wiedersehen gefeiert werden sollte, befinden? Welche wunderbaren und jedenfalls entsetzlichen Ereignisse müssen vorgefallen sein? So wird sich der geneigte Leser gefragt haben, als er mit uns in die ärmliche Barracke trat -- ja schon vorher, als er Gertrude so arm und verlassen nach einem Arzte suchen sah! Hören wir, wie es kam:
    Zwei Tage vor der festgesetzten Abreise über den Lake Pontchartrain hatte Lady Evans-Stewart zur Feier des Geburtstages ihres Kindes, der engelschönen Dudley, eine sogenannte „Party“ in ihrer Residence am Annunciation-Square veranstaltet. Anwesend waren: der Prinz von Würtemberg

 

- 36 -


Gräfin Jenny R*, Graf Lajos Est*** mit Gemahlin, die Gräfinnen Konstanze und Gertrude, die Baronin Alma de St.Marie Eglise mit ihrer Nichte Claudine und ein Capitain von der Vereinigten-Staaten Armee, der sich zufällig in New-Orleans befand und der alten Schottin vom Prinzen von Wurtemberg als guter Bekannter vorgestellt war. Nach altchottischem Herkommen machte die Tochter des Hauses, Miß Dudley, die Honneurs. Es gewährte einen wunderbaren Anblick, diese engelsgleiche Gestalt, die man sich nie anders als vor dem Altare knieend denken konnte, mit so sicherem Anstande, die scheinbar unbedeutendsten Points in der hohen Gesellschaft treffen zu sehen. Dudley war heute schneeweiß gekleidet. Durch ihre Haare schlang sich eine so herrliche Perlenschnur, daß sich eine Fürstin damit hätte brüsten können. Um ihren blendend weißen Hals, durch dessen feine Aederchen man das rosige Blut schimmern sah, lag ein einfaches, schmales schwarz sammelnes Band, an dem ein winziges goldenes Täubchen hing, das in seinem Schnabel ein mit Brillanten besetztes Kreuz hielt. So einfach wie die Tochter, war auch die Mutter gekleidet, nur hatte sie eine für ihr Alter passende dunkle Farbe gewählt, eine Toilette, die vorzüglich dem Capitain sehr gefiel und er zollte derjenigen, die sie trug, um so mehr seine Achtung und Bewunderung, als ihm die überladene und hellfarbige Kleidung einiger in Jahren schon sehr weit vorgerückten Ladies in Washington stets sehr mißfallen hatte. Zwar hatte die alte Schottin noch immer Halbtrauer um den verstorbenen Gatten, die sie auch bis zu ihrem Tode nicht abzulegen gesonnen war, aber gerade dieser Umstand, den kokette begehrliche Weiber gar zu bald dazu benützen, um wieder den Flitterstaat hervortreten zu lassen, war der Probierstein ihrer edlen, achtungsgebietenden Gesinnung. Lady Evans-Stewart saß auf einem Sopha von dunkelgrünem Sammet, ihr zur Rechten der Prinz Paul von Württemberg. Derselbe trug einen dunkelblauen Halbfrack mit gelben Metallknöpfen und enganliegende Beinkleider von feinstem, weißem Tuche. Auf der linken Brust sah man, halb versteckt von dem Umschlag des Frackes, das Großkreuz der Prinzen vom königlichen Hause. Der Prinz hatte diese Decoration dem Capitän zu Lieb gewählt, um damit demselben zu gleicher Zeit seine Achtung vor der Vereinigten Staaten Uniform zu zeigen. Der Capitain besaß hinlänglich feinen Takt, um dies zu verstehen. Er, so wie die übrigen schon genannten Anwesenden saßen zu beiden Seiten des Sophas und zwar so, daß sie

 

- 37 -

ihre Sitze zu einem Halbkreise arrangiert hatten. Wollen wir auch ihrer Toilette unsere Aufmerksamkeit schenken. Zur Rechten des Prinzen von Würtemberg, der mit Lady Stewart allern das Sopha einnahm, saß Gräfin Frida, deren Gemahl die entgegengesetzte Seite gewählt hatte, somit zur Linken der Lady Stewart saß. Gräfin Frida hatte ein schwarzes Baregekleid an, das mit schwarz seidenen Schrägstreifen besetzt war, die bis über's Knie hinaufreichten und in abnehmenden Zwischenräumen ringsherumliefen. Mehr noch als dieses Kleid zeigte ihr blaßes Antlitz von tiefer Trauer. In ihrem reichen vollen Haare stack eine weiße Camelie von der untadellhaftesten Reinheit. Die Blume hatte sich so auf die Seite gelegt, daß es schien, als wollte sie den blendend weißen Scheitel der Blondine küssen. Ihre Schwester, die neben dem Capitain saß, war ebenso gekleidet, nur mit der unterscheidenden, kaum bemerkbaren Nuance, daß die Aermel ihres Kleides nach vorne etwas weiter waren und so bei der geringsten Bewegung den vollen alabasterweißen Arm verriethen. Auch hatte sie in ihrem rabenschwarzen Haare statt einer weißen eine dunkelrothe Camelie. -- Graf Lajos Est***, der eben so wie seine Gemahlin wegen des verstorbenen Kindes tiefe Trauer angelegt hatte, erregte gleich bei seinem Erscheinen bei der alten Schottin die höchste Aufmerksamkeit. Nicht weniger bewunderten ihn im Stillen der Capitän und die alte Baronin von Saint Marie, die nur so strotzte von Brillanten und neben verschiedenen an dern Geschmeiden auch einen großen Siegelring trug, in den ein Alliance-Wappen eingegraben war. Ihre Nichte Claudine, die unglückliche junge Frau und, wie wir wissen, Orleana's Busenfreundin, trug frische helle Farben, die zu ihren blassen, leidenden Gesichtszügen in keinem sehr günstigen Contraste standen. Sehr pikant machte sie übrigens das kleine Sträußchen von Stiefmütterchen, das sie an den Busen geheftet hatte und das Abzeichen der lesbischen Damen ist. Ihr hellbraunes Haar, war, wie gewöhnlich, alafleur de Marie gescheitelt und flimmerte wie pure Seide. -- Die kleine Gräfin Gertrude, mit den unvergeßlichen deutschen Vergißmeinnicht-Augen und dem historisch berühmten goldenem Haar der Loreley, saß in ihrem himmelblauen Kleide mit ausgeschnittener Taille, neben Miß Dudley.
[LSZ - 1854.12.30]
    Gräfin Gertrude wie ihre Schwester Constanze hatten in ihrem Haare eine kleine kunstliche Rolle von schwarzem Flor als Zeichen ihrer Aufmerksamkeit für die tiefe Trauer, in die Graf

 

- 38 -

Lajos und Gemahlin gekleidet waren. Eine kleine Flonschleife sah man auch bei dem Prinzen von Württemberg, der sie in einem Knopfloche seines Frackes trug. -- Der Gräfin Constanze stand ihr dunkelrothes Crepkleid mit hoher Taille ausnehmend gut. Ihre frische Gesichtsfarbe und die kastanienbraunen Haare bildeten zu ihrem Anzuge ein erwärmendes Ensemble. -- -- Die Gesellschaft, welche sich nach einem gemeinsam nach dem Diner im Garten unternommenen Spaziergange, hier im großen Salon der Residence wieder zusammen gefunden hatte, führte ihre Conversation in französischer Sprache. Miß Dudley war von ihrer Mutter dazu instruiert, schon gleich beim ersten Empfange der Gäste die französische Sprache als für diesen Tag tonangebend zu wählen. Man that dies theils aus zarter Rücksicht gegen Seine königl. Hoheit, da derselben das Französische geläufiger war, als das Englische, theils auch wegen der alten Baronin Alma de Saint Marie Eglise, die kein Sterbenswörtchen englisch verstand denn in der hohen französischen Clique, in deren Kreisen sie sich ausschließlich bewegte, war die englische Sprache von Grund aus verhaßt. -- Die Baronin von Saint Marie, die in früheren Jahren sehr häufig mit Lady Stewart verkehrte, hatte von der Zeit an, wo der Abbé Dubreuil ein förmliches Oberkommando im Hause zu führen begann, ihre Freundin völlig gemieden. Die alte Baronin hatte sich nemlich wegen irgend einer Sache, von der sie übrigens nie etwas verlauten ließ, mit dem Abbé heftig erzürnt, und als sie einmal bei einem Besuche bei Lady Stewart bemerkte, daß der Abbé nicht nur auf deren Herz und Denkungsweise, sondern sogar auf den ganzen Haushalt einen gewaltigen Einfluß übe, so betrat sie nie wieder die Residence ihrer Freundin. Jetzt, wo der Abbé durch die Bemühungen des Prinzen Paul vollkommen desavouirt und somit auf immer aus dem Hause entfernt war, wagte sie es wieder Lady Stewart oder Cornelia, wie sie die alte Freundin nannte, ihre Besuche abzustatten, ja oft den ganzen Tag bei ihr zu verweilen. So war sie auch auf heute mit ihrer Nichte zur Party gebeten und zum Erstenmale mit dem Prinzen bekannt geworden. Ebenso war sie mit ihrer Nichte den andern Anwesenden eine neue Erscheinung. Die Schottin war die Einzige, welche von dem unglücklichen Verhältnisse Claudinens mit Albert wußte, ohne jedoch den jungen Architekten nur im mindesten zu kennen. Dem Prinzen von Würtemberg war es gänzlich unbekannt, daß Albert je verheirathet gewesen war; das kam auch davon her, daß Albert selbst nie

 

- 39 -

Etwas davon verlauten ließ, so oft er auch in's wunderliebe Häuschen kam, den einzigen Ort, wo ihn der Prinz flüchtig kennen lernte. Dem Prinzen und den Uebrigen war Claudine als verwittwete Madame de Lesuire - demnach nicht unter dem Namen ihres Mannes - vorgestellt. Die alte Baronin wünschte dies so und die Schottin hatte natürlich nichts dagegen einzuwenden.
    Lady Stewart, die ihre Freundin trotz deren geschraubten aristokratischen Eigenheiten und sonstigen launigen Manieren, schätzte und liebte, hatte das heutige Geburtsfest ihrer Tochter zu gleicher Zeit dazu benützt, die mit ihrer Nichte mit dem Prinzen von Wurtemberg und den übrigen Gästen bekannt zu machen. Sie hoffte damit in Zukunft einen freundlichen Circel zu erhalten, der an der gräflichen Familie über dem Lake bald einen neuen und vielversprechenden Zuwachs erhalten sollte. Alle ihre früheren Freunde und Besucher, die mehr oder weniger nur ihres Reichthums halber ihre Nähe aufsuchten und deren sie vor dem Erscheinen des Abbé Dubreuil in ihrem Hause ganze Legionen zählte, befanden sich entweder nicht mehr in New-Orleans, oder sie scheuten sich, wiederholt in eine Sphäre einzutreten, aus der sie vor vielen Jahren durch die Launen oder vielmehr das Machtwort eines katholischen Priesters sojählings verdrängt wurden. Die Baronin Alma von Saint Marie war die Einzige, die, als sie von der Desavouierung des Abbé hörte, ihre alte Freundin Cornelia in Begleitung ihrer Nichte wieder aufsuchte.
    Die Conversation, die Anfangs durch ein lebhaftes Kreuz feuer von bunten Einfällen und gegenseitigen Galanterien in Athem erhalten wurde, nahm plötzlich, da der Capitain -- sei es aus Zufall oder mit Absicht -- das Gespräch auf die Vergangenheit der Stadt New-Orleans hinlenkte, eine ernstere und interessantere Wendung. Er sprach von jener Zeit, wo derjenige Theil des Mississippi, der den jetzigen zweiten Distrikt bespült, noch den Namen, St.Louis fleuve' führte*) und die ganze Stadt noch nicht über 200 Einwohner zählte.
____________________


*) D.i. vom Jahre 1718-1727. Zu dieser Zeit war Mr.Bienville Gouverneur der Provinz von Louisiana und er war es, der im Jahre 1719 die gegenwärtige (linke) Seite des Flusses zu einem Chief-Settlement wählte, denn man den Namen Nouvelle Orleans beilegte. Im Jahre 1723 besaß New-Orleans bereits 100 Cabins, die in ungleichen Entfernungen zerstreut herumlagen; 4 Wohnhäuser, ein aus alten Schiffstrümmern erbautes Storehaus und ein sogenanntes „Shed,“ das als Kapelle benützt wurde. Die Einwohnerzahl im genannten Jahre betrug noch nicht über 200. -- Derjenige Theil des Mississippi, der bis zum Jahre 1727 kat' erochen „St.Louis Fleuve“ genannt war, theilte nun diese Benennung dem Mississippi-Fluste überhaupt mit, bis auch diese später wieder verscholl. So findet man auf den alten französischen Karten vom Jahre 1728

 

- 40 -


[LSZ - 1854.12.31]     Bei dieser Gelegenheit berührte er ein Thema, das die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft lange in höchster Spannung erhielt. Er sprach niemlich vom ersten Erscheinen des gelben Fiebers in New-Orleans, im Jahre 1769, und bestritt gleich von vornherein die Annahme, daß dasselbe durch ein britisches Schiff, das mit einem Sklaven-Cargo von der Westküste Afrika's ankam, eingeführt worden sei.
    „Sie scheinen kein Abolitionist zu sein, Capitain?“ bemerkte hier der Prinz von Württemberg,
    „Wie kommen Sie auf diese gefährliche Frage, Prinz?“ frug der Capitain gespannt,
    „Weil Sie es zu bestreiten suchen, daß wir das gelbe Fieber dem Sklaven-Import zu verdanken haben,“ versetzte der Prinz von Württemberg.
    „Nun verstehe ich Sie, Prinz. -- Sie meinen, wenn ich Abolitionist wäre, würde ich es recht gerne zugestehen, daß die Sklaverei Schuld am gelben Fieber sei.“
    „Gewiß,“ entgegnete der Prinz: „Da Sie aber die Richtigkeit der allgemein angenommenen Behauptung, daß das gelbe Fieber durch ein Sklavenschiff importiert worden sei, so kühn bezweifeln, so wird nicht der geringste Verdacht auf Sie fallen, daß Sie ein Abolitionist seien.“
    „In der That, Prinz,“ rief der Capitain heiter aus, „über deutsche Logik geht nichts und es wird uns Amerikanern sehr schwer das Schlachtfeld zu behaupten, wenn deutsche Philosophen mit in die Schranken treten. -- --“
    Claudine, die zwischen Frida und Constanze saß, neigte sich zu Letzterer etwas vor und sagte leise: „Könnten Sie mir vielleicht erklären, meine liebe Comtesse, was „Abolitionist“ ist?“
    „Bedaure sehr,“ entgegnete die Gefragte: „mir ist der Name selbst ganz unbekannt -- übrigens finde ich es sehr lang weilig und ungalant von den beiden Herren, daß sie sich in Gegenwart von uns Damen mit so unverständlichem Zeuge unterhalten -- -- mich wundert es übrigens nur, daß Lady Stewart, unsere liebe freundliche Wirthin, die sonst immer voll
____________________


(eine ältere vom J.1727 von Dumoulin) die Benennung ,St.Louis Fleuve“ für „Mississippi. Karten von 1729, 1730 und 1732 zeigen beide Namen. So sieht man unter anderem auf Dumoulin's Karten an dieStelle, wo jetzt das neue Customhaus steht, ein Pulvermagazin (magazin à poudre) verzeichnet n.a.m. Von Straßen - demnach die ältesten von New-Orleans, -- findet man: Bienville, Conti, St.Louis, Toulouse, Orleans und Arsenal; von denen, die mit dem Flusse laufen, nur zwei: Chartres- und Royalstreet.

 

- 41 -

Aufmerksamkeiten ist, gegen dies unartige Benehmen des Prinzen und Capitains keine Einsprache erhebt -- --“
    Der Ungar, dem das heimliche Zwitschern der beiden Damen nicht entgangen war, hatte, ohne auch nur ein Wort vernommen zu haben, es dem Gesichte Constanzens auf der Stelle angesehen, um was es sich bei dieser Heimlichkeit handelte. Er war stets ein scharfer und strenger Physiognom und hatte es gleich bemerkt, daß sich die Damen bei dieser Wendung des Discours sehr ennuyirten.
    „Madame,“ wandte er sich an die alte Schottin mit lauter Stimme: „Sehen Sie gütigt dahinüber -- Frau von Lesuire und Gräfin Constanze scheinen eine Revolution heraufbeschwören zu wollen.“
    Claudine und Constanze fuhren nicht wenig zusammen, als sie plötzlich so laut ihre Namen aussprechen hörten. Claudine richtete ihren Kopf hoch empor und sah den Ungarn mit einem Blicke an, der deutlich zu sagen schien: Sie sind ein unverschämter Mensch, Herr Graf, wir sind uns kaum einige Stunden vorgestellt und schon wagen Sie es, mich Angesichts einer so auserlesenen Gesellschaft zur Zielscheibe ihrer speciellen Betrachtung zu machen. Und die Tante Claudinen's, die alte Baronin Saint Marie Eglise, ward bei dieser Provokation des Ungarn im ganzen Gesichte so roth wie ein Puder und dachte sich: Dieser Flegel von einem ungarischen Grafen gehört auch nicht in diese Gesellschaft -- ich begreife jetzt gar nicht, wie mir dieser Mensch bei seinem ersten Erscheinen nur das geringste Interesse abgewinnen konnte. Constanze dachte sich nichts, sondern sah nur verlegen bald aufden Prinzen, bald auf die alte Schottin,
    „Die Damen wollen eine Revolution heraufbeschwören?“ frugen der Prinz von Würtemberg und der Capitain in scherzhaftem Tone und sahen bald auf den Ungarn, bald auf die genannten Damen.
    „Wie ist es anders möglich?“ sagte der Ungar, „wie können Sie verlangen, daß die Damen ein Disput über die Folgen eines Sklaven-Cargo unterhalten soll? -- -- dann, aufrichtig gestanden, fühle ich mich selbst bei derlei Erörterungen nicht so recht behaglich -- -- und schon den Damen zu Liebe -- --“
    Mit Ausnahme von Gertrude und Dudley, die sich wegen des bewußten Strumpfbandes ein bischen herumdisputierten, war die ganze Gesellschaft bei diesen Worten ganz verblüfft

 

- 42 -

Frida glaubte vor Verlegenheit fast in den Boden sinken zur müssen.
    Der Ungar stand ruhig auf, faßte seinen Fauteuil an der äußern Seite der Lehne und rollte ihn quer über den Salon an die Stelle, wo Gräfin Gertrude mit Miß Dudley saß. Daselbst ließ er sich wieder in den Lehnstuhl nieder, so ungeniert und vergessen, als ob er gegen Niemanden in der Gesellschaft nur die geringste Verbindlichkeit hätte.
    Sah sich die Gesellschaft vorher ganz verblüfft an, so war sie jetzt wie aus den Wolken gefallen.
    Es war ein großes Glück, daß der Capitain so viel Gesstesgegenwart und Gewandtheit besaß, durch eine passende Wendung des bisher geführten Gespräches ein sonst jedenfalls erfolgtes schroffes Zusammentreffen zu verhindern. Derselbe, ohne von dem Betragen des Ungarn weitere Notiz zu nehmen, bat die Damen in einem und zugleich des Prinzen Namen um Entschuldigung, wenn er sie durch Herbeiziehung des vorher besprochenen Gegenstandes gelangweilt haben sollte und versprach zugleich, den von dem Prinzen und ihm begangenen Fehler wieder gut zu machen, falls die Damen geneigt seien, ihm jetzt ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

[LSZ - 1855.01/02]
    Dies glückte. Die langen Gesichter verschwanden und Aller Blicke richteten sich auf den Mann, der es so gut verstanden, das Peinliche des eingetretenen Stillschweigens so schnell und gewandt paralysiert zu haben.
    Nur Frida mochte Ursache gehabt haben, sich nach ihrer gewohnten schonenden Weise im Stillen über das Benehmen ihres Mannes auszusprechen.
    „Da nun einmal vom gelben Fieber die Rede war,“ begann der Capitain, „so werde ich der hohen Gesellschaft eine sich auf die Epidemie beziehende äußerst interessante Geschichte erzählen, die mir selbst, als ich mich vergangenes Jahr auf meiner Expedition zur Erforschung der Quellen des Red River befand, begegnet ist. Bevor ich aber beginne, erlaube ich mir, eine Frage an meine geneigten Zuhörer zu stellen.“ In der That, der Capitain verstand es vortrefflich, die Gemüther in reger Theilnahme zu erhalten und selbst den Gleichgültigsten neugierig zu machen.
    „Und diese Frage wäre?“ schienen jetzt Alle ohne Ausnahme zu fragen. Aber man sprach es nur mit den Augen aus.
    „Haben Sie, meine Damen und Herrn, schon etwas von

 

- 43 -

der Mantis Religiosa gehört?“ frug der Capitain, zwar sehr laut aber des ungeachtet in einem geheimnißvollen Tone, daß sogar das theilnahmslose Gesicht des Ungarn eine momentane Aufregung zeigte.
    „Ich weiß es, Capitain!“ rief Gertrude lebhaft aus und dazwischen klang die krystallreine Stimme von Miß Dudley : „ich weiß es auch -- in unserm Garten giebt es eine Menge von der Mantis Religiosa -- --“
    Der Prinz von Würtemberg konnte bei diesem rivalisieren den Eifer der beiden Mädchen ein herzliches Auflachen kaum unterdrücken. Er wandte sich mit vergnügtem Gesichte an Lady Stewart und sagte:
    „Sehen Sie, Madame, wie aufmerksam. Engel und Psyche sind!“
    „Vergessen Sie den Genius nicht, Königl. Hoheit!“ rief Konstanze lebhaft aus: „ich habe erst gestern Abend zwei Mantis Religiosa für Sie gefangen -“ -
    „Gefangen?“ frug sich der Capitain im Stillen. „Was mögen das für Mantis Religiosa sein, die die guten Mädchen hier meinen?“
    „Aber, mein Gott, wenn sich das junge Volk nur gedulden wollte, bis wir Erwachsene gesprochen haben!“ perorirte die alte Baronin von St.Marie und schielte dabei auf das Alliance Wappen an ihrem Finger, als wenn von daher Weiseheit kommen sollte.
    „Das müssen wir entschuldigen,“ entgegnete der Prinz von Württemberg: „die Jugend hat das Recht, vorwitzig zu sein.“
    Die alte Schottin besaß einen zu feinen, verständigen Takt, als daß sie dem Prinzen diese Worte hätte übel nehmen können. Nicht so die Baronin Saint-Marie Eglise. Sie war höchlicht aufgebracht und warf dem Prinzen ein paar wüthende Blicke zu.
    Claudine de Lesuire sah auf ihre Stiefmütterchen herab und theilte bei sich den Aerger ihrer Tante.
    Der Prinz aber, um allen unangenehmen Umschweifen ein Ende zu machen und dem Capitain sogleich Gelegenheit zu geben, seine jedenfalls interessante Geschichte zu erzählen, wandte sich an denselben mit den Worten:
    „Sie frugen, ob wir schon etwas von der Mantis Religosa gehört hätten? Die Mantis Religiosa ist der lateinische Name einer Heuschreckenart, die wir in deutscher Sprache

 

- 44 -

„wandelndesBlatt“ oder auch „Gottesanbeterinnnennen,“ weil dieses Thier einerseits so aussieht als ein Blatt und anderer seits immer seine Vorderbeine in die Höhe streckt und zusammenfaltet, als ob es beten wollte -- --“
    „Ja, ja, so ist es!“ riefen Gertrude und Dudley zusammen aus.
    „Ich sehe wohl,“ versetzte der Capitain mit der liebens würdigten Miene von der Welt, daß die hohe Gesellschaft von der Mantis Religiosa, die in meiner Erzählung eine so große Rolle spielen wird, noch nichts vernommen hat; denn dieselbe ist keine Heuschrecke, sondern eine Pflanze, die sich nur in der unmittelbaren Nähe der Quellen des Red River vorfindet und in gewissen Jahren die fürchterliche Eigenschaft besitzen soll, die gelbe Fieberpest zu erzeugen -- --“
    Mann kann sich leicht vorstellen, daß auf eine solche mysteriöse Erklärung hin von der Gesellschaft keinerlei Einsprache mehr geschah und man nun allerseits stürmisch darauf drang, daß sich der Capitain seines gegebenen Versprechens entledige. --
    Der Capitain, in dem der Leser den Capt. Marcy von der Red River Expedition sicher schon erkannt haben wird, erzählte nun von den Anstalten, die er im April des vorigen Jahres auf Befehl der Vereinigten-Staaten Regierung zum Aufsuchen der Quellen des Red River getroffen hätte und kam sehr bald auf jene Zusammenkunft mit Emil und Lucy zu sprechen, wie sie der Leser bereits kennen gelernt hat.
    „Daß mich die beiden jungen Leute nicht falsch berichtet haben,“ sagte er unter anderm, „geht schon daraus hervor, daß sie mit der geheimnißvollen Persönlichkeit dieses Cagliostro's der neuen Welt, den sie Hiram nannten, ganz genau bekannt sind.“
    „Aber erlauben Sie mir, mein lieber Capitain,“ wandte hier der Prinz von Würtemberg ein, „war Ihnen denn schon vorher eine Beschreibung dieser Persönlichkeit bekannt, daß Sie dieselbe mit der, die Ihnen die beiden jungen Leute gaben, vergleichen konnten? Oder sind Sie vielleicht im Besitze eines gewissen Manuscriptes, das ich bisher allein in Händen zu haben glaubte, oder vielmehr -- besitzen Sie die Abschrift eines gewissen Manuscriptes, in dem Sie die Bekanntschaft dieses furchtbaren Mannes gemacht haben.“
    Der Capitain schien sehr betroffen. Statt dem Prinzen

 

- 45 -

auf seine Frage zu antworten, wandte er sich nun selbst fragend an denselben:
    „Sie besitzen ein Manuscript, das auf diesen Hiram Bezug haben sollte? Prinz, Sie könnten unserer Regierung in Washington damit einen ungeheuren Dienst leisten -- --“
    „Ich wüßte nicht, was die mit dem Manuscripte beginnen sollte -- ich habe es von der Hinterlassenschaft des ehemaligen Präsidenten der Universität von Louisiana, des französischen Conventsmitgliedes Joseph Lakanal; es trägt die sonderbare Ueberschrift: „Erzählungen einer Ursuliner-Novize in New-Orleans“ -- ein viel versprechender Titel, nicht wahr, meine Damen? nicht wahr, Capitain ?“
    Lady Evans Stewart machte eine geheimnißvolle Miene, aus der deutlich hervorging, daß auch sie mit dem Manuscripte des Patriarchen von Mobile vertraut war.
    „Aber von der Mantis Religiosa haben Sie im Manuscripte gewiß nichts gefunden -- sonst würden Sie mir ja gleich gesagt haben, daß sie eine Pflanze sei?“ frug Capitain Marcy den Prinzen.
    Der Prinz von Würtemberg verneinte es. „Aus welcher Quelle aber schöpften Sie das Vorhanden sein dieses Cagliostro Hiram, da Sie die Beschreibung der beiden jungen Leute als richtig anerkannten?“ wandte sich die alte Schottin an Capitain Marcy.
    „Im Archive unserer Regierung in Washington befindet sich noch eine Nummer des damaligen „Moniteur,“*) in dem dieser Hiram unter verschiedenen anderen Anschuldigungen auch angeklagt wird, das Leben der Bewohner von New-Orleans dadurch zu gefährden, daß er den Samen einer nur ihm bekannten giftigen Pflanze in die Cisternen werfe. Dieser Anklage ist zugleich ein Steckbrief beigegeben, der diesen Cagliostro genau so beschreibt, als wie es die beiden jungen Leute gethan haben -- --“
    „Wahrscheinlich hatten dieselben jene Nummer des
____________________


*) „Le Moniteur,“ die erste in New-Orleans errichtete Zeitung. Sie trat im Jahr 1794 ins Leben und zählte ihre meisten Abonnenten im Auslande, namentlich in Frankreich und Spanien. Die Sprache, welche dieses Journal, in das mehrere der hervorragendsten Capacitäten in damaliger Zeit ihre Ideen niederlegten, führte, trug nicht wenig dazu bei, daß schon im nächsten Jahre (1795) den Bürgern der Vereinigten Staaten die Schifffahrt auf dem Mississippi eröffnet wurde. Dieser aus dem bekannten Vertrag von St. Lorenzo bervorgegangene Act gab den ersten Anstoß zu einer Handelsverbesserungder Stadt New-Orleans. -- Man darf hier nicht vergessen, daß Louisiana erst im Jahre 1803, nachdem es vorher bereits wieder von Spanien an Frankreich abgegeben war, von letzterer Macht den Vereinigten Staaten verkauft wurde. --

 

- 46 -

„Moniteur ebenfalls in Händen und banden Ihnen somit einen Bären auf, Capitain Marcy,“ warf Lajos in spöttischem Tone hin: „hier in diesem Lande wird gar viel Humbug getrieben und da kann man es den beiden Vagabunden auch nicht verargen, wenn sie Ihre Mantis Religiosa, wie sie das Ding nennen, dazu benützen, um Geld zu machen -- -- im Uebrigen verbiete ich es mir,daß Sie diese Kröte einen Cagliostro nennen. Cagliostro war meines Wiffenskein Giftmischer, sondern nur ein ganz unschuldiger Goldmacher, dem es leider nicht gelang, den Stein der Weisen zu erfinden, obwohl er ein sehr hohes Alter erreicht haben soll -- --“
    Frida sah ihren Gatten mit einen unbeschreiblich rühren den Blicke an. Wäre sie an seiner Seite gesessen, so hätte sie ihm zugeflüstert: „Aber, mein Lajos, ich bitte Dich, nimm'Dich doch etwas mehr zusammen!“
    Es war sonst gar nicht die Art des Ungarn, in so auserlesener Gesellschaft so flegelhaft und ungezogen zu sein. Im Gegentheile zeigte er sich beiderlei Gelegenheit stets als wohl gebildeter Weltmann und er hatte in diesem Sinne besonders beiKonstanze und Dudley, so wie bei dem Prinzen von Würtemberg und der alten Schottin ein sehr gutes Renommée. Sehr unangenehm war es daher besonders den zwei Letzteren, daß ein Benehmen gerade heute,wo der Capitain und die Baronin Saint Marie mit ihrer Nichte zum Erstenmale eine Bekanntschaft machten, sich so taktlos und ungeregelt zeigte und er auf dieselben einen so üblen Eindruck machen mußte. Trug er vielleicht schon eine gewisse Ahnung im Kopfe oder flüsterte ihm eine innere Stimme zu: Laß es gut sein, Graf Est***, das Maß Deiner Verbrechen und Schandthaten ist ohnehin bald voll -- für die kurze Spanne Zeit ist es nicht mehr der Mühe werth, Deinem Benehmen Gewalt anzuthun -- zeige Dich lieber jetzt schon wie Du bist, damit man nicht so über rascht ist, wenn man erfahren sollte, wer und was Du bist Wer weiß, ob es noch nöthig ist Rücksichten zu nehmen -- wer weiß, ob Du noch den Tod des alten Onkels Deiner Frau er lebt! Laß es gut sein, dieses sich Verstellen und Zusammen nehmen ist für Dich doch zu lästig! -- -- -- oder bist Du des halb so rücksichtslos, Graf Est***, weil Dir Dein lieber böse Dämon, der Dich bisher immer gehätschelt und auf den Händen getragen, unaufhörlich die neckischen Worte ins Ohr raunt: Nun, Lajos, das ist doch sehrfatal, daß Du den ganzen Schatz der Mühle eingebüßt hast? Wäre es nicht vielleicht besser

 

- 47 -

gewesen, Du hättest die Hamburger Mühle nicht niedergebrannt und die Clubbisten und Dame Merlina und der Pontifer Marimus lebten noch? Hättest Du dann nicht noch Dein nobles Einkommen? -- Dann lebte vielleicht auch Dein Kind noch? Und so, Lajos? -- -- --
    „Sie sind heute sehr zur Satyre aufgelegt, Herr Graf“ begegnete Lady Stewart auf die obige Unart des Ungarn, er wartend, daß mit dieser Auslegung der Capitain zu schonender Nachsicht gestimmt werde.
    Lajos, der diese Finesse der alten Schottin gleich begriffen hatte, wollte in seiner Nachsicht nun auch nicht zurückbleiben und zu gleicher Zeit zeigen, daß er sich wohl zu benehmen verstände, wenn er nur wollte.
    Mit dem feinsten Anstande erhob er sich aus dem tiefen Fauteuil und indem er sich leicht gegen Lady Stewart verneigte, sagte er mit herrlichem Versailler Accente:
    „Madame, wenn Sie sich so weit herablassen, mir Ihre Aufmerksamkeit zu schenken, um Ihren geschätzten Gast, Herrn Capt. Marcy von der Ver.Staaten Armee für meine Person günstig zu stimmen, so bleibt mir zum Danke nichts anders übrig, als Ihre Oberherrlichkeit anzuerkennen, indem ich Ihnen nach Art der Clane Ihres Vaterlandes meine Huldigung darbringe.“
    Der Ungar verließ, während er die letzten Worte sprach, seinen Platz neben dem Fauteuil und ging auf Lady Stewart zu. Dann ließ er sich auf ein Kniee nieder und küßte ihr grazlös die rechte Hand.
    „Stehen Sie auf, Earl, und lassen Sie Ihr Banner frei von den Zinnen unserer Lande wehen,“ tauschte Lady Stewart in gleicher Weise die alte historische Erinnerung des Ungarn aus.
    Nach dieser Absolution erhob sich der Ungar und reichte dem Capitain die Hand. Mit der nemlichen stillen Entschuldigung beglückte er den Prinzen und jede Dame.
    „Das ist ein prächtiger Mensch, dieser ungarische Graf“ sagte sich jetzt die Baronin von Saint Marie -- denn der Ungar hatte sie zufällig, als er ihr die Hand bot, etwas mehr als gleichgültig angesehen: „nur Schade, daß er vorher so ungezogen sein konnte.“
    Bei jeder andern Gelegenheit würde das Benehmen des Ungarn von der Gesellschaft als die abgeschmackteste Schauspieler Farce verurtheilt worden sein. Und doch sonderbar!

 

- 48 -

Während sich Lajos durch sein so plötzlich an den Tag gelegtes chevalereskes Benehmen wieder die Herzen Aller erobert zu haben glaubte, so waren doch zwei Personen hier, die im Momente seiner galanten Ostentation zum Erstenmale einen sich unerklärlichen Widerwillen gegen ihn gefaßt hatten: der Prinz von Würtemberg und -- Frida. Ein Blick im rechten Momente und er sagt uns mehr als die Empyrie des geübtesten Physiognomen. In Frida's Brust zog ein Schauder, von dem sie sich keine Rechenschaft geben konnte -- ihre Brust barg ein unheimliches Gefühl, von dem sie nicht wußte, woher es kam. Sie will es sich ausreden, daß sie mit. Einem male etwas fühlt, was sie bisher nie gefühlt hat. Das Erstemal blickt sie nicht frei und offen zu ihrem Gatten auf -- sie sieht ihn mehreren Male nach einander verstohlen an. Die höfische Galanterie ihres Gatten, die sie so oft bewundert, wenn sie sich mit ihm in auserwählten Circeln befand, kommt ihr jetzt widerlich, schrecklich vor. Ihre Ideen associiren sich unwillkürlich mit jenem so sonderbaren Gefühle, das sie damals empfand, als sie glaubte, ein todtenbleiches Antlitz erhalte von dem Refler der grünen Seite der Gläseragraffe seine Färbung -- sie denkt erst jetzt daran, daß er bei dem Tode ihres unglücklichen Kindes keine Thränen vergossen hatte -- erst jetzt fällt es ihr auf, daß er sie in jener Nacht mit ihrem Schmerze allein ließ und sich in sein Studierzimmer einschloß -- erst jetzt kommt ihr Lajos nicht mehr wie ihr Gatte vor. Und die gute Frida hört von jetzt ab kein Wort mehr von dem Gespräche, das über die Mantis Religiosa und Hiram sehr lebhaft geführt wird -- sie ist plötzlich nicht mehr die ruhige, sinnende Denkerin; ihre Phantasie reißt sie immer weiter und weiter hinein in die Labyrinthe des Mißtrauens; sie denkt an das beabsichtigte Duell mit Karl, an den Doppelgänger und die Doppelgängerin; sie kommt endlich zu dem Entsetzlichsten, daß Lajos nicht der Mann sei, mit dem sie auf dem „Guttenberg“ die Fahrt über See gemacht -- die Unglückliche bleibt endlich fest bei dem Gedanken stehen, daß Lajos jener Doppelgänger, den damals ihre Schwester in der Lichtung von Raney's Timber sah, selbst sei- es schnürt ihre Brust krampfhaft zusammen und- Dein guter Geist stehe Dir bei, armes unglückliches Weibl. Nur noch einen Schritt weiter und Du zweifelt an Deiner eigenen Persönlichkeit. Weinend scheidet Dein klarer Geist und höhnisch ruft der Wahnsinn in Dir: Was willst Du mehr, als des Doppelgängers Weib zu sein? D’rum sei auch mein, Doppelgängerin Frida! --

 

- 49 -

    So verlassen wir auf einige Zeit die Gesellschaft, um etwas nachzuholen und dann unsere Schritte an einen andern Ort hinzulenken. --
    Als jener schrecklichen Nacht, wo sich die Verbrechen eines unmenschlichen Vaters an seinem eigenen unschuldigen Kinde gerächt hatten, der Morgen gefolgt war, saß Lajos allein auf dem Sopha in einem Studierzimmer -- die Brieftasche des ermordeten Juden in der Hand. Er hatte den Inhalt der selben sorgfältig durchgesehen und besonders jenem Briefe ausMilwaukie, den wir bereits früher in einer Note mitgetheilt haben, seine ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Die Thüre hatte er von innen verschlossen.
    „Unsinn!“ warf er halblaut vor sich hin: „die ganze Geschichte beruht offenbar auf einer Täuschung == --“
    „„Die Geschichte mit dem Gelde aus der Mühle auch -- -- Herr Graf, wir sehen uns wieder!““
    Als hätte ihm ein Blitzstrahl die Glieder gelähmt, so regungslos sah der Ungar nach jener Seite hin, woher diese Stimme kam.
    „„Wir sehen uns wieder, Herr Graf!““ und eine lange abgemagerte Gestalt ging an ihm vorbei und schritt zur Thüre hinaus.
    Als wäre er von der Schlangengeißel der Medusa aufgepeitscht, so sprang er jetzt auf
    „Die Thüre ist verschloffen: Wie kam die unheimliche alte Bestie herein, wie hinaus? Des Nachts läßt man sich's gefallen, von Gespenstern besucht zu werden, aber am hellen lichten Morgen! Unsinn! Niemand sprach, Niemand war im Zimmer -- O großer Tölpel Lajos, bist so plötzlich ein erbärmlicher Phantasie-Mensch geworden? Eine neue Eigenschaft des Satans in unserer Zeit, daß er zum lausigsten Poeten wird, der am hellen Tage Geister und Gespenster sieht! Mich wundert's, daß mich meine Pferdebüsten dort auf dem Kamine nicht auslachen und der „Black Prince“ nicht aus dem Bilde springt und mich mit ein paar Hufschlägen traktiert -- für eine so erbärmliche Schwachheit! Und diese alte graue Bestie, die mir damals beim Dominospielen „Falsch gespielt!“ in die Ohren gegelt hatte, daß ich heute noch halb taub davon bin -- die soll ich gesehen und gehört haben - die ich schon längst vergessen -- -- wenn es der Jude gewesen wäre oder mein Panther weibchen! Da wäre die Eselei noch zu entgegen --

 

- 50 -

Ha, ha, die Thüre ist noch immer so fest verschlossen -- ha, ha, Lady Wilmington, galante Pferdin, nimm die Reitpeitsche dort herab und fuchtle mein Bubengehirn, fuchtle es so lange, bis der Herr Graf fühlt, welchen Werth ein helles, gesundes Gehirn hat -- -- -- Doch, doch, halt Satanas! Was hast du gesagt? Die Geschichte mit dem Gelde aus der Mühle -- halt -- wenn Du ..? Doch hier wieg' ich es in meiner Hand-lumpiges Papier und dennoch hundertzwanzigtausend Dollars! -- -- --“
    Da läßt der Ungar die Banknoten plötzlich fallen und drückt seine Stirne gegen einen Thürpfosten, als wollte er sie mit aller Gewalt durchdrücken. Seine Hände sind krampfhaft geballt und aus seinen Augen spricht ein teuflischer Hohn. Was hat er gesehen? Was ist ihm widerfahren? -- -- Die Banknoten kann nehmen, wer will! -- Erklären wir, warum?
    Als der Ungar damals nach dem Schatze der Mühle unter dem Bette suchte, so war es ganz natürlich, daß er ihn gefunden zu haben glaubte, als er des dicken Buches in der der Größe desselben entsprechenden Vertiefung ansichtig wurde. Daß er beim Anblicke der hundert Dollars Banknoten nicht auf die Idee gerieth, ihre Echtheit durch eine genau vorgenommene Examination zu prüfen, stellt sich noch um Vieles natürlicher heraus; denn da er zuversichtlich wußte, daß sich das gesammte Vermögen der Mühle unter dem Masterbette befand, wie hätte ihm der Gedanke zufliegen sollen, daß hier irgend eine Täuschung stattfände? Und doch war es so. Dame Merlina hatte nemlich nicht ohne Grund. Ursache, die Ehrlichkeit des Italieners Lombardi, falls sich demselben eine günstige Gelegenheit darbieten würde, sich in den ausschließlichen Besitz des Schatzes zu setzen, in Zweifel zu ziehen. Da es nicht in ihrer Machtlag, den Versteck des Geldes zu Gunsten ihrer alleinigen Kenntnißnahme zu verändern, da sie jeden Augenblick gewärtig sein mußte, daß ein Beschluß der Clubbisten von 99 und 100 eine Visitation anordnete, eine Prärogative, gegen die sie nach den Statuten, wie sie im Mühlenbuche niedergelegt waren, nicht anstreben konnte, so hatte sie ihre Vorsicht eine treffliche Anstalt gelehrt. Sie ließ sich von jenem Graveur und Metteuren Pages in der spanischen Zeitungsoffice, der ihr die Clubbillets gestochen hatte, den Abdruck von einer alten Notenplatte, die in früheren Jahren der bekannten Jenisson's Falschmünzerbande bei Plaquemine zugehört hatte, besorgen und s ubstituierte das hiedurch gewonnene Papier in je einem Bilde zu hunder

 

- 51 -

Dollars für die Summe des Mühlenschatzes, der nach einer alten Bestimmung in der mit einer Diele belegten Oeffnung unter dem Masterbette so lange aufbewahrt bleiben sollte, bis das Collegium der Clubbisten anders darüber verfügen würde. Den reellen Schatz der Mühle hatte Merlina auf den Top des Bettes verborgen, wo ihn gewiß Niemand ahnte. Bis jetzt war noch keine Visitation geschehen -- ja nicht einmal von einem Clubbisten betreffs derselben der Wunsch geäußert worden. Merlina brachte ihr Referat ein, erst vom Pontifer Marinus Lombardi und später von Lajos unterzeichnet -- und schon dieser Act war hinreichend. Entweder war man von Dame Merlina's Rechtlichkeit zu sehr überzeugt, oder man hatte sich bisher gescheut, das ihr geschenkte Vertrauen durch eine Visitation in Zweifel zu ziehen. Die Ausgaben floßen von ihrer Hand in die des Collegiums, wo man sich schon genauer auf die Finger sah. Ein ähnliches Verfahren findet man bei gewissen Aktiengesellschaften oder des Beispiels halber bei der Canal-Compagnie. So und So; der Präsident ist über alles Mißtrauen erhaben, aber die Direktoren liegen in beständiger Lauer auf Einander. Aber auch für den Fall, daß es dem Collegium einmal eingefallen wäre, sich von dem Fond zu überzeugen, hatte Merlina gesorgt. Es war nemlich ihre Absicht, Lajos mit in's Vertrauen zu ziehen und mit ihm gemeinschaftlich das Collegium zu hintergehen, wenn man dasselbe über haupt einen zu großen Zuwachs des Schatzes überleben ließ. Vielleicht wartete sie nur noch auf den Erfolg der Dubreuilschen Manoeuvres im Hause der Lady Evans Stewart -- Lajos war doch noch immer, der am meisten Eindruck auf sie machte und es wäre sehr leicht möglich gewesen, daß, um sich mit ihm in den ungestörten Besitz des Schatzes zu setzen, mit der Zeit den Clubbisten der Besuch mit der Pechmaske bestimmt gewesen war. Wie es aber wirklich gekommen ist, ist uns längst bekannt,
    Als der Ungar gegen Mittag sein Studierzimmer verlassen hatte und nach dem Gemache ging, in dem die Leiche seines Kindes lag, sah er entsetzlich verstört aus. Die Gewißheit, daß er um sonst in einer einzigen Nacht so viele Menschen hingemordet, hatte in seinem Innern eine furchtbare Revolution hervorgebracht. Nicht daß er seine vielen Verbrechen und Greuelt hatten bereut hätte -- nein, nur der Gedanke, sich plötzlich wieder ganz arm zu fühlen und so vielleicht wieder einige Zeit lang von dem geringen Vermögen seiner Frau leben zu

 

- 52 -

müssen, spannte seinen Geist auf die fürchterlichste Folter, und wenn seine Gedanken je einen Anflug zum Begehen eines neuen Verbrechens wagten, so sah er mit Schaudern, daß ihm sogar die Kraft mangle, den entworfenen Plan bis zu einem möglichen Abschlusse zu verfolgen. Er fühlte sich abgemattet und übersät tigt und wenn ihm ein Dämon keinen außerordentlichen und neuen Reiz für irgend ein Verbrechen bloßlegte, so blieb ihm nichts anders übrig, als sich eine Kugel durch's Gehirn zu jagen. Ja, es durfte nicht einmal Geld sein, was ihm sein Dämon in Aussicht stellte, um seinem Geiste wieder die frühere Elastizität zu verleihen -- es mußte den übersättigten Mörder ein ganz anderes Reizmittel aufstacheln. Und als der Sonderbare Vater einige Minuten vor der Leiche eines Kindes steht -- allein, von Niemandem beobachtet (denn Frida und Jenny sind im Garten und brechen schneeweiße Rosen und Magnolien blätter für einen Todtenkranz) da legt Mephisto seine schmalen Lippen an die Narbe des Mörders und zischelt ihm die Worte zu: „Denk an den Pedlar Cleveland, dessen Pferd Dir ein Stück aus der Wange biß, denk' an Lydia Prairiebrand und dann sieh hin auf den dunklen Schatten an der Wange Deines Kindes.“ Und die Stimme vernimmt der Vater im nemlichen Augenblicke, als Jenny und Frida mit Kränzen in den Händen hereintreten. Er senkt seinen Kopf auf das Gesicht seines Kindes und stößt einen Schrei aus, den die Schwestern für einen Schmerzensschrei halten, der aber nichts als ein elender Fluch war, fur den er keine Sprache finden konnte....
    Noch am nemlichen Tage war die Leiche ganz im Stillen beigesetzt. Der Prinz von Würtemberg war die einzige Seele, die am Grabe stand. Er hatte selbst das Amt des Todtengräbers übernommen. Kein Geistlicher begleitete ihn. Als aber der Tag der Nacht gewichen war und des Mondes kaltes Licht die Gräber auf dem Friedhofe übersilberte, da stand noch eine andere Seele an dem kleinen Grabe und weinte bittre Thränen. „O Frida, Frida!“ hauchte eine Stimme, die nur der Mond vernahm: „Wenn ich Dir auch ferne bin, so bin ich doch nahe Deinem Kinde.“ Und der Mann beugte sich herab auf den frischen Grabhügel und umspannte ihn mit seinen Armen, als wollte er in ihm das Kind seiner Frida umarmen. Und wäre Frida ein guter Genius zur Seite gestanden, so hätte er ihr im nemlichen Momente, als der Mann den Grabhügel umspannte, gesagt: „Wandle hin auf den Friedhof, da wirst

 

- 53 -

Du einen Mann am Grabe Deines Kindes sehen, der Dich liebt, ohne daß Du es weißt und den Du Deinem Gatten, zu Lieb verstoßen hat.“ Und als Karl von dem Grabe schied, so sah er noch einmal zurück nach dem wunderlieben Häuschen, in dem bereits außer einer matt leuchtenden Lampe alle Lichter erloschen waren.
    Dies ereignete sich drei Wochen vor jenem Tage, an dem man in der Residence von Lady Evans Stewart das Geburtsfest der engelgleichen Dudley feierte. --
    -   -   -   -

    Gerade um die nemliche Zeit, als man sich im großen Salon der Residence am Annunciations-Square noch sehr eifrig von der Mantis Religiosa und von Hiram unterhielt, bestieg ein junger, schlankgewachsener Mann von auffallender Schönheit, jedoch etwas fanirten Gesichtszügen, das Ferryboot an der Landung unweit des französischen Marktes. Er hatte das Signal zur Abfahrt schon zweimal verpaßt, obwohl er sich ganz in der Nähe des Landungsplatzes, auf dem Vorsprung der kleinen Eiscream-Bude befand. Unruhig ging er auf dem Boote hin und her und blieb hie und da stehen, um einen forschenden Blick auf's jenseitige Ufer zu werfen. Die wenigen Passagiere, die sich mit ihm auf dem Verdecke befanden, betrachteten mit fast verletzender Neugierde den jungen schönen Mann mit den langen bis auf die Schultern herabfallenden blonden Haaren und den großen himmelblauen Augen. In nicht minderem Grade erregte dessen hohe schlanke Gestalt und besonders die Kleidung, die er trug, die Aufmerksamkeit Aller. Er ist nemlich bis auf ein kurzes Oberkleid von weißer Seide und einen silbernen Gürtel, der aus unzähligen feinen Ringen zusammengesetzt ist, ohne Bekleidung. So sah er aus, als käme er eben von einem Gastmahle des Königs Antinous oder als hätte er auf dem Schooße Sardanapal's gesessen. Eine Dame, die sich mit auf dem Verdecke befand, brannte lichterloh bei dem Anblicke dieser mythologischen Figur, die sich so sterbens-mutter-seelennackend allein, allen Regeln des gesellschaftlichen Lebens zuwider, hier herumtrieb. -- Mancher unserer Leserinnen mag es unglaublich scheinen, was wir hier eben geschildert haben. Um denselben, aber auch den geringsten Zweifel zu benehmen, so brauchen sie sich nur an den Besitzer genannter Eiscream-Bude zuwenden, dessen Wahrheitsliebe in der ganzen Stadt anerkannt und hoch geschätzt wird. Ebenso sind noch mehrere von den

 

- 54 -

Passagieren aufzufinden, die sich damals zugleich mit dem schönen jungen Manne aufdem Verdecke befanden.
    Als das Boot in Algiers landete, lenkte der junge Mann seine Schritte rasch jener Gegend zu, wo das wunderliebe Häuschen lag. Als er vor der Gartenthüre angelangt war, blieb er einige Augenblicke stehen und sah durch die Latten nach dem Fronteingange, dessen hellgrüne Jalousieenthüren gar freundlich durch den gewölbten Baumgang nach ihm herausblickten und ihn einzuladen schienen, so schnell wie möglich in’s alte wohlbekannte Häuschen zu kommen.
    Er druckte jetzt die Thürklinke auf, doch so vorsichtig und leise, daß die an der Inseite der Thüre angebrachte Schelle nur einen sehr schwachen Ton von sich gab und schwerlich verrathen konnte, daß Jemand eintrat.
    Ungefähr in der Mitte des schattigen Baumganges blieb er wieder stehen und betrachtete mit großer Aufmerksamkeit die zu beiden Seiten des Ganges in Herzform abgestochenen Beete, die mit herrlichen Reseda’s, deren zitternde Narben eben den Zauber der Polyandrie in sich aufnahmen, eingefaßt waren. In Mitte dieser Beete, sich üppig und behaglich hinaufrankend an kreuzweis gesteckten grünen Stäbchen mit übergoldeten Köpfen, sah man die heimlichen Kapuzinerleins mit ihren roth geflammten glänzenden Kutten, die, wo man sie trifft, immer die Anwesenheit deutscher Frauen verrathen. An den Seitenra batten standen einige Lychniden und bildeten den Uebergang zur Know NothingFlora, die in der rosenfarbenen „Amarillis palustris“ und in der „Mirabilis Jalappa“ oder „Four o'clock“ ihre vorzüglichsten Repräsentantinnen stellte. Ein sinniger Beobachter mußte augenblicklich erkennen, daß die schönen Gärtnerinnen die Idee leitete, das deutsch-amerikanische Element unter den Blumen zur Geltung zu bringen. Ein rührender Ersatz für das tantalische Bestreben, sich in genannter Hinsicht mit den starrköpfigen Bipeden zu versöhnen. --
    „Wie Vieles hat sich während der zwei Jahre, die ich abwesend war, verändert! Welche Neuerungen! Wie schön und groß sind jene Bäume geworden, die mich damals noch kaum überragten und dort jene elegante Haube auf der Cisterne, statt der schmalen ungleichen Deckbretter -- und seht mir doch, ein neuer Küchenanbau.. Da hat gewiß Albert den Planhiefur gemacht! -- -- So ruhig und stille Alles ringsumher meine Jenny wird mit Frida gewiß ihr Nachmittags-Schläfchen halten und vielleicht -- -- -- doch darf ich's hoffen?

 

- 55 -

Vieleicht von ihrem Emil träumen? O Jenny, Jenny, hätten wir doch nie den Fuß auf diesen verhängnißvollen Boden gesetzt, wären wir doch lieber ewig aufdem weiten wilden Meere herumgetrieben worden, hätte der „Guttenberg“ doch nie den Ort seiner Bestimmung erreicht ... und so? O Gott, Du wirst mich einen Untreuen schelten, meine Jenny -- aber der Allmächtige weiß es, daß ich dich stets im Herzen getragen und daß mich nur ein unabwendbares Geschick dazu trieb, Dich zu verlassen -- --“
    Inmitten dieser Betrachtungen wurde Emil plötzlich durch ein Geräusch gestört, das sich ganz nahe bei ihm erhob.
    Es war die wackere Köchin, die eben beschäftigt war, einige Eggplants abzupflücken, und als sie mit Einemmal die mythologische Figur Emil’s vor sich auftauchen sah, über und über roth, durch die Gesträucher und Cedernhecken brach und sich in den neuen Küchenanbau flüchtete.
    Unbegreiflicher Weise dachte Emil nicht gleich daran,weßhalb die wackere Köchin wie ein scheues Reh vor ihm entfloh. An ihrem schlampigen Wesen, das sogar während ihrer Flucht noch sichtbar war, erkannte er auf der Stelle einen dienstbaren Geist, den die Schwestern während seiner Entfernung vom wunder lieben Häuschen für die Küche engagiert haben mußten. Da er befürchtete, das dumme Ding möchte Alarm schlagen und so Alles im Hause auf die Beine bringen, was ihn nur um das Vergnügen gebracht hätte, sich in wehmüthiger Stille zu präsentiren, so eilte er rasch nach der Küche, um der wackern Köchin noch zur rechten Zeit das Mäulchen -- wenn überhaupt bei Lüneburger-Haiderinnen von einem Mäulchen die Rede sein kann -- zu stopfen.
    Alles so ruhig und heimlich ringsumher. Es ist kühl im Gärtchen, denn der Sonne Strahl dringt nicht durch das dichte Dunkel der Bäume und Gesträuche. Die „Mirabilis Jalappa“ hat ihre Blüthen wieder geöffnet -- ein Zeichen, daß es vier Uhr vorüber ist. So eine Blumenuhr täuscht nie.
    „Ist Deine Herrschaft zu Hause?“ frug Emil die wackere Köchin, die sich vergebens anstrengte, ihren Körper mit Erfolg gegen die Küchenthüre zu stemmen; denn dieselbe konnte nur von Außen zugeschloffen werden. Auch hatte man es bisher für überflüssig gehalten, an der Inseite einen Riegel anzubringen.
    „Es ist Niemand zu Hause -- machen Sie, daß Sie fort kommen,“ erwiederte Urschl und kroch zu gleicher Zeit unter

 

- 56 -

den Küchentisch, wo selbst sie ihre Schürze vor das Gesicht hielt; denn die Thure hatte einem heftigen Drucke von Außen nach geben müssen.
    „Marschieren Sie sich! Wenn die Ladies kämen, so meinten die Wunders, was wir zusammen trieben, Sie ungezogener Mensch. Sie!“ schimpfte Urschl unter dem Tische hervor, hielt aber dabei noch immer die Schürze fest an's Gesicht gedrückt. -- --
    Es kostete Emil viele Mühe, die wackere Köchin zu überzeugen, daß er der Herr des Hauses wäre und Gräfin Jenny seine Frau. Als er Miß Urschl so weit gebracht hatte, ihm in's Gesicht zu sehen, so hegte sie auch nicht den geringsten Zweifel mehr; denn seine Silhouette, die im Drawingroom ober dem Kaminsimse hing und die sie beim Aufräumen gar oft betrachtet und im Stillen bewundert hatte, war von der sprechendsten Aehnlichkeit.
    Sie sagte daher nicht mehr „ungezogener Mensch, Sie,“ sondern fing gleich ganz ehrerbietig mit „Herr Graf“ an. Sie kroch aus ihrem Verstecke hervor und sperrte ihr Mäulchen vor lauter Erstaunen und Bewunderung wie ein Kuhscheunethor weit auf. Jetzt roth wie eine Herzkirsche, jetzt wieder so bleich wie eine Barataria Auster; jetzt so heiß wie ein in Gluth gesetzter Meerschaumkopf, jetzt wieder so kalt wie Sherbeten Pine Apples- so changierten Couleur und Temperatur, während Emil seine Fragen an sie richtete. Uebrigens stand sie immer mit halbem Gesicht von ihm abgewandt und schielte nur hte und da nach den mit seidenem Goldflaum bedeckten Bonbons ihres gräflichen Herrn. So ziert sich moderne Verschämt,heit und so rächt sich die Natur.-
    Als nun Emil von Urschl erfuhr, daß seine Eltern hier wären und zwar, daß sich dieselben über dem Lake befänden; ferner, daß auch Lajos zurückgekehrt und dessen Kind vor drei Wochen begraben worden sei, so bemächtigte sich einer ein sonderbares Gemisch von Freude und Trauer. Daß seine Eltern schon so lange in Amerika feien und Jenny und Frida erst jetzt sehen sollten, kam ihm merkwürdig genug vor. Besonders war es ihm auffallend, daß der Prinz von Würtemberg, der sich doch, nach Urschl’s Aussage, zur Zeit ihrer Ankunft in New-Orleans, in der Stadt befunden hatte, seinen Eltern und Geschwistern den Aufenthalt Jenny's und Frida's verheimlichte. Wie er von der wackeren Köchin erfuhr, so hatten bisher nur Konstanze und Gertrude die beiden Schwestern gesehen; das

 

- 57 -

Wiedersehen der Uebrigen sollte erst nach Verlauf von zwei Tagen über der Lake gefeiert werden. Emil war natürlich gleich entschlossen, die Fahrt über die Lake mitzumachen, nur peinigte ihn dabei der Gedanke an ein früheres Einverständ niß mit Madame Wilson und seine jahrelange Abwesenheit von seiner Gattin. Daß Urschl von der Niederkunft Jenny's in Paß Christian nichts erwähnte, war entweder Zufall oder delikate Vorsicht. --
    „Uebermorgen also soll die Abreise stattfinden?“ frug Emil die wackere Köchin, obwohl sie es ihm schon ein Paarmal gesagt hatte. Die wackere Köchin bejahte es mit einem leichten Kopfnicken; dann sagte sie:
    „Das wird aber eine Freude sein, Gnaden Herr Graf, wenn Sie drüben ankommen und die ganze große und vornehme Gesellschaft! ich freu' mich schon auf das lustige Leben. Hier ist es gar zu langweilig-Jahr aus und Jahr ein sieht man keinen Menschen, höchstens den Württemberger Prinzen und der macht mir keinen Spaß.“
    „Gefällt Dir denn der Prinz von Würtemberg sogar nicht?“ frug Emil.
    „Ja, ja -- wie man es gerade nehmen will -- -- aber junge, schöne Herren sehe uch lieber um mich,“ erwiederte Urschl und sah ziemlich beherzt zu ihrem Herrn auf.
    „A ha!“ dachte sich Emil: „da steckt der Has" im Pfeffer! Die Kleine scheint mir ein bischen verliebter Natur zu sein.“
    Es lag klar am Tage, daß es die wackere Köchin trotz ihrer vorher gezeigten Verschämtheit faustdick hinter den Ohren hatte.
    Emil, dem jetzt plötzlich Tiberius einfiel, frug:
    „Tiberius ist wohl mit den Damen weggegangen? Wie geht's dem kleinen Darkey?“
    „Tiberius? Der? Der ist schon seit vierzehn Tagen nicht mehr hier. Es ist auch sehr gut, daß er weg ist -- -- diese ewige Wirthschaft, das Necken und das Schimpfen -- -- das Leben konnte. Einem zuletzt noch ganz zuwider werden -- er wird schon sehen, daß er es nirgends so gut haben kann, als er es hier gehabt hat. Er that gerade, was er nur wollte -- ich hab' ihn schon gleich von Anfang her nicht recht leiden mögen-- nein, nein, ich muß wirklich sagen, daß ich herzlich froh bin, daß er endlich einmal weg ist -- --“
    Die Plandertasche, die, wenn sie nicht bat einen Maus

 

- 58 -

bekam, alle Anlagen besaß zu einer entsetzlichen Megäre heranzureifen, hätte noch lange so fortgeschimpft und ihren einst so geliebten schwarzen Beau schlecht gemacht, wenn sie Emil nicht unterbrochen hätte.
    „Aber wo ist denn Tiberius, wenn er nicht hier ist?“ frug derselbe in sehr verstimmtem Tone, ohne etwas nach Urschl’s Herzensergießungen zu fragen.
    „Sie haben ihn auf die Plantage des Herrn von Delachaise verkauft,“ antwortete die wackere Köchin putzig.
    „Verkauft?“ wiederholte Emil fragend, wobei man ihm deutlich ansehen konnte, daß ihn Etwas verdroß.
    „Ja, ja, verkauft!“ betonte die Gefragte mit noch viel putzigerem Accente, als vorher. --
    Man wird sich noch erinnern, daß Tiberius ein Geschenk Emils war, mit dem derselbe seine Gattin an ihrem ersten Geburtstage in der neuen Welt überraschte. Sehr unangenehm mußte es daher Emil berühren, daß dieses Geschenk, von dem er sich schmeichelte, daß sie es als eine Erunnerung an ihn um keinen Preis der Welt entbehren könnte, nun auf so prosaischem Wege in andere Hände ubergegangen sei. Diese Nachricht versetzte nicht so fast einem Herzen als einer Eitelkeit einen empfindlichen Stich. Um sich dies richtig erklären zu können, muß man mit gewissen Gebräuchen der Creolen vertraut sein, die Emil gleich nach seiner Ankunft in New-Orleans seinem deutschen Charakter angepaßt hatte und ihn auch im Ganzen genommen recht artig kleideten.
    Ein Glück fur Jenny und ihre Schwester war es übrigens, daß er damals noch nicht mit Madame Wilson auf so vertrautem Fuße stand und er somit noch die zarte Rucksicht ubte, einen Tiberius statt einer Tibe ria zu wählen. Wie aber Jenny dazu kam, Tiberius wegzugeben, wollen wir kurz erläutern: Der Ungar war seit jenem Tage, wo ihn am Sarge feines Kindes Mephisto dazu anstachelte, den Pedlar Cleveland und seine Stute Lydia Prairiebrand aufzusuchen und wenn er ihren Aufenthalt ausgekundschaftet, aus dem Wege zu schassen, sehr trübsinnig geworden. Tausend Pläne durchkreuzten sein Gehirn, aber Alle warf er wieder als unnütz bei Seite. Den Aufenthalt der Stute wußte er, denn sie stand noch immer bei Oliver Dubois in St.Charlestreet. Davon hatte er sich selbst ein Paarmal überzeugt, indem er in den Leihstall ging und scheinbar die Pferde musterte, als wollte er sich. Eines zum

 

- 59 -

Reiten aussuchen. Einmal dünkte es ihm sogar, als hätte ihn Lydia erkannt. Denn als er ihr nahe kam, ließ sie ein so entsetzliches Geheul vernehmen, daß die andern Pferde schaudernd ihre Mähnen. Ichüttelten und sich loszumachen suchten. Der Ungar schrack etwas zusammen, aber nicht wegen des unnatürlichen Geheules der Stute, sondern weil ihn einer der Stallknechte mit mißtrauischem Blicke von Oben bis Unten maß, als ob er erforschen wollte, ob er-der Ungar nemlich -- nicht irgend ein Attentat auf Lydia begangen haben könnte, das die Ursache ihres entsetzlichen Geheules sei. Der Stallknecht wußte es wahrscheinlich aus Erfahrung, daß es eine Sorte Menschen giebt, die sich ein Vergnügen daraus machen, sich in die Ställe zu schleichen und die Pferde durch scheußliche unheimliche Mittel rabiat zu machen. Erinnern wir uns an die von dem Italiener Lombardi in Vorschlag gebrachten Mittel mit dem „Ellenbogen“ und den „Pülverchen.“ Der Ungar betrat von dieser Zeit an nie mehr den Livery Stable von Oliver Dubois und hatte es somit schon aufgegeben, an diesem Orte Erkundigung nach dem Pedlar Cleveland aus Illinois einzuziehen. In diesen Tagen war im wunderlieben Häuschen der Entschluß herangereift, in Gesellschaft des Prinzen von Wurtemberg und der Familie Evans über den Lake Pontchartrain zu reisen, was, wie wir bereits wissen, um so eiliger betrieben wurde, als das gelbe Fieber in der Stadt bereits einen sehr bösen Anlauf genommen hatte. Der Ungar, der anfänglich entschlossen war, in New-Orleans zu verbleiben, ward endlich doch durch die Bitten des Prinzen von Wurtemberg und der beiden Schwestern dahin gebracht, sein Versprechen zu geben, mitzureisen. Jenny's Kind konnte natürlich nicht mitgenommen werden, daher es der Prinz unter der sichern. Obhut seiner Haushalterin in seiner Residence an der Bayou Road zurückließ. Uebrigens wollte Jenny den letzten Tag vor der Abreise ganz bei ihrem Kindezubringen. Als es bei dem Ungarn einmal fester Entschluß war, mitzureisen, so tönte in einem Innern auch gleich wieder der alte Refrain: Geld! Geld! -- Um uber der Lake glänzen zu können, brauchte er Geld, viel Geld. Er hätte zwar noch mehrere tausend Dollars rückständige Brandstifttungs-Gelder einzukassieren gehabt; aber wie durfte er das noch wagen, da es unter den Schuldnern der Muhle sehr gut be kannt war, daß Dame Merlina und die Clubbitten um den Flammen umgekommen waren? Durfte er nicht froh sein, daß man ihn ungeschoren ließ? Wie hätte er allein ihnen

 

- 60 -

drohen und sie zu einer Bezahlung zwingen können? Beider seits war es klug gehandelt, daß man schwieg. Da fiel ein Blick auf Tiberius. Denselben zu verkaufen, dachte er, wäre gar nicht so übel. Gedacht und gethan! Er bestürmte Frida und Jenny so lange, bis dieselben endlich ihre Einwilligung hiezugaben. Er brachte Tiberius gleich schon den nächsten Tag auf die Auction in die Banks Arcade, wo selbst ihn Herr von Delachaise für 900 Dollars erstand. Jenny und Frida litten noch zu sehr von den Schrecknissen jener Nacht, als daß sie daran gedacht hätten, betreffs der Benutzung dieser Verkaufssumme nähere Bestimmungen zu treffen. Sie ließen somit dem Ungarn freie Hand. --
    Wir befinden uns wieder bei Emil und der wackern Köchin.
    Wenn dieselbe noch kurz vorher, als sie die mythologische Naivetät Emil’s beim Eggplant-Pflücken zu Gesichte bekam, über und über roth in den neuen Küchenanbau rannte; wenn dieselbe einige Minuten später schon etwas dreister wurde und sich sogar nicht scheute -- wenn auch nur verstohlen -- nach der namenlosen Schönheit der Bonbons ihres Herrn zu zwinkern -- so schnitt sie jetzt, wo sich Emil ins wunderliebe Häuschen entfernte, unaussprechliche Gesichter. Wie sie jetzt unter der Küchenthüre, so mag einst die Königin von Carthago dagestanden haben, als sie das Schiff, auf dem Aeneas entwischte, die Anker lichten sah. Wer die schlampige, wackere Köchin so gesehen hätte, würde in ihr augenblicklich die moderne Dido erkannt haben. Aber, wird man einwenden, wie konnte Dido-Urschl solche Prätentionen erheben und was gab ihr überhaupt das Recht, sich über die Entfernung Emil"s aus der Küche des perat zu zeigen? Dido-Urschl war erfahren genug zu wissen, daß gewisse Rechte, von denen eine Köchin in der Küche träumen darf, außer dem Bereiche derselben keine Geltung mehr haben, Unter dem langen, hochbeinigen Küchentisch stand ein Waschkorb, mit eben erst von der Leine eingeholter Wäsche gefüllt. Da hinein warf sie sich nun auf den Rücken und dachte nicht einmal daran, daß ihr diese Ertravaganz gar nichts nützte. -- So verlassen wir sie und sehen nach Emil.
    Da derselbe nun sicher war, daß sich Niemand im ganzen Hause befände, so konnte er sich geradezu gehen lassen. Sein Gang, seine Manieren, kurz alle Dinge, die er jetzt unternahm, trugen den Stempel der reinsten Natürlichkeit. So muß man die Menschen sehen, wenn sie sich unbemerkt glauben -- so

 

- 61 -

allein gewinnt man sie lieb oder auch, man wird ihnen spinnenfeind. Der Mensch ist ein anderer in Gesellschaft, ein anderer wenn er allein ist.
    Die weichen Tritte Emil's hatten kaum die oberste Stufe der mit Teppichen belegten Treppe, die in das zweite Stockwerk führte, erreicht, als ihn das verzweifelte Geschrei eines Wesens, das er bisher ganz vergessen zu haben schien, einen kleinen Rückzug anzutreten zwang.
    Dieses Geschrei kam von Niemand anderm, als von unserm Papchen. Dasselbe hatte Emil auf der Stelle erkannt, war aber vor lauter Ueberraschung nicht gleich im Stande, ihn nach herkömmlicher Weise zu begrüßen, sondern konnte nur unartikulierte Laute von sich geben, die freilich etwas zu schrill waren und solche, die Papchen nicht genau kannten, leicht auf den Gedanken bringen mußten, die beiden Schwestern hätten es mit seiner Erziehung nicht so ganz genau genommen.
    „Sennor Caballero, ho, ho, ho!“ das war das Erste;
    „Deine Jenny liebt Dich von Herzen, mit Schmerzen -- --“das Zweite und:
    „Sennor Caballero, ho, ho, ho -- nir versteh! -- --“ das Dritte und Letzte; denn Papchen ließ plötzlich seinen Kopf sinken und sprach kein Sterbenswörtchen mehr, so sehr es auch Emil liebkoste und zum Sprechen nöthigen wollte.
    „Das weiß der Himmel,“ dachte sich Emil: „was mit meinem guten alten Papchen vorgefallen sein mag- sonst immer so ausgelassen und voller Humor und jetzt hängt es den Kopf und sieht so traurig drein.“
    Papchen war ein merkwürdiger Vogel. Mit Leib und Seel' hing er an den beiden Schwestern. Freute man sich im wunderlieben Häuschen, so freute sich das Papchen mit, was es gewöhnlich dadurch zu erkennen gab, daß es lebhaft von einem Ring durch den andern hüpfte und alle bisher eingelernten Worte und Redensarten mehrere Male nach einander wieder holte. Zeigte man sich verstimmt, so war es das Papchen auch und aß oft nicht eher etwas, als bis es wieder freundliche und heitere Gesichter sah. Seit jenem schrecklichen Todesfalle war Papchen ganz stumm geworden und nur das so unverhoffte Erscheinen Emil’s konnte es auf einen Augenblick aus seiner Apathie reißen. Dann befiel es wieder dieselbe stumme Trauer, die es bisher an den Tag gelegt hatte. --
    Das Erste, was Emil jetzt aufsuchte, war sein Schlafkabisnet, Voll bangen. Erwartens öffnete er die Thüre. Hier in

 

- 62 -

diesem Kabinett war es, wo er Jenny so oft in seine Arme schloß; wo er oft ganze Nächte weinend an ihrem Halse hing und sie beschwor, ihm doch zu verzeihen und an seine ungetheilte Liebe zu glauben. Hier war es, wo er sein Weib so oft mit wüthenden Küssen bedeckte und dabei -- O der unseligen Verirrung -- an Lucy Wilson dachte. Welch' eine unermeßliche Welt von Wünschen und Hoffnungen, von Qual und Pein, von Täuschungen und Verirrungen schloß einst dieser kleine Raum ein! Hier küßte ihm ein Engel die heißen Thränen von den Wangen, auf die noch kurz vorher die Küffe der Nebenbuhlerin niederbrannten. Hier schuf man ihm einen Himmel und er -- vom Teufel der Leidenschaft belessen, schuf eine Hölle daraus. Er sah in Gedanken zurück auf seine Vergangenheit und von seinen Lippen stahl sich schaudernd der Name Hiram.
    Emil trat ans Bett und drückte sein Gesicht in die Kissen. Doch schon im nächsten Momente fuhr er wieder empor. „Hier hat ein Mann gelegen!“ rief er aus: „das ist nicht meiner Jenny Bett.“
    Es war das Bett, in dem der Ungar mit Frida schlief Auf demselben Kissen, in das Emil wonnetrunken sein Gesicht drücken wollte, lag der Schädel des Ungarn stumm und düster und brütete an der Seite des unglückseligsten Weibes, das je die Sonne beschienen, über wilde und todte Verbrechen. Auf diesem Kissen lag der bestialische Hinterkopf mit seiner sodomitischen Hyänenpassion und massacrirte mit frevelndem Hohne den natürlichen Gedankengang eines edlen, unschuldigen Weibes.
    Emil begab sich in das Seitenkabinet, in dem jetzt Jenny's Bett stand. In dem Schlafkabinet des Ungarn war es ihm fast übel geworden. Eine unerklärliche Ahnung preßte ihm die Brust zusammen.
    Angesichts dieses Bettes konnte er sich nicht täuschen. Die mit Spitzen garnierten Kopfkissen, in deren Ueberzuge die verschlungenen Anfangsbuchstaben eines und Jenny's Namen gestickt waren, die zwei Plumeaur von himmelblauem Seidenzeuge, mehrere blühweiße Fleurs delit, mit Lilly White bestäubt und wahrscheinlich für die kommende Nacht arrangiert und mehrere Quelques-choses neben an auf dem heimlichen Nachttischchen-Alles dies und noch vieles Andere, was niederzuschreiben selbst die galante Feder eines Marquis de Sade nicht im ande wäre, zeugte für Jenny's nächtliches Lager

 

- 63 -

    Emil warf sich mit halbem Leibe aufs Bett und bedeckte es mit tausend heißen Küssen. Dann erhob er sich wieder und setzte sich, mit den Ellenbogen auf den Knieen und die Hände auf der Stirne, auf den Rand des so lange entbehrten Lagers. Man sah es ihm an, daß er bitterlich geweint hatte und sich nun die Mühe gab, den Rest der Thränen hinter seinen langen Wimpern zu verbergen.
    Ein gewöhnlicher Mensch hätte dies nicht vermocht. Gar sonderbare Gedanken schwirrten jetzt durch seinen Kopf und suchten sich vergebens zu einem festen Entschlusse an einander zu reihen. Sollte er hier bleiben, bis seine Jenny zurückkäme? Sollte sie ihn im Bette überraschen? Oder, sollte er sich zu Lady Evans Stewart begeben und da seine Jenny mitten aus der Gesellschaft herausholen? Was kümmerten ihn in der stürmischen Aufwallung seines Herzens Etikette und die conventionellen Normen des gesellschaftlichen Lebens? Aber einer Rucksicht mußte er doch Rechnung tragen, denn ihre Verletzung mußte einen zu großen Seandal herbeiführen und obwohl er annehmen konnte, daß Lady Evans und die ganze hohe Gesellschaft, die sich bei ihr gegenwärtig befand, mit der Tracht der olympischen Majestäten und Hoheiten aufs genaueste vertraut waren, so fand er es nach einigem Ueberlegen, doch für rathsam, sich Kleider anzulegen, wie sie in unserer modernen Welt einmal gang und gebe sind. Er mußte solid erscheinen, um zu scheinen, was er nicht war. -- Aber eine andere Frage, deren Erledigung nicht sehr leicht war, drang sich Emil jetzt auf. Wo im ersten Augenblicke gleich Kleider herbekommen? In einen Clothingstore zu gehen und sich Rock, Hose und Weste u.s.w. zu kaufen -- das wollte er um Alles in der Welt nicht thun; viel eher hätte er es unternommen, ganz unbekleidet in den Salon von Lady Evans zu treten. Emil hatte eine zu noble, chevalereske Gesinnung, als daß er sich in einem Clothingstore hätte Kleider kaufen sollen. Das thun nur Schauspieler, Zeitungsredakteure, Theaterrecensenten, Cake Marchands, Rag-Pickers, Bone black Fabrikanten, Architecten, Planinspectoren, Deputy Surveyors, Gas-Work Clerks und ähnliche Halbgötter.-- Es blieb Emil demnach nur übrig, die Kräfte seines in früheren Jahren frequentierten Leib schneiders -- wie jeder noble Mensch. Einen besitzen soll -- in Anspruch zu nehmen. Derselbe wohnte aber zu weit ab und wenn er auch den Gang nach Frenchmenstreet gewagt hätte, so wäre dennoch eine Woche dahingegangen, bis er seine Sachen bekommen hätte. Da

 

- 64 -

hauchte ihm eine Grazie, als Marchande de Mobes verkleidet, einen glücklichen Gedanken ein. Entschloffen schritt er zur Ausführung. In der untersten Schublade einer deutschen Kommode hatte Jenny seine Pagenkleidung, die nemliche, in der er sich vor vier Jahren in der Hofkapelle verliebte, aufbewahrt. Sollte sie sich noch an demselben Orte aufbewahrt finden? Warum nicht? Die Ordnungsliebe deutscher Frauen ist welthistorisch und wird durch eintretende Unglücksfälle, häus liche Wirren, durch heftige Leidenschaften u.s.w. nie verletzt. Wird heute fur irgend einen Gegenstand ein bestimmter Platz gewählt, so liegt derselbe in fünfzig Jahren noch da. Die Wahrheit dieser Hypothese mußte Emil nicht im geringsten bezweifeln, denn er ging sicher auf die genannte Kommode zu und zog die unterste Schublade hervor. Hier lag die vollkommene Ausstaffierung in ein schneeweißes Linnen eingehüllt. Als Emil die Stecknadeln, die das Linnen über der Pagengarderobe zusammenhielten, entfernt hatte, so sah er oben aufliegend die blaue mit Silber gestickte Uniform. Die silbernen mit Löwen verzierten Knöpfe waren jeder für sich in Papier eingewickelt, sowie die Achselvolantes, die noch außerdem behutsam und schonend umgelegt waren, um die zimperliche Seide nicht zu verknittern. Zu beiden Seiten der Uniform lagen die weißrei denen bis an's Knie heraufreichenden Strümpfe, die weißen Glacéehandschuhe -- man hätte darauf geschworen, sie gehörten einem Mädchen von eilf Jahren -- ferner die schmalen kleinen Gallaschuhe von himmelblauer Seite und mit silbernen Börtchen und Franzen geziert. Die kurzen weißen Beinkleider lagen ganz unten, wahrscheinlich deshalb, um die übrige mehr empfindsame Garderobe nicht zu drücken. Auch noch einige weißseidene Taschentücher mit dem in Gold gestickten Wappen der Grafen von R* fanden sich vor. Da Emil nur ein kurzes Oberhemd abzustreifen hatte, so ging das Umkleiden ungemein rasch von Statten. Als er an den großen Ankleidespiegel trat, so traten ihm die Thränen in die Augen. Hätte er nicht im selben Momente seiner Jenny gedacht, so wäre er auf sein Spiegelbild zugeeilt und hätte demselben einen warmen Kuß auf die Lippen gedrückt. Man konnte es ihm ansehen, daß er dies gerne gethan, aber wie er jetzt für Jenny glühte, so war es besser, daß es unterblieb. Das Küssen seines Bildes im Spiegel hätte einem wiederholten Ehebruche nicht ganz unähnlich gesehen, und einen solchen wollte er sich -- das war sein unerschütterlicher Entschluß -- von heute ab nie mehr zu Schulden kommen

 

- 65 -

lassen.—- Aber wie erschrackEmil, als er eine Gestalt sich über seine Schultern erheben sah. Kaum traute er seinen eigenen Augen. Als er seinen Blick vom Spiegelglase abwandte, trat er betroffen einen Schritt zurück
    Die Gestalt ist höchst seltsam gekleidet. Ein langer, schmaler Mantel von dunkler Farbe, der vermittelt eines hochstehen den Kragens bis an das Kinn geschlossen ist und fast den Boden berührt, umhüllt die nüchterne Figur. Der kleine Kragen, der nach dem Nacken zu sich etwas umbiegt, läßt ein dunkelrothes Futter hervorsehen; die Aermel laufen bis über die Hälfte der Hände hinaus und bedecken sie manchmal sogar ganz. Zudem ist der Mantel seiner ganzen Länge nach von Vorne zugeknöpft. Sein spitziges Gesicht, das eine unverhältnismäßig breite und hohe Stirne beherrscht, ist gelb und fahl und seine Wangen sind dergestalt eingefallen, daß man eine flache Hand hineinlegen könnte. Seine Nase, die nach der Mitte hin sehr stark auswärts geht, ist gegen das Ende eben so stark wieder einwärts gebogen und berührt fast die feinen, kaum sichtbaren Lippen.
    Ueber den Augen,die von einer grünen Brille mit Seiten gläsern vollkommen eingeschlossen werden, sieht man ein Paar buschige, graue Augenbrauen von unheimlicher Länge. Ueber seine Stirne läuft von einem Ohre zum andern ein bläulichtrother Streif, der durch die hereingekämmten grauen Haare nur wenig verdeckt wird. Dieser Kopf mußte einmal unter dem Scalpiermesser eines Indianers gewesen sein; denn es war die regelrechte Scalpierlinie, die gegen die Schläfe zu abwärts steigt. Dieser Mann war jedenfalls durch irgend einen glücklichen Zufall der Vollendung dieser Erecution entgangen. --
    „„Willkommen in New-Orleans, Wanderer aus der Mesa!““ sprach die Gestalt und legte die dürre Rechte auf Emil’s Schulter. Jetzt erst erkannte derselbe, wen er vor sich hatte. Denn die Kleidung, die die Gestalt trug, war von der früher an ihr gesehenen so verschieden, daß sie unmöglich gleich zu erkennen war. Zudem verdeckten die dunklen Augengläser den so ungewöhnlichen, gespensterhaften Blick G
    efaßt stand Emil vor Hiram. Nicht mehr, wie früher, sprachen aus seinem Blicke Ehrfurcht und fromme Scheu. Auch verneigte er sich nicht mehr, wie vor einem höheren Wesen. Frei und hoch ruhte sein schöner Kopf auf dem blühweissten,

 

- 66 -

vollen Halle, an den sich das reine Gold seiner wunder schönen Haare in ungekünstelten Locken schmiegte,
    „Euer Willkomm kommt zu ungelegener Zeit, Mann des Unglücks -- was schleicht Ihr in mein Haus und stört meine Einsamkeit“ sagte Emil.
    Hiram, der Freimaurer, antwortete:
    „„Du bist jetzt muthig und trotzig, armer Emil, weil Du weißt, daß ich keine Gewalt mehr über Dich habe. Armes, schwaches Kind, da drückst Du die heißen Wangen an die Kissen Deiner Liebe und meint, das ließe sich Alles wieder so heraufbeschwören und in’s alltägliche Geleise bringen -- --““
    „Laßt ab von Euren unfruchtbaren Reden und umstricket andere Herzen mit den Zauberfäden Eurer Magie! Glücklich der Liebende, der nie in Eure Hände geräth und Eurem teuflischen Blendwerke zum Opfer fallen muß. Gab es auf dem weiten Erdenrunde zwei glücklichere Sterbliche, als meine Jenny und Mich? Wo liebten sich zwei Herzen reiner und begeisterter? Da erschienet Ihr und -- --“
    „„Halt ein, sinnloser Schwärmer -- Wo traf ich Dich, als Du mich zum Erstenmale sahst? War es hier an der Seite Deiner Jenny? Hattest Du nicht schon früher ihr Herz dem Deinigen entfremdet? Wer hieß. Dich, aus dem Bette Deiner Jenny in das von Lucy Wilson zu steigen? -- -- “
    „Wer anders, als Ihr? Noch ehe ich Euch kennen lernte, habt Ihr ein frevelndes Spiel mit meinem Herzen getrieben -- -- O, jetzt ist mir Alles erklärlich, jetzt weiß ich, weißhalb es mich immer mit unwiderstehlicher Gewalt von meinem treuen Weibe hinweg in den Schooß von Lucy Wilson trieb? Eure teuflischen Künste verwirrten meine Sinne und vergifteten mein Herz. Wie oft, wenn ich so mitten in der Nacht allein durch die Straßen irrte, klagte ich den Himmel an, daß er mir ein so untreues Herz verlieh, das treue Liebe verschmäht und in die Arme einer Buhlerin flüchtet -- aber immer vergebens- all' mein Flehen war umsonst -- ich verließ sogar meine friedliche Behausung, um auf immer bei Lucy zu sein -- -- in jener Nacht fiel ich in Eure ausgelegten Netze und jetzt -- -- sagt Ihr, ich sei ein sinnloser Schwärmer -- --“
    „„Was für ein gewöhnlicher Mensch. Du wieder geworden bist, seit Du die Mesa verlassen hast Du heult und poltert wie ein Schulkind, das aus Furcht vor der Ruthe dem Magister verspricht, es nicht wieder thun zu wollen. Du giebst Dir alle nur erdenkliche Mühe, Deinem Herzen vorzulügen

 

- 67 -

daß Du außer aller Schuld feist und daß Ich es war, der Dir zu Deiner Treulosigkeit und Deinem flatterhaften Herumliebeln Veranlassung gegeben hatte. Du scheint ganz vergessen zu haben, daß Du lange Zeit vorher, ehe ich Dich in den Zauber kreis der Mantis Religiosa zog, mit Lucy geschwärmt und gebuhlt hast. Ich mache Dir hierüber keine Vorwürfe, armer Büßer Emil, denn meine Ideen, wie Du weißt, sind nicht die der Convenienz und einer ererbten falschen Moral. Wo es gilt für die Menschheit etwas zu thun, mag der Einzelne zu Grunde gehen, mag sich der Mann von der Frau und das Kind von den Eltern trennen. Laß den Mann einen Treulosen und das Weib eine Buhlerin werden und Du wirst die guten Früchte sehen, die aus dieser Unordnung für die ganze Menschheit entsprießen. Laß“ alle Familienbande gesprengt und vernichtet sein und Du wirst sehen, wie sich der Mann und das Weib das Schwert um die Lendengürten, wenn der Ruf erschallt: Freiheit und Gleichheit jeder Race! Tausende sind in unserer Mitte, die zu jeder Zeit den heiligen Kampf beginnen würden, wenn sie nicht in die Bande eines geordneten Familienlebens verstrickt wären. Der Desperado wird die Revolution beginnen, der Desperado allein wird sie zum Abschlusse bringen. Dann wird auch die Schönheit zur ewigen Glorie sich erheben und nicht mehr gezwungen sein, ihre wilde, unbändige Sinnlichkeit an Sclavenketten zu reiben und zu verschwenden. Falco Leukocephalus wird dann kein Schwarzwild mehr jagen und zu Tode hetzen -- geblendet wird er sich flüchten vor der strahlenden Sonne Nig ritia’s -- --““
    Emil hatte sich auf Jenny's Bett gesetzt und in dieser Stellung ruhig mit angehört, was Hiram zu ihm gesprochen. Jetzt aber stand er auf und unterbrach ihn in einem sehr heftigen Tone:
    „Ich habe Euch nie verstanden und verstehe Euch jetzt noch viel weniger. Was hat Eure Niggergeschichte mit meinen Verhältnissen zu schassen? Glaubt und hofft, was nur immer Ihr wollt, aber ich bitte Euch mein Haus zu verlassen und den Frieden, der diese Räume durchweht, nicht weiter zu stören. Ihr werdet nicht mehr im Stande sein, mir meinen Kopf zum Zweitenmale verrückt zu machen -- Euer Geschwätz findet bei mir keinen Anklang. Dem Himmel sei es gedankt, daß ich end lich einmal von dem Zauber befreit bin und ich mich wieder hier an der heiligen Stätte meines braven, treuen Weibes befinde. Mag Lucy den Messias, der das Niggervolk befreien

 

- 68 -

soll, gebären oder nicht -- das ist mir ganz gleichgültig -- auch mag sie zusehen, wer für sie die Accoucheur Rechnung bezahlt Was ist diese Lucy Wilson jetzt, seit der Zauber, der uns zusammenhielt, gebrochen ist? Wir waren kaum von der Mesa zurückgekehrt, kaum setzten wir den Fuß in das verwünschte New-Orleans, als sie sich schon wieder einem reichen Manne an die Ferse hing und unter dem Vorgeben, daß sie bei mir verhungern müsse, mit der größten Keckheit demselben ihre Reize zum Verkaufe anbot. Und sagt mir, kann sie so plötzlich ein liederliches Weib geworden sein ? Ist sie nicht schon von Kindesbeinen aufverdorben gewesen und kennt ganz New-Orleans nicht hinlänglich die liederliche Madame Wilson vom Mulattoes' Settlement? Wie mag der Teufel heißen, der mich damals so sehr mit Blindheit geschlagen hat? Diese geldgierige Buhlerin, diese glatte Schlange konnte ich lieben! Und mein treues liebevolles Weib konnt' ich verlassen? -- --““
    „„Man sieht, daß Dich Dein höherer Genius, der Dir in der Atchafalaya Bank und an den Quellen des rothen Flusses so treu zur Seite stand, vollkommen verlassen hat. Wie ein Göttersohn durchschrittst Du mit Deiner bacchantischen Geliebten den geheiligten Plan der Mesa. Die Schönheit ihres herrlichen Leibes, der Zauber ihrer leidenschaftlichen Augen war Dir damals Alles. An ihren Brüsten bist Du allnächtlich zu seligen Träumen entschlummert und wenn der junge Morgen heraufdämmerte und Euch Diana Robert den Frühtrank reichte, so sahet Ihr so glücklich und vergnügt aus, daß Euch selbst die olympischen Götter beneidet hätten. Die Zeiten sind vorübergegangen und kaum bist Du in die Wirklichkeit zurückgetreten, so tauchten gleich wieder die entnervenden moralischen Skrupel in Dir auf. Aus einem Göttersohn bist Du ein deutscher Philister geworden und mich wundert es nicht im geringten, daß Lucy Wilson so schnell wieder Deiner überdrüssig geworden ist und in ihrem alten buhlerischen Treiben einen Ersatz für ihren so langweilig gewordenen Geliebten sucht. Frei und rücksichtslos könnt ihr Deutschen einmal nicht lieben und wenn Euch Venus auch einige Zeit gefangen hält, so läßt sie Euch recht gerne wieder laufen, denn Euer Weinen und Heulen, Eure Gewissensbisse und Euer duckmäußiges Philosophiren kann sie unmöglich ertragen. Jetzt wird wieder legitimes Liebeln mit der Frau getrieben, denn dies stört die Ruhe Deines Herzens nicht. Träume Dir keine goldene Berge im warmen eheichen Nestchen, Du weißt noch nicht, was Dir bevorsteht, mein

 

- 69 -

Emil und es wäre für die Ruhe. Deines Herzens wahrlich besser von hier zu scheiden, als zu träumen und zu schwärmen -- -- was tierst Du so unverwandt auf jene Kiffen? Hebe sie auf und Du wirst einen Zeugen der Treue Deines Weibes gewahr. Armer Emil, unglücklicher Gatte im thränenfeuchten Büßerhemde! ““
    Cagliostro Hiram hatte in gewisser Beziehung Recht; aber der Leser wird eingesehen haben, daß Emil doch kein gewöhnlicher Mensch war. Der Zauberer wußte dies sehr gut, aber warum er des ungeachtet eine solche Sprache führte -- wer kann dies enträthseln? Wäre Emil ein gewöhnlicher deutscher Mensch gewesen, so hätte er nicht in seiner Pagenkleidung einen Talisman gesucht. Schon allein der Umstand, daß er in keinen Clothingtore ging, um seine mythologischen Blößen zu bedecken, beweist die Eristenz seines außergewöhnlichen Geistes. -- Der Philister wird den Zauberer unmoralisch nennen und der Mann von Esprit wird sagen: der Alte faselt. Vielleicht wird es die Folge zeigen, daß weder der Philister noch der Mann von Esprit den Nagel auf den Kopf getroffen haben. --
    „„Was tierst Du so unverwandt auf jene Kissen? Hebe sie auf und Du wirst ein Zeichen der Treue Deines Weibes gewahr! ““
    Ohne zu fragen, ohne nach Hiram aufzusehen, ohne nur im geringsten die Bedeutung dieser Worte zu verstehen, lüpfte Emil mechanisch die Kopfkissen -- er that dies, weil eben die Rede davon war und ohne die entfernteste Intention, mit die sem hastigen Griffe etwas zu beweisen. Aber jetzt? Jetzt fällt es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen; die Korallen frische seiner Lippen verwandelt sich in Leichenbläffe ; seine Augen starr auf die jetzt unverhüllte Stelle geheftet, fährt er mit seinen beiden Händen durch das spiegelglatte Gold seiner Bal durlocken und coiffurt sich so im Nu à la Utgard-Loke -- -- er wendet seinen Blick jetzt von der Stelle ab und richtet ihn auf die lange abgemagerte Gestalt Hiram's -- Furcht, Rache, Mißtrauen balgen sich in seinem Innern herum und zuletzt bricht er in die Worte aus:
    „So steh' ich doch noch unter Deinem Zauber, geheimniß voller Mann! und ich Armer glaubte, von ihm befreit zu sein? O, eile mit Deinen Künsten in andere Regionen und raube mir nicht so schadenfroh den Glauben an die Treue meines edlen Weibes!“
    „„Armer Emil, Du glaubtest an die Treue Deines Weibes

 

- 70 -

und jetzt,wo Du sie verletzt sieht, kommt Dir Alles so sonderbar vor, daß Du lieber Zauberei wittert, als daß Du Dir Mühe gäbeit, diesen Thatbestand auf natürlichem Wege zu er klären. Seitdem Du und Lucy Wilson die Mantis Religiosa als Gegengift für die gelbe Fieberpest bei Euch führt, habt Ihr von meiner Gewalt nichts mehr zu befürchten. Wenn ich al lenthalben Tod und Verderben verbreite, so bleibt Ihr davon unberührt. Alles, was Euch sonst zustoßen mag, wird die gewöhnliche Folge der Wirren und Lächerlichkeiten des gewöhnlichen Lebens sein und hat mit meiner Persönlichkeit durchaus nichts mehr zu schassen. Auch hätte ich keine weitere Ursache Euch einer wiederholten Prüfung zu unterwerfen, denn meine Mission ist nach jener Prophezeiung, die ich Dir und Lucy bereits in der Mesa kund gegeben, zum Theil erfüllt. Der Caukasier hat die Aethioperin an den geheimnißvollen Quellen des rothen Flusses befruchtet und der Messias wird auferstehen, mag nun Lucy ein hübsches anständiges Leben führen oder nicht -- -- aber leider die Schönheit, von der ich glaubte -- --““
    „Endet, endet!“ unterbrach Emil in verzweifeltem Tone den Urheber seiner Qual, „sagt mir lieber, wie dieser Feuermannsgürtel unter die Kopfkissen gekommen ist -aber ich be schwöre Euch, sagt mir die Wahrheit und peinigt mich nicht länger mit dieser Fluth von Sarkasmen -- -- ich beschwöre Euch, geheimnisvoller Mann, sagt sagt, habt Ihr diesen Gürtel hieher gezaubert und habt Ihr sagt, sagt mir die Wahrheit!“
    „„Ich würde die Wahrheit sagen, armer Emil, wenn ich nicht befürchten müßte, daß Du darob Deinen Verstand verlörest. Eben deshalb kam ich hieher, um Dich über die Verhältnisse in Deinem Hause aufzuklären. Es hätte nicht viel gefehlt, so wärest Du schon bei dem bloßen Anblicke eines fremden Gürtels im Bette Deines Weibes übergeschnappt --““
    „Ich beschwöre Euch, sagt mir, wie kam dieser Gürtel hie her? Kein Wort des Tadels und des Vorwurfes soll auf meine Lippen treten, wenn Ihr mir die Wahrheit sagt --“ Emil erhob sich bei diesen Worten vom Bette und hing sich mit beiden Händen an die Schultern der langen, abgemagerten Gestalt. Diese schob ihn schonend von sich und deutete auf einen Stuhl zur Seite der Kommode. Ohne ein Wort zu verlieren, ließ sich Emil auf den Stuhl nieder. Hiram blieb dicht vor ihm stehen.

 

- 71 -

    „„Du kennst den jungen Architekten Albert R*, mein Emil?“
    Mit zitternder Stimme bejahte Emil diese verhängnisvolle Frage.
    „„Du hast schon von gewissen Verirrungen, von Wahlverwandtschaften u.s.w. gehört?““
    „Ja-aber, mein Gott, was soll das hier? Was wollt Ihr damit sagen?“ frug Emil indem er sich unruhig auf seinen Sitze hin und her schob.
    „„Diesen Gürtel hat der Architekt in seiner Zerstreutheit zurückgelassen, aber nicht hier im Bette, sondern auf dem Sopha im Nebencloset““
    „Haltet ein! Dies ertrage ich nicht -- -- beschuldigt mein treues Weib nicht -- --“ %%%%%%%%%%%%
    „„Der Untreue, willst Du jagen?““ warf Hiram ein.
    Emil antwortete Nichts. Große Thränen perlten aus seinen Augen und benetzten seine bleichen Wangen.
    „„Härme Dich deshalb nicht, mein Emil,““ fuhr Hiram weiter, „„Dein Weib liebte Albert und Du liebtest Lucy Wilson -- jetzt seid Ihr quitt und Keines hat dem Andern mehr Vorwürfe zu machen. Es wäre lächerlich, wenn Du von Deinem Weibe Treue verlangtest, wo Du selbst eine Untreue begangen zu haben glaubt. Von jetzt ab hast Du den Nebenbuh er nicht mehr zu fürchten und Dein Weib nicht mehr die Nebenbuhlerin. Wenn Du Dich stark genug fühlt, nach dieser Enthüllung Deinem Weibe liebevoll entgegenzutreten, so komme mit mir und ich werde Dich in ihre Arme führen -- --““
    „Ich will und kann sie jetzt nicht sehen,“ entgegnete Emil, aber so ruhig und besonnen, wie Einer, der nach vielem Abmühen und Kämpfen mit seinem Innern endlich ins Reine gekommen ist.
    „„So wirst Du hier bleiben und sie erwarten?““ frug Hiram.
    „Nein, ich will noch diese Stunde diese Räume verlassen und nie wieder zurückkehren. Besser, wir sehen uns nie wieder; auch soll sie nie erfahren, wie sehr ich sie bisher noch immer geliebt habe.“
    „„Aber, was willst Du denn jetzt beginnen? Du weißt, daß Du noch gezwungen bist, so lange in New-Orleans zu bleiben, bis die Seuche, die bereits ihren Anfang genommen, gänzlich

 

- 72 -

verschwunden und daß Dir noch Manches zu schauen und zu erleben vorbehalten ist -- --““
    „Die Nächte werden mich wieder in den Straßen dieser verfluchten Stadt sehen und in Saus und Braus werde ich bald alles Herzeleid vergessen -- --“
    „„Du spricht ja auf Einmal ganz vernünftig, mein Emil -- zeche und küsse wacker darauf los, 's ist noch immer besser, als daß Du ein weinerlicher Adonis würdest -- gewinnt auch Dein Herz nichts dabei, so bleibt doch wenigstens Dein Kopf hell und klar. Ich wünsche Dir gute Unterhaltung und wenn Du Dich nicht um die Greuel der Fieberpest kümmert, so kannst Du in dieser Stadt lustig mit Bacchus und Venus im Vereine leben. Es läßt sich gut trinken, küssen und schwärmen, wenn der Kopf frei von Furcht und Sentimentalitäten ist.“
    Emil war vom Stuhle aufgestanden und schien jetzt seine Kleidung zu mustern.
    „„Ich weiß,““ bemerkte der Alte, „„was nun in Deinem Innern vorgeht: den Plunder möchtest Du gerne vom Leibe haben und Dich wieder als Incroyable kleiden. Hier, bewundere in eine Aufmerksamkeit, für Alles ist gesorgt -- --““
    Hiräm zog bei diesen Worten einen eleganten Gentleman's Anzug unter seinem Mantel hervor und legte ihn vor den erstaunten Blicken Emil’s auf das Bett. Auch eine preciöse goldene Uhr war nicht vergessen, ebensowenig verschiedene andere Kleinigkeiten, die zu einer vollkommenen Garderobe gehören,
    „Aber was nützt mir dieß. Alles, wenn ich kein Geld habe,“ sagte Emil kleinlaut: „mit der feinen Garderobe allein bleibe ich im Schlamme stecken.“
    Hiram griff behutsam in seinen Mantel, nahm ein kleines schwarz sammetnes Portefeuille, auf dem man undeutliche Zeichen mit Silber gestickt sehen konnte, daraus hervor und übergab Emil die Summe von 5000 Dollars mit dem Bemerken, daß dies vorläufig genug sei,
    Bei dem Anblicke dieses Geldes, das aus lauter guten Noten von der Citizens Bank bestand, fiel Emil ein großer Stein vom Herzen.
    Wem dies unwahrscheinlich dünkt, der kennt den Einfluß des Geldes nicht,
    Vergessen waren Jenny und die Schwägerin, vergessen waren auch die lieben Eltern über der Lake und als er eine Stunde darauf, nachdem er noch vorher die Pagenkleidung in derselben Ordnung, wie sie früher gelegen, in der Kommode

 

- 73 -

untergebracht hatte, das wunderliebe Häuschen verließ, so hätte gewiß Niemand von diesem jungen elegant gekleideten Menschen geglaubt, daß er so lange Zeit an der Seite des wunderbarsten aller Magier*) zugebracht habe.
________________________

    Zwei Stunden nach dem so eben erwähnten Auftritte im wunderlieben Häuschen stand Hiram mit einem Manne dicht an der Front-Umzäunung des großen Gartens, aus dessen immergrünen Bäumen und Gebüschen sich die herrliche Residence von Lady Evans Stewart erhebt. Mit der scheidenden Sonne hatte der Mond seine Herrschaft am Himmel angetreten, mit so magnifiquem Glanze, daß, als die letzten Abendtinten verschwammen, der Uebergang von Tag zu Nacht kaum bemerkbar war. Hie und da raffelten noch einige verspätete Karren, deren Besitzer Jahr aus und Jahr ein aufdem harten Polster der Baumwollenballen sitzen und schwitzen, über das holperichte Pflaster zu beiden Seiten des Annunciation Squares. Auf dessen grünen Rasen weideten, von des Tages Last und Leiden befreit, einige Pferde und Maulthiere still und vergnügt und ein Schwarm Jungens, die der kühle Schimmer des Mondlichtes hieher verlockt, saß in engen Kreisen, -- auch einige vereinzelt oder sich herumtummelnd -- und sang die bekannten schönen Plantagenlieder: „Old Folks at Home,“ „Emma Snow“ und „Julius from Kentuky.“ Jung Amerika schrie sich fast die
____________________


*) „---Kaum batten uns die Prinzessin von Wolfenbüttel und Monsieur Moldaske verlassen, als auch schon Hiram eintrat. Die Schilderungen, welche uns die verehrten Gäste, und besonders die Prinzessin Sophie, von seinem Charakter gaben, fanden wir in all' ihren Einzelnbeiten aufs Genaueste bestätigt. In der That, ein wunderbarer Mann -- die heterogensten Ansichten kreuzen sich in seinem Gehirne. Sein überschwengliches Gefühl für physische Schönheit, der er mit der Zeit alle nur erdenkbaren Vorrechte zuerkannt wissen will, reißt ihn nicht selten zu Aeußerungen hin, die, wenn sie realisiert werden könnten, alle Sitte untergraben und das heilige Sakrament der Ehe von Grund aus vernichten würden. Er ist ein erbitterter Feind der Sclaverei, die er den Würgengel der Schönheit nennt. Wie er dazu kommt, eine solche Behauptung aufzustellen, ist uns bis jetzt noch nicht klar geworden. Vielleicht ist es auch nur eine fixe Idee von ihm. Was man sich jüngst in einer Gesellschaft bei unterm Gouverneur von einer gewissen Diana Robert, einer Negresse, erzählte, gränzt an's Fabelhafte. Dieselbe soll nemlich nichts weniger, als das Produkt seiner eigenen alchemistischen Schöpfungskraft sein. Sollte man es glauben, daß man noch in unseren Tagen an solche mittelalterliche Ungeheuer glaubt? Und doch ist es so. Die Raymundus Lullus und Albertus Magnus sind noch nicht ausgestorben. Unseren Wunsch, von ihm etwas über das gelbe Fieber zu erfahren, sahen wir leider nicht erfüllt u.s.w. --
           (Aus dem Briefe „Clarissa in Lakanals Erzählungen einer Ursuliner Noviz in New-Orleans.)

 

- 74 -

Hälse heiser, doch waren auch Einige darunter, die recht artig sangen:
„Jn New Orleans they shut me in
   With hundred more they say,
Some black, some white, some large, some thin,
   To sell 'em all next day.
J climb the barrel -- jump the gate,
   And 'scape to guard so luky;
J go from there to New York State,
   And master to Kentuky.“
Und wie prophetisch klang es, wenn der Chor einstürmte:
„Oh! Kentuky -- it is the land for me,
   And surely J'll go there again
   When colored men are free.
Und dann wie schön wieder das folgende Solo:
„J'm sorry now for master's loss,
   And non could feel it greater,
For master he was half a horse,
   And half an alligator.
And now J join the Christy band,
   The first and the most luky
Of all the darkies in the land,
   From Orleans or Kentuky“

    So sang Jung Amerika und der Mond, der glaubte, man quäle sich feinetwegen so ab, küßte dankbar die Mäuler dieser wilden Schreier. --
    Während sich nun die Jugend auf dem kühlen Rasen des Annunciation-Squares mit Singen und Schreien die Zeit vertrieb, bereiteten sich ganz in der Nähe Scenen vor, deren fürchterlicher Ausgang zugleich den Grund zum vollkommenen Ruin und Untergang der gräflichen Familie legen sollte. Ohne die jetzt erfolgten Ereignisse im Hause der Lady Stewart wäre, wenn man die diabolische Präsentierung des Ungarn ausschließt, die einmal festgesetzte Reise über den Lake Pontchartrain sicherlich erfolgt und wir hätten dann, anstatt die gräfliche Familiemauf dem Todtenbette in jener baufälligen Barracke so unverhofft wieder zu finden, das beiderseitige so ewig lang hinausgeschobene Wiedersehen mit aufrichtigem Jubel begrüßen und feiern können. So aber hielt der räthselhafte Alte die Fäden des Schicksals in seiner Hand und verwebte sie nach einem unergründlichen Willen zu einem großen Leichentuche. Er hatte unbemerkt den Lebenspfad der uns bis jetzt bekannt gewordenen Personen genau verfolgt und treibt sie nun insgesammt auf die magisch erleuchtete Bühne seines Zauber, Reiches, --

 

- 75 -

    Ehe wir uns in das Gespräch mischen, das die beiden Männer an der Front-Umzäunung des Stewart'schen Gartens bereits seit einer Viertelstunde mit einander führen, mag eine kurze Schilderung ihres Aeußern nicht am unrechten Platze sein. Den räthselhaften Alten haben wir zwar schon portraitiert; wir haben bereits die lange, abgemagerte Gestalt in zwei Metamorphosen zu Gesichte bekommen und gelangen nun zu der dritten. Es ist diejenige Umgestaltung seines Habitus, in der er im Sommer 1853 in der Druiden *** so oft gesehen wurde und die nemliche L*, die ihn zu Ende des Schreckenssommers selbst zu Grabe geleitete, scheint es neuerdings heraufbeschwören zu wollen, daß sie mit dem Großmeister der Freimaurerlogen von Louisiana, Mr.Hill, Hiram begraben habe. Von jetzt ab, nemlich von dem Augenblicke an, wo er mit dem andern Manne, den wir ebenfalls gleich kennen lernen werden, vor dem Garten steht,zeigt er die Manieren Monseigneurs, von dem er auch die etikettenmäßige schwarze Civilkleidung entlehnt hat. Seine Augen sind nicht mehr durch die grünen Gläser verdeckt, auch trägt er nicht mehr, wie ein Trapper oder Rocky mountain Hunter die hohe Mutze von Waschbärenpelz; ebenso wenig sind seine Glieder mehr in den langen mit hochstehendem Kragen versehenen französischen Colonistenmantel eingehüllt. Weiße Halsbinde, schwarzer Frack, schwarze Beinkleider und weiße Weste, das sind die Veränderungen, die so plötzlich sein Aleußeres umgestaltet haben. Das greise Haupt -- wer getraut sich die Jahre zu zählen, die schon über seinen Scheitel hinweggegangen sind -- hat er frei und die Claque unter dem linken Arm gedrückt. Wie Cagliostro und der moderne Pantheist, Pierre Lerour, trägt er die sieben und zwanzig phrenologischen Organe, gleich den sieben und zwanzig Göttern der Mythe, auf dem immensen Umfange seines Schädels -- zu Allem fähig. -- Der andere Mann ist von mittlerer, untersetzter Statur und reicht dem Alten kaum bis an die Brust. Sein Kopf ist kurz geschoren und in seinem Gesichte zeigen sich große, rothbraune Flecke, die Zeugen früher erlittener und nun geheilter Brandwunden. Ebenso ist an seinem Halse eine Narbe sichtbar, die entweder von einem Schuße oder von einem stumpfen Messer herrührt. An den sonderbaren Bewegungen seiner Arme und dem Gelenkespiel seiner Hände findet der Menschenkenner sehr leicht den Handelsmann heraus. Obwohl Schotte von Geburt, hat sein Gesichts-Typus nicht die geringste Aehnlichkeit mit dieser Nation. Eher hätte man diesen Mann

 

- 76 -

für einen Amerikaner gehalten. -- Außer einem Hemde von untadelhafter Weiße und Glätte führt er eine ziemlich malpropre Garderobe. Diese ist jedoch nicht die Folge des Mangels an Geld, -- und daß er solches besitzt, beweist nicht nur die schwere goldene Kette und Uhr, sondern auch der Brillantring, der an einem kleinen Finger blitzt -- wohl aber entspringt solche Unordnung und Unreinlichkeit im Anzuge aus dem bei Leuten von einem Metier häufig anzutreffenden Eigensinne, sich arm zu kleiden, wenn man ein wohlgefülltes Portmonnaie in der Tasche und anderwärtig ansehnliche Depositen hat. Ein Handelsmann von diesem Schlage kann Alles eher ertragen, als elegante, moderne Garderobe. Was sein Alter anbetrifft, so mager wohl schon tief in den Vierzigern sein. Seinen breiträndigen Panamafrohut hat er eben auf die Spitze einer Latte der Gartenumzäunung gehängt. Er fährt mehrere Male nach einander über seine rauhe braune Stirne und steht nun mit verschränkten Armen, sich mit dem Rücken gegen die Latten stemmend, neben Hiram, der das bisher geführte Gespräch, das durch das zu tolle Schreien der Jungen auf einige Augenblicke unterbrochen war, mit erneuerter Spannung wieder aufgreift. Das Französische, das Hiram spricht, hört man nicht besser in den Tuilerien, während der andere Mann einen schlechten Accent, ähnlich dem der portugiesischen Juden auf den Geldmärkteu von Paris, besitzt. In welcher Gesellschaft der Letztere diesen in New-Orleans übrigens nicht selten vernehmbaren Accent adoptiert hat, wird den Leser wenig interessieren.
    „Es soll Ihnen genügen, zu wissen, daß Ich es bin, der Sie gerettet hat :“ so jetzt Hiram.
    „Sie sind in der That der merkwürdigste Mann, den ich in meinem so viel bewegten Leben bisher kennen gelernt habe,“ erwiderte der Andere. „Wenn wir nicht in einer so aufgeklärten Zeit lebten, könnte ich leicht auf den Gedanken gerathen, daß Sie ein allmächtiger Zauberer seien, wie es früher fo Viele gegeben haben soll.“
    „Es ging Alles auf ganz natürlichem Wege zu, nein Herr. Ich fand Sie bei einem Ritte durch bie Lookingglass-Prairie auf jener Stelle liegen und brachte Sie nach Shelville, wo ich Sie mit Beihulfe einiger von Ihren Bekannten bald wieder auf die Beine gebracht. Ihre Stute Lydia, die Sie verbrannt glaubten, war bereits zwei Tage vorher daselbst angekommen. Ihre Freunde in Shelville haben sie gleich erkannt und da sie ohne Sie, mit einem Geldgurt im Maule, ankam

 

- 77 -

so fürchtete man, es möchte Ihnen etwas zugestoßen sein, weiß halb sich Einige von ihnen gleich nach Ihrem Settlement auf machten. Als sie aber da erfuhren, daß Sie mit einem fremden Manne nach Shelville geritten seien, so suchten sie in der Prairie nach Ihnen, ohne Sie natürlich zu finden. Daß es mir beschieden war, Sie zu retten, beruht auf dem nemlichen Zufall, als das Auffinden des Mörders, zu dem ich Sie gleich führen werde.“
    „Aber, woher wissen Sie, daß dieser Ungar mein Mörder ist? Das ist mir noch immer ein unauflösbares Räthel.“
    „Kümmern Sie sich jetzt nicht weiter darum, sondern treten Sie in den Salon, wenn ich Sie rufe. Er wird uns entwischen, aber wir werden ihn wieder in unsere Hände bekommen. Die Polizei soll mit ihn. Nichts zu schassen haben -- das Ende vom Lied wurde dann doch nur ein bloßes Hängen sein und der Strick ist für dieses Ungeheuer auch keine Strafe, Es soll ihm etwas ganz anderes widerfahren. Noch keines Menschen Kopf hat die Strafe, die ich für ihn bestimmt, erdacht, auch wird dieser ungarische Graf der Erste und Letzte sein, an dem sie vollzogen wird.“
    „Was ist das für eine Strafe?“ frug der Pedlar Cleveland, den wir jetzt erst so nennen dürfen.
    „Fragen Sie jetzt nicht weiter darnach, da Sie wahrscheinlich selbst zugegen sein werden, wenn er sie erleidet.“
    „Nun, so werde ich der Dinge harren, die da kommen sollen -- aber sagen Sie mir, mein Herr,wäre es nicht besser, wir ließen uns das Ungeheuer schon jetzt nicht entwichen; wer weiß, ob wir ihn je wieder in unsere Hände bekommen und dann, wenn er entwischt, er würde kein Mittel scheuen, um uns Beide aus dem Wege zu schassen. Wollen wir lieber hier abwarten, bis sich die Gesellschaft nach Hause begiebt -- dann sehen wir, wo er wohnt -- --“
    „Unterlassen Sie Ihre Einwendungen, mein Herr, seine Wohnung ist mir schon längst bekannt -- -- erweisen Sie mir die Gefälligkeit, pünktlich dem nachzukommen, was wir bereits auf dem Wege hieher besprochen haben --“
    „Sie könnten mich leicht zum Widerspruche reizen -- doch ich will Ihrem Wunsche nachkommen -- -- aber wundern soll es mich -- --“
    „Stille, mein Herr - - sehen Sie einmal da hinüber, dicht an der großen Weymouthskiefer! -- --“
    Als der Pedlar nach der bezeichneten Stelle hinblickte,

 

- 78 -

war er nahe daran, seine Ueberraschung in lauten Worten Kund zu geben. Aber Hiram legte ihm noch zur rechten Zeit die Hand aufden Mund, ihn zum Stillschweigen ermahnend. „Die Gesellschaft wird sich bald wieder in den großen Salon zurückziehen,“ sagte er sehr leise, „harren Sie bis dahin geduldig aus.“
    Der Pedlar hatte den Ungarn gesehen, der eben mit Miß Dudley Evans unter einer prächtigen Weymouthskiefer stand und sich ganz gegen eine gewohnte Weise sehr lebhaft unter hielt. Weiter ab gegen die andere Seite des Gartens zu huschten mehrere Schatten über die mit schneeweißen und feinen Muscheln bedeckten Gartenwege; einige von ihnen hingen sich an einander, andere wieder trennten sich, um sich beim Begegnen an einer breiteren Stelle aufAugenblicke wieder zu vereinen. Diese promenierenden Schatten waren das unbestrittene Eigenthum der Theilnehmer an der Party, die, wie wir wissen, zur Feier des Geburtstages der engelgleichen Tochter der Lady Stewart, auf heute veranstaltet war.
    Hier gingen der Prinz Paul von Würtemberg und die alte Schotten. Sie sprachen von der Mantis Religiosa und dem gelben Fieber.
    Dort schleppt der Capitain Marcy die alte Baronin Alma von Saint-Marie Eglise mit sich herum. Der Capitain erzählt ihr mit regem Eifer von seiner Red River Expedition. Da die alte Baronin immer mehr wissen will und sich mit den bereits gegebenen Daten nicht zufrieden giebt, so sieht sich der Capitain endlich genöthigt, seiner Dame den größten Humbug vorzuschwätzen.
    Anderwärts, durch eine Allee von niedrigen Figbananen, bleiben öfter stehen und gehen dann wieder einige Schritte langsam weiter: Comtesse Jenny und Claudine de Lesuire. Beide sind die Wittwen ein und desselben Mannes. Ihre Unterhaltung dreht sich nur um Blumen. Das Wort„Mann“ oder auch „mein Mann“ kommt nie aufs Tapet. Jenny zeigt sich für Jelängerjelieber, Claudine für Stiefmütterchen passiomirt. Keine kann der Andern Passion so recht begreifen.
    Dort oben auf dem Gipfel der hohen Lokustbäume geht der Mond spazieren
    Konstanze und Gertrude sitzen auf dem Marmorrande einer Windsor-Fontaine. Sie unterhalten sich von der bevorstehenden Fahrt über die Lake und gedenken in schmerzlichen Ausdrücken des verschwundenen Bruders, den sie so gerne zu;

 

- 79 -

den Eltern und Geschwistern mit hinüber nehmen möchten, um das Maß der Freude voll zu machen. Die armen Mädchen! Sie ahnen nicht, daß sie dazu auserkoren sind, ihren guten An gehörigen den bittern Kelch des Leidens zu kredenzen.
    Konstanze und Gertrude haben zwischen sich noch einen Platz leer gelassen. Er ist für die herrliche Blondine Frida. Die selbe hat sich, wie sie sagte, nur auf einen Augenblick entfernt. Wohin? Das weiß der liebe Gott. --
    So promenieren, stehen und sitzen die Schatten, um bald wieder insgesammt in den großen Salon zurückzukehren, hier noch einige leichte Erfrischungen zu sich zu nehmen und sich dann für heute Adieu zu sagen, denn eine Morning Party dauert nie länger, als bis neun oder zehn Uhr Abends,
    Vorgefahren sind bereits:
    Die Carriage der Baronin Alma von Saint Marie Eglise;
    Der Phaeton des Prinzen Paul von Württemberg und
    Der Staatswagen der Lady Evans Stewart, für Graf Lajos Est*** und die Gräfinnen Jenny und Frida bestimmt.
    Der Garten der alten Schottin hat, wie Jeder sehen kann, wenn er vorübergeht, wegen seines bedeutenden Umfanges, seiner vielen in phantastischen Gruppierungen hingeworfenen Gebüsche und hochanstrebenden Akazien, Cedern und Chinabäume genau das Ansehen eines Parkes. Das große Labyrinth von ganz schmalen Fußpfaden, die wieder von breiteren Gängen durchschnitten werden, birgt überraschende Ruheplätze in seinem dunklen, träumerischen Schooße, aus dem hier und dort, vermengt mit den Wohlgerüchen der Flora Louisianas, der Duft der Harze von einigen ausländischen Pinen emporsteigt. Hier, un solchen Stellen und in solcher Umgebung sollte man meinen, könnten sich nur Engel freuen, könnte sich nur wahre Liebe wohl und vielleicht auch glücklich fühlen. Nein, auch dem schofelsten Teufel dringt der frische Harzgeruch in's Mark und verführt ihn zu Ertravaganzen und Phantasiestücken, die er sich nimmer geträumt hätte. Und wenn diese duftende, träumerisch dunkle, mondlichtgestickte Umgebung im Stande ist, einen unwiderstehlichen Zauber auf die Liebesorgane eines schofeln Teufels auszuüben, um wie viel mehr muß dies nicht der Fall sein bei einem nobeln Teufel? Die Hyäne kann ein liebekranker, schwärmerischer Adonis werden -- unter Umständen. Ebenso kann ein nobler Teufel ein nobler Engel werden -- unter Umständen.

 

- 80 -

    Lajos ist in diesem Augenblicke, wo er mit Miß Dudley unter der Weymouthkiefer steht, so etwas Aehnliches geworden.
    Daß die Beiden stehen, ungeachtet sich ganz hart an ihnen eine superbe Bank befindet, beweist, daß sie eben erst an dieser Stelle angekommen waren. Durch einen großen, offenen Kranz von Akazienolättern, der durch das Ineinandergreifen und Ueberbiegen der Wipfel gebildet wird, wirft der Mond sein blendendes Licht herein. Sonst ist auch das kleinste Fleckchen rings umher in's tiefste Dunkel gebettet. Weiterhinaus über dieses Labyrinth von Bäumen und Buschwerk ist es im Garten fast wie heller Tag. Doch wir bannen unsere Feder an die eben genannte Stelle, an den hellen, dunkel umrahmten Akazienkranz.
    „Sehen Sie, Herr Graf -- hier ist mein Lieblingsplätz chen -- ohne daß wir es wollten, sind wir hier angelangt. Nicht wahr, wie schön und lieblich, so versteckt und so traulich -- nur dort, gegen die Umzäunung zu, blickt es etwas offen, aber auch diese Lichtung wird bald verschwinden und vom Dunkel besiegt werden, wenn einmal jene Jasminhecken mehr in einandergewachsen sind. Das bischen Himmel da oben, von wo eben mein guter, lieber Mond hereinsieht, ist gerade genug, um beständig an den Schöpfer dieses kleinen Paradieses zu denken.“
    „Mein Fräulein, diese Bank hier ladet uns ein, einige Minuten in Ihrem kleinen Paradiese zu verweilen.“
    Die Augen des Ungarn sahen bei diesen Worten mit sanfter Starrheit aufdie bluhweiße schöne Stirne seiner Dame.
    „Wie können Sie sagen, einige Minuten? Sagen Sie lieber die ganze Nacht,“ erwiederte Dudley in ihrer kindlichen Unbefangenheit.
    „In Ihrer Gegenwart, mein Fräulein, Monate, Jahre, ja mein ganzes Leben lang - aber allein, allein möchte ich wohl keine Minute hier verweilen. Ihr bischen Himmel, das dort oben hereinblickt und mit dem Sie schon zufrieden sind, kann mein Herz nicht ansfüllen. Ich befinde mich wohler in weiter, freier Umgebung, Angesichts des ganzen Himmels. Aber auch dieser wird mir oft zu eng. Es gibt Augenblicke für mich, wo ich mir wünschte, den Horizont über eine bestimmten Marken hinausrücken zu können, weit, unendlich weit hinaus, um mit einem Blicke den ganzen Erdball zu überschauen. Und wenn mir dies gewährt würde, triebe mich mein unersättliches Verlangen noch etwas weiter. Ich würde mir wünschen, mich

 

- 81 -

auf die Wendekreise schwingen zu können, daß sie unter der Wucht meiner Gedanken knarrend zusammenbrachen.“
    „Das ist nicht fromm gedacht, Herr Graf, wir müssen mit dem beschränkten Raume, in den uns die Weisheit des Schöpfers gesetzt hat, zufrieden sein. Dieser hochmüthige Geist unter den Menschen hat schon Vieles auf unserer schönen Erde verdorben.-
    „Sie haben Recht, mein Fräulein-aber wer zwingt uns Männer, einen so hohen Flug zu nehmen?“
    Als Dudley nichts erwiederte, fuhr der Ungar fort:
    „Die Frauen tragen die größte Schuld, daß wir Männer oft solche verwegene Gedanken in uns nähren und mit frevelnder Hand das Messer gegen den großen Geist des Universums zücken. Die Frauen könnten uns leicht zu Engeln machen, wenn sie nur wollten. Wir Männer sind geborene Widersacher und nur die Frauen sind im Stande, uns zur Demuth und Gotter gebenheit zurückzuführen -- --“
    Dudley hatte sich auf die Bank niedergelassen. Der Ungar hatte hinter ihr Platz genommen, indem er sich nachlässig über die Lehne neigte. Nur eine Spanne lang waren sie so von einander. Bei einer größeren Lebhaftigkeit des Gespräches konnten. Bei der Gesichter leicht zusammenkommen.
    „Ich verstehe Sie nicht ganz, Herr Graf, aber des unge achtet erschrecken Sie mich. Aber, mein Gott, was sollen wir Frauen denn thun, um die Männer vom Hochmuthe zu retten? Und wenn der Himmel wirklich diese Macht in unsere Hände gelegt hat, warum haben die Frauen bisher ihre Pflicht, alle Männer in Engel umzuwandeln, so sehr vernachlässigt?“
    „Weil die meisten am Hochmuth des Herzens, wie wir am Hochmuthe des Geistes, leiden,“ versetzte der Ungar in einem fast bekümmerten Tone. Er nahm aber dabei eine Spitze seines Schnurrbartes in den Mund und biß darauf.
    „Hochmuth des Herzens, Herr Graf? Kann das Herz auch hochmüthig sein?“
    „Gewiß, mein Fräulein. Ein Herz ist hochmüthig, wenn es sich selbst anbetet und sich stolz von andern Herzen ferne hält.“
    „Aber thun denn das die Frauen, Herr Graf?“ entgegnete Dudley und rückte bei diesen Worten, ohne daß sie es wollte, wirklich etwas näher an den Ungarn heran. Derselbe strich sich das blendende Mondlicht aus der Stirne und ließ eine langen rabenschwarzen Haare übers Gesicht hereinfallen.

 

- 82 -

Der Mond schien ihm nun auf den Hinterkopf, auf Nacken und Rücken. Eine Kröte, die ihm im selben Momente aufden Absatz eines seiner Schuhe sprang, stieß er mit dem andern ab, ohne niederzusehen, was es war.
    Draußen vor dem Gartengeländer sagte Hiram zum Pedlar Cleveland: „Haben Sie gesehen, wie er sich die Haare über's Gesicht fallen ließ. Und wissen Sie auch, weßhalb er dies that?“
    „Das ist sehr leicht zu beantworten, mein Herr: Er kann das Licht des Mondes nicht ertragen.“
    „Ein Vorgeschmack der Strafe, die er erleiden soll,“ bemerkte Hiram.
    Der Pedlar sah ihn mit großen Augen an, fragte aber jetzt nicht weiter, denn die Beiden unter dem Akazienkranz hat ten seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. --
    Dudley mußte diesmalziemlich lange auf die Beantwor tung ihrer Frage warten. Schon wollte sie ihre Frage wiederholen, als ihr der Ungar zuvorkam.
    „Mich schmerzt es, Ihnen die Wahrheit sagen zu müssen, mein Fräulein,“ sagte er. „Die Frauen verschließen so gerne das Heiligthum ihres Herzens und wenn sie uns je einmal den Eintritt in diesen geweihten Tempel gestatten, so zwingt sie ihr Hochmuth im nächsten Augenblicke schon wieder, uns mit der Geißel des Egoismus hinauszutreiben. So muffen und können wir Nichts anders, als Teufel werden --“
    „Herr Graf, Herr Graf! Sprechen Sie nicht so vermessen -- denken Sie an. Den,der über uns thront und solche Reden nur mit Schmerzen wahrnimmt.--“
    Stillschweigen auf beiden Seiten. Das Mondlicht leckte begierig auf dem Rücken des über die Lehne gebeugten Mannes herum und sprang manchmal auf das Profil Dudley’s uber, in dem Maße, als sich dasselbe bald hieher bald dorthin bewegte. Ihre rechte Hand lag auf der Lehne, unter dem Gesichte des Ungarn.
    Stillschweigen auf beiden Seiten -- bis Dudley ihre Hand zurückzog und mit dem ängstlichen Ausrufe: „Aber, mein Gott, Herr Graf, Sie weinen?“ dem Ungarn verwirrt in's Gesicht blickte.
    Thränen waren auf Dudleys Hand gefallen; deshalb hat sie dieselbe so schnell zurückgezogen.
    Weinte der Ungar wirklich? Und wenn er weinte, dieser Mensch? -- -- -- Die ersten Thränen in seinem Leben -- --

 

- 83 -

    Der Autor steht hier vor einem furchtbaren Abgrunde. Nur noch einen Federzug weiter und er sähe Engel und Teufel verkuppelt durch das infamste Naturspiel, das sich noch je auf solchem Terrain ereignet hat. --
    Draußen vor dem Gartengeländer hatten sich Hiram und der Pedlar Cleveland umgekehrt, indem sie sich mit dem Rücken gegen die Latten stemmten.
    „Zum großen Glücke stirbt sie am gelben Fieber,“ sagte der Erstere.
    Der Pedlar Cleveland legte seine Arme in einander und schauderte: „Machen Sie mit dem Kerl, was Sie wollen. Ich will. Nichts mit ihm zu schaffen haben -- -- er wäre im Stande -- --“
    „Sie gehen mit in den Salon, wenn die Gesellschaft den Garten verläßt - ich muß Sie mithaben,“ versetzte Hiram in einem Tone, der den Pedlar noch vollkommen außer alle Fassung brachte.
    „Weßhalb soll ich mitgehen, da er uns doch entwischen wird, wie Sie selbst vorhin bemerkten?“
    „Gut, dann sollen Sie Einer der ersten sein, die die Pest hinwürgen wird.“
    „Mein Herr, ich fange an, mich vor Ihnen zu fürchten -- --“
    „Sie können Ihr Leben nur retten, wenn Sie mitkommen. Ihr Erscheinen im Salon der Lady Stewart ist nöthig, um eine Scene herbeizuführen, die zwei schöne Frauen von den Zerwürfnissen ihrer Herzen befreien soll.
    Der Pedlar schüttelte bedenklich den Kopf, doch verspreach er jetzt, zu gehorchen. -
______________________

    Warum haben Ihn nicht die breittalzigen Aleste der Weyhmouthskiefer niedergeschlagen? Warum hat Ihm der Locustbaum mit seinem scharfen Riesendorn nicht die Augen durchstochen, als Er den Garten verließ? Kann denn die Natur ein solches Verbrechen auch nur einen Augenblick ungestraft hingehen lassen? Und Ihr Blumen. Alle, Ihr Rosen und Magnolienblüthen, habt auch Ihr so alle Scham verloren, daß Ihr nicht einmal Eure Kelche schloßet, als Er an Euch

 

- 84 -

vorbeischlich! Und Ihr gepanzerte Ritter der Flora Louisianas, Ihr trotzigen, sattelfesten Cacteen -warum habt Ihr nicht Eure scharfen Speere nach seinem Gehirn gesandt, als Ihr Ihn daherkommen sahet? In der alten Griechenzeit wäre Angesichts eines solchen Verbrechens aus jedem Blatte eine Erinnye entstanden und hätte den Mörder zu Tode gepeitscht, Zeus hätte auf ihn eine Donner und Blitze gesandt oder er hätte ihn an einen Grabstein geschmiedet, um ihm vom Spottvogel des Gewissens die verruchte Leber wegpicken zu lassen -- und Flora? Sie hätte heiße Thränen vergoffen und all' ihren Kindern befohlen, Trauergewänder anzulegen um die dahinge gangene Lilie Dudley. So etwas geschieht heut zu Tage nicht mehr. Der moderne Jupiter ist ohnmächtig geworden und Flora hat alle Scham verloren. Eine merkwürdige Zeit das!
    Doch halt -- der Mond,der Mond! Was haben Er und Hiram beschlossen?
    Das werden wir später noch erfahren.-
    Im großen Salon der Lady Stewart war man eben von einer großen Verwirrung wieder zu einer gemäßigten Stimmung gelangt. Dudley, die, wie man sich nemlich sagte, ander Seite des Ungarn während ihres Spazierganges im Garten plötzlich ohnmächtig niedergefallen “man zu Bette gebracht und ihr Constanze und Gertrude, die es sich durchaus nicht nehmen ließen bei ihrer Freundin zu bleiben, hinterlassen. Der Prinz von Würtemberg war, ohne ein Wort zu sagen, in seinen Phaëton gestiegen -- wahrscheinlich, um in eigener Person sich nach einem Arzte umzusehen. Wenigstens konnte sich die Gesellschaft im Salon sein so plötzliches Verschwinden nicht anders erklären. Die alte Schottin, die sonst äußerst besorgt war um das Wohl ihres einzigen Kindes, hatte, als sie dasselbe unter der guten Obhut von Constanzen und Gertruden wußte, gleich wieder ihre Pflichten, die ihr die Gegenwart der werthen Gäste auferlegte, aufgenommen. Sie selbst hielt den Zustand Dudley's für eine jener leichten, gefahrlosen Ohn machten, wie die Mädchen von solcher Sensibilität und in solchen Jahren gar oft unterworfen sind. Deßungeachtet hielt sie sich jetzt gerne bei dem Gedanken auf, daß der Prinz nur deßhalb so schnell weggefahren sei, um bald wieder mit einem Arzte zurückzukommen. Ueberdies nahte die Party bereits ihrem Ende. Geschäftig liefen die schwarzen Domestiken aus und ein und -präsentierten auf schweren silbernen Tellern da

 

- 85 -

letzte Defert. Einige von ihnen standen auch hinter den Stuhlen und zu beiden Seiten des Sopha's, um mit großen Fächern die Musquitoes abzuwehren, die das intensive Licht von drei Lustres zu Tausenden vom Garten herein durch die breiten offenen Thüren in den Salon gelockt hatte. Musquitoes dürfen bei einer Party nie fehlen; denn sie haben das Gute für sich, daß, wenn die Conversation in's Stocken gerathen sollte, es doch noch immer sehr lebhaft und unterhaltend hergeht. --
    Die Gesellschaft hatte ihre früher eingenommenen Plätze wieder in Anspruch genommen. Nur blieben die des Prinzen und der drei Mädchen vacant. Dadurch kam der Ungar neben Frida zu sitzen. Er sah so gleichgültig und kühl, daß ihn sogar die alte Schottin zu necken anfing,
    „Ihr Männer seid unergründlich, wie die Tiefen des Oceans,“ sagte sie, zu demselben gewandt. „Man sollte glauben, Herr Graf, Sie wären der indolenteste Mann von der Welt.“
    „Sie thäten mir Unrecht, Madame, wenn Sie je daran zweifeln wurden. Ich fühle von Tag zu Tag mehr, daß mich jedwedes Interesse verläßt und ich taugte viel eher in die Gesellschaft von Cretins, als in die von geistreichen Menschen, in der ich gegenwärtig die Ehre habe, zu verweilen.“ Er zog, indem er dies sprach, seine schwarzen Handschuhe an und machte dabei eine Miene, die deutlich sagte: „Nun wird's bald, werden wir aufbrechen?“
    „Sie sprechen sonderbar, Herr Graf, so sonderbar, daß ich mir kaum getraue, gegen Sie aufrichtig zu sein.“
    Ein Neger trat ein und meldete, daß zwei Gentlemen im Wartezimmer seien, die Madame dringend ersuchten, ihnen zu gestatten, in den Salon kommen zu dürfen.
    „Das ist eine sehr ungewöhnliche Zeit, um Besuche anzunehmen,“ sagte Lady Stewart, zu ihren Gästen gewandt. Dann frug sie den Neger, wer die Herren seien,
    „Haben mir ihre Namen nicht gesagt, Madame,“ war die Antwort,
    „Sehr geheimnißvoll,“ bemerkte der Capitain Marcy.
    „Ein Tölpel von einem Neger,“ sagte die Baronin von Saint Marie leise zu ihrer Nichte Claudine, „der Mensch meldet Gäste an und fragt nicht einmal nach ihren Namen.“
    Zu Capitain Marcy wendete sich Gräfin Jenny:
    „Sie werden sehen, Herr Capitain, es ist niemand Anderer,

 

- 86 -

als der Prinz mit einem Arzte -- er macht gerne solche Spässe.“
    Den Neger schickte Lady Stewart wieder zurück, um nach den Namen der beiden Gentlemen zu fragen. Derselbe kam im Augenblicke wieder und meldete:
    „Uriah Hiram und Sam Cleveland!“
    Die alte Schottin schüttelte den Kopf und sagte in gedehntem Tone: „Uriah Hiram und Sam Cleveland? Mir gänzlich unbekannt.“
    „Das ist gewiß der Hiram mit der Mantis Religiosa,“ bemerkte Claudine de Lesuire.
    „Freveln Sie nicht, meine Baronesse,“ bemerkte der Capitain in scherzhafter Weise: „wer weiß, wer weiß?“
    Lady Stewart lächelte uber diese Bemerkung, fühlte sich jedoch gleich darauf wegen der Namensgleichheit des Gemeldeten mit dem Manne, der noch kurz vorher einen so reichhaltigen Stoff für die Conversation geboten hatte, unangenehm berührt. Das nemliche Gefühl beschlich die Baronin von Saint Marie und Gräfin Jenny.
    An Frida ging Alles ungehört vorüber. Ein stummer Wahnsinn, den die Gäste für tiefe Trauer halten, hatte ihren Geist bereits seit zwei Stunden in ganz andere Regionen getrieben.
    Der Ungar hatte entweder bei dem Namen Cleveland nicht recht Acht gegeben, oder der Neger sprach undeutlich; sonst hätte man gewiß auch beidem Nennen des Namens „Cleveland“ aus seinen Zügen eine wenn auch nur legere Unbehaglichkeit herauslesen können. Nur warf er spöttisch hin:
    „Schade, recht sehr Schade,daß die königliche Hoheit nicht hier ist, sie könnte den Uriah Hiram zu unserm Ergötzen auf der Stelle in Cagliostro Hiram verwandeln.“
    „Können wir die geheimnißvollen Gäste eintreten lassen?“ wandte sich die Schottin an die Gesellschaft und dann sich ganz besonders an den Capitain richtend, frug sie denselben:
    „Was meinen Sie hiezu, Capitain Marcy?“
    „Ich glaube, wir können es wagen,“ versetzte dieser lä chelnd: „hoffen wir, das Geheimniß möge sich in eine freudige Ueberraschung auflösen.“
    „Albernes Geschwätz von diesem AYankee,“ brummte der Ungar in seinen Bart. „Eckelhafte Umständlichkeiten!“
    „Die beiden Herren mögen eintreten!“ befahlLady Stewart dem Neger.

 

- 87 -

    Derselbe verließ den Salon. --
    Noch ehe der Neger die Genehmigung seiner Herrin über brachte, hatte Hiram im Wartezimmer zum Pedlar Cleveland gesagt:
    „Wenn man uns den Eintritt verweigern sollte, so gehen wir ohne Erlaubniß hinein. Im andern Falle bleiben Sie einstweilen hier, bis ich Sie rufe.
    „Begierig bin ich denn doch jetzt, wo das Alles hinaus will. Bringen Sie mich in eine bedenkliche Situation, so hoffe ich, werden Sie es wieder gut zu machen suchen,“ entgegnete der Pedlar, der sich noch nicht recht klar war, ob er Hiram für einen gewöhnlichen Schwarzkünstler oder ein mit übernatürlichen Fähigkeiten begabtes Wesen halten solle. Am meisten wäre er zufrieden gestellt gewesen, wenn der geheimnisvolle Mann mit ihm das Haus der alten Schottin gleich wieder verlassen hätte; denn es schauderte ihn schon bei dem bloßen Gedanken, dem Ungarn nahe zu kommen. Seit ihm Hiram durch das Gartengeländer die schreckliche Seene unter der Weymouthskiefer sehen ließ, fürchtete er sich über alle Maßen vor seinem Mörder, den er jetzt gerne hätte ungeschoren lassen wollen. -- Als nun der Neger die Antwort der Lady Stewart überbrachte, so machte Hiram den erstaunten und geängstigten Pedlar noch einmal darauf aufmerksam, ja nicht eher zu erscheinen, als bis er ihn riefe.
    Als der Neger Hiram allein das Wartezimmer verlassen sah, sagte er zum Pedlar:
    „Mylady wünscht. Beide Gentlemen zu sprechen.“
    „Weiß schon,“ antwortete der Pedlar und ließ sich in einen Schaukelstuhl nieder.
    Der Neger, dem dieses Benehmen sehr sonderbar vorkam und dessen Verdacht durch die im Salon laut gewordenen Bedenklichkeiten noch mehr gesteigert wurde, verließ zwar das Wartezimmer, ließ aber vom anstoßenden Servant Closet aus den Herrn im Schaukelstuhle keinen Augenblick aus den Augen.
    Als Hiram in den großen Salon trat, erhoben sich Alle, mit Ausnahme des Ungarn, der auf noble Art in seinem Fauteuil mehr lag, als saß, unwillkürlich mit halber Verbeugungvon ihren Sitzen.
    So sehr imponierte der Unbekannte.
    Lady Evans Stewart verließ ihren Platz auf dem Sopha

 

- 88 -

und ging demselben entgegen, ihn mit fragender Begrüßung zum Niedersitzen einladend.
    „Mein Name ist Uriah Hiram, Madame.“
    „Und Sie wünschen?“ -- -- --
    Dabei ließ sie sich wieder aufdas Sopha nieder. Neben ihr der Ankömmling. Derselbe saß nun auf derselben Stelle, die der Prinz von Würtemberg eingenommen hatte.
    „Ich habe mir die Freiheit genommen --“ '
    „Ganz gut, mein Herr -- --“
    „Auf meiner Reise durch die berühmte Stadt New-Orleans die Residence von Ludy Evans, aus dem so hochberühmten Geschlecht der Stewart -- --“
    „Sehr schmeichelhaft, mein Herr,“ unterbrach ihn die alte Schottin, indem sie dabei ihren Kopf noch etwas mehr erhob.
    Die Augen des Ungarn schwirrten wie zweigroße Leuchtkäfer um die riesige abgemagerte Gestalt des Ankömmlings. Bald setzten sie sich auf die bleiche, gewaltige Stirne Hiram's und schienen von da herab seine ganze Gestalt zu messen, bald surrten sie durch die gebleichten Haare und jetzt glotzten sie ihm wieder starr in die Augen.
    Wollen wir dem Leser so schnell als möglich dieses Leuchtkäferspiel interpretieren.
    Gleich bei dem Erscheinen Hiram’s wurde es dem Gehirne des Ungarn so übel, daß es sich übergeben mußte. Obwohl Hiram, wie man weiß, weder die grünen Augengläser, noch den langen französischen Colonistenmantel trug, so glaubte der scharfe Blick des Ungarn doch den Mann zu erkennen, der ihn damals in jenem Café in Chartresstreet beim Dominospiel so sehr blamiert und was die Hauptsache war, in seinem Studirzimmer über die Nichtigkeit des Mühlenschatzes zuerst aufgeklärt hatte. Was bei dieser Erkenntniß in dem Ungarn herangereift, welcher Entschluß in ihm gar geworden, wie er sein Benehmen dem geheimnißvollen Besuch gegenüber bemaß -- das lassen wir in der Teufelslache liegen, die sein Gehirn vomirt hat.
    „Das ist aber nur Einer,“ sagte Claudine kaum hörbar zu ihrer Tante. „Es haben sich doch Zwei anmelden lassen.“ So meinte die Baronin von Saint Marie ebenfalls.
    „-- -- -- Die Residence von Lady Evans, aus dem so hochberühmten Geschlechte der Stewart in Augenschein zu nehmen und mir bei dieser Gelegenheit die Erlaubniß zu erbitten, Lady Evans Stewart selbst sehen zu dürfen,“ fuhr der Alte

 

- 89 -

fort und ließ, während er dies sprach, deutlich die Manieren Monseigneurs hervortreten,
    Die alte Schottin erwiederte:
    „Sie mögen wohl nicht aus diesem Lande sein, mein Herr, Ihre Manieren, sowie überhaupt Ihr ganzes Ensemble erinnert mich unwillkürlich an die Portraits der alten Maltheter Ritter, wie sie uns der Pinsel eines venetianischen Malers so treu aufbewahrt hat.“
    Lady Stewart, frappiert durch die übergroße Feinheit Hiram's, wollte in ihrem Benehmen gegen ihn auch nicht zuruckbleiben, und um den Stand und die Herkunft Hiranus, den sie auf ein so galantes Betragen von seiner Seite aus nicht auf direktem Wege erfragen wollte, so schnell als möglich zu erforchen, hatte sie den Vergleich mit den Portraits der Maltheser aufs Tapet gebracht.
    Hiram hatte diesen Wink wohl verstanden,
    „Es gab Zeiten für mich,“ sagte er, „wo ich einem Maltheser sehr ähnlich sah. Das Calatrava Kreuz schimmerte einst auf meiner linken Brust -- --“
    Ein unaussprechliches Gefühl bemächtigte sich bei diesen Worten Hiram's der alten Schottin. Wer weiß, wie es kam, sie mußte plötzlich in allem Ernte an den Hiram denken, von dem man sich noch kurz vorher so lebhaft unterhalten hatte, Der Capitain dachte dasselbe. Der Ungar glaubte nur seinen Mann vor sich zu sehen. Daß derselbe aber mit dem Hiram Cagliostro identisch sein könnte, das fiel ihm nicht bei. --
    „Calatrava Ordensritter “ rief die alte Schottin verwun dert aus, „das Calatrava Ordenskreuz liegt ja schon seit hundert Jahren in der Gruft.“
    „Fast hundert Jahre,“ entgegnete Hiram: „Als Louisiana im Jahre 1763 an die spanische Krone kam, segelte ein Calatrava Ritter nach New-Orleans, um ener Verfolgung in seinem Vaterlande zu entgehen. Er war zugleich der Letzte seines Ordens.“
    „Und er hieß?“ frug Lady Stewart.
    „Uriah Hiram,“ versetzte der geheimnisvolle Alte mit fester Stimme. „Ich war damals ungefähr hundert und sechzig Jahre alt.“
    „Aber, mein Herr -- ich weiß nicht -- -- aber, entschuldigen Sie -- -- ich setze durchaus keine Zweifel in die Richtigkeit Ihrer Aussage -- -- aber -- wie ist es möglich --?“ frug Lady Stewart ganz verwirrt durcheinander, denn sie

 

- 90 -

glaubte jetzt ganz bestimmt den Hiram mit der Mantis Religiosa vor sich zu haben. Eine namenlose Angst schnürte ihr die Brust zusammen.
    Das Gehirn des Ungarn vomirte noch immer. Der Capitain schob eine rechte Hand vorn in seine Uniform und drückte sie ans Herz. So entschloffen, unternehmend und unerschrocken dieser Militair auch war, so fühlte er sich jetzt doch ziemlich beengt. Die Andern, außer Frida, staunten nur so über die Worte des Alten.
    „Er war also im Jahre 1763 schon hundert und sechszig Jahre alt?“ calculirte die Baronin von Saint Marie bei sich. Jenny that das Nemliche und sah dem Alten unverwandt in's Gesicht.
    Claudine de Lesuire fürchtete sich. --
    „Lady Stewart,“ fuhr Hiram fort, „Sie entschuldigen, aber Sie haben es selber provociert, etwas Näheres über meinen Stand und meine Herkunft zu erfahren.“
    „Mein Herr, ganz nach Ihrem Befinden,“ versetzte die so Angeredete sehr verwirrt.
    „Die nemliche Ursache, die mich aus Spanien trieb, hatte mich auch genöthigt, aus New-Orleans zu flüchten. -- --“
    Keine Lippe bewegte sich, aber desto mehr sprachen die Augen der Anwesenden.
    „Der damalige Inquisitionshof hätte mich zum Tode verurtheilt -- doch glücklicher Weise verstand ich die Kunst, mich ihm unsichtbar zu machen und meinen Geburtsort, die Quellen des rothen Flusses, glücklich zu erreichen.“
    Der Capitain Marcy wurde todtenbleich im ganzen Gesichte. Auch die alte Schottin verfärbte sich und schien alle Geistesgegenwart verloren zu haben -- von der Baronin von Saint Marie, Claudine de Lesuire und Gräfin Jenny gar nicht zu reden. Nur der Ungar war plötzlich ein ganz Anderer -- memlich ein forscher Kerl geworden.
    Sein Gehirn hörte auf, sich zu übergeben und wurde mit Einemmal total reconvalescent. Es säuberte sich durch folgen den logischen Schluß: Die grane Bestie hat gesagt, sie hätte sich unsichtbar gemacht - eine solche Behauptung muß jeder vernünftige Mensch für eine grandiose Aufschneiderei halten; wer sich solche Aufschneidereien zu Schulden kommen läßt, ist offenbar ein Charlatan, Charlatane aber sind Lügner -- ergo habe ich mich vor dieser grauen Beste nicht zu fürchten.
    Dieser Schluß des Ungarn war an und für sich ganz richtig.

 

- 91 -

Vor einem Lügner brauchte er sich nicht zu fürchten; nur lag auch das Dilemma für ihn vor, ob dieser Schluß auch auf Hiram angewendet werden durfte. -- --
    Wir wissen es, daß Hiram die unverhüllte Wahrheit gesprochen, als er behauptete, er hätte die Kunst verstanden, sich dem Inquisitionshofe unsichtbar zu machen. Dafür zeugt das von uns bereits erwähnte Dokument hinlänglich,
    Lady Stewart und Capitain Marcy wußten es nur zu gut, daß sich die Sache genau so verhielt, als sie Hiram vorgetragen hatte. --
    „Aber -- aber, mein Herr -- -- -- weshalb hat man Sie denn damals vor die Inquisitionscourt gebracht?“ frug Lady Stewart mit zitternder Stimme, und nur deshalb, weil sie einsah, daß sie doch. Etwas sagen müsse.
    „Weil man mich für einen böswilligen Zauberer hielt,“ sagte Hiram kurz
    „Das ist nicht möglich,“ versetzte die alte Schottin mechanich.
    „Warum nicht?“ warf der Ungar mit der leichtfertigten Nonchalance hin. Dann sagte er mit frecher Stirne, seinen Blick keck auf Hiran gerichtet: „Wir würden Sie gewiß nicht gerichtlich belangen, wenn Sie uns einige Pröbchen von Ihren Zauberkünsten vorlegten -- -- nur dürfte natürlicher Weise nichts Böswilliges darunter sein,“ fügte er mit spöttischer Miene bei.
    Hiram sah ihn gar nicht an, sondern sagte zu Lady Ste wart:
    „Madame, wenn Sie mir die Erlaubniß ertheilen, die Feier dieses Tages mit einigen interessanten Vorstellungen zu beschließen -- -- --“
    „Vorstellungen! Mit welchen Vorstellungen?“ fiel Lady Stewart ein.
    „Wandbilder -- Copien, Tableaur, Polychromen, wie Sie es nennen wollen.“
    „Der Kerl ist wirklich ein Charlatan, dachte sich der Ungar: „zum Teufel aber auch, es kann doch sehr leicht möglich sein, daß dieser Charlatan doch nicht die graue Bestie ist, die mich schon ein Paarmal chicanirt hat- aber eine gewisse Aehnlichkeit läßt sich doch nicht absprechen. Bock geschossen, Teufel Lajos, "hast schon wieder Gespenster gesehen.“
    „Auch der Capitain Marcy war nicht mehr so perplex. les Humbug!“, dachte er unser Geist war schon außer

 

- 92 -

regt, ehe Er kam -- kein Wunder, daß man sich jetzt so dumme Dinge in den Kopf setzt -- hätten wir uns nicht den ganzen Nachmittag von so tollem Zeuge unterhalten, es wäre Keinem unter uns eingefallen, hier etwas Unheimliches zu wittern -- und jener Alte am Einflusse des Erache-Creek war vielleicht auch nur ein Spuck meiner Phantasie, die durch die Erzählungen jener beiden jungen Leute schon aufgeregt rär. Ein so heller Kopf, wie ich, der beste Mathematiker im Vereinigten Staaten Ingenieur-Corps, ein so abgehärteter Hunter von dem volllendetsten Guße,wie Ich -- nein, nein, es ist sehr ärgerlich, daß man sich so dupiren lassen kann.“ So die Gedanken des Capitains. --
    Hiram hatte sich schon von seinem Sitze auf dem Sopha erhoben.
    „Mein Herr,“ sagte die alte Schottin kleinlaut: „Ein werther Gast hat sich auf kurze Zeit entfernt -- -- wollten Sie Ihre Vorstellungen nicht aufschieben, bis er wieder zurück kömmt.“ Lady Stewart hatte nemlich, ohne daß sie es eigentlich wollte, bejahend zugenickt, als sie Hiram um Erlaubniß bat, seine Vorstellungen geben zu dürfen.
    „Sie meinen doch den Prinzen von Würtemberg?“ frug Hiram mit bestimmter Betonung,
    „Ja,“ antwortete die alte Schottin verwundert.
    „Der wird wohl nicht mehr zurückkommen,“ fuhr Hiram fort. „Ich weiß, eine Absicht war, nach einem Arzte zu fahren. -- --“
    Es ist zwar nicht sein, wenn man so sagt, aber der Autor muß bei der Wahrheit bleiben - Alles riß die Mäuler auf, als Hiram vom Prinzen und von dessen Intention wußte.
    Es trat eine sehr peinliche Pause ein. Dann stand der Urgar plötzlich auf und fagte, nach der Stelle hingewandt, wo die alte Schottin saß:
    „Finden Sie es ungezogen, Madame, wenn ich Sie ersuche, nur einen Augenblick mit mir auf die Seite zu treten?“
    In einem andern Momente, als dem gegenwärtigen, würde Lady Stewart dem Ungarn auf eine solche Rohheit hin tüchtig die Leviten gelesen haben. Jetzt aber war sie herzlich froh uber diese ungeschliffene Bitte.
    „Durchaus nicht,“ erwiederte sie und erhob sich vom Sopha. Der Ungar trat mit ihr an eine der großen Glasthuren, die auf die Verandah hinausführen.

 

- 93 -

    „Etwas sehr Angelegentliches, Madame, und er machte mit der Hand eine Bewegung zur Verandah hinaus.
    Die Schottin that mechanisch, was er wollte. Sie standen jetzt. Beide draußen. Der Ungar lehnte sich über das eiserne Geländer, die Schottin desgleichen. Der Ungar brachte sein Gesicht ganz nahe an das ihrige und flüsterte:
    „Wir müssen sehr leise sprechen, Madame“
    „Ja,“ sagte die Schottin und so verwirrt war sie von dem bisher Vorgefallenen, daß sie glaubte, sie müsse. Alles zugeben, und Jegliches thun, was der Graf verlangte.
    „Es geht. Alles mit ganz natürlichen Dingen zu, Madame -- lassen wir dem Kerl seine Kunststücke machen und dann geben Sie mir die Erlaubniß, ihn zum Hause hinaus zu fuchteln -- --“
    „Herr Graf, ich bitte Sie, lassen Sie das -- man kann nicht wissen“ -- --
    „Man kann wohl wissen, Madame -- aber hören Sie, was ich Ihnen eigentlich sagen wollte : der Prinz von Wür temberg und der Capitain sind. Beide recht große Flegel -- --“
    „Ich bitte Sie -- --“
    „Lassen Sie mich, Madame, und hören Sie, was ich jetzt ganz bestimmt weiß: der Prinz und der Capitain haben uns diesen Menschen auf den Hals geschickt -- --“
    „Großer Gott, wie kommen Sie auf diesen Einfall, Herr Graf,“ unterbrach die Schottin den Ungarn mit bestürzter Miene.
    „Sie sprechen nicht leise genug, Madame.“
    „Ja -- ja doch, Herr Graf!“
    „Nun, so hören Sie : Daß der Capitain heute Nachmittag die Unterredung auf eine abenteuerliche Expedition und auf einen sogenannten Hiram hinuberspann, war eine zwischen ihm und dem Prinzen abgekartete Sache. Vorher hatten sie diesen Charlatan für sich gewonnen -- -- Sie verstehen mich?“
    „Ja, ja, ich glaube.“
    „Derselbe sollte auf ihr Geheiß heute Abend plötzlich erscheinen und sich unter dem Namen Hiram anmelden lassennun, Sie verstehen jetzt doch, Madame?“
    „Um uns Allen Furcht einzujagen?“
    „Natürlich.“
    „Das kann ich von dem Prinzen kaum glauben, daß er sich in meinem Hause einen solchen Scherz erlauben sollte --“

 

- 94 -

    „Warum nicht, die königlichen Hoheiten sind nicht viel besser, als andere Leute auch -- zuerst haben die Beiden durch ihre Zaubergeschichten unsere Phantasie erhitzt und jetzt lassen sie Ihn erscheinen -- das ist Alles!“
    Obwohl die Schottin dieses vermeintliche Sviel des Prinzen und des Capitains sehr verdroß, so heiterte sich ihr Gesicht doch sichtbar aufbei dem Gedanken, daß der anwesende Hiram nur ein verkappter Charlatan sein sollte, der von dem Prinzen gesandt sei, um die ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken zu jagen.
    „Dann war es auch kein Wunder, daß er wußte, daß ich den Prinzen zurückerwarte,“ aber sich besinnend, sagte sie: „wie wußte er, daß der Prinz nach einem Arzte? -- --“
    „Das wird wohl auch seine zu diesem Spuck gehörige Bewandtniß haben,Madame-wollen wir den Verlaufder Sache jetzt ruhig abwarten -- aber lassen wir uns nichts merken, wenn wir in den Salon treten, sondern thun wir, alsfürchteten wir uns wirklich.“
    „Ich bewundere Ihren Scharfsinn, Herr Graf, sagte Lady Stewart und wollte mit dem Ungarn eben die hohe Schwelle der Glasthüre überschreiten, als sie denselben beim Arme ergriff und ihn förmlich auf die Verandah wieder zurückzog.
    „Noch Etwas, Herr Graf, ehe wir diesen Platz verlassen, flüsterte die alte Schottin.
    „Nun, was denn?“ frug der Ungar im ruhigen, durchaus nicht neugierigen Tone.
    „Es sind aber dochZwei angemeldet und nur Einen haben wir bis jetzt zu sehen bekommen -- -- WPas soll denn das bedeuten, Herr Graf -- -- was glauben Sie denn?
    Der Ungar besann sich etwas, dann fruger:
    „Zwei? -- Doch, richtig, ich glaube michjetzt erinnern zu können, daß der Neger zwei Namen nannte -- -- wie war der Zweite ?“
    „Sam -- -- Sam -- -- nein, der Name ist mir jetzt wirklich entfallen -“
    „Der Name thut hier nichts zur Sache, Madame -- wollen wir unser Gedächtniß deßhalb nicht auf die Folter spannen -- -- aber, was ich glaube, dieser Zweite wird wohl der Prinz selbst sein -- --“
    „Ja, das kann sein,“ fiel Lady Stewart lebhaft ein, „vielleicht kommt er aus irgend einer Ecke als Geist verkleidet

 

- 95 -

hervorgekrochen, um uns noch mehr Furcht einzujagen -- nein, nein, das ist doch ein böses Spiel von dem Prinzen -- -- mir ist nur bange für meine werthen Gäste -- ein plötzlicher Schreck hat schon oft das Leben von Personen gefährdet, die sonst sehr besonnen und klug waren.“
    „Lassen Sie das gut sein, Madame, ich will schon zur rechten Zeit einschreiten,
    „Es würde mir zur großen Beruhigung gereichen, wenn ich mich auch hierin auf Ihren Scharfsinn und Ihre Geistes gegenwart verlassen könnte.“
    „Seien Sie vollkommen versichert, Madame!“ versetzte der Ungar mit großer Sicherheit.
    Lady Stewart, die, ehe sie mit dem Ungarn den Salon verließ, vor lauter Verwirrung nicht im Mindesten daran gedacht hatte, Hiram auch nur Ein Wort der Entschuldigung zu, kommen zu lassen, war jetzt, wo sie mit dem Ungarn wieder mitten unter die Gesellschaft trat, die Liebenswürdigkeit und Höflichkeit selbst. Natürlich meinen wir hier keine spießbürgerliche und subalterne Höflichkeit und Liebenswürdigkeit,
    Der Ungar flegelte sich gleich wieder in seinen Fauteuil und wäre der Tisch etwas näher gestanden, so hätte er wahrscheinlich auch seine Beine darauf gelegt. Daß er dies in allem Ernte im Sinne hatte, konnte man schon daraus ersehen, daß er seine Beine gegen den Tisch ausstreckte, um die Entfermung zu messen. Was man dazu gesagt, oder vielmehr was man nicht gesagt, sondern nur gedacht hätte, wenn er dieses Beimmanoeuvre wirklich ausgeführt, kann sich Jeder leicht denken.
    Hiram, der sich nach der Entfernung der Schottin aus dem Salon, auf's Sopha niedergelassen hatte, war jetzt wieder aufgestanden und hatte die Entschuldigungsgründe der Lady Stewart mit furzen aber sehr schönen Phrasen entgegengenommen.
    Das Benehmen der sich vorher noch so verwirrt zeigenden Schotten mußte. Alle aufs höchste frappieren. Daß sich Jeder dachte: „Was mögen Graf Lajos und Lady Stewart wohl für Geheimnisse gehabt haben?“ versteht sich von selbst.
    Lady Stewart sah auf ihre kleine, reich mit Rubinen und rosenfarbenen Brillanten verzierte Uhr und sagte zu Hiram:
    „Fünf Minuten auf zehn Uhr -- -- Seine kgl. Hoheit werden wohl jetzt schwerlich mehr zurückkehren -- -- Ihr guttiges

 

- 96 -

Anerbieten, mein Herr -- wir Alle werden Ihren Vorstellungen mit dem größten Interesse beiwohnen -- --“
    Diese Worte schienen auf die Anwesenden keinen gün stigen Eindruck zu machen. Das sah man deutlich an den langen Gesichtern. Viel lieber hätte man gehört, wenn Lady Stewart den Alten auf eine feine Weise versichert hätte, daß er hier sehr lästig sei.
    „Das Weib könnt' ich heirathen -- macht ihre Sachen magnifique,“ sagte sich der Ungar. Dann neigte er sich nach der Seite hin, wo Frida saß und sagte zu ihr ziemlich leise:
    „Du sprichst ja heute kein Wort, mein gutes Kind -- so stumm, wo so wichtige Dinge vor sich gehen -- sag', wie gefällt Dir unser Calatrava Ritter? -- --“
    „Mein Lajos, das war nicht schön von Dir -- wo hast Du meinen Lajos hingebracht, wenn Du es nicht bist?“ Diese Worte sprach Frida sehr vernehmbar. Wären nicht alle Gedanken der Anwesenden auf Hiram conzentriert gewesen, so hät ten diese Worte sicherlich ein außergewöhnliches Erstaunen hervorgerufen; so aber hörte sie nur der Ungar.
    „Was sprichst Du da, mein Kind?“ sagte er: „Dich hat wohl unser Calatrava Ritter angesteckt? -- -- Albernes Gerede -- was soll denn das bedeuten?“ --
    Das Benehmen Frida's hätte Lajos gewiß zum Nachden ken gereizt, wenn seine Aufmerksamkeit nicht plötzlich an eine wunderbare Erscheinung gefesselt worden wäre. -- Aus Hiram's Händen, die er fest geschlossen hielt, zogen lange schmale Wolkenstreifen nach der Richtung der Salonthure zu, deren große Flügel in die Fugen zurückgeschoben waren und somit bisher den freien Hinausblick nicht gestört hatten. Jetzt aber hatten sich Wolken vor die Oeffnung gelagert und so förmlich eine weiße Wand gebildet. Zu gleicher Zeit verbreiteten sich die lieblichsten Wohlgerüche durch den ganzen Salon.
    Ein lautes Ah! war die erste Kundgebung des Erstaunens der anwesenden Gäste. Dann erfolgte auf einige Augenblicke das tiefste Stillschweigen, bis dasselbe wieder durch die verschiedenartigsten Ausdrucke der Ueberraschuuguud einer gespannten Aengstlichkeit unterbrochen wurde. Es waren nemlich plötzlich alle Lichter erloschen und man saß in dem wegen der geschlossenen Fenstervorhänge sehr geschwächten Mondscheine. Ware der Mond nicht gewesen, so hätte Keines das Andere erkannt; denn die schimmernde weiße Wolkenwand behielt ihre Hellung fur ach und strömte nicht das geringste Licht

 

- 97 -

aus. So muß die Beleuchtung beschassen sein, wenn man mit der Camera obscura manoeuvrieren will; denn eine solche, aber recht winzig kleine war es, die jetzt Hiram aus seiner Westentasche hervornahm und sich mit ihr der weißen, schimmernden Wolkenwand gegenüberstellte.
    War man noch kurz vorher durch das prachtvolle Wolkenspiel, noch mehr aber durch die Art und Weise, wie sich die Wolken in ihrem Hinziehen zur Salonthüre zur platten, weißen Wand firirten, in’s höchste Erstaunen versetzt worden -- von dem sogar Lady Stewart und der Ungar ungeachtet ihres auf der Verandah stattgefundenen Gespräches nicht frei blieben -- so konnte man jetzt, als man das Ding, das der unheimliche Zauberer hervorzog, als eine Camera erkannte, deutlich bemerken, daß Einige von der Gesellschaft sich alle Mühe gaben, ein aufsteigendes Lachen zu unterdrücken.
    „Das Ding kenne ich auch, flüsterte Claudine de Lesuire ihrer Tante zu, „das haben wir als Kinder öfter in Händen gehabt, nur war es größer, als das einige.“
    Das meinte die Baronin von Saint Marie auch, nur wollte ihr das sonderbare Wolkenspiel und das so unerwartete Ausgehen aller Lichter nicht so recht geheuer vorkommen,
    Der Ungar, der nun neben Lady Stewart auf dem Sopha saß, sagte zu derselben, indem er ganz nahe heranrückte:
    „Nun, hab' ich's Ihnen nicht gesagt? Ein ganz gewöhn licher Charlatan -- -- Kinderspiel mit der Camera -- -- was dem alten grauen Pinsel nur einfällt -- der Kerl thut so wichtig als wenn man so Etwas noch nie gesehen hätte -- habe große Lust, ihn jetzt schon zum Hause hinauszufuchteln -- --“
    „Das ist Alles recht, Herr Graf,“ zischelte die alte Schot tin, „aber die Wolken, dieser merkwürdige fast betäubende Ge ruch-dies schnelle Ausgehender Lichter, so plötzlich und ohne daß Jemand daran kam?“
    „Das ist Nichts, Madame -- -- diese Wohlgerüche, diese wolkigen Streifen -- das ist weiter nichts als Olibanum -- -- das hab ich in meinem Vaterlande von solchen Tausendkünstlern öfter und bei weitem besser gesehen -- -- das plötzliche Verli schen der Lichter? Pah! das können wir auch, wenn wir uns darauf vorbereiten, solchen Spuck zu treiben -- --“
    „Ich bin bereit“ unterbrach Hiram jetzt diese flüsternde Ruhe und versteckte Geschwätzigkeit. „Lady Evans Stewart, Sie haben mir erlaubt, die Feier dieses Tages mit der Vorfahrung

 

- 98 -

einiger Wandbilder, wie sie meine Kunst hervorzuzaubern im Stande ist, auf eine würdige Weise zu beschließen?“
    „Ja, ja, gewiß -- mein Herr!“ erwiederte die alte Schottin, aber mit geringerer Fassung, als wie sie sich vorgenommen oder zugetraut hatte.
    „Versprechen Sie mir, Madame nnd Sie Alle, wie Sie hier gegenwärtig sind, dem Verlaufe meiner Vorstellungen ohne die geringste Störung beizuwohnen, widrigenfalls -- --“
    „Mein Herr, wer Sie auch sein mögen,“ platzte der Ungar plötzlich heraus, „das ist eine impertinente Sprache! -- Es muß Ihnen genügen, daß Ihnen unsere verehrte Wirthin die Erlaubnis ertheilt hat, uns da Ihre Schwarzkünstlergeschichten vorzumachen, die übrigens jedes Kind versteht - ob wir Sie stören oder nicht, das geht Sie nichts an.“
    „Herr Graf, beruhigen Sie sich, ich bitte Sie, lassen Sie -- --“ sagte die alte Schottin, dann sah sie ängstlich auf Hiram, als erwarte sie einen bösartigen Conflict. Hiram aber schien sich um die Worte des Ungarn gar nicht zu bekümmern, sondern fuhr im pathetischen, aber nicht gewöhnlich pathetischen Tone fort:
    „Die Gesammtzahl der Bilder, wie ich sie Ihnen an jener Wand vorführen werde, beläuft sich nur auf fünf und ist in mein Portefeuille unter die Rubrik: „Geheimnisse von New-Orleans“ aufgenommen.“ -- -- --

Erstes Bild.

Die Verbuendeten in der Atchafalaya-
Bank.

[Hiram hat das erste Glas gezogen.]


    Das macht Newton's „De Quadratura curvarum“ zu Schanden. Das Bild, welches dort auf der weißen Wand aufblitzt, ist ein längliches Viereck, ein steinerner Coloß, von dem man im ersten Augenblicke nicht recht weiß, was man aus ihm machen soll. Deßungeachtet sieht man aber doch, daß es eine Metamorphose erleidet -- denn es bewegt sich; aber noch weiß man nicht, was aus ihm wird. Soll's ein Mausoläum werden, eine Pyramide oder ein phantastisches Standbild?. Das Letztere könnte es wohl werden; denn die geraden Linien werden zu Schlangen, aus den Quadraten schießen Curven, die

 

- 99 -

mit Einander ringen wie ehrgeizige Gladiatoren. Da schießt aus der eckigen Stirne des Coloffes ein Giebelfeld hervor, die Curven vereinigen, versöhnen sich, -- es werden Säulenschafte daraus, die Schafe bekommen Köpfe, Füße -- der Portikus ist fertig. "Aber so bleibt es nicht. Noch immer rühren sich die Säulen und scheinen eine neue Metamorphose zu erleben. Die Säulen bekommen Leben, warmes Leben -- Ist Deukalion wieder erstanden oder hat es Prometheus zum zweiten Male riskiert, bestraft zu werden? -- Sie sind Menschen jetzt diese Säulen -- nicht blonde oder rothhaarige -- keine Teutonen, keine Angeln, auch keine Romanen, keine Indier und keine Malaien -- es sind Aethiopier, schwärzer als die dunkelsten Gewitterwolken, die um die Gipfel des Atlas jagen und schöner als die Kinder Ophir's und der Elfenbeinküste. Es sind Männer und Weiber diese Säulen. Was ein Alcanthusblatt war, ist zum wolligen Haare geworden, die Schnecken wurden zu nährenden Brüsten und Eier und Stäbe zu einem unerschöpflichen Fond künftiger Macht und Größe. -- Dies Bild gehört der Zukunft, die Gegenwart hat nur die Atchafalaya Bank gesehen, Doch nicht alle wußten von Hiram und seinen Verbündeten, Nur Abigail, Sarah, der alte Cato, die beiden kleinen Kinder -- die beiden Weiber und Cato -- gutmüthig und sehr dankbar; sie können es ihrem Wohlthäter nie vergessen, daß er sie frei gemacht und bis zu ihrem Lebensende für ihre Eristenz gesorgt hat -- aber das ist nicht genug. Es fehlt ihnen das heilige Gefühl der Rache, in ihnen ist noch nie die Frage aufgetaucht: warum sollen wir alle in die von ihm Begünstigten sein -- Deßhalb hat Er, der Wohlthäter ihrer Race, Diana Robert geschickt -- sie wacht über die beiden Kleinen und belehrt sie in Seinem Sinne. Das ist im Innern der Atchafalaya Bank zu sehen. Dem Auge des oberflächlichen Beschauers erscheinen die „Verbündeten“ als ganz gewöhnliches Niggervolk -- sie sehen die gigantischen Säulenschafte mit den zürnenden Capitälernn nicht.
    (Die Gesellschaft hat sich bei diesem ersten Bild über alle Maßen ennuyirt, weil sie eben nur ein Bild sah und kein Symbol. Der Ungar soll sogar einige schlechte Witze darüber gemacht haben.)
    Auch in der Atchafalaya Bank war es, wo wir zuerst Sula getroffen haben - doch dies wird erst jetzt gezeigt, Remlich: - - - - - - - -

 

- 100 -

Zweites Bild.

Die Gehenkte, der Sohn der Gehenkten
und der Henker.

[Hiram hat das zweite Glas gezogen.]

    Die Emanationstheorie überwältigt die Undulationstheorie; denn von einer wellenartigen Fortpflanzung des Lichts ist hier gar keine Rede. Das kann man an der weißen Wolkenwand sehen, auch an dem, wie sich die Camera dabei benimmt. -- Cagliostro hat es verstanden, auf Goldplatten Lichtbilder zu fixieren -- diese Erfindung ging mit ihm verloren. Kein Daguerre macht es ihm nach Durch die wallenden Dünste des Olibanum ließ er seine Geschöpfe hingeistern und lachte und weinte mit ihnen. So hat Hiram die Mantis Religiosa auserkoren, die verloren gegangene Erfindung auf moderne Art zu modificiren. Seine Bilder sind gelungener und von brillanterem Farbenspiel. Da seht nur diesen wilden Volkshaufen, diese bestialischen nach Blut dürstenden Gesichter, wie sie das unglückliche schwangere Negerweib umkreisen, um es zur Schlachtbank zu führen -- so ohne alle Raison, blos auf die erhobene Anklage eines rabiaten Menschen hin. Dieser Kerl kommt aus dem Süden und hat sich selbst zum Henker angeboten. Wirklich, die Camera spielt vortrefflich. Wer kennt nicht auf den ersten Blick in diesem Gesichte den Sklavenzüchter Ira B.* aus Louisiana? Das Negerweib ist ihm nichts anders, als eine Wildsau, eine trächtige oder schwangere wie man bei Menschen sagen würde. Welche Heldenthat, O edler Ira! Du kannst Dich rühmen, ein Henker ohne Furcht und Tadel zu sein. -- --
    (Die Gesellschaft entsetzt sich über ein solches Bild -- nur der Ungar nicht, er meint, so Etwas vorzufuhren, wäre ganz unpassend und gehöre nicht in solche Gesellschaft. Man gibt sich jedoch drein und ist fest entschlossen, den Verlauf der Vorstellung abzuwarten.)
    Nun wird das unglückliche Negerweib -- Victoria „zur weißen Rose“ -- Mutter. Das Kind fällt mitten unter den Pöbelhaufen -- der souveräne Plebs schämt sich jetzt. Es ist der Katzenjammer des Lynchgerichtes.
    (Lady Stewart will Hiram befehlen, augenblicklich den

 

- 101 -

Salon zu verlassen -- aber ihre Worte er sterben auf den Lippen. Dann schließt sie die Augen und will nichts weiter sehen. Sonderbar, diese empörende Scene, diese gräßliche Niederkunft des Negerweibes macht das Blut in den Adern starren -- man ist empört über die grenzenlose Verwegenheit des Zauberers und doch erhebt man sich nicht. Nur der Ungar ballt die Fäuste und schwört bei sich: „Die alte graue Bestie soll's mir büßen!“)
    Der Pöbelhaufen, der Henker und die Gehenkte verschwinden. Allein auf der weißen Wolkenwand liegt das Kind Sula. Es wächst vor Aller Augen heran.
    (Diese Erscheinung dünkt der Gesellschaft weniger gräßlich -- aber dem Ungarn flimmert's um die Augen, das Leuchtkäferspiel beginnt von Neuem, sein Gehirn vomirt mehrere Male nach Einander, denn es hat Sulla erkannt.)
    Hallo, hallo -- was wirbeln um den Neger Sulla für schwarze Staubwolken auf, was spritzen jetzt für dunkle Tinten herum? Wird's wieder lebendig? Da -- Dame Merlina, bleiche Mestizen, Cholas, Zambas, Pale Chino's -- Pharis, Elma, Hyderilla!
    Puh! weggeflogen!

Drittes Bild,

Pantherweibchen und Huaene.

[Hiram hat das dritte Glas gezogen]

    Eine optische Täuschung ist hier nicht anzunehmen, im Gegentheil: veraars discendi methodum Fluxionum et Serierum infinitarum -- Eins, Zwei, Drei, Vier, Fünf, Sechs, Sieben doch halt, nicht weiter! Zu was nützt auch das ewige Zählen! Es ist genug zu sehen, daß es eine bedeutende Anzahl von Betten ist, die auf jener weißen Wolkenwand herumstehen. In diesen Betten streckt sich's, hopst, schnarcht, purzelt drunter und drüber -- sind lauter Katzen.
    (Der Ungar hält Hiram jetzt doch für etwas mehr, als einen gewöhnlichen Charlatan -- er sieht in ihm ganz sicher sein altes Gespenst, seine graue Bestie. Er erblickt das große Schlafgemach der Hamburger Mühle, wo einst die Pale-Chino-Zambo-Chola das Regiment führte. Doch freute es ihn gewissermaßen, daß der Zauberer so viel Diskretion besitzt

 

- 102 -

und nur Katzenvieh und keine Katzenmenscher vorführt. Doch die Köpfe, die Gesichter dieser Katzen? Doch, die bemerkt jetzt, noch Niemand von der ganzen Gesellschaft, sogar der Ungar noch nicht.)
    Wie gut der Zauberer seine Sachen macht! Wahrlich, nirgends eine vorzüglichere Camera! Durch das Schlafgemach springt ein weiblicher Panther. Bei einem Anblicke thun die Katzen, als schliefen sie. Jetzt öffnet sich die Thüre einer anstoßenden Piege. Wieder der Neger Sulla. Der Panther schlüpft in die Piege und schlägt mit seinen Tatzen die Thüre hinter sich zu,
    (Von der Gesellschaft denkt sich jetzt ein Jedes: was soll das bedeuten? Was thun die bei Einander in der Piege? Eine Thierin und ein Negermann? Nur der Ungar denkt nicht so.)
    Puh! Sulla und Panther sind nicht mehr da. Aber die vielen Betten mit den vielen Katzen darin und darauf, und darunter und darüber, und dazwischen und daneben, sieht man noch auf der weißen Wolkenwand.
    Aber da! Da schleicht eine Hyäne zur Salonthüre herein in das Katzenschlafgemach.
    (Das ist eine Hyäne! Die haben wir schon oft in Menagerien gesehen: so sagen bei sich die Zuschauer -- aber gleich werden sie sich noch etwas anderes dazu sagen.)
    Die Hyäne stellt sich jetzt en face und schaut der Gesell schaft gerade in's Gesicht. Die Hyäne hat den Kopf des Ungarn auf, sterbensbleich, hochgestirnt und langbehaart.
    (Das ist zu viel! ruft Lady Stewart aus: Mein Herr, genug mit Ihren Bildern! Dasselbe schreien die Andern nach -- nur der Ungar nicht, der jetzt weiß, wo das Bild hinaus will. Als er ein bleiches Conterfey auf dem häßlichen Hals der Hyäne erblickt, da fährt er doch zusammen -- er will aufschreien, aber er kann nicht. Aus seinem Fauteuil will er sich erheben, aber er kann nicht, er fühlt sich todtmüde. -- Kann denn Keines von Euch Allen den festen Entschlußfassen und den Kerl hinausschmeißen, der den Grafen so sehr beleidigt hat? Kann's der Graf denn nicht selber? So denkt sich ein Jedes und dabei scheint es auch zu bleiben. Die Mantis Religiosa zieht ihren Zauberkreis immer enger.)
    Wieder weg!

 

- 103 -

Viertes Bild,

Die Wahlverwandtschaften.

[Hiram hat das vierte Glas gezogen.]

    Eine ganz andere Welt nun. Kein Schwarzer läßt sich mehr sehen. Die Gegend ist Algiers -- aber das Bild zittert . noch zu sehr auf der weißen Wolkenwand. Wir müssen warten, bis es ganz ruhig geworden ist. O wie schön jetzt! Die blühende, zauberhafte Garten! Und was steht da mitten in, so traulich und heimlich versteckt hinter Oleandern, Magnolias, Orangebäumen und Chinatrees? Das wunderliebe äuschen ist's. Das wunderlieblichste von allen Häusern in Algiers. Und aus diesem Häuschen tritt jetzt ein schlanker blonder Fant, goldlockig und blauäugig. Schön wie der junge Tag -- nur ein kleines Bischen faniert -- und so nackt und alabasterweiß, wie unser Stiefbruder Apollo,
    (Emil, mein Emil! so ruft plötzlich eine Stimme aus der Gesellschaft, und der diese Stimme angehört, die erhebt sich von ihrem Sitze, streckt die Arme aus und will blindlings auf die trügerische weiße Wolkenwand zu stürzen. Heilige Jungfrau! ruft Lady Stewart aus, was ist mit Gräfin Jenny? -- Damn’d Fakir! -- schrillt es zwischen den Zähnen des Capitain Marcy hindurch: er ist's, der Hiram ... das ist der junge Mann, den er mir am Red River entführt hat. Jenny mußte auf halbem Wege wieder zurückweichen, denn das von der Wolkenwand abprallende Licht hätte sie fast blind gemacht. Sie wirft sich wieder zurück in den Fauteuil und klagt: mein Emil, mein armer, guter Emil !)
    Da verschwindet Emil in die dunklen Schatten eines Baumganges und aus dem Häuschen tritt jetzt ein anderer Mann und bleibt auf derselben Stelle stehen.
    (Mein Albert! ruft die nemliche Stimme, die vorher Emil geklagt hat und die, der diese Stimme angehört, erhebt sich von ihrem Sitze und will blindlings auf die weiße Wolkenwand zueilen. Aber auf halbem Wege mußte sie wieder zurückweichen; denn das Licht, das von der Wolkenwand abprallte, hätte sie fast blind gemacht. Sie wirft sich wieder zurück in ihren Fauteuil und ruft und klagt: mein guter, herzensguter Mann! -- Aber da muß man jetzt Claudine de Lesuire und die Baronin

 

- 104 -

von Saint Marie ansehen ... sie sind nonnenbleich geworden und zittern nur so vor Wuth.)
    Häuschen, 's wunderliebe Häuschen ist auf und davon geflogen ammt Garten, Emil und Albert.
    Die Scenerie changiert diesmal sehr schnell. Man hat wirklich viele Mühe, nachzukommen; kaum hat man Zeit, die Feder einzutunken.
    Toulouse Street? Apropos! Der dicke schwammige Mann mit der Guitarre unterm Arm -- ist das nicht der Büchsenspanner? Er ist's wie er leibt und lebt! -- -- Der Kerl ist jetzt wieder weg; doch das Haus, vor dem er gestanden hat, theilt sich jetzt auseinander. Der nemliche Mann liegt auf den Knieen vor einem wunderschönen Mädchen mit glänzendem, blauschwarzem Haar und großen herrlichen Antilopenaugen.
    (Meine Orleana! -- der häßliche Mensch! Orleana, Orleana! -- -- So schreit Claudine halb rasend auf und verbirgt ihren schönen Kopf in den Schooß ihrer alten Tante.)
    Puh! Weg, wie eine Feder, die ein Zugwind beim Bettenfüllen hinwegführt.
    Der Prinz von Würtemberg jetzt? Er sieht sehr bekümmert und leidend aus und hält ein kleines Kind auf einen Armen. Wo ist Gräfin Jenny? scheint er zu fragen. Und wenn er auf's Kind herabblickt, so sieht das so komisch aus, als wollte er zu dem kleinen Würmchen sagen: mein liebes Kind, wenn es Niemand weiß, so solltest es doch Du wenigstens wissen, wer eigentlich Dein Vater ist.-
    Fort sind sie die Wahlverwandtschaften!

Fünftes und letztes Bild.

Folgt. Wiedersehen.

[Hiram hat das fünfte und letzte Glas gezogen.]

     Pferdegetrampel -- ein Puhlten wie aus rotzigen Nüstern, ein Wiehern und zwischendurch eine wahre Höllenstimme, dann weint es wieder und schreit wie ein Mensch -- -- kommt Mazeppa dahergesaust? Das Glas ist bereits seit drei Minuten gezogen und noch immer sieht man Nichts auf der weißen Wolkenwand. Was ist's mit der Camera ? Läßt sie diesmal ihr Bild hören statt sehen?
    Jetzt kommen sie! Das gehörte Bild färbt sich, gestaltet

 

- 105 -

sich. -- Eine wüste, abscheuliche Gegend -- Man tritt auf lauter Pferdeschwänze und rotzige Nüstern, mitunter gleitet man auch aus von diesem glatten Schleimpflaster. Das klatscht, wie ein Regenguß auf die Cavalcade des wilden Jägers
    Hier sind sie! Dieser alte Gaul hat einen Arm im Maul. Die Gaulin ein Bein; den Fuß dieses Beins hat eben ein blutjunges Füllen abgerissen und wirft ihn in die Höhe und fängt ihn mit dem Maule wieder auf Trapp, trapp, hier kommen zwei andere Pferde, das Eine trägt zwei derbe Schenkel und das Andere einen Rückentheil -- dann folgen noch mehrere hintendrein mit Rumpf, Bauch und Herzen. Diese Glieder sind alle von ein und demselben Menschen? Freilich, Menschen.
    Doch Kopf -- läßt Du Dich denn nicht sehen? Fahrt Alle auseinander und macht ihr Platz, der Pferdin Lydia Prairiebrand! Die hat den Kopf. -- -- --
    Das ist ja der nemliche Kopf, der erst vorher auf dem häßlichen Hals der Hyäne saß, aber nicht mehr hochgestirnt und langbehaart -- Fast gar keine Stirne mehr, der Schädel so nackt wie ein Rattenschwanz, blutig über und über und was das Eckelhafteste ist, die klassende Narbe an der Wange. Was? Sind's zwei Köpfe? Nein, aber vier Augen. Aber die zwei Augen, die aus der klassenden Narbe hervortreten, sind unaus stehlich; denn sie greinen. Sie gehören dem Pedlar Cleveland.
    (Ein Schrei des Entsetzens, selbst Frida nicht ausgenommen, der eine fürchterliche Ironie in diesem Moment den so wohlthuenden Wahnsinn verscheucht hat. -- Der Ungar hat nicht geschrieen laut aufvor Entsetzen; er fährt mit seiner rechten Hand bedächtig in seine Rocktasche und da eben. Alles ganz todtenstill ist, so vernimmt man auch das versteckte Spannen eines Pistolenhahnes.) ...
    „J'ail'honneur..“ und Hiram verneigt sich. Hell brennen die Lichter im Salon wieder auf.
    „S'il vous plait, Monsieur Cleveland“ ruft Hiram zur Thüre hinaus und sich dann an den Ungarn wendend, deutete er auf den nun hastig hereintretenden Pedlar:
    „Herr Graf! -- Sam Cleveland aus Illinois!“
    *    *    *

    Der guten Jenny thut jetzt ihr Herz nicht mehr weh und der herrlichen Blondine Frida nicht mehr ihr Kopf; in jenes ist

 

- 106 -

ein scharfer Stahl gedrungen und diesen hat eine Pistolenkugel zerschmettert.
    Den nächsten Morgen nach der Hiramsnacht lagen die beiden Schwestern in Einem Sarge neben einander. Sie hatten sich dies im Leben so oft gewünscht. Constanze und ihr Schwesterchen. Gertrude, die von diesem ihrem Wunsche wußten, haben die beiden Schwestern eigenhändig neben Einander gebettet.
    Nur das Gesicht Jenny's liegt frei, das ihrer Schwester ist dicht verdeckt.
    Warum müssen sie nun so traurig todt beisammen liegen? Haben denn die Unglücklichen etwas verschuldet? -- --
    Da möchten so gerne die verschnittenen Hunde der Moral herbeiströmen und für ihr Gewerbegünstige Folgerungen ziehen. Diese Hunde, wenn man sie herein ließe, würden um das Todtenbett herumschnuppern und das Geklässe erheben:
    „Die Eine hat mit dem Herzen, die Andere mit dem Kopf gesündigt -- so mußte es kommen!“
    Wir aber sind dem Leser einige Andeutungen wegen der mysteriösen Vorkommniffe der vergangenen Nacht schuldig. --
    Fast im nemlichen Momente, als in der verwichenen Nacht der Pedlar Cleveland auf den Zuruf Hiram's in den Salon geeilt war, wurden Constanze und Gertrude, die, wie bereits früher erwähnt, bei der unwohl gewordenen Dudley zurückgeblieben waren, durch einen lauten Knall aufgeschreckt.
    „Da fiel ein Schuß, Gertrude,“ sagte Constanze und noch ehe dieselbe ihre Worte vollendet hatte, hörten sie einen zweiten und gleich darauf einen dritten Schuß.
    Dudley lag im Fieber und nicht von einer leichten Ohnmacht wieder zu sich gekommen, wie Lady Stewart und sogar Constanze und ihr Schwesterchen glaubten. Auch sie erhob sich erschreckt von ihrem Bette und rief:
    „Wo ist das Schießen? Seid Ihr noch da, Constanze und Gertrude?“
    „Sei ruhig, liebe Dudley! Wir sind ja bei Dir,“ erwiderten an die diese Frage gerichtet war, wie aus Einem Munde. Dann horchten sie.
    Sie hörten die schwarze Dienerschaft sich einander laut beim Namen rufen, ein hastiges Rennen Trepp auf und Trepp ab -- ein heftiges Zuschlagen von Thüren, dann ein eben so heftiges Wiederaufreißen und dazwischen fiel ein vierter Schuß, daß das ganze Haus von Oben bis Unten erzitterte.

 

- 107 -

    Das Schlafcabinet, in dem sich Dudley mit Constanze und Gertrude befand, lag in einem Seitenflügel der Stewartschen Residence, war von der Attika durch zwei breite Gänge mit Nebenclosets getrennt und somit ziemlich weit von dem Salon, in dem wir Hiram eine Wandbilder vorführen sahen, entfernt. Deßungeachtet erzitterte auch dieser Theil der Residence von dem letzten Schuße.
    Constanze eilte auf die Thüre zu, öffnete sie jedoch nur wenig, als fürchtete sie sich, hinauszutreten.
    „Geh' nicht fort, Constanze,“ bat Dudley, die glaubte, Ihre Freundin wolle sich entfernen.
    „Was das nur sein mag,“ sagte Gertrude im ängstlichen Tone und legte dabei ihr blondes Köpfchen auf das Kopfkissen Dudley's.
    „Ist's bei uns, Constanze!“ frug Dudley und sie sank wieder zurück in die Kissen.
    „Du hast Fieber, gute liebe Dudley,“ meinte Gertrude, die mit ihren bloßen Aermchen an die glühende Wange ihrer Freundin gekommen war.
    „Ich glaube, Gertrabe, es muß Fieber sein. Wo bin ich denn? Seid Ihr noch da!“ rief dann Dudley plötzlich.
    „Dudley, meine gute Dudley! -- -- Constanze komm' doch her, sieh' mal Dudley“ bat das gute Kind, „wie sie das Fieber hat!“
    Dort drüben, unter der Attika, war es mit Einemmale wieder ganz ruhig, todtenstille geworden. Constanze schloß die Thure wieder, und, ohne daß sie es eigentlich wollte, schob die den doppelten Riegel vor.
    „Das muß wo anders gewesen sein,“ sagte sie dann, „doch, war mir's eben, als ob ich ganz deutlich die Stimmen der Dienerschaft vernahm.
    Sie stand jetzt vor Dudley's Bett.
    „Leg' mal Deine Hand hieher,“ sagte Gertrude zu ihrer Schwester und führte deren Hand an die heiße Stirne Dudley s.
    „Mein Gott, Dudley, Du liegt im Fieber!“
    „Mutter, Mutter -- hilf hilf -- Graf Lajos hat geweint --Mutter sieh' meine Hand an, wie sie brennen die Thränen --hilf liebe, liebe Mutter -- ich kann die Thränen nicht mehr hinwegbringen -- O, Mutter, das thut mir so weh -- wo ist denn mein schönes Plätzchen unter der Weymouthskiefer hingekommen? Ich war doch immer Dein gutes Kind, Mutter warum verstößt Du mich denn? -- -- Mutter, der Abbe will

 

- 108 -

mich umbringen -- -- doch nein, jetzt geht er weg -- der Graf „ist's!“ -- -- So phantasierte Dudley in erschrecklicher Weise.
    „Constanze, lauf schnell hinab und hol' Dudley's Mutter, ich will hier bleiben, bis ihr zurückkommt,“ bat Gertrude die Schwester.
    „Lieber Himmel, daß sie auch nichts gesagt, daß sie so krank ist -- Gertrude lauf', doch bleib', ich will -- -- Dudley, soll ich die Mutter holen? Constanze beugte sich bei diesen Worten über das von Fieberhitze flammende Gesicht Dudley's und verließ dann mit einem unaussprechlich wehmüthigen Blicke das Schlafcloset.
    Doch kaum war sie aus der Thüre, als sie auch schon wieder zurückkam.
    Gertrude sprang erschrocken auf, als sie ihre Schwester gewahr wurde.
    Constanze war so weiß wie der Tod.
    „Was hast Du denn, Constanze?“ frug Gertrude, am ganzen Leibe zitternd. [Dudley phantasierte jetzt wieder und schrecklicher, als vorher.]
    „Mich ließ es nicht an die Treppe, Gertrude -- wie froh bin ich, daß ich wieder hier bin.“
    „Aber was ist’s denn, Constanze? Mache mich nicht so furchtsam -- -- Constanze -- so sag', hör' doch die arme Dudley? -- hol", O laß, ich will Jemand holen -- aber, was ist's denn? --“
    So frug die geängstigte Gertrude verwirrt durcheinander und als sie selbst zur Thüre eilen wollte, so hielt sie die Schwester zurück und bat:
    „Schwesterchen, geht nicht hinaus -- -- warte noch ein wenig, bis es weg ist -- O, bleib' bleib'!“
    „Was ist denn da, Constanze? So hör; doch die arme Dudley -- sie will die Mutter!“
    „Ich kann's Dir nicht sagen, Gertrude, was es war -- als ich an die Treppe kam, hat es mich zurückgeschoben --“
    Dudley fing jetzt wieder an zu phantasiren und in so entsetzlicher Weise, daß sich die beiden Mädchen nicht anders zu helfen wußten, als laut aufzuschreien.
    Constanze ließ Gertrude, die, rotz des unheimlichen Berichts ihrer Schwester, zur Thüre hinaus eilen wollte, nicht von ihrer Seite, sondern eilte mit ihr an ein Fenster, das eine freie Aussicht auf die Seitenparthie des Gartens gewährte und schrie hinab, indem sie bald einen weiblichen, bald einen männlichen

 

- 109 -

Domestiken beim Namen rief, wie es ihr eben in den Kopf kam.
    Ein Neger, der eben vom Garten in den anstoßenden Hofraum eilte, hatte das Hilferufen Constanzens vom Fenster herab vernommen.
    Er blieb einen Augenblick stehen und sah hinauf.
    Als dies Constanze bemerkte, so rief sie ihm zu:
    „Was hat es denn vorher da unten gegeben? -- das schreckliche Schießen war doch nicht bei Uns? -- Sag’ Semiramis und Hannah, sie sollen heraufkommen -- --ich kann nicht hinab -- und Miß Dudley ist so krank -- --“
    „Es ist sonst Niemand hier, als ich -- die andern sind Alle fort, Miß -- --“
    „Um's Himmels willen, was giebt es denn, Tom? -- Wo sind sie denn hin? -- wo ist Lady Stewart? Sag ihr, sie möcht" zu uns heraufkommen, ihr Kind ist so krank -- --“
    „Es ist Niemand mehr da, Miß,“ wiederholte der Neger, dann sagte er schluchzend, nach der Gegend hindeutend, wo der große Salon lag, „da drinnen sind wohl noch Zwei -- aber die sind todt --“
    Constanze und Gertrude eilten vom Fenster weg und im Momente der schrecklichen Aufregung ohne die geringste Furcht nach der Thüre. An der Treppe war nichts mehr, was sie zurückgehalten hätte. In der Eile hatten sie aber die leichten feinen Wolkenstreifen nicht bemerkt, die mit ihnen die Wendeltreppe hinabflogen und unten angekommen, einem Luft zuge folgend, durch den langen Corridor in den Garten verschwanden.
    Gertruden und Constanzen schwanden fast die Sinne, als sie in den Salon kamen.
    Hier auf der nemlichen Stelle, wo Hiram noch kurz vor her mit der Camera gestanden hatte, lag die gute Jenny:
„-- -- -- so blaß, so schlank,
Und unbeweglich dabei,
Als wär' sie ein welches Marmorbild
Dianens Conterfei.“
    Ein Dolch stack in ihren Herzen und mit ihren Händen bedeckte sie die todten Augen. -- Fraget nicht, wer ihr den tödtenden Stahl in die liebevolle junge Brust stieß -- denket auch nicht an Hiram, wenn Ihr sie so daliegen seht; denn wenn man Euch es sagen würde, wer der Thäter war, so würdet Ihr ihn nach Eurer beliebten Manier zum Mörder

 

- 110 -

stempeln. Es sei Euch genug, zu wissen, daß sie der Romantik auf dem verfluchten Boden Amerika's zum Opfer fiel. --
    Sie hat ihren Emil nicht mehr gesehen -- doch,wozu auch, seitdem sie in der Umarmung Albert's ihre ungestüme Liebe für Emil ausgeträumt hatte? --
    Dort, dicht neben den Beinen des tiefen Fauteuils, in dem noch kurz vorher der Ungar saß, lag die unglückliche Frida. Ihr Herz blieb unversehrt, aber um ihren einst so herrlichen Kopf lockt sich nicht mehr das Gold ihrer wunderschönen Haare, Denket nicht an den Grafen Lajos, sonst könntet Ihr leicht auf den Gedanken gerathen, Er war der Mörder? Es sei Euch genug, zu wissen, daß sie der Treue zu ihrem Gatten zum Opfer fiel. Sie hat ihren Karl nicht mehr gesehen und er hat sie nicht mehr von seiner Unschuld überzeugen können -- doch, wozu auch, seitdem er am Grabe ihres Kindes stand und der Gedanke an den Doppelgänger Lajos sie noch wenige Stunden von ihrem Scheiden aus dieser Welt in die dunklen Jrrgänge des Wahnsinns trieb.
    Tantchen Cölestine und Frida, Ihr seid Wahnsinnver wandte und wenn Ihr Euch je begegnen solltet, so reicht Euch die Hände und sprecht:
    „Sind wir froh, daß wir endlich einmal todt sind.“ Und sollten sich Jenny und Frida begegnen, so wird die
Eine sagen :
    „Sieh', meine gute Schwester Frida, das war das Ende meiner Don Juan Natur“
Und die Andere:
    „Tröste Dich, meine liebe Jenny -- ich war der Faust unseres Geschlechtes.“
    So denkt man von sich ganz anders, wenn man einmal todt ist. --
    Das Entsetzen und den Schmerz der beiden Mädchen beim Anblicke der lieben Todten zu beschreiben, wollen wir hier nicht versuchen. Von dem Neger Tom erfuhren sie folgende lückenhafte und verwirrte Geschichte:
    „Als der lange, alte Mann“ -- so fuhr der Neger in seiner Erzählung weiter, nachdem er Constanzen und Gertruden vorher von der geheimnißvollen Anmeldung Hiram's und Clevelands gesagt hatte, -- „in den Salon ging, ließ sich der Andere, der seinen Namen als Sam Cleveland angab, im Wartezimmer in einen Schaukelstuhl nieder. Mir kam das schon ganz sonderbar vor; auch war es mir nicht Recht, daß ihn der alte

 

- 111 -

Mann nicht mit sich nahm. Ich hab' mir auch gleich gedacht, daß sie mit einander etwas Böses im Schilde führen. Ich hab' mich deswegen draußen vorm Wartezimmer versteckt und zum Fenster reingesehn, wo ich ihn dann nicht mehr aus den Augen ließ -- denn ich dacht' mir immer, daß er nichts Gutes anfängt. Die Semiramis und Hannah, die eben die Shawls und Hüte der Ladies in Ordnung brachten, schlichen sich hinter mich und frugen mich, was denn der Mann im Schaukelstuhl' thäte, daß ich ihn immerfort so ansehe ? Ich sagte Ihnen, paßt nur auf, der Mensch sitzt nicht umsonst so allein im Schaukelstuhl', er fängt gewiß etwas Böses an. Warum ich das gesagt habe, weiß ich selbst nicht, aber später war es doch wahr. Zuletzt ward mir doch die Zeit zu lang, denn der Mensch hat nichts weiter gethan, als sich geschaukelt und hat auch manchmal auf seine Uhr gesehen. Auch sagte mir die Semiramis, ich möcht' einmal da hineingehen vor die Salonthür" und sehen, was der lange, alte Mann dadrin macht und wenn ich Etwas hören könnte, so möcht' ich wieder herauskommen und es ihr erzählen.
    Der Mann im Schaukelstuhle hat mich gar nicht angezehen, als ich an ihm vorüberging, auch muß er gar nicht wissen, was sich schickt, sonst hätte er zu mir gesagt: was thust denn Du da drinn', Du damn’d Nigger, Du hast ja heute die Jour nicht -- die haben der Big Billy, der yellow Abram, der Jerry, der Neptune und der Nelly -- damn’d Tom, hätte er dann zu mir gesagt, die leeren Sherbet Plates und die Tumblers sind schon längst "raus getragen worden- mach’ also, daß Du hungehst, wo Dein Platz ist. Das hätt' er gesagt, wenn er ein ordentlicher Maffa gewesen wär". Das ist gewiß so ein Huscher, so ein irischer aus Virginia State, dacht' ich mir, daß er nicht weiß, was Fashion ist. Da ging ich denn immer weiter vor. Da standen nun der Big Billy, der yellow Abram, der Jerry, der Neptune und der Nelly -- die sagten zu mir, damnid black Nigger, das ist nicht Dein Busineß, daß Du darein kommt, mach', daß Du wieder auf Dein' Platz muhvist aber doch hat der Yellow Abram zu mir gesagt: Sieh' mal dahin auf die Salonthur', Tom! Da sah ich denn gar nichts, es war gerade, als wenn ich keine Augen gehabt hätte. Die Thure war doch offen, sagt der Nelly, ich hab' sie ja selbst zurückge schoben und jetzt ist's, als wenn sie zu wäre. Da war die Thur auf einmal wieder offen und ich hab' wieder gesehen und gleich darauf trete auch der alte, lange Mann seinen Kopf zu

 

- 112 -

uns heraus und schreit: "S'il vous plait, Monsieur Cleveland!" Da kommt der Mann vom Schaukelstuhl hergelaufen, daß ich mich vor lauter Schreck hinterm Big Billy versteckt hab'. Dann sind wir Alle, der Big Billy, der Yellow Abram, der Jerry, der Neptune und der Nelly fortgelaufen in's Wartezimmer. Warum? Das wissen wir selbst nicht. Wir sind nicht lang gestanden, so ist ein Pistol losgegangen, dann noch eins und dann noch eins. Es hat. Alles im Salon untereinander geschrieen und als wir hineinlaufen wollten, ist wieder ein Pistol losge gangen, daß wir glaubten, es gilt uns. -- -- Und jetzt, wie ich mich umseh', kommt der alte, lange Mann aus dem Salon und der vom Schaukelstuhl" und hinter ihm her laufen der Big Billy, der Yellow Abram, der Jerry, der Neptune und der Nelly und Wolken sind mitgelaufen, da wär' ich fast blind geworden, daß ich vor lauter Schreck in den Garten gelaufen bin und mich versteckt hab'. Als ich dann nichts mehr hörte, schlichich mich herein und wollte "mal sehen. Aber, als ich in den Salon kommt, war Niemand mehr da, als die Gräfinnen da- die haben sie umgebracht -- -- das ist Alles, was ich weiß, Misses -- --“
*        *         *

    Allerdings liegt ein ziemlich großes Paquet Briefe vor uns, die uns noch manchen Aufschluß über jene Hiramsnacht geben würden. Theils aber ist ihr Inhalt zu compromittierend, als daß wir die Publicierung der hierauf bezüglichen Daten wagen dürften, theils -- und dies ist wohl die Hauptursache, daß wir sie cachiren -- hat man bis auf Weiteres von uns das tiefste Stillschweigen verlangt, als man uns die Briefe übergab. Was späterhin der Neger Tom aussagte, haben wir bereits erschöpfend angegeben und dies war auch in der That. Alles, was er hiervon wußte. Auch hat man es aus seinem Munde, daß Gertrude und Constanze den beiden unglücklichen Frauen den letzten Liebesdienst erwiesen haben, indem sie dieselben, was sie lebend so innig wünschten, auf Ein Todtenbett gebracht hatten.
    Von einem Briefe aber ist es uns erlaubt, beliebig Gebrauch zu machen, da uns bei Zusendung desselben durchaus keine Discretion zugemuthet ward. Unmöglich kann besagter Brief von dem Prinzen von Württemberg geschrieben sein, obwohl die Intention des eigentlichen Verfassers unzweideutig darauf hinaus zielt. Mag dem nun sein, wie es wolle, jeden

 

- 113 -

falls kam das Schreiben eben zur rechten Zeit, denn dessen Inhalt füllt eine große Lücke in unsern Geheimniffen aus.
    „Als wir (so lautet der Inhalt genannten Schreibens) damals vor die Residence der Lady Stewart kamen, traten uns an der Gartenthüre ganz fremde Gesichter entgegen. Befremdend sahen sie mich an, als ich sie um die Erlaubniß bat, eintreten zu dürfen; doch als ich ihnen meinen Namen sagte, war ich gleich der willkommenste Gast. Dudley war die Erste, sagten sie mir, die in diesem Hause das gelbe Fieber hinwegraffte. Sie hat ihre Mutter nicht mehr gesehen, denn dieselbe kam erst einige Tage nach dem Tode ihrer Tochter wieder in die Residence zurück. Wo sie während dessen gewesen war, konnten wir von ihr nie erfahren. Nur bemerkten wir in ihrem Aleußern eine gewaltige Unruhe, die für uns in manchen Momenten ganz entsetzlich war. Keinen von ihren Negern, auch keine einzige von ihrer weiblichen Dienerschaft hat sie wieder mitgebracht, oder hat sich bis jetzt auch nnr sehen lassen. Als sie vom Tode ihres Kindes erfuhr, zeigte sie nicht die geringste Aufregung. Manchmal dünkte es uns, als wenn sie schon davon gewußt hätte. Jetzt spricht man in gewissen Kreisen nachträglich die Meinung aus, Lady Stewart hätte allen ihren Negern die Freiheit geschenkt und sie dann nach Liberia spedieren lassen. -- Der Capitain Marcy hat die fabelhaftesten Dinge von seinem da maligen Besuche bei Lady Stewart erzählt und wenn nur die Hälfte davon wahr sein sollte, so dürfen wir uns wirklich Glück wünschen, damals nicht gegenwärtig gewesen zu sein.
    Er selbst behauptet, nur mit genauer Noth mit dem Leben davon gekommen zu sein und meint, daß ihm die Lust vollkom men vergangen sei, je wieder nach New-Orleans zu kommen. Deßungeachtet wagt er es, sich neuerdings für eine Red River Expedition zu rüsten. Man sieht hieraus, daß der Capitain muthig sein kann, wenn er nicht in New-Orleans ist. Möge es ihm gelingen, die Quellen des Red River aufzufinden, ohne mit supramundamen Mächten in Conflict zu gerathen. Jeden falls wird New-Orleans nichts dabei verlieren.“
    So der Brief. --
*        *        *
    Mittlerweile waren Constanze und Gertrude über die Lake gefahren und hatten ihren Eltern und Geschwistern die schreckliche Kunde von der Hiramsnacht und dem unglückseligen Ende Jenny's und Frida's gebracht. Das Anfangs erfreute

 

- 114 -

Wiedersehen der beiden theuren Kinder mußte bei deren Erzählung einer furchtbaren Gemüths erschütterung weichen, die sich bei dem alten Grafen und bei Melanien in einem stummen, ernsten Hinbrüten, bei Hugo in grollenden Ausrufungen und bei der kleinen Amelie in einem Ausbruche von Klagetönen und Jammergeschrei äußerte. Und wenn Melanie nach dem Prinzen, nach Lady Stewart und Dudley frug, so konnten die beiden Kinder nichts anders antworten, als: „Meine gute Mutter, die arme Dudley ist todt -- wo der Prinz von Wurtenberg und Lady Stewart hingekommen sind, können wir Dir nicht sagen; denn wir haben sie nicht wieder gesehen. Aber ganz fremde Menschen sind zwei Tage nach jener furchtbaren Nacht in die Residence der Lady Stewart gekommen und haben uns mit harten Worten fortgehen heißen. Da dachten wir an den Grafen Lajos und wir wollten hinüber nach Algiers, um ihn da aufzusuchen und ihn zu bitten, mit uns zu Euch zu reisen. Aber wir fanden weder ihn, noch das Häuschen mehr. Das Häuschen war niedergebrannt, und wo fruher der schöne Garten war, da sahen wir nichts als verkohlte Baumstämme und Gesträucher ohne Blätter und Blüthen. Auch soll, wie uns die Nachbarsleute sagten, die kleine deutsche Köchin in den Flammen umgekommen sein. Wo der Gatte Frida's und wie das Feuer ausgekommen sei, davon wußten sie uns nichts zu sagen. Nach dem, was wir sonst noch erfuhren, muß das Feuer in der nemlichen Nacht ausgebrochen sein, als wir im Schlafcloset der kranken Dudley waren und es unter uns so furchtbar geschossen und alle Thüren aufgerissen und zugeschlagen hat. -- In unserer namenlosen Angst haben wir uns dann nach der Bayou Road fahren lassen, um den Prinzen von Wurtemberg in seiner Residence aufzusuchen. Aber statt einer kam uns eine lange, alte Negerin entgegen und sagte uns gleich und ohne daß wir sie vorher darum gefragt hatten, daß wir den Prinzen von Württemberg umsonst hier suchten, da derselbe schon seit vier und zwanzig Stunden New-Orleans verlassen habe. Sie sagte uns, sie heiße Diana Robert und habe Befehl, den Tag uber Niemanden einzulassen. Nachts könne herein, wer wolle; denn da sei sie bei ihrem Herrn, der aber nicht der Prinz, sondern ein noch viel größerer Mann sei. Und so, gute Mutter, haben wir uns denn allein auf den Weg zu Euch gemacht. --“
    Was mußten die unglücklichen Eltern von all diesem sonderbaren Gerede Constanzen’s und Gertruden's endlich denken Schlagen wir eine Brücke: Der Schmerz hat seine &&&&&&&&&&&&&&&

 

- 115 -

Grenzen so gut, als wie die Freude. Wo Beide die einmal von der Natur gesteckten Marken überschreiten, erfolgt der Tod oder der Wahnsinn. Glücklich der, dessen Verstand als geübter Reiter zu Rosse sitzt, um dasselbe vor dem Ueberschlagen an der gefürchteten Barriere zu bewahren. Der Verstand Melaniens war sattelfest. An ein Ueberschlagen war nicht zu denken. Ihr Schmerz war groß. Er wühlte sich durch die geheimsten Falten ihres schönen Herzens, als ihr ihre Kinder die so traurige Kunde überbrachten. Aber bald warf ihr Verstand die Frage auf: Muß es sich denn wirklich so ereignet haben, wie es uns die Kinder erzählten? Und wenn nicht? Dann müssen die Kinder, müssen meine Constanze und Gertrude -- müssen sie? Keck sag' es heraus, Verstand! dann müssen die Kinder verrückt sein! Etwas Freudiges könnten die Kinder gelogen haben, obwohl sie ihre Eltern bisher nie belogen. Doch das wäre immer noch möglich -- -- aber Trauer -- Trauer, Schmerz und Jammer, die kann Niemand lügen -- -- also, also -- müssen meine Kinder dann wahnsinnig sein, wenn sich das wirklich nicht ereignet hätte, was sie uns erzählt haben. In diesem Raisonnement lag Verstand, gesunde Logik -- und doch hatte der Verstand unrecht -- glücklicherweise. Denn Melanie sollte bei ihrer Ankunft in New-Orleans erfahren, daß die Kinder -- nicht logen Pfui, nein. Sie sollte erfahren, daß ihre jammervolle Kunde begründet war.
    In Covington drüben war schon. Alles zur Ruhe gegangen, als man in dem kleinen Framehause der gräflichen Familie noch lange wachte, weinte und kaum ein Wort sprach. --
    „Ihr Kinder, legt Euch jetzt nieder und möge Euch der Allmächtige einen ruhigen Schlassenden, dessen Ihr so sehr bedürft. Legt Euch nieder, meine guten Kinder, und hängt nicht länger Eurem Schmerze nach. Constanze, Gertrude, folgt und geht zu Bette! Hugo, thu' es mir zu Lieb; leg Dich schlafen und laß' für diesen Tag Dein stummes Hunbraten. Seht, Kin der, Amelie ist schon eingeschlafen. -- Constanze, zieh' Amelie aus und bringe sie ordentlich zu Bette -- sagt ihr, Mutter und Vater schliefen schon -- dann wird sie sich wohl ruhig ausziehen lassen.
    So, Kinder, seid brav und ordentlich -- Hugo folge mir, die Andern thun es ja auch. -- -- Gute Nacht, Constanze -- so schlaf recht wohl, meine Gertrude, so Amelie, das ist brav von Dir, Vater schläft schon -- -- Gute Nacht, Hugo, ehe Du Dich niederlegt, vergiß nicht, das Fenster herabzulassen, die

 

- 116 -

Nacht ist feucht und ungesund. -- -- So, meine guten Kinder, schlaft Alle recht wohl und der Allmächtige beschütze Euch und gebe Euch Allen einen ruhigen, friedlichen Schlaf. Seht, wie schön Suschen schon schläft, seid ruhig und weckt sie nicht auf Gute Nacht, gute Nacht!“
    So sprach Melanie zu ihren Kindern und begab sich dann in ihr Schlafgemach, wo der alte Graf mit gesenktem Kopfe auf einem von Hugo und Constanze fabrizierten Sopha saß und seine gute alte Pfeife schmauchte.
    „Die Kinder habe ich endlich zu Bette gebracht, möchten sie doch besser schlafen, als vergangene Nacht,“ sagte Melanie und setzte sich neben ihren Gatten.
    Der alte Graf legte seine Pfeife auf den nebenan stehenden Tisch und wendete sich mit einem kummervollen Blicke an seine Gattin :
    „Nun, wie hast Du Constanze und Gertrude gefunden? Kommt es Dir noch immer so vor?“
    „Mein lieber Ernst, würde ich mich doch täuschen!“
    „Also glaubst Du immer noch, Melanie?“
    „O, diese Frage ist so grausam, da Du weißt, was ich Dir darauf erwiedere.“
    Aber, Melanie-kannst Du's Dir nicht auf andere Weise erklären? Du bist doch sonst so verständig. Muß es denn gerade das sein?“
    „Bedenke, mein lieber Ernst, wie kann es anders möglich sein? Ich muß jetzt selbst darüber staunen, daß ich den Erzählungen der beiden Kinder anfangs nur den geringsten Glauben schenken konnte.
    „Melanie, ich glaube, Du hast diesmal doch Unrecht? Warum soll nicht Alles so wahr sein, als sie es uns erzählten? Ich habe noch viel merkwürdigere Dinge gelesen -- --“
    „Gelesen, mein Ernst -- aber ob sie wahr waren? Denke nur darüber nach! Lady Stewart mitsammt ihren Negern soll über Nacht plötzlich verschwunden sein? Es sollen im Hause vier Schüsse gefallen sein? Wolken sollen den Negern nach gelaufen sein? Jenny und Frida sollen -- -- O, nein, nein -- das Häuschen in Algiers soll in der nemlichen Nacht niedergebrannt, der Gatte Frida's nirgends aufzufinden und der Prinz selbst -- -- O, wie ist das möglich -- wie könnte er uns so plötzlich verlassen haben -- -- und doch, wäre es nur -- O, nein, wäre nur die Hälfte wahr, dann müßte ich doch nicht glauben, daß meine guten Kinder -- --“

 

- 117 -

    Ein Strom von Thränen unterbrach die Worte Melaniens. Sie lehnte sich an die Brust ihres Gatten, der jetzt selbst zu weinen anfing.
    „Melanie -- --“
    „Ernst, weine nicht!“
    „Weib meines Herzens, laß mich weinen -Tantchen Cölestinen's Prophezeiung wird wohl in Erfüllung gehen: Un sere Familie geht auf dem Boden Amerika's zu Grunde. Uns ist das Schicksal der Atriden bestimmt, und es fehlte nur noch, daß mir statt Deiner eine Klytemnästra zur Seite stünde. --“
    „Mein Ernst, da sollte ich Dir herzlich böse werden. Du bist der Gatte Melaniens und daher auch kein Agamemnon. Beschwöre nicht den alten Schatten herauf und laß den Sohn des Atreus ruhig im Grabe liegen.“
    Die beiden Gatten schwiegen einige Augenblicke, dann fing der alte Graf wieder an:
    „Du glaubst es also wirklich von den beiden Kindern, meine Melanie?“
    Das traurige Stillschweigen Melaniens gab dem Grafen die richtige Antwort auf seine Frage.
    „Dann ist's ein Erbtheil Cölestinens -- -- mein Gott, was haben meine Kinder Constanze und Gertrude verschuldet, daß Du ihren Verstand trübtest? Melanie, Melanie! sage zu mir, es ist nicht so -- ich will es gerne glauben,“ betonte der Graf mit einer Stimme, wie sie noch nie aus seinem Munde kam. Dann schlang er seinen Arm um den schlanken Leib sei ner Gattin und legte seinen Kopf sanft auf ihre Schulter.
    „Wie laut Dein Herz schlägt, meine Melanie -- -- -- hörst Du das Meinige nicht auch?“
    „Das hämmert mir eine alte, traurige Geschichte vor -- O, hättest Du vom Erbtheil Cölestinens geschwiegen!“ Und jetzt stand Melanie auf, sie war nicht mehr die zärtliche Mutter, nicht mehr die stille trauernde Niobe -- ihr Gesicht glühte, ihre Augen tanzten wild in den Höhlen herum, sie hob die Arme und ließ sie wieder sinken und jetzt stößt sie einen herzzerreißenden Schrei aus und diesem Schrei entwinden sich die artikulierten Laute:
    „Weißt Du, mein Ernst? Weißt Du jetzt?“
    Der Graf sprang erschrocken empor, faßte seine Gattin be den Händen und rief:
    „Aber, um's Himmels willen, meine Melanie, was ist Dir? Was willst Du sagen?“

 

- 118 -

    „Weißt Du, was uns der Prinz vom Abbé erzählt ? Weißt Du, warum Tantchen Cölestine, meine gute edle Schwester, irrsinnig geworden?“
    „Weil er sie -- -- weil -- -- doch, was willst Du da mit sagen? Was erschreckt Dich so? Was --?“
    Weißt Du jetzt, warum Constanze und Gertrude irrsinnig geworden? Weißt Du?“ “
    „Aber Melanie, sie sind es ja nicht!“
    „Die guten Kinder sind dem Abbé in die Hände gefallen! O, jetzt kann ich mir. Alles erklären! -- -- Ernst, Ernst -- wir haben unsere Kinder auf ewig verloren!“
    „Aber, Melanie, wie kommst Du auf einen so fürchterlichen Gedanken ? Der Abbé ist ja schon längst fort und haben uns Constanze und Gertrude seit der Zeit nicht ganz verständige und herzliche Briefe geschrieben? Du bist heute sehr verwirrt, Melanie, bedenke doch -- Dein Schmerz treibt Dich zu weit! Und müssen es denn die Kinder sein? Sie sind es ja nicht! Und was sie uns erzählt, kann sich ja wirklich ereignet haben -- -- Melanie, jetzt komme ich erst zur Vernunft, wenn Du so etwas spricht -- --“
    Wie täuschte sich diesmal die gute Mutter! Und doch, war es ein Wunder, daß sie auf eine solche Zusammenstellung gerieth? Das, was Constanze und Gertrude von New-Orleans überbrachten, war auch, trotzdem daß es sich wirklich so zugetragen hatte, so merkwürdig und klang so fabelhaft, daß dem gesundesten Verstande eine so bitterböse Folgerung abgedrungen werden mußte. -- Es war nur das Blut, welches Melanie ein so unheilvolles Bild vorführte, es war nur das Herz, welches ihr diese alte Geschichte von Tantchen Cölestine vorhämmerte. Diese Aufregung mußte verschwinden. Sie dachte, grübelte, verwarf und dachte wieder. Und das Resultat all' dieser entsetzlichen Gedanken Martern war: Und sind die Kinder wirklich bei Sinnen und hat sich Alles so zugetragen, als wie sie es uns erzählten, so bleiben uns doch wenigstens unsere Kinder, wenn wir auch den Tod Jenny's und Frida's beweinen müssen. Ja, es kam in dieser Nacht noch so weit, daß die Gatten mit großer Resignation den Trost austauschten: „Wir erwarten. Nichts von der Gegenwart, doch Alles von der Zukunft. Wenn wir nach New-Orleans kommen, wird sich's ja zeigen.“ Und schon am nächsten Morgen, als die ganze Familie beisammen saß, wollte es keines von den Gatten mehr glauben, daß Constanze

 

- 119 -

und Gertrude so unglücklich seien, -- So sattelfest war der Verstand Melaniens und so treu stand ihm ihr Gatte bei. --
    „Wenn wir nach New-Orleans kommen, wird sich's ja zeigen.“ Zuvor wollte man noch acht Tage im kleinen Farmerhause zubringen, um den Prinzen zu erwarten, der jedenfalls binnen dieser Zeit über die Lake kommen müsse -- wenn nicht Anders etwas Außerordentliches ihn zurückhielt oder gar, wenn man auf Gertrudens und Constanzems Aussagen einiges Gewicht legen wollte, eine bisher noch unerforschte Katastrophe ihm ein bedenkliches Leid zugefügt hatte. Kam der Prinz, so gerieth man in Angst, kam er nicht, ebenfalls. Im ersteren Falle sollte man nur Trauriges hören, im zweiten es selbst später erfahren. -- Während dieser acht Tage bildeten Coastanze und Gertrude die einzige Unterhaltung der Eltern, wenn sie nur immer allein beisammen sein konnten. Durch dieses eifrige Studieren ihrer beiden Kinder gewannen die Eltern in gewisser Beziehung sehr viel. Der exaltierte Gedanke Melaniens mußte sich abschwächen, aber dabei gewann ein anderer Gedanke Raum, eben so traurig, aber doch nicht so hoffnungslos und furchtbar. Constanze und Gertrude blieben ihnen, dagegen aber waren Jenny und Frida für sie verloren. -- O unglückseliger Entschluß, mit der ganzen Familie nach New-Orleans zu reisen. Um sich von der fürchterlichen Ungewißheit bezüglich der von den beiden Kindern überbrachten Hiobsbotschaft zu befreien, wäre es hinlänglich gewesen, wenn man Hugo dorthin geschickt hätte. Wie ganz anders hätte sich dann ihre Zukunft gestaltet So könnte man ausrufen, wenn man nicht wüßte, daß der Mann mit der Mantis Religion, ihr Schicksal in Händen hielt, Waren nicht Melanie und der alte Graf die Eltern Emil's? Waren nicht Hugo, Constanze, Gertrude und Amelie die Geschwister Emil’s? -- -- Emil scheint seiner Strafe zu entgehen, weil er in den Leib Lucy's den Keim zum künftigen Erlöser ihrer Race niedergelegt -- -- aber ein Ungehorsam, die schlechte Erfüllung seiner Pflicht, als er damals mit Lucy, reich mit Schätzen versehen, die obersten Gemächer der Atchafalaya Bank verließ- o, schreckliches Verhängniß, dieser Ungehorsam sollte an seinen guten Eltern, an seinen unschuldigen Geschwistern bestraft werden! -- An Jenny hat Eris gerächt, daß sie ihren Emil nicht wieder sah; an Frida, daß Er sie vertrauensvoll bis wenige Stunden vor ihrem Tode einen Mörder und Brand stifter lieben ließ -- daß Er es ihr nicht einmal ahnen ließ, wen sie in ihrem Gatten umarmte. Er, der unergründliche

 

- 120 -

Alte, der Mann mit der Mantis Religiosa, hat jene Ratte, mit der ihr Gatte den Italiener Lombardi getäuscht, in's wunderliebe Häuschen über ihr unschuldiges Kind gesandt, und ihn selbst -- das liegt nicht mehr sehr weit ab, was er mit ihm beginnt. --
    Ehe wir die unglückliche Familie in New-Orleans ankom men lassen, legen wir dem Leser einige nicht uninteressante Dinge aus der Vergangenheit der Farm bei Covington vor: Diese Farm, unter den Einwohnern Covington's allgemein unter dem Namen „Cookeroaches' Farm“ bekannt, war, ehe der Prinz von Würtemberg die gräfliche Familie hierher brachte, zwei Jahre lang von drei gar seltsam aussehenden Menschen bewohnt, an die sie der Prinz verpachtet hatte. Die Nachbarschaft zerbrach sich fast die Köpfe, wer diese drei Menschen eigentlich wären, woher sie kämen und von was sie lebten; denn man sah sie nicht die geringsten Vorbereitungen treffen, die Farm, die sie gepachtet, in Angriff zu nehmen. Sie blieb während der zwei Jahre eben so wüste liegen, als wie sie dieselbe betreten hatten.
    Die in der Umgebung und besonders in Covington leben den Amerikaner nahmen, großes Interesse an den seltsamen Bewohnern des übrigens nicht so übel aussehenden Farmer Häuschens. Aber Keiner konnte nur das Geringste von ihnen erfahren, aus dem ganz einfachen Grunde, weil man ihre Sprache nicht verstand. Eben so wenig verstanden sie die neugierigen Besucher. Da nahm man denn Deutsche, Franzosen, Engländer, Spanier, Italiäner, kurz alle nur erdenklichen Nationalitäten mit hinaus auf die Farm,um als Dolmetscher zu dienen. Aber Keinem war es gelungen, die Sprache dieser seltsamen Menschen zu verstehen oder auch nur zu muthmaßen. Kam der Prinz von Würtemberg nach Covington, was nicht selten geschah, so wurde er von hundert und hundert Fragern bestürmt, ja, es kam so weit, daß ihm die bekannten Pompano-Rowdies in Covington sogar drohten, seine Farm niederzubrennen und die Inassen derselben zu verjagen. Der Prinz aber versicherte sie, daß er seine Miethsleute selbst nicht verstände, auch nicht nur im Entferntesten wisse, wer sie wären und woher sie kämen. Der Prinz aber wußte es sehr gut, auch wäre es nie herausgekommen, wenn nicht ein Landsmann von ihm -- der bereits das vierzigste Jahr erreicht hatte -- der ganzen Geschichte auf den Grund gekommen wäre. Schon gleich bei seinem ersten Besuche bei den geheimnißvollen Infassen besagter Farm hatte;

 

- 121 -

er in denselben seine eigenen Landsleute, nemlich „Schwaben“ erkannt. Da der pfiffige Entdecker superb englisch sprach, so übersetzte er seine Landsleute sogleich in „Cookeroaches,“ was unter den Bewohnern Covingtons eine fürchterliche Sensation erregte; denn noch nie hatte man früher von einer solchen Nation gehört. In Haufen zog man vor die Farm, um die neuentdeckte Nation kennen zu lernen und ihr die allgemeine Bewunderung nicht zu versagen. Dieser ewige Besuch wurde aber den Cookeroaches endlich so überdrüßig, daß sie sich plötzlich während einer mondhellen Nacht aus dem Staube machten und sich nie wieder erblicken ließen. -- Mit heiterem Lächeln verschmerzte der Prinz von Württemberg den nun verlorenen Pachtzins, als ihm ein bewährter Freund in Covington von dem Verschwinden seiner Pächter nach New-Orleans berichtete und da er um die selbe Zeit die gräfliche Familie in der Washington Avenue in so traurigen Verhältnissen auffand, so war es ihm sogar sehr lieb, daß jene undankbaren Schlingel seine Farm verlassen hatten, die er nun ohne alle Schwierigkeiten und ohne einmal einge gangenen Verpflichtungen untreu zu werden, der gräflichen Fasmilie übermachen konnte. -- Mit der Uebersiedlung der gräflichen Familie nach der Farm bei Covington hatte. Alles in kurzer Zeit schon ein ganz anderes Aussehen bekommen. Die Sonne Louisiana's verwüstet eben so schnell, als sie erzeugt. Ueber soust fruchtbares Land, ruht die Thätigkeit seiner Bebauer nur kurze Zeit, zieht sich ein üppiger Wald von Schlingpflanzen und Unkraut aller Art und wo früher Swampland war, das zeigen die hervorschießenden Palmettos gleich wieder an. Diese Säbelhelden fürchten sich sogar vor dem Pfluge nicht, den sie oft bei einer einzigen Tour so schartig machen, daß er bei der zweiten schon wieder geschliffen werden muß. Diese Mißstände mußten natürlich den neuen Besitzern der Farm gleich in die Augen stechen und sie sahen nur zu gut ein, daß man hier eine zweite Urbarmachung vornehmen müsse. Mit Hülfe von einigen Negern, die ihnen der Prinz von Württemberg während der ersten zwei Monate zur Verfügung stellte, kam man bald so weit, daß wenigstens ein hübsches Stück Gartenland zum Heranziehen von Küchengewächsen in Stand gesetzt werden konnte. Denn nur auf diese wollte man vorläufig seine Mühe verwenden, da sich im Kleinen mit Cerealien durchaus nichts machen ließ. Hugo schwärmte zwar hie und da fur eine Zuckerplantage, wenn er aber die umliegenden Plantagen besuchte und deren umfangreiche Oekonomie sah, wurde er gar bald eines Besseren

 

- 122 -

belehrt. Der alte Graf, Hugo, Melanie, ja sogar die kleine Amelie waren gleichthätig auf dem Felde ihres neuen Wirkens und sie wünschten nur, daß Constanze und Gertrude auch gegenwärtig wären, um so ihre Kräfte verdoppeln zu können. Sie fühlten sich ganz wohl, als sie dem letzten Neger, den sie auf das ewige Zureden des Prinzen bisher noch behalten hatten, seinen Abschied geben konnten. Die Gemüse wurden theils nach Covington verkauft, theils gelangten sie auf indirektem Wege auf den Markt nach New-Orleans. Aber nicht nur Gemüse zog man jetzt auf der Cookeroaches Farm, sondern auch Hühner, Turkeys und persische Enten. Auch einige Perlhühner hatte sich Hugo in Covington zu verschassen gewußt, doch diese waren mehr zum Zeitvertreib der kleinen Amelie hier, die sich besonders gut mit denselben vertragen konnte. Die Geschäftsordnung war kurz folgende: Sommer wie Winter punkt fünf Uhr aus dem Bett -- Ländliche Toilette bis viertel über fünf Uhr. -- Der alte Graf frisiert Amelie und zieht ihr (im Sommer jeden Tag und im Winter einen über den andern Tag) ein frisches Hemdchen an, er visitiert ihre Schuhe und fehlt da ein Band, so zieht er einNeues durch und wenn gerade keines da ist so nimmt er's aus seinen eigenen Schuhen - während dessen hat Melanie Feuer angelegt und Hugo den Kaffee gemahlen. Die Yankee Clock, die auf dem Mantel des Kamines steht, schlägt jetzt halb sechs Uhr. Die kleine Amelie schreit: Breakfast ready! Nun wird gefrühstückt. Ein Viertel vor sechs Uhr: Hühnerfütterung durch den alten Grafen, Melane melkt die Kuh, Amelie melkt die Ziege, Hugo trägt die Gartengeräthschaften herbei. Sechs Uhr: Marsch, an die Arbeit! Diese dauert vier Stunden unausgesetzt; dann geht Hugo bei Seite und bläst in ein Kuhhorn: das bedeutet den Lunch; natürlich einen kalten.
    Melanie verläßt jetzt die Gartenarbeit und trifft Anstalten für den Mittagtisch, der um zwei Uhr serviert wird. Drei Uhr! Huhnerfütterung u.s.w. Dann wieder zur Arbeit. Um vier Uhr verläßt Amelie ihre Arbeit im Garten und geht in die Küche, um das Souper vorzubereiten. Die Yankee Glock schlägt sechs Uhr. Die kleine Amelie schreit: Souper ready! -- Hugo bringt die Geräthschaften unter Dach und setzt sich dann mit nen Eltern zum Souper. Sieben Uhr: Man erhebt sich vom Abendtiche. Der alte Graf zieht ein Reisig aus einem Erbsen er Bohnenbeet und treibt das Geflügel in seine Nester. Fehlt - nes, was er genau wissen muß, da ihm die Controlle über %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%

 

- 123 -

das Geflügel zugetheilt ist, so wird so lange gesucht, bis es wieder eingefangen ist. Ist das eierlegende Subjekt nicht wiedergefunden, so erhält der alte Grafzur Strafe den nächsten Morgen statt zwei Tassen Kaffee nur Eine. Diese Strafe hat sich der Graf selbst auferlegt und sie wird eben so strenge an Melanie, Hugo und Amelie vollzogen, wenn sie bei den ihnen zugetheilten Verrichtungen gefehlt haben. Halb acht Uhr: Gemeinnützige Vorlesung aus dem „Southern Cultivator“ und dem „Soil of the South.“ Acht Uhr, freie Unterhaltung u.s.w. Neun Uhr (im Winter) und zehn Uhr (zur Sommerszeit): Die Kinder in's Bett! -- Vater und Mutter bleiben so lange auf, wie es ihnen gefällig ist. Dies ist das einzige Vorrecht, das sie sich vor ihren Kindern eingeräumt haben.- Diese Geschäftsordnung wird nur gestört, wenn Hugo oder der Graf mit Geflügel oder Gemüse Geschäfte machen, eines von ihnen krank werden sollte u.a.m. -- In diese Einförmigkeit des Farmerlebens brachte das Fortunatus-Genie des Prinzen Paul von Würtemberg plötzlich eine sehr große Aufregung, die, unge achtet aus ihr bedeutende Unregelmäßigkeiten und Abschweifungen von der einmal festgesetzten Geschäftsordnung entstanden, einen sehr wohlthätigen Einfluß auf das Seelenleben der gräflichen Familie ausübte. Es war nämlich um die Zeit, als es der Prinz von Würtemberg für geeignet fand, den Aufenthalt Jenng's und Frida's nicht mehr geheim zu halten und sogar schon Vorbereitungen zu treffen, Jenny in die Arme ihrer Schwiegereltern zu führen. In Melanie wurde bei dieser Gelegenheit zwar der Gedanke an den Verlust Emil’s wieder mehr als je rege gemacht, aber sie tröstete sich im Stillen damit, statt des verlorenen Sohnes die wiedergefundene Schwiegertochter zu umarmen. Mit der größten Ungeduld sah man dem Tage entgegen, an dem Jenny und Frida in Begleitung des Prinzen und des Grafen Lajos -- den kennen zu lernen besonders Melanie sehr begierig war -- ferner Lady Evans Stewart mit ihrer Tochter Dudley über die Lake kommen würden, um wenigstens auf einige Tage Zeugen ihres ländlichen Glückes und ihrer stillen Zufriedenheit zu sein. Zu diesem Behufe hatte man die zwei größten Stuben des Farmerhäuschens, die bisher nur zur Aufbewahrung von Gartenfrüchten, Sämereien, Geräthschaften u.s.w. gedient hatten, in die bestmöglichste Ordre gebracht. Da nicht hinreichend Betten vorhanden waren, um all die erwarteten Gäste aufzunehmen, so berief Melanie auf Sonntag Nachmittag den Familienrath, in dem ihr Almendement,

 

- 124 -

den hohen Gästen bei ihrer Ankunft sämmtliche bisher benützten Betten abzutreten, aufs Zuvorkommendste und Wärmste unterstützt wurde. Das war ein Scheuern und Fegen, ein Nähen und sogar ein Flicken, ein Rücken und Schieben, ein Pumpsen und Hopfen, daß es eine wahre Luft war, dies. Alles mit anzusehen. Sogar die Hähne schienen förmlich darauf versessen zu sein, die tyrannischesten Maßregeln zu ergreifen, daß es den erwarteten Gästen nicht an Eiern gebräche. Die armen Hühner wurden zuletzt ganz federlos vor lauter Rupfen und Zupfen, ja, ein ganzes Dutzend nahm sich vor, gerade kein Ei zu legen. Dagegen legten die Perlhühner immer zu, was man ihnen recht gerne geschenkt hätte. -- Für ihre hechtgraue Ziege hatte die kleine Amelie ein prächtiges rothseidenes Halsband vorbereitet. Ja, sie hatte sogar den unverzeihlichen Einfall, die persischen Enten in eine eigens ganz blank gescheuerte Kiste zu sperren, damit sie sich die Füße nicht schmutzig machten und dadurch den hohen Gästen Aergerniß gäben. Hugo hatte sein Schwesterchen übrigens gleich belehrt, daß so ein Einsperren der persischen Enten durchaus nicht anginge, da dieselben nothwendigerweise sich schmutzig machen müßten, wenn man ihr Gedeihen wünschte. --
    Da kam endlich der ersehnte Tag, an dem das Wiederse hen gefeiert werden sollte. Aber, Adieu -- von Freud' kann hier keine Rede sein und wo sie auch einmal einkehrt, da kommt gewiß gleich hinterdrein der Pferdefuß gestolpert. Das macht aber Nichts ; denn nur dumme Menschen können sich immer freuen.
    Ein, zwei, drei Tage verstrichen-da kamen endlich-- die ersehnten Gäste? O, nein: es waren nur Constanze und Gertrude, die die Nachricht von der Hiramsnacht überbrachten,
    Gute Nacht, Adieu, lieb' Farmerhäuschen, wir sehen Dich nicht wieder. Deine Bewohner kehren nicht mehr zurück, wenn sie einmal den Boden von New-Orleans betreten haben; denn das gelbe Fieber hat sie herübergelockt. --
    In New-Orleans angekommen, fanden die betrübten Eltern gar bald, daß Constanze und Gertrude, die Hiramsnacht ausgenommen -- deren Schrecknissen man auch nicht gleich nachforschen konnte -- Alles der Wahrheit gemäß berichtet hatten.
    „Siehst Du, Melanie,“ sagte der Graf bei dieser Gelegen heit zu seiner Gattin, „daß sie es doch nicht sind.“

 

- 125 -

    „Dem Himmel sei's gedankt,“ erwiederte dann die unglückliche Frau, „daß Du Recht gehabt hast.“
    Wie es die Kinder erzählt, fand man das wunderliebe Häuschen niedergebrannt, die Residence der Lady Stewart verschlossen, von dem Grafen Lajos und dem Prinzen von Würtemberg keine Spur. Um letztern auszukundschaften, waren Constanze und Gertrude mit ihren Eltern und Geschwistern nach der Bayou Road gefahren. Vor der Residence des Prinzen angelangt, sahen sie auch schon gleich die alte lange Negerin Diana Robert an die geschloffene Gartenthüre eilen. Aber diesmal war sie nicht allein, wie damals, wo Gertrude und Constanze zuerst nach dem Prinzen forschten. In einen schwarzen breiten Shawl eingewickelt hielt sie etwas Lebendiges auf den dürren Armen, das bald größer, bald kleiner zu werden schien. Zu sehen, was es ist, war unmöglich. Als die gräfliche Familie unverrichteter Sache wieder von der Bayou Road schied, begegnete sie einem Stadtleichenwagen, dem keine einzige Seele nachfolgte. Drinnen lagen die ersten Opfer des gelben Fiebers -- landfremde Menschen, ohne Heerd und Heimath.
    „Das fängt nicht schlecht an das gelbe Fieber,“ stotterte ein vorübergehender Trunkenbold und wäre fast unter die Räder des Leichenwagens gerathen.
    In vino veritas. --
    Hier wartete man nun, bis der Omnibus von der Bayou Bridge vorüberkäme.
    Der alte Grafund Melanie gingen langsam voraus. Neben ihnen, zu beiden Seiten, Gertrude und Amelie.
    Hugo war mit seiner Schwester Constanze an der Kreuz ung der beiden Straßen stehen geblieben, um den Omnibus zu erspähen.
    „Ich wollte, wir wären schon wieder auf unserer Farm,“ sagte Hugo zur Schwester, „es kommt mir ein förmliches Grauen an, wenn ich nur daran denke, daß wir die Nacht über wahrscheinlich noch in New-Orleans bleiben mussten. Zudem soll ja auch das gelbe Fieber ausgebrochen sein, wie ich vorhin hörte.“
    Constanze schwieg, sah aber mit einem unbeschreiblich wehmüthigen Blick auf ihren Bruder. Dabei stahl sich eine Thräne durch das Dunkel ihrer langen Wimpern.
    „Du weinst doch nicht, Constanze?“ frug Hugo seine Schwester.
    „Ich habe wohl Ursache zu weinen, mein guter Bruder.“

 

- 126 -

    „Die haben wir Alle, Constanze --“
    „Nicht das, Hugo!“
    „Aber, weßhalb wolltest Du denn eben weinen?“
    „Ich habe eine Ahnung, Bruder, die ich nicht los werden kann. Sie hat mich verfolgt, seit wir Covington verließen.“
    „Laß das, Constanze, und bilde Dir nichts ein -- wir sind so unglücklich genug; es ist ganz unnöthig, daß wir uns noch von unheilvollen Ahnungen quälen lassen sollen.“
    „Du sagtest ja vorhin selbst, daß es Dir bei dem Gedanken, noch eine Nacht in New-Orleans bleiben zu müssen, so unheimlich wird.“
    „Ja, ja -- das hab' ich gesagt, aber laß' es jetzt nur gut sein, Constanze, und denke an was Anderes -“
    „Hugo, Du wirst sehen, daß mich meine Ahnung nicht umsonst quält -- -- -- ich habe es auch damals geahnt, noch ehe wir zu Euch auf die Farm kamen und die Schreckensbotschaft überbrachten. -- --“
    „Aber, meine gute Schwester, nehme es mir nicht übel, wenn ich ein bischen über Dich ärgerlich werde -- -- Du thust gerade, als ob es sein müßte, daß wir zu Grunde gingen. Aber, was hast Du denn wieder für eine Ahnung?“
    „Hugo, werde nicht böse, aber Du wirst sehen, wir kommen nicht mehr hinüber nach unserer Farm -- --“
    „Gut, dann bleiben wir hier,“ sagte Hugo und that, als ob er seine Schwester nicht verstanden hätte. --
    Ein abscheuliches Gelächter unterbrach die guten Geschwister in ihrem so traurigen Gespräche.
    Als sie nach der Gegend hin sahen, woher das Gelächter erscholl, sagte Hugo ärgerlich:
    „Was das lange Ding zu lachen hat, 's thut gerade wie verrückt.“
    Diana Robert stand nemlich vor der Umzäunung der Residence des Prinzen von Würtemberg, die man gerade noch von der Querstraße aus überblicken konnte, und schien einen Anschlag zu lesen, wobei sie ein wiederholtes Gelächter aufschlug.
    Sie verschwand jetzt wieder durch die Gartenthüre.
    „Einen Augenblick, Constanze -- der Omnibus kommt doch nicht gleich -- -- ich will einmal den Anschlag lesen und sehen, was es ist, worüber die verrückte Person so gelacht hat -- --
    „Nein, bleib' Bruder -- was mag's sein?“
    „Ich bin gleich wieder bei Dir, Constanze -- --“

 

- 127 -

    Hugo lief, was er konnte, nach der eben bezeichneten Stelle hin. Er las:

D I E D


    on Friday night, the 7th instant, at half past twelve o'clock

OF YELLOW FEVER:

Mr. Ernest Count of R. and his Consort
Mrs. Melanie de Nesebek

natives of Germany.
The membres of the family are invited to attend the funeral, this
afternoon, at 3 o'clock, from the

ATCHAFALAYA BANK

opposite to Bank's Arcade, Magazine Street.
*        *        *

    Hugo glaubte zu träumen. Die rechte Hand hatte er krampfhaft auf seine Stirne gepreßt, mit der linken hielt er sich am Gartenspalier fest; denn es wurde ihm ganz schwindlig. Seine Augen suchten auf dem Boden herum, statt daß sie nochmals prüfend aufgesehen hätten. War es wirklich ein Traum? Aefften ihn die Dämonen seiner eigenen Phantasie? Waren diese Worte, die er eben gelesen, ein Abglanz der von seiner Schwester gehegten Ahnung?
    Prüfe noch einmal, Hugo-faffe Muth, vielleicht hast Du unrichtig gelesen! --
    Hugo läßt jetzt seine Hand von dem Spaliere und rennt weg, ohne noch einmal aufgesehen zu haben.
    „Täuschung!“ will er sich weiß machen. Aber die Täuschung hätte er ja sehr leicht erkennen können, wenn er sich die Mühe gegeben, die Todesanzeige noch einmal zu übergehen.
    Warum hat er's nicht gethan? --
    „Weßhalb bist Du so lange gestanden, Bruder ? begeg nete ihm Constanze: „Was war auf dem Zettel? -- -- Aber, Du siehst so verstört aus, Bruder -- Hugo, mein Hugo, was hast Du denn?“ --
    „Nichts, Constanze -- -- ein wenig unwohl -- -- wenn nur der Omnibus bald käme -- --“
    „Weiß nicht, was das ist, Bruder, so lange ist er noch nie weggeblieben -- sieh’ Vater und Mutter werden auch schon ganz ungeduldig-“
    Der alte Graf, Melanie, Gertrude und Amelie waren eben angekommen.
    „Ist Hugo krank?“ frug Melanie im besorgten Tone und

 

- 128 -

sah dabei Constanzen an. Dann als diese zu zögern schien, wandt' sie sich an Hugo:
    „Fehlt Dir etwas, Hugo! Du wirst uns doch nicht krank werden? -- -- Sprich, was hast Du denn?“
    Mit den nemlichen Fragen wurde Hugo vom alten Grafen und seinen Geschwistern bestürmt. Hugo sagte ja -- er sagte nein -- dann meinte er wieder, es würde wohl bald vorübergehen.
    „Gottlob, da kommt endlich der Omnibus!“ rief die kleine Amelie plötzlich aus: „Soll ich voraus laufen, Mutter, und dem Mann sagen, daß er hier halten soll?“
    „Das ist nicht nöthig, mein Kind,“ entgegnete Melanie, der Omnibus muß ohne dem hier vorüber.“
    Der Bayou Bridge Omnibus hatte sich diesmal etwas länger als gewöhnlich auf seinem Stoppingplace ausgeruht, da er immer noch Passagiere erwartete. Nun dauerte es ihm aber zu lang und er fuhr leer ab.
    „Mutter, O wie gescheidt -- es sitzt Niemand drin -- jetzt haben wir doch Alle ordentlich Platz -- -- nicht wahr, der Hugo darf seine Füße d'rauf legen, weil er nicht wohl ist?“ plauderte die kleine Amelie, die gleich die Erste am Schlage war, aber doch mit dem Einsteigen warten mußte, da sie nicht allein die schwere Thure zurückhalten konnte. --
    Sie waren kaum zwei Squares gefahren, als sich die Bedenklichkeiten, die sich allerseits wegen des Unwohlseins Hugo's erhoben hatten, in bedeutendem Grade steigerten. Das unaufhörliche Rütteln und Stoßen des Omnibus verursachten seinem Kopfe solche Schmerzen, daß er mehrmals laute Seufzer ausstieß und ängstlich den Wunsch ausdrückte, recht bald zu Hause zu sein. Der Omnibus fuhr auch zu langsam und es war gerade, als ob es der Treiber diesen Tag darauf abgesehen hätte, die Launen seiner trägen Maulthiere zu begünstigen. -- Gertrude, die an der linken Seite Hugo's jaß, legte mehrmals ihr kleines Händchen auf die Stirte ihres Bruders und sah ihm dabei bekummert in's Gesicht. Constanze saß ihrem Bruder zur Rechten und ließ seine Hände nicht aus den ihrigen. Sie grübelte uber ihre Ahnungen nach und dachte an das unheimliche Gelächter der langen Negerin. Die kleine Amelie hatte der alte Graf zu sich auf den Schooß genommen. Melanie neigte sich oft gegen Hugo vor und sah dann wieder nach denklich auf ihren Gatten. Gesprochen wurde sehr wenig, aber desto mehr gedacht, überlegt und vorbereitet. -- So saßen die

 

- 129 -

deutschen Atriden, bis man in Royalstreet einlenkte. Hier kam der Omnibus durch vorbeirasselnde Feuerspritzen und einen Trupp quer über die Straße laufender Feuerleute so ins Gedränge, daß er auf einige Augenblicke stille stehen mußte. Aber mit dieser Verzögerung schien es noch nicht abgethan. Die Maulthiere, durch das laute Schreien, Stoßen und Drängen scheu gemacht, sprangen seitab auf das Trottoir über und zogen mit Gewalt an dem Omnibus, der dadurch mit seinen Rädern schief in die tiefe Straßenrinne zu stehen kam. Melanie, die das Durchgehen der Maulthiere befurchtete, was übrigens nicht so leicht möglich war, da die nunmehrige Lage des Omnibus einen starken Widerstand bot, sprang entschlossen auf das Trottoir und indem sie zuerst dem alten Grafen, der ganz vorne saß, herausgeholfen hatte, trat sie neuerdings vor den Schlag und riß in ihrer Angst. Eines nach dem Andern förmlich heraus. Hugo hatte die allgemeine Bestürzung und die Erschutterung, die das heftige Anfahren hervorbrachte, auf Augenblicke sein Unwohlsein vergessen lassen und er stand nun zwischen Constanze und Gertrude, die ihn bei den Händen faßten,
    „Unsere Wohnung muß von hier nicht mehr so weit ab sein,“ bemerkte Melanie und überflog mit. Einem Blicke alle ihre Kinder, um sich zu überzeugen, ob sie auch. Alle bei einander wären,
    „Ich weiß nicht, Melanie,“ entgegnete der Graf, der sich überhaupt wenig zu orientieren verstand.
    „Ich weiß, Mutter,“ rief die kleine Amelie dazwischen : „dort -- die nächste Ecke ist Orleansstreet -- da wohnen wir ja!“ Amelie wußte deshalb so genau Bescheid zu geben, weil sie sich den großen Laden gemerkt hatte, in dessen Schaufenster so allerliebste Puppen und andere hübsche Spielwaaren ausgestellt waren.
    „So kommt, Kinder -- kommt, laßt uns eilen,“ sagte Melanie und wollte sich eben mit ihrem Gatten durch einen Trupp wahrhaft athletisch gebauter Feuerleute, die eben nach der Brandstätte hin turnten, durchdrängen, als sie durch ein lautes „stop, stop!“ zum weitern Verbleiben genöthigt wurde. Dieser Mahnruf ertönte von den schwulstigen Lippen des irischen Treibers, der es, gemäß einer Verbindlichkeiten gegen die Inhaber der Bayou Bridge Omnibus Linie, durchaus nicht dulden konnte, daß sich seine Passagiere entfernten, ohne vorher ihr Fahrgeld entrichtet zu haben.
    „Mein Gott, wir haben es vergessen, den Mann zu

 

- 130 -

bezahlen,“ sagte Melanie bestürzt zu ihrem Gatten und griff in dessen Westentasche. Der Graf, ganz verwirrt über diese Vergessenheit, fuhr zu gleicher Zeit in seine Tasche, so daß sich Beider Hände gegenseitig hinderten. Das Portmonnaie fiel zu Boden und als man sich bücken wollte, wurde man von dem Gedränge, das sich zu der nicht weit entfernten Brandstätte hinzog, ziemlich unsanft weggestoßen. Man verlor den Platz, wo das Portmonnaie fiel, der Omnibustreiber, der schon gleich Anfangs ganz ärgerlich geworden war, fing jetzt an zu fluchen und der alte Graf, Melanie, die Kinder, in der vollsten Ver wirrung und durch das unablässige Gedränge außer allen Stand gesetzt, das Verlorene zu suchen, waren jetzt nur darauf bestrebt, sich Einander nicht zu verlieren. So gelangten sie, ohne daß sie es wollten, von der Stelle weg und sahen sich plötzlich dem Feuer -- ihrer Wohnung gegenüber. --
    Amelie sah, schrie zuerst: „ Mutter, Vater, bei uns brennt's!“ -- -- Zum Durchkommen war keine Möglichkeit, denn Feuerspritzen und Mannschaften versperrten die Straßen. Zudem hätte es ja auch nichts mehr genutzt.
    Die Familie hatte sich für die wenigen Tage ihres Verbleibens in New-Orleans -- wie sie es Willens war -- nur ein einfaches Privat Boardinghaus gewählt, um unnöthige Kosten zu ersparen. In diesem war während ihrer Abwesenheit Feuer ausgebrochen und nur mit Gefahr ihres Lebens konnten die übrigen Kostleute ihre Habseligkeiten dem Heißhunger des wuthenden Elementes entreißen. Um das Zimmer, das die gräfliche Familie bewohnte, hatte sich natürlich. Niemand bekümmert. Bei einer solchen Gefahr rettet ein Jeder zuerst das Seinige ; nur Diebe sind auch um fremdes Eigenthum besorgt. --
    Doch hier -- seht, wie Melanie die Hände ringt! Hört, was sie für einen Schrei ausstößt! Ist es Freude oder Schmerz, was sich in diesem Schrei Kund gibt!. So merkwurdig war dieser Schrei, daß Alle, die ihn verrahmen, zu dieser Frage gezwungen wurden.
    „Rette, Rette meinen Emil!“ ruft sie dann nach dem in Flammen stehenden Hause hinüber und der alte Graf und die Kinder. Alle rufen es nach. Selbst Hugo, der sich alle Mühe gibt, noch aufrecht stehen zu können. Ein junger Feuermann, in der dunkelblauen Uniform der Compagnie American No.2 war eben mit einem großen Bilde aus einem schon ganz von Flammen umgebenen Fenster gestiegen und hielt dasselbe hoch mit den Händen hinaus, ungeachtet man ihm von unten

 

- 131 -

zuschrie, sich zu eilen, daß er von der Leiter herabkomme, auf deren oberster Sprosse er noch immer stand. Aber jeder Warnungsruf ertönte umsonst. Der junge Feuermann sah nur auf das Bild und schien der Wuth des heranstürmenden Flammenwirbels zu spotten. Bat, beschwor man ihn bisher, sich zu eilen, so fluchte jetzt die ganze Mannschaft, ob der Tollkühnheit ihres Gefährten. Ein Theil der Mauer, an die die Leiter gezehnt war, neigte sich nemlich schon nach Vorne. Wer wollte, wer konnte jetzt noch die Leiter ersteigen, um den Starrkopf mit Gewalt herabzuholen?
    „Rette meinen Emil -- --“ dann plötzlich, als Melanie die furchtbare Todesgefahr bemerkte, in der sich der junge Mann defand, brach sie ab und schrie noch lauter:
    „Rette, Rette Dich!“ -- --
    Ein dumpfer Schrei des Entsetzens wogte jetzt durch die buntgedrängten Haufen -- -- die Mannschaft drang auf die Seite, Alles stob auseinander, drängte sich aber gleich darauf wieder zusammen -- um die Trümmer der eingestürzten Mauer.
    Der junge Feuermann mit seinem Bilde lag tief unten -- über ihm glimmende Steinhaufen und prasselnde Flammen.
    Die letzten Gedanken Albert's waren: „Mein Emil, Du warst bei Deiner Jenny, ohne daß Du es wußtest.“ -- --
    So mußte Melanie das Bild ihres einzig geliebten Sohnes von ihrer Farm mit nach New-Orleans nehmen, um auch dies zu verlieren. -
    Was blieb jetzt der gräflichen Familie noch Anderes übrig, als sich so schnell als möglich wieder zurück auf ihre Farm zu begeben? Aber der Zustand Hugo's erlaubte das nicht.
    Eine theure Wohnung zu nehmen -- wie konnte man das wagen, wenn man nicht Schulden machen wollte? Und hatte man nicht das wenige Geld, über das man noch verfügen konnte, zur Bestreitung der ärztlichen Kosten nöthig; denn Hugo war sehr bedenklich erkrankt. Man sah es jetzt wohl, daß er das gelbe Fieber hatte. So hatte der Graf die alte, verwetterte Barracke zum Aufenthalte seiner Familie gewählt, da man den sehr geringen Betrag der Miethe im Nothfalle noch zu erschwingen hoffte.
    Aber wie es gekommen, wissen wir bereits. --
    Hugo hat weder feinen Eltern, noch Einer seiner Schwestern je etwas von der unheilverkundenden Todesanzeige gesagt. Er nahm dies schaurige Bild mit in's Grab. Dieses Bild hat sich mit ihm niedergelegt, äffte ihn in der grausamsten

 

- 132 -

Fieberhitze und hat ihm die Augen zum ewigen Schlummer zugedrückt.
    Hugo, der alte Graf und Suschen waren die Ersten, die sich niederlegten und die Ersten, die gestorben. Wohl streckten sie im Geiste ihre Arme nach der Farm bei Covington aus, wo sie zwar nicht glücklich, aber doch vergnügt gelebt hatten. Man schrieb dorthin -- aber vergebens. Seit der Prinz von Würtemberg auf so mysteriöse Weise aus New-Orleans verschwunden war, wem gehörte da die Farm? --
    Wieder beginnen die Dämonen ihren Rundtanz um das Todtenlager der Atriden und wir sind jetzt wieder da, wo wir am Schlusse des zweiten Capitels stehen geblieben sind. --

____________________

Viertes Capitel.

Das Wiedersehen.

    Man wird sich noch erinnern, daß in dem nemlichen Augenblicke, als Lorchen den Eimer fallen ließ und dadurch Melanie und Eonstanze aus dem Fieberschlafe weckte, rasch zwei Männer eingetreten waren, von denen der Eine dem Andern zurief: „Schließen Sie die Thüre, Abbé -- hier sind wir geborgen!“
    Lorchen zitterte am ganzen Körper, als sie die Eindringlinge sich so lärmendgeber den sah. Aber sie ist nicht im Stande, auch nur ein Wort hervorzubringen. Mit beiden Händen hält sie ihren Kopf zusammen, als fürchte sie, die Fiebergluth bräche hervor und wollte sie in Brand setzen. Sie hat einen jener furchtbaren Anfälle, von denen sich sogar der Arzt mit Schaudern wendet, weil er weiß, daß sie in wenigen Stunden schon den Tod herbeiführen.
    „Da sind wir in das rechte Loch gekommen, Abbé -- da sehen Sie hin, da, hier -- dort! -- -- Da -- reißen Sie nicht so dumm Ihre Augen auf -- was wird's sein? Die Pest! -- Donner und Doria, wenn uns das Policegeschmeiß nicht an der Ferse hinge --“
    „Lajos, machen Sie, daß wir wieder da herauskommen, lieber will ich -- -- --“
    „Wollen Sie bleiben, Abbé-- ich drücke Ihnen den Adamsknirps ab -- --“

 

- 133 -

    „Lassen Sie, Lajos -- Sie erdrosseln mich -- --“
    „So -- -- marsch, da hinein!“
    Der Ungar hatte den Abbé Dubreuil bei diesen Worten in den hinterm Raum der Barracke geschoben, wo die Leichen des alten Grafen, Hugo's und Suschen's lagen und wo es -- da Constanze das Licht wieder herausgenommen hat, ganz finster ist. --
    Und hier ist eine Erklärung, bevor wir weiter fahren, nöthig, damit wir wissen, wie die Beiden hierhergekommen; denn wir haben den Ungarn seit der Hiramsnacht nicht wieder gesehen und den Abbé Dubreuil glaubten wir über alle Berge:
    Noch in der nemlichen Nacht, als Hiram jene furchtbare Tragödie in der Residence der Lady Stewart zum Abschlusse brachte, eilte der Ungar, ohne Kopfbedeckung und uber und über mit Blut bespritzt, Tchoupitoulas Straße entlang nach Delord, von wo aus er sich dem Mississippi-Ufer zuwandte. Ein Wunder war es, daß ihn Niemand aufhielt, denn das blutige Gesicht, die unordentlich herabhängenden Haare, die an mehreren Stellen zerrissene Kleidung, die Eile, mit der er seinen Marsch bewerkstelligte - dies Alles mußte auch bei dem Unbekümmertsten den furchtbarsten Verdacht rege machen. Als er aber an den Wharfs weiter abwärts ging, bemerkte er, daß ihm zwei Männer folgten,die, so wie er rascher ging, auch ihre Schritte verdoppelten. Der Ungar, dem das ewige Nachlaufen überdrüßig zu werden schien, blieb jetzt plötzlich stehen und erwartete so seine Verfolger. Es waren zwei Privates von der Nacht polizei, die er auch sogleich erkannte,
    „Zu voreilig, meine Herren,“ warf er ihnen ziemlich barsch entgegen: „zu gewissenhaft in Erfüllung Ihrer Pflichten --“
    Die Wachtleute hatten kaum diese Worte vernommen, als sie ihre schon in Bereitschaft gehaltenen Stäbe wieder sinken ließen. Der Eine von ihnen, mit vollem, impertinent rothen Haare und von kleiner und untersetzter Statur, reichte dem Ungarn sogleich die Hand und sagte:
    „Die guten Zeiten sind vorüber, Herr Graf - Sie sehen, wir müssen jetzt wieder arbeiten und gefährlich aussehenden Burschen nachlaufen.“
    „Daß auch die Mühle abbrennen mußte -- gar keine Frage, Herr Graf, Einer von den untergeordneten Clubbisten hat das Feuer angelegt,“ bemerkte der andere Wachtmann, ein fahler, steckendürrer Mann, der sich für einen Creolen ausgab, obwohl jedes Kind wußte, daß er ein Preuße, d.i. ein Deutscher

 

- 134 -

war. In der Mühle nannte man ihn den langen Jacques. Er bezog, als die Mühle noch thätig war, vom Collegium der Clubbisten den schönen Gehalt von 500 Dollars monatlich Dafür war er aber so scharffehend wie ein Luchs, wenn es sich darum handelte die Aufmerksamkeit anderer und ordentlicher Wachtleute von dem Treiben der Mühle abzulenken.
    „Wenn ich nur wüßte, wo der Abbé steckte,“ sagte der Ungar, „ich habe an mehreren Orten gehört, daß er dem Bischof Geld gestohlen und dann auf einem Schiffe nach Rio geflohen sei -- -- das Ding kommt mir etwas unwahrscheinlich vor, denn die Bischöfe lassen sich kein Geld stehlen, obwohl der Abbé pfiffig genug dazu wäre --“
    „Sie sollten nicht einmal wissen, Herr Graf“ wandte der lange Jacques ein (natürlich immer französisch), „daß der Abbé hier ist!“
    „Was? Das Luder hier? Wirklich? Lügen Sie mir nichts vor, Jacques, sonst verhafte ich Sie,“ entgegnete der Ungar,zuerst im gespannten und dann in launigem Tone.
    „Gewiß, Herr Graf“ versetzte jetzt der Rothkopf, „er hat das Gerucht selbst verbreitet, um, wie er uns sagte, vor den Verfolgungen des Prinzen von Wurtenberg sicher zu sein.“
    „Pah, der Esel!“ rief der Ungar aus, „da wurde ich mir die Mühe nichtgeben -- er soll den Prinzen kalt machen, wenn er so bestimmt weiß, daß er ihn verfolgt.-- Unsinnige Umständlichkeiten von dem Abbé -- -- er schadet durch solche Dummheiten einem guten Renommé,“ setzte er ironisch hinzu. „Doch wo ist das Luder, hat sich gewiß in irgend einen Winkel verkrochen und zehrt wie ein Murmelthier von seinem eigenen Fette? --“
    „Er hat seine Wohnung bei den Hotoohs aufgeschlagen,“ entgegnete der lange Jacques, „er ist barbarisch wild darüber, daß die Mühle niedergebrannt ist und da er jetzt immer betrunken ist, so schwatzt er oft das dummste Zeug -- --“
    „Zum Beispiel?“ frug der Ungar, der der Geschwätzigkeit des Abbé immer gram gewesen war.
    „Ah pah, Albernheiten, dummes Zeug,“ antwortete der lange Jacques und in so verlegenem Tone, daß der Ungar mit Recht hinter dieser legeren Einsilbigkeit etwas witterte.
    „Was für Dummheiten? Heraus damit, meine Herren! -- -- Ich nehm’s nicht übel, mag's sein, was es will -- --“
    Der lange Jacques schwieg, dagegen aber beantwortete der Rothkopf die Frage des Ungarn.

 

- 135 -

    „Der Abbé,“ sagte er, „meint manchmal, natürlich nur, wenn er betrunken ist, daß Sie, Herr Graf, den Schatz in der Mühle gehoben und dann die ganze Wirthschaft niedergebrannt hätten -- er ist wirklich, natürlich nur, wenn er betrunkem ist, recht böse auf sie zu sprechen.“
    „Das dumme Luder!“ versetzte der Ungar, „wenn er mich in diesem Aufzuge sähe, würde er es gewiß bleiben lassen, mir einen solchen Coup de main zuzutrauen. -- --“
    „Das mein' ich auch,“ bemerkte der kange Jacques, „wenn Sie den Schatz der Mühle hätten, würden Sie nicht nöthig gehabt haben, heute schon wieder einen Mord zu begehen.“
    „Woraus schließen Sie das?“ frug der Ungar ganz ruhig.
    „Ich denke mir so, Herr Graf, weil Sie so blutig aussehen -- --“
    „Verflucht! Sehe ich denn blutig aus? -- -- -- Zur Hölle ja -- Sie haben Recht, Jacques -- meinen verbindlichsten Dank hiefür!“ brummte der Ungar, dem es jetzt erst eingefallen zu sein schien, daß er Blut mit sich führte.
    „Nun, leben Sie wohl, meine Herren -- -- Sie sehen, mein unappetitliches Aussehen - - aber sagen Sie mir, komm' ich unangefochten bis an Canalstreet?“
    „Jawohl,“ erwiederte der Rothkopf: „lauter gute Bekannte, bis auf Einen, den Sie leicht verscheuchen können, wenn Sie stehen bleiben, so wie Sie es eben bei uns hier gemacht haben.“
    „Mühle und Garrotte!“ verabschiedete sich jetzt der Ungar. Das war nemlich noch die Parole aus den guten alten Zeiten, wie sie das Collegium mit den Wachtleuten austauschte. Als sich der Ungar entfernt hatte, sagte der Rothkopf zum langen Jacques: „Der hat den Schatz der Mühle gewiß nicht.“
    „Ich glaube, wir dürften dem Grafen noch ein paar Dollars schenken -- er würde sie sicherlich nicht ausschlagen,“ meinte hierauf der lange Jaeques.
    Doch unsere Feder läuft dem Ungarn nach. --
    Derselbe hielt sich immer dicht am Ufer und nur, wenn er angewiffen Posten vorbeistreichte, machte er einen kleinen Umweg. No.15, 16 und 17 waren glücklich passiert, ohne daß er drangsaliert wurde. Am Posten No. 18 bemerkte er einen Mann, zu dem sich bald ein zweiter gesellte, der zur Flußzeile

 

- 136 -

niedergestiegen war und eben dieselbe wieder verlassen hatte. Sie hatten den so hastig Dahineilenden schon von ferne bemerkt und als er näher gekommen war, umlief der Eine den Posten, um der verdächtigen Erscheinung den Weg abzusperren. Der Ungar aber schien seine Leute schon erkannt zu haben, denn er lief ihnen gerade in die Hände.
    „Mühle und Garrotte!“ rief er um dumpfen Tone und eilte unangefochten an den Wachtleuten vorüber.
    „So eilig, Herr Graf? Einen abgemuckt?“ rief der eine Wachtmann dem Davoneilenden nach-doch der Ungar hörte es nicht mehr.
    Er hatte bereits No.20 glücklich passiert.
    Jetzt aber kam der Posten, vor dem ihn der Rothkopf und der lange Jacques gewarnt hatten.
    Der Ungar blieb stehen.
    Der Wachtmann aber lief nicht davon, wie Jene gesagt hatten. Er griff sogar schon nach seiner Waffe, um sie im Nothfalle zu gebrauchen.
    Der Ungar, anfangs entschloffen, den Wachtmann zu sich herankommen zu lassen und ihn dann mit der Faust niederzuschlagen -- denn sein Revolver lag auf dem blutbespritzten Teppich im Salon der Lady Stewart -- ergriff plötzlich ein anderes Mittel.
    Er streckte nemlich beide Arme in die Höhe und fing auf eine gräuliche Weise an zu wiehern. Entsetzt kehrte der Wachtmann um und lief was er konnte, quer über die Levee, der Stadt zu.
    Vor einem gewöhnlichen Wiehern wäre der Wachtmann nicht auf und davon gerannt. Aber vor dem Wiehern des Ungarn mußte er sich entsetzen. Lajos hatte dasselbe bei den Hotoohs gelernt, die dieses Mittel zur Verscheuchung ihrer Verfolger anwenden, denen sie im nemlichen Momente ein in Gift getauchtes Messer nachsenden. Und dies war es eigentlich, was den Wachtmann so pfeilgeschwind davon schießen hieß. --
    Der Ungar hatte mit so vollem Bewußtsein gewiehert, hatte seine Rolle so gut einstudiert, daß er im Davoneilen förm ich den Gelenkebug eines Pferdes sehen ließ -- sein langes schwarzes Haar, das auf und nieder seinen Nacken peitschte, glich ohnedem nur zu sehr einer Mähne. Schade nur, daß er einen so tief eingewurzelten Groll auf Miß Lydia Prairiebrand hatte -- da hätte es zuletzt doch noch ein glückliches Paar

 

- 137 -

abgeben können, wie in jedem Roman wenigstens. Ein es vorkommen sollte. --
    Am Fuße der Canalstraße, ganz nahe bei der Algiers Steam Ferry Landing, angelangt, hielt der Ungar einige Augenblicke inne.
    Es mochte jetzt ungefähr um Mitternacht sein, wenn man einnehmen will, daß die Camera Hiram’s nur eine Stunde gespielt und die darauf folgende Tragödie in einer guten halben Stunde ihr Ende erreicht hat.
    Der Ungar knöpfte jetzt seine Beinkleider los und stopfte die Schöße eines Visitenfrackes zu beiden Seiten hinein. Darauf stürzte er sich in die Fluthen und theilte sie mit kräftigen Armen. Als geübter und erfahrener Schwimmer unterließ er das zu heftige Stampfen und Stoßen mit den Fußen, was ihn sicher gar bald ermattet, noch ehe er das jenseitige Ufer -- Algiers erreicht hätte. Dieses Ziel zu erreichen ist keine Kleinig keit; denn der Mississippi ist hier ausnehmend breit und rechnet man die diagonale Richtung hinzu, in der man doch schwimmen muß, so scheint ein Hinüberschwimmen auf den ersten Augen blick eine pure Unmöglichkeit.
    Der Ungar eilte nun schnurstracks auf's wunderliebe Häuschen zu.
    In Algiers selbst war. Alles wie ausgestorben. Die Grogshops waren auf Anordnung der Behörde schon um acht Uhr geschlossen worden, da man einen Tumult der Rowdies befürchtet hatte. Und wenn die Grogshops geschloffen sind, ist es in Algiers bekanntlich so still wie auf einem Kirchhof.
    Da die beiden Schwestern vor ihrem Weggehen nach Lady Evans Residence der wackern Köchin befohlen hatten, aufzubleiben, bis sie zurückkamen, so getraute sie sich auch nicht, sich niederzulegen, obwohl ihr die Augen vor lauter Schlaf schon mehrmals zugefallen waren. Zudem wollte sie ja ihren schönen Herrn, der, wie sie glaubte, mit Lajos und den Damen zurück kommen wurde, noch einmal zu sehen bekommen.
    Man wird im Gedächtnisse behalten haben, daß Emil den Nachmittag vor der Hiramsnacht im wunderlieben Häuschen erschienen war,
    Eben wollte die wackere Köchin zum wiederholtenmale vor die Gartenthure eilen, um nach ihrer Herrschaft auszuspähen, die, da schon längst kein Ferryboot mehr lief, nach ihrer Meinung jedenfallsin einem schon vorher bestellten Kahne herüber gefahren kommen müßte, als der Ungar daher kam. Urschl hob

 

- 138 -

ihre Blendlaterne in die Höhe und leuchtete dem Ungarn in's Gesicht. Es war nemlich jetzt sehr finster, denn der Mond war, während der Ungar den breiten Strom durchschwamm, schlafen gegangen und hatte auch noch einige Favorit Sternchen mit sich in's Bett genommen.
    Der erste Gedanken, der beidem Anblicke des ganz durchnäßten Grafen in der wackern Köchin auftauchte, war, daß beider Herüberfahrt der Kahn umgeschlagen sei und Alle bis auf ihn ihren Tod in den Wellen gefunden hätten. Die wackere Köchin, die den Ungarn von jeher gefürchtet und sich nie getraut hatte, ein Wort an ihn zu richten, außer er fragte sie, verhielt sich auch jetzt ganz still, ungeachtet sich ihrer wegen des Nichterscheinens derDamen eine unnennbare Angst bemächtigte.
    Der Ungar schien nun keine Eile mehr zu haben. Langsamen, fast bedächtigen Schrittes ging er durch den langen Baumgang.
    Die wackere Köchin mit der Blendlaterne hinter ihm. Ihr Herz pochte fürchterlich.
    Vor dem Fronteingang des Häuschens angekommen, blieb der Ungar stehen.
    Die wackere Köchin auch. Merkwürdig, sie meinte, sie müßte stehen bleiben und dürfte nicht vorausgehen.
    Der Ungar ging jetzt einige Schritte weiter.
    Die wackere Köchin anch. Merkwürdiger, da sie doch wußte, daß sie der Graf nicht mehr nöthig hatte. Denn derselbe trat gleich darauf in den Corridor, in dem die ganze Nacht hindurch eine Lampe, wenn auch matt, doch buntfarbig leuchtete.
    Der Ungar, der natürlich nichts weniger als die wackere Köchin im Kopfe hatte, war sehr erstaunt, als er plötzlich an der Tapete des Treppenhauses neben einem noch einen zweiten Schatten gewahr wurde. Rasch drehte er sich um, so rasch, daß die wackere Köchin heftig zusammenfuhr und am ganzen Leibe zitterte. Das Aussehen des Ungarn war auch wirklich haarsträubend.
    „Dumme Trolle, cheer' Dich in Dein Nest!“ rief er ärgerlich. „Ich brauch' Dich nicht mehr.“
    „Yes, Sir,“ sagte sie kleinlaut, blieb aber dabei noch immer stehen.
    „Hörst Du, -- in's Nest!“ wiederholte der Ungar, sah aber dabei auf die wackere Köchin.

 

- 139 -

    „Yes, Sir!“ sagte sie, blieb aber dabei noch immer stehen.
    „Nun, was hast Du, was willst Du denn? Du zittert ja wie Espenlaub,“ sagte der Ungar. Er konnte sich's aber ungefähr denken, was der wackern Köchin auf dem Herzen lag, Sie möchte nemlich wissen, wo die Damen wären und ob sie überhaupt diese Nacht noch kämen,
    „Leg' Dich in's Nest, Du hast auf Niemanden mehr zu warten -- -- ist Jemand während meiner Abwesenheit hier gewesen?“
    „Yes, Sir!“
    „So? Yes, Sir? Warum hast Du mir's nicht gleich gesagt?“
    „Yes, Sir!“
    Die arme Köchin war wirklich so verblüfft, daß sie nicht wußte, wie sie daran war, -
    „Nun, beim Henker, wer ist denn hier gewesen?“
    „Der junge Graf“ antwortete jetzt die wackere Köchin sehr kleinlaut.
    „Was für ein junger Graf?“
    „Der Gräfin Jenny ihr junger Graf.“
    „Dummes Stück, was schwätzt Du da?“
    „Ja, er war hier, der Gräfin ihr Graf Emil -- -- ist er nicht nach der Party gekommen! -- ich hab's ihm gesagt, daß bei Lady Stewart -- --“ sagte, frug die wackere Köchin ganz verdattert. --
    Man kann sich wohl denken, daß auf eine solche Auskunft hin der Ungar noch Näheres zu wissen begehrte. Die wackere Köchin erzählte alles haarklein -- Die so unerwartete Ankunft Emil’s -die Vorfälle in Lady Evans Residence -- seine eigene jetzige Lage? Ist's nicht besser, man brennt das Nest nieder und geht zu den Hotoohs: So sprach er zu sich und stieg in’s obere Stockwerk.
    Mittlerweile hatte sich die wackere Köchin in ihre Kammer neben der Küche begeben. Sie rückte Tisch und Stühle vor die Thüre, kroch dann ins Bett und zog die Decke bis über den Kopf. Sie fürchtete sich nun einmal heute so. Die Arme! Sie sollte nicht wieder das Tageslicht erblicken.
    Das Erste, was nun der Ungar vornahm, war, daß er sich wusch, frisierte und sich überhaupt ganz neu umkleidete; dann raffte er noch alles vorräthige Geld zusammen und steckte es bei. Es war dies kein Diebstahl, denn er wußte ja, daß

 

- 140 -

Jenny und Frida nicht mehr lebten und Emil doch nichts mehr holen konnte, da er den festen Entschluß gefaßt, noch diese Nacht das wunderliebe Häuschen in Brand zu stecken. Das Feueranlegen war bei dem Ungar zur förmlichen Manie geworden, was sich leicht daraus erklären läßt, daß er so lange Zeit der Vorstand einer der gefährlichsten Brandstifterbanden war. -- Eine üble, fast widerliche Gewohnheit, seinem Aerger durch Feueranlegen Luft zu machen. Und ärgerlich war der Ungar nur, als er das wunderliebe Häuschen mit Feuer mordete. -- Die nemliche Nacht noch, in der er dieses neue Verbrechen verübt, ruderte sich der Ungar in demselben Kahne, den sonst immer Tiberius regiert, nach New-Orleans hinüber. Ganz unten in der dritten Munizipalität stieg er an's Land. Seinen Kahn band er diesmal gar nicht an. Ein Zeichen, daß er nicht mehr hinüber verlangte. Hier und drüben läuteten die Feuerglocken, als er das Ufer verließ und der nächsten Straße zuschritt. Er sah sich gar nicht um. Desto gieriger sah ihm der von der Feuersbrunst geröthete Himmel in eine kohlschwarzen Augen.
    In seiner jetzigen Kleidung, die Cigarre im Munde und eine hübsche Reitgerte in der linken Hand -- sah er ganz honett aus.
    Zwei Wachtleute, die an der nächsten Ecke standen, fragten ihn, wie viel Uhr es sei?
    Der Ungar zog ganz höflich seine goldene Cylinderuhr und sagte : „halb zwei Uhr voruber, Messieurs.“ Dann ging er weiter und bog in E* ein. Von den beiden Wachtleuten aber war Einer ein Rheinpfälzer, der meinte: „Der Gentleman geht gewiß auf den Schnepfenstrich.“ Das meinte der Andere dann auch. --
    An einer sogenannten „Common Alley without blinds“ blieb der Ungar plötzlich stehen.
    „Wenn der Abbé wirklich bei den Hotoohs stecken sollte, wie mir der lange Jacques versichert, so kann ich wohl gleich ein Unterkommen finden, ohne erst lang Umstände machen zu müssen,“ brummte er vor sich hin und schlich durch die Alley. Zur Rechten zog sich eine hohe Mauer hin, zur Linken ein altes, aber vor Kurzem erst frisch übertünchtes, niedriges Gebäude, das genau das Ansehen eines Warehauses hatte. Dieses Gebäude endete ungefähr in der Mitte der Alley, wo es sich mit der hier quer überlaufenden Mauer verband. Dieser Theil der Mauer führte den Namen “blinded wall,"

 

- 141 -

wahrscheinlich weil man nicht im Stande war, über diese mit Tausenden von Glasscherben besäte Mauer zu steigen, demnach nicht sehen konnte, was drüben vorging. Eine Thüre, die auf der Seite des Warehaus ähnlichen Gebäudes angebracht war, führte in zwei Gelasse mit kahlen Wänden, worin sich auch nicht das geringste Ameublement vorfand. Diese Gelasse hatten nach Außen gar keine Lichtöffnung, was auch ganz unnöthig gewesen wäre, da die Höhe der vor denselben stehenden Mauer sie doch verdeckt hätte,
    Wenn sich der Ungar schon etwas gewundert hatte, daß er, ohne erst das übliche Zeichen machen zu müssen, unangefochten seinen Fuß in die genannten Gelasse setzen konnte, so war er jetzt, wo ihm auch hier kein Ruf entgegen tönte, aufs Höchste erstaunt,
    „Sonderbar,“ dachte er sich: „So frei und ungeniert kam gewiß noch Keiner da herein.“
    Stockfinster war es, sonst hätte er's sehen müssen, daß sich dicht aus der westlichen Wand des hintern Gelasses zwei Gestalten herausarbeiteten und mit halbem Leibe stecken blieben, So wenig Geräusch dieselben auch verursacht hatten, so vernahm es der Ungar doch. Er dachte sich's, daß es Jemand sein mußte; denn auf diese Weise hatte man ihn noch immer empfangen. Nur war diesmal die erste Parole ausgeblieben, ehe er in die Gelaffe trat.
    „Wir sind die Gelben und die Braun ein, die Weiber und keine Frucht!“ rief jetzt der Ungar, um doch zu sehen, ob er recht gehört hatte.
    „Die Hotoohs decken, die Hotoohs drükken, keine Weiber und eine Frucht!“ war die Antwort und der Ungar hörte zu gleicher Zeit die erwartete Kugel bis zu sich heranrollen. Er bückte sich und nahm die Kugel in die rechte Faust. Dieselbe wurde nun angezogen, worauf er sicheren Schrittes dem Zuge folgte, bis seine Füße an die Wand stießen, von der man ihm die Kugel, an einer Schnur befestigt, hatte zurollen lassen. Seine Reitgerte, die er, seit er in die Gelaffe getreten war, zwischen den Zähnen hielt, ließ er jetzt fallen und kroch durch die Oeffnung der westlichen Wand, durch die sich vorher die Hotoohs gestreckt hatten,
    „Wen deckst Du?“ frug den Ungarn. Eine von den beiden Hotoohs, die Nemliche, die die Kugel gegen ihn gerollt hatte. Sie befanden sich nemlich jetzt am Fuße der schmalen Treppe, die in die Hotoohgemächer führte.

 

- 142 -

    „Ich decke den Abbé Dominique Dubreuil,“ erwiderte der Ungar und drückte die Hotooh an sich heran.
    „So klatsche *), dann decke,“ wisperte die Nemliche wieder. Es war das Wispern einer Thierin, der aber ein Gottesfunke, Geist genannt, in Gehirne glimmte.
    (Hier entschuldige der Leser, daß sich unsere Feder ins Papier verbeißt und dabei so fest ihren Spalt zusammendrückt, daß die Tinte herabrinnt.)
    Tintenkleckse für Worte. Die Types hiefür sind noch nicht gegossen. --
    Jetzt wandte sich die andere Hotooh an den Ungarn:
    „Den Abbé Dominique Dubreuil wirst Du nicht mehr kennen, wenn wir Dir ihn auch zeigen werden.“
    „Wie so?“ meinte der Ungar und stieg mit der Hotooh die Treppe hinauf. Die andere Hotooh hockte unten; denn sie hatte noch Etwas zu arrangieren.
    „Weil er einen Schnurrbart trägt, wie Du, abgebrannter Clubbist,“ versetzte die Hotooh und lächelte auf feine, schelmische Art.
    „Nichts weiter?“ frug der Ungar gelassen. Damit meinte er nemlich die Schnurrbartgeschichte. Ihr Lächeln galt dem „abgebrannten Clubbisten.“ Das merkte er sich. Der Rothkopf und der lange Jacques hatten doch die Wahrheit gesprochen, als sie meinten, der Abbé sagte in seiner Betrunkenheit oft das dummste Zeug. Denn auf was anders sollte die Hotooh angespielt haben, als daß er z.B. den Schatz der Mühle besitze und diese angesteckt habe?
____________________


*) Die Sprache der Hotsoh's ist so complicirter Art, hat eine von ähnlichen Toterie Idiomen so abweichende Biegung, daß fbon der bloße Versuch, dieselbe zu deuten, zu einer ansehnlichen Grammaire heranschwellen würde. Zudem hat die Sprache die Eigenheit, daß ein und dasselbe Wort oft eine zwölffache Bedeutung hat, wo dann immer die Betonung -- bald weinerlich und ächzend, bald stark, leise, ernst und dumpf u.s.w. für das jedesmalige Verständniß entscheidet. Fast unmöglich ist es, jedes Wort auch nur annäherungsweise in eine andere Sprache zu übertragen. So haben wir das Hotooh'sche fachorin mit klatschen gegeben. Hier mußte uns der Wortlaut zum Führer dienen: „Facherin“ haben die Hotoohs eine vierfache Bedeutung unterlegt. Es heißt eben so gut, „schlagen,“ „beißen,“ als „küssen“ und „umarmen.“ Hier entscheidet das Mienenspiel zugleich in Verbindung mit der Betonung. „Tichel“ (was wir mit Decken wiedergeben) heißt eben so gut „fragen“, „wünschen“, als „schlafen“, „streicheln“ und „beißen.“ -- Der bekannte unglückliche Alfred Durand, der nach einem halbjährigen Aufenthalte bei den Hotoobs, in deren Schoß ihn übrigens nur die äußerste Noth getrieben hatte, dieser Verbindung entfloh, sprach die Sprache der Hotoohs so geläufig, wie seine Muttersprache, die französische. Dafür, daß er dieselbe an unrechten Orten mißbrauchte, mußte er sterben. Man sagte damals, er hätte in einem Anfluge tiefer Melancholie Gift genommen. Es waren aber die Hotoobs, die ihn vergifteten und seinen Leichnam dann auf offene Straße legten, wo ihn am frühesten Morgen ein Schiffszimmermann gefunden hatte. --

 

- 143 -

    Der Abbé Dominique Dubreuil hatte sich hier wirklich einen fürchterlichen Schnurr -- nicht nur, sondern auch Kinn -- und Backenbart stehen lassen. Er hockte unter einer ganzen Heerde Female Hotoohs, als der Ungar mit der Hotooh in's Sanctissimum trat. Hätte der Abbé nicht gehüstelt, der Ungar hätte ihn bei Gott im ersten Augenblicke nicht erkannt. So sehr hatte sich derselbe seit der kurzen Zeit, in der man sich nicht mehr sah, verändert.
    Hochwürden Schwein war förmlich fett geworden, trotzdem, daß es sich jetzt das Saufen so sehr angewöhnt hatte, Andere ordentliche Leute hätten bei einer solchen Aufführung, wie sie der Abbé seit einiger Zeit unter den Hotoohs pflegte, gewiß schon längst die Lungenschwindsucht bekommen, Uebrigens auch sehr leicht möglich, daß ein sonst so abgezehrtes Leibchen jetzt der Sauerteig der Waffersucht in die Höhe trieb und daß es nur so aussah, als ob er gesund fett wäre. --
    Der Abbé war nicht wenig betroffen, als er so wider alles. Erwarten den Erdietator der Hamburger Mühle eintreten sah. Er verwünschte es im Geiste tausendmal, daß er so oftmals über ihn bei den Hotoohs geschimpft hatte; doch schien er gleich darauf schon wieder etwas beruhigt, als ihm der Ungar ein freundliches: Comment s'en va? zuwarf. Seine Ruhe wurde aber wieder sehr geschmälert, als er vom Entschluß des Ungarn, auf immer hier zu bleiben, vernahm. Die Angst des Abbé war übrigens ganz überflüssig, denn der Ungar erwähnte weder etwas von den Worten des langen Jacques und des Rothkopf, noch that er überhaupt dergleichen, als ob er eine Pique auf ihn hätte. Der Abbé schwieg von dem Mühlenbrande, weil er keine Sache heraufbeschwören wollte, in der er sich indiskret gezeigt hatte; denn es blieb doch nur immer eine Vermuthung, daß der Erdictator der Urheber jenes folgereichen Brandmanoeuvres war -- der Ungar sprach nicht hievon, weil es ihm zu umständlich war. So hielten sich. Beide gegenseitig beständig in Schach. Einmal, als der Abbé so recht betrunken war -- es war bei Gelegenheit der Aufnahme eines vierzehnjährigen Quadroonen Mädchens in die Hotooh Verbindung -- wollte er schon von der Mühle anfangen -- (denn weil der Ungar auch so hartnäckig davon schwieg, schien ihm seine Meinung doch gegründet) aber er unterließ es doch. Von der Hiramsnacht und was ihn hieher getrieben, sprach der Ungar nie ein Wort. Er wollte unit den Wölfen heulen, aber sie nicht zu Vertrauten machen. Nur dadurch glaubte er auch hier

 

- 144 -

bald Alle unter seinen Hut zu bekommen, wie er es früher mit der Mühle und vornehmlich mit dem Collegium der Clubbisten gemacht hatte; denn es fiel ihm gar nicht bei, immer hier zu bleiben. Er wollte sich auch hier wieder die Dictatur erobern und dann dieselbe benützen, um -- Geld zu machen. Doch im Schicksalsbuche war es anders beschlossen. --
    Uebergehen wir einen Zeitraum von ungefähr zehn Tagen.
    Es war in derselben Nacht, in der wir zum ersten Male in die verwitterte Barracke zu der vom gelben Fieber beimgesuchten Familie traten, als der Ungar und der Abbé ausgegangen waren, um gewisse Einkäufe für die Hotoohs zu besorgen. Den Abbé kannte gewiß Niemand in der ganzen Stadt, so verändert sah er aus. Abgesehen von seinem großen Barte, der ihn schon ganz allein unkenntlich gemacht hätte, hatte er sich einen künstlichen Höcker angepaßt, so daß er von hinten genau aussah wie Aesop und nicht mehr wie das liederliche, rückenschwache Subject Dubreuil.
    Man kaufte unter Anderm ein ganzes Set Pillenschachteln, die der Abbé in eine tiefe Rocktasche stecken mußte; denn der Ungar hatte immer, wenn ihn der Abbé frug, zu kleine Taschen. Das Wahre an der Sache aber war, daß ihn der Ungar bei solchen Einkäufen immer als Packesel benutzte. -- Schon wollten sie wieder ihren Weg nach der Wohnung der Hotooh's einschlagen, als es dem Ungarn plötzlich einfiel, daß man Laudanum vergessen habe. Dasselbe hatten die Hotooh's noch diese Nacht nöthig, daher man sich wohl zu einem kleinen Umweg verstehen mußte.
    An der Ecke von Enghien und CasacalvoStraßen traten sie in eine Apotheke. Dieselbe war so überfüllt mit Menschen, die auf Medicamente fur Fieberkranke paßten, daß sich vor einer Viertelstunde nicht die geringste Aussicht darbot, befriedigt zu werden. Zum Zeitvertreib stellte sich der Ungar an die Stellage, wo die Tinkturen standen und überflog die Etiketten mit gleichgültigen Blicken. Nur an einigen Glasern blieb sein Auge länger und aufmerksamer haften. Der Abbé stand auf der an deren Seite und unterhielt sich mit den Radices. Aber er hatte es bald satt und vegab sich auf die Seite, wo der Ungar stand. Ein, zwei, drei Menschen verließen jetzt die Apotheke. Der Apotheker mit seinen zwei Gehülfen hatte alle Hände voll.
    „Tinctura Belladonnae,“ las der Ungar halb laut und sah dabei den Abbé an.
    „Wird gebraucht, Abbe?“

 

- 145 -

    „Für Verschiedenes,“ sagte der Abbé gleichgültig,
    „Sagten Sie mir nicht einmal, Sie hätten auch Pharmazie studiert?“ -
    „So ist es auch,“ versetzte der Höcker-Neophyt, --
    „Dann können Sie mir doch auch etwas Besseres sagen, als „für Verschiedenes.“
    „Nun, ja -- man gebraucht es auch bei Erisyphelas,“ war die Antwort,
    „Seh' schon, Abbé, Sie verstehen. Nichts -- haben mir Etwas vorgelogen.“
    „Glauben Sie das,“ entgegnete der Abbé- aber beeilen wir uns -- wir werden bald an der Reihe ein --“
    „Belladonna braucht' ich, Abbé, glauben Sie, er gibt sie uns?“
    „In keinem Falle, Lajos, und sollten Sie's mit Gold auf wägen.“
    „Dann nehmen wir das ganze Glas mit,“ sagte der Ungar in entschlossenem Tone. Hierauf wandte er sich an den Abbé:
    „Das Glas steht aber zu hoch; was meinen Sie, Abbé? wollen Sie da hinaufsteigen und es herabholen?“
    „Wo denken Sie hin, Lajos?“ sagte der Abbé erschrocken, aber so unheimlich leise und feig, daß es nicht einmal der Ungar hörte, der doch ganz nahe bei ihm stand,
    „Haben Sie mich verstanden, Abbé?“
    „Lajos, ich bitte Sie, unterlassen Sie den Scandal. Wie können Sie von mir so etwas verlangen, was ich nicht einmal von Ihnen verlangen würde und Sie sind doch viel länger als ich -- --“
    „Länger ja, aber auch größer,“ unterbrach ihn der Ungar -- dann sagte er nach einer kurzen Pause:
    „Wenn Sie nicht wollen, Abbé, dann thu' ich's -- das Menschenzeug hier soll mich nicht genieren, aber geben Sie Acht und eilen Sie schnell nach, daß man Sie nicht faßt; denn man hat Sie mit mir sprechen sehen -- --“
    Der Abbé hielt den Ungarn mechanisch am Rock, als wollte er ihn zurückhalten und wollte gerade sagen: „Aber das Laudanum, Lajos,“ als jener schon hinaufgestiegen war und wie der Blitz mit dem schweren Pittsburger Glase auf die Straße eilte.
    Den Abbé riß es unwiderstehlich nach. Nur immer den dahineilenden Ungar im Auge, war er demselben schon ganz

 

- 146 -

nahe gekommen, als sich ein Theil seines künstlichen Höckers verschob und unter den rechten Arm würgte. Dadurch wurde er wieder etwas zurückgehalten, während der Ungar, der nur so dahinflog, einen bedeutenden Vorsprung gewann.
    „Diebe, Räuber, Mörder!“ Dann wieder „Feuer, Feuer!“ fluchte, schrie und heulte man den Fliehenden nach Dann rief es wieder wie toll und als wäre die ganze Stadt gefährdet: „Watsch, Watsch! Cityrats, Cityrats!“ -- Solche Exclamationen werden am meisten von Leuten erhoben, die gar nicht einmal wissen, um was es sich handelt. Einer schreit: „Watsch“, so schreit ein zweiter: „Cityrat“; ein dritter, der des Weges kommt, schreit schon wieder etwas anderes, z.B. „Feuer, Feuer!“ u.s.w. -- Die Wachtleute hassen dieses Untereinanderschreien und mit Recht; denn sie wissen, daß derlei hyperbolische Erclamationen eben so viele Warnungsrufe für den wirklich fliehenden Spitzbuben, Mörder oder Brandstifter sind. -- Ohne diesen Wirrwar wäre es dem Ungarn und Abbé ungeachtet ihres pfeilschnellen Dahinschießens sicherlich nicht gelungen, zu entkommen; denn gleich nachdem der Ungar mit seiner Bella Donna und dem Abbé aus der Apotheke stürzte, wurde Lärm geschlagen und so erfolgreich, daß sich alsobald mehrere von der heiligen Hermandad zur Wiedereroberung der giftigen Donna bereitwillig zeigten. Hätten die Wachtleute damals schon ihren Halbmond, an den Kittel geheftet, getragen, so wäre es unverzeihlich gewesen, wenn sie denn doch nicht die Diebe noch erwischt hätten. So aber trugen sie zu jener Zeit noch keine solche Leuchte. Heut zu Tage kommt es nicht mehr vor, daß Einer ungestraft mit einer Bella Donna davonläuft. --
    Man wird noch im Gedächtniß behalten haben, daß der Arzt von der Howard Association, als er aus der Barracke trat, um in seinen Wagen zu steigen, einen Mann in demselben fand, der ihn nach einem lakonischen Widerpart mit einem Faustschlag auf die Stirne zu Boden warf. Dieser Mann war der Ungar, der in seinem Fliehen die Gelegenheit, daß der Wagen leer stand, benützt hatte, indem er sich ohne Weiteres hineinsetzte und alsogleich auch die Zügel ergriff. Auch hat man bereits erfahren, auf welch eine unsanfte Art der Ungar demnach, keuchenden Abbé in den Wagen verhalf. Aber der Ungar sollte seine giftige Apothekermamsell nicht mehr in die Wohnung der Hotoohs schleppen. Er fuhr zu rasend schnell-beim Umbiegen um eine Ecke stieß der Doctorkarren so heftig an einen Laternenpfahl, daß icht nur ein, sondern gleich alle Räder zerbrachen

 

- 147 -

und die Gabel im Hinaufstoßen das arme Pferd furchtbar an die Kinnlade schlug. Da hatte das Kutschieren für heute ein Ende.
    „Lassen Sie die ganze Geschichte liegen, Lajos,“ sagte der Abbé bestürzt und immer noch ganz außer Athem, „ich glaube, in der nächsten Straße ist eine Hotooh Kralle*) -- --“
    Hätte sich nicht im nemlichen Augenblicke, wo der Abbé einen so wohlgemeinten Rath gab, die wohlbekannte Musik eines Wachtmann-Prügels vernehmen lassen, so wäre von dem Ungarn vielleicht noch Gegensprache erhoben worden. Aber so? Man konnte es doch nicht wissen -- man hatte in diesem Revier keine Freunde -- man sah zu echauffiert und verdächtig aus -- kurz der Rath des Abbé fand bei dem Belladonnadieb Beifall. Beim Abbé war es Feigheit, daß er einen Zufluchtsort ersehnte -- dem Ungarn war es zu monoton, schon wieder einen Conflikt zu bestehen und vielleicht dachte er auch daran, daß ihm die Hotochs einen zu großen Verschub übel nehmen möchten.
    Man floh.
    Hinter sich nun erst recht Lärm, Prügel-Musik und Schnarre.
    Jetzt patschte man durch das hier zusammengelaufene Regenwasser und trat -- in eine Hotooh-Kralle? Bei Leibe nicht -- man befand sich in der Barracke der gräflichen Familie.
    Der Abbé hatte sich geirrt. Man war am nemlichen Platze wieder angekommen, wo man in den Doctorkarren stieg.
    War es Zufall oder trieb sie eine höhere Macht hieher?
    Und jetzt erst, nachdem wir schon zweimal vom Fieberlager der Atriden geflohen, und jetzt erst, nachdem wir nach der ersten Flucht die Karten gemischt und als Trumpf die Hiramsnacht ponierten und jetzt erst, nachdem wir Euch mit den Hotoohs und der Bella Donna auf Abwege gebracht -- erst jetzt fliegt der Vorhang in die Höhe und es wird aufgeführt das Trauerspiel: „Das Wiedersehen.“
____________________


*) Hotooh - Kralle (Crahwilla) ist eine Filiale, deren die Hotoohs im dritten Distrikt Fünf und im zweiten Distrikt. Eine etabliert haben sollen. Am Tage wird gewöhnlich Obst ausgestellt. Daneben stehen zur Sommerszeit ein paar mit Eiswasser gefüllte Eimer, in denen sich Bouteilen oder Krüge mit Root Beer befinden. Auch schenken sie nebenbei auf einem kleinen Tischchen zwischen fünf und sieben Uhr Morgens Caffee. Dies geschieht. Alles im Freien, dicht am Eingang der Barracke. -- Mit Sonnenuntergang sind die Filialen geschlossen,

 

- 148 -



    Constanze hatte sich mit halbem Leibe von ihrem Lager erhoben, als die Beiden eingetreten waren. Sie hatte dieStimme des Grafen gleich erkannt. Die Worte, die derselbe mit dem Abbè Dubreuil gewechselt, hatte sie nicht verstanden, da sie in der Hotoohsprache gesprochen wurden. Im ersten Momente der Ueberraschung legte sie ihre Rechte auf die glühende Stirne und senkte den Kopf, als wollte sie sich erst auf Worte besinnen, oder als fürchtete sie, die so plötzliche Erscheinung sei nur ein Traum. Dann nimmt sie alle ihre Kräfte zusammen und rafftsich empor. Im nemlichen Augenblicke erkannte sie auch der Graf
    „Gräfin Constanze!“ rief er aus: „Was soll das? Sie hier? Und was..“
    Constanze bewegt die Lippen -- unarticulierte Laute sind es nur, die sie herausstößt; sie schlägt ihre Arme zurück, sieht bald auf den Grafen, bald neigt sie sich über das Antlitz ihrer Mutter, die halb zu schlafen und halb zu wachen scheint; ihre Bewegungen werden immer heftiger; man sieht es ihr an, sie möchte gerne sprechen, rufen -- doch statt dessen drückt sie noch ein paar Mal beide Hände auf den Mund und dann stößt sie einen so entsetzlichen Schrei aus, daß der Ungar noch einen Schritt weiter zurückweicht, Melanie erschrocken emporfährt und der Abbé mit eingeknickten Knien über die Schwelle des Hinterraumes schlottert.
    „Mutter!“ möchte Constanze rufen: „Das ist Graf Lajos, das ist der Gatte Frida's, den wir mit auf die Farm bringen wollten und auf dessen Bekanntschaft Du Dich so sehr gefreut hat -- -- sieh', Mutter, das ist Graf Lajos, von dem ich Dir so viel erzählt und den wir für verloren hielten -- -- sieh', Mutter, das ist der unglückliche Vater seines auf so entsetzliche Weise dahingegangenen Kindes -- --“
    Und zu dem Grafen möchte Constanze gerne sagen:
    „Wo sind Sie in jener furchtbaren Nacht hingekommen -- warum haben Sie sich nicht bei mir und Gertrude sehen lassen -- warum sind Sie nicht zu uns auf die Farm gekommen? -- -- Haben Sie vielleicht den Prinzen gesehen oder waren Sie bei ihm? -- -- -- Aber, wie kommen Sie hieher? Sie sind zu spät gekommen, Graf Lajos -- -- Sehen Sie einmal dahinein, da drinnen liegen Vater, Bruder und Schwesterchen und dann sehen Sie hier um sich -- -- nicht wahr, Graf Lajos, wir sind

 

- 149 -

seit der Zeit, wo wir uns zum Letztenmale aben, recht unglück lich geworden? -- --“
    So würde Constanze wahrscheinlich zur Mutter, zum Grafengesprochen haben, wenn sie noch -- reden könnte,
    Das Erscheinen des Ungarn war zu unerwartet, zu plotzlich. Sie blieb stumm. --
    Der Abbé erkannte mit einem Blicke, wo er sich befand, noch ehe der Ungar es nur ahnte. Hatte er doch Melanie schon in jener ärmlichen Behausung in Washington Avenue gesehen und Constanze nicht auch? Hatte er die Letztere etwas später nicht auch wieder bei Miß Dudley gesehen ? -- Auf sein verändertes Aussehen vertrauend verließ er die Schwelle und stellte sich hinter den Ungar,
    Melanie hatte die Beiden jetzt auch gesehen.
    „Meine Constanze -- was ist das? -- -- wer sind diese Männer? -- Sprich' doch, Constanze -- was wollen die Männer hier? --“
    Das arme, unglückliche Mädchen hatte die Frage ihrer Mutter nicht mehr vernommen -- sie war zur Seite ihres Bettes niedergesunken. Der Würgengel der Fieberpest fand, daß es endlich einmal Zeit war. --
    Der Ungar und der Abbé hatten dem furchtbaren Ende Constanzens zugesehen.
    „Ich gehe hinaus,“ sagte der Abbé dazwischen und er schlich statt zur Thüre, die auf die Straße führte, wieder in den Hinterraum zurück, wo die Leichen des Grafen, Hugos und Suschens liegen. Lassen wir ihn im Finstern einstweilen herumtappen. Vielleicht greift oder stößt er an etwas Kaltes -- und wenn dies der Fall ist, so fällt er schon vor Schrecken zu Boden und gibt seinen Geist auf; denn dieser Mensch ist feig. -- -- --
    Melanie, Du unglücklichste aller Mütter, steige doch lieber wieder ins Bett-Du kannst Dich ja kaum auf den Füßen erhalten. Glaubst Du denn, das Fieber hat Dich verlassen, weil Du jetzt wieder aufstehen kannst? O, traue diesem heimtückischen Feinde nicht, er würgt und mordet, wo man es am wenigsten erwartet. Sieh, dort liegt das gute Lorchen -- erst noch vor wenigen Minuten hat sie Dir fühlende Umschläge auf die glühende Stirne gelegt -- -- ich sage Dir, unglückliche Mut ter, traue dem Fieber nicht und lege Dich nieder!
    Siehst Du, daß Constanze auch schon todt ist!
    Nimm Deine weißen Füße in Acht, Melanie; trittst Du da

 

- 150 -

hinein, so bekommen sie eine häßliche Farbe. Gertrude und Amelie auch? Rüttle nur zu, Melanie! Siehst Du -- auch todt. -- Aber jetzt wärst Du bald hineingetreten -- -- aber, Melanie, Du thust jetzt gerade, als wärst Du noch die einzig Lebende in Deiner Behausung -- -- Nun, siehst Du, jetzt bist Du doch da hineingetreten! -- -- --
    Der Ungar hat während dessen gedacht -- viel gedacht. -- Was ihn hier festbannte, warum er nicht floh- wer weiß das ?
    Die Todten kann man nicht lange ansehen. Es werden Einem davon die Augen so müde. Und küfen kann man sie auch nicht, wenn sie fo gestorben sind. Deßhalb will Melanie wieder ins Bett steigen und denkt gar nicht mehr an den Mann oder die Männer, um die sie vorher Constanze gefragt hat. Da fühlt sie eine Hand auf ihrer entblößten Schulter und weil ihre Schultern so glühend heiß und die Hand so bitter kalt, so schrickt sie zusammen und streift im Umdrehen mit ihren Lippen an die Narbe auf der Wange des Ungarn.
    Diese Narbe! Diese Augen! Da kann bei Melanie nur Ein Gedanke sein -- sie hat den nemlichen Mann vor sich, der ihr bei jener Feuersbrunst das Geld aus den Händen gerissen, während sie das Bild Emils auf den Armen trug -- sie hat den Urheber all' ihres Elends, den Mörder ihrer ganzen Familie vor sich.
    Sie weiß jetzt gar nicht, was sie thut. Statt ihre Lippen von der Narbe zu entfernen, drückt sie dieselben nur noch heftiger an und reißt dann mit beiden Händen an den langen Haaren des Ungarn. Derselbe läßt sich's gefallen. Er hat in Melanien jene Frau schon erkannt, ehe er ihr die Hand auf die Schulter gelegt hat. Er hat es errathen, daß dieselbe die Mutter Constanzens und Gertrudens, daß sie das weibliche Oberhaupt der gräflichen Familie ist, die er in Begleitung von Lady Stewart und des Prinzen von Würtemberg hätte besuchen sollen -- und es schwebte schon auf seinen Lippen, auch ihr wissen zu lassen, wer er ist -- -- da zieht ihn Melanie zu sich auf den Boden und da er sich zu schnell emporreckt, so läßt er seine Haare, die sie vorher gefaßt hatte, in ihren Händen.
    Sie hat es nicht erfahren, daß der Ungar der Gatte Frida's war. So wenig wie die Andern, daß der Gatte Frida's der Dieb und Brandstifter war.
    Dem Ungarn fällt nun wieder der Abbé ein. Er nimmt das Licht vom Mantel des Kamins und geht in den Hinterraum

 

- 151 -

Da er nicht auf den Boden sieht, so tritt er auf den Abbé. Er war todt.
    Und nun schließt der Ungar auf einen Augenblick die Augen. Ohne daß es ihm Jemand befiehlt, geht er auf den Zehen aus dem Hinterraum und stellt das Licht, nur noch ein winziges Stümpchen, auf seinen alten Platz.
    Wie es ihn doch hier noch zurückhalten kann -- als ob er noch etwas zu thun hätte.
    Auf was besinnt er sich denn noch? Will er hier bleiben? Doch jetzt geht er ja. -- Jetzt bleibt er wieder stehen. Er denkt sich: Draußen vor der Thüre müssen Leute stehen, sonst könnte es doch nicht so leise und dann wieder etwas lauter sprechen.
    Da kommt's herein :
    Uriah Hiram, Sam Cleveland aus Illinois und der junge Graf Emil.
-------------0-------------

Fünftes Kapitel.

Die Fahrt nach dem Richt-
platze.

    Das waren traurige Tage und schauerliche Nächte in der Zeit zwischen dem 14.Juli und 27.August. Wenig sonnige Tage und ein fast beständiges Weinen des Nachthimmels. Und gelang es je einmal der Sonne, das schmutzige Gewölk zu durchreißen, so fandte sie einen Hagel von glühenden Pfeilen auf die armen, geängstigten Menschen. Nicht viel besser hat es der Mond gemacht, wenn er sich nach vielen Nächten wieder einmal sehen ließ. Die aus ihren schwülen Wohnungen hinaus ins Freie eilten, um sich an seinem Lichte zu erfreuen, kehrten gar bald wieder zurück und klagten über Kopfweh. Ja, Manche wollten sogar bemerkt haben, daß in jenen Nächten, wo der Mond am Himmel stand, die Meisten gestorben sind. Nicht weniger beängstigend als Sonne nnd Mond waren für den aufmerksamen, sinnigen Beobachter die abentheuerlichen Wolkengebilde, die sich besonders gegen die Mitte des Monats August zu am Nachthimmel zeigten. Ihre Metamorphosen blieben bei dem jedesmaligen Erscheinen immer die nemlichen. Zuerst stieg

 

- 152 -

von der Gegend her, wo der Mississippi seine Fluthen in den Golf hinabwälzt, eine riesenhafte schwarze Wolke auf. Einige Minuten lang blieb sie unbeweglich. So schien sie ein ungeheurer verwitterter Felsblock, von irgend einem Posthumus-Giganten in unsere Cypressensumpfe geschleudert. Die anorganische Physiognomie dieses Coloffes verschwand, denn er bewegte sich und flog, immer weiter und weiter herauf und dann herüber nach unserer Stadt, wo er dann über der Freimaurerhalle stehen blieb.
    Jetzt täuschte man sich nicht mehr. Man wußte es jetzt, daß dieser scheinbare Felsencoloß eine riesige, schwarze Wolke war. Um sie herum lag in weitem Kreise der fleckenlose, dunkel blaue Nachthimmel, in dessen Schooße fünfzehn Sterne funkelten. An der Grenze dieses lichten Kreises streckte sich feines schmutziges Gewölke, das bis auf den Horizont herabhing, wo es von größeren, schwarzen Wolkenballen verschlungen wurde. Aus diesen fuhr bald ein Blitz und der darauf erfolgende heftige Donnerschlag machte die Riesenwolke über der Freimaurerhalle erzittern. Und welche Erscheinung bot sich nun dar? Tausende, Hunderttausende von schwarzen Fäusten sprangen aus der Riesenwolke und sie selbst spaltete sich im selben Momente. Aus dem dunklen Chaos flockten sich jetzt weiße Wolken ab und flogen auf die Seite, während der dunkle Theil des Gewölkes, aus dem die schwarzen Fäuste sprangen, sich an die Grenze des lichten Himmels flüchtete. Die fünfzehn funkelnden Sterne waren jetzt zwischen den weißen und schwarzen Wolken, die sich auf beiden Theilen in Hunderttausende abflockten. Da gab es nun mit Einemmale ein merkwürdiges Schauspiel. Die schwarzen Wolken ruckten vor und flogen dann mit Windeseile auf die fünfzehn Sterne zu, an die sie sich anhingen, als wollten sie dieselben durch die Schwere ihres Gewichtes aus dem Himmel reißen und sie auf die Erde niederziehen. Das schienen die weißen Wolken nicht dulden zu wollen. Sie stürzten sich über die schwarzen her, die nun mit jenen einen furchtbaren Kampf begannen. Da war es gerade, als wären sie bewaffnet, führten lange Messer und schreckliche Schießgewehre; denn man sah ein beständiges Leuchten und Blitzen und hörte ein ununterbrochenes Knallen und Getöse. Man konnte nichts mehr von ihnen erblicken, denn ein dichter Rauch umhüllte die Streitenden. -- -- -- Der Pulverdampf war verflogen -- die weißen Wolken schienen gesiegt zu haben; denn es waren ihrer noch Hunderttausende im lichten Kreise -- von den schwarzen

 

- 153 -

nur noch etliche Tausende -- die andernfanken wie todt in das feine schmutzige Gewölke bis auf den Horizont hinab, wo sie von den leuchtenden Blitzen und heftigen Donnerschlägen empfangen wurden. Die Sieger -denn die weißen Wolken sahen so aus -- schleppten die Besiegten hinter sich her, die aber immer noch ihre schwarzen Fäuste ballten. -- Dieses Wolkengebilde flog nun von einem Ende der Stadt bis zum andern, bis sich der helle Kreis über der Freimaurerhalle so verengt hatte, daß kein einziger Stern mehr sichtbar war. -- Die Hotoohs nennen diese Erscheinung, die sich in den Jahren 1847 und 1853 so oft wiederholt hatte, den wilden Jäger des Südens. --
    So wandern wir denn weiter und laufen alle Straßen auf und ab, aber nirgends können wir ein fröhliches Gesicht erblicken. Lange Trauerzüge von Odd Fellows und Freimaurern, von Feuerleuten und Militaircompagnieen und hin und wieder auch von Turnern, begegnen uns auf jedem Schritt und Tritt. Da ist nirgends mehr ein Wagen zu haben, um sich auf einer Spazierfahrt etwas zu zerstreuen, denn sie sind alle auf ihrem Wege nach den Leichenäckern. Nicht einmal einen ordentlichen Todtenkarren können wir mehr auftreiben, um unsern Sarg hineinzuschieben. Das Gold läuft. Alles in den Sack des Leichenbestatters, aber schon, indem er es überzählt, schlägt ihn der Würgengel der Fieberpest zu Boden und er hat auch Nichts.
    An den Putzläden wollen wir nicht lange stehen bleiben, denn das Angassen der schwarzen Hüte, Spitzen und Schleier macht uns keine Freude. Das ewige Einerlei der weißen Blu men hat uns schon längst nicht mehr recht gefallen.
    Doch hier! Was, Kanonenschüsse? Wird Sebastopol bombardiert oder giebt es einen Sklavenaufstand? Da biegen wir nur schnell um die nächste Ecke, um zu sehen, was da vorgeht. Da steht wirklich eine Kanone und bei ihr wirklich ein Kanonier. Wir besinnen uns sehr lange. Ist Sr.Ercellenz der Gouverneur von Louisiana gestorben? Sind der achte Januar und der vierte Juli nicht schon längst vorüber? Und Washington's Wiegenfest kann heute auch nicht gefeiert werden, -- da müssen wir wohl den Kanonier um Auskunft bitten. „Sir, zu was dies Schießen?“ -- „Die Väter unserer Stadt haben geruht, das gelbe Fieber wegschießen zu lassen.“ - Am nächsten Morgen läuft uns ein halbes Dutzend News Boys zwischen die Beine. Nur Einem nehmen wir die Delta ab. Die Todten,

 

- 154 -

liste? -- -- Hier -- -- Dreihundert und zwanzig todt! Nur das wollten wir wissen. Wir werfen die Delta wieder weg und denken uns: „Also das hat das Abfeuern der Kanonen genützt!“
    Und weil wir schon sehr müde sind, so setzen wir uns in einen Omnibus. Keine Seele darin. Wir lassen uns immer weiter fahren, ohne allen Zweck und blos, damit einmal zur Abwechslung gefahren ist. Aber bald macht uns auch das Fahren müde, ja noch mehr, als das Beinewandern. Wir reißen hastig am Strange und geben dem Treiber in der Zerstreuung beim Aussteigen statt eines Dime einen Quarter Eagle. Der Treiber, dem schon die Pest im Kopfe steckt, wirft das Goldstück weg und flucht: „Zur Hölle mit diesem Dime, der hat ja das gelbe Fieber!“
    Jetzt sind wir an den rechten Ort gekommen. Von Langeweile kann hier keine Rede sein. Ein solches Amphitheater, wie es hier vor unsern Augen liegt, wird selbst Don Rica nicht im Stande sein, aufzurichten. Es wird begrenzt von den Straßen Prytanee, Plaquemine, Sixt und Washington Avenue. Wer kennt ihn nicht, den berüchtigten Lafayette Kirchhof? --
    Sanitätspolizei? Unser Mayor soll sich in eigener Person überzeugen? Wie könnt Ihr das verlangen? Denn da hineinzutreten, dazu gehört Courage und ein Flacon und nicht nur das Letztere allein. -- Wir sind nun einmal neugierig und wenn uns diese elenden Todtenkarren noch lange den Eingang verwehren, so schlagen wir auf die Maulthiere oder steigen über die Mauer. -- --Klatsch, klatsch -- wollt Ihr uns da hineinlassen? Doch wir wollen die armen Maulthiere nicht länger beohrfeigen. Man darf wirklich froh sein, daß man noch etwas Lebendiges sieht.-- So, nun -- nun hocken wir auf der hohen Kirchhofsmauer und da sie noch nicht ganz zerbröckelt ist, so wird sie uns wohl einstweilen noch halten. Riechfläschchen haben wir keines mitgenommen; denn wie hätten wir uns auch nur träumen lassen, daß man einen so furchtbaren Pestgeruch inmitten der Stadt duldet? Dort will man das gelbe Fieber mit Kanonenschüssen aus der Stadt treiben und hier wird ihm solcher Fraß vorgeworfen? Doch was sollen wir beginnen ohne Riechfläschchen? Herunterspringen wollen wir nicht, da wir nun einmal oben hocken. So kneipen wir denn in Ermangelung von etwas Besserem einige Haare aus dem mageren Schwanz dieser Maulthiere, auf die wir gerade noch herablangen können und stopfen sie uns in die Rase. Aber auch das ist

 

- 155 -

kein probates Mittel. Hier -- diese schwarzen Federbüsche auf dem Todtenwagen kann man noch viel leichter erreichen. Da reißen wir uns nun eine ziemliche Partie von Federn heraus und drücken sie gegen unsere Nasenflügel. Das geht vortrefflich -- in der That, ein bisher noch ungekanntes Gegengift. Mit dieser Schwanzhaar-Federbuschschnauze hocken wir nun auf der grauen Kirchhofsmauer und schauen:
    Fünf und Siebenzig Särge. Doch das wäre noch Nichts, wenn diese Särge nur ordentlich unter der Erde lägen -- allerwenigstens dreiFuß tief. Aber so hat man nur zwei Zoll hoch Schlamm darüber geschmissen und als es in der vorletzten Nacht regnete, haben sich diese Särge gehoben und sind aus einander gekracht. Da lagen sie nun wieder unter freiem Himmel, Männer, Frauen und Kinder. Und da der Tod keine Scham kennt, so führt man sich hier ganz unmanierlich auf.
    Fünf Hundert Särge und nur drei Todtengräber. Diese Särge sind eben abgeworfen worden und sollen nun verscharrt werden. Aber wer gräbt ein Loch? Nur drei Todtengräber? Warum schickt die Corporation nicht ihre Neger her, um die Leichen bei Seite zu schaffen! Sind nicht Neger zu solchem Dienste wie geschassen? -- -- Die Corporation giebt ihre Neger schon längst nicht mehr her -- denn sie könnten ja bei diesem gefährlichen Geschäfte sehr leicht von der Seuche ergriffen werden und da würde man per Stück im Durchschnitt an 1200 Dollars verlieren. Lieber den Pestgeruch über die ganze Nachbarschaft, als ein Deficit in der Tasche! -- Und nur drei Todtengräber
    Wer die drei Todtengräber sind und wiesie sich aufführen. Die drei Todtengräber sind drei desperate junge Männer. Sie hatten nicht nur kein Geld, um aus der Stadt zu entfliehen, sondern auch Nichts zu beißen und zu nagen. Da haben sie von dem hohen Lohn vernommen, den man für Gräber graben bezahlt und ihr Entschluß war gleich gefaßt. Zweimal hatte sie der furchtbare Pestgeruch zurückgetrieben und zweimal sind sie wieder hieher zurückgekehrt. Fünf bis zehn Dollars für Ein Grab! Für solchen Lohn kann ein Desperado sein ohnehin sehr prekäres Leben schon aufs Spiel setzen. Nur zwanzig solcher Todtengruben und wir sind aus der Geldklemme, ermuthigten sich die drei desperaten Männer gegenseitig. Man hat es noch einmal versucht -- ein, zwei, drei Löcher sind bereits gegraben, da entsinkt der Muth und

 

- 156 -

alle Kraft scheint zu weichen. Wir wollen uns tüchtig belaufen, meinte Einer von ihnen. Dieser Vorschlag wird acceptiert und schon nach einer Stunde taumelt das desperate Kleeblatt betrunken auf dem Leichenacker herum, gräbt aber dabeitüchtig darauf los. -- Als der Abend herankam, hatte Jeder von ihnen hundert Dollars in der Tasche, die sie glücklicherweise die Nacht über noch verjubelt haben -- denn schon den nächsten Morgen warf man sie in die von ihnen selbstgegrabenen Gruben. Wißt Ihr,wer die drei desperaten Männer waren?
    Dieser Ragpiker wird ein reicher Mann, wenn er am Leben bleibt. Es ärgert uns, daß esein Deutscher ist, den wir hier so gierig an den Leichen herum handthieren sehen. Der Ragpiker raucht eine miserable half Spanish Segar und reißt dabei den aufgeplatzten Leichen die Kleider vom Leibe. Sommerhosen, gute leinene Hemdebusen und Frauenkleider -- das preßt er Alles zusammen in seinen Sack und findet auch hin und wieder ein goldenes Ringelein, ein Ohrtröpfchen und sonst allerlei gute Waare. Der Mensch hat sich nicht erst besaufen müssen, um seinem Geschäfte nach zugehen, wie es die drei desperaten Männer machen mußten, Blos mit seinem glimmenden Stumpen im Munde hat er alle diese Herrlichkeiten eingesackt. -- Kennt Ihr diesen Ragpiker vom vorigen Jahre? Ei, freilich -- er sitzt jetzt in einer Lawyer Office und führt die Feder. Der Mensch kann reich werden, wenn er am Leben bleibt.
    Ein Stadtleichenkarren, auf dem zwanzig Särge liegen. Die Treiber fahren nicht einmal bis vor die Thüre des Kirchhofes. Sie werfen die Särge, einen nach dem andern, gleich über die Mauer. Sind denn Alle, die in diesen Todtentruhen liegen, am gelben Fieber gestorben Wäre der Coroner gewissenhaft gewesen und hätte er nicht gleich mir nichts dir nichts das Verdict abgegeben: „Gestorben am gelben Fieber,“ so hätte man erfahren, daß von den zwanzig Eingesargten kaum fünf von der Seuche dahingerafft worden. Dann wäre es auch gleich herausgekommen, daß die schöne Cigarrenhändlerin Juana M* ihres Mannes überdrüßig geworden und das Dasein des gelben Fiebers benützt hat, um ihn schnell und ohne daß es Aufsehen erregte, aus dem Wege zu schassen. Fand man es denn zu jener Zeit ganz natürlich, wenn man sagte, der oder jener sei am gelben Fieber gestorben? Forschte man da noch weiter nach und wie steht es mit W., Vater und Sohn? Sollen denn die partout der

 

- 157 -

Seuche zum Opfer gefallen sein oder weiß es der Herr Neveu besser? -- Ja, das gelbe Fieber war der Sündenbock aller Mörder und Giftmischer. In so ferne man selbst am Leben blieb, war es noch immer die sicherste Spekulation. -- --
    Doch wir hopsen jetzt wieder von unserer grauen Kirchhofsmauer; denn wir haben genug gesehen. Die falsche Schnauze werfen wir auch wieder weg, so wie wir um die Ecke biegen.
    Wir trollen uns nach Hause und streifen bei dieser Gelegenheit an hunderten von Theerfässern vorbei, die die Weisheit unserer Stadt-Väter anzuzünden befohlen, um die Stadt auszuräuchern und das gelbe Fieber zu ersticken.
    Geschützfeuer und Theerbrennen!
    Hat es denn Niemand gewußt, daß Hiram in der Stadt war?
________________

    Flüchtet in Eure Wohnungen; denn wahrlich, ich sage Euch, der Mond stand noch nie so leuchtend am Himmel. Seine volle Scheibe blitzt wie der Schild des Achilles und die fünfzehn Sterne um ihn herum wie das Diadem der Cleopatra,
    Seid Ihr nun alle zu Hause bei Euren Weibern und Kindern? Ueberlebt Ihr diese Nacht, so könnt Ihr von Glück sagen; denn wenn Euch jetzt die Seuche befällt, so eilt Ihr nicht mehr nach einem Arzte.
    Seid Ihr nun. Alle zu Hause? -- -- -- und jetzt, da Ihr zu Hause seid, hilft es Euch doch Nichts. Der Warnungsruf klang zu spät.
    Ihr habt schon als Kinder vernommen, daß der Mond die Wasser anzieht und somit Ebbe und Fluth bewirkt,
    Was ist das Menschengehirn anders als ein unergründlicher Ocean, in dessen Tiefe es von Ungeheuern wimmelt Die Perlen, die in seiner Tiefe gefunden werden, sind nur die Thränen dieser Ungeheuer, die sie vergießen, wenn sie die Harpune des Mondstrahles trifft.
    Der Ocean hat seine Ebbe und Fluth, warum nicht das Gehirn auch?
    Den Ocean würde es schmerzen, wenn der Mond ihn verließe;

 

- 158 -

    Euch schmerzt es, daß er Euch uicht verläßt -- -- -- ein Dilemma ohne Gnade und Barmherzigkeit. --
    Das Mondlicht platzt heute Nacht auf die ganze Stadt herab. Nur Eine Hellung, aber Millionen von Schatten. Um die Schatten, die haften und starren, wollen wir uns jetzt nicht bekümmern -- nur mit denen, die schleichen und huschen, die stampfen und trampeln, mit diesen wollen wir uns bekannt machen. Denn sie sind eben auf der Fahrt nach dem Richtplatze begriffen. --
    Längs des Carondelet Canals knarren die müden Räder eines Leichenkarrens. Die sechs schwarzen Federbüsche wanken und nicken, als wären sie eingeschlafen. Nur ein Pferd zieht diesen Karren. Auf den ersten Blick sieht man es diesem Pferde an, daß es zu solchem Dienste nicht gewöhnt ist, sondern daß es viel lieber dahinflöge mit einem geübten Reiter im Sattel. Es ist aber auch das erste und letzte Mal, daß es solchen Dienst verrichtet.
    In dem Karren sitzen drei Männer.
    Einer sitzt ganz hinten und trägt eine lange weiße Kleidung nebst schweren eisernen Ketten, die er alle zu sich auf den Schooß genommen hat. Seine Haltung ist ungeachtet des ihn belastenden Gewichtes der schweren Ketten und eisernen Kugeln daran, aufrecht und nur ein Einziges mal während der ganzen langen Fahrt hat er sich gebückt. Es war nemlich, als er die auf dem Boden liegenden Ketten und Kugeln aufhob, um sie auf den Schooß zu nehmen; denn seine Arme wurden immer abwärts gezogen, wenn er sie in Einander legen wollte, was nun einmal seine Gewohnheit war. Von dem Gesichte dieses Mannes sah man Nichts als die Augen, die aus den zwei Löchern einer Maske, die ihm aufgedrückt war, hervorleuchteten. Die Seitenbänder der Maske schnürten eine Ohren so dicht zusammen, daß er auch nicht das geringste Wort von dem zu vernehmen im Stande war, was zwei andere Männer, die in der entgegengesetzten Ecke des Karrens saßen, mit Einander sprachen.
    Der Eine von diesen trägt die schwarze Kleidung Monseigneurs, während der Andere ganz leger, fast ländlich gekleidet ist,
    Der Eine ist eine lange, aber abgemagerte Gestalt, der Andere hat einen gedrungenen Körperbau von unter mittelmäßiger Größe.

 

- 159 -

    Beide sprechen französisch, nur ist ihr Accent sehr verschieden.
    Während ihres Gespräches sehen sie öfter auf den mit Ketten belasteten Mann hinüber, der bisher noch kein einziges Wort gesprochen hat, obwohl er sprechen könnte, da ihm die Maske nicht den Mund zudrückt. --
    „Ihre Lydia scheint schon müde zu sein,“ sagte die lange Gestalt zu dem andern Manne.
    „Sie war schon müde, als ich sie anschirrte,“ war die Antwort.
    „Das mag wohl sein -- es war auch keine Kleinigkeit -- -- ein drei Stunden langes ununterbrochenes Ringen und Kämpfen -- hätte sie es nicht mit dem ungarischen Grafen zu thun gehabt, so wäre sie schneller fertig geworden.“
    „Es war nur gut, daß der Graf keine Waffen führte, meine Lydia lebte nicht mehr.“ „Wenn er auch Wassen bei sich gehabt hätte, sie würden ihm doch zu Nichts genützt haben. -- Ich stand an ihrer Seite.“
    „Die Faust hatte er schon in ihrem Maule, wahrscheinlich wollte er ihr die Zunge herausreißen -- --“
    „Das hatte er im Sinne, aber sie hat ihm noch zur rech ten Zeit das Handgelenk zermalmt.“
    „Die Ketten und Handschellen müssen ihn furchtbar schmerzen -- er will sich aber Nichts merken lassen -- -- sehen will ich doch, wie er sich benimmt,wenn er sieht, daß er sterben muß.“
    Die lange, abgemagerte Gestalt zuckte bei dieser Bemerkung des andern Mannes die Achseln. Dann frug fie: „Nun, Monsieur Cleveland, wie gefällt Ihnen der junge Graf Emil?“
    „Gefällt mir ganz wohl, einen schönern Mann habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Was er verbrochen haben mag, daß Sie ihn aus Strafe in einem solchen Momente seinen Eltern zuführten, kann ich mir nicht recht denken. Er sieht so unschuldig und herzlich gut d’rein, daß ich ihn, wäre er mir auf einsamen Wegen begegnet, für einen Engel gehalten hätte, den mir der Herrgesandt.“
    „Glauben Sie, das Wiedersehen seiner Eltern und Geschwister hat ihm das Herz gebrochen?“
    „Sie wissen, ich konnte nicht länger mehr in der Barracke bleiben -- ein Schmerzensschrei beim Anblicke seiner todten Mutter

 

- 160 -

zuerst und dann -- -- O, es überläuft mich noch jetzt ein kalter Schauder, wenn ich daran denke.“
    „Glauben Sie, das Wiedersehen hat ihm das Herz gebrochen?“ frug die lange Gestalt zum zweiten Male.
    „Ich glaube es,“ war die Antwort, „obwohl ich ihn seit jener Nacht nicht mehr gesehen habe -- -- wie konnte es auch Anders möglich sein?“
    „Ich habe sein Herz verhärtet, in dem Augenblicke, wo es brechen wollte. Emil -- und Lucy, von der ich Ihnen erzählt habe, müssen leben bleiben, bis ihr Kind, das im nächsten Monate geboren werden wird, das achtzehnte Jahr erreicht hat, bis zum Jahre 1871. Sie sollen vielleicht erleben, was ich nicht mehr erleben kann -- den Anbruch einer neuen Morgenröthe, die über den Süden der Vereinigten Staaten hereinbrechen wird. -- Sollten Sie es erleben, Monsieur Cleveland, so vergessen Sie nicht das Jahr Achtzehnhundert und ein und siebenzig und den jungen Toussaint Louverture. -- Wenn ich gestorben, wird Diana Robert zu Lucy und Emil eilen und ihnen Mutter, Freundin und eine treue Rathgeberin sein. Sie wird ihnen aber nur für die nothwendigsten Lebensbedürfnisse Geld in die Hände geben, denn der Leichtsinn Emil’s und Lucy's ist grenzenlos -- sie würden von Neuem wieder trotz allerbisher gemachten Erfahrungen herumludern und ihr Kind vernachlässigen.“
    Der Pedlar Cleveland reichte Hiram die von der Sonnengluth Louisiana's gebräunte Rechte und sagte:
    „Sollte ich's erleben, so vertrauen Sie auf mich ebenfalls, denn ich bin ein eifriger Leser von Uncle Tom's Cabin, dem Evangelium der Neuzeit.“
    Hiram unterdrückte bei diesen Worten des Pedlars ein ironisches Lächeln, das seine schmalen bleichen Lippen umspielte. Er tadelte aber nicht im geringsten feinen ungereimten Vergleich; denn er konnte wohl sehen, daß der Mann doch wenigstens guten Willen zeigte. Nur kam es darauf an, ob der Pedlar überhaupt die Geburt des gelben Heilands er lebte. -- --
    Der Carondelet Canal hat während der Monate Juli und August ein merkwürdiges Aussehen. Sein Wasser ist um diese Zeit so dicht mit Wasserpflanzen *) bedeckt, daß, lägen nicht hie %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%
____________________


*) Dem Botaniker unter dem Namenplantagonatans bekannt. In der Nähe der Bayou St.John: Mors Ramae. --

 

- 161 -

%%%%%%%%%%%%%%%%%% und da Lake Killers“ *) zerstreut umher, man ihn leicht für einen langen Rasenstreifen halten würde. Schon mancher Fremde hat hier sein Leben eingebüßt, wenn er auf diese verrätherische Wiese einen Fuß setzte; denn er hat vielleicht die Schiffe nicht in Acht genommen, oder es war eben keines da. Kein Jahr vergeht, ohne daß nicht zwanzig bis fünfzig Leichname herausgefischt werden, von denen man nie erfährt, wer sie waren, ob sie zufällig hier ihr Grab gefunden oder von verbrecherischer Hand hineingestoßen wurden.
    Der Leichenkarren ächzte langsam dem Canal entlang und war jetzt in der Nähe des Tivoli Gartens angekommen.
    „Befehlen Sie dem Hotooh, hier anzuhalten,“ sagte Hiram zum Pedlar Cleveland. „Wir sind jetzt an Ort und Stelle.“
    Ohne ein Wort zu erwidern, streckte der Pedlar seinen Kopf aus dem Leichenkarren und packte den Hotooh Treiber bei den Beinen.
    Der Hotooh zog das Pferd zum Stehen an und rief zugleich in den Karren hinein:
    „Sollen wir ihn da hineinschmeißen?“
    Er bekam keine Antwort.
    Der Ungar -- denn das war der mit Ketten und eisernen Kugeln belastete Mann -- machte in dem Augenblicke, als der Karren anhielt, eine kurze aber heftige Bewegung, wobei seine Fesseln wieder auf den Boden fielen, so daß sie seine Arme, die er bisher in einander gelegt hatte, gewaltsam niederrißen. Dann stand er auf und sah in gebückter Stellung aus dem Karren hinaus. Als er des Canals ansichtig wurde, frug er in schneidend kaltem Tone, sich dabei nach der Seite hinwendend, wo Hiram mit dem Pedlar saß:
    „Soll ich vielleicht da hineinspazieren?“
    Es erfolgte keine Antwort auf seine Frage, nemlich kein bejahendes oder verneinendes Kopfnicken; denn wegen der Maske hätte der Ungar keine andere Antwort vernehmen können.
    Zum Pedlar aber sagte Hiram:
    „Geben Sie genau Acht, wenn wir aussteigen; denn der Mensch führt etwas im Schilde.“
    Der Tivoli Garten war schon seit einer Stunde geschlossen;
____________________


*) Lake Killers nennt man die Schiffe, die von dem Lake Pontchartrain in die Bayou St. John und von den in das Old Basin kommen.

 

- 162 -

denn wegen der wenigen Gäste, die zu dieser Zeit hier ein kehrten, hielt es der Wirth nicht der Mühe werth, seinen Garten bis nach Mitternacht geöffnet zu halten. Gegenüber, dicht am Ufer des Canals, lag ein Lake Killer, ein alter, mastenloser Schooner, der hier einer Ausbesserung entgegenharrte. Noch vor drei Tagen war er von drei Matrosen bewohnt; die fast zu gleicher Zeit von der Seuche ergriffen wurden, und da sie keine Hilfe erwarten konnten, in der Fieberhitze sich in den Canal stürzten. Die Leichname hatten sich gar bald gehoben und lagen nun, furchtbar entstellt, auf der grünen Oberfläche des Wassers, dicht unter dem Bugspriet.
    Der Hotooh war von dem Bocke gestiegen und hatte sich vor die Oeffnung der Karrenthüre gestellt.
    Jetzt stieg Hiram aus. Gleich nach ihm wollte der Pedlar aussteigen.
    Da raffte der Ungar all' seine Kräfte zusammen, hob eine eiserne Kugel und schlug sie Cleveland an den Hinterkopf. Mit einem dumpfen Schrei stürzte der Pedlar aus der Oeffnung des Karrens und schlug auf den Boden. Er war todt.
    „Ich hab's ihm gesagt,“ fagte Hiram zum Hotooh Treiber, „daß der Ungar etwas im Schilde führt. Es ist seine Schuld.“
    Im nemlichen Momente hatte Lydia ihre Stränge zerrissen und war zu ihrem Herrn herangeeilt, defen dumpfen Schrei sie vernommen hatte. Als wollte sie ihn aufweichen grünen Rasen betten, ergriff sie mit den Zähnen eine Kleider und schleppte ihn -- in den Canal. Lydia wäre nicht untergefunken, hätte sich ihr Herr nicht in ihre Zügel verfangen und er sie so in die Tiefe mit hinabgezogen. Den Hotooh, der zur Hülfe eilen wollte, hielt Hiram zurück, indem er fagte:
    „Es war seine eigene Schuld -- ich hab' ihn vorher gewarnt. Wo man nach solchem Richtplatze fährt, ist Gehorsam nöthig.“
    Der Hotooh verbeugte sich, als erwarte er einen Befehl.
    Hiram schob ihn bei Seite. „Ich habe Dich jetzt nicht nöthig,“ sagte er.
    Der Hotooh empfahl sich und rannte nach der Stadt. Erwar in einem Innern hocherfreut, daß ihm Hiram nicht befahl, den Todtenkarren mitzuschleppen. --
    Der Ungar saß noch immer im Karren. Er hatte sich, nachdem er dem Pedlar die Kugel an den Hinterkopf geschlagen

 

- 163 -

wieder ganz ruhig in die Ecke gesetzt, als wäre durchaus nichts vorgefallen. Jetzt trat Hiram zu ihm und griff ihm ins Gesicht. Der Ungar rührte sich nicht. Er saß da, als ob alles Leben aus ihm gewichen wäre. Auch waren Hände, Füße und selbst das Gesicht eiskalt. Hiram griff ihm jetzt noch einmal in's Gesicht und als er sich noch nicht rührte, nahm er ihm die Maske ab.
    „Herr Graf, steigen Sie jetzt aus dem Karren. Der Mond wird sein Henkeramt übernehmen.“
    „Blos, um Ihnen zu zeigen, daß ich mich nicht fürchte,“ antwortete der kalte Lebendige, „so steige ich aus.“
    Hiram trat etwas auf die Seite und zog eine kleine Kapsel hervor. Aus der Kapsel nahm er ein Glas, ungefähr von der Größe einer Linie. Diese hielt er dem Ungar vor's Gesicht.
    Der Ungar wankte mehrere Male hin und her; dann fiel er zu Boden.
    Noch einmal hielt Hiram das Glas vor, und als der Ungar zu zucken begann, so schloß er ihm die Handschellen auf und streifte die Ketten ab.
    „Stehen Sie auf, Herr Graf, und folgen Sie mir auf jenen Schooner!“
    Langsam erhob sich der Ungar und sah bald auf Hiram, bald nach dem Canal, bald schaute er aufwärts nach dem Mond.
    Er fühlte sich jetzt so schwach wie ein Kind. Seine sonst so musculösen Arme waren zusammengeschrumpft, wie die eines alten Weibes. Seine Kniee knickten ein.
    „Was habt Ihr mit mir angefangen?“ frug er Hiram, dem er ohne Widerrede auf den Schooner folgte. --
    „Sagt, was habt Ihr mit mir angefangen, was wollt Ihr beginnen? -- -- Wollt Ihr mich vielleicht da hineinwerfen? sagte der Ungar wiederholt in einem sanften, weichen Tone, der aber noch furchtbarer klang als die Flüche, die er früher ausgestoßen.
    Hiram schwieg.
    Der Ungar lag mit dem Rücken auf einem zerfetzten Segel, wie es ihm Hiram befohlen hatte. Er lag still und ruhig, als erwarte er jeden Augenblick, daß ein sanfter Schlummer über ihn kommen möge. Nur einmal wollte er es versuchen, sich emporzurassen, denn er hatte plötzlich einen unennbaren Schmerz in seinen Schläfen verspürt. Doch er sank gleich darauf wieder zurück. -- -- --

 

- 164 -

    Jetzt trat ein Augenblick ein, in dem das Gesicht des Ungarn von einer wunderbaren Klarheit übergoffen war. Seine Augen strahlten in himmlischer Verzückung und um seinen Mund spielte ein mildes, fast kindliches Lächeln.
    Er faltete seine Hände und sah zur vollen Scheibe des Mondes empor.
    „Wie schön Du bist, Mond!“ betete er: „O laß mich ewig hier in Deinem Lichte liegen!“
    Da sandte der Mond einen Strahl auf ihn herab, der sah aus wie ein Blitz in Wasser getaucht.
    Dieser Strahl traf die Stirne des Ungarn.
    Sein ganzes Gesicht verzerrte, verschob und drehte sich. Als ihn Hiram bei seinen langen Haaren ergriff, um ihn in's Wasser gleiten zu lassen, war das Gesicht des Ungarn kohlschwarz.
    Er war am Mondstich gestorben. --

Epilog.

    Der Schreckenssommer des ewig denkwürdigen Jahres achtzehnhundert und drei und fünfzig war abgeklungen. Unsere Dichter tauchten ihre Federn wieder in das fluthende Gold der Sterne und sanken berauscht in den Magnolienschooß Ihrer Majestät, der Königin des Südens. Und wo früher nur der Leichenwagen hielt, da stand jetzt wieder der Troubadour und klimperte fehnsüchtige Weisen in das liebereiche Herz einer Dame. Der Leiermann schleppte sich wieder vor die Wohnungen der zurückgekehrten Bajaderen und ließ sich's auch nicht verdrießen, in Neger Café's eine geringe Gabe entgegenzunehmen. An den Ufern des Mississippi tanzten allnächtlich wieder Columbia's Najaden, die unermüdlichen Leveedamen und mischten sich gottvergessen unter den Termitenschwarm schlaflosser Matrosen. Sie wanden ihnen Kränze von Gumboes und spanischem Pfeffer und traktierten sie mit Küssen und Schildkrötensuppe. Dazwischen das Geraffel der Tambourins und das Knattern und Klopfen der Castagnetten die ganze lange, liebe Nacht hindurch. Die nemliche alte Wirthschaft wieder -- kaum hat der Todtengräber seinen Spaten weggeworfen, kaum hatte der Würgengel der Pest sein letztes Opfer begafft, so stach sie doch gleich. Alle der Hafer wieder. Doch, dies sind unschuldige

 

- 165 -

Ergötzungen und der Tod wahrlich nicht werth, daß sich solch' liebenswürdiges Völklein seinethalben abgräme. --
    Aber Mene, Teckel, Upharsin! Als wenn gar Nichts vorgefallen wäre; als wenn man es schon längst vergessen hätte, daß einst Hiram der Freimaurer auf Erden wandelte; als wenn man es nicht wüßte, weßhalb die schreckliche Seuche die halbe Stadt mordete, so treibt der Wholesalemann in Menschenfleisch schon wieder seinen schwarzen Troß zu Markte und die Landsknechte des Südens sitzen schon wieder mit der Geißel des Viehhändlers zu Pferde. --
    Und so geschah es zur Carnevalszeit des Jahres 1854, als eine stattliche Brig in den Hafen von New-Orleans einlief, über deren Kajütenlucken mit langen goldenen Buchstaben der Name „Toussaint Louverture“ geschrieben stand. Kein Bugsirboot brachte die Brig an unser Ufer; ohne Hilfe, mit eingerefften Segeln, flog sie stromaufwärts zum nicht geringen Erstaunen des anwesenden Schiffsvolkes. Und der Commandeur der Brig, ein Native von Haiti, sandte alsobald einen Boten in die Stadt, mit einem Schreiben. Darin stand:
    „Wir Faustinus I., Kaiser von Haiti, entbieten dem Grafen Emil R.* und seiner Gemahlin, Lucy Wilson, Unsern Gruß. -- Beide sollen sich ohne den geringsten Verschub an Bord der Brig Toussaint Louverture begeben und ihren Sohn unter dem Schutze Diana Robert's in New-Orleans zurücklassen. So lautet es im Codicill zum Vermächtnisse Hiram's, das Uns durch besagte Diana Robert auf den ausdrücklichen Befehl des Ersteren nach Unterer Residenzstadt übersandt wurde. Was für Beide noch Weiteres im Testamente enthalten ist, werden Wir ihnen bei ihrer Ankunft in Unteren Landen nicht zurückhalten. An den Grafen Emil viele Grüße vom Prinzen von Würtemberg, den Wir seit dem Sommer 1853 interimistisch als Reichskleinodienbewahrer in Unsern allergnädigten Schutz aufgenommen haben. Ebenso viele und herzliche Grüße besagtem Grafen Emil von seinem alten Bekannten, dem Büchsenspan ner, der auf einer Lustreise von New-Orleans nach den Antillen an Unsere Küsten verschlagen wurde und den Wiraus purer Hochachtung für seine Nation zum Oberhofabstrompeter ernannt haben.                      Faustinus.“
    So unerwartet die Brig „Toussaint Louverture“ in den Hafen von New-Orleans eingelaufen war, ebenso flog sie auch wieder stromabwärts -- mit Lucy und Emil an Bord.
    An demselben Tage wurde Vetter Karl, der treuherzige

 

- 166 -


Mann mit den soliden deutschen Augen, durch eine sonderbare Verkettung von Umständen bei den lesbischen Weibern am New Basin als Chief-Ostler installiert. Orleana war schon zwei Wochen vorher in eine bessere Welt hinübergegangen. Das so plötzliche Verschwinden ihrer Busenfreundin Claudine de Lesuire, die sich seit jener Hirams-Nacht nicht mehr beim heiligen Graal einstellte, war die Ursache ihres so unverhofften Hinscheidens. Seit dieser Zeit blühen in New-Orleansauch keine Stiefmütterchen mehr.
Impavidum fexient Ruinae!

(Ende der „Geheimnisse von New Orleans“.)






1854




Restauriert und bearbeitet aus Buch und Zeitung von

Peter R K Wagner - 2019