Es war ein elender Raum, in dem sich Melanie, die Mutter, mit den
beiden Kindern befand. Gertrude sollte heute und
übrigens das Erstemal hier schlafen, da sie bisher ganze Nächte
hindurch gewacht hatte und wenn ihr endlich die Augen vor
Mattigkeit zufielen, an unbestimmten Plätzen eingeschlafen war.
Neben diesem Ranme, der, ehe die unglückliche Familie
hier einzog, von einer schwarzen Waschfrau, die nebenbei noch ein horizontales Gewerbe
trieb, benützt wurde, befand sich ein ebenso erbärmlicher Bretterverschlag, der nur dadurch
den Anstrich einer Wohnung gewann, daß sich Menschen darin aufhielten. Geräumig genug
war dieser Verschlag. Zu was er früher gedient hatte, wollen wir hier nicht erwähnen. Es wäre
eine Verfündigung gegen jene Gefühle, die uns beim Anblicke solchen Elends und Jammers so furchtbar bestürmen.
Von diesem Verschlage heraus, in den die im vordern Raume brennende
Kerze nur einen schmalen Lichtstreifen warf, rief eine Mädchenstimme in fieberhaftem Tone:
„Mutter! Suschen rührt sich nicht mehr; ich habe Vater
und Hugo schon zweimal gerufen, aber sie hören mich nicht --“
„Großer Gott!“ rief Melanie aus und wollte sich von
ihrem Lager erheben. Aber sie sank immer wieder zurück,
„Mutter, Mutter! Ich fürchte mich -- Ist Gertrude bei
Dir? Laß ihr das Licht hereintragen, ich kann nicht aufstehen -- ich bin so schwach -- --“ rief die “wieder.
„Gertrude!“ preßte jetzt Melanie mit großer Anstrengung
heraus und ihre hohe Gestalt versuchte es noch einmal, aber
wieder vergebens, sich aufzurichten. „Gertrude, bringe Constanzen das Licht -- --“
Ein bloßes Wimmern war die Antwort.
Haupt der Familie und zwei schon erwachsene Söhne an der
Seuche darniederlagen. Man versprach ihr jeden Tag drei
Dollars, gewiß ein sehr guter Lohn für ein so blutjunges Ding,
wie Lorchen. Diesen Dienst hatte sie, um ihrer Freundin
Gertrude beizustehen, verlassen und in ihrem regen Eifer dachte
sie auch nicht gleich daran, welches Unheil sie dadurch in jener
Familie anstiften könnte. Bei der gräflichen Familie konnte
sie nichts verdienen -- doch, wie können auch Kinder daran
denken, da Geld zu machen, wohin sie ihr Herzensdrang führt.
Das ist nur eine Prärogative der Erwachsenen. --
Glücklicherweise hatte Lorchen einen tüchtigen und gewissenhaften
Arzt angetroffen. Wäre sie nur eine halbe Stunde später gekommen, so hätte man ihr vielleicht
einen von jenen Aerzten mitgegeben, die, anstatt für ihre Patienten besorgt zu
sein, wofür sie doch von der Gesellschaft bezahlt wurden, an
die Lake fuhren und sich da den ganzen Tag in seligsten Dolce
farniente wiegten. Es ist eine große Seltenheit, daß junge
Aerzte ihren Patienten das für die Heilung oft so nothwendige
Vertrauen einflößen, um so weniger, wenn sich zu ihrer Jugend
ein chevalereskes ungeniertes Benehmen gesellt. Das hat seinen triftigen
Grund. Zu junge Aerzte haben weder die gehörige Erfahrung, die nur durch
langjährige, vielfach erprobte Praris gewonnen werden kann, noch ist bei ihnen jenes edle
Kleinod zu finden, das man in der nüchternen Lebens sprache
Gewissenhaftigkeit nennt. Dies gilt besonders von den Aerzten
in unserer Stadt. Man nimmt gewöhnlich als Quacksalber einen
Anflug und hat man unter zwanzig Patienten nur Einen
-- wenn auch nur durch Zufall -- gerettet, so kann man sich
keck einen ordentlichen vielgeprüften Arzt schmähen lassen. In
diese Kategorie gehörte ausnahmsweise nicht der Arzt, der mit
Lorchen eben angekommen war. Er war trotz seiner Jugend
ein Arzt von vorzüglichem Renommé, ein gelbe Fieber-Arzt
par excellence. Er hatte nicht nur Glück bei Behandlung der
von der Seuche Ergriffenen, sondern zeigte auch in allen andern
Krankheiten, deren Entstehen man in unserm ermattenden
Klima suchen muß, eine glänzende Routine.
Entsetzt blieb der Doctor einige Augenblicke stehen, als er
das namenlose Elend gewahr wurde, das sich ihm so unverhüllt
zeigte. Er hatte schon viele Hütten der Armuth während dieser traurigen
Zeit besucht, aber noch nirgends trat ihm dieselbe
in so erschütternder Weise entgegen. Konstanze lag ausgestreckt auf den
halbverfaulten Dielen dicht neben dem Fußgestelle
des Feldbettes ihrer Mutter. Sie war niemlich, als sie
ihrer Mutter die Todtenbotschaft gebracht hatte, auf der Stelle
niedergesunken. Die rechte Hand drückte sie krampfhaft auf ihre
Brust, während ihre linke auf der glühenden Stirne ruhte.
Alles Blut war ihr gegen die Brust, den Kopf und die obern
Ertremitäten geeilt und jagte in wilden Strömungen wie ein
rasendes Feuermeer umher. Vom Magen abwärts bis an die
Füße war die Unglückliche kalt wie Eis. Der Unterkörper
schien schon abgestorben, während der Oberkörper von der
Gluth, die in ihm raste, fast verzehrt wurde. Im nemlichen
Zustande fand der Arzt die Mutter, Gertrude und Amelie. Die
beiden Jüngsten phantasierten viel und heftig. Besonders Gertrude.
Sie rief zu mehreren Malen den Namen Lorchen aus.
Der richtige, geübte Blick des Doctors hatte im Momente erkannt,
daß zwei von seinen Patienten schon einmal unter Behandlung
gewesen sein mußten und daß dieselbe auf irgend eine
Weise unterbrochen wurde. Des Doctors, den man gleich Anfangs
gehabt, der aber, wie wir bereits wissen, weggeblieben
war, nachdem man ihm eine zweite Forderung nicht bezahlen
konnte, wurde gar nicht erwähnt. Jetzt lagen alle Vier im
schrecklichsten Fieber und an das Aufspüren einer nachlässigen
Behandlung war jetzt gar nicht zu denken. Da weder Papier
noch Tinte vorgefunden werden konnte, so riß der Arzt in Eile
ein Blatt aus seiner Brieftasche und schrieb ein Recept. Dann
ertheilte er Lorchen auf's Genaueste seine Instruktionen, was
sie zu thun hätte, wenn er fort wäre und sie mit der Medizin
von der Apotheke zurückkomme. Er versprach ihr ferner, binnen
zwei Stunden wieder zu erscheinen und im Nothfalle sie die
Strapazen nicht ertragen könne, eine Nurse mitzubringen. Er
selbst sah aber nur zu gut ein, daß hier. Alles schon zu spät sei
und daß ein übermenschliches Wunder geschehen müsse, wenn
Konstanze und ihre Mutter mit dem Leben davonkommen soll
ten. Nur bei Gertrude und Amelie war eine Rettung möglich,
Deßungeachtet glaubte der gewissenhafte junge Mann auch bei
ihnen nichts versäumen zu dürfen und Alles aufbieten zu müssen,
was in seinen Kräften stand. -- --
Als der Doctor auf die Straße trat und eben im Begriffe
stand, in seinen Wagen zu steigen, war er nicht wenig erstaunt,
einen Mann in demselben zu finden, der die Zügel seines Pferdes in Händen hielt.
„Sie sind ein Doctor?“ herrschte ihn derselbe in befehlendem Tone an.
bestürmt wurden. Ja, manchmal schien es, als wäre alle Luft
aus der Stadt gepumpt. So leblos sah auch der träge warme
Regen aus, so der einfarbige dunkelgraue Nachthimmel, an dem
keine vorüberjagende Wolke nur das geringste Zeichen von Leben
angedeutet hätte -- kurz, es war ein recht heimtückisches
Fieberwetter. -- In dieser Nacht hat auch die Seuche am fürchterlichsten
gewüthet. -- Lorchen hatte das einzige Fenster, vordessen Außenseite
ein schlechter Laden von verblaßter grüner Farbe nur noch an einem
losen Nagel hing, hinaufgeschoben; denn die Schwüle in dem Gemache war unerträglich.
Gerne hätte sie auch noch die Thüre geöffnet, aber sie fürchtete,
Neugierige herbeizuziehen, die sie in ihrem Thun beobachten
und stören könnten. Denn es gab um diese Zeit viele nichts
wurdige Herumstreicher, die, wo sie eine Thure offen stehen
sahen, ganz ungeniert eintraten und unter dem Vorwande, den
Fieberkranken beizustehen, die schändlichsten Dinge verübten.
Von derlei Gesindel hatte auch Lorchen schon mehrmals sprechen
hören und sie hielt es daher für sicherer, die Thüre verschlossen
zu lassen, bis der Arzt wiederkäme, von dessen unglücklicher
Affaire die Nichts ahnen konnte. -- Das kleine Lorchen
hatte mit ihren Pflegebefohlenen große Noth. Mit Konstanzen
und deren Mutter, denen sie unter anderm auch ein Magenpflaster
mit einem großen Stück Eis darauf, wodurch nemlich
das Blut, welches sich ganz nach dem Oberkörper gedrängt
hatte, wieder nach unten getrieben werden sollte, auflegen
mußte, ging es ihr so leidlich. Auch das Quinline, das sie ihnen
nach der Order des Arztes reichte, wurde ohne Widerstreben
eingenommen; aber Gertrude und Amelie wollten sich durchaus
zu nichts bequemen. Die Erstere schien überhaupt ihr
Lorchen gar nicht mehr zu kennen. Sie phantasierte zwar
immer von derselben und sprach zu wiederholten Malen den Namen
ihrer Freundin aus, aber wenn ihr Lorchen zu nahe kam,
so schrie sie schrecklich auf, stampfte mit Händen und Füßen
und meinte immer, es wäre eine fremde Person bei ihr, die ihr
etwas zu Leide thun wollte. Lorchen vergoß deßhalb bittere
Thränen. Sie war nicht im Stande, ihr auch nur einen
Tuopfen Medicin einzugeben, die ihr der Arzt verschrieben
hatte. Nur sehr schwer gelang es ihr, Gertrude in eine solche
Stellung zu bringen, daß sie ihre Füße in ein Senfbad tauchen
konnte. Das nemliche Maneuvre, nur mit etwas gelinderem
Widerstreben, hatte das gutherzige, gefällige Lorchen mit Amelie
durchzumachen. -- Große Schwierigkeiten hatte die kleine
mußte es endlich doch geschehen, daß sie die Thüre öffnete. Es
war nicht so fast die Schwüle, die sie zu diesem Schritte
zwang, als vielmehr ein widerlicher Dunst, der sich im Raume
breit zu machen begann und der durch eine zugemachte Thüre
zu dringen schien, der Lorchen bisher nicht die geringste
Aufmerksamkeit geschenkt hatte; denn vom Verschlage wußte sie
nichts und sie glaubte, daß der Raum, in dem sie sich mit ihren
vier Patienten befand, das einzige Gemach sei, das von ihnen
beansprucht würde. Einmal dachte sie wohl daran und es kam
ihr seltsam vor, daß weder der alte Graf, noch Hugo und Sus,
chen gegenwärtig waren, aber der Zustand ihrer Kranken er
laubte ihr nicht in dieser Sache an sie eine Frage zu richten.
Und so vergaß sie bald wieder, über was sie anfangs Aufschluß
zu haben wünschte. Jetzt aber fielen ihre Augen auf jene
Thüre, die in den Verschlag führte, wo sich die schreckliche
Seuche ein Nachtlager zurecht gemacht hatte. Wohin sollte
wohl diese Thüre führen? dachte die gute Kleine. Vielleicht
in eine Küche, eine Yard, wo eine Cisterne stände, von der sie
Wasser erhalten könnte. Und Wasser hatte die Krankenwärterin
äußerst nöthig, denn dasselbe war ihr bis auf den letzten
Tropfen ausgegangen. So dachte und überlegte sie. Nachdem
sie noch jedem Kranken frische Ueberschläge gemacht hatte,
ging sie auf den Zehen nach der Thüre zu. Den leeren Eimer
nahm sie in die linke Hand. Leise öffnete sie die Thüre und sah
mit vorgebeugtem Halse hinein- doch es war da drinnen sehr
dunkel. Sie konnte weiter nichts unterscheiden, als den unteren
Theil einer Matratze, die dicht neben der Wand lag und an
die Schwelle streifte. - Es wird ihr übel, sie tritt zurück; sie
fährt mit der rechten Hand an die hintere Seite des Kopfes
und läßt den Eimer fallen. Den Fall vernimmt die Mutter
-- sie versucht es, sich emporzurichten. Konstanzen weckt der
Fall aus ihrem Fiebertraume auf -- -- es war kein schwerer
Fall. Es war nur ein Eimer, der auf den Boden fiel, aber von
solchen Kranken wird das geringste Geräusch vernommen. Gertrude hingegen hat nichts gehört. --
Sie phantasiert noch in Einem fort. Und Amelie ? Wer
weiß, weshalb die es nicht vernommen hat! --
Draußen hörte man in selbem Augenblicke ein starkes
Platschen im Wasser, das sich von dem ewigen Regnen rings
um die Barracke gesammelt hatte. Dann traten rasch zwei
Männer ein, von denen der Eine, ein schlanker Mann mit
Lajos und Gemahlin gekleidet waren. Eine kleine Flonschleife
sah man auch bei dem Prinzen von Württemberg, der sie in einem
Knopfloche seines Frackes trug. -- Der Gräfin Constanze stand
ihr dunkelrothes Crepkleid mit hoher Taille ausnehmend gut.
Ihre frische Gesichtsfarbe und die kastanienbraunen Haare bildeten
zu ihrem Anzuge ein erwärmendes Ensemble. -- -- Die
Gesellschaft, welche sich nach einem gemeinsam nach dem Diner
im Garten unternommenen Spaziergange, hier im großen Salon der
Residence wieder zusammen gefunden hatte, führte ihre
Conversation in französischer Sprache. Miß Dudley war von
ihrer Mutter dazu instruiert, schon gleich beim ersten Empfange
der Gäste die französische Sprache als für diesen Tag tonangebend zu
wählen. Man that dies theils aus zarter Rücksicht
gegen Seine königl. Hoheit, da derselben das Französische geläufiger
war, als das Englische, theils auch wegen der alten Baronin Alma de
Saint Marie Eglise, die kein Sterbenswörtchen
englisch verstand denn in der hohen französischen Clique, in
deren Kreisen sie sich ausschließlich bewegte, war die englische
Sprache von Grund aus verhaßt. -- Die Baronin von Saint
Marie, die in früheren Jahren sehr häufig mit Lady Stewart
verkehrte, hatte von der Zeit an, wo der Abbé Dubreuil ein
förmliches Oberkommando im Hause zu führen begann, ihre
Freundin völlig gemieden. Die alte Baronin hatte sich nemlich
wegen irgend einer Sache, von der sie übrigens nie etwas verlauten
ließ, mit dem Abbé heftig erzürnt, und als sie einmal
bei einem Besuche bei Lady Stewart bemerkte, daß der Abbé
nicht nur auf deren Herz und Denkungsweise, sondern sogar
auf den ganzen Haushalt einen gewaltigen Einfluß übe, so betrat
sie nie wieder die Residence ihrer Freundin. Jetzt, wo der
Abbé durch die Bemühungen des Prinzen Paul vollkommen
desavouirt und somit auf immer aus dem Hause entfernt war,
wagte sie es wieder Lady Stewart oder Cornelia, wie sie die
alte Freundin nannte, ihre Besuche abzustatten, ja oft den ganzen
Tag bei ihr zu verweilen. So war sie auch auf heute mit
ihrer Nichte zur Party gebeten und zum Erstenmale mit dem
Prinzen bekannt geworden. Ebenso war sie mit ihrer Nichte
den andern Anwesenden eine neue Erscheinung. Die Schottin
war die Einzige, welche von dem unglücklichen Verhältnisse
Claudinens mit Albert wußte, ohne jedoch den jungen Architekten
nur im mindesten zu kennen. Dem Prinzen von Würtemberg war es
gänzlich unbekannt, daß Albert je verheirathet
gewesen war; das kam auch davon her, daß Albert selbst nie
Etwas davon verlauten ließ, so oft er auch in's wunderliebe
Häuschen kam, den einzigen Ort, wo ihn der Prinz flüchtig
kennen lernte. Dem Prinzen und den Uebrigen war Claudine
als verwittwete Madame de Lesuire - demnach nicht unter
dem Namen ihres Mannes - vorgestellt. Die alte Baronin
wünschte dies so und die Schottin hatte natürlich nichts dagegen einzuwenden.
Lady Stewart, die ihre Freundin trotz deren geschraubten
aristokratischen Eigenheiten und sonstigen launigen Manieren,
schätzte und liebte, hatte das heutige Geburtsfest ihrer Tochter
zu gleicher Zeit dazu benützt, die mit ihrer Nichte mit dem Prinzen von
Wurtemberg und den übrigen Gästen bekannt zu machen. Sie hoffte damit in
Zukunft einen freundlichen Circel zu erhalten, der an der gräflichen Familie über dem Lake bald
einen neuen und vielversprechenden Zuwachs erhalten sollte.
Alle ihre früheren Freunde und Besucher, die mehr oder weniger nur
ihres Reichthums halber ihre Nähe aufsuchten und deren sie vor dem Erscheinen
des Abbé Dubreuil in ihrem Hause ganze Legionen zählte, befanden sich entweder nicht mehr in
New-Orleans, oder sie scheuten sich, wiederholt in eine Sphäre
einzutreten, aus der sie vor vielen Jahren durch die Launen
oder vielmehr das Machtwort eines katholischen Priesters sojählings verdrängt wurden.
Die Baronin Alma von Saint Marie war die Einzige, die, als sie von der Desavouierung des
Abbé hörte, ihre alte Freundin Cornelia in Begleitung ihrer Nichte wieder aufsuchte.
Die Conversation, die Anfangs durch ein lebhaftes Kreuz
feuer von bunten Einfällen und gegenseitigen Galanterien in
Athem erhalten wurde, nahm plötzlich, da der Capitain -- sei
es aus Zufall oder mit Absicht -- das Gespräch auf die Vergangenheit der Stadt
New-Orleans hinlenkte, eine ernstere und interessantere Wendung. Er sprach von jener
Zeit, wo derjenige Theil des Mississippi, der den jetzigen zweiten Distrikt bespült,
noch den Namen, St.Louis fleuve' führte
*) und
die ganze Stadt noch nicht über 200 Einwohner zählte.
____________________
*) D.i. vom Jahre 1718-1727. Zu dieser Zeit
war Mr.Bienville Gouverneur der Provinz von Louisiana und er war es, der im Jahre 1719
die gegenwärtige (linke) Seite des Flusses zu einem Chief-Settlement wählte, denn man
den Namen Nouvelle Orleans beilegte. Im Jahre 1723 besaß New-Orleans bereits 100 Cabins,
die in ungleichen Entfernungen zerstreut herumlagen; 4 Wohnhäuser, ein aus alten
Schiffstrümmern erbautes Storehaus und ein sogenanntes „Shed,“ das als Kapelle benützt
wurde. Die Einwohnerzahl im genannten Jahre betrug noch nicht über 200. -- Derjenige
Theil des Mississippi, der bis zum Jahre 1727 kat' erochen „St.Louis Fleuve“ genannt war,
theilte nun diese Benennung dem Mississippi-Fluste überhaupt mit, bis auch diese später
wieder verscholl. So findet man auf den alten französischen Karten vom Jahre 1728
- 40 -
[LSZ - 1854.12.31]
Bei dieser Gelegenheit berührte er ein Thema, das die
Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft lange in höchster Spannung erhielt. Er
sprach niemlich vom ersten Erscheinen des gelben Fiebers in New-Orleans, im Jahre
1769, und bestritt gleich von vornherein die Annahme, daß dasselbe durch ein
britisches Schiff, das mit einem Sklaven-Cargo von der Westküste Afrika's ankam,
eingeführt worden sei.
„Sie scheinen kein Abolitionist zu sein, Capitain?“
bemerkte hier der Prinz von Württemberg,
„Wie kommen Sie auf diese gefährliche Frage, Prinz?“
frug der Capitain gespannt,
„Weil Sie es zu bestreiten suchen, daß wir das gelbe
Fieber dem Sklaven-Import zu verdanken haben,“ versetzte der Prinz von Württemberg.
„Nun verstehe ich Sie, Prinz. -- Sie meinen, wenn ich
Abolitionist wäre, würde ich es recht gerne zugestehen, daß die Sklaverei Schuld am gelben Fieber sei.“
„Gewiß,“ entgegnete der Prinz: „Da Sie aber die Richtigkeit
der allgemein angenommenen Behauptung, daß das gelbe Fieber durch ein Sklavenschiff
importiert worden sei, so kühn bezweifeln, so wird nicht der geringste Verdacht auf
Sie fallen, daß Sie ein Abolitionist seien.“
„In der That, Prinz,“ rief der Capitain heiter aus, „über deutsche
Logik geht nichts und es wird uns Amerikanern sehr schwer das Schlachtfeld zu behaupten,
wenn deutsche Philosophen mit in die Schranken treten. -- --“
Claudine, die zwischen Frida und Constanze saß, neigte sich
zu Letzterer etwas vor und sagte leise: „Könnten Sie mir vielleicht erklären, meine
liebe Comtesse, was „Abolitionist“ ist?“
„Bedaure sehr,“ entgegnete die Gefragte: „mir ist der Name selbst
ganz unbekannt -- übrigens finde ich es sehr lang weilig und ungalant von den beiden Herren,
daß sie sich in Gegenwart von uns Damen mit so unverständlichem Zeuge unterhalten -- -- mich
wundert es übrigens nur, daß Lady Stewart, unsere liebe freundliche Wirthin, die sonst immer voll
____________________
(eine ältere vom J.1727 von Dumoulin) die Benennung ,St.Louis Fleuve“ für „Mississippi.
Karten von 1729, 1730 und 1732 zeigen beide Namen. So sieht man unter
anderem auf Dumoulin's Karten an dieStelle, wo jetzt das neue Customhaus steht, ein
Pulvermagazin (magazin à poudre) verzeichnet n.a.m.
Von Straßen - demnach die ältesten von New-Orleans, -- findet man: Bienville, Conti,
St.Louis, Toulouse, Orleans und Arsenal; von denen, die mit dem Flusse laufen,
nur zwei: Chartres- und Royalstreet.
- 41 -
Aufmerksamkeiten ist, gegen dies unartige Benehmen des Prinzen und Capitains
keine Einsprache erhebt -- --“
Der Ungar, dem das heimliche Zwitschern der beiden Damen nicht
entgangen war, hatte, ohne auch nur ein Wort vernommen zu haben, es dem Gesichte Constanzens
auf der Stelle angesehen, um was es sich bei dieser Heimlichkeit handelte. Er war stets ein
scharfer und strenger Physiognom und hatte es gleich bemerkt, daß sich die Damen bei dieser
Wendung des Discours sehr ennuyirten.
„Madame,“ wandte er sich an die alte Schottin mit lauter
Stimme: „Sehen Sie gütigt dahinüber -- Frau von Lesuire und Gräfin Constanze scheinen eine
Revolution heraufbeschwören zu wollen.“
Claudine und Constanze fuhren nicht wenig zusammen,
als sie plötzlich so laut ihre Namen aussprechen hörten. Claudine richtete ihren Kopf hoch
empor und sah den Ungarn mit einem Blicke an, der deutlich zu sagen schien: Sie sind
ein unverschämter Mensch, Herr Graf, wir sind uns kaum einige
Stunden vorgestellt und schon wagen Sie es, mich Angesichts
einer so auserlesenen Gesellschaft zur Zielscheibe ihrer speciellen
Betrachtung zu machen. Und die Tante Claudinen's, die alte
Baronin Saint Marie Eglise, ward bei dieser Provokation des
Ungarn im ganzen Gesichte so roth wie ein Puder und dachte
sich: Dieser Flegel von einem ungarischen Grafen gehört auch
nicht in diese Gesellschaft -- ich begreife jetzt gar nicht, wie mir
dieser Mensch bei seinem ersten Erscheinen nur das geringste
Interesse abgewinnen konnte. Constanze dachte sich nichts,
sondern sah nur verlegen bald aufden Prinzen, bald auf die alte Schottin,
„Die Damen wollen eine Revolution heraufbeschwören?“
frugen der Prinz von Würtemberg und der Capitain in scherzhaftem Tone und sahen
bald auf den Ungarn, bald auf die genannten Damen.
„Wie ist es anders möglich?“ sagte der Ungar, „wie können Sie
verlangen, daß die Damen ein Disput über die Folgen eines Sklaven-Cargo unterhalten
soll? -- -- dann, aufrichtig gestanden, fühle ich mich selbst bei derlei Erörterungen
nicht so recht behaglich -- -- und schon den Damen zu Liebe -- --“
Mit Ausnahme von Gertrude und Dudley, die sich wegen
des bewußten Strumpfbandes ein bischen herumdisputierten,
war die ganze Gesellschaft bei diesen Worten ganz verblüfft
- 42 -
Frida glaubte vor Verlegenheit fast in den Boden sinken zur müssen.
Der Ungar stand ruhig auf, faßte seinen Fauteuil an der äußern Seite
der Lehne und rollte ihn quer über den Salon an die Stelle, wo Gräfin Gertrude mit Miß Dudley
saß. Daselbst ließ er sich wieder in den Lehnstuhl nieder, so ungeniert und vergessen, als ob
er gegen Niemanden in der Gesellschaft nur die geringste Verbindlichkeit hätte.
Sah sich die Gesellschaft vorher ganz verblüfft an, so war
sie jetzt wie aus den Wolken gefallen.
Es war ein großes Glück, daß der Capitain so viel Gesstesgegenwart
und Gewandtheit besaß, durch eine passende Wendung des bisher geführten Gespräches ein sonst
jedenfalls erfolgtes schroffes Zusammentreffen zu verhindern. Derselbe,
ohne von dem Betragen des Ungarn weitere Notiz zu nehmen,
bat die Damen in einem und zugleich des Prinzen Namen um
Entschuldigung, wenn er sie durch Herbeiziehung des vorher
besprochenen Gegenstandes gelangweilt haben sollte und versprach zugleich, den von dem
Prinzen und ihm begangenen Fehler wieder gut zu machen, falls die Damen geneigt seien, ihm
jetzt ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
[LSZ - 1855.01/02]
Dies glückte. Die langen Gesichter verschwanden und
Aller Blicke richteten sich auf den Mann, der es so gut verstanden, das Peinliche des
eingetretenen Stillschweigens so schnell und gewandt paralysiert zu haben.
Nur Frida mochte Ursache gehabt haben, sich nach ihrer
gewohnten schonenden Weise im Stillen über das Benehmen ihres Mannes auszusprechen.
„Da nun einmal vom gelben Fieber die Rede war,“ begann der Capitain,
„so werde ich der hohen Gesellschaft eine sich auf die Epidemie beziehende äußerst interessante
Geschichte erzählen, die mir selbst, als ich mich vergangenes Jahr auf
meiner Expedition zur Erforschung der Quellen des Red River befand, begegnet ist. Bevor ich aber
beginne, erlaube ich mir, eine Frage an meine geneigten Zuhörer zu stellen.“ In
der That, der Capitain verstand es vortrefflich, die Gemüther in reger Theilnahme zu erhalten
und selbst den Gleichgültigsten neugierig zu machen.
„Und diese Frage wäre?“ schienen jetzt Alle ohne Ausnahme zu fragen.
Aber man sprach es nur mit den Augen aus.
„Haben Sie, meine Damen und Herrn, schon etwas von
- 43 -
der Mantis Religiosa gehört?“ frug der Capitain, zwar sehr laut aber des ungeachtet in einem
geheimnißvollen Tone, daß sogar das theilnahmslose Gesicht des Ungarn eine momentane
Aufregung zeigte.
„Ich weiß es, Capitain!“ rief Gertrude lebhaft aus und
dazwischen klang die krystallreine Stimme von Miß Dudley :
„ich weiß es auch -- in unserm Garten giebt es eine Menge von der Mantis Religiosa -- --“
Der Prinz von Würtemberg konnte bei diesem rivalisieren
den Eifer der beiden Mädchen ein herzliches Auflachen kaum
unterdrücken. Er wandte sich mit vergnügtem Gesichte an Lady Stewart und sagte:
„Sehen Sie, Madame, wie aufmerksam. Engel und Psyche sind!“
„Vergessen Sie den Genius nicht, Königl. Hoheit!“ rief
Konstanze lebhaft aus: „ich habe erst gestern Abend zwei Mantis Religiosa für Sie gefangen -“ -
„Gefangen?“ frug sich der Capitain im Stillen. „Was
mögen das für Mantis Religiosa sein, die die guten Mädchen hier meinen?“
„Aber, mein Gott, wenn sich das junge Volk nur gedulden wollte,
bis wir Erwachsene gesprochen haben!“ perorirte die alte Baronin von St.Marie und schielte
dabei auf das Alliance Wappen an ihrem Finger, als wenn von daher Weiseheit kommen sollte.
„Das müssen wir entschuldigen,“ entgegnete der Prinz
von Württemberg: „die Jugend hat das Recht, vorwitzig zu sein.“
Die alte Schottin besaß einen zu feinen, verständigen Takt,
als daß sie dem Prinzen diese Worte hätte übel nehmen können.
Nicht so die Baronin Saint-Marie Eglise. Sie war höchlicht
aufgebracht und warf dem Prinzen ein paar wüthende Blicke zu.
Claudine de Lesuire sah auf ihre Stiefmütterchen herab
und theilte bei sich den Aerger ihrer Tante.
Der Prinz aber, um allen unangenehmen Umschweifen
ein Ende zu machen und dem Capitain sogleich Gelegenheit zu
geben, seine jedenfalls interessante Geschichte zu erzählen,
wandte sich an denselben mit den Worten:
„Sie frugen, ob wir schon etwas von der Mantis Religosa gehört
hätten? Die Mantis Religiosa ist der lateinische Name einer Heuschreckenart, die wir in
deutscher Sprache
- 44 -
„wandelndesBlatt“ oder auch „Gottesanbeterinnnennen,“ weil
dieses Thier einerseits so aussieht als ein Blatt und anderer
seits immer seine Vorderbeine in die Höhe streckt und zusammenfaltet, als ob es beten wollte -- --“
„Ja, ja, so ist es!“ riefen Gertrude und Dudley zusammen aus.
„Ich sehe wohl,“ versetzte der Capitain mit der liebens
würdigten Miene von der Welt, daß die hohe Gesellschaft
von der Mantis Religiosa, die in meiner Erzählung eine so
große Rolle spielen wird, noch nichts vernommen hat; denn
dieselbe ist keine Heuschrecke, sondern eine Pflanze, die sich nur
in der unmittelbaren Nähe der Quellen des Red River vorfindet und in gewissen
Jahren die fürchterliche Eigenschaft besitzen
soll, die gelbe Fieberpest zu erzeugen -- --“
Mann kann sich leicht vorstellen, daß auf eine solche
mysteriöse Erklärung hin von der Gesellschaft keinerlei Einsprache
mehr geschah und man nun allerseits stürmisch darauf drang,
daß sich der Capitain seines gegebenen Versprechens entledige. --
Der Capitain, in dem der Leser den Capt. Marcy von der
Red River Expedition sicher schon erkannt haben wird, erzählte
nun von den Anstalten, die er im April des vorigen Jahres auf
Befehl der Vereinigten-Staaten Regierung zum Aufsuchen der
Quellen des Red River getroffen hätte und kam sehr bald auf
jene Zusammenkunft mit Emil und Lucy zu sprechen, wie sie
der Leser bereits kennen gelernt hat.
„Daß mich die beiden jungen Leute nicht falsch berichtet
haben,“ sagte er unter anderm, „geht schon daraus hervor,
daß sie mit der geheimnißvollen Persönlichkeit dieses Cagliostro's der neuen Welt,
den sie Hiram nannten, ganz genau bekannt sind.“
„Aber erlauben Sie mir, mein lieber Capitain,“ wandte
hier der Prinz von Würtemberg ein, „war Ihnen denn schon
vorher eine Beschreibung dieser Persönlichkeit bekannt, daß Sie
dieselbe mit der, die Ihnen die beiden jungen Leute gaben, vergleichen konnten? Oder
sind Sie vielleicht im Besitze eines gewissen Manuscriptes, das ich bisher allein in Händen
zu haben glaubte, oder vielmehr -- besitzen Sie die Abschrift eines
gewissen Manuscriptes, in dem Sie die Bekanntschaft dieses furchtbaren Mannes gemacht haben.“
Der Capitain schien sehr betroffen. Statt dem Prinzen
- 45 -
auf seine Frage zu antworten, wandte er sich nun selbst fragend an denselben:
„Sie besitzen ein Manuscript, das auf diesen Hiram Bezug
haben sollte? Prinz, Sie könnten unserer Regierung in Washington damit einen ungeheuren
Dienst leisten -- --“
„Ich wüßte nicht, was die mit dem Manuscripte beginnen
sollte -- ich habe es von der Hinterlassenschaft des ehemaligen
Präsidenten der Universität von Louisiana, des französischen
Conventsmitgliedes Joseph Lakanal; es trägt die sonderbare
Ueberschrift: „Erzählungen einer Ursuliner-Novize in New-Orleans“ -- ein
viel versprechender Titel, nicht wahr, meine Damen? nicht wahr, Capitain ?“
Lady Evans Stewart machte eine geheimnißvolle Miene,
aus der deutlich hervorging, daß auch sie mit dem Manuscripte
des Patriarchen von Mobile vertraut war.
„Aber von der Mantis Religiosa haben Sie im Manuscripte
gewiß nichts gefunden -- sonst würden Sie mir ja gleich gesagt
haben, daß sie eine Pflanze sei?“ frug Capitain Marcy den Prinzen.
Der Prinz von Würtemberg verneinte es.
„Aus welcher Quelle aber schöpften Sie das Vorhanden
sein dieses Cagliostro Hiram, da Sie die Beschreibung der beiden
jungen Leute als richtig anerkannten?“ wandte sich die alte Schottin an Capitain Marcy.
„Im Archive unserer Regierung in Washington befindet
sich noch eine Nummer des damaligen „Moniteur,“
*) in
dem dieser Hiram unter verschiedenen anderen Anschuldigungen auch
angeklagt wird, das Leben der Bewohner von New-Orleans
dadurch zu gefährden, daß er den Samen einer nur ihm bekannten giftigen Pflanze
in die Cisternen werfe. Dieser Anklage ist zugleich ein Steckbrief beigegeben, der
diesen Cagliostro genau so beschreibt, als wie es die beiden jungen Leute gethan haben -- --“
„Wahrscheinlich hatten dieselben jene Nummer des
____________________
*) „Le Moniteur,“ die erste in New-Orleans
errichtete Zeitung. Sie trat im Jahr 1794 ins Leben und zählte ihre meisten Abonnenten
im Auslande, namentlich in Frankreich und Spanien. Die Sprache, welche dieses Journal,
in das mehrere der hervorragendsten Capacitäten in damaliger Zeit ihre Ideen niederlegten,
führte, trug nicht wenig dazu bei, daß schon im nächsten Jahre (1795) den Bürgern der
Vereinigten Staaten die Schifffahrt auf dem Mississippi eröffnet wurde. Dieser aus dem
bekannten Vertrag von St. Lorenzo bervorgegangene Act gab den ersten Anstoß zu einer
Handelsverbesserungder Stadt New-Orleans. -- Man darf hier nicht vergessen, daß
Louisiana erst im Jahre 1803, nachdem es vorher bereits wieder von Spanien an
Frankreich abgegeben war, von letzterer Macht den Vereinigten Staaten verkauft wurde. --
- 46 -
„Moniteur ebenfalls in Händen und banden Ihnen somit einen Bären auf, Capitain Marcy,“ warf Lajos in spöttischem Tone
hin: „hier in diesem Lande wird gar viel Humbug getrieben und da kann man es den beiden Vagabunden auch nicht
verargen, wenn sie Ihre Mantis Religiosa, wie sie das Ding nennen, dazu benützen, um Geld zu machen -- -- im Uebrigen
verbiete ich es mir,daß Sie diese Kröte einen Cagliostro nennen. Cagliostro war meines Wiffenskein Giftmischer, sondern
nur ein ganz unschuldiger Goldmacher, dem es leider nicht gelang, den Stein der Weisen zu erfinden, obwohl er ein sehr
hohes Alter erreicht haben soll -- --“
Frida sah ihren Gatten mit einen unbeschreiblich rühren den Blicke an. Wäre sie an seiner
Seite gesessen, so hätte sie ihm zugeflüstert: „Aber, mein Lajos, ich bitte Dich, nimm'Dich doch etwas mehr zusammen!“
Es war sonst gar nicht die Art des Ungarn, in so auserlesener Gesellschaft so flegelhaft
und ungezogen zu sein. Im Gegentheile zeigte er sich beiderlei Gelegenheit stets als wohl
gebildeter Weltmann und er hatte in diesem Sinne besonders
beiKonstanze und Dudley, so wie bei dem Prinzen von Würtemberg und der alten Schottin ein sehr gutes Renommée.
Sehr unangenehm war es daher besonders den zwei Letzteren,
daß ein Benehmen gerade heute,wo der Capitain und die Baronin Saint Marie mit ihrer Nichte zum Erstenmale eine
Bekanntschaft machten, sich so taktlos und ungeregelt zeigte und
er auf dieselben einen so üblen Eindruck machen mußte. Trug
er vielleicht schon eine gewisse Ahnung im Kopfe oder flüsterte
ihm eine innere Stimme zu: Laß es gut sein, Graf Est***,
das Maß Deiner Verbrechen und Schandthaten ist ohnehin
bald voll -- für die kurze Spanne Zeit ist es nicht mehr der
Mühe werth, Deinem Benehmen Gewalt anzuthun -- zeige
Dich lieber jetzt schon wie Du bist, damit man nicht so über
rascht ist, wenn man erfahren sollte, wer und was Du bist
Wer weiß, ob es noch nöthig ist Rücksichten zu nehmen -- wer
weiß, ob Du noch den Tod des alten Onkels Deiner Frau er
lebt! Laß es gut sein, dieses sich Verstellen und Zusammen
nehmen ist für Dich doch zu lästig! -- -- -- oder bist Du des
halb so rücksichtslos, Graf Est***, weil Dir Dein lieber böse
Dämon, der Dich bisher immer gehätschelt und auf den Händen getragen, unaufhörlich die neckischen Worte ins Ohr raunt:
Nun, Lajos, das ist doch sehrfatal, daß Du den ganzen Schatz
der Mühle eingebüßt hast? Wäre es nicht vielleicht besser
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gewesen, Du hättest die Hamburger Mühle nicht niedergebrannt
und die Clubbisten und Dame Merlina und der Pontifer Marimus lebten noch? Hättest Du dann nicht noch Dein nobles
Einkommen? -- Dann lebte vielleicht auch Dein Kind noch? Und so, Lajos? -- -- --
„Sie sind heute sehr zur Satyre aufgelegt, Herr Graf“
begegnete Lady Stewart auf die obige Unart des Ungarn, er wartend, daß mit dieser Auslegung der Capitain zu schonender
Nachsicht gestimmt werde.
Lajos, der diese Finesse der alten Schottin gleich begriffen
hatte, wollte in seiner Nachsicht nun auch nicht zurückbleiben und zu gleicher Zeit zeigen,
daß er sich wohl zu benehmen verstände, wenn er nur wollte.
Mit dem feinsten Anstande erhob er sich aus dem tiefen
Fauteuil und indem er sich leicht gegen Lady Stewart verneigte,
sagte er mit herrlichem Versailler Accente:
„Madame, wenn Sie sich so weit herablassen, mir Ihre Aufmerksamkeit zu schenken,
um Ihren geschätzten Gast, Herrn Capt. Marcy von der Ver.Staaten Armee für meine Person günstig zu stimmen,
so bleibt mir zum Danke nichts anders übrig, als Ihre Oberherrlichkeit anzuerkennen, indem ich Ihnen nach
Art der Clane Ihres Vaterlandes meine Huldigung darbringe.“
Der Ungar verließ, während er die letzten Worte sprach,
seinen Platz neben dem Fauteuil und ging auf Lady Stewart
zu. Dann ließ er sich auf ein Kniee nieder und küßte ihr grazlös die rechte Hand.
„Stehen Sie auf, Earl, und lassen Sie Ihr Banner frei von den Zinnen unserer
Lande wehen,“ tauschte Lady Stewart in gleicher Weise die alte historische Erinnerung des Ungarn aus.
Nach dieser Absolution erhob sich der Ungar und reichte
dem Capitain die Hand. Mit der nemlichen stillen Entschuldigung beglückte er den Prinzen und jede Dame.
„Das ist ein prächtiger Mensch, dieser ungarische Graf“
sagte sich jetzt die Baronin von Saint Marie -- denn der Ungar hatte sie zufällig, als er ihr die Hand bot, etwas mehr als
gleichgültig angesehen: „nur Schade, daß er vorher so ungezogen sein konnte.“
Bei jeder andern Gelegenheit würde das Benehmen des Ungarn von der Gesellschaft als die
abgeschmackteste Schauspieler Farce verurtheilt worden sein. Und doch sonderbar!
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Während sich Lajos durch sein so plötzlich an den Tag gelegtes chevalereskes Benehmen wieder die Herzen Aller erobert zu haben
glaubte, so waren doch zwei Personen hier, die im Momente seiner galanten Ostentation zum Erstenmale einen sich unerklärlichen
Widerwillen gegen ihn gefaßt hatten: der Prinz von Würtemberg und -- Frida. Ein Blick im rechten Momente und er sagt uns mehr
als die Empyrie des geübtesten Physiognomen. In Frida's Brust zog ein Schauder, von dem sie sich keine Rechenschaft geben
konnte -- ihre Brust barg ein unheimliches Gefühl, von dem sie nicht wußte, woher es kam. Sie will es sich ausreden, daß sie
mit. Einem male etwas fühlt, was sie bisher nie gefühlt hat. Das Erstemal blickt sie nicht frei und offen zu ihrem Gatten
auf -- sie sieht ihn mehreren Male nach einander verstohlen an. Die höfische Galanterie ihres Gatten, die sie so oft bewundert,
wenn sie sich mit ihm in auserwählten Circeln befand, kommt ihr jetzt widerlich, schrecklich vor. Ihre Ideen associiren sich
unwillkürlich mit jenem so sonderbaren Gefühle, das sie damals empfand, als sie glaubte, ein todtenbleiches Antlitz erhalte
von dem Refler der grünen Seite der Gläseragraffe seine Färbung -- sie denkt erst jetzt daran, daß er bei dem Tode ihres
unglücklichen Kindes keine Thränen vergossen hatte -- erst jetzt fällt es ihr auf, daß er sie in jener Nacht mit ihrem Schmerze
allein ließ und sich in sein Studierzimmer einschloß -- erst jetzt kommt ihr Lajos nicht mehr wie ihr Gatte vor. Und die gute
Frida hört von jetzt ab kein Wort mehr von dem Gespräche, das über die Mantis Religiosa und Hiram sehr lebhaft geführt wird --
sie ist plötzlich nicht mehr die ruhige, sinnende Denkerin; ihre Phantasie reißt sie immer weiter und weiter hinein in die
Labyrinthe des Mißtrauens; sie denkt an das beabsichtigte Duell mit Karl, an den Doppelgänger und die Doppelgängerin; sie kommt
endlich zu dem Entsetzlichsten, daß Lajos nicht der Mann sei, mit dem sie auf dem „Guttenberg“ die Fahrt über See gemacht -- die
Unglückliche bleibt endlich fest bei dem Gedanken stehen, daß Lajos jener Doppelgänger, den damals ihre Schwester in der
Lichtung von Raney's Timber sah, selbst sei- es schnürt ihre Brust krampfhaft zusammen und- Dein guter Geist stehe Dir bei,
armes unglückliches Weibl. Nur noch einen Schritt weiter und Du zweifelt an Deiner eigenen Persönlichkeit. Weinend
scheidet Dein klarer Geist und höhnisch ruft der Wahnsinn in Dir: Was willst Du mehr, als des Doppelgängers Weib zu
sein? D’rum sei auch mein, Doppelgängerin Frida! --
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So verlassen wir auf einige Zeit die Gesellschaft, um etwas
nachzuholen und dann unsere Schritte an einen andern Ort hinzulenken. --
Als jener schrecklichen Nacht, wo sich die Verbrechen eines unmenschlichen Vaters
an seinem eigenen unschuldigen Kinde gerächt hatten, der Morgen gefolgt war, saß Lajos allein
auf dem Sopha in einem Studierzimmer -- die Brieftasche des ermordeten Juden in der Hand. Er hatte den Inhalt der
selben sorgfältig durchgesehen und besonders jenem Briefe ausMilwaukie, den wir bereits früher in einer Note
mitgetheilt haben, seine ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Die Thüre hatte er von innen verschlossen.
„Unsinn!“ warf er halblaut vor sich hin: „die ganze Geschichte beruht offenbar
auf einer Täuschung == --“
„„Die Geschichte mit dem Gelde aus der Mühle auch --
-- Herr Graf, wir sehen uns wieder!““
Als hätte ihm ein Blitzstrahl die Glieder gelähmt, so regungslos
sah der Ungar nach jener Seite hin, woher diese Stimme kam.
„„Wir sehen uns wieder, Herr Graf!““ und eine lange
abgemagerte Gestalt ging an ihm vorbei und schritt zur Thüre hinaus.
Als wäre er von der Schlangengeißel der Medusa aufgepeitscht, so sprang er jetzt auf
„Die Thüre ist verschloffen: Wie kam die unheimliche alte
Bestie herein, wie hinaus? Des Nachts läßt man sich's gefallen, von Gespenstern besucht zu werden,
aber am hellen lichten Morgen! Unsinn! Niemand sprach, Niemand war im
Zimmer -- O großer Tölpel Lajos, bist so plötzlich ein erbärmlicher Phantasie-Mensch geworden?
Eine neue Eigenschaft des Satans in unserer Zeit, daß er zum lausigsten Poeten wird,
der am hellen Tage Geister und Gespenster sieht! Mich wundert's, daß mich meine Pferdebüsten
dort auf dem Kamine nicht auslachen und der „Black Prince“ nicht aus dem Bilde springt
und mich mit ein paar Hufschlägen traktiert -- für eine so erbärmliche Schwachheit! Und diese
alte graue Bestie, die mir damals beim Dominospielen „Falsch gespielt!“ in die Ohren
gegelt hatte, daß ich heute noch halb taub davon bin -- die
soll ich gesehen und gehört haben - die ich schon längst vergessen -- -- wenn es der Jude gewesen wäre oder mein Panther
weibchen! Da wäre die Eselei noch zu entgegen --
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Ha, ha, die Thüre ist noch immer so fest verschlossen -- ha, ha,
Lady Wilmington, galante Pferdin, nimm die Reitpeitsche dort
herab und fuchtle mein Bubengehirn, fuchtle es so lange, bis
der Herr Graf fühlt, welchen Werth ein helles, gesundes Gehirn hat -- -- --
Doch, doch, halt Satanas! Was hast du gesagt? Die Geschichte mit dem Gelde aus
der Mühle -- halt -- wenn Du ..? Doch hier wieg' ich es in meiner
Hand-lumpiges Papier und dennoch hundertzwanzigtausend Dollars! -- -- --“
Da läßt der Ungar die Banknoten plötzlich fallen und
drückt seine Stirne gegen einen Thürpfosten, als wollte er sie
mit aller Gewalt durchdrücken. Seine Hände sind krampfhaft geballt und aus
seinen Augen spricht ein teuflischer Hohn. Was hat er gesehen? Was ist ihm
widerfahren? -- -- Die Banknoten kann nehmen, wer will! -- Erklären wir, warum?
Als der Ungar damals nach dem Schatze der Mühle unter
dem Bette suchte, so war es ganz natürlich, daß er ihn gefunden zu haben glaubte,
als er des dicken Buches in der der Größe desselben entsprechenden Vertiefung
ansichtig wurde. Daß er beim Anblicke der hundert Dollars Banknoten nicht auf
die Idee gerieth, ihre Echtheit durch eine genau vorgenommene
Examination zu prüfen, stellt sich noch um Vieles natürlicher
heraus; denn da er zuversichtlich wußte, daß sich das gesammte Vermögen der
Mühle unter dem Masterbette befand, wie hätte ihm der Gedanke zufliegen sollen,
daß hier irgend eine Täuschung stattfände? Und doch war es so. Dame Merlina
hatte nemlich nicht ohne Grund. Ursache, die Ehrlichkeit des
Italieners Lombardi, falls sich demselben eine günstige Gelegenheit darbieten
würde, sich in den ausschließlichen Besitz des Schatzes zu setzen, in Zweifel
zu ziehen. Da es nicht in ihrer Machtlag, den Versteck des Geldes zu Gunsten
ihrer alleinigen Kenntnißnahme zu verändern, da sie jeden Augenblick gewärtig
sein mußte, daß ein Beschluß der Clubbisten von 99 und
100 eine Visitation anordnete, eine Prärogative, gegen die sie
nach den Statuten, wie sie im Mühlenbuche niedergelegt waren,
nicht anstreben konnte, so hatte sie ihre Vorsicht eine treffliche
Anstalt gelehrt. Sie ließ sich von jenem Graveur und Metteuren Pages in
der spanischen Zeitungsoffice, der ihr die Clubbillets gestochen hatte, den
Abdruck von einer alten Notenplatte, die in früheren Jahren der bekannten
Jenisson's Falschmünzerbande bei Plaquemine zugehört hatte, besorgen und s
ubstituierte das hiedurch gewonnene Papier in je einem Bilde zu hunder
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Dollars für die Summe des Mühlenschatzes, der nach einer
alten Bestimmung in der mit einer Diele belegten Oeffnung
unter dem Masterbette so lange aufbewahrt bleiben sollte, bis
das Collegium der Clubbisten anders darüber verfügen würde.
Den reellen Schatz der Mühle hatte Merlina auf den Top des
Bettes verborgen, wo ihn gewiß Niemand ahnte. Bis jetzt
war noch keine Visitation geschehen -- ja nicht einmal von
einem Clubbisten betreffs derselben der Wunsch geäußert worden.
Merlina brachte ihr Referat ein, erst vom Pontifer
Marinus Lombardi und später von Lajos unterzeichnet -- und
schon dieser Act war hinreichend. Entweder war man von
Dame Merlina's Rechtlichkeit zu sehr überzeugt, oder man
hatte sich bisher gescheut, das ihr geschenkte Vertrauen durch
eine Visitation in Zweifel zu ziehen. Die Ausgaben floßen von
ihrer Hand in die des Collegiums, wo man sich schon genauer
auf die Finger sah. Ein ähnliches Verfahren findet man bei
gewissen Aktiengesellschaften oder des Beispiels halber bei der
Canal-Compagnie. So und So; der Präsident ist über alles
Mißtrauen erhaben, aber die Direktoren liegen in beständiger
Lauer auf Einander. Aber auch für den Fall, daß es dem
Collegium einmal eingefallen wäre, sich von dem Fond zu überzeugen,
hatte Merlina gesorgt. Es war nemlich ihre Absicht,
Lajos mit in's Vertrauen zu ziehen und mit ihm gemeinschaftlich
das Collegium zu hintergehen, wenn man dasselbe über
haupt einen zu großen Zuwachs des Schatzes überleben ließ.
Vielleicht wartete sie nur noch auf den Erfolg der Dubreuilschen
Manoeuvres im Hause der Lady Evans Stewart -- Lajos war doch noch immer,
der am meisten Eindruck auf sie machte und es wäre sehr leicht möglich
gewesen, daß, um sich mit ihm in den ungestörten Besitz des Schatzes zu
setzen, mit der Zeit den Clubbisten der Besuch mit der Pechmaske bestimmt
gewesen war. Wie es aber wirklich gekommen ist, ist uns längst bekannt,
Als der Ungar gegen Mittag sein Studierzimmer verlassen
hatte und nach dem Gemache ging, in dem die Leiche seines
Kindes lag, sah er entsetzlich verstört aus. Die Gewißheit,
daß er um sonst in einer einzigen Nacht so viele Menschen
hingemordet, hatte in seinem Innern eine furchtbare Revolution
hervorgebracht. Nicht daß er seine vielen Verbrechen und
Greuelt hatten bereut hätte -- nein, nur der Gedanke, sich plötzlich
wieder ganz arm zu fühlen und so vielleicht wieder einige
Zeit lang von dem geringen Vermögen seiner Frau leben zu
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müssen, spannte seinen Geist auf die fürchterlichste Folter, und
wenn seine Gedanken je einen Anflug zum Begehen eines neuen
Verbrechens wagten, so sah er mit Schaudern, daß ihm sogar
die Kraft mangle, den entworfenen Plan bis zu einem möglichen
Abschlusse zu verfolgen. Er fühlte sich abgemattet und übersät
tigt und wenn ihm ein Dämon keinen außerordentlichen und
neuen Reiz für irgend ein Verbrechen bloßlegte, so blieb ihm
nichts anders übrig, als sich eine Kugel durch's Gehirn zu jagen.
Ja, es durfte nicht einmal Geld sein, was ihm sein Dämon in Aussicht
stellte, um seinem Geiste wieder die frühere Elastizität zu verleihen -- es
mußte den übersättigten Mörder ein ganz anderes Reizmittel aufstacheln. Und
als der Sonderbare Vater einige Minuten vor der Leiche eines Kindes steht
-- allein, von Niemandem beobachtet (denn Frida und Jenny
sind im Garten und brechen schneeweiße Rosen und Magnolien
blätter für einen Todtenkranz) da legt Mephisto seine schmalen Lippen
an die Narbe des Mörders und zischelt ihm die
Worte zu: „Denk an den Pedlar Cleveland, dessen Pferd
Dir ein Stück aus der Wange biß, denk' an Lydia Prairiebrand
und dann sieh hin auf den dunklen Schatten an der
Wange Deines Kindes.“ Und die Stimme vernimmt der Vater im
nemlichen Augenblicke, als Jenny und Frida mit Kränzen in den
Händen hereintreten. Er senkt seinen Kopf auf das
Gesicht seines Kindes und stößt einen Schrei aus, den die
Schwestern für einen Schmerzensschrei halten, der aber nichts
als ein elender Fluch war, fur den er keine Sprache finden konnte....
Noch am nemlichen Tage war die Leiche ganz im Stillen
beigesetzt. Der Prinz von Würtemberg war die einzige Seele,
die am Grabe stand. Er hatte selbst das Amt des Todtengräbers übernommen.
Kein Geistlicher begleitete ihn. Als aber der Tag der Nacht gewichen war
und des Mondes kaltes Licht die Gräber auf dem Friedhofe übersilberte, da
stand noch eine andere Seele an dem kleinen Grabe und weinte bittre
Thränen. „O Frida, Frida!“ hauchte eine Stimme, die nur der Mond vernahm:
„Wenn ich Dir auch ferne bin, so bin ich doch nahe Deinem Kinde.“ Und der
Mann beugte sich herab auf den frischen Grabhügel und umspannte ihn mit seinen
Armen, als wollte er in ihm das Kind seiner Frida umarmen.
Und wäre Frida ein guter Genius zur Seite gestanden, so hätte
er ihr im nemlichen Momente, als der Mann den Grabhügel
umspannte, gesagt: „Wandle hin auf den Friedhof, da wirst
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Du einen Mann am Grabe Deines Kindes sehen, der Dich
liebt, ohne daß Du es weißt und den Du Deinem Gatten, zu
Lieb verstoßen hat.“ Und als Karl von dem Grabe schied,
so sah er noch einmal zurück nach dem wunderlieben Häuschen,
in dem bereits außer einer matt leuchtenden Lampe alle Lichter erloschen waren.
Dies ereignete sich drei Wochen vor jenem Tage, an dem
man in der Residence von Lady Evans Stewart das Geburtsfest der engelgleichen Dudley feierte. --
- - - -
Gerade um die nemliche Zeit, als man sich im großen Salon
der Residence am Annunciations-Square noch sehr eifrig von
der Mantis Religiosa und von Hiram unterhielt, bestieg ein
junger, schlankgewachsener Mann von auffallender Schönheit,
jedoch etwas fanirten Gesichtszügen, das Ferryboot an der Landung
unweit des französischen Marktes. Er hatte das Signal
zur Abfahrt schon zweimal verpaßt, obwohl er sich ganz in der
Nähe des Landungsplatzes, auf dem Vorsprung der kleinen
Eiscream-Bude befand. Unruhig ging er auf dem Boote hin
und her und blieb hie und da stehen, um einen forschenden Blick
auf's jenseitige Ufer zu werfen. Die wenigen Passagiere, die
sich mit ihm auf dem Verdecke befanden, betrachteten mit fast
verletzender Neugierde den jungen schönen Mann mit den langen bis
auf die Schultern herabfallenden blonden Haaren und
den großen himmelblauen Augen. In nicht minderem Grade
erregte dessen hohe schlanke Gestalt und besonders die Kleidung,
die er trug, die Aufmerksamkeit Aller. Er ist nemlich bis auf
ein kurzes Oberkleid von weißer Seide und einen silbernen
Gürtel, der aus unzähligen feinen Ringen zusammengesetzt ist,
ohne Bekleidung. So sah er aus, als käme er eben von einem
Gastmahle des Königs Antinous oder als hätte er auf dem
Schooße Sardanapal's gesessen. Eine Dame, die sich mit auf
dem Verdecke befand, brannte lichterloh bei dem Anblicke dieser
mythologischen Figur, die sich so sterbens-mutter-seelennackend
allein, allen Regeln des gesellschaftlichen Lebens zuwider, hier
herumtrieb. -- Mancher unserer Leserinnen mag es unglaublich scheinen,
was wir hier eben geschildert haben. Um denselben, aber auch den
geringsten Zweifel zu benehmen, so brauchen sie sich nur an den Besitzer
genannter Eiscream-Bude zuwenden, dessen Wahrheitsliebe in der ganzen
Stadt anerkannt und hoch geschätzt wird. Ebenso sind noch mehrere von den
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Passagieren aufzufinden, die sich damals zugleich mit dem schönen jungen Manne aufdem Verdecke befanden.
Als das Boot in Algiers landete, lenkte der junge Mann
seine Schritte rasch jener Gegend zu, wo das wunderliebe Häuschen lag. Als er vor
der Gartenthüre angelangt war, blieb er einige Augenblicke stehen und sah durch die
Latten nach dem Fronteingange, dessen hellgrüne Jalousieenthüren gar freundlich
durch den gewölbten Baumgang nach ihm herausblickten und
ihn einzuladen schienen, so schnell wie möglich in’s alte wohlbekannte Häuschen zu kommen.
Er druckte jetzt die Thürklinke auf, doch so vorsichtig und
leise, daß die an der Inseite der Thüre angebrachte Schelle nur
einen sehr schwachen Ton von sich gab und schwerlich verrathen konnte, daß Jemand eintrat.
Ungefähr in der Mitte des schattigen Baumganges blieb er
wieder stehen und betrachtete mit großer Aufmerksamkeit die zu
beiden Seiten des Ganges in Herzform abgestochenen Beete,
die mit herrlichen Reseda’s, deren zitternde Narben eben den
Zauber der Polyandrie in sich aufnahmen, eingefaßt waren.
In Mitte dieser Beete, sich üppig und behaglich hinaufrankend
an kreuzweis gesteckten grünen Stäbchen mit übergoldeten Köpfen, sah
man die heimlichen Kapuzinerleins mit ihren roth geflammten glänzenden
Kutten, die, wo man sie trifft, immer die Anwesenheit deutscher Frauen verrathen.
An den Seitenra batten standen einige Lychniden und bildeten den Uebergang zur
Know NothingFlora, die in der rosenfarbenen „Amarillis palustris“ und in
der „Mirabilis Jalappa“ oder „Four o'clock“ ihre
vorzüglichsten Repräsentantinnen stellte. Ein sinniger Beobachter mußte
augenblicklich erkennen, daß die schönen Gärtnerinnen
die Idee leitete, das deutsch-amerikanische Element unter den
Blumen zur Geltung zu bringen. Ein rührender Ersatz für
das tantalische Bestreben, sich in genannter Hinsicht mit den starrköpfigen Bipeden zu versöhnen. --
„Wie Vieles hat sich während der zwei Jahre, die ich
abwesend war, verändert! Welche Neuerungen! Wie schön
und groß sind jene Bäume geworden, die mich damals noch
kaum überragten und dort jene elegante Haube auf der Cisterne, statt
der schmalen ungleichen Deckbretter -- und seht mir
doch, ein neuer Küchenanbau.. Da hat gewiß Albert den Planhiefur gemacht! -- -- So ruhig und stille Alles ringsumher
meine Jenny wird mit Frida gewiß ihr Nachmittags-Schläfchen
halten und vielleicht -- -- -- doch darf ich's hoffen?
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Vieleicht von ihrem Emil träumen? O Jenny, Jenny, hätten wir
doch nie den Fuß auf diesen verhängnißvollen Boden gesetzt,
wären wir doch lieber ewig aufdem weiten wilden Meere herumgetrieben worden,
hätte der „Guttenberg“ doch nie den Ort
seiner Bestimmung erreicht ... und so? O Gott, Du wirst
mich einen Untreuen schelten, meine Jenny -- aber der Allmächtige weiß es, daß ich dich stets im Herzen getragen und daß
mich nur ein unabwendbares Geschick dazu trieb, Dich zu verlassen -- --“
Inmitten dieser Betrachtungen wurde Emil plötzlich durch
ein Geräusch gestört, das sich ganz nahe bei ihm erhob.
Es war die wackere Köchin, die eben beschäftigt war, einige
Eggplants abzupflücken, und als sie mit Einemmal die mythologische Figur Emil’s vor
sich auftauchen sah, über und über roth, durch die Gesträucher und Cedernhecken brach und
sich in den neuen Küchenanbau flüchtete.
Unbegreiflicher Weise dachte Emil nicht gleich daran,weßhalb
die wackere Köchin wie ein scheues Reh vor ihm entfloh.
An ihrem schlampigen Wesen, das sogar während ihrer Flucht
noch sichtbar war, erkannte er auf der Stelle einen dienstbaren
Geist, den die Schwestern während seiner Entfernung vom wunder lieben
Häuschen für die Küche engagiert haben mußten. Da er befürchtete, das dumme
Ding möchte Alarm schlagen und so Alles im Hause auf die Beine bringen, was ihn nur um das
Vergnügen gebracht hätte, sich in wehmüthiger Stille zu präsentiren, so eilte er rasch
nach der Küche, um der wackern Köchin noch zur rechten Zeit das Mäulchen -- wenn überhaupt bei
Lüneburger-Haiderinnen von einem Mäulchen die Rede sein kann -- zu stopfen.
Alles so ruhig und heimlich ringsumher. Es ist kühl im
Gärtchen, denn der Sonne Strahl dringt nicht durch das dichte
Dunkel der Bäume und Gesträuche. Die „Mirabilis Jalappa“ hat ihre Blüthen wieder geöffnet -- ein
Zeichen, daß es vier Uhr vorüber ist. So eine Blumenuhr täuscht nie.
„Ist Deine Herrschaft zu Hause?“ frug Emil die wackere
Köchin, die sich vergebens anstrengte, ihren Körper mit Erfolg
gegen die Küchenthüre zu stemmen; denn dieselbe konnte nur
von Außen zugeschloffen werden. Auch hatte man es bisher
für überflüssig gehalten, an der Inseite einen Riegel anzubringen.
„Es ist Niemand zu Hause -- machen Sie, daß Sie fort
kommen,“ erwiederte Urschl und kroch zu gleicher Zeit unter
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den Küchentisch, wo selbst sie ihre Schürze vor das Gesicht hielt;
denn die Thure hatte einem heftigen Drucke von Außen nach geben müssen.
„Marschieren Sie sich! Wenn die Ladies kämen, so meinten
die Wunders, was wir zusammen trieben, Sie ungezogener
Mensch. Sie!“ schimpfte Urschl unter dem Tische hervor, hielt
aber dabei noch immer die Schürze fest an's Gesicht gedrückt. -- --
Es kostete Emil viele Mühe, die wackere Köchin zu überzeugen, daß
er der Herr des Hauses wäre und Gräfin Jenny seine Frau. Als er Miß Urschl so weit
gebracht hatte, ihm in's Gesicht zu sehen, so hegte sie auch nicht den geringsten Zweifel
mehr; denn seine Silhouette, die im Drawingroom ober dem Kaminsimse hing und die sie beim Aufräumen gar oft betrachtet
und im Stillen bewundert hatte, war von der sprechendsten Aehnlichkeit.
Sie sagte daher nicht mehr „ungezogener Mensch, Sie,“
sondern fing gleich ganz ehrerbietig mit „Herr Graf“ an. Sie
kroch aus ihrem Verstecke hervor und sperrte ihr Mäulchen vor
lauter Erstaunen und Bewunderung wie ein Kuhscheunethor
weit auf. Jetzt roth wie eine Herzkirsche, jetzt wieder so bleich
wie eine Barataria Auster; jetzt so heiß wie ein in Gluth gesetzter Meerschaumkopf,
jetzt wieder so kalt wie Sherbeten Pine Apples- so changierten Couleur und Temperatur, während
Emil seine Fragen an sie richtete. Uebrigens stand sie
immer mit halbem Gesicht von ihm abgewandt und schielte nur
hte und da nach den mit seidenem Goldflaum bedeckten Bonbons ihres gräflichen Herrn. So
ziert sich moderne Verschämt,heit und so rächt sich die Natur.-
Als nun Emil von Urschl erfuhr, daß seine Eltern hier
wären und zwar, daß sich dieselben über dem Lake befänden;
ferner, daß auch Lajos zurückgekehrt und dessen Kind vor drei
Wochen begraben worden sei, so bemächtigte sich einer ein sonderbares Gemisch von
Freude und Trauer. Daß seine Eltern
schon so lange in Amerika feien und Jenny und Frida erst jetzt
sehen sollten, kam ihm merkwürdig genug vor. Besonders war
es ihm auffallend, daß der Prinz von Würtemberg, der sich
doch, nach Urschl’s Aussage, zur Zeit ihrer Ankunft in New-Orleans, in
der Stadt befunden hatte, seinen Eltern und Geschwistern den Aufenthalt
Jenny's und Frida's verheimlichte. Wie er von der wackeren Köchin erfuhr, so
hatten bisher nur Konstanze und Gertrude die beiden Schwestern gesehen; das
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Wiedersehen der Uebrigen sollte erst nach Verlauf von zwei
Tagen über der Lake gefeiert werden. Emil war natürlich
gleich entschlossen, die Fahrt über die Lake mitzumachen, nur
peinigte ihn dabei der Gedanke an ein früheres Einverständ
niß mit Madame Wilson und seine jahrelange Abwesenheit
von seiner Gattin. Daß Urschl von der Niederkunft Jenny's
in Paß Christian nichts erwähnte, war entweder Zufall oder delikate Vorsicht. --
„Uebermorgen also soll die Abreise stattfinden?“ frug
Emil die wackere Köchin, obwohl sie es ihm schon ein Paarmal
gesagt hatte. Die wackere Köchin bejahte es mit einem leichten Kopfnicken; dann sagte sie:
„Das wird aber eine Freude sein, Gnaden Herr Graf,
wenn Sie drüben ankommen und die ganze große und vornehme
Gesellschaft! ich freu' mich schon auf das lustige Leben. Hier
ist es gar zu langweilig-Jahr aus und Jahr ein sieht man
keinen Menschen, höchstens den Württemberger Prinzen und der macht mir keinen Spaß.“
„Gefällt Dir denn der Prinz von Würtemberg sogar nicht?“ frug Emil.
„Ja, ja -- wie man es gerade nehmen will -- -- aber
junge, schöne Herren sehe uch lieber um mich,“ erwiederte Urschl und sah ziemlich beherzt zu ihrem Herrn auf.
„A ha!“ dachte sich Emil: „da steckt der Has" im Pfeffer! Die Kleine scheint
mir ein bischen verliebter Natur zu sein.“
Es lag klar am Tage, daß es die wackere Köchin trotz
ihrer vorher gezeigten Verschämtheit faustdick hinter den Ohren hatte.
Emil, dem jetzt plötzlich Tiberius einfiel, frug:
„Tiberius ist wohl mit den Damen weggegangen? Wie geht's dem kleinen Darkey?“
„Tiberius? Der? Der ist schon seit vierzehn Tagen
nicht mehr hier. Es ist auch sehr gut, daß er weg ist -- --
diese ewige Wirthschaft, das Necken und das Schimpfen -- --
das Leben konnte. Einem zuletzt noch ganz zuwider werden --
er wird schon sehen, daß er es nirgends so gut haben kann, als
er es hier gehabt hat. Er that gerade, was er nur wollte --
ich hab' ihn schon gleich von Anfang her nicht recht leiden mögen-- nein, nein,
ich muß wirklich sagen, daß ich herzlich froh bin, daß er endlich einmal weg ist -- --“
Die Plandertasche, die, wenn sie nicht bat einen Maus
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bekam, alle Anlagen besaß zu einer entsetzlichen Megäre heranzureifen, hätte noch lange so fortgeschimpft und
ihren einst so geliebten schwarzen Beau schlecht gemacht, wenn sie Emil nicht unterbrochen hätte.
„Aber wo ist denn Tiberius, wenn er nicht hier ist?“ frug
derselbe in sehr verstimmtem Tone, ohne etwas nach Urschl’s Herzensergießungen zu fragen.
„Sie haben ihn auf die Plantage des Herrn von Delachaise verkauft,“
antwortete die wackere Köchin putzig.
„Verkauft?“ wiederholte Emil fragend, wobei man ihm deutlich ansehen konnte, daß ihn Etwas verdroß.
„Ja, ja, verkauft!“ betonte die Gefragte mit noch viel putzigerem Accente, als vorher. --
Man wird sich noch erinnern, daß Tiberius ein Geschenk
Emils war, mit dem derselbe seine Gattin an ihrem ersten Geburtstage in der neuen Welt überraschte. Sehr
unangenehm mußte es daher Emil berühren, daß dieses Geschenk, von dem er sich schmeichelte, daß sie es als
eine Erunnerung an ihn um keinen Preis der Welt entbehren könnte, nun auf so prosaischem Wege in andere
Hände ubergegangen sei. Diese Nachricht versetzte nicht so fast einem Herzen als einer Eitelkeit einen empfindlichen
Stich. Um sich dies richtig erklären zu können, muß man mit gewissen Gebräuchen der Creolen vertraut
sein, die Emil gleich nach seiner Ankunft in New-Orleans seinem deutschen Charakter angepaßt hatte und ihn auch im
Ganzen genommen recht artig kleideten.
Ein Glück fur Jenny und ihre Schwester war es übrigens,
daß er damals noch nicht mit Madame Wilson auf so vertrautem Fuße stand und er somit noch die zarte Rucksicht ubte,
einen Tiberius statt einer Tibe ria zu wählen. Wie aber Jenny dazu kam, Tiberius wegzugeben, wollen wir kurz erläutern:
Der Ungar war seit jenem Tage, wo ihn am Sarge feines Kindes Mephisto dazu anstachelte, den Pedlar Cleveland
und seine Stute Lydia Prairiebrand aufzusuchen und wenn er ihren Aufenthalt ausgekundschaftet, aus dem Wege zu schassen,
sehr trübsinnig geworden. Tausend Pläne durchkreuzten sein Gehirn, aber Alle warf er wieder als unnütz bei Seite. Den
Aufenthalt der Stute wußte er, denn sie stand noch immer bei Oliver Dubois in St.Charlestreet. Davon hatte er sich
selbst ein Paarmal überzeugt, indem er in den Leihstall ging und scheinbar die Pferde musterte, als wollte er sich.
Eines zum
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Reiten aussuchen. Einmal dünkte es ihm sogar, als hätte ihn Lydia erkannt. Denn als er ihr nahe kam, ließ sie ein
so entsetzliches Geheul vernehmen, daß die andern Pferde schaudernd
ihre Mähnen. Ichüttelten und sich loszumachen suchten. Der Ungar schrack etwas zusammen, aber nicht wegen des
unnatürlichen Geheules der Stute, sondern weil ihn einer der Stallknechte mit mißtrauischem Blicke von Oben
bis Unten maß, als ob er erforschen wollte, ob er-der Ungar nemlich -- nicht irgend ein Attentat auf Lydia
begangen haben könnte, das die Ursache ihres entsetzlichen Geheules sei. Der Stallknecht wußte
es wahrscheinlich aus Erfahrung, daß es eine Sorte Menschen giebt, die sich ein Vergnügen daraus machen, sich
in die Ställe zu schleichen und die Pferde durch scheußliche unheimliche Mittel rabiat zu machen. Erinnern
wir uns an die von dem Italiener Lombardi in Vorschlag gebrachten Mittel mit dem „Ellenbogen“ und den „Pülverchen.“
Der Ungar betrat von dieser Zeit an nie mehr den Livery Stable von Oliver Dubois und hatte es somit schon
aufgegeben, an diesem Orte Erkundigung nach dem Pedlar Cleveland aus Illinois einzuziehen. In diesen Tagen war
im wunderlieben Häuschen der Entschluß herangereift, in Gesellschaft des Prinzen von Wurtemberg und der
Familie Evans über den Lake Pontchartrain zu reisen, was, wie wir bereits wissen, um so eiliger betrieben
wurde, als das gelbe Fieber in der Stadt bereits einen sehr bösen Anlauf genommen hatte. Der Ungar, der
anfänglich entschlossen war, in New-Orleans zu verbleiben, ward endlich doch durch die Bitten des Prinzen
von Wurtemberg und der beiden Schwestern dahin gebracht, sein Versprechen zu geben, mitzureisen. Jenny's Kind
konnte natürlich nicht mitgenommen werden, daher es der Prinz unter der sichern. Obhut seiner Haushalterin in
seiner Residence an der Bayou Road zurückließ. Uebrigens wollte Jenny den letzten Tag vor der Abreise ganz bei ihrem
Kindezubringen. Als es bei dem Ungarn einmal fester Entschluß war, mitzureisen, so tönte in einem Innern auch gleich
wieder der alte Refrain: Geld! Geld! -- Um uber der Lake glänzen zu können, brauchte er Geld, viel Geld. Er hätte
zwar noch mehrere tausend Dollars rückständige Brandstifttungs-Gelder einzukassieren gehabt; aber wie durfte er das noch
wagen, da es unter den Schuldnern der Muhle sehr gut be kannt war, daß Dame Merlina und die Clubbitten um den
Flammen umgekommen waren? Durfte er nicht froh sein, daß man ihn ungeschoren ließ? Wie hätte er allein ihnen
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drohen und sie zu einer Bezahlung zwingen können? Beider
seits war es klug gehandelt, daß man schwieg. Da fiel ein
Blick auf Tiberius. Denselben zu verkaufen, dachte er, wäre
gar nicht so übel. Gedacht und gethan! Er bestürmte Frida
und Jenny so lange, bis dieselben endlich ihre Einwilligung
hiezugaben. Er brachte Tiberius gleich schon den nächsten
Tag auf die Auction in die Banks Arcade, wo selbst ihn Herr
von Delachaise für 900 Dollars erstand. Jenny und Frida
litten noch zu sehr von den Schrecknissen jener Nacht, als daß
sie daran gedacht hätten, betreffs der Benutzung dieser Verkaufssumme nähere
Bestimmungen zu treffen. Sie ließen somit dem Ungarn freie Hand. --
Wir befinden uns wieder bei Emil und der wackern Köchin.
Wenn dieselbe noch kurz vorher, als sie die mythologische
Naivetät Emil’s beim Eggplant-Pflücken zu Gesichte bekam,
über und über roth in den neuen Küchenanbau rannte; wenn
dieselbe einige Minuten später schon etwas dreister wurde und
sich sogar nicht scheute -- wenn auch nur verstohlen -- nach der
namenlosen Schönheit der Bonbons ihres Herrn zu zwinkern
-- so schnitt sie jetzt, wo sich Emil ins wunderliebe Häuschen
entfernte, unaussprechliche Gesichter. Wie sie jetzt unter der
Küchenthüre, so mag einst die Königin von Carthago dagestanden haben, als
sie das Schiff, auf dem Aeneas entwischte,
die Anker lichten sah. Wer die schlampige, wackere Köchin so
gesehen hätte, würde in ihr augenblicklich die moderne Dido erkannt haben.
Aber, wird man einwenden, wie konnte Dido-Urschl solche Prätentionen erheben
und was gab ihr überhaupt das Recht, sich über die Entfernung Emil"s aus der Küche des
perat zu zeigen? Dido-Urschl war erfahren genug zu wissen,
daß gewisse Rechte, von denen eine Köchin in der Küche träumen darf, außer dem Bereiche
derselben keine Geltung mehr haben, Unter dem langen, hochbeinigen Küchentisch stand ein
Waschkorb, mit eben erst von der Leine eingeholter Wäsche gefüllt. Da hinein warf sie sich
nun auf den Rücken und dachte nicht einmal daran, daß ihr diese Ertravaganz gar nichts nützte.
-- So verlassen wir sie und sehen nach Emil.
Da derselbe nun sicher war, daß sich Niemand im ganzen
Hause befände, so konnte er sich geradezu gehen lassen. Sein
Gang, seine Manieren, kurz alle Dinge, die er jetzt unternahm,
trugen den Stempel der reinsten Natürlichkeit. So muß man
die Menschen sehen, wenn sie sich unbemerkt glauben -- so
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allein gewinnt man sie lieb oder auch, man wird ihnen spinnenfeind. Der Mensch ist
ein anderer in Gesellschaft, ein anderer wenn er allein ist.
Die weichen Tritte Emil's hatten kaum die oberste Stufe
der mit Teppichen belegten Treppe, die in das zweite Stockwerk führte, erreicht, als ihn
das verzweifelte Geschrei eines Wesens, das er bisher ganz vergessen zu haben schien, einen
kleinen Rückzug anzutreten zwang.
Dieses Geschrei kam von Niemand anderm, als von unserm Papchen. Dasselbe
hatte Emil auf der Stelle erkannt, war aber vor lauter Ueberraschung nicht gleich im Stande, ihn
nach herkömmlicher Weise zu begrüßen, sondern konnte nur
unartikulierte Laute von sich geben, die freilich etwas zu schrill
waren und solche, die Papchen nicht genau kannten, leicht auf
den Gedanken bringen mußten, die beiden Schwestern hätten
es mit seiner Erziehung nicht so ganz genau genommen.
„Sennor Caballero, ho, ho, ho!“ das war das Erste;
„Deine Jenny liebt Dich von Herzen, mit Schmerzen -- --“das Zweite und:
„Sennor Caballero, ho, ho, ho -- nir versteh! -- --“
das Dritte und Letzte; denn Papchen ließ plötzlich seinen Kopf
sinken und sprach kein Sterbenswörtchen mehr, so sehr es auch Emil liebkoste und zum Sprechen nöthigen wollte.
„Das weiß der Himmel,“ dachte sich Emil: „was mit meinem guten alten Papchen
vorgefallen sein mag- sonst immer so ausgelassen und voller Humor und jetzt hängt es den
Kopf und sieht so traurig drein.“
Papchen war ein merkwürdiger Vogel. Mit Leib und
Seel' hing er an den beiden Schwestern. Freute man sich im wunderlieben Häuschen, so freute sich das Papchen
mit, was es gewöhnlich dadurch zu erkennen gab, daß es lebhaft von einem
Ring durch den andern hüpfte und alle bisher eingelernten
Worte und Redensarten mehrere Male nach einander wieder
holte. Zeigte man sich verstimmt, so war es das Papchen auch
und aß oft nicht eher etwas, als bis es wieder freundliche und
heitere Gesichter sah. Seit jenem schrecklichen Todesfalle war
Papchen ganz stumm geworden und nur das so unverhoffte Erscheinen Emil’s konnte es auf einen Augenblick aus
seiner Apathie reißen. Dann befiel es wieder dieselbe stumme Trauer,
die es bisher an den Tag gelegt hatte. --
Das Erste, was Emil jetzt aufsuchte, war sein Schlafkabisnet, Voll
bangen. Erwartens öffnete er die Thüre. Hier in
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diesem Kabinett war es, wo er Jenny so oft in seine Arme schloß; wo er oft ganze Nächte weinend an ihrem Halse hing
und sie beschwor, ihm doch zu verzeihen und an seine ungetheilte Liebe zu glauben. Hier war es, wo er sein Weib so oft
mit wüthenden Küssen bedeckte und dabei -- O der unseligen Verirrung -- an Lucy Wilson dachte. Welch' eine unermeßliche
Welt von Wünschen und Hoffnungen, von Qual und Pein, von Täuschungen und Verirrungen schloß einst dieser
kleine Raum ein! Hier küßte ihm ein Engel die heißen Thränen von den Wangen, auf die noch kurz vorher die Küffe der
Nebenbuhlerin niederbrannten. Hier schuf man ihm einen Himmel und er -- vom Teufel der Leidenschaft belessen, schuf
eine Hölle daraus. Er sah in Gedanken zurück auf seine Vergangenheit und von seinen Lippen stahl sich schaudernd der
Name Hiram.
Emil trat ans Bett und drückte sein Gesicht in die Kissen. Doch schon im nächsten Momente
fuhr er wieder empor. „Hier hat ein Mann gelegen!“ rief er aus: „das ist nicht meiner Jenny Bett.“
Es war das Bett, in dem der Ungar mit Frida schlief
Auf demselben Kissen, in das Emil wonnetrunken sein Gesicht
drücken wollte, lag der Schädel des Ungarn stumm und düster
und brütete an der Seite des unglückseligsten Weibes, das
je die Sonne beschienen, über wilde und todte Verbrechen.
Auf diesem Kissen lag der bestialische Hinterkopf mit seiner
sodomitischen Hyänenpassion und massacrirte mit frevelndem
Hohne den natürlichen Gedankengang eines edlen, unschuldigen Weibes.
Emil begab sich in das Seitenkabinet, in dem jetzt Jenny's Bett
stand. In dem Schlafkabinet des Ungarn war es ihm fast übel geworden. Eine unerklärliche Ahnung preßte ihm die Brust zusammen.
Angesichts dieses Bettes konnte er sich nicht täuschen.
Die mit Spitzen garnierten Kopfkissen, in deren Ueberzuge die
verschlungenen Anfangsbuchstaben eines und Jenny's Namen
gestickt waren, die zwei Plumeaur von himmelblauem Seidenzeuge, mehrere blühweiße Fleurs delit, mit
Lilly White bestäubt und wahrscheinlich für die kommende Nacht arrangiert und mehrere Quelques-choses neben
an auf dem heimlichen Nachttischchen-Alles dies und noch vieles Andere, was niederzuschreiben
selbst die galante Feder eines Marquis de Sade nicht im ande wäre, zeugte für Jenny's nächtliches Lager
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Emil warf sich mit halbem Leibe aufs Bett und bedeckte
es mit tausend heißen Küssen. Dann erhob er sich wieder und
setzte sich, mit den Ellenbogen auf den Knieen und die Hände
auf der Stirne, auf den Rand des so lange entbehrten Lagers.
Man sah es ihm an, daß er bitterlich geweint hatte und sich nun
die Mühe gab, den Rest der Thränen hinter seinen langen Wimpern zu verbergen.
Ein gewöhnlicher Mensch hätte dies nicht vermocht. Gar
sonderbare Gedanken schwirrten jetzt durch seinen Kopf und
suchten sich vergebens zu einem festen Entschlusse an einander
zu reihen. Sollte er hier bleiben, bis seine Jenny zurückkäme?
Sollte sie ihn im Bette überraschen? Oder, sollte er sich zu
Lady Evans Stewart begeben und da seine Jenny mitten aus
der Gesellschaft herausholen? Was kümmerten ihn in der
stürmischen Aufwallung seines Herzens Etikette und die conventionellen Normen
des gesellschaftlichen Lebens? Aber einer
Rucksicht mußte er doch Rechnung tragen, denn ihre Verletzung
mußte einen zu großen Seandal herbeiführen und obwohl er
annehmen konnte, daß Lady Evans und die ganze hohe Gesellschaft, die sich
bei ihr gegenwärtig befand, mit der Tracht der
olympischen Majestäten und Hoheiten aufs genaueste vertraut
waren, so fand er es nach einigem Ueberlegen, doch für rathsam, sich Kleider
anzulegen, wie sie in unserer modernen Welt einmal gang und gebe sind. Er mußte solid
erscheinen, um zu scheinen, was er nicht war. -- Aber eine andere Frage, deren
Erledigung nicht sehr leicht war, drang sich Emil jetzt auf. Wo
im ersten Augenblicke gleich Kleider herbekommen? In einen
Clothingstore zu gehen und sich Rock, Hose und Weste u.s.w.
zu kaufen -- das wollte er um Alles in der Welt nicht thun;
viel eher hätte er es unternommen, ganz unbekleidet in den Salon von Lady Evans zu
treten. Emil hatte eine zu noble, chevalereske Gesinnung, als daß er sich in einem Clothingstore
hätte Kleider kaufen sollen. Das thun nur Schauspieler, Zeitungsredakteure, Theaterrecensenten,
Cake Marchands, Rag-Pickers, Bone black Fabrikanten, Architecten, Planinspectoren,
Deputy Surveyors, Gas-Work Clerks und ähnliche Halbgötter.-- Es blieb Emil demnach nur übrig, die
Kräfte seines in früheren Jahren frequentierten Leib schneiders -- wie jeder noble
Mensch. Einen besitzen soll -- in Anspruch zu nehmen. Derselbe
wohnte aber zu weit ab und wenn er auch den Gang nach
Frenchmenstreet gewagt hätte, so wäre dennoch eine Woche dahingegangen, bis er seine Sachen bekommen hätte. Da
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hauchte ihm eine Grazie, als Marchande de Mobes verkleidet,
einen glücklichen Gedanken ein. Entschloffen schritt
er zur Ausführung. In der untersten Schublade einer deutschen Kommode
hatte Jenny seine Pagenkleidung, die nemliche,
in der er sich vor vier Jahren in der Hofkapelle verliebte, aufbewahrt.
Sollte sie sich noch an demselben Orte aufbewahrt
finden? Warum nicht? Die Ordnungsliebe deutscher Frauen
ist welthistorisch und wird durch eintretende Unglücksfälle, häus
liche Wirren, durch heftige Leidenschaften u.s.w. nie verletzt.
Wird heute fur irgend einen Gegenstand ein bestimmter Platz
gewählt, so liegt derselbe in fünfzig Jahren noch da. Die
Wahrheit dieser Hypothese mußte Emil nicht im geringsten bezweifeln,
denn er ging sicher auf die genannte Kommode zu und
zog die unterste Schublade hervor. Hier lag die vollkommene
Ausstaffierung in ein schneeweißes Linnen eingehüllt. Als Emil
die Stecknadeln, die das Linnen über der Pagengarderobe zusammenhielten,
entfernt hatte, so sah er oben aufliegend die
blaue mit Silber gestickte Uniform. Die silbernen mit Löwen
verzierten Knöpfe waren jeder für sich in Papier eingewickelt,
sowie die Achselvolantes, die noch außerdem behutsam und
schonend umgelegt waren, um die zimperliche Seide nicht zu verknittern. Zu
beiden Seiten der Uniform lagen die weißrei
denen bis an's Knie heraufreichenden Strümpfe, die weißen
Glacéehandschuhe -- man hätte darauf geschworen, sie gehörten einem Mädchen
von eilf Jahren -- ferner die schmalen kleinen Gallaschuhe von himmelblauer Seite
und mit silbernen Börtchen und Franzen geziert. Die kurzen weißen Beinkleider
lagen ganz unten, wahrscheinlich deshalb, um die übrige mehr
empfindsame Garderobe nicht zu drücken. Auch noch einige
weißseidene Taschentücher mit dem in Gold gestickten Wappen
der Grafen von R* fanden sich vor. Da Emil nur ein kurzes
Oberhemd abzustreifen hatte, so ging das Umkleiden ungemein
rasch von Statten. Als er an den großen Ankleidespiegel trat,
so traten ihm die Thränen in die Augen. Hätte er nicht im
selben Momente seiner Jenny gedacht, so wäre er auf sein Spiegelbild
zugeeilt und hätte demselben einen warmen Kuß auf die
Lippen gedrückt. Man konnte es ihm ansehen, daß er dies gerne
gethan, aber wie er jetzt für Jenny glühte, so war es besser,
daß es unterblieb. Das Küssen seines Bildes im Spiegel hätte
einem wiederholten Ehebruche nicht ganz unähnlich gesehen,
und einen solchen wollte er sich -- das war sein unerschütterlicher
Entschluß -- von heute ab nie mehr zu Schulden kommen
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lassen.—- Aber wie erschrackEmil, als er eine Gestalt sich über seine
Schultern erheben sah. Kaum traute er seinen eigenen Augen. Als er
seinen Blick vom Spiegelglase abwandte, trat er betroffen einen Schritt zurück
Die Gestalt ist höchst seltsam gekleidet. Ein langer,
schmaler Mantel von dunkler Farbe, der vermittelt eines hochstehen
den Kragens bis an das Kinn geschlossen ist und fast den Boden berührt, umhüllt
die nüchterne Figur. Der kleine Kragen, der nach dem Nacken zu sich etwas umbiegt,
läßt ein dunkelrothes Futter hervorsehen; die Aermel laufen bis über die Hälfte
der Hände hinaus und bedecken sie manchmal sogar ganz. Zudem ist der Mantel
seiner ganzen Länge nach von Vorne zugeknöpft. Sein spitziges Gesicht, das eine
unverhältnismäßig breite und hohe Stirne beherrscht, ist gelb und fahl und seine
Wangen sind dergestalt eingefallen, daß man eine flache Hand
hineinlegen könnte. Seine Nase, die nach der Mitte hin sehr
stark auswärts geht, ist gegen das Ende eben so stark wieder
einwärts gebogen und berührt fast die feinen, kaum sichtbaren Lippen.
Ueber den Augen,die von einer grünen Brille mit Seiten
gläsern vollkommen eingeschlossen werden, sieht man ein Paar
buschige, graue Augenbrauen von unheimlicher Länge. Ueber
seine Stirne läuft von einem Ohre zum andern ein bläulichtrother Streif,
der durch die hereingekämmten grauen Haare
nur wenig verdeckt wird. Dieser Kopf mußte einmal unter
dem Scalpiermesser eines Indianers gewesen sein; denn es
war die regelrechte Scalpierlinie, die gegen die Schläfe zu abwärts steigt.
Dieser Mann war jedenfalls durch irgend einen
glücklichen Zufall der Vollendung dieser Erecution entgangen. --
„„Willkommen in New-Orleans, Wanderer aus der
Mesa!““ sprach die Gestalt und legte die dürre Rechte auf
Emil’s Schulter. Jetzt erst erkannte derselbe, wen er vor sich
hatte. Denn die Kleidung, die die Gestalt trug, war von der
früher an ihr gesehenen so verschieden, daß sie unmöglich gleich
zu erkennen war. Zudem verdeckten die dunklen Augengläser
den so ungewöhnlichen, gespensterhaften Blick
G
efaßt stand Emil vor Hiram. Nicht mehr, wie früher,
sprachen aus seinem Blicke Ehrfurcht und fromme Scheu.
Auch verneigte er sich nicht mehr, wie vor einem höheren Wesen.
Frei und hoch ruhte sein schöner Kopf auf dem blühweissten,
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vollen Halle, an den sich das reine Gold seiner wunder
schönen Haare in ungekünstelten Locken schmiegte,
„Euer Willkomm kommt zu ungelegener Zeit, Mann des
Unglücks -- was schleicht Ihr in mein Haus und stört meine Einsamkeit“ sagte Emil.
Hiram, der Freimaurer, antwortete:
„„Du bist jetzt muthig und trotzig, armer Emil, weil Du
weißt, daß ich keine Gewalt mehr über Dich habe. Armes, schwaches Kind, da drückst Du
die heißen Wangen an die Kissen Deiner Liebe und meint, das ließe sich Alles wieder
so heraufbeschwören und in’s alltägliche Geleise bringen -- --““
„Laßt ab von Euren unfruchtbaren Reden und umstricket
andere Herzen mit den Zauberfäden Eurer Magie! Glücklich
der Liebende, der nie in Eure Hände geräth und Eurem teuflischen Blendwerke zum
Opfer fallen muß. Gab es auf dem weiten Erdenrunde zwei glücklichere Sterbliche, als
meine Jenny und Mich? Wo liebten sich zwei Herzen reiner und begeisterter? Da erschienet
Ihr und -- --“
„„Halt ein, sinnloser Schwärmer -- Wo traf ich Dich,
als Du mich zum Erstenmale sahst? War es hier an der Seite Deiner Jenny? Hattest
Du nicht schon früher ihr Herz dem Deinigen entfremdet? Wer hieß. Dich, aus dem Bette
Deiner Jenny in das von Lucy Wilson zu steigen? -- -- “
„Wer anders, als Ihr? Noch ehe ich Euch kennen lernte,
habt Ihr ein frevelndes Spiel mit meinem Herzen getrieben -- -- O, jetzt ist mir Alles
erklärlich, jetzt weiß ich, weißhalb es mich immer mit unwiderstehlicher Gewalt von
meinem treuen Weibe hinweg in den Schooß von Lucy Wilson trieb? Eure teuflischen
Künste verwirrten meine Sinne und vergifteten mein Herz. Wie oft, wenn ich so mitten
in der Nacht allein durch die Straßen irrte, klagte ich den Himmel an, daß er mir ein so
untreues Herz verlieh, das treue Liebe verschmäht und in die Arme einer Buhlerin
flüchtet -- aber immer vergebens- all' mein Flehen war umsonst -- ich verließ sogar
meine friedliche Behausung, um auf immer bei Lucy zu sein -- -- in jener Nacht fiel
ich in Eure ausgelegten Netze und jetzt -- -- sagt Ihr, ich sei ein sinnloser Schwärmer -- --“
„„Was für ein gewöhnlicher Mensch. Du wieder geworden bist,
seit Du die Mesa verlassen hast Du heult und poltert wie ein Schulkind, das aus Furcht
vor der Ruthe dem Magister verspricht, es nicht wieder thun zu wollen. Du giebst
Dir alle nur erdenkliche Mühe, Deinem Herzen vorzulügen
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daß Du außer aller Schuld feist und daß Ich es war, der Dir
zu Deiner Treulosigkeit und Deinem flatterhaften Herumliebeln
Veranlassung gegeben hatte. Du scheint ganz vergessen zu haben,
daß Du lange Zeit vorher, ehe ich Dich in den Zauber
kreis der Mantis Religiosa zog, mit Lucy geschwärmt und gebuhlt
hast. Ich mache Dir hierüber keine Vorwürfe, armer
Büßer Emil, denn meine Ideen, wie Du weißt, sind nicht die
der Convenienz und einer ererbten falschen Moral. Wo es
gilt für die Menschheit etwas zu thun, mag der Einzelne zu
Grunde gehen, mag sich der Mann von der Frau und das
Kind von den Eltern trennen. Laß den Mann einen Treulosen und das
Weib eine Buhlerin werden und Du wirst die guten Früchte sehen, die
aus dieser Unordnung für die ganze Menschheit entsprießen. Laß“ alle
Familienbande gesprengt und vernichtet sein und Du wirst sehen, wie sich der Mann und
das Weib das Schwert um die Lendengürten, wenn der Ruf
erschallt: Freiheit und Gleichheit jeder Race! Tausende
sind in unserer Mitte, die zu jeder Zeit den heiligen Kampf beginnen
würden, wenn sie nicht in die Bande eines geordneten
Familienlebens verstrickt wären. Der Desperado wird die Revolution
beginnen, der Desperado allein wird sie zum Abschlusse
bringen. Dann wird auch die Schönheit zur ewigen Glorie
sich erheben und nicht mehr gezwungen sein, ihre wilde, unbändige
Sinnlichkeit an Sclavenketten zu reiben und zu verschwenden. Falco
Leukocephalus wird dann kein Schwarzwild mehr jagen und zu Tode hetzen -- geblendet
wird er sich flüchten vor der strahlenden Sonne Nig ritia’s -- --““
Emil hatte sich auf Jenny's Bett gesetzt und in dieser
Stellung ruhig mit angehört, was Hiram zu ihm gesprochen. Jetzt aber stand er auf
und unterbrach ihn in einem sehr heftigen Tone:
„Ich habe Euch nie verstanden und verstehe Euch jetzt
noch viel weniger. Was hat Eure Niggergeschichte mit meinen
Verhältnissen zu schassen? Glaubt und hofft, was nur immer
Ihr wollt, aber ich bitte Euch mein Haus zu verlassen und den
Frieden, der diese Räume durchweht, nicht weiter zu stören.
Ihr werdet nicht mehr im Stande sein, mir meinen Kopf zum
Zweitenmale verrückt zu machen -- Euer Geschwätz findet bei
mir keinen Anklang. Dem Himmel sei es gedankt, daß ich end
lich einmal von dem Zauber befreit bin und ich mich wieder
hier an der heiligen Stätte meines braven, treuen Weibes
befinde. Mag Lucy den Messias, der das Niggervolk befreien
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soll, gebären oder nicht -- das ist mir ganz gleichgültig -- auch
mag sie zusehen, wer für sie die Accoucheur Rechnung bezahlt
Was ist diese Lucy Wilson jetzt, seit der Zauber, der uns zusammenhielt,
gebrochen ist? Wir waren kaum von der Mesa
zurückgekehrt, kaum setzten wir den Fuß in das verwünschte
New-Orleans, als sie sich schon wieder einem reichen Manne
an die Ferse hing und unter dem Vorgeben, daß sie bei mir
verhungern müsse, mit der größten Keckheit demselben ihre
Reize zum Verkaufe anbot. Und sagt mir, kann sie so plötzlich
ein liederliches Weib geworden sein ? Ist sie nicht schon von
Kindesbeinen aufverdorben gewesen und kennt ganz New-Orleans nicht
hinlänglich die liederliche Madame Wilson vom Mulattoes' Settlement?
Wie mag der Teufel heißen, der mich damals so sehr mit Blindheit geschlagen
hat? Diese geldgierige Buhlerin, diese glatte Schlange konnte ich lieben! Und mein
treues liebevolles Weib konnt' ich verlassen? -- --““
„„Man sieht, daß Dich Dein höherer Genius, der Dir in
der Atchafalaya Bank und an den Quellen des rothen Flusses
so treu zur Seite stand, vollkommen verlassen hat. Wie ein
Göttersohn durchschrittst Du mit Deiner bacchantischen Geliebten
den geheiligten Plan der Mesa. Die Schönheit ihres
herrlichen Leibes, der Zauber ihrer leidenschaftlichen Augen
war Dir damals Alles. An ihren Brüsten bist Du allnächtlich
zu seligen Träumen entschlummert und wenn der junge Morgen heraufdämmerte
und Euch Diana Robert den Frühtrank
reichte, so sahet Ihr so glücklich und vergnügt aus, daß Euch
selbst die olympischen Götter beneidet hätten. Die Zeiten sind
vorübergegangen und kaum bist Du in die Wirklichkeit zurückgetreten,
so tauchten gleich wieder die entnervenden moralischen
Skrupel in Dir auf. Aus einem Göttersohn bist Du ein deutscher
Philister geworden und mich wundert es nicht im geringten, daß
Lucy Wilson so schnell wieder Deiner überdrüssig geworden ist
und in ihrem alten buhlerischen Treiben einen Ersatz für ihren
so langweilig gewordenen Geliebten sucht. Frei
und rücksichtslos könnt ihr Deutschen einmal nicht lieben und
wenn Euch Venus auch einige Zeit gefangen hält, so läßt sie
Euch recht gerne wieder laufen, denn Euer Weinen und Heulen, Eure
Gewissensbisse und Euer duckmäußiges Philosophiren
kann sie unmöglich ertragen. Jetzt wird wieder legitimes Liebeln
mit der Frau getrieben, denn dies stört die Ruhe Deines Herzens
nicht. Träume Dir keine goldene Berge im warmen eheichen
Nestchen, Du weißt noch nicht, was Dir bevorsteht, mein
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Emil und es wäre für die Ruhe. Deines Herzens wahrlich besser von
hier zu scheiden, als zu träumen und zu schwärmen -- -- was tierst
Du so unverwandt auf jene Kiffen? Hebe sie auf und Du wirst einen Zeugen
der Treue Deines Weibes gewahr. Armer Emil, unglücklicher Gatte im thränenfeuchten Büßerhemde! ““
Cagliostro Hiram hatte in gewisser Beziehung Recht; aber
der Leser wird eingesehen haben, daß Emil doch kein gewöhnlicher Mensch war. Der Zauberer
wußte dies sehr gut, aber warum er des ungeachtet eine solche Sprache führte -- wer kann
dies enträthseln? Wäre Emil ein gewöhnlicher deutscher Mensch gewesen, so hätte er nicht
in seiner Pagenkleidung einen Talisman gesucht. Schon allein der Umstand, daß er in
keinen Clothingtore ging, um seine mythologischen Blößen zu bedecken, beweist die Eristenz
seines außergewöhnlichen Geistes. -- Der Philister wird den Zauberer unmoralisch nennen und
der Mann von Esprit wird sagen: der Alte faselt. Vielleicht wird es die Folge zeigen, daß
weder der Philister noch der Mann von Esprit den Nagel auf den Kopf getroffen haben. --
„„Was tierst Du so unverwandt auf jene Kissen? Hebe
sie auf und Du wirst ein Zeichen der Treue Deines Weibes gewahr! ““
Ohne zu fragen, ohne nach Hiram aufzusehen, ohne nur
im geringsten die Bedeutung dieser Worte zu verstehen, lüpfte
Emil mechanisch die Kopfkissen -- er that dies, weil eben die
Rede davon war und ohne die entfernteste Intention, mit die
sem hastigen Griffe etwas zu beweisen. Aber jetzt? Jetzt fällt
es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen; die Korallen
frische seiner Lippen verwandelt sich in Leichenbläffe ; seine Augen starr
auf die jetzt unverhüllte Stelle geheftet, fährt er mit
seinen beiden Händen durch das spiegelglatte Gold seiner Bal
durlocken und coiffurt sich so im Nu à la Utgard-Loke -- -- er
wendet seinen Blick jetzt von der Stelle ab und richtet ihn auf
die lange abgemagerte Gestalt Hiram's -- Furcht, Rache,
Mißtrauen balgen sich in seinem Innern herum und zuletzt bricht er in die Worte aus:
„So steh' ich doch noch unter Deinem Zauber, geheimniß
voller Mann! und ich Armer glaubte, von ihm befreit zu sein?
O, eile mit Deinen Künsten in andere Regionen und raube
mir nicht so schadenfroh den Glauben an die Treue meines edlen Weibes!“
„„Armer Emil, Du glaubtest an die Treue Deines Weibes
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und jetzt,wo Du sie verletzt sieht, kommt Dir Alles so sonderbar vor, daß
Du lieber Zauberei wittert, als daß Du Dir Mühe gäbeit, diesen Thatbestand
auf natürlichem Wege zu er klären. Seitdem Du und Lucy Wilson die Mantis Religiosa als
Gegengift für die gelbe Fieberpest bei Euch führt, habt Ihr
von meiner Gewalt nichts mehr zu befürchten. Wenn ich al
lenthalben Tod und Verderben verbreite, so bleibt Ihr davon
unberührt. Alles, was Euch sonst zustoßen mag, wird die gewöhnliche Folge
der Wirren und Lächerlichkeiten des gewöhnlichen Lebens sein und hat mit meiner
Persönlichkeit durchaus nichts mehr zu schassen. Auch hätte ich keine weitere Ursache
Euch einer wiederholten Prüfung zu unterwerfen, denn meine
Mission ist nach jener Prophezeiung, die ich Dir und Lucy bereits in der Mesa kund
gegeben, zum Theil erfüllt. Der Caukasier hat die Aethioperin an den geheimnißvollen Quellen des
rothen Flusses befruchtet und der Messias wird auferstehen, mag nun Lucy ein hübsches
anständiges Leben führen oder nicht -- -- aber leider die Schönheit, von der ich glaubte -- --““
„Endet, endet!“ unterbrach Emil in verzweifeltem Tone
den Urheber seiner Qual, „sagt mir lieber, wie dieser Feuermannsgürtel unter die Kopfkissen gekommen ist -aber ich be
schwöre Euch, sagt mir die Wahrheit und peinigt mich nicht länger mit dieser Fluth von
Sarkasmen -- -- ich beschwöre Euch, geheimnisvoller Mann, sagt sagt, habt Ihr diesen Gürtel
hieher gezaubert und habt Ihr sagt, sagt mir die Wahrheit!“
„„Ich würde die Wahrheit sagen, armer Emil, wenn ich
nicht befürchten müßte, daß Du darob Deinen Verstand verlörest. Eben deshalb kam ich
hieher, um Dich über die Verhältnisse in Deinem Hause aufzuklären. Es hätte nicht viel gefehlt,
so wärest Du schon bei dem bloßen Anblicke eines fremden
Gürtels im Bette Deines Weibes übergeschnappt --““
„Ich beschwöre Euch, sagt mir, wie kam dieser Gürtel hie
her? Kein Wort des Tadels und des Vorwurfes soll auf meine
Lippen treten, wenn Ihr mir die Wahrheit sagt --“ Emil erhob
sich bei diesen Worten vom Bette und hing sich mit beiden Händen an die
Schultern der langen, abgemagerten Gestalt. Diese
schob ihn schonend von sich und deutete auf einen Stuhl zur
Seite der Kommode. Ohne ein Wort zu verlieren, ließ sich
Emil auf den Stuhl nieder. Hiram blieb dicht vor ihm stehen.
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„„Du kennst den jungen Architekten Albert R*, mein Emil?“
Mit zitternder Stimme bejahte Emil diese verhängnisvolle Frage.
„„Du hast schon von gewissen Verirrungen, von Wahlverwandtschaften u.s.w. gehört?““
„Ja-aber, mein Gott, was soll das hier? Was wollt
Ihr damit sagen?“ frug Emil indem er sich unruhig auf seinen Sitze hin und her schob.
„„Diesen Gürtel hat der Architekt in seiner Zerstreutheit
zurückgelassen, aber nicht hier im Bette, sondern auf dem Sopha im Nebencloset““
„Haltet ein! Dies ertrage ich nicht -- -- beschuldigt mein
treues Weib nicht -- --“ %%%%%%%%%%%%
„„Der Untreue, willst Du jagen?““ warf Hiram ein.
Emil antwortete Nichts. Große Thränen perlten aus
seinen Augen und benetzten seine bleichen Wangen.
„„Härme Dich deshalb nicht, mein Emil,““ fuhr Hiram
weiter, „„Dein Weib liebte Albert und Du liebtest Lucy Wilson -- jetzt seid Ihr
quitt und Keines hat dem Andern mehr Vorwürfe zu machen. Es wäre lächerlich, wenn Du von
Deinem Weibe Treue verlangtest, wo Du selbst eine Untreue begangen zu haben glaubt. Von
jetzt ab hast Du den Nebenbuh er nicht mehr zu fürchten und Dein Weib nicht mehr die
Nebenbuhlerin. Wenn Du Dich stark genug fühlt, nach dieser Enthüllung Deinem Weibe
liebevoll entgegenzutreten, so komme mit mir und ich werde Dich in ihre Arme führen -- --““
„Ich will und kann sie jetzt nicht sehen,“ entgegnete Emil,
aber so ruhig und besonnen, wie Einer, der nach vielem Abmühen und Kämpfen mit seinem Innern endlich ins Reine gekommen ist.
„„So wirst Du hier bleiben und sie erwarten?““ frug Hiram.
„Nein, ich will noch diese Stunde diese Räume verlassen
und nie wieder zurückkehren. Besser, wir sehen uns nie wieder;
auch soll sie nie erfahren, wie sehr ich sie bisher noch immer geliebt habe.“
„„Aber, was willst Du denn jetzt beginnen? Du weißt,
daß Du noch gezwungen bist, so lange in New-Orleans zu bleiben, bis die Seuche,
die bereits ihren Anfang genommen, gänzlich
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verschwunden und daß Dir noch Manches zu schauen und zu erleben vorbehalten ist -- --““
„Die Nächte werden mich wieder in den Straßen dieser
verfluchten Stadt sehen und in Saus und Braus werde ich
bald alles Herzeleid vergessen -- --“
„„Du spricht ja auf Einmal ganz vernünftig, mein Emil
-- zeche und küsse wacker darauf los, 's ist noch immer besser,
als daß Du ein weinerlicher Adonis würdest -- gewinnt auch
Dein Herz nichts dabei, so bleibt doch wenigstens Dein Kopf
hell und klar. Ich wünsche Dir gute Unterhaltung und wenn
Du Dich nicht um die Greuel der Fieberpest kümmert, so kannst
Du in dieser Stadt lustig mit Bacchus und Venus im Vereine
leben. Es läßt sich gut trinken, küssen und schwärmen, wenn
der Kopf frei von Furcht und Sentimentalitäten ist.“
Emil war vom Stuhle aufgestanden und schien jetzt seine
Kleidung zu mustern.
„„Ich weiß,““ bemerkte der Alte, „„was nun in Deinem Innern
vorgeht: den Plunder möchtest Du gerne vom Leibe haben und Dich wieder als Incroyable
kleiden. Hier, bewundere in eine Aufmerksamkeit, für Alles ist gesorgt -- --““
Hiräm zog bei diesen Worten einen eleganten Gentleman's
Anzug unter seinem Mantel hervor und legte ihn vor den erstaunten Blicken Emil’s auf das
Bett. Auch eine preciöse goldene Uhr war nicht vergessen, ebensowenig verschiedene andere
Kleinigkeiten, die zu einer vollkommenen Garderobe gehören,
„Aber was nützt mir dieß. Alles, wenn ich kein Geld habe,“ sagte
Emil kleinlaut: „mit der feinen Garderobe allein bleibe ich im Schlamme stecken.“
Hiram griff behutsam in seinen Mantel, nahm ein kleines
schwarz sammetnes Portefeuille, auf dem man undeutliche Zeichen mit Silber gestickt sehen
konnte, daraus hervor und übergab Emil die Summe von 5000 Dollars mit dem Bemerken,
daß dies vorläufig genug sei,
Bei dem Anblicke dieses Geldes, das aus lauter guten Noten von
der Citizens Bank bestand, fiel Emil ein großer Stein vom Herzen.
Wem dies unwahrscheinlich dünkt, der kennt den Einfluß
des Geldes nicht,
Vergessen waren Jenny und die Schwägerin, vergessen
waren auch die lieben Eltern über der Lake und als er eine
Stunde darauf, nachdem er noch vorher die Pagenkleidung in
derselben Ordnung, wie sie früher gelegen, in der Kommode
- 73 -
untergebracht hatte, das wunderliebe Häuschen verließ, so hätte gewiß Niemand von
diesem jungen elegant gekleideten Menschen geglaubt, daß er so lange Zeit an der
Seite des wunderbarsten aller Magier
*) zugebracht habe.
________________________
Zwei Stunden nach dem so eben erwähnten Auftritte im wunderlieben
Häuschen stand Hiram mit einem Manne dicht an der Front-Umzäunung des großen Gartens, aus
dessen immergrünen Bäumen und Gebüschen sich die herrliche Residence
von Lady Evans Stewart erhebt. Mit der scheidenden Sonne hatte der Mond seine Herrschaft
am Himmel angetreten, mit so magnifiquem Glanze, daß, als die letzten Abendtinten verschwammen,
der Uebergang von Tag zu Nacht kaum bemerkbar war. Hie und da raffelten noch einige verspätete
Karren, deren Besitzer Jahr aus und Jahr ein aufdem harten Polster der Baumwollenballen sitzen
und schwitzen, über das holperichte Pflaster zu beiden Seiten des Annunciation Squares. Auf
dessen grünen Rasen weideten, von des Tages Last und Leiden befreit, einige Pferde und Maulthiere
still und vergnügt und ein Schwarm Jungens, die der kühle Schimmer des Mondlichtes hieher
verlockt, saß in engen Kreisen, -- auch einige vereinzelt oder sich herumtummelnd -- und sang die
bekannten schönen Plantagenlieder:
„Old Folks at Home,“ „Emma Snow“
und
„Julius from Kentuky.“ Jung Amerika schrie sich fast die
____________________
*) „---Kaum batten uns die Prinzessin von Wolfenbüttel
und Monsieur Moldaske verlassen, als auch schon Hiram eintrat. Die Schilderungen, welche uns die
verehrten Gäste, und besonders die Prinzessin Sophie, von seinem Charakter gaben, fanden wir in all'
ihren Einzelnbeiten aufs Genaueste bestätigt. In der That, ein wunderbarer Mann -- die heterogensten
Ansichten kreuzen sich in seinem Gehirne. Sein überschwengliches Gefühl für physische Schönheit, der
er mit der Zeit alle nur erdenkbaren Vorrechte zuerkannt wissen will, reißt ihn nicht selten zu
Aeußerungen hin, die, wenn sie realisiert werden könnten, alle Sitte untergraben und das heilige
Sakrament der Ehe von Grund aus vernichten würden. Er ist ein erbitterter Feind der Sclaverei, die er den
Würgengel der Schönheit nennt. Wie er dazu kommt, eine solche Behauptung aufzustellen, ist uns
bis jetzt noch nicht klar geworden. Vielleicht ist es auch nur eine fixe Idee von ihm. Was man sich
jüngst in einer Gesellschaft bei unterm Gouverneur von einer gewissen Diana Robert, einer Negresse,
erzählte, gränzt an's Fabelhafte. Dieselbe soll nemlich nichts weniger, als das Produkt seiner eigenen
alchemistischen Schöpfungskraft sein. Sollte man es glauben, daß man noch in unseren Tagen an solche
mittelalterliche Ungeheuer glaubt? Und doch ist es so. Die Raymundus Lullus und Albertus Magnus sind
noch nicht ausgestorben. Unseren Wunsch, von ihm etwas über das gelbe Fieber zu erfahren, sahen wir
leider nicht erfüllt u.s.w. --
(Aus dem Briefe „Clarissa in Lakanals Erzählungen einer Ursuliner Noviz in New-Orleans.)
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Hälse heiser, doch waren auch Einige darunter, die recht artig sangen:
„Jn New Orleans they shut me in
With hundred more they say,
Some black, some white, some large, some thin,
To sell 'em all next day.
J climb the barrel -- jump the gate,
And 'scape to guard so luky;
J go from there to New York State,
And master to Kentuky.“
Und wie prophetisch klang es, wenn der Chor einstürmte:
„Oh! Kentuky -- it is the land for me,
And surely J'll go there again
When colored men are free.
Und dann wie schön wieder das folgende Solo:
„J'm sorry now for master's loss,
And non could feel it greater,
For master he was half a horse,
And half an alligator.
And now J join the Christy band,
The first and the most luky
Of all the darkies in the land,
From Orleans or Kentuky“
So sang Jung Amerika und der Mond, der glaubte, man
quäle sich feinetwegen so ab, küßte dankbar die Mäuler dieser wilden Schreier. --
Während sich nun die Jugend auf dem kühlen Rasen des
Annunciation-Squares mit Singen und Schreien die Zeit vertrieb, bereiteten sich
ganz in der Nähe Scenen vor, deren fürchterlicher Ausgang zugleich den Grund zum
vollkommenen Ruin und Untergang der gräflichen Familie legen sollte. Ohne die
jetzt erfolgten Ereignisse im Hause der Lady Stewart wäre,
wenn man die diabolische Präsentierung des Ungarn ausschließt, die einmal festgesetzte
Reise über den Lake Pontchartrain sicherlich erfolgt und wir hätten dann, anstatt
die gräfliche Familiemauf dem Todtenbette in jener baufälligen Barracke so unverhofft
wieder zu finden, das beiderseitige so ewig lang hinausgeschobene Wiedersehen mit
aufrichtigem Jubel begrüßen und feiern können. So aber hielt der räthselhafte Alte die Fäden
des Schicksals in seiner Hand und verwebte sie nach einem unergründlichen Willen zu einem
großen Leichentuche. Er hatte unbemerkt den Lebenspfad der uns bis jetzt bekannt gewordenen
Personen genau verfolgt und treibt sie nun insgesammt auf die magisch erleuchtete Bühne
seines Zauber, Reiches, --
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Ehe wir uns in das Gespräch mischen, das die beiden Männer an der
Front-Umzäunung des Stewart'schen Gartens bereits seit einer Viertelstunde mit einander
führen, mag eine kurze Schilderung ihres Aeußern nicht am unrechten Platze
sein. Den räthselhaften Alten haben wir zwar schon portraitiert;
wir haben bereits die lange, abgemagerte Gestalt in zwei Metamorphosen zu Gesichte bekommen
und gelangen nun zu der dritten. Es ist diejenige Umgestaltung seines Habitus, in der
er im Sommer 1853 in der Druiden *** so oft gesehen wurde
und die nemliche L*, die ihn zu Ende des Schreckenssommers
selbst zu Grabe geleitete, scheint es neuerdings heraufbeschwören zu wollen, daß sie
mit dem Großmeister der Freimaurerlogen von Louisiana, Mr.Hill, Hiram begraben habe. Von
jetzt ab, nemlich von dem Augenblicke an, wo er mit dem andern Manne, den wir ebenfalls
gleich kennen lernen werden, vor dem Garten steht,zeigt er die Manieren Monseigneurs, von
dem er auch die etikettenmäßige schwarze Civilkleidung entlehnt
hat. Seine Augen sind nicht mehr durch die grünen Gläser
verdeckt, auch trägt er nicht mehr, wie ein Trapper oder Rocky
mountain Hunter die hohe Mutze von Waschbärenpelz; ebenso
wenig sind seine Glieder mehr in den langen mit hochstehendem
Kragen versehenen französischen Colonistenmantel eingehüllt.
Weiße Halsbinde, schwarzer Frack, schwarze Beinkleider und
weiße Weste, das sind die Veränderungen, die so plötzlich sein
Aleußeres umgestaltet haben. Das greise Haupt -- wer getraut sich die Jahre zu
zählen, die schon über seinen Scheitel hinweggegangen sind -- hat er frei und die Claque unter dem
linken Arm gedrückt. Wie Cagliostro und der moderne Pantheist, Pierre Lerour, trägt er
die sieben und zwanzig phrenologischen Organe, gleich den sieben und zwanzig Göttern der
Mythe, auf dem immensen Umfange seines Schädels -- zu Allem
fähig. -- Der andere Mann ist von mittlerer, untersetzter
Statur und reicht dem Alten kaum bis an die Brust. Sein
Kopf ist kurz geschoren und in seinem Gesichte zeigen sich große,
rothbraune Flecke, die Zeugen früher erlittener und nun geheilter Brandwunden. Ebenso
ist an seinem Halse eine Narbe sichtbar, die entweder von einem Schuße oder von einem
stumpfen Messer herrührt. An den sonderbaren Bewegungen
seiner Arme und dem Gelenkespiel seiner Hände findet der
Menschenkenner sehr leicht den Handelsmann heraus. Obwohl
Schotte von Geburt, hat sein Gesichts-Typus nicht die geringste
Aehnlichkeit mit dieser Nation. Eher hätte man diesen Mann
- 76 -
für einen Amerikaner gehalten. -- Außer einem Hemde von
untadelhafter Weiße und Glätte führt er eine ziemlich malpropre Garderobe.
Diese ist jedoch nicht die Folge des Mangels an Geld, -- und daß er solches
besitzt, beweist nicht nur die schwere goldene Kette und Uhr, sondern auch der Brillantring,
der an einem kleinen Finger blitzt -- wohl aber entspringt
solche Unordnung und Unreinlichkeit im Anzuge aus dem bei
Leuten von einem Metier häufig anzutreffenden Eigensinne,
sich arm zu kleiden, wenn man ein wohlgefülltes Portmonnaie
in der Tasche und anderwärtig ansehnliche Depositen hat. Ein
Handelsmann von diesem Schlage kann Alles eher ertragen,
als elegante, moderne Garderobe. Was sein Alter anbetrifft,
so mager wohl schon tief in den Vierzigern sein. Seinen breiträndigen
Panamafrohut hat er eben auf die Spitze einer
Latte der Gartenumzäunung gehängt. Er fährt mehrere Male
nach einander über seine rauhe braune Stirne und steht nun
mit verschränkten Armen, sich mit dem Rücken gegen die Latten
stemmend, neben Hiram, der das bisher geführte Gespräch, das
durch das zu tolle Schreien der Jungen auf einige Augenblicke
unterbrochen war, mit erneuerter Spannung wieder aufgreift.
Das Französische, das Hiram spricht, hört man nicht besser in
den Tuilerien, während der andere Mann einen schlechten
Accent, ähnlich dem der portugiesischen Juden auf den Geldmärkteu von
Paris, besitzt. In welcher Gesellschaft der Letztere
diesen in New-Orleans übrigens nicht selten vernehmbaren
Accent adoptiert hat, wird den Leser wenig interessieren.
„Es soll Ihnen genügen, zu wissen, daß Ich es bin, der
Sie gerettet hat :“ so jetzt Hiram.
„Sie sind in der That der merkwürdigste Mann, den ich
in meinem so viel bewegten Leben bisher kennen gelernt habe,“
erwiderte der Andere. „Wenn wir nicht in einer so aufgeklärten
Zeit lebten, könnte ich leicht auf den Gedanken gerathen, daß
Sie ein allmächtiger Zauberer seien, wie es früher fo Viele gegeben haben soll.“
„Es ging Alles auf ganz natürlichem Wege zu, nein
Herr. Ich fand Sie bei einem Ritte durch bie Lookingglass-Prairie auf jener
Stelle liegen und brachte Sie nach Shelville,
wo ich Sie mit Beihulfe einiger von Ihren Bekannten bald
wieder auf die Beine gebracht. Ihre Stute Lydia, die Sie verbrannt glaubten,
war bereits zwei Tage vorher daselbst angekommen. Ihre Freunde in Shelville
haben sie gleich erkannt und da sie ohne Sie, mit einem Geldgurt im Maule, ankam
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so fürchtete man, es möchte Ihnen etwas zugestoßen sein, weiß
halb sich Einige von ihnen gleich nach Ihrem Settlement auf
machten. Als sie aber da erfuhren, daß Sie mit einem fremden Manne nach
Shelville geritten seien, so suchten sie in der Prairie nach Ihnen, ohne Sie
natürlich zu finden. Daß es mir beschieden war, Sie zu retten, beruht auf dem
nemlichen Zufall, als das Auffinden des Mörders, zu dem ich Sie gleich führen werde.“
„Aber, woher wissen Sie, daß dieser Ungar mein Mörder
ist? Das ist mir noch immer ein unauflösbares Räthel.“
„Kümmern Sie sich jetzt nicht weiter darum, sondern
treten Sie in den Salon, wenn ich Sie rufe. Er wird uns entwischen, aber wir werden
ihn wieder in unsere Hände bekommen. Die Polizei soll mit ihn. Nichts zu schassen haben --
das Ende vom Lied wurde dann doch nur ein bloßes Hängen sein und der Strick ist für
dieses Ungeheuer auch keine Strafe, Es soll ihm etwas ganz anderes widerfahren. Noch keines
Menschen Kopf hat die Strafe, die ich für ihn bestimmt, erdacht, auch wird dieser ungarische
Graf der Erste und Letzte sein, an dem sie vollzogen wird.“
„Was ist das für eine Strafe?“ frug der Pedlar
Cleveland, den wir jetzt erst so nennen dürfen.
„Fragen Sie jetzt nicht weiter darnach, da Sie
wahrscheinlich selbst zugegen sein werden, wenn er sie erleidet.“
„Nun, so werde ich der Dinge harren, die da kommen
sollen -- aber sagen Sie mir, mein Herr,wäre es nicht besser,
wir ließen uns das Ungeheuer schon jetzt nicht entwichen; wer weiß, ob wir ihn
je wieder in unsere Hände bekommen und dann, wenn er entwischt, er würde kein Mittel
scheuen, um uns Beide aus dem Wege zu schassen. Wollen wir lieber hier abwarten, bis
sich die Gesellschaft nach Hause begiebt -- dann sehen wir, wo er wohnt -- --“
„Unterlassen Sie Ihre Einwendungen, mein Herr, seine
Wohnung ist mir schon längst bekannt -- -- erweisen Sie mir die Gefälligkeit, pünktlich
dem nachzukommen, was wir bereits auf dem Wege hieher besprochen haben --“
„Sie könnten mich leicht zum Widerspruche reizen -- doch
ich will Ihrem Wunsche nachkommen -- -- aber wundern soll es mich -- --“
„Stille, mein Herr - - sehen Sie einmal da hinüber,
dicht an der großen Weymouthskiefer! -- --“
Als der Pedlar nach der bezeichneten Stelle hinblickte,
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war er nahe daran, seine Ueberraschung in lauten Worten
Kund zu geben. Aber Hiram legte ihm noch zur rechten Zeit
die Hand aufden Mund, ihn zum Stillschweigen ermahnend.
„Die Gesellschaft wird sich bald wieder in den großen Salon
zurückziehen,“ sagte er sehr leise, „harren Sie bis dahin geduldig aus.“
Der Pedlar hatte den Ungarn gesehen, der eben mit Miß
Dudley Evans unter einer prächtigen Weymouthskiefer stand
und sich ganz gegen eine gewohnte Weise sehr lebhaft unter
hielt. Weiter ab gegen die andere Seite des Gartens zu huschten mehrere Schatten
über die mit schneeweißen und feinen Muscheln bedeckten Gartenwege; einige von ihnen hingen sich
an einander, andere wieder trennten sich, um sich beim Begegnen an einer breiteren Stelle
aufAugenblicke wieder zu vereinen. Diese promenierenden Schatten waren das unbestrittene
Eigenthum der Theilnehmer an der Party, die, wie wir wissen, zur Feier des Geburtstages der
engelgleichen Tochter der Lady Stewart, auf heute veranstaltet war.
Hier gingen der Prinz Paul von Würtemberg und die
alte Schotten. Sie sprachen von der Mantis Religiosa und dem gelben Fieber.
Dort schleppt der Capitain Marcy die alte Baronin Alma
von Saint-Marie Eglise mit sich herum. Der Capitain erzählt ihr mit regem Eifer von
seiner Red River Expedition. Da die alte Baronin immer mehr wissen will und sich mit
den bereits gegebenen Daten nicht zufrieden giebt, so sieht sich der Capitain
endlich genöthigt, seiner Dame den größten Humbug vorzuschwätzen.
Anderwärts, durch eine Allee von niedrigen Figbananen, bleiben öfter
stehen und gehen dann wieder einige Schritte langsam weiter: Comtesse Jenny und Claudine de
Lesuire. Beide sind die Wittwen ein und desselben Mannes. Ihre Unterhaltung dreht sich nur
um Blumen. Das Wort„Mann“ oder auch „mein Mann“ kommt nie aufs Tapet. Jenny zeigt
sich für Jelängerjelieber, Claudine für Stiefmütterchen passiomirt. Keine kann der Andern
Passion so recht begreifen.
Dort oben auf dem Gipfel der hohen Lokustbäume geht der Mond spazieren
Konstanze und Gertrude sitzen auf dem Marmorrande einer Windsor-Fontaine.
Sie unterhalten sich von der bevorstehenden Fahrt über die Lake und gedenken in schmerzlichen
Ausdrücken des verschwundenen Bruders, den sie so gerne zu;
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den Eltern und Geschwistern mit hinüber nehmen möchten, um
das Maß der Freude voll zu machen. Die armen Mädchen!
Sie ahnen nicht, daß sie dazu auserkoren sind, ihren guten An
gehörigen den bittern Kelch des Leidens zu kredenzen.
Konstanze und Gertrude haben zwischen sich noch einen
Platz leer gelassen. Er ist für die herrliche Blondine Frida. Die
selbe hat sich, wie sie sagte, nur auf einen Augenblick entfernt. Wohin? Das weiß der liebe Gott. --
So promenieren, stehen und sitzen die Schatten, um bald
wieder insgesammt in den großen Salon zurückzukehren, hier
noch einige leichte Erfrischungen zu sich zu nehmen und sich dann
für heute Adieu zu sagen, denn eine Morning Party dauert
nie länger, als bis neun oder zehn Uhr Abends,
Vorgefahren sind bereits:
Die Carriage der Baronin Alma von Saint Marie Eglise;
Der Phaeton des Prinzen Paul von Württemberg und
Der Staatswagen der Lady Evans Stewart, für Graf
Lajos Est*** und die Gräfinnen Jenny und Frida bestimmt.
Der Garten der alten Schottin hat, wie Jeder sehen kann,
wenn er vorübergeht, wegen seines bedeutenden Umfanges, seiner vielen in phantastischen
Gruppierungen hingeworfenen Gebüsche und hochanstrebenden Akazien, Cedern und Chinabäume
genau das Ansehen eines Parkes. Das große Labyrinth von
ganz schmalen Fußpfaden, die wieder von breiteren Gängen
durchschnitten werden, birgt überraschende Ruheplätze in seinem
dunklen, träumerischen Schooße, aus dem hier und dort, vermengt mit den
Wohlgerüchen der Flora Louisianas, der Duft
der Harze von einigen ausländischen Pinen emporsteigt. Hier,
un solchen Stellen und in solcher Umgebung sollte man meinen,
könnten sich nur Engel freuen, könnte sich nur wahre Liebe
wohl und vielleicht auch glücklich fühlen. Nein, auch dem schofelsten Teufel
dringt der frische Harzgeruch in's Mark und
verführt ihn zu Ertravaganzen und Phantasiestücken, die er sich
nimmer geträumt hätte. Und wenn diese duftende, träumerisch
dunkle, mondlichtgestickte Umgebung im Stande ist, einen unwiderstehlichen
Zauber auf die Liebesorgane eines schofeln Teufels auszuüben, um wie viel
mehr muß dies nicht der Fall sein bei einem nobeln Teufel? Die Hyäne kann ein liebekranker,
schwärmerischer Adonis werden -- unter Umständen. Ebenso
kann ein nobler Teufel ein nobler Engel werden -- unter Umständen.
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Lajos ist in diesem Augenblicke, wo er mit Miß Dudley
unter der Weymouthkiefer steht, so etwas Aehnliches geworden.
Daß die Beiden stehen, ungeachtet sich ganz hart an ihnen
eine superbe Bank befindet, beweist, daß sie eben erst an dieser
Stelle angekommen waren. Durch einen großen, offenen
Kranz von Akazienolättern, der durch das Ineinandergreifen
und Ueberbiegen der Wipfel gebildet wird, wirft der Mond sein
blendendes Licht herein. Sonst ist auch das kleinste Fleckchen
rings umher in's tiefste Dunkel gebettet. Weiterhinaus über
dieses Labyrinth von Bäumen und Buschwerk ist es im Garten
fast wie heller Tag. Doch wir bannen unsere Feder an die
eben genannte Stelle, an den hellen, dunkel umrahmten Akazienkranz.
„Sehen Sie, Herr Graf -- hier ist mein Lieblingsplätz
chen -- ohne daß wir es wollten, sind wir hier angelangt. Nicht wahr, wie schön und
lieblich, so versteckt und so traulich -- nur dort, gegen die Umzäunung zu, blickt
es etwas offen, aber auch diese Lichtung wird bald verschwinden und vom Dunkel besiegt
werden, wenn einmal jene Jasminhecken mehr in einandergewachsen sind. Das bischen
Himmel da oben, von wo eben mein guter, lieber Mond hereinsieht, ist gerade genug,
um beständig an den Schöpfer dieses kleinen Paradieses zu denken.“
„Mein Fräulein, diese Bank hier ladet uns ein, einige
Minuten in Ihrem kleinen Paradiese zu verweilen.“
Die Augen des Ungarn sahen bei diesen Worten mit
sanfter Starrheit aufdie bluhweiße schöne Stirne seiner Dame.
„Wie können Sie sagen, einige Minuten? Sagen Sie
lieber die ganze Nacht,“ erwiederte Dudley in ihrer kindlichen Unbefangenheit.
„In Ihrer Gegenwart, mein Fräulein, Monate, Jahre,
ja mein ganzes Leben lang - aber allein, allein möchte ich
wohl keine Minute hier verweilen. Ihr bischen Himmel, das
dort oben hereinblickt und mit dem Sie schon zufrieden sind,
kann mein Herz nicht ansfüllen. Ich befinde mich wohler in
weiter, freier Umgebung, Angesichts des ganzen Himmels.
Aber auch dieser wird mir oft zu eng. Es gibt Augenblicke für
mich, wo ich mir wünschte, den Horizont über eine bestimmten
Marken hinausrücken zu können, weit, unendlich weit hinaus,
um mit einem Blicke den ganzen Erdball zu überschauen. Und
wenn mir dies gewährt würde, triebe mich mein unersättliches
Verlangen noch etwas weiter. Ich würde mir wünschen, mich
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auf die Wendekreise schwingen zu können, daß sie unter der
Wucht meiner Gedanken knarrend zusammenbrachen.“
„Das ist nicht fromm gedacht, Herr Graf, wir müssen
mit dem beschränkten Raume, in den uns die Weisheit des
Schöpfers gesetzt hat, zufrieden sein. Dieser hochmüthige Geist
unter den Menschen hat schon Vieles auf unserer schönen Erde verdorben.-
„Sie haben Recht, mein Fräulein-aber wer zwingt uns
Männer, einen so hohen Flug zu nehmen?“
Als Dudley nichts erwiederte, fuhr der Ungar fort:
„Die Frauen tragen die größte Schuld, daß wir Männer
oft solche verwegene Gedanken in uns nähren und mit frevelnder Hand das Messer gegen
den großen Geist des Universums zücken. Die Frauen könnten uns leicht zu Engeln machen, wenn
sie nur wollten. Wir Männer sind geborene Widersacher und nur die Frauen sind im Stande, uns
zur Demuth und Gotter gebenheit zurückzuführen -- --“
Dudley hatte sich auf die Bank niedergelassen. Der Ungar hatte
hinter ihr Platz genommen, indem er sich nachlässig
über die Lehne neigte. Nur eine Spanne lang waren sie so von einander. Bei einer größeren
Lebhaftigkeit des Gespräches konnten. Bei der Gesichter leicht zusammenkommen.
„Ich verstehe Sie nicht ganz, Herr Graf, aber des unge
achtet erschrecken Sie mich. Aber, mein Gott, was sollen wir
Frauen denn thun, um die Männer vom Hochmuthe zu retten?
Und wenn der Himmel wirklich diese Macht in unsere Hände
gelegt hat, warum haben die Frauen bisher ihre Pflicht, alle
Männer in Engel umzuwandeln, so sehr vernachlässigt?“
„Weil die meisten am Hochmuth des Herzens, wie wir
am Hochmuthe des Geistes, leiden,“ versetzte der Ungar in einem fast bekümmerten Tone.
Er nahm aber dabei eine Spitze seines Schnurrbartes in den Mund und biß darauf.
„Hochmuth des Herzens, Herr Graf? Kann das Herz
auch hochmüthig sein?“
„Gewiß, mein Fräulein. Ein Herz ist hochmüthig, wenn
es sich selbst anbetet und sich stolz von andern Herzen ferne hält.“
„Aber thun denn das die Frauen, Herr Graf?“ entgegnete
Dudley und rückte bei diesen Worten, ohne daß sie es
wollte, wirklich etwas näher an den Ungarn heran. Derselbe
strich sich das blendende Mondlicht aus der Stirne und ließ
eine langen rabenschwarzen Haare übers Gesicht hereinfallen.
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Der Mond schien ihm nun auf den Hinterkopf, auf Nacken und Rücken. Eine Kröte,
die ihm im selben Momente aufden Absatz eines seiner Schuhe sprang, stieß er
mit dem andern ab, ohne niederzusehen, was es war.
Draußen vor dem Gartengeländer sagte Hiram zum
Pedlar Cleveland: „Haben Sie gesehen, wie er sich die Haare
über's Gesicht fallen ließ. Und wissen Sie auch, weßhalb er dies that?“
„Das ist sehr leicht zu beantworten, mein Herr: Er kann
das Licht des Mondes nicht ertragen.“
„Ein Vorgeschmack der Strafe, die er erleiden soll,“ bemerkte Hiram.
Der Pedlar sah ihn mit großen Augen an, fragte aber
jetzt nicht weiter, denn die Beiden unter dem Akazienkranz hat
ten seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch genommen. --
Dudley mußte diesmalziemlich lange auf die Beantwor
tung ihrer Frage warten. Schon wollte sie ihre Frage wiederholen, als ihr der Ungar zuvorkam.
„Mich schmerzt es, Ihnen die Wahrheit sagen zu müssen,
mein Fräulein,“ sagte er. „Die Frauen verschließen so gerne das Heiligthum ihres Herzens
und wenn sie uns je einmal den Eintritt in diesen geweihten Tempel gestatten, so zwingt sie ihr
Hochmuth im nächsten Augenblicke schon wieder, uns mit der Geißel des Egoismus hinauszutreiben.
So muffen und können wir Nichts anders, als Teufel werden --“
„Herr Graf, Herr Graf! Sprechen Sie nicht so vermessen -- denken
Sie an. Den,der über uns thront und solche Reden nur mit Schmerzen wahrnimmt.--“
Stillschweigen auf beiden Seiten. Das Mondlicht leckte
begierig auf dem Rücken des über die Lehne gebeugten Mannes
herum und sprang manchmal auf das Profil Dudley’s uber, in
dem Maße, als sich dasselbe bald hieher bald dorthin bewegte.
Ihre rechte Hand lag auf der Lehne, unter dem Gesichte des Ungarn.
Stillschweigen auf beiden Seiten -- bis Dudley ihre Hand
zurückzog und mit dem ängstlichen Ausrufe: „Aber, mein Gott, Herr Graf, Sie weinen?“ dem
Ungarn verwirrt in's Gesicht blickte.
Thränen waren auf Dudleys Hand gefallen; deshalb hat
sie dieselbe so schnell zurückgezogen.
Weinte der Ungar wirklich? Und wenn er weinte, dieser
Mensch? -- -- -- Die ersten Thränen in seinem Leben -- --
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Der Autor steht hier vor einem furchtbaren Abgrunde.
Nur noch einen Federzug weiter und er sähe Engel und Teufel
verkuppelt durch das infamste Naturspiel, das sich noch je auf solchem Terrain ereignet hat. --
Draußen vor dem Gartengeländer hatten sich Hiram und
der Pedlar Cleveland umgekehrt, indem sie sich mit dem Rücken gegen die Latten stemmten.
„Zum großen Glücke stirbt sie am gelben Fieber,“ sagte der Erstere.
Der Pedlar Cleveland legte seine Arme in einander und
schauderte: „Machen Sie mit dem Kerl, was Sie wollen. Ich will. Nichts mit ihm zu schaffen
haben -- -- er wäre im Stande -- --“
„Sie gehen mit in den Salon, wenn die Gesellschaft den Garten
verläßt - ich muß Sie mithaben,“ versetzte Hiram in einem Tone, der den Pedlar noch vollkommen außer alle Fassung brachte.
„Weßhalb soll ich mitgehen, da er uns doch entwischen
wird, wie Sie selbst vorhin bemerkten?“
„Gut, dann sollen Sie Einer der ersten sein, die die Pest hinwürgen wird.“
„Mein Herr, ich fange an, mich vor Ihnen zu fürchten -- --“
„Sie können Ihr Leben nur retten, wenn Sie mitkommen.
Ihr Erscheinen im Salon der Lady Stewart ist nöthig, um eine
Scene herbeizuführen, die zwei schöne Frauen von den Zerwürfnissen ihrer Herzen befreien soll.
Der Pedlar schüttelte bedenklich den Kopf, doch verspreach
er jetzt, zu gehorchen. -
______________________
Warum haben Ihn nicht die breittalzigen Aleste der Weyhmouthskiefer
niedergeschlagen? Warum hat Ihm der Locustbaum mit seinem scharfen Riesendorn nicht die Augen
durchstochen, als Er den Garten verließ? Kann denn die Natur ein solches Verbrechen auch nur
einen Augenblick ungestraft hingehen lassen? Und Ihr Blumen. Alle, Ihr Rosen und Magnolienblüthen,
habt auch Ihr so alle Scham verloren, daß Ihr nicht einmal Eure Kelche schloßet, als Er an Euch
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vorbeischlich! Und Ihr gepanzerte Ritter der Flora Louisianas, Ihr trotzigen, sattelfesten
Cacteen -warum habt Ihr nicht Eure scharfen Speere nach seinem Gehirn gesandt, als Ihr Ihn
daherkommen sahet? In der alten Griechenzeit wäre Angesichts eines solchen Verbrechens aus
jedem Blatte eine Erinnye entstanden und hätte den Mörder zu Tode gepeitscht, Zeus
hätte auf ihn eine Donner und Blitze gesandt oder er hätte
ihn an einen Grabstein geschmiedet, um ihm vom Spottvogel
des Gewissens die verruchte Leber wegpicken zu lassen -- und
Flora? Sie hätte heiße Thränen vergoffen und all' ihren Kindern befohlen,
Trauergewänder anzulegen um die dahinge
gangene Lilie Dudley. So etwas geschieht heut zu Tage nicht
mehr. Der moderne Jupiter ist ohnmächtig geworden und
Flora hat alle Scham verloren. Eine merkwürdige Zeit das!
Doch halt -- der Mond,der Mond! Was haben Er und Hiram beschlossen?
Das werden wir später noch erfahren.-
Im großen Salon der Lady Stewart war man eben von
einer großen Verwirrung wieder zu einer gemäßigten Stimmung gelangt. Dudley, die, wie man
sich nemlich sagte, ander Seite des Ungarn während ihres Spazierganges im Garten plötzlich
ohnmächtig niedergefallen “man zu Bette gebracht und ihr Constanze und Gertrude, die es
sich durchaus nicht nehmen ließen bei ihrer Freundin zu bleiben, hinterlassen.
Der Prinz von Würtemberg war, ohne ein Wort zu sagen, in seinen Phaëton gestiegen --
wahrscheinlich, um in eigener Person sich nach einem Arzte umzusehen. Wenigstens konnte sich
die Gesellschaft im Salon sein so plötzliches Verschwinden nicht
anders erklären. Die alte Schottin, die sonst äußerst besorgt
war um das Wohl ihres einzigen Kindes, hatte, als sie
dasselbe unter der guten Obhut von Constanzen und Gertruden wußte, gleich wieder
ihre Pflichten, die ihr die Gegenwart der werthen Gäste auferlegte, aufgenommen. Sie
selbst hielt den Zustand Dudley's für eine jener leichten, gefahrlosen Ohn
machten, wie die Mädchen von solcher Sensibilität und in solchen Jahren gar oft
unterworfen sind. Deßungeachtet hielt sie sich jetzt gerne bei dem Gedanken auf, daß
der Prinz nur deßhalb so schnell weggefahren sei, um bald wieder mit einem
Arzte zurückzukommen. Ueberdies nahte die Party bereits ihrem Ende. Geschäftig liefen
die schwarzen Domestiken aus und ein und -präsentierten auf schweren silbernen Tellern da
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letzte Defert. Einige von ihnen standen auch hinter den Stuhlen und zu beiden Seiten
des Sopha's, um mit großen Fächern die Musquitoes abzuwehren, die das intensive Licht
von drei Lustres zu Tausenden vom Garten herein durch die breiten offenen Thüren in
den Salon gelockt hatte. Musquitoes dürfen bei einer Party nie fehlen; denn sie haben
das Gute für sich, daß, wenn die Conversation in's Stocken gerathen sollte, es
doch noch immer sehr lebhaft und unterhaltend hergeht. --
Die Gesellschaft hatte ihre früher eingenommenen Plätze
wieder in Anspruch genommen. Nur blieben die des Prinzen und der drei Mädchen vacant.
Dadurch kam der Ungar neben Frida zu sitzen. Er sah so gleichgültig und kühl, daß ihn
sogar die alte Schottin zu necken anfing,
„Ihr Männer seid unergründlich, wie die Tiefen des Oceans,“ sagte
sie, zu demselben gewandt. „Man sollte glauben, Herr Graf, Sie wären der indolenteste Mann von der Welt.“
„Sie thäten mir Unrecht, Madame, wenn Sie je daran zweifeln
wurden. Ich fühle von Tag zu Tag mehr, daß mich jedwedes Interesse verläßt und ich taugte
viel eher in die Gesellschaft von Cretins, als in die von geistreichen Menschen, in
der ich gegenwärtig die Ehre habe, zu verweilen.“ Er zog, indem er dies sprach, seine
schwarzen Handschuhe an und machte dabei eine Miene, die deutlich sagte: „Nun wird's bald, werden
wir aufbrechen?“
„Sie sprechen sonderbar, Herr Graf, so sonderbar, daß
ich mir kaum getraue, gegen Sie aufrichtig zu sein.“
Ein Neger trat ein und meldete, daß zwei Gentlemen im
Wartezimmer seien, die Madame dringend ersuchten, ihnen zu gestatten, in den Salon kommen zu dürfen.
„Das ist eine sehr ungewöhnliche Zeit, um Besuche anzunehmen,“ sagte
Lady Stewart, zu ihren Gästen gewandt. Dann frug sie den Neger, wer die Herren seien,
„Haben mir ihre Namen nicht gesagt, Madame,“ war die Antwort,
„Sehr geheimnißvoll,“ bemerkte der Capitain Marcy.
„Ein Tölpel von einem Neger,“ sagte die Baronin von Saint Marie leise
zu ihrer Nichte Claudine, „der Mensch meldet Gäste an und fragt nicht einmal nach ihren Namen.“
Zu Capitain Marcy wendete sich Gräfin Jenny:
„Sie werden sehen, Herr Capitain, es ist niemand Anderer,
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als der Prinz mit einem Arzte -- er macht gerne solche Spässe.“
Den Neger schickte Lady Stewart wieder zurück, um nach
den Namen der beiden Gentlemen zu fragen. Derselbe kam im Augenblicke wieder und meldete:
„Uriah Hiram und Sam Cleveland!“
Die alte Schottin schüttelte den Kopf und sagte in
gedehntem Tone: „Uriah Hiram und Sam Cleveland? Mir gänzlich unbekannt.“
„Das ist gewiß der Hiram mit der Mantis Religiosa,“
bemerkte Claudine de Lesuire.
„Freveln Sie nicht, meine Baronesse,“ bemerkte der
Capitain in scherzhafter Weise: „wer weiß, wer weiß?“
Lady Stewart lächelte uber diese Bemerkung, fühlte sich jedoch
gleich darauf wegen der Namensgleichheit des Gemeldeten mit dem Manne, der noch kurz
vorher einen so reichhaltigen Stoff für die Conversation geboten hatte, unangenehm
berührt. Das nemliche Gefühl beschlich die Baronin von Saint Marie und Gräfin Jenny.
An Frida ging Alles ungehört vorüber. Ein stummer
Wahnsinn, den die Gäste für tiefe Trauer halten, hatte ihren
Geist bereits seit zwei Stunden in ganz andere Regionen getrieben.
Der Ungar hatte entweder bei dem Namen Cleveland nicht
recht Acht gegeben, oder der Neger sprach undeutlich; sonst
hätte man gewiß auch beidem Nennen des Namens „Cleveland“ aus seinen Zügen eine wenn
auch nur legere Unbehaglichkeit herauslesen können. Nur warf er spöttisch hin:
„Schade, recht sehr Schade,daß die königliche Hoheit nicht
hier ist, sie könnte den Uriah Hiram zu unserm Ergötzen auf der Stelle in Cagliostro Hiram verwandeln.“
„Können wir die geheimnißvollen Gäste eintreten lassen?“
wandte sich die Schottin an die Gesellschaft und dann sich ganz
besonders an den Capitain richtend, frug sie denselben:
„Was meinen Sie hiezu, Capitain Marcy?“
„Ich glaube, wir können es wagen,“ versetzte dieser lä
chelnd: „hoffen wir, das Geheimniß möge sich in eine freudige Ueberraschung auflösen.“
„Albernes Geschwätz von diesem AYankee,“ brummte der
Ungar in seinen Bart. „Eckelhafte Umständlichkeiten!“
„Die beiden Herren mögen eintreten!“ befahlLady Stewart dem Neger.
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Derselbe verließ den Salon. --
Noch ehe der Neger die Genehmigung seiner Herrin über
brachte, hatte Hiram im Wartezimmer zum Pedlar Cleveland gesagt:
„Wenn man uns den Eintritt verweigern sollte, so gehen
wir ohne Erlaubniß hinein. Im andern Falle bleiben Sie einstweilen hier, bis ich Sie rufe.
„Begierig bin ich denn doch jetzt, wo das Alles hinaus
will. Bringen Sie mich in eine bedenkliche Situation, so hoffe ich, werden Sie es wieder
gut zu machen suchen,“ entgegnete der Pedlar, der sich noch nicht recht klar war, ob er Hiram für
einen gewöhnlichen Schwarzkünstler oder ein mit übernatürlichen Fähigkeiten begabtes Wesen
halten solle. Am meisten wäre er zufrieden gestellt gewesen, wenn der geheimnisvolle
Mann mit ihm das Haus der alten Schottin gleich wieder verlassen hätte; denn es schauderte
ihn schon bei dem bloßen Gedanken, dem Ungarn nahe zu kommen. Seit ihm Hiram durch
das Gartengeländer die schreckliche Seene unter der Weymouthskiefer sehen ließ, fürchtete
er sich über alle Maßen vor seinem Mörder, den er jetzt gerne hätte ungeschoren lassen
wollen. -- Als nun der Neger die Antwort der Lady Stewart überbrachte, so machte Hiram
den erstaunten und geängstigten Pedlar noch einmal darauf aufmerksam, ja nicht eher zu erscheinen,
als bis er ihn riefe.
Als der Neger Hiram allein das Wartezimmer verlassen
sah, sagte er zum Pedlar:
„Mylady wünscht. Beide Gentlemen zu sprechen.“
„Weiß schon,“ antwortete der Pedlar und ließ sich in einen Schaukelstuhl nieder.
Der Neger, dem dieses Benehmen sehr sonderbar vorkam und dessen
Verdacht durch die im Salon laut gewordenen
Bedenklichkeiten noch mehr gesteigert wurde, verließ zwar das
Wartezimmer, ließ aber vom anstoßenden Servant Closet
aus den Herrn im Schaukelstuhle keinen Augenblick aus den Augen.
Als Hiram in den großen Salon trat, erhoben sich Alle,
mit Ausnahme des Ungarn, der auf noble Art in seinem Fauteuil mehr lag, als saß,
unwillkürlich mit halber Verbeugungvon ihren Sitzen.
So sehr imponierte der Unbekannte.
Lady Evans Stewart verließ ihren Platz auf dem Sopha
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und ging demselben entgegen, ihn mit fragender Begrüßung zum Niedersitzen einladend.
„Mein Name ist Uriah Hiram, Madame.“
„Und Sie wünschen?“ -- -- --
Dabei ließ sie sich wieder aufdas Sopha nieder. Neben
ihr der Ankömmling. Derselbe saß nun auf derselben Stelle,
die der Prinz von Würtemberg eingenommen hatte.
„Ich habe mir die Freiheit genommen --“ '
„Ganz gut, mein Herr -- --“
„Auf meiner Reise durch die berühmte Stadt New-Orleans die
Residence von Ludy Evans, aus dem so hochberühmten Geschlecht der Stewart -- --“
„Sehr schmeichelhaft, mein Herr,“ unterbrach ihn die
alte Schottin, indem sie dabei ihren Kopf noch etwas mehr erhob.
Die Augen des Ungarn schwirrten wie zweigroße Leuchtkäfer um
die riesige abgemagerte Gestalt des Ankömmlings. Bald setzten sie sich auf die bleiche,
gewaltige Stirne Hiram's und schienen von da herab seine ganze Gestalt zu messen, bald
surrten sie durch die gebleichten Haare und jetzt glotzten sie ihm wieder starr in die Augen.
Wollen wir dem Leser so schnell als möglich dieses
Leuchtkäferspiel interpretieren.
Gleich bei dem Erscheinen Hiram’s wurde es dem Gehirne
des Ungarn so übel, daß es sich übergeben mußte. Obwohl
Hiram, wie man weiß, weder die grünen Augengläser, noch den
langen französischen Colonistenmantel trug, so glaubte der
scharfe Blick des Ungarn doch den Mann zu erkennen, der ihn
damals in jenem Café in Chartresstreet beim Dominospiel so
sehr blamiert und was die Hauptsache war, in seinem Studirzimmer über die Nichtigkeit
des Mühlenschatzes zuerst aufgeklärt hatte. Was bei dieser Erkenntniß in dem Ungarn
herangereift, welcher Entschluß in ihm gar geworden, wie er sein Benehmen
dem geheimnißvollen Besuch gegenüber bemaß -- das lassen
wir in der Teufelslache liegen, die sein Gehirn vomirt hat.
„Das ist aber nur Einer,“ sagte Claudine kaum hörbar
zu ihrer Tante. „Es haben sich doch Zwei anmelden lassen.“
So meinte die Baronin von Saint Marie ebenfalls.
„-- -- -- Die Residence von Lady Evans, aus dem so
hochberühmten Geschlechte der Stewart in Augenschein zu nehmen und mir bei
dieser Gelegenheit die Erlaubniß zu erbitten,
Lady Evans Stewart selbst sehen zu dürfen,“ fuhr der Alte
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fort und ließ, während er dies sprach, deutlich die Manieren Monseigneurs hervortreten,
Die alte Schottin erwiederte:
„Sie mögen wohl nicht aus diesem Lande sein, mein Herr,
Ihre Manieren, sowie überhaupt Ihr ganzes Ensemble erinnert mich unwillkürlich an die
Portraits der alten Maltheter Ritter, wie sie uns der Pinsel eines venetianischen Malers
so treu aufbewahrt hat.“
Lady Stewart, frappiert durch die übergroße Feinheit
Hiram's, wollte in ihrem Benehmen gegen ihn auch nicht zuruckbleiben, und um den Stand
und die Herkunft Hiranus, den sie auf ein so galantes Betragen von seiner Seite aus nicht auf
direktem Wege erfragen wollte, so schnell als möglich zu erforchen, hatte sie den
Vergleich mit den Portraits der Maltheser aufs Tapet gebracht.
Hiram hatte diesen Wink wohl verstanden,
„Es gab Zeiten für mich,“ sagte er, „wo ich einem Maltheser
sehr ähnlich sah. Das Calatrava Kreuz schimmerte einst auf meiner linken Brust -- --“
Ein unaussprechliches Gefühl bemächtigte sich bei diesen
Worten Hiram's der alten Schottin. Wer weiß, wie es kam, sie mußte plötzlich in allem
Ernte an den Hiram denken, von dem man sich noch kurz vorher so lebhaft unterhalten hatte,
Der Capitain dachte dasselbe. Der Ungar glaubte nur seinen Mann vor sich zu sehen. Daß
derselbe aber mit dem Hiram Cagliostro identisch sein könnte, das fiel ihm nicht bei. --
„Calatrava Ordensritter “ rief die alte Schottin verwun
dert aus, „das Calatrava Ordenskreuz liegt ja schon seit hundert Jahren in der Gruft.“
„Fast hundert Jahre,“ entgegnete Hiram: „Als Louisiana
im Jahre 1763 an die spanische Krone kam, segelte ein Calatrava Ritter nach New-Orleans, um
ener Verfolgung in seinem Vaterlande zu entgehen. Er war zugleich der Letzte seines Ordens.“
„Und er hieß?“ frug Lady Stewart.
„Uriah Hiram,“ versetzte der geheimnisvolle Alte mit fester
Stimme. „Ich war damals ungefähr hundert und sechzig Jahre alt.“
„Aber, mein Herr -- ich weiß nicht -- -- aber, entschuldigen
Sie -- -- ich setze durchaus keine Zweifel in die Richtigkeit Ihrer Aussage -- -- aber -- wie
ist es möglich --?“ frug Lady Stewart ganz verwirrt durcheinander, denn sie
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glaubte jetzt ganz bestimmt den Hiram mit der Mantis Religiosa vor sich zu haben. Eine
namenlose Angst schnürte ihr die Brust zusammen.
Das Gehirn des Ungarn vomirte noch immer. Der Capitain schob eine
rechte Hand vorn in seine Uniform und drückte sie ans Herz. So entschloffen, unternehmend
und unerschrocken dieser Militair auch war, so fühlte er sich jetzt doch ziemlich beengt.
Die Andern, außer Frida, staunten nur so über die Worte des Alten.
„Er war also im Jahre 1763 schon hundert und
sechszig Jahre alt?“ calculirte die Baronin von Saint Marie bei sich. Jenny that das
Nemliche und sah dem Alten unverwandt in's Gesicht.
Claudine de Lesuire fürchtete sich. --
„Lady Stewart,“ fuhr Hiram fort, „Sie entschuldigen,
aber Sie haben es selber provociert, etwas Näheres über meinen Stand und meine Herkunft zu erfahren.“
„Mein Herr, ganz nach Ihrem Befinden,“ versetzte die so
Angeredete sehr verwirrt.
„Die nemliche Ursache, die mich aus Spanien trieb, hatte
mich auch genöthigt, aus New-Orleans zu flüchten. -- --“
Keine Lippe bewegte sich, aber desto mehr sprachen die Augen der Anwesenden.
„Der damalige Inquisitionshof hätte mich zum Tode verurtheilt -- doch
glücklicher Weise verstand ich die Kunst, mich ihm unsichtbar zu machen und meinen Geburtsort, die
Quellen des rothen Flusses, glücklich zu erreichen.“
Der Capitain Marcy wurde todtenbleich im ganzen Gesichte. Auch die
alte Schottin verfärbte sich und schien alle
Geistesgegenwart verloren zu haben -- von der Baronin von
Saint Marie, Claudine de Lesuire und Gräfin Jenny gar nicht
zu reden. Nur der Ungar war plötzlich ein ganz Anderer -- memlich ein forscher Kerl geworden.
Sein Gehirn hörte auf, sich zu übergeben und wurde mit
Einemmal total reconvalescent. Es säuberte sich durch folgen
den logischen Schluß: Die grane Bestie hat gesagt, sie hätte
sich unsichtbar gemacht - eine solche Behauptung muß jeder
vernünftige Mensch für eine grandiose Aufschneiderei halten;
wer sich solche Aufschneidereien zu Schulden kommen läßt, ist
offenbar ein Charlatan, Charlatane aber sind Lügner -- ergo
habe ich mich vor dieser grauen Beste nicht zu fürchten.
Dieser Schluß des Ungarn war an und für sich ganz richtig.
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Vor einem Lügner brauchte er sich nicht zu fürchten; nur lag auch das Dilemma für ihn
vor, ob dieser Schluß auch auf Hiram angewendet werden durfte. -- --
Wir wissen es, daß Hiram die unverhüllte Wahrheit gesprochen,
als er behauptete, er hätte die Kunst verstanden, sich dem Inquisitionshofe unsichtbar zu
machen. Dafür zeugt das von uns bereits erwähnte Dokument hinlänglich,
Lady Stewart und Capitain Marcy wußten es nur zu
gut, daß sich die Sache genau so verhielt, als sie Hiram vorgetragen hatte. --
„Aber -- aber, mein Herr -- -- -- weshalb hat man Sie
denn damals vor die Inquisitionscourt gebracht?“ frug Lady Stewart mit zitternder Stimme,
und nur deshalb, weil sie einsah, daß sie doch. Etwas sagen müsse.
„Weil man mich für einen böswilligen Zauberer hielt,“
sagte Hiram kurz
„Das ist nicht möglich,“ versetzte die alte Schottin mechanich.
„Warum nicht?“ warf der Ungar mit der leichtfertigten
Nonchalance hin. Dann sagte er mit frecher Stirne, seinen
Blick keck auf Hiran gerichtet: „Wir würden Sie gewiß nicht
gerichtlich belangen, wenn Sie uns einige Pröbchen von Ihren
Zauberkünsten vorlegten -- -- nur dürfte natürlicher Weise
nichts Böswilliges darunter sein,“ fügte er mit spöttischer Miene bei.
Hiram sah ihn gar nicht an, sondern sagte zu Lady Ste wart:
„Madame, wenn Sie mir die Erlaubniß ertheilen, die
Feier dieses Tages mit einigen interessanten Vorstellungen zu beschließen -- -- --“
„Vorstellungen! Mit welchen Vorstellungen?“ fiel Lady
Stewart ein.
„Wandbilder -- Copien, Tableaur, Polychromen, wie Sie
es nennen wollen.“
„Der Kerl ist wirklich ein Charlatan, dachte sich der Ungar:
„zum Teufel aber auch, es kann doch sehr leicht möglich
sein, daß dieser Charlatan doch nicht die graue Bestie ist, die
mich schon ein Paarmal chicanirt hat- aber eine gewisse Aehnlichkeit läßt sich doch nicht
absprechen. Bock geschossen, Teufel Lajos, "hast schon wieder Gespenster gesehen.“
„Auch der Capitain Marcy war nicht mehr so perplex.
les Humbug!“, dachte er unser Geist war schon außer
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regt, ehe Er kam -- kein Wunder, daß man sich jetzt so dumme Dinge in den Kopf
setzt -- hätten wir uns nicht den ganzen
Nachmittag von so tollem Zeuge unterhalten, es wäre Keinem
unter uns eingefallen, hier etwas Unheimliches zu wittern -- und
jener Alte am Einflusse des Erache-Creek war vielleicht
auch nur ein Spuck meiner Phantasie, die durch die Erzählungen jener
beiden jungen Leute schon aufgeregt rär. Ein so heller Kopf, wie ich, der
beste Mathematiker im Vereinigten Staaten Ingenieur-Corps, ein so abgehärteter
Hunter von dem volllendetsten Guße,wie Ich -- nein, nein, es ist sehr ärgerlich,
daß man sich so dupiren lassen kann.“ So die Gedanken des Capitains. --
Hiram hatte sich schon von seinem Sitze auf dem Sopha erhoben.
„Mein Herr,“ sagte die alte Schottin kleinlaut: „Ein
werther Gast hat sich auf kurze Zeit entfernt -- -- wollten Sie Ihre Vorstellungen nicht
aufschieben, bis er wieder zurück kömmt.“ Lady Stewart hatte nemlich, ohne daß sie es
eigentlich wollte, bejahend zugenickt, als sie Hiram um Erlaubniß
bat, seine Vorstellungen geben zu dürfen.
„Sie meinen doch den Prinzen von Würtemberg?“ frug
Hiram mit bestimmter Betonung,
„Ja,“ antwortete die alte Schottin verwundert.
„Der wird wohl nicht mehr zurückkommen,“ fuhr Hiram
fort. „Ich weiß, eine Absicht war, nach einem Arzte zu fahren. -- --“
Es ist zwar nicht sein, wenn man so sagt, aber der Autor
muß bei der Wahrheit bleiben - Alles riß die Mäuler auf, als Hiram vom Prinzen und von dessen Intention wußte.
Es trat eine sehr peinliche Pause ein. Dann stand der
Urgar plötzlich auf und fagte, nach der Stelle hingewandt, wo die alte Schottin saß:
„Finden Sie es ungezogen, Madame, wenn ich Sie ersuche, nur
einen Augenblick mit mir auf die Seite zu treten?“
In einem andern Momente, als dem gegenwärtigen,
würde Lady Stewart dem Ungarn auf eine solche Rohheit hin
tüchtig die Leviten gelesen haben. Jetzt aber war sie herzlich
froh uber diese ungeschliffene Bitte.
„Durchaus nicht,“ erwiederte sie und erhob sich vom
Sopha. Der Ungar trat mit ihr an eine der großen Glasthuren,
die auf die Verandah hinausführen.
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„Etwas sehr Angelegentliches, Madame, und er machte
mit der Hand eine Bewegung zur Verandah hinaus.
Die Schottin that mechanisch, was er wollte. Sie standen
jetzt. Beide draußen. Der Ungar lehnte sich über das eiserne
Geländer, die Schottin desgleichen. Der Ungar brachte sein
Gesicht ganz nahe an das ihrige und flüsterte:
„Wir müssen sehr leise sprechen, Madame“
„Ja,“ sagte die Schottin und so verwirrt war sie von dem
bisher Vorgefallenen, daß sie glaubte, sie müsse. Alles zugeben,
und Jegliches thun, was der Graf verlangte.
„Es geht. Alles mit ganz natürlichen Dingen zu, Madame -- lassen
wir dem Kerl seine Kunststücke machen und dann geben Sie mir die Erlaubniß, ihn zum Hause
hinaus zu fuchteln -- --“
„Herr Graf, ich bitte Sie, lassen Sie das -- man kann
nicht wissen“ -- --
„Man kann wohl wissen, Madame -- aber hören Sie,
was ich Ihnen eigentlich sagen wollte : der Prinz von Wür
temberg und der Capitain sind. Beide recht große Flegel -- --“
„Ich bitte Sie -- --“
„Lassen Sie mich, Madame, und hören Sie, was ich jetzt
ganz bestimmt weiß: der Prinz und der Capitain haben uns
diesen Menschen auf den Hals geschickt -- --“
„Großer Gott, wie kommen Sie auf diesen Einfall, Herr
Graf,“ unterbrach die Schottin den Ungarn mit bestürzter Miene.
„Sie sprechen nicht leise genug, Madame.“
„Ja -- ja doch, Herr Graf!“
„Nun, so hören Sie : Daß der Capitain heute Nachmittag die
Unterredung auf eine abenteuerliche Expedition und auf einen sogenannten Hiram hinuberspann,
war eine zwischen ihm und dem Prinzen abgekartete Sache. Vorher hatten sie
diesen Charlatan für sich gewonnen -- -- Sie verstehen mich?“
„Ja, ja, ich glaube.“
„Derselbe sollte auf ihr Geheiß heute Abend plötzlich erscheinen
und sich unter dem Namen Hiram anmelden lassennun, Sie verstehen jetzt doch, Madame?“
„Um uns Allen Furcht einzujagen?“
„Natürlich.“
„Das kann ich von dem Prinzen kaum glauben, daß er
sich in meinem Hause einen solchen Scherz erlauben sollte --“
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„Warum nicht, die königlichen Hoheiten sind nicht viel
besser, als andere Leute auch -- zuerst haben die Beiden durch
ihre Zaubergeschichten unsere Phantasie erhitzt und jetzt lassen
sie Ihn erscheinen -- das ist Alles!“
Obwohl die Schottin dieses vermeintliche Sviel des Prinzen und
des Capitains sehr verdroß, so heiterte sich ihr Gesicht doch sichtbar aufbei dem Gedanken,
daß der anwesende Hiram nur ein verkappter Charlatan sein sollte, der von dem Prinzen
gesandt sei, um die ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken zu jagen.
„Dann war es auch kein Wunder, daß er wußte, daß ich
den Prinzen zurückerwarte,“ aber sich besinnend, sagte sie:
„wie wußte er, daß der Prinz nach einem Arzte? -- --“
„Das wird wohl auch seine zu diesem Spuck gehörige Bewandtniß
haben,Madame-wollen wir den Verlaufder Sache jetzt ruhig abwarten -- aber lassen wir
uns nichts merken, wenn wir in den Salon treten, sondern thun wir, alsfürchteten
wir uns wirklich.“
„Ich bewundere Ihren Scharfsinn, Herr Graf, sagte
Lady Stewart und wollte mit dem Ungarn eben die hohe
Schwelle der Glasthüre überschreiten, als sie denselben beim
Arme ergriff und ihn förmlich auf die Verandah wieder zurückzog.
„Noch Etwas, Herr Graf, ehe wir diesen Platz verlassen,
flüsterte die alte Schottin.
„Nun, was denn?“ frug der Ungar im ruhigen, durchaus
nicht neugierigen Tone.
„Es sind aber dochZwei angemeldet und nur Einen haben
wir bis jetzt zu sehen bekommen -- -- WPas soll denn das bedeuten, Herr Graf -- -- was glauben Sie denn?
Der Ungar besann sich etwas, dann fruger:
„Zwei? -- Doch, richtig, ich glaube michjetzt erinnern zu
können, daß der Neger zwei Namen nannte -- -- wie war der
Zweite ?“
„Sam -- -- Sam -- -- nein, der Name ist mir jetzt wirklich entfallen -“
„Der Name thut hier nichts zur Sache, Madame -- wollen
wir unser Gedächtniß deßhalb nicht auf die Folter spannen -- -- aber, was ich glaube, dieser
Zweite wird wohl der Prinz selbst sein -- --“
„Ja, das kann sein,“ fiel Lady Stewart lebhaft ein, „vielleicht
kommt er aus irgend einer Ecke als Geist verkleidet
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hervorgekrochen, um uns noch mehr Furcht einzujagen -- nein,
nein, das ist doch ein böses Spiel von dem Prinzen -- -- mir
ist nur bange für meine werthen Gäste -- ein plötzlicher Schreck
hat schon oft das Leben von Personen gefährdet, die sonst sehr besonnen und klug waren.“
„Lassen Sie das gut sein, Madame, ich will schon zur rechten Zeit einschreiten,
„Es würde mir zur großen Beruhigung gereichen, wenn
ich mich auch hierin auf Ihren Scharfsinn und Ihre Geistes gegenwart verlassen könnte.“
„Seien Sie vollkommen versichert, Madame!“ versetzte der
Ungar mit großer Sicherheit.
Lady Stewart, die, ehe sie mit dem Ungarn den Salon
verließ, vor lauter Verwirrung nicht im Mindesten daran gedacht hatte, Hiram auch nur Ein
Wort der Entschuldigung zu, kommen zu lassen, war jetzt, wo sie mit dem Ungarn wieder
mitten unter die Gesellschaft trat, die Liebenswürdigkeit und
Höflichkeit selbst. Natürlich meinen wir hier keine spießbürgerliche und subalterne
Höflichkeit und Liebenswürdigkeit,
Der Ungar flegelte sich gleich wieder in seinen Fauteuil
und wäre der Tisch etwas näher gestanden, so hätte er wahrscheinlich auch seine Beine
darauf gelegt. Daß er dies in allem Ernte im Sinne hatte, konnte man schon daraus ersehen,
daß er seine Beine gegen den Tisch ausstreckte, um die Entfermung zu messen. Was man
dazu gesagt, oder vielmehr was man nicht gesagt, sondern nur gedacht hätte, wenn er dieses
Beimmanoeuvre wirklich ausgeführt, kann sich Jeder leicht denken.
Hiram, der sich nach der Entfernung der Schottin aus
dem Salon, auf's Sopha niedergelassen hatte, war jetzt wieder
aufgestanden und hatte die Entschuldigungsgründe der Lady
Stewart mit furzen aber sehr schönen Phrasen entgegengenommen.
Das Benehmen der sich vorher noch so verwirrt zeigenden
Schotten mußte. Alle aufs höchste frappieren. Daß sich Jeder
dachte: „Was mögen Graf Lajos und Lady Stewart wohl für
Geheimnisse gehabt haben?“ versteht sich von selbst.
Lady Stewart sah auf ihre kleine, reich mit Rubinen und
rosenfarbenen Brillanten verzierte Uhr und sagte zu Hiram:
„Fünf Minuten auf zehn Uhr -- -- Seine kgl. Hoheit
werden wohl jetzt schwerlich mehr zurückkehren -- -- Ihr guttiges
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Anerbieten, mein Herr -- wir Alle werden Ihren Vorstellungen mit dem größten Interesse beiwohnen -- --“
Diese Worte schienen auf die Anwesenden keinen gün
stigen Eindruck zu machen. Das sah man deutlich an den langen
Gesichtern. Viel lieber hätte man gehört, wenn Lady Stewart
den Alten auf eine feine Weise versichert hätte, daß er hier sehr lästig sei.
„Das Weib könnt' ich heirathen -- macht ihre Sachen
magnifique,“ sagte sich der Ungar. Dann neigte er sich nach
der Seite hin, wo Frida saß und sagte zu ihr ziemlich leise:
„Du sprichst ja heute kein Wort, mein gutes Kind --
so stumm, wo so wichtige Dinge vor sich gehen -- sag', wie gefällt Dir unser Calatrava Ritter? -- --“
„Mein Lajos, das war nicht schön von Dir -- wo hast
Du meinen Lajos hingebracht, wenn Du es nicht bist?“ Diese
Worte sprach Frida sehr vernehmbar. Wären nicht alle Gedanken der Anwesenden auf Hiram conzentriert gewesen, so hät
ten diese Worte sicherlich ein außergewöhnliches Erstaunen hervorgerufen; so aber hörte sie nur der Ungar.
„Was sprichst Du da, mein Kind?“ sagte er: „Dich hat
wohl unser Calatrava Ritter angesteckt? -- -- Albernes Gerede -- was soll denn das bedeuten?“ --
Das Benehmen Frida's hätte Lajos gewiß zum Nachden
ken gereizt, wenn seine Aufmerksamkeit nicht plötzlich an eine
wunderbare Erscheinung gefesselt worden wäre. -- Aus Hiram's Händen, die er fest
geschlossen hielt, zogen lange schmale Wolkenstreifen nach der Richtung der Salonthure
zu, deren große Flügel in die Fugen zurückgeschoben waren und somit
bisher den freien Hinausblick nicht gestört hatten. Jetzt aber
hatten sich Wolken vor die Oeffnung gelagert und so förmlich
eine weiße Wand gebildet. Zu gleicher Zeit verbreiteten sich die
lieblichsten Wohlgerüche durch den ganzen Salon.
Ein lautes Ah! war die erste Kundgebung des Erstaunens der
anwesenden Gäste. Dann erfolgte auf einige Augenblicke das tiefste Stillschweigen, bis
dasselbe wieder durch die verschiedenartigsten Ausdrucke der Ueberraschuuguud einer
gespannten Aengstlichkeit unterbrochen wurde. Es waren nemlich plötzlich alle Lichter
erloschen und man saß in dem wegen der geschlossenen Fenstervorhänge sehr geschwächten
Mondscheine. Ware der Mond nicht gewesen, so hätte Keines das
Andere erkannt; denn die schimmernde weiße Wolkenwand behielt ihre Hellung fur
ach und strömte nicht das geringste Licht
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aus. So muß die Beleuchtung beschassen sein, wenn man mit
der Camera obscura manoeuvrieren will; denn eine solche, aber
recht winzig kleine war es, die jetzt Hiram aus seiner Westentasche hervornahm und sich
mit ihr der weißen, schimmernden Wolkenwand gegenüberstellte.
War man noch kurz vorher durch das prachtvolle Wolkenspiel, noch
mehr aber durch die Art und Weise, wie sich die Wolken in ihrem Hinziehen zur Salonthüre zur
platten, weißen Wand firirten, in’s höchste Erstaunen versetzt worden -- von
dem sogar Lady Stewart und der Ungar ungeachtet ihres auf
der Verandah stattgefundenen Gespräches nicht frei blieben -- so
konnte man jetzt, als man das Ding, das der unheimliche
Zauberer hervorzog, als eine Camera erkannte, deutlich bemerken, daß Einige
von der Gesellschaft sich alle Mühe gaben, ein aufsteigendes Lachen zu unterdrücken.
„Das Ding kenne ich auch, flüsterte Claudine de Lesuire
ihrer Tante zu, „das haben wir als Kinder öfter in Händen
gehabt, nur war es größer, als das einige.“
Das meinte die Baronin von Saint Marie auch, nur
wollte ihr das sonderbare Wolkenspiel und das so unerwartete
Ausgehen aller Lichter nicht so recht geheuer vorkommen,
Der Ungar, der nun neben Lady Stewart auf dem
Sopha saß, sagte zu derselben, indem er ganz nahe heranrückte:
„Nun, hab' ich's Ihnen nicht gesagt? Ein ganz gewöhn
licher Charlatan -- -- Kinderspiel mit der Camera -- -- was
dem alten grauen Pinsel nur einfällt -- der Kerl thut so wichtig
als wenn man so Etwas noch nie gesehen hätte -- habe große
Lust, ihn jetzt schon zum Hause hinauszufuchteln -- --“
„Das ist Alles recht, Herr Graf,“ zischelte die alte Schot
tin, „aber die Wolken, dieser merkwürdige fast betäubende Ge
ruch-dies schnelle Ausgehender Lichter, so plötzlich und ohne daß Jemand daran kam?“
„Das ist Nichts, Madame -- -- diese Wohlgerüche, diese
wolkigen Streifen -- das ist weiter nichts als Olibanum -- -- das
hab ich in meinem Vaterlande von solchen Tausendkünstlern
öfter und bei weitem besser gesehen -- -- das plötzliche Verli
schen der Lichter? Pah! das können wir auch, wenn wir uns darauf vorbereiten, solchen Spuck zu treiben -- --“
„Ich bin bereit“ unterbrach Hiram jetzt diese flüsternde
Ruhe und versteckte Geschwätzigkeit. „Lady Evans Stewart, Sie haben mir erlaubt, die Feier dieses
Tages mit der Vorfahrung
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einiger Wandbilder, wie sie meine Kunst hervorzuzaubern im Stande ist, auf eine würdige Weise
zu beschließen?“
„Ja, ja, gewiß -- mein Herr!“ erwiederte die alte Schottin, aber mit
geringerer Fassung, als wie sie sich vorgenommen oder zugetraut hatte.
„Versprechen Sie mir, Madame nnd Sie Alle, wie Sie
hier gegenwärtig sind, dem Verlaufe meiner Vorstellungen ohne
die geringste Störung beizuwohnen, widrigenfalls -- --“
„Mein Herr, wer Sie auch sein mögen,“ platzte der Ungar plötzlich
heraus, „das ist eine impertinente Sprache! -- Es muß Ihnen genügen, daß Ihnen unsere verehrte
Wirthin die Erlaubnis ertheilt hat, uns da Ihre Schwarzkünstlergeschichten vorzumachen, die
übrigens jedes Kind versteht - ob wir Sie stören oder nicht, das geht Sie nichts an.“
„Herr Graf, beruhigen Sie sich, ich bitte Sie, lassen Sie -- --“ sagte
die alte Schottin, dann sah sie ängstlich auf Hiram, als erwarte sie einen bösartigen Conflict.
Hiram aber schien sich um die Worte des Ungarn gar nicht zu bekümmern, sondern
fuhr im pathetischen, aber nicht gewöhnlich pathetischen Tone fort:
„Die Gesammtzahl der Bilder, wie ich sie Ihnen an jener
Wand vorführen werde, beläuft sich nur auf fünf und ist in mein Portefeuille unter die
Rubrik: „Geheimnisse von New-Orleans“ aufgenommen.“ -- -- --
Erstes Bild.
Die Verbuendeten in der Atchafalaya-
Bank.
[Hiram hat das erste Glas gezogen.]
Das macht Newton's „De Quadratura curvarum“ zu
Schanden. Das Bild, welches dort auf der weißen Wand
aufblitzt, ist ein längliches Viereck, ein steinerner Coloß, von
dem man im ersten Augenblicke nicht recht weiß, was man aus
ihm machen soll. Deßungeachtet sieht man aber doch, daß es
eine Metamorphose erleidet -- denn es bewegt sich; aber noch
weiß man nicht, was aus ihm wird. Soll's ein Mausoläum
werden, eine Pyramide oder ein phantastisches Standbild?. Das
Letztere könnte es wohl werden; denn die geraden Linien werden zu
Schlangen, aus den Quadraten schießen Curven, die
- 99 -
mit Einander ringen wie ehrgeizige Gladiatoren. Da schießt
aus der eckigen Stirne des Coloffes ein Giebelfeld hervor, die
Curven vereinigen, versöhnen sich, -- es werden Säulenschafte
daraus, die Schafe bekommen Köpfe, Füße -- der Portikus ist
fertig. "Aber so bleibt es nicht. Noch immer rühren sich die
Säulen und scheinen eine neue Metamorphose zu erleben. Die
Säulen bekommen Leben, warmes Leben -- Ist Deukalion
wieder erstanden oder hat es Prometheus zum zweiten Male
riskiert, bestraft zu werden? -- Sie sind Menschen jetzt diese
Säulen -- nicht blonde oder rothhaarige -- keine Teutonen,
keine Angeln, auch keine Romanen, keine Indier und keine Malaien -- es
sind Aethiopier, schwärzer als die dunkelsten Gewitterwolken, die
um die Gipfel des Atlas jagen und schöner als die Kinder Ophir's und
der Elfenbeinküste. Es sind Männer und Weiber diese Säulen. Was ein Alcanthusblatt war, ist
zum wolligen Haare geworden, die Schnecken wurden zu nährenden Brüsten und Eier
und Stäbe zu einem unerschöpflichen Fond künftiger Macht und Größe. -- Dies Bild gehört der
Zukunft, die Gegenwart hat nur die Atchafalaya Bank gesehen,
Doch nicht alle wußten von Hiram und seinen Verbündeten,
Nur Abigail, Sarah, der alte Cato, die beiden kleinen Kinder -- die
beiden Weiber und Cato -- gutmüthig und sehr dankbar; sie können es ihrem Wohlthäter
nie vergessen, daß er sie frei gemacht
und bis zu ihrem Lebensende für ihre Eristenz gesorgt
hat -- aber das ist nicht genug. Es fehlt ihnen das heilige Gefühl
der Rache, in ihnen ist noch nie die Frage aufgetaucht: warum sollen
wir alle in die von ihm Begünstigten sein -- Deßhalb hat Er, der Wohlthäter ihrer Race, Diana Robert
geschickt -- sie wacht über die beiden Kleinen und belehrt sie in
Seinem Sinne. Das ist im Innern der Atchafalaya Bank zu
sehen. Dem Auge des oberflächlichen Beschauers erscheinen die
„Verbündeten“ als ganz gewöhnliches Niggervolk -- sie sehen
die gigantischen Säulenschafte mit den zürnenden Capitälernn nicht.
(Die Gesellschaft hat sich bei diesem ersten Bild über alle
Maßen ennuyirt, weil sie eben nur ein Bild sah und kein Symbol. Der Ungar soll sogar
einige schlechte Witze darüber gemacht haben.)
Auch in der Atchafalaya Bank war es, wo wir zuerst
Sula getroffen haben - doch dies wird erst jetzt gezeigt, Remlich:
- - - - - - - -
- 100 -
Zweites Bild.
Die Gehenkte, der Sohn der Gehenkten
und der Henker.
[Hiram hat das zweite Glas gezogen.]
Die Emanationstheorie überwältigt
die Undulationstheorie; denn von einer wellenartigen Fortpflanzung des
Lichts ist hier gar keine Rede. Das kann man an der weißen Wolkenwand sehen,
auch an dem, wie sich die Camera dabei benimmt. -- Cagliostro hat es verstanden,
auf Goldplatten Lichtbilder zu fixieren -- diese Erfindung ging mit ihm verloren.
Kein Daguerre macht es ihm nach Durch die wallenden Dünste des Olibanum ließ
er seine Geschöpfe hingeistern und lachte und weinte mit ihnen. So hat
Hiram die Mantis Religiosa auserkoren, die verloren gegangene Erfindung auf
moderne Art zu modificiren. Seine Bilder sind gelungener und von brillanterem
Farbenspiel. Da seht nur diesen wilden Volkshaufen, diese bestialischen nach Blut
dürstenden Gesichter, wie sie das unglückliche schwangere Negerweib umkreisen,
um es zur Schlachtbank zu führen -- so ohne alle Raison, blos auf die erhobene
Anklage eines rabiaten Menschen hin. Dieser Kerl kommt aus dem Süden und hat
sich selbst zum Henker angeboten. Wirklich, die Camera spielt
vortrefflich. Wer kennt nicht auf den ersten Blick in diesem Gesichte den
Sklavenzüchter Ira B.* aus Louisiana? Das Negerweib ist ihm nichts anders,
als eine Wildsau, eine trächtige oder schwangere wie man bei Menschen sagen
würde. Welche Heldenthat, O edler Ira! Du kannst Dich rühmen, ein Henker
ohne Furcht und Tadel zu sein. -- --
(Die Gesellschaft entsetzt sich über ein solches Bild -- nur
der Ungar nicht, er meint, so Etwas vorzufuhren, wäre ganz unpassend und gehöre nicht
in solche Gesellschaft. Man gibt sich jedoch drein und ist fest entschlossen, den Verlauf
der Vorstellung abzuwarten.)
Nun wird das unglückliche Negerweib -- Victoria „zur
weißen Rose“ -- Mutter. Das Kind fällt mitten unter den Pöbelhaufen -- der souveräne
Plebs schämt sich jetzt. Es ist der Katzenjammer des Lynchgerichtes.
(Lady Stewart will Hiram befehlen, augenblicklich den
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Salon zu verlassen -- aber ihre Worte er sterben auf den Lippen. Dann schließt sie die
Augen und will nichts weiter sehen. Sonderbar, diese empörende Scene, diese gräßliche
Niederkunft des Negerweibes macht das Blut in den Adern starren -- man
ist empört über die grenzenlose Verwegenheit des Zauberers und doch erhebt man sich
nicht. Nur der Ungar ballt die Fäuste und schwört bei sich: „Die alte graue Bestie
soll's mir büßen!“)
Der Pöbelhaufen, der Henker und die Gehenkte verschwinden.
Allein auf der weißen Wolkenwand liegt das Kind Sula. Es wächst vor Aller Augen heran.
(Diese Erscheinung dünkt der Gesellschaft weniger gräßlich --
aber dem Ungarn flimmert's um die Augen, das Leuchtkäferspiel beginnt von Neuem, sein
Gehirn vomirt mehrere Male nach Einander, denn es hat Sulla erkannt.)
Hallo, hallo -- was wirbeln um den Neger Sulla für
schwarze Staubwolken auf, was spritzen jetzt für dunkle Tinten herum? Wird's wieder
lebendig? Da -- Dame Merlina, bleiche Mestizen, Cholas, Zambas, Pale Chino's -- Pharis,
Elma, Hyderilla!
Puh! weggeflogen!
Drittes Bild,
Pantherweibchen und Huaene.
[Hiram hat das dritte Glas gezogen]
Eine optische Täuschung ist hier nicht anzunehmen, im
Gegentheil: veraars discendi methodum Fluxionum et Serierum
infinitarum -- Eins, Zwei, Drei, Vier, Fünf, Sechs, Sieben
doch halt, nicht weiter! Zu was nützt auch das ewige Zählen!
Es ist genug zu sehen, daß es eine bedeutende Anzahl von Betten ist, die
auf jener weißen Wolkenwand herumstehen. In diesen Betten streckt sich's, hopst,
schnarcht, purzelt drunter und drüber -- sind lauter Katzen.
(Der Ungar hält Hiram jetzt doch für etwas mehr, als
einen gewöhnlichen Charlatan -- er sieht in ihm ganz sicher
sein altes Gespenst, seine graue Bestie. Er erblickt das große
Schlafgemach der Hamburger Mühle, wo einst die Pale-Chino-Zambo-Chola das Regiment
führte. Doch freute es ihn gewissermaßen, daß der Zauberer so viel Diskretion besitzt
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und nur Katzenvieh und keine Katzenmenscher vorführt. Doch
die Köpfe, die Gesichter dieser Katzen? Doch, die bemerkt jetzt,
noch Niemand von der ganzen Gesellschaft, sogar der Ungar noch nicht.)
Wie gut der Zauberer seine Sachen macht! Wahrlich,
nirgends eine vorzüglichere Camera! Durch das Schlafgemach springt ein weiblicher
Panther. Bei einem Anblicke thun die Katzen, als schliefen sie. Jetzt öffnet sich
die Thüre einer anstoßenden Piege. Wieder der Neger Sulla. Der Panther schlüpft in
die Piege und schlägt mit seinen Tatzen die Thüre hinter sich zu,
(Von der Gesellschaft denkt sich jetzt ein Jedes: was soll
das bedeuten? Was thun die bei Einander in der Piege? Eine Thierin und ein Negermann?
Nur der Ungar denkt nicht so.)
Puh! Sulla und Panther sind nicht mehr da. Aber die
vielen Betten mit den vielen Katzen darin und darauf, und darunter und darüber, und
dazwischen und daneben, sieht man noch auf der weißen Wolkenwand.
Aber da! Da schleicht eine Hyäne zur Salonthüre herein
in das Katzenschlafgemach.
(Das ist eine Hyäne! Die haben wir schon oft in Menagerien
gesehen: so sagen bei sich die Zuschauer -- aber gleich
werden sie sich noch etwas anderes dazu sagen.)
Die Hyäne stellt sich jetzt en face und schaut der Gesell
schaft gerade in's Gesicht. Die Hyäne hat den Kopf des Ungarn auf, sterbensbleich,
hochgestirnt und langbehaart.
(Das ist zu viel! ruft Lady Stewart aus: Mein Herr,
genug mit Ihren Bildern! Dasselbe schreien die Andern nach -- nur der Ungar nicht,
der jetzt weiß, wo das Bild hinaus will. Als er ein bleiches Conterfey auf dem häßlichen Hals
der Hyäne erblickt, da fährt er doch zusammen -- er will aufschreien, aber er kann
nicht. Aus seinem Fauteuil will er sich erheben, aber er kann nicht, er fühlt sich
todtmüde. -- Kann denn Keines von Euch Allen den festen Entschlußfassen und den Kerl
hinausschmeißen, der den Grafen so sehr beleidigt hat? Kann's der Graf denn nicht selber?
So denkt sich ein Jedes und dabei scheint es auch zu bleiben. Die Mantis Religiosa
zieht ihren Zauberkreis immer enger.)
Wieder weg!
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Viertes Bild,
Die Wahlverwandtschaften.
[Hiram hat das vierte Glas gezogen.]
Eine ganz andere Welt nun. Kein Schwarzer läßt sich
mehr sehen. Die Gegend ist Algiers -- aber das Bild zittert . noch zu sehr auf der
weißen Wolkenwand. Wir müssen warten, bis es ganz ruhig geworden ist. O wie schön
jetzt! Die blühende, zauberhafte Garten! Und was steht da mitten
in, so traulich und heimlich versteckt hinter Oleandern, Magnolias, Orangebäumen und
Chinatrees? Das wunderliebe äuschen ist's. Das wunderlieblichste von allen Häusern in
Algiers. Und aus diesem Häuschen tritt jetzt ein schlanker blonder Fant, goldlockig und
blauäugig. Schön wie der junge Tag -- nur ein kleines Bischen faniert -- und so nackt
und alabasterweiß, wie unser Stiefbruder Apollo,
(Emil, mein Emil! so ruft plötzlich eine Stimme aus der
Gesellschaft, und der diese Stimme angehört, die erhebt sich von ihrem Sitze, streckt
die Arme aus und will blindlings auf die trügerische weiße Wolkenwand zu stürzen. Heilige
Jungfrau! ruft Lady Stewart aus, was ist mit Gräfin Jenny? -- Damn’d Fakir! -- schrillt
es zwischen den Zähnen des Capitain Marcy hindurch: er ist's, der Hiram ... das ist der junge
Mann, den er mir am Red River entführt hat. Jenny mußte auf halbem Wege wieder
zurückweichen, denn das von der Wolkenwand abprallende Licht hätte sie fast blind
gemacht. Sie wirft sich wieder zurück in den Fauteuil und klagt: mein Emil,
mein armer, guter Emil !)
Da verschwindet Emil in die dunklen Schatten eines
Baumganges und aus dem Häuschen tritt jetzt ein anderer Mann und bleibt auf derselben Stelle stehen.
(Mein Albert! ruft die nemliche Stimme, die vorher Emil
geklagt hat und die, der diese Stimme angehört, erhebt sich von
ihrem Sitze und will blindlings auf die weiße Wolkenwand zueilen. Aber auf
halbem Wege mußte sie wieder zurückweichen;
denn das Licht, das von der Wolkenwand abprallte, hätte sie
fast blind gemacht. Sie wirft sich wieder zurück in ihren Fauteuil und ruft
und klagt: mein guter, herzensguter Mann! -- Aber da muß man jetzt Claudine de
Lesuire und die Baronin
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von Saint Marie ansehen ... sie sind nonnenbleich geworden und zittern nur so vor Wuth.)
Häuschen, 's wunderliebe Häuschen ist auf und davon
geflogen ammt Garten, Emil und Albert.
Die Scenerie changiert diesmal sehr schnell. Man hat wirklich
viele Mühe, nachzukommen; kaum hat man Zeit, die Feder einzutunken.
Toulouse Street? Apropos! Der dicke schwammige Mann
mit der Guitarre unterm Arm -- ist das nicht der Büchsenspanner? Er ist's wie er
leibt und lebt! -- -- Der Kerl ist jetzt wieder weg; doch das Haus, vor dem er
gestanden hat, theilt sich jetzt auseinander. Der nemliche Mann liegt auf den
Knieen vor einem wunderschönen Mädchen mit glänzendem,
blauschwarzem Haar und großen herrlichen Antilopenaugen.
(Meine Orleana! -- der häßliche Mensch! Orleana, Orleana!
-- -- So schreit Claudine halb rasend auf und verbirgt ihren schönen Kopf in den Schooß ihrer alten Tante.)
Puh! Weg, wie eine Feder, die ein Zugwind beim Bettenfüllen hinwegführt.
Der Prinz von Würtemberg jetzt? Er sieht sehr bekümmert und
leidend aus und hält ein kleines Kind auf einen Armen. Wo ist Gräfin Jenny? scheint er
zu fragen. Und wenn er auf's Kind herabblickt, so sieht das so komisch aus, als
wollte er zu dem kleinen Würmchen sagen: mein liebes Kind, wenn es Niemand weiß, so
solltest es doch Du wenigstens wissen, wer eigentlich Dein Vater ist.-
Fort sind sie die Wahlverwandtschaften!
Fünftes und letztes Bild.
Folgt. Wiedersehen.
[Hiram hat das fünfte und letzte Glas gezogen.]
Pferdegetrampel -- ein Puhlten wie aus rotzigen Nüstern, ein Wiehern und zwischendurch
eine wahre Höllenstimme, dann weint es wieder und schreit wie ein Mensch -- -- kommt
Mazeppa dahergesaust? Das Glas ist bereits seit drei Minuten gezogen und noch immer
sieht man Nichts auf der weißen Wolkenwand. Was ist's mit der Camera ? Läßt sie diesmal
ihr Bild hören statt sehen?
Jetzt kommen sie! Das gehörte Bild färbt sich, gestaltet
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sich. -- Eine wüste, abscheuliche Gegend -- Man tritt auf lauter Pferdeschwänze und
rotzige Nüstern, mitunter gleitet man auch aus von diesem glatten Schleimpflaster. Das
klatscht, wie ein Regenguß auf die Cavalcade des wilden Jägers
Hier sind sie! Dieser alte Gaul hat einen Arm im Maul.
Die Gaulin ein Bein; den Fuß dieses Beins hat eben ein blutjunges Füllen abgerissen
und wirft ihn in die Höhe und fängt ihn mit dem Maule wieder auf Trapp, trapp, hier kommen
zwei andere Pferde, das Eine trägt zwei derbe Schenkel und
das Andere einen Rückentheil -- dann folgen noch mehrere hintendrein mit Rumpf,
Bauch und Herzen. Diese Glieder sind
alle von ein und demselben Menschen? Freilich, Menschen.
Doch Kopf -- läßt Du Dich denn nicht sehen? Fahrt
Alle auseinander und macht ihr Platz, der Pferdin Lydia Prairiebrand! Die hat den
Kopf. -- -- --
Das ist ja der nemliche Kopf, der erst vorher auf dem
häßlichen Hals der Hyäne saß, aber nicht mehr hochgestirnt
und langbehaart -- Fast gar keine Stirne mehr, der Schädel
so nackt wie ein Rattenschwanz, blutig über und über und was
das Eckelhafteste ist, die klassende Narbe an der Wange. Was?
Sind's zwei Köpfe? Nein, aber vier Augen. Aber die zwei
Augen, die aus der klassenden Narbe hervortreten, sind unaus
stehlich; denn sie greinen. Sie gehören dem Pedlar Cleveland.
(Ein Schrei des Entsetzens, selbst Frida nicht
ausgenommen, der eine fürchterliche Ironie in diesem Moment den so
wohlthuenden Wahnsinn verscheucht hat. -- Der Ungar hat
nicht geschrieen laut aufvor Entsetzen; er fährt mit seiner rechten Hand
bedächtig in seine Rocktasche und da eben. Alles ganz
todtenstill ist, so vernimmt man auch das versteckte Spannen eines Pistolenhahnes.) ...
„J'ail'honneur..“ und Hiram verneigt sich.
Hell brennen die Lichter im Salon wieder auf.
„S'il vous plait, Monsieur Cleveland“ ruft Hiram zur
Thüre hinaus und sich dann an den Ungarn wendend, deutete er auf den nun hastig hereintretenden Pedlar:
„Herr Graf! -- Sam Cleveland aus Illinois!“
* * *
Der guten Jenny thut jetzt ihr Herz nicht mehr weh und
der herrlichen Blondine Frida nicht mehr ihr Kopf; in jenes ist
- 106 -
ein scharfer Stahl gedrungen und diesen hat eine Pistolenkugel zerschmettert.
Den nächsten Morgen nach der Hiramsnacht lagen die
beiden Schwestern in Einem Sarge neben einander. Sie hatten sich dies im Leben so
oft gewünscht. Constanze und ihr Schwesterchen. Gertrude, die von diesem ihrem Wunsche
wußten, haben die beiden Schwestern eigenhändig neben Einander gebettet.
Nur das Gesicht Jenny's liegt frei, das ihrer Schwester ist dicht verdeckt.
Warum müssen sie nun so traurig todt beisammen liegen?
Haben denn die Unglücklichen etwas verschuldet? -- --
Da möchten so gerne die verschnittenen Hunde der Moral
herbeiströmen und für ihr Gewerbegünstige Folgerungen ziehen. Diese Hunde, wenn man
sie herein ließe, würden um das Todtenbett herumschnuppern und das Geklässe erheben:
„Die Eine hat mit dem Herzen, die Andere mit dem Kopf
gesündigt -- so mußte es kommen!“
Wir aber sind dem Leser einige Andeutungen wegen der
mysteriösen Vorkommniffe der vergangenen Nacht schuldig. --
Fast im nemlichen Momente, als in der verwichenen Nacht der Pedlar
Cleveland auf den Zuruf Hiram's in den Salon geeilt war, wurden Constanze und Gertrude, die,
wie bereits früher erwähnt, bei der unwohl gewordenen Dudley zurückgeblieben waren, durch einen
lauten Knall aufgeschreckt.
„Da fiel ein Schuß, Gertrude,“ sagte Constanze und noch
ehe dieselbe ihre Worte vollendet hatte, hörten sie einen zweiten und gleich darauf einen dritten Schuß.
Dudley lag im Fieber und nicht von einer leichten Ohnmacht wieder zu
sich gekommen, wie Lady Stewart und sogar Constanze und ihr Schwesterchen glaubten. Auch sie erhob sich
erschreckt von ihrem Bette und rief:
„Wo ist das Schießen? Seid Ihr noch da, Constanze und Gertrude?“
„Sei ruhig, liebe Dudley! Wir sind ja bei Dir,“ erwiderten an die
diese Frage gerichtet war, wie aus Einem Munde. Dann horchten sie.
Sie hörten die schwarze Dienerschaft sich einander laut
beim Namen rufen, ein hastiges Rennen Trepp auf und Trepp ab -- ein heftiges Zuschlagen von
Thüren, dann ein eben so heftiges Wiederaufreißen und dazwischen fiel ein vierter Schuß,
daß das ganze Haus von Oben bis Unten erzitterte.
- 107 -
Das Schlafcabinet, in dem sich Dudley mit Constanze und Gertrude
befand, lag in einem Seitenflügel der Stewartschen Residence, war von der Attika durch zwei
breite Gänge mit Nebenclosets getrennt und somit ziemlich weit von dem Salon, in dem wir Hiram
eine Wandbilder vorführen sahen, entfernt. Deßungeachtet erzitterte auch dieser Theil
der Residence von dem letzten Schuße.
Constanze eilte auf die Thüre zu, öffnete sie jedoch nur
wenig, als fürchtete sie sich, hinauszutreten.
„Geh' nicht fort, Constanze,“ bat Dudley, die glaubte,
Ihre Freundin wolle sich entfernen.
„Was das nur sein mag,“ sagte Gertrude im ängstlichen
Tone und legte dabei ihr blondes Köpfchen auf das Kopfkissen Dudley's.
„Ist's bei uns, Constanze!“ frug Dudley und sie sank
wieder zurück in die Kissen.
„Du hast Fieber, gute liebe Dudley,“ meinte Gertrude,
die mit ihren bloßen Aermchen an die glühende Wange ihrer Freundin gekommen war.
„Ich glaube, Gertrabe, es muß Fieber sein. Wo bin ich
denn? Seid Ihr noch da!“ rief dann Dudley plötzlich.
„Dudley, meine gute Dudley! -- -- Constanze komm'
doch her, sieh' mal Dudley“ bat das gute Kind, „wie sie das Fieber hat!“
Dort drüben, unter der Attika, war es mit Einemmale
wieder ganz ruhig, todtenstille geworden. Constanze schloß die Thure wieder, und, ohne daß sie
es eigentlich wollte, schob die den doppelten Riegel vor.
„Das muß wo anders gewesen sein,“ sagte sie dann,
„doch, war mir's eben, als ob ich ganz deutlich die Stimmen der Dienerschaft vernahm.
Sie stand jetzt vor Dudley's Bett.
„Leg' mal Deine Hand hieher,“ sagte Gertrude zu ihrer
Schwester und führte deren Hand an die heiße Stirne Dudley s.
„Mein Gott, Dudley, Du liegt im Fieber!“
„Mutter, Mutter -- hilf hilf -- Graf Lajos hat geweint --Mutter
sieh' meine Hand an, wie sie brennen die Thränen --hilf liebe, liebe Mutter -- ich kann die Thränen
nicht mehr hinwegbringen -- O, Mutter, das thut mir so weh -- wo ist denn mein schönes Plätzchen
unter der Weymouthskiefer hingekommen? Ich war doch immer Dein gutes Kind, Mutter
warum verstößt Du mich denn? -- -- Mutter, der Abbe will
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mich umbringen -- -- doch nein, jetzt geht er weg -- der Graf
„ist's!“ -- -- So phantasierte Dudley in erschrecklicher Weise.
„Constanze, lauf schnell hinab und hol' Dudley's Mutter,
ich will hier bleiben, bis ihr zurückkommt,“ bat Gertrude die Schwester.
„Lieber Himmel, daß sie auch nichts gesagt, daß sie so
krank ist -- Gertrude lauf', doch bleib', ich will -- -- Dudley,
soll ich die Mutter holen? Constanze beugte sich bei diesen
Worten über das von Fieberhitze flammende Gesicht Dudley's
und verließ dann mit einem unaussprechlich wehmüthigen Blicke das Schlafcloset.
Doch kaum war sie aus der Thüre, als sie auch schon wieder zurückkam.
Gertrude sprang erschrocken auf, als sie ihre Schwester
gewahr wurde.
Constanze war so weiß wie der Tod.
„Was hast Du denn, Constanze?“ frug Gertrude, am
ganzen Leibe zitternd. [Dudley phantasierte jetzt wieder und schrecklicher, als vorher.]
„Mich ließ es nicht an die Treppe, Gertrude -- wie froh
bin ich, daß ich wieder hier bin.“
„Aber was ist’s denn, Constanze? Mache mich nicht so
furchtsam -- -- Constanze -- so sag', hör' doch die arme Dudley? -- hol", O laß, ich will
Jemand holen -- aber, was ist's denn? --“
So frug die geängstigte Gertrude verwirrt durcheinander
und als sie selbst zur Thüre eilen wollte, so hielt sie die Schwester zurück und bat:
„Schwesterchen, geht nicht hinaus -- -- warte noch ein
wenig, bis es weg ist -- O, bleib' bleib'!“
„Was ist denn da, Constanze? So hör; doch die arme
Dudley -- sie will die Mutter!“
„Ich kann's Dir nicht sagen, Gertrude, was es war -- als ich
an die Treppe kam, hat es mich zurückgeschoben --“
Dudley fing jetzt wieder an zu phantasiren und in so entsetzlicher
Weise, daß sich die beiden Mädchen nicht anders zu helfen wußten, als laut aufzuschreien.
Constanze ließ Gertrude, die, rotz des unheimlichen Berichts
ihrer Schwester, zur Thüre hinaus eilen wollte, nicht von ihrer Seite, sondern eilte mit
ihr an ein Fenster, das eine freie Aussicht auf die Seitenparthie des Gartens gewährte und
schrie hinab, indem sie bald einen weiblichen, bald einen männlichen
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Domestiken beim Namen rief, wie es ihr eben in den Kopf kam.
Ein Neger, der eben vom Garten in den anstoßenden Hofraum
eilte, hatte das Hilferufen Constanzens vom Fenster herab vernommen.
Er blieb einen Augenblick stehen und sah hinauf.
Als dies Constanze bemerkte, so rief sie ihm zu:
„Was hat es denn vorher da unten gegeben? -- das
schreckliche Schießen war doch nicht bei Uns? -- Sag’ Semiramis und Hannah, sie
sollen heraufkommen -- --ich kann nicht hinab -- und Miß Dudley ist so krank -- --“
„Es ist sonst Niemand hier, als ich -- die andern sind Alle
fort, Miß -- --“
„Um's Himmels willen, was giebt es denn, Tom? -- Wo sind sie denn
hin? -- wo ist Lady Stewart? Sag ihr, sie möcht" zu uns heraufkommen, ihr Kind ist so krank -- --“
„Es ist Niemand mehr da, Miß,“ wiederholte der Neger, dann sagte
er schluchzend, nach der Gegend hindeutend, wo der große Salon lag, „da drinnen sind wohl
noch Zwei -- aber die sind todt --“
Constanze und Gertrude eilten vom Fenster weg und im
Momente der schrecklichen Aufregung ohne die geringste Furcht
nach der Thüre. An der Treppe war nichts mehr, was sie
zurückgehalten hätte. In der Eile hatten sie aber die leichten
feinen Wolkenstreifen nicht bemerkt, die mit ihnen die Wendeltreppe hinabflogen und
unten angekommen, einem Luft zuge folgend, durch den langen Corridor in den Garten verschwanden.
Gertruden und Constanzen schwanden fast die Sinne, als sie in den Salon kamen.
Hier auf der nemlichen Stelle, wo Hiram noch kurz vor
her mit der Camera gestanden hatte, lag die gute Jenny:
„-- -- -- so blaß, so schlank,
Und unbeweglich dabei,
Als wär' sie ein welches Marmorbild
Dianens Conterfei.“
Ein Dolch stack in ihren Herzen und mit ihren Händen bedeckte sie
die todten Augen. -- Fraget nicht, wer ihr den tödtenden Stahl in die liebevolle junge Brust
stieß -- denket auch nicht an Hiram, wenn Ihr sie so daliegen seht; denn wenn man Euch es sagen
würde, wer der Thäter war, so würdet Ihr ihn nach Eurer beliebten Manier zum Mörder
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stempeln. Es sei Euch genug, zu wissen, daß sie der Romantik auf
dem verfluchten Boden Amerika's zum Opfer fiel. --
Sie hat ihren Emil nicht mehr gesehen -- doch,wozu auch,
seitdem sie in der Umarmung Albert's ihre ungestüme Liebe für Emil ausgeträumt hatte? --
Dort, dicht neben den Beinen des tiefen Fauteuils, in dem
noch kurz vorher der Ungar saß, lag die unglückliche Frida. Ihr
Herz blieb unversehrt, aber um ihren einst so herrlichen Kopf
lockt sich nicht mehr das Gold ihrer wunderschönen Haare,
Denket nicht an den Grafen Lajos, sonst könntet Ihr leicht auf
den Gedanken gerathen, Er war der Mörder? Es sei Euch
genug, zu wissen, daß sie der Treue zu ihrem Gatten zum Opfer fiel. Sie hat ihren
Karl nicht mehr gesehen und er hat sie
nicht mehr von seiner Unschuld überzeugen können -- doch,
wozu auch, seitdem er am Grabe ihres Kindes stand und der
Gedanke an den Doppelgänger Lajos sie noch wenige Stunden
von ihrem Scheiden aus dieser Welt in die dunklen Jrrgänge des Wahnsinns trieb.
Tantchen Cölestine und Frida, Ihr seid Wahnsinnver
wandte und wenn Ihr Euch je begegnen solltet, so reicht Euch die Hände und sprecht:
„Sind wir froh, daß wir endlich einmal todt sind.“
Und sollten sich Jenny und Frida begegnen, so wird die
Eine sagen :
„Sieh', meine gute Schwester Frida, das war das Ende
meiner Don Juan Natur“
Und die Andere:
„Tröste Dich, meine liebe Jenny -- ich war der Faust
unseres Geschlechtes.“
So denkt man von sich ganz anders, wenn man einmal todt ist. --
Das Entsetzen und den Schmerz der beiden Mädchen beim
Anblicke der lieben Todten zu beschreiben, wollen wir hier nicht
versuchen. Von dem Neger Tom erfuhren sie folgende lückenhafte und verwirrte Geschichte:
„Als der lange, alte Mann“ -- so fuhr der Neger in seiner
Erzählung weiter, nachdem er Constanzen und Gertruden vorher
von der geheimnißvollen Anmeldung Hiram's und Clevelands
gesagt hatte, -- „in den Salon ging, ließ sich der Andere, der
seinen Namen als Sam Cleveland angab, im Wartezimmer
in einen Schaukelstuhl nieder. Mir kam das schon ganz sonderbar vor; auch war es mir nicht Recht, daß ihn der alte
- 111 -
Mann nicht mit sich nahm. Ich hab' mir auch gleich gedacht,
daß sie mit einander etwas Böses im Schilde führen. Ich hab'
mich deswegen draußen vorm Wartezimmer versteckt und zum
Fenster reingesehn, wo ich ihn dann nicht mehr aus den Augen
ließ -- denn ich dacht' mir immer, daß er nichts Gutes anfängt.
Die Semiramis und Hannah, die eben die Shawls und Hüte
der Ladies in Ordnung brachten, schlichen sich hinter mich und
frugen mich, was denn der Mann im Schaukelstuhl' thäte, daß
ich ihn immerfort so ansehe ? Ich sagte Ihnen, paßt nur auf,
der Mensch sitzt nicht umsonst so allein im Schaukelstuhl', er
fängt gewiß etwas Böses an. Warum ich das gesagt habe,
weiß ich selbst nicht, aber später war es doch wahr. Zuletzt
ward mir doch die Zeit zu lang, denn der Mensch hat nichts
weiter gethan, als sich geschaukelt und hat auch manchmal auf
seine Uhr gesehen. Auch sagte mir die Semiramis, ich möcht'
einmal da hineingehen vor die Salonthür" und sehen, was der
lange, alte Mann dadrin macht und wenn ich Etwas hören
könnte, so möcht' ich wieder herauskommen und es ihr erzählen.
Der Mann im Schaukelstuhle hat mich gar nicht angezehen, als ich
an ihm vorüberging, auch muß er gar nicht wissen,
was sich schickt, sonst hätte er zu mir gesagt: was thust denn
Du da drinn', Du damn’d Nigger, Du hast ja heute die Jour
nicht -- die haben der Big Billy, der yellow Abram, der Jerry,
der Neptune und der Nelly -- damn’d Tom, hätte er dann zu
mir gesagt, die leeren Sherbet Plates und die Tumblers sind
schon längst "raus getragen worden- mach’ also, daß Du hungehst, wo Dein
Platz ist. Das hätt' er gesagt, wenn er ein
ordentlicher Maffa gewesen wär". Das ist gewiß so ein Huscher, so ein
irischer aus Virginia State, dacht' ich mir, daß
er nicht weiß, was Fashion ist. Da ging ich denn immer weiter vor. Da
standen nun der Big Billy, der yellow Abram,
der Jerry, der Neptune und der Nelly -- die sagten zu mir,
damnid black Nigger, das ist nicht Dein Busineß, daß Du darein kommt,
mach', daß Du wieder auf Dein' Platz muhvist
aber doch hat der Yellow Abram zu mir gesagt: Sieh' mal dahin auf die
Salonthur', Tom! Da sah ich denn gar nichts, es
war gerade, als wenn ich keine Augen gehabt hätte. Die Thure
war doch offen, sagt der Nelly, ich hab' sie ja selbst zurückge
schoben und jetzt ist's, als wenn sie zu wäre. Da war die
Thur auf einmal wieder offen und ich hab' wieder gesehen und
gleich darauf trete auch der alte, lange Mann seinen Kopf zu
- 112 -
uns heraus und schreit:
"S'il vous plait, Monsieur Cleveland!"
Da kommt der Mann vom Schaukelstuhl hergelaufen, daß ich
mich vor lauter Schreck hinterm Big Billy versteckt hab'. Dann
sind wir Alle, der Big Billy, der Yellow Abram, der Jerry, der
Neptune und der Nelly fortgelaufen in's Wartezimmer. Warum? Das wissen wir selbst
nicht. Wir sind nicht lang gestanden, so ist ein Pistol losgegangen, dann noch eins und dann
noch eins. Es hat. Alles im Salon untereinander geschrieen
und als wir hineinlaufen wollten, ist wieder ein Pistol losge
gangen, daß wir glaubten, es gilt uns. -- -- Und jetzt, wie
ich mich umseh', kommt der alte, lange Mann aus dem Salon
und der vom Schaukelstuhl" und hinter ihm her laufen der Big
Billy, der Yellow Abram, der Jerry, der Neptune und der
Nelly und Wolken sind mitgelaufen, da wär' ich fast blind geworden,
daß ich vor lauter Schreck in den Garten gelaufen bin
und mich versteckt hab'. Als ich dann nichts mehr hörte, schlichich mich herein und wollte "mal sehen. Aber, als ich in den
Salon kommt, war Niemand mehr da, als die Gräfinnen da-
die haben sie umgebracht -- -- das ist Alles, was ich weiß, Misses -- --“
* *
*
Allerdings liegt ein ziemlich großes Paquet Briefe vor
uns, die uns noch manchen Aufschluß über jene Hiramsnacht
geben würden. Theils aber ist ihr Inhalt zu compromittierend,
als daß wir die Publicierung der hierauf bezüglichen Daten wagen dürften,
theils -- und dies ist wohl die Hauptursache, daß
wir sie cachiren -- hat man bis auf Weiteres von uns das tiefste Stillschweigen
verlangt, als man uns die Briefe übergab.
Was späterhin der Neger Tom aussagte, haben wir bereits erschöpfend angegeben
und dies war auch in der That. Alles, was
er hiervon wußte. Auch hat man es aus seinem Munde, daß
Gertrude und Constanze den beiden unglücklichen Frauen den
letzten Liebesdienst erwiesen haben, indem sie dieselben, was sie
lebend so innig wünschten, auf Ein Todtenbett gebracht hatten.
Von einem Briefe aber ist es uns erlaubt, beliebig
Gebrauch zu machen, da uns bei Zusendung desselben durchaus
keine Discretion zugemuthet ward. Unmöglich kann besagter
Brief von dem Prinzen von Württemberg geschrieben sein, obwohl die
Intention des eigentlichen Verfassers unzweideutig
darauf hinaus zielt. Mag dem nun sein, wie es wolle, jeden
- 113 -
falls kam das Schreiben eben zur rechten Zeit, denn dessen Inhalt füllt eine
große Lücke in unsern Geheimniffen aus.
„Als wir (so lautet der Inhalt genannten Schreibens) damals vor
die Residence der Lady Stewart kamen, traten uns an
der Gartenthüre ganz fremde Gesichter entgegen. Befremdend
sahen sie mich an, als ich sie um die Erlaubniß bat, eintreten
zu dürfen; doch als ich ihnen meinen Namen sagte, war ich
gleich der willkommenste Gast. Dudley war die Erste, sagten
sie mir, die in diesem Hause das gelbe Fieber hinwegraffte. Sie
hat ihre Mutter nicht mehr gesehen, denn dieselbe kam erst einige
Tage nach dem Tode ihrer Tochter wieder in die Residence
zurück. Wo sie während dessen gewesen war, konnten wir von
ihr nie erfahren. Nur bemerkten wir in ihrem Aleußern eine
gewaltige Unruhe, die für uns in manchen Momenten ganz entsetzlich
war. Keinen von ihren Negern, auch keine einzige von
ihrer weiblichen Dienerschaft hat sie wieder mitgebracht, oder
hat sich bis jetzt auch nnr sehen lassen. Als sie vom Tode ihres Kindes
erfuhr, zeigte sie nicht die geringste Aufregung.
Manchmal dünkte es uns, als wenn sie schon davon gewußt
hätte. Jetzt spricht man in gewissen Kreisen nachträglich die
Meinung aus, Lady Stewart hätte allen ihren Negern die Freiheit geschenkt
und sie dann nach Liberia spedieren lassen. -- Der
Capitain Marcy hat die fabelhaftesten Dinge von seinem da
maligen Besuche bei Lady Stewart erzählt und wenn nur die
Hälfte davon wahr sein sollte, so dürfen wir uns wirklich Glück
wünschen, damals nicht gegenwärtig gewesen zu sein.
Er selbst behauptet, nur mit genauer Noth mit dem Leben
davon gekommen zu sein und meint, daß ihm die Lust vollkom
men vergangen sei, je wieder nach New-Orleans zu kommen.
Deßungeachtet wagt er es, sich neuerdings für eine Red River
Expedition zu rüsten. Man sieht hieraus, daß der Capitain
muthig sein kann, wenn er nicht in New-Orleans ist. Möge
es ihm gelingen, die Quellen des Red River aufzufinden, ohne
mit supramundamen Mächten in Conflict zu gerathen. Jeden
falls wird New-Orleans nichts dabei verlieren.“
So der Brief. --
* * *
Mittlerweile waren Constanze und Gertrude über die Lake
gefahren und hatten ihren Eltern und Geschwistern die schreckliche Kunde von der
Hiramsnacht und dem unglückseligen Ende Jenny's und Frida's gebracht. Das Anfangs erfreute
- 114 -
Wiedersehen der beiden theuren Kinder mußte bei deren Erzählung
einer furchtbaren Gemüths erschütterung weichen, die sich bei
dem alten Grafen und bei Melanien in einem stummen, ernsten
Hinbrüten, bei Hugo in grollenden Ausrufungen und bei der
kleinen Amelie in einem Ausbruche von Klagetönen und Jammergeschrei
äußerte. Und wenn Melanie nach dem Prinzen,
nach Lady Stewart und Dudley frug, so konnten die beiden Kinder
nichts anders antworten, als: „Meine gute Mutter, die
arme Dudley ist todt -- wo der Prinz von Wurtenberg und
Lady Stewart hingekommen sind, können wir Dir nicht sagen;
denn wir haben sie nicht wieder gesehen. Aber ganz fremde
Menschen sind zwei Tage nach jener furchtbaren Nacht in die
Residence der Lady Stewart gekommen und haben uns mit harten Worten
fortgehen heißen. Da dachten wir an den Grafen
Lajos und wir wollten hinüber nach Algiers, um ihn da aufzusuchen
und ihn zu bitten, mit uns zu Euch zu reisen. Aber
wir fanden weder ihn, noch das Häuschen mehr. Das Häuschen
war niedergebrannt, und wo fruher der schöne Garten
war, da sahen wir nichts als verkohlte Baumstämme und Gesträucher
ohne Blätter und Blüthen. Auch soll, wie uns die
Nachbarsleute sagten, die kleine deutsche Köchin in den Flammen
umgekommen sein. Wo der Gatte Frida's und wie das
Feuer ausgekommen sei, davon wußten sie uns nichts zu sagen.
Nach dem, was wir sonst noch erfuhren, muß das Feuer in der
nemlichen Nacht ausgebrochen sein, als wir im Schlafcloset
der kranken Dudley waren und es unter uns so furchtbar geschossen und alle Thüren
aufgerissen und zugeschlagen hat. -- In unserer namenlosen Angst haben wir uns dann nach der
Bayou Road fahren lassen, um den Prinzen von Wurtemberg
in seiner Residence aufzusuchen. Aber statt einer kam uns eine
lange, alte Negerin entgegen und sagte uns gleich und ohne daß
wir sie vorher darum gefragt hatten, daß wir den Prinzen von
Württemberg umsonst hier suchten, da derselbe schon seit vier
und zwanzig Stunden New-Orleans verlassen habe. Sie sagte
uns, sie heiße Diana Robert und habe Befehl, den Tag uber
Niemanden einzulassen. Nachts könne herein, wer wolle;
denn da sei sie bei ihrem Herrn, der aber nicht der Prinz, sondern ein
noch viel größerer Mann sei. Und so, gute Mutter,
haben wir uns denn allein auf den Weg zu Euch gemacht. --“
Was mußten die unglücklichen Eltern von all diesem
sonderbaren Gerede Constanzen’s und Gertruden's endlich denken Schlagen wir eine
Brücke: Der Schmerz hat seine &&&&&&&&&&&&&&&
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Grenzen so gut, als wie die Freude. Wo Beide die einmal von
der Natur gesteckten Marken überschreiten, erfolgt der Tod oder
der Wahnsinn. Glücklich der, dessen Verstand als geübter Reiter zu Rosse sitzt,
um dasselbe vor dem Ueberschlagen an der gefürchteten Barriere zu bewahren. Der Verstand Melaniens
war sattelfest. An ein Ueberschlagen war nicht zu denken. Ihr
Schmerz war groß. Er wühlte sich durch die geheimsten Falten
ihres schönen Herzens, als ihr ihre Kinder die so traurige Kunde
überbrachten. Aber bald warf ihr Verstand die Frage auf:
Muß es sich denn wirklich so ereignet haben, wie es uns die
Kinder erzählten? Und wenn nicht? Dann müssen die Kinder,
müssen meine Constanze und Gertrude -- müssen sie? Keck
sag' es heraus, Verstand! dann müssen die Kinder verrückt
sein! Etwas Freudiges könnten die Kinder gelogen haben,
obwohl sie ihre Eltern bisher nie belogen. Doch das wäre immer noch
möglich -- -- aber Trauer -- Trauer, Schmerz und
Jammer, die kann Niemand lügen -- -- also, also -- müssen
meine Kinder dann wahnsinnig sein, wenn sich das wirklich
nicht ereignet hätte, was sie uns erzählt haben. In diesem
Raisonnement lag Verstand, gesunde Logik -- und doch hatte
der Verstand unrecht -- glücklicherweise. Denn Melanie sollte bei
ihrer Ankunft in New-Orleans erfahren, daß die Kinder -- nicht
logen Pfui, nein. Sie sollte erfahren, daß ihre jammervolle Kunde begründet war.
In Covington drüben war schon. Alles zur Ruhe gegangen,
als man in dem kleinen Framehause der gräflichen Familie noch
lange wachte, weinte und kaum ein Wort sprach. --
„Ihr Kinder, legt Euch jetzt nieder und möge Euch der
Allmächtige einen ruhigen Schlassenden, dessen Ihr so sehr bedürft. Legt Euch nieder,
meine guten Kinder, und hängt nicht länger Eurem Schmerze nach. Constanze, Gertrude, folgt und
geht zu Bette! Hugo, thu' es mir zu Lieb; leg Dich schlafen
und laß' für diesen Tag Dein stummes Hunbraten. Seht, Kin
der, Amelie ist schon eingeschlafen. -- Constanze, zieh' Amelie
aus und bringe sie ordentlich zu Bette -- sagt ihr, Mutter und
Vater schliefen schon -- dann wird sie sich wohl ruhig ausziehen lassen.
So, Kinder, seid brav und ordentlich -- Hugo folge mir,
die Andern thun es ja auch. -- -- Gute Nacht, Constanze -- so schlaf recht wohl, meine
Gertrude, so Amelie, das ist brav von Dir, Vater schläft schon -- -- Gute Nacht, Hugo, ehe Du
Dich niederlegt, vergiß nicht, das Fenster herabzulassen, die
- 116 -
Nacht ist feucht und ungesund. -- -- So, meine guten Kinder,
schlaft Alle recht wohl und der Allmächtige beschütze Euch und
gebe Euch Allen einen ruhigen, friedlichen Schlaf. Seht, wie
schön Suschen schon schläft, seid ruhig und weckt sie nicht auf Gute Nacht, gute Nacht!“
So sprach Melanie zu ihren Kindern und begab sich dann
in ihr Schlafgemach, wo der alte Graf mit gesenktem Kopfe
auf einem von Hugo und Constanze fabrizierten Sopha saß und seine gute alte Pfeife schmauchte.
„Die Kinder habe ich endlich zu Bette gebracht, möchten
sie doch besser schlafen, als vergangene Nacht,“ sagte Melanie und setzte sich neben ihren Gatten.
Der alte Graf legte seine Pfeife auf den nebenan stehenden
Tisch und wendete sich mit einem kummervollen Blicke an seine Gattin :
„Nun, wie hast Du Constanze und Gertrude gefunden?
Kommt es Dir noch immer so vor?“
„Mein lieber Ernst, würde ich mich doch täuschen!“
„Also glaubst Du immer noch, Melanie?“
„O, diese Frage ist so grausam, da Du weißt, was ich Dir
darauf erwiedere.“
Aber, Melanie-kannst Du's Dir nicht auf andere Weise
erklären? Du bist doch sonst so verständig. Muß es denn gerade das sein?“
„Bedenke, mein lieber Ernst, wie kann es anders möglich
sein? Ich muß jetzt selbst darüber staunen, daß ich den Erzählungen der beiden Kinder
anfangs nur den geringsten Glauben schenken konnte.
„Melanie, ich glaube, Du hast diesmal doch Unrecht?
Warum soll nicht Alles so wahr sein, als sie es uns erzählten?
Ich habe noch viel merkwürdigere Dinge gelesen -- --“
„Gelesen, mein Ernst -- aber ob sie wahr waren? Denke
nur darüber nach! Lady Stewart mitsammt ihren Negern soll
über Nacht plötzlich verschwunden sein? Es sollen im Hause
vier Schüsse gefallen sein? Wolken sollen den Negern nach
gelaufen sein? Jenny und Frida sollen -- -- O, nein, nein -- das Häuschen in
Algiers soll in der nemlichen Nacht niedergebrannt, der Gatte Frida's nirgends aufzufinden und der Prinz
selbst -- -- O, wie ist das möglich -- wie könnte er uns so plötzlich verlassen haben -- -- und
doch, wäre es nur -- O, nein, wäre nur die Hälfte wahr, dann müßte ich doch nicht glauben,
daß meine guten Kinder -- --“
- 117 -
Ein Strom von Thränen unterbrach die Worte Melaniens.
Sie lehnte sich an die Brust ihres Gatten, der jetzt selbst zu weinen anfing.
„Melanie -- --“
„Ernst, weine nicht!“
„Weib meines Herzens, laß mich weinen -Tantchen
Cölestinen's Prophezeiung wird wohl in Erfüllung gehen: Un
sere Familie geht auf dem Boden Amerika's zu Grunde. Uns
ist das Schicksal der Atriden bestimmt, und es fehlte nur noch,
daß mir statt Deiner eine Klytemnästra zur Seite stünde. --“
„Mein Ernst, da sollte ich Dir herzlich böse werden. Du
bist der Gatte Melaniens und daher auch kein Agamemnon.
Beschwöre nicht den alten Schatten herauf und laß den Sohn des Atreus ruhig im Grabe liegen.“
Die beiden Gatten schwiegen einige Augenblicke, dann fing
der alte Graf wieder an:
„Du glaubst es also wirklich von den beiden Kindern,
meine Melanie?“
Das traurige Stillschweigen Melaniens gab dem Grafen
die richtige Antwort auf seine Frage.
„Dann ist's ein Erbtheil Cölestinens -- -- mein Gott,
was haben meine Kinder Constanze und Gertrude verschuldet,
daß Du ihren Verstand trübtest? Melanie, Melanie! sage zu
mir, es ist nicht so -- ich will es gerne glauben,“ betonte der
Graf mit einer Stimme, wie sie noch nie aus seinem Munde
kam. Dann schlang er seinen Arm um den schlanken Leib sei
ner Gattin und legte seinen Kopf sanft auf ihre Schulter.
„Wie laut Dein Herz schlägt, meine Melanie -- -- -- hörst Du das Meinige nicht auch?“
„Das hämmert mir eine alte, traurige Geschichte vor -- O, hättest
Du vom Erbtheil Cölestinens geschwiegen!“ Und jetzt
stand Melanie auf, sie war nicht mehr die zärtliche Mutter,
nicht mehr die stille trauernde Niobe -- ihr Gesicht glühte, ihre
Augen tanzten wild in den Höhlen herum, sie hob die Arme und
ließ sie wieder sinken und jetzt stößt sie einen herzzerreißenden
Schrei aus und diesem Schrei entwinden sich die artikulierten Laute:
„Weißt Du, mein Ernst? Weißt Du jetzt?“
Der Graf sprang erschrocken empor, faßte seine Gattin be den Händen und rief:
„Aber, um's Himmels willen, meine Melanie, was ist
Dir? Was willst Du sagen?“
- 118 -
„Weißt Du, was uns der Prinz vom Abbé erzählt ? Weißt
Du, warum Tantchen Cölestine, meine gute edle Schwester, irrsinnig geworden?“
„Weil er sie -- -- weil -- -- doch, was willst Du da
mit sagen? Was erschreckt Dich so? Was --?“
Weißt Du jetzt, warum Constanze und Gertrude irrsinnig
geworden? Weißt Du?“ “
„Aber Melanie, sie sind es ja nicht!“
„Die guten Kinder sind dem Abbé in die Hände gefallen!
O, jetzt kann ich mir. Alles erklären! -- -- Ernst, Ernst -- wir haben unsere Kinder auf ewig verloren!“
„Aber, Melanie, wie kommst Du auf einen so fürchterlichen
Gedanken ? Der Abbé ist ja schon längst fort und haben uns
Constanze und Gertrude seit der Zeit nicht ganz verständige und
herzliche Briefe geschrieben? Du bist heute sehr verwirrt, Melanie, bedenke doch -- Dein Schmerz treibt
Dich zu weit! Und müssen es denn die Kinder sein? Sie sind es ja nicht! Und
was sie uns erzählt, kann sich ja wirklich ereignet haben -- -- Melanie, jetzt komme ich erst zur
Vernunft, wenn Du so etwas spricht -- --“
Wie täuschte sich diesmal die gute Mutter! Und doch,
war es ein Wunder, daß sie auf eine solche Zusammenstellung
gerieth? Das, was Constanze und Gertrude von New-Orleans
überbrachten, war auch, trotzdem daß es sich wirklich so zugetragen hatte, so merkwürdig und
klang so fabelhaft, daß dem gesundesten Verstande eine so bitterböse Folgerung abgedrungen
werden mußte. -- Es war nur das Blut, welches Melanie ein so unheilvolles Bild vorführte, es
war nur das Herz, welches ihr diese alte Geschichte von Tantchen Cölestine vorhämmerte.
Diese Aufregung mußte verschwinden. Sie dachte, grübelte,
verwarf und dachte wieder. Und das Resultat all' dieser entsetzlichen Gedanken Martern war: Und
sind die Kinder wirklich bei Sinnen und hat sich Alles so zugetragen, als wie sie es uns
erzählten, so bleiben uns doch wenigstens unsere Kinder, wenn
wir auch den Tod Jenny's und Frida's beweinen müssen. Ja,
es kam in dieser Nacht noch so weit, daß die Gatten mit großer
Resignation den Trost austauschten: „Wir erwarten. Nichts
von der Gegenwart, doch Alles von der Zukunft. Wenn wir
nach New-Orleans kommen, wird sich's ja zeigen.“ Und schon
am nächsten Morgen, als die ganze Familie beisammen saß,
wollte es keines von den Gatten mehr glauben, daß Constanze
- 119 -
und Gertrude so unglücklich seien, -- So sattelfest war der
Verstand Melaniens und so treu stand ihm ihr Gatte bei. --
„Wenn wir nach New-Orleans kommen, wird sich's ja
zeigen.“ Zuvor wollte man noch acht Tage im kleinen Farmerhause zubringen,
um den Prinzen zu erwarten, der jedenfalls
binnen dieser Zeit über die Lake kommen müsse -- wenn nicht
Anders etwas Außerordentliches ihn zurückhielt oder gar, wenn
man auf Gertrudens und Constanzems Aussagen einiges Gewicht legen wollte,
eine bisher noch unerforschte Katastrophe ihm ein bedenkliches Leid zugefügt
hatte. Kam der Prinz, so gerieth man in Angst, kam er nicht, ebenfalls. Im
ersteren Falle sollte man nur Trauriges hören, im zweiten es selbst später
erfahren. -- Während dieser acht Tage bildeten Coastanze
und Gertrude die einzige Unterhaltung der Eltern, wenn sie
nur immer allein beisammen sein konnten. Durch dieses eifrige
Studieren ihrer beiden Kinder gewannen die Eltern in gewisser
Beziehung sehr viel. Der exaltierte Gedanke Melaniens mußte
sich abschwächen, aber dabei gewann ein anderer Gedanke
Raum, eben so traurig, aber doch nicht so hoffnungslos und
furchtbar. Constanze und Gertrude blieben ihnen, dagegen aber
waren Jenny und Frida für sie verloren. -- O unglückseliger
Entschluß, mit der ganzen Familie nach New-Orleans zu reisen.
Um sich von der fürchterlichen Ungewißheit bezüglich der von
den beiden Kindern überbrachten Hiobsbotschaft zu befreien,
wäre es hinlänglich gewesen, wenn man Hugo dorthin geschickt
hätte. Wie ganz anders hätte sich dann ihre Zukunft gestaltet
So könnte man ausrufen, wenn man nicht wüßte, daß der
Mann mit der Mantis Religion, ihr Schicksal in Händen hielt,
Waren nicht Melanie und der alte Graf die Eltern Emil's?
Waren nicht Hugo, Constanze, Gertrude und Amelie die Geschwister
Emil’s? -- -- Emil scheint seiner Strafe zu entgehen,
weil er in den Leib Lucy's den Keim zum künftigen Erlöser ihrer Race
niedergelegt -- -- aber ein Ungehorsam, die schlechte
Erfüllung seiner Pflicht, als er damals mit Lucy, reich mit
Schätzen versehen, die obersten Gemächer der Atchafalaya Bank
verließ- o, schreckliches Verhängniß, dieser Ungehorsam sollte
an seinen guten Eltern, an seinen unschuldigen Geschwistern
bestraft werden! -- An Jenny hat Eris gerächt, daß sie ihren
Emil nicht wieder sah; an Frida, daß Er sie vertrauensvoll
bis wenige Stunden vor ihrem Tode einen Mörder und Brand
stifter lieben ließ -- daß Er es ihr nicht einmal ahnen ließ,
wen sie in ihrem Gatten umarmte. Er, der unergründliche
- 120 -
Alte, der Mann mit der Mantis Religiosa, hat jene Ratte, mit
der ihr Gatte den Italiener Lombardi getäuscht, in's wunderliebe
Häuschen über ihr unschuldiges Kind gesandt, und ihn
selbst -- das liegt nicht mehr sehr weit ab, was er mit ihm beginnt. --
Ehe wir die unglückliche Familie in New-Orleans ankom
men lassen, legen wir dem Leser einige nicht uninteressante
Dinge aus der Vergangenheit der Farm bei Covington vor:
Diese Farm, unter den Einwohnern Covington's allgemein
unter dem Namen „Cookeroaches' Farm“ bekannt, war, ehe
der Prinz von Würtemberg die gräfliche Familie hierher brachte,
zwei Jahre lang von drei gar seltsam aussehenden Menschen
bewohnt, an die sie der Prinz verpachtet hatte. Die
Nachbarschaft zerbrach sich fast die Köpfe, wer diese drei Menschen
eigentlich wären, woher sie kämen und von was sie lebten;
denn man sah sie nicht die geringsten Vorbereitungen treffen,
die Farm, die sie gepachtet, in Angriff zu nehmen. Sie blieb
während der zwei Jahre eben so wüste liegen, als wie sie dieselbe betreten hatten.
Die in der Umgebung und besonders in Covington leben
den Amerikaner nahmen, großes Interesse an den seltsamen
Bewohnern des übrigens nicht so übel aussehenden Farmer
Häuschens. Aber Keiner konnte nur das Geringste von ihnen
erfahren, aus dem ganz einfachen Grunde, weil man ihre Sprache nicht
verstand. Eben so wenig verstanden sie die neugierigen
Besucher. Da nahm man denn Deutsche, Franzosen, Engländer, Spanier,
Italiäner, kurz alle nur erdenklichen Nationalitäten mit hinaus auf
die Farm,um als Dolmetscher zu dienen. Aber Keinem war es gelungen, die Sprache dieser seltsamen
Menschen zu verstehen oder auch nur zu muthmaßen. Kam
der Prinz von Würtemberg nach Covington, was nicht selten geschah, so
wurde er von hundert und hundert Fragern bestürmt,
ja, es kam so weit, daß ihm die bekannten Pompano-Rowdies
in Covington sogar drohten, seine Farm niederzubrennen und
die Inassen derselben zu verjagen. Der Prinz aber versicherte
sie, daß er seine Miethsleute selbst nicht verstände, auch nicht
nur im Entferntesten wisse, wer sie wären und woher sie kämen.
Der Prinz aber wußte es sehr gut, auch wäre es nie herausgekommen, wenn
nicht ein Landsmann von ihm -- der bereits
das vierzigste Jahr erreicht hatte -- der ganzen Geschichte auf
den Grund gekommen wäre. Schon gleich bei seinem ersten
Besuche bei den geheimnißvollen Infassen besagter Farm hatte;
- 121 -
er in denselben seine eigenen Landsleute, nemlich „Schwaben“ erkannt.
Da der pfiffige Entdecker superb englisch sprach, so übersetzte er
seine Landsleute sogleich in „Cookeroaches,“ was unter
den Bewohnern Covingtons eine fürchterliche Sensation erregte;
denn noch nie hatte man früher von einer solchen Nation
gehört. In Haufen zog man vor die Farm, um die neuentdeckte
Nation kennen zu lernen und ihr die allgemeine Bewunderung
nicht zu versagen. Dieser ewige Besuch wurde aber den Cookeroaches
endlich so überdrüßig, daß sie sich plötzlich während
einer mondhellen Nacht aus dem Staube machten und sich nie
wieder erblicken ließen. -- Mit heiterem Lächeln verschmerzte
der Prinz von Württemberg den nun verlorenen Pachtzins, als
ihm ein bewährter Freund in Covington von dem Verschwinden
seiner Pächter nach New-Orleans berichtete und da er um die
selbe Zeit die gräfliche Familie in der Washington Avenue in so
traurigen Verhältnissen auffand, so war es ihm sogar sehr lieb,
daß jene undankbaren Schlingel seine Farm verlassen hatten,
die er nun ohne alle Schwierigkeiten und ohne einmal einge
gangenen Verpflichtungen untreu zu werden, der gräflichen Fasmilie
übermachen konnte. -- Mit der Uebersiedlung der gräflichen
Familie nach der Farm bei Covington hatte. Alles in kurzer
Zeit schon ein ganz anderes Aussehen bekommen. Die Sonne
Louisiana's verwüstet eben so schnell, als sie erzeugt. Ueber
soust fruchtbares Land, ruht die Thätigkeit seiner Bebauer nur
kurze Zeit, zieht sich ein üppiger Wald von Schlingpflanzen und
Unkraut aller Art und wo früher Swampland war, das zeigen
die hervorschießenden Palmettos gleich wieder an. Diese Säbelhelden
fürchten sich sogar vor dem Pfluge nicht, den sie oft
bei einer einzigen Tour so schartig machen, daß er bei der zweiten
schon wieder geschliffen werden muß. Diese Mißstände
mußten natürlich den neuen Besitzern der Farm gleich in die
Augen stechen und sie sahen nur zu gut ein, daß man hier eine
zweite Urbarmachung vornehmen müsse. Mit Hülfe von einigen
Negern, die ihnen der Prinz von Württemberg während der
ersten zwei Monate zur Verfügung stellte, kam man bald so
weit, daß wenigstens ein hübsches Stück Gartenland zum Heranziehen
von Küchengewächsen in Stand gesetzt werden konnte.
Denn nur auf diese wollte man vorläufig seine Mühe verwenden,
da sich im Kleinen mit Cerealien durchaus nichts machen
ließ. Hugo schwärmte zwar hie und da fur eine Zuckerplantage,
wenn er aber die umliegenden Plantagen besuchte und deren
umfangreiche Oekonomie sah, wurde er gar bald eines Besseren
- 122 -
belehrt. Der alte Graf, Hugo, Melanie, ja sogar die kleine
Amelie waren gleichthätig auf dem Felde ihres neuen Wirkens
und sie wünschten nur, daß Constanze und Gertrude auch gegenwärtig wären,
um so ihre Kräfte verdoppeln zu können. Sie fühlten sich ganz wohl, als sie dem
letzten Neger, den sie auf das ewige Zureden des Prinzen bisher noch behalten hatten,
seinen Abschied geben konnten. Die Gemüse wurden theils nach
Covington verkauft, theils gelangten sie auf indirektem Wege
auf den Markt nach New-Orleans. Aber nicht nur Gemüse
zog man jetzt auf der Cookeroaches Farm, sondern auch Hühner,
Turkeys und persische Enten. Auch einige Perlhühner hatte
sich Hugo in Covington zu verschassen gewußt, doch diese waren
mehr zum Zeitvertreib der kleinen Amelie hier, die sich besonders
gut mit denselben vertragen konnte. Die Geschäftsordnung
war kurz folgende: Sommer wie Winter punkt fünf Uhr aus
dem Bett -- Ländliche Toilette bis viertel über fünf Uhr. --
Der alte Graf frisiert Amelie und zieht ihr (im Sommer jeden
Tag und im Winter einen über den andern Tag) ein frisches
Hemdchen an, er visitiert ihre Schuhe und fehlt da ein Band, so
zieht er einNeues durch und wenn gerade keines da ist so nimmt
er's aus seinen eigenen Schuhen - während dessen hat Melanie Feuer
angelegt und Hugo den Kaffee gemahlen. Die
Yankee Clock, die auf dem Mantel des Kamines steht, schlägt
jetzt halb sechs Uhr. Die kleine Amelie schreit: Breakfast ready!
Nun wird gefrühstückt. Ein Viertel vor sechs Uhr: Hühnerfütterung
durch den alten Grafen, Melane melkt die Kuh,
Amelie melkt die Ziege, Hugo trägt die Gartengeräthschaften
herbei. Sechs Uhr: Marsch, an die Arbeit! Diese dauert vier
Stunden unausgesetzt; dann geht Hugo bei Seite und bläst
in ein Kuhhorn: das bedeutet den Lunch; natürlich einen kalten.
Melanie verläßt jetzt die Gartenarbeit und trifft Anstalten
für den Mittagtisch, der um zwei Uhr serviert wird. Drei Uhr!
Huhnerfütterung u.s.w. Dann wieder zur Arbeit. Um vier
Uhr verläßt Amelie ihre Arbeit im Garten und geht in die Küche, um das
Souper vorzubereiten. Die Yankee Glock schlägt
sechs Uhr. Die kleine Amelie schreit: Souper ready! -- Hugo
bringt die Geräthschaften unter Dach und setzt sich dann mit
nen Eltern zum Souper. Sieben Uhr: Man erhebt sich vom
Abendtiche. Der alte Graf zieht ein Reisig aus einem Erbsen
er Bohnenbeet und treibt das Geflügel in seine Nester. Fehlt
- nes, was er genau wissen muß, da ihm die Controlle über %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%
- 123 -
das Geflügel zugetheilt ist, so wird so lange gesucht, bis es wieder
eingefangen ist. Ist das eierlegende Subjekt nicht wiedergefunden, so
erhält der alte Grafzur Strafe den nächsten
Morgen statt zwei Tassen Kaffee nur Eine. Diese Strafe hat
sich der Graf selbst auferlegt und sie wird eben so strenge an
Melanie, Hugo und Amelie vollzogen, wenn sie bei den ihnen
zugetheilten Verrichtungen gefehlt haben. Halb acht Uhr:
Gemeinnützige Vorlesung aus dem „Southern Cultivator“ und
dem „Soil of the South.“ Acht Uhr, freie Unterhaltung u.s.w.
Neun Uhr (im Winter) und zehn Uhr (zur Sommerszeit):
Die Kinder in's Bett! -- Vater und Mutter bleiben so lange
auf, wie es ihnen gefällig ist. Dies ist das einzige Vorrecht, das
sie sich vor ihren Kindern eingeräumt haben.- Diese Geschäftsordnung
wird nur gestört, wenn Hugo oder der Graf
mit Geflügel oder Gemüse Geschäfte machen, eines von ihnen
krank werden sollte u.a.m. -- In diese Einförmigkeit des
Farmerlebens brachte das Fortunatus-Genie des Prinzen Paul
von Würtemberg plötzlich eine sehr große Aufregung, die, unge
achtet aus ihr bedeutende Unregelmäßigkeiten und Abschweifungen
von der einmal festgesetzten Geschäftsordnung entstanden,
einen sehr wohlthätigen Einfluß auf das Seelenleben der gräflichen
Familie ausübte. Es war nämlich um die Zeit, als es
der Prinz von Würtemberg für geeignet fand, den Aufenthalt
Jenng's und Frida's nicht mehr geheim zu halten und sogar
schon Vorbereitungen zu treffen, Jenny in die Arme ihrer
Schwiegereltern zu führen. In Melanie wurde bei dieser Gelegenheit
zwar der Gedanke an den Verlust Emil’s wieder mehr
als je rege gemacht, aber sie tröstete sich im Stillen damit, statt
des verlorenen Sohnes die wiedergefundene Schwiegertochter
zu umarmen. Mit der größten Ungeduld sah man dem Tage
entgegen, an dem Jenny und Frida in Begleitung des Prinzen
und des Grafen Lajos -- den kennen zu lernen besonders Melanie
sehr begierig war -- ferner Lady Evans Stewart mit ihrer Tochter
Dudley über die Lake kommen würden, um wenigstens auf einige Tage
Zeugen ihres ländlichen Glückes und ihrer stillen Zufriedenheit zu sein.
Zu diesem Behufe hatte man die zwei größten Stuben des Farmerhäuschens,
die bisher nur zur Aufbewahrung von Gartenfrüchten, Sämereien, Geräthschaften
u.s.w. gedient hatten, in die bestmöglichste Ordre gebracht. Da nicht
hinreichend Betten vorhanden waren, um all die erwarteten Gäste aufzunehmen,
so berief Melanie auf Sonntag Nachmittag den Familienrath, in dem ihr Almendement,
- 124 -
den hohen Gästen bei ihrer Ankunft sämmtliche bisher
benützten Betten abzutreten, aufs Zuvorkommendste und
Wärmste unterstützt wurde. Das war ein Scheuern und Fegen, ein
Nähen und sogar ein Flicken, ein Rücken und Schieben, ein
Pumpsen und Hopfen, daß es eine wahre Luft war,
dies. Alles mit anzusehen. Sogar die Hähne schienen förmlich
darauf versessen zu sein, die tyrannischesten Maßregeln zu ergreifen,
daß es den erwarteten Gästen nicht an Eiern gebräche.
Die armen Hühner wurden zuletzt ganz federlos vor lauter
Rupfen und Zupfen, ja, ein ganzes Dutzend nahm sich vor,
gerade kein Ei zu legen. Dagegen legten die Perlhühner immer
zu, was man ihnen recht gerne geschenkt hätte. -- Für ihre
hechtgraue Ziege hatte die kleine Amelie ein prächtiges rothseidenes
Halsband vorbereitet. Ja, sie hatte sogar den unverzeihlichen Einfall,
die persischen Enten in eine eigens ganz blank
gescheuerte Kiste zu sperren, damit sie sich die Füße nicht schmutzig
machten und dadurch den hohen Gästen Aergerniß gäben. Hugo
hatte sein Schwesterchen übrigens gleich belehrt, daß so ein
Einsperren der persischen Enten durchaus nicht anginge, da
dieselben nothwendigerweise sich schmutzig machen müßten, wenn
man ihr Gedeihen wünschte. --
Da kam endlich der ersehnte Tag, an dem das Wiederse
hen gefeiert werden sollte. Aber, Adieu -- von Freud' kann
hier keine Rede sein und wo sie auch einmal einkehrt, da kommt
gewiß gleich hinterdrein der Pferdefuß gestolpert. Das macht
aber Nichts ; denn nur dumme Menschen können sich immer freuen.
Ein, zwei, drei Tage verstrichen-da kamen endlich--
die ersehnten Gäste? O, nein: es waren nur Constanze und
Gertrude, die die Nachricht von der Hiramsnacht überbrachten,
Gute Nacht, Adieu, lieb' Farmerhäuschen, wir sehen Dich
nicht wieder. Deine Bewohner kehren nicht mehr zurück, wenn sie einmal den Boden von
New-Orleans betreten haben; denn das gelbe Fieber hat sie herübergelockt. --
In New-Orleans angekommen, fanden die betrübten Eltern
gar bald, daß Constanze und Gertrude, die Hiramsnacht ausgenommen -- deren Schrecknissen
man auch nicht gleich nachforschen konnte -- Alles der Wahrheit gemäß berichtet hatten.
„Siehst Du, Melanie,“ sagte der Graf bei dieser Gelegen
heit zu seiner Gattin, „daß sie es doch nicht sind.“
- 125 -
„Dem Himmel sei's gedankt,“ erwiederte dann die
unglückliche Frau, „daß Du Recht gehabt hast.“
Wie es die Kinder erzählt, fand man das wunderliebe
Häuschen niedergebrannt, die Residence der Lady Stewart verschlossen, von dem
Grafen Lajos und dem Prinzen von Würtemberg keine Spur. Um letztern auszukundschaften,
waren Constanze und Gertrude mit ihren Eltern und Geschwistern nach
der Bayou Road gefahren. Vor der Residence des Prinzen angelangt, sahen sie auch schon
gleich die alte lange Negerin Diana Robert an die geschloffene Gartenthüre eilen. Aber
diesmal war sie nicht allein, wie damals, wo Gertrude und
Constanze zuerst nach dem Prinzen forschten. In einen schwarzen breiten Shawl
eingewickelt hielt sie etwas Lebendiges auf den dürren Armen, das bald größer, bald
kleiner zu werden schien. Zu sehen, was es ist, war unmöglich. Als die gräfliche Familie
unverrichteter Sache wieder von der Bayou Road schied, begegnete sie einem Stadtleichenwagen,
dem keine einzige Seele nachfolgte. Drinnen lagen die ersten Opfer des gelben
Fiebers -- landfremde Menschen, ohne Heerd und Heimath.
„Das fängt nicht schlecht an das gelbe Fieber,“ stotterte
ein vorübergehender Trunkenbold und wäre fast unter die Räder des Leichenwagens gerathen.
In vino veritas. --
Hier wartete man nun, bis der Omnibus von der Bayou Bridge vorüberkäme.
Der alte Grafund Melanie gingen langsam voraus.
Neben ihnen, zu beiden Seiten, Gertrude und Amelie.
Hugo war mit seiner Schwester Constanze an der Kreuz
ung der beiden Straßen stehen geblieben, um den Omnibus zu erspähen.
„Ich wollte, wir wären schon wieder auf unserer Farm,“
sagte Hugo zur Schwester, „es kommt mir ein förmliches Grauen an, wenn ich nur daran
denke, daß wir die Nacht über wahrscheinlich noch in New-Orleans bleiben mussten. Zudem
soll ja auch das gelbe Fieber ausgebrochen sein, wie ich vorhin hörte.“
Constanze schwieg, sah aber mit einem unbeschreiblich
wehmüthigen Blick auf ihren Bruder. Dabei stahl sich eine Thräne durch das Dunkel ihrer langen Wimpern.
„Du weinst doch nicht, Constanze?“ frug Hugo seine Schwester.
„Ich habe wohl Ursache zu weinen, mein guter Bruder.“
- 126 -
„Die haben wir Alle, Constanze --“
„Nicht das, Hugo!“
„Aber, weßhalb wolltest Du denn eben weinen?“
„Ich habe eine Ahnung, Bruder, die ich nicht los werden
kann. Sie hat mich verfolgt, seit wir Covington verließen.“
„Laß das, Constanze, und bilde Dir nichts ein -- wir sind
so unglücklich genug; es ist ganz unnöthig, daß wir uns noch von unheilvollen Ahnungen quälen lassen sollen.“
„Du sagtest ja vorhin selbst, daß es Dir bei dem Gedanken, noch eine Nacht
in New-Orleans bleiben zu müssen, so unheimlich wird.“
„Ja, ja -- das hab' ich gesagt, aber laß' es jetzt nur gut
sein, Constanze, und denke an was Anderes -“
„Hugo, Du wirst sehen, daß mich meine Ahnung nicht
umsonst quält -- -- -- ich habe es auch damals geahnt, noch ehe wir zu Euch auf die Farm
kamen und die Schreckensbotschaft überbrachten. -- --“
„Aber, meine gute Schwester, nehme es mir nicht übel,
wenn ich ein bischen über Dich ärgerlich werde -- -- Du thust gerade, als ob es sein müßte,
daß wir zu Grunde gingen. Aber, was hast Du denn wieder für eine Ahnung?“
„Hugo, werde nicht böse, aber Du wirst sehen,
wir kommen nicht mehr hinüber nach unserer Farm -- --“
„Gut, dann bleiben wir hier,“ sagte Hugo und that, als
ob er seine Schwester nicht verstanden hätte. --
Ein abscheuliches Gelächter unterbrach die guten
Geschwister in ihrem so traurigen Gespräche.
Als sie nach der Gegend hin sahen, woher das Gelächter
erscholl, sagte Hugo ärgerlich:
„Was das lange Ding zu lachen hat, 's thut gerade wie verrückt.“
Diana Robert stand nemlich vor der Umzäunung der Residence des
Prinzen von Würtemberg, die man gerade noch von der Querstraße aus überblicken konnte, und
schien einen Anschlag zu lesen, wobei sie ein wiederholtes Gelächter aufschlug.
Sie verschwand jetzt wieder durch die Gartenthüre.
„Einen Augenblick, Constanze -- der Omnibus kommt
doch nicht gleich -- -- ich will einmal den Anschlag lesen und
sehen, was es ist, worüber die verrückte Person so gelacht hat -- --
„Nein, bleib' Bruder -- was mag's sein?“
„Ich bin gleich wieder bei Dir, Constanze -- --“
- 127 -
Hugo lief, was er konnte, nach der eben bezeichneten Stelle hin. Er las:
D I E D
on Friday night, the 7th instant, at half past twelve o'clock
OF YELLOW FEVER:
Mr. Ernest Count of R. and his Consort
Mrs. Melanie de Nesebek
natives of Germany.
The membres of the family are invited to attend the funeral, this
afternoon, at 3 o'clock, from the
ATCHAFALAYA BANK
opposite to Bank's Arcade, Magazine Street.
* * *
Hugo glaubte zu träumen. Die rechte Hand hatte er
krampfhaft auf seine Stirne gepreßt, mit der linken hielt er sich
am Gartenspalier fest; denn es wurde ihm ganz schwindlig.
Seine Augen suchten auf dem Boden herum, statt daß sie nochmals prüfend aufgesehen
hätten. War es wirklich ein Traum? Aefften ihn die Dämonen seiner eigenen Phantasie? Waren
diese Worte, die er eben gelesen, ein Abglanz der von seiner Schwester gehegten Ahnung?
Prüfe noch einmal, Hugo-faffe Muth, vielleicht hast Du unrichtig gelesen! --
Hugo läßt jetzt seine Hand von dem Spaliere und rennt
weg, ohne noch einmal aufgesehen zu haben.
„Täuschung!“ will er sich weiß machen. Aber die Täuschung hätte er
ja sehr leicht erkennen können, wenn er sich die Mühe gegeben, die Todesanzeige noch einmal zu übergehen.
Warum hat er's nicht gethan? --
„Weßhalb bist Du so lange gestanden, Bruder ? begeg
nete ihm Constanze: „Was war auf dem Zettel? -- -- Aber,
Du siehst so verstört aus, Bruder -- Hugo, mein Hugo, was hast Du denn?“ --
„Nichts, Constanze -- -- ein wenig unwohl -- -- wenn
nur der Omnibus bald käme -- --“
„Weiß nicht, was das ist, Bruder, so lange ist er noch nie
weggeblieben -- sieh’ Vater und Mutter werden auch schon ganz ungeduldig-“
Der alte Graf, Melanie, Gertrude und Amelie waren eben angekommen.
„Ist Hugo krank?“ frug Melanie im besorgten Tone und
- 128 -
sah dabei Constanzen an. Dann als diese zu zögern schien, wandt' sie sich an Hugo:
„Fehlt Dir etwas, Hugo! Du wirst uns doch nicht krank
werden? -- -- Sprich, was hast Du denn?“
Mit den nemlichen Fragen wurde Hugo vom alten Grafen und seinen
Geschwistern bestürmt. Hugo sagte ja -- er sagte nein -- dann meinte er wieder, es würde wohl bald vorübergehen.
„Gottlob, da kommt endlich der Omnibus!“ rief die kleine Amelie plötzlich
aus: „Soll ich voraus laufen, Mutter, und dem Mann sagen, daß er hier halten soll?“
„Das ist nicht nöthig, mein Kind,“ entgegnete Melanie,
der Omnibus muß ohne dem hier vorüber.“
Der Bayou Bridge Omnibus hatte sich diesmal etwas länger als gewöhnlich
auf seinem Stoppingplace ausgeruht, da er immer noch Passagiere erwartete. Nun dauerte es ihm aber
zu lang und er fuhr leer ab.
„Mutter, O wie gescheidt -- es sitzt Niemand drin -- jetzt
haben wir doch Alle ordentlich Platz -- -- nicht wahr, der Hugo darf seine Füße d'rauf legen,
weil er nicht wohl ist?“ plauderte die kleine Amelie, die gleich die Erste am Schlage war,
aber doch mit dem Einsteigen warten mußte, da sie nicht allein die schwere Thure zurückhalten konnte. --
Sie waren kaum zwei Squares gefahren, als sich die Bedenklichkeiten, die
sich allerseits wegen des Unwohlseins Hugo's erhoben hatten, in bedeutendem Grade steigerten. Das
unaufhörliche Rütteln und Stoßen des Omnibus verursachten seinem Kopfe solche Schmerzen, daß er
mehrmals laute Seufzer ausstieß und ängstlich den Wunsch ausdrückte, recht bald zu
Hause zu sein. Der Omnibus fuhr auch zu langsam und es war gerade, als ob es der Treiber diesen
Tag darauf abgesehen hätte, die Launen seiner trägen Maulthiere zu begünstigen. --
Gertrude, die an der linken Seite Hugo's jaß, legte mehrmals ihr kleines Händchen auf die Stirte
ihres Bruders und sah ihm dabei bekummert in's Gesicht. Constanze saß ihrem Bruder zur Rechten und
ließ seine Hände nicht aus den ihrigen. Sie grübelte uber ihre Ahnungen nach und dachte an das
unheimliche Gelächter der langen Negerin. Die kleine Amelie hatte der alte Graf zu sich auf den
Schooß genommen. Melanie neigte sich oft gegen Hugo vor und sah dann wieder nach denklich auf ihren
Gatten. Gesprochen wurde sehr wenig, aber desto mehr gedacht, überlegt und vorbereitet. -- So saßen die
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deutschen Atriden, bis man in Royalstreet einlenkte. Hier kam
der Omnibus durch vorbeirasselnde Feuerspritzen und einen
Trupp quer über die Straße laufender Feuerleute so ins Gedränge,
daß er auf einige Augenblicke stille stehen mußte. Aber
mit dieser Verzögerung schien es noch nicht abgethan. Die
Maulthiere, durch das laute Schreien, Stoßen und Drängen
scheu gemacht, sprangen seitab auf das Trottoir über und
zogen mit Gewalt an dem Omnibus, der dadurch mit seinen
Rädern schief in die tiefe Straßenrinne zu stehen kam. Melanie,
die das Durchgehen der Maulthiere befurchtete, was übrigens
nicht so leicht möglich war, da die nunmehrige Lage des Omnibus
einen starken Widerstand bot, sprang entschlossen auf das
Trottoir und indem sie zuerst dem alten Grafen, der ganz vorne
saß, herausgeholfen hatte, trat sie neuerdings vor den Schlag
und riß in ihrer Angst. Eines nach dem Andern förmlich heraus.
Hugo hatte die allgemeine Bestürzung und die Erschutterung,
die das heftige Anfahren hervorbrachte, auf Augenblicke sein
Unwohlsein vergessen lassen und er stand nun zwischen Constanze und Gertrude, die ihn bei den Händen faßten,
„Unsere Wohnung muß von hier nicht mehr so weit ab
sein,“ bemerkte Melanie und überflog mit. Einem Blicke alle
ihre Kinder, um sich zu überzeugen, ob sie auch. Alle bei einander wären,
„Ich weiß nicht, Melanie,“ entgegnete der Graf, der sich
überhaupt wenig zu orientieren verstand.
„Ich weiß, Mutter,“ rief die kleine Amelie dazwischen :
„dort -- die nächste Ecke ist Orleansstreet -- da wohnen wir
ja!“ Amelie wußte deshalb so genau Bescheid zu geben, weil
sie sich den großen Laden gemerkt hatte, in dessen Schaufenster
so allerliebste Puppen und andere hübsche Spielwaaren ausgestellt waren.
„So kommt, Kinder -- kommt, laßt uns eilen,“ sagte Melanie und
wollte sich eben mit ihrem Gatten durch einen Trupp
wahrhaft athletisch gebauter Feuerleute, die eben nach der
Brandstätte hin turnten, durchdrängen, als sie durch ein lautes
„stop, stop!“ zum weitern Verbleiben genöthigt wurde. Dieser Mahnruf ertönte
von den schwulstigen Lippen des irischen Treibers, der es, gemäß einer Verbindlichkeiten
gegen die Inhaber der Bayou Bridge Omnibus Linie, durchaus nicht dulden konnte, daß
sich seine Passagiere entfernten, ohne vorher ihr Fahrgeld entrichtet zu haben.
„Mein Gott, wir haben es vergessen, den Mann zu
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bezahlen,“ sagte Melanie bestürzt zu ihrem Gatten und griff in
dessen Westentasche. Der Graf, ganz verwirrt über diese Vergessenheit, fuhr zu
gleicher Zeit in seine Tasche, so daß sich Beider Hände gegenseitig hinderten.
Das Portmonnaie fiel zu Boden und als man sich bücken wollte, wurde man von dem
Gedränge, das sich zu der nicht weit entfernten Brandstätte
hinzog, ziemlich unsanft weggestoßen. Man verlor den Platz,
wo das Portmonnaie fiel, der Omnibustreiber, der schon gleich
Anfangs ganz ärgerlich geworden war, fing jetzt an zu fluchen
und der alte Graf, Melanie, die Kinder, in der vollsten Ver
wirrung und durch das unablässige Gedränge außer allen
Stand gesetzt, das Verlorene zu suchen, waren jetzt nur darauf
bestrebt, sich Einander nicht zu verlieren. So gelangten sie,
ohne daß sie es wollten, von der Stelle weg und sahen sich plötzlich dem Feuer -- ihrer Wohnung gegenüber. --
Amelie sah, schrie zuerst: „ Mutter, Vater, bei uns
brennt's!“ -- -- Zum Durchkommen war keine Möglichkeit, denn Feuerspritzen und Mannschaften versperrten
die Straßen. Zudem hätte es ja auch nichts mehr genutzt.
Die Familie hatte sich für die wenigen Tage ihres Verbleibens in
New-Orleans -- wie sie es Willens war -- nur ein
einfaches Privat Boardinghaus gewählt, um unnöthige Kosten
zu ersparen. In diesem war während ihrer Abwesenheit Feuer
ausgebrochen und nur mit Gefahr ihres Lebens konnten die
übrigen Kostleute ihre Habseligkeiten dem Heißhunger des wuthenden Elementes entreißen.
Um das Zimmer, das die gräfliche Familie bewohnte, hatte sich natürlich. Niemand bekümmert.
Bei einer solchen Gefahr rettet ein Jeder zuerst das Seinige ;
nur Diebe sind auch um fremdes Eigenthum besorgt. --
Doch hier -- seht, wie Melanie die Hände ringt! Hört, was sie für
einen Schrei ausstößt! Ist es Freude oder Schmerz, was sich in diesem Schrei Kund gibt!. So
merkwurdig war dieser Schrei, daß Alle, die ihn verrahmen, zu dieser Frage gezwungen wurden.
„Rette, Rette meinen Emil!“ ruft sie dann nach dem in
Flammen stehenden Hause hinüber und der alte Graf und die
Kinder. Alle rufen es nach. Selbst Hugo, der sich alle Mühe
gibt, noch aufrecht stehen zu können. Ein junger Feuermann,
in der dunkelblauen Uniform der Compagnie American No.2
war eben mit einem großen Bilde aus einem schon ganz von
Flammen umgebenen Fenster gestiegen und hielt dasselbe hoch
mit den Händen hinaus, ungeachtet man ihm von unten
- 131 -
zuschrie, sich zu eilen, daß er von der Leiter herabkomme, auf deren oberster Sprosse er noch
immer stand. Aber jeder Warnungsruf ertönte umsonst. Der junge Feuermann sah nur auf
das Bild und schien der Wuth des heranstürmenden Flammenwirbels zu spotten. Bat, beschwor
man ihn bisher, sich zu eilen, so fluchte jetzt die ganze Mannschaft, ob der Tollkühnheit
ihres Gefährten. Ein Theil der Mauer, an die die Leiter gezehnt war, neigte sich nemlich
schon nach Vorne. Wer wollte, wer konnte jetzt noch die Leiter ersteigen, um den Starrkopf
mit Gewalt herabzuholen?
„Rette meinen Emil -- --“ dann plötzlich, als Melanie
die furchtbare Todesgefahr bemerkte, in der sich der junge Mann defand, brach sie ab und schrie noch lauter:
„Rette, Rette Dich!“ -- --
Ein dumpfer Schrei des Entsetzens wogte jetzt durch die
buntgedrängten Haufen -- -- die Mannschaft drang auf die Seite, Alles stob auseinander,
drängte sich aber gleich darauf wieder zusammen -- um die Trümmer der eingestürzten Mauer.
Der junge Feuermann mit seinem Bilde lag tief unten --
über ihm glimmende Steinhaufen und prasselnde Flammen.
Die letzten Gedanken Albert's waren: „Mein Emil, Du
warst bei Deiner Jenny, ohne daß Du es wußtest.“ -- --
So mußte Melanie das Bild ihres einzig geliebten Sohnes
von ihrer Farm mit nach New-Orleans nehmen, um auch dies zu verlieren. -
Was blieb jetzt der gräflichen Familie noch Anderes übrig,
als sich so schnell als möglich wieder zurück auf ihre Farm zu
begeben? Aber der Zustand Hugo's erlaubte das nicht.
Eine theure Wohnung zu nehmen -- wie konnte man das
wagen, wenn man nicht Schulden machen wollte? Und hatte man nicht das wenige Geld,
über das man noch verfügen konnte, zur Bestreitung der ärztlichen Kosten nöthig; denn Hugo
war sehr bedenklich erkrankt. Man sah es jetzt wohl, daß er
das gelbe Fieber hatte. So hatte der Graf die alte, verwetterte Barracke zum Aufenthalte
seiner Familie gewählt, da man den sehr geringen Betrag der Miethe im Nothfalle noch zu
erschwingen hoffte.
Aber wie es gekommen, wissen wir bereits. --
Hugo hat weder feinen Eltern, noch Einer seiner Schwestern
je etwas von der unheilverkundenden Todesanzeige gesagt. Er nahm dies schaurige Bild
mit in's Grab. Dieses Bild hat sich mit ihm niedergelegt, äffte ihn in der grausamsten
- 132 -
Fieberhitze und hat ihm die Augen zum ewigen Schlummer zugedrückt.
Hugo, der alte Graf und Suschen waren die Ersten, die
sich niederlegten und die Ersten, die gestorben.
Wohl streckten sie im Geiste ihre Arme nach der Farm bei
Covington aus, wo sie zwar nicht glücklich, aber doch vergnügt gelebt hatten. Man
schrieb dorthin -- aber vergebens. Seit der Prinz von Würtemberg auf so mysteriöse Weise aus
New-Orleans verschwunden war, wem gehörte da die Farm? --
Wieder beginnen die Dämonen ihren Rundtanz um das Todtenlager
der Atriden und wir sind jetzt wieder da, wo wir am Schlusse des zweiten Capitels stehen geblieben sind. --
____________________
Viertes Capitel.
Das Wiedersehen.
Man wird sich noch erinnern, daß in dem nemlichen Augenblicke, als Lorchen
den Eimer fallen ließ und dadurch Melanie und Eonstanze aus dem Fieberschlafe weckte, rasch zwei
Männer eingetreten waren, von denen der Eine dem Andern zurief:
„Schließen Sie die Thüre, Abbé -- hier sind wir geborgen!“
Lorchen zitterte am ganzen Körper, als sie die Eindringlinge
sich so lärmendgeber den sah. Aber sie ist nicht im Stande,
auch nur ein Wort hervorzubringen. Mit beiden Händen hält sie ihren Kopf zusammen, als
fürchte sie, die Fiebergluth bräche hervor und wollte sie in Brand setzen. Sie hat einen jener
furchtbaren Anfälle, von denen sich sogar der Arzt mit Schaudern wendet, weil er weiß, daß
sie in wenigen Stunden schon den Tod herbeiführen.
„Da sind wir in das rechte Loch gekommen, Abbé -- da
sehen Sie hin, da, hier -- dort! -- -- Da -- reißen Sie nicht so dumm Ihre Augen auf -- was
wird's sein? Die Pest! -- Donner und Doria, wenn uns das Policegeschmeiß nicht an der Ferse hinge --“
„Lajos, machen Sie, daß wir wieder da herauskommen,
lieber will ich -- -- --“
„Wollen Sie bleiben, Abbé-- ich drücke Ihnen den Adamsknirps ab -- --“
- 133 -
„Lassen Sie, Lajos -- Sie erdrosseln mich -- --“
„So -- -- marsch, da hinein!“
Der Ungar hatte den Abbé Dubreuil bei diesen Worten
in den hinterm Raum der Barracke geschoben, wo die Leichen
des alten Grafen, Hugo's und Suschen's lagen und wo es --
da Constanze das Licht wieder herausgenommen hat, ganz finster ist. --
Und hier ist eine Erklärung, bevor wir weiter fahren, nöthig,
damit wir wissen, wie die Beiden hierhergekommen; denn
wir haben den Ungarn seit der Hiramsnacht nicht wieder gesehen und den Abbé
Dubreuil glaubten wir über alle Berge:
Noch in der nemlichen Nacht, als Hiram jene furchtbare
Tragödie in der Residence der Lady Stewart zum Abschlusse brachte, eilte der Ungar, ohne
Kopfbedeckung und uber und über mit Blut bespritzt, Tchoupitoulas Straße entlang nach Delord,
von wo aus er sich dem Mississippi-Ufer zuwandte. Ein Wunder war es, daß ihn Niemand
aufhielt, denn das blutige Gesicht, die unordentlich herabhängenden Haare, die an mehreren
Stellen zerrissene Kleidung, die Eile, mit der er seinen Marsch
bewerkstelligte - dies Alles mußte auch bei dem Unbekümmertsten den furchtbarsten Verdacht
rege machen. Als er aber an den Wharfs weiter abwärts ging, bemerkte er, daß ihm zwei
Männer folgten,die, so wie er rascher ging, auch ihre Schritte
verdoppelten. Der Ungar, dem das ewige Nachlaufen überdrüßig zu werden schien, blieb
jetzt plötzlich stehen und erwartete so seine Verfolger. Es waren zwei Privates von der Nacht
polizei, die er auch sogleich erkannte,
„Zu voreilig, meine Herren,“ warf er ihnen ziemlich barsch
entgegen: „zu gewissenhaft in Erfüllung Ihrer Pflichten --“
Die Wachtleute hatten kaum diese Worte vernommen, als
sie ihre schon in Bereitschaft gehaltenen Stäbe wieder sinken
ließen. Der Eine von ihnen, mit vollem, impertinent rothen
Haare und von kleiner und untersetzter Statur, reichte dem Ungarn sogleich die Hand und sagte:
„Die guten Zeiten sind vorüber, Herr Graf - Sie sehen,
wir müssen jetzt wieder arbeiten und gefährlich aussehenden Burschen nachlaufen.“
„Daß auch die Mühle abbrennen mußte -- gar keine Frage, Herr Graf,
Einer von den untergeordneten Clubbisten hat das Feuer angelegt,“ bemerkte der andere Wachtmann, ein
fahler, steckendürrer Mann, der sich für einen Creolen ausgab, obwohl jedes Kind wußte, daß er ein
Preuße, d.i. ein Deutscher
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war. In der Mühle nannte man ihn den langen Jacques. Er bezog, als die Mühle noch thätig war, vom
Collegium der Clubbisten den schönen Gehalt von 500 Dollars monatlich Dafür war er aber so
scharffehend wie ein Luchs, wenn es sich darum handelte die Aufmerksamkeit anderer und ordentlicher
Wachtleute von dem Treiben der Mühle abzulenken.
„Wenn ich nur wüßte, wo der Abbé steckte,“ sagte der Ungar, „ich habe
an mehreren Orten gehört, daß er dem Bischof Geld gestohlen und dann auf einem Schiffe nach Rio
geflohen sei -- -- das Ding kommt mir etwas unwahrscheinlich vor, denn die Bischöfe lassen sich
kein Geld stehlen, obwohl der Abbé pfiffig genug dazu wäre --“
„Sie sollten nicht einmal wissen, Herr Graf“ wandte der
lange Jacques ein (natürlich immer französisch), „daß der Abbé hier ist!“
„Was? Das Luder hier? Wirklich? Lügen Sie mir nichts vor, Jacques,
sonst verhafte ich Sie,“ entgegnete der Ungar,zuerst im gespannten und dann in launigem Tone.
„Gewiß, Herr Graf“ versetzte jetzt der Rothkopf, „er hat
das Gerucht selbst verbreitet, um, wie er uns sagte, vor den
Verfolgungen des Prinzen von Wurtenberg sicher zu sein.“
„Pah, der Esel!“ rief der Ungar aus, „da wurde ich mir
die Mühe nichtgeben -- er soll den Prinzen kalt machen, wenn er so bestimmt weiß, daß er
ihn verfolgt.-- Unsinnige Umständlichkeiten von dem Abbé -- -- er schadet durch solche Dummheiten
einem guten Renommé,“ setzte er ironisch hinzu. „Doch wo ist das Luder, hat sich gewiß in
irgend einen Winkel verkrochen und zehrt wie ein Murmelthier von seinem eigenen Fette? --“
„Er hat seine Wohnung bei den Hotoohs aufgeschlagen,“ entgegnete der
lange Jacques, „er ist barbarisch wild darüber, daß die Mühle niedergebrannt ist und da er jetzt immer
betrunken ist, so schwatzt er oft das dummste Zeug -- --“
„Zum Beispiel?“ frug der Ungar, der der Geschwätzigkeit
des Abbé immer gram gewesen war.
„Ah pah, Albernheiten, dummes Zeug,“ antwortete der
lange Jacques und in so verlegenem Tone, daß der Ungar mit Recht hinter dieser legeren Einsilbigkeit etwas witterte.
„Was für Dummheiten? Heraus damit, meine Herren! -- -- Ich nehm’s nicht übel,
mag's sein, was es will -- --“
Der lange Jacques schwieg, dagegen aber beantwortete
der Rothkopf die Frage des Ungarn.
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„Der Abbé,“ sagte er, „meint manchmal, natürlich nur,
wenn er betrunken ist, daß Sie, Herr Graf, den Schatz in der
Mühle gehoben und dann die ganze Wirthschaft niedergebrannt
hätten -- er ist wirklich, natürlich nur, wenn er betrunkem ist,
recht böse auf sie zu sprechen.“
„Das dumme Luder!“ versetzte der Ungar, „wenn er
mich in diesem Aufzuge sähe, würde er es gewiß bleiben lassen, mir einen solchen Coup de main zuzutrauen. -- --“
„Das mein' ich auch,“ bemerkte der kange Jacques,
„wenn Sie den Schatz der Mühle hätten, würden Sie nicht
nöthig gehabt haben, heute schon wieder einen Mord zu begehen.“
„Woraus schließen Sie das?“ frug der Ungar ganz ruhig.
„Ich denke mir so, Herr Graf, weil Sie so blutig aussehen -- --“
„Verflucht! Sehe ich denn blutig aus? -- -- -- Zur
Hölle ja -- Sie haben Recht, Jacques -- meinen verbindlichsten Dank hiefür!“ brummte
der Ungar, dem es jetzt erst eingefallen zu sein schien, daß er Blut mit sich führte.
„Nun, leben Sie wohl, meine Herren -- -- Sie sehen,
mein unappetitliches Aussehen - - aber sagen Sie mir, komm' ich unangefochten bis an Canalstreet?“
„Jawohl,“ erwiederte der Rothkopf: „lauter gute Bekannte, bis auf
Einen, den Sie leicht verscheuchen können, wenn Sie stehen bleiben, so wie Sie es eben bei uns hier gemacht haben.“
„Mühle und Garrotte!“ verabschiedete sich jetzt der Ungar. Das war nemlich
noch die Parole aus den guten alten Zeiten, wie sie das Collegium mit den Wachtleuten austauschte.
Als sich der Ungar entfernt hatte, sagte der Rothkopf zum langen Jacques: „Der hat den Schatz der Mühle gewiß
nicht.“
„Ich glaube, wir dürften dem Grafen noch ein paar Dollars schenken -- er würde
sie sicherlich nicht ausschlagen,“ meinte hierauf der lange Jaeques.
Doch unsere Feder läuft dem Ungarn nach. --
Derselbe hielt sich immer dicht am Ufer und nur, wenn er
angewiffen Posten vorbeistreichte, machte er einen kleinen Umweg. No.15, 16 und 17 waren glücklich
passiert, ohne daß er drangsaliert wurde. Am Posten No. 18 bemerkte er einen
Mann, zu dem sich bald ein zweiter gesellte, der zur Flußzeile
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niedergestiegen war und eben dieselbe wieder verlassen hatte.
Sie hatten den so hastig Dahineilenden schon von ferne bemerkt
und als er näher gekommen war, umlief der Eine den Posten,
um der verdächtigen Erscheinung den Weg abzusperren. Der
Ungar aber schien seine Leute schon erkannt zu haben, denn er
lief ihnen gerade in die Hände.
„Mühle und Garrotte!“ rief er um dumpfen Tone und
eilte unangefochten an den Wachtleuten vorüber.
„So eilig, Herr Graf? Einen abgemuckt?“ rief der eine
Wachtmann dem Davoneilenden nach-doch der Ungar hörte es nicht mehr.
Er hatte bereits No.20 glücklich passiert.
Jetzt aber kam der Posten, vor dem ihn der Rothkopf und
der lange Jacques gewarnt hatten.
Der Ungar blieb stehen.
Der Wachtmann aber lief nicht davon, wie Jene gesagt
hatten. Er griff sogar schon nach seiner Waffe, um sie im Nothfalle zu gebrauchen.
Der Ungar, anfangs entschloffen, den Wachtmann zu sich
herankommen zu lassen und ihn dann mit der Faust niederzuschlagen -- denn sein
Revolver lag auf dem blutbespritzten Teppich im Salon der Lady Stewart -- ergriff
plötzlich ein anderes Mittel.
Er streckte nemlich beide Arme in die Höhe und fing auf
eine gräuliche Weise an zu wiehern. Entsetzt kehrte der Wachtmann um und lief was er konnte,
quer über die Levee, der Stadt zu.
Vor einem gewöhnlichen Wiehern wäre der Wachtmann
nicht auf und davon gerannt. Aber vor dem Wiehern des
Ungarn mußte er sich entsetzen. Lajos hatte dasselbe bei den
Hotoohs gelernt, die dieses Mittel zur Verscheuchung ihrer
Verfolger anwenden, denen sie im nemlichen Momente ein in
Gift getauchtes Messer nachsenden. Und dies war es eigentlich,
was den Wachtmann so pfeilgeschwind davon schießen hieß. --
Der Ungar hatte mit so vollem Bewußtsein gewiehert,
hatte seine Rolle so gut einstudiert, daß er im Davoneilen förm
ich den Gelenkebug eines Pferdes sehen ließ -- sein langes
schwarzes Haar, das auf und nieder seinen Nacken peitschte,
glich ohnedem nur zu sehr einer Mähne. Schade nur, daß er
einen so tief eingewurzelten Groll auf Miß Lydia Prairiebrand
hatte -- da hätte es zuletzt doch noch ein glückliches Paar
- 137 -
abgeben können, wie in jedem Roman wenigstens. Ein es vorkommen sollte. --
Am Fuße der Canalstraße, ganz nahe bei der Algiers
Steam Ferry Landing, angelangt, hielt der Ungar einige Augenblicke inne.
Es mochte jetzt ungefähr um Mitternacht sein, wenn man
einnehmen will, daß die Camera Hiram’s nur eine Stunde gespielt und die darauf
folgende Tragödie in einer guten halben Stunde ihr Ende erreicht hat.
Der Ungar knöpfte jetzt seine Beinkleider los und stopfte
die Schöße eines Visitenfrackes zu beiden Seiten hinein. Darauf stürzte er sich in die
Fluthen und theilte sie mit kräftigen Armen. Als geübter und erfahrener Schwimmer unterließ er
das zu heftige Stampfen und Stoßen mit den Fußen, was ihn sicher gar bald ermattet, noch ehe
er das jenseitige Ufer -- Algiers erreicht hätte. Dieses Ziel zu erreichen ist keine Kleinig
keit; denn der Mississippi ist hier ausnehmend breit und rechnet man die diagonale Richtung
hinzu, in der man doch schwimmen muß, so scheint ein Hinüberschwimmen auf den ersten Augen
blick eine pure Unmöglichkeit.
Der Ungar eilte nun schnurstracks auf's wunderliebe Häuschen zu.
In Algiers selbst war. Alles wie ausgestorben. Die Grogshops waren
auf Anordnung der Behörde schon um acht Uhr geschlossen worden, da man einen Tumult der Rowdies
befürchtet hatte. Und wenn die Grogshops geschloffen sind, ist es in
Algiers bekanntlich so still wie auf einem Kirchhof.
Da die beiden Schwestern vor ihrem Weggehen nach Lady
Evans Residence der wackern Köchin befohlen hatten, aufzubleiben, bis sie zurückkamen,
so getraute sie sich auch nicht, sich niederzulegen, obwohl ihr die Augen vor lauter Schlaf
schon mehrmals zugefallen waren. Zudem wollte sie ja ihren schönen Herrn, der, wie sie glaubte,
mit Lajos und den Damen zurück kommen wurde, noch einmal zu sehen bekommen.
Man wird im Gedächtnisse behalten haben, daß Emil den Nachmittag
vor der Hiramsnacht im wunderlieben Häuschen erschienen war,
Eben wollte die wackere Köchin zum wiederholtenmale vor die Gartenthure
eilen, um nach ihrer Herrschaft auszuspähen, die, da schon längst kein Ferryboot mehr lief, nach
ihrer Meinung jedenfallsin einem schon vorher bestellten Kahne herüber
gefahren kommen müßte, als der Ungar daher kam. Urschl hob
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ihre Blendlaterne in die Höhe und leuchtete dem Ungarn in's
Gesicht. Es war nemlich jetzt sehr finster, denn der Mond war,
während der Ungar den breiten Strom durchschwamm, schlafen
gegangen und hatte auch noch einige Favorit Sternchen mit sich in's Bett genommen.
Der erste Gedanken, der beidem Anblicke des ganz durchnäßten Grafen
in der wackern Köchin auftauchte, war, daß beider Herüberfahrt der Kahn umgeschlagen sei und Alle
bis auf ihn ihren Tod in den Wellen gefunden hätten. Die wackere Köchin, die den Ungarn von jeher
gefürchtet und sich nie getraut hatte, ein Wort an ihn zu richten, außer er fragte sie,
verhielt sich auch jetzt ganz still, ungeachtet sich ihrer wegen des
Nichterscheinens derDamen eine unnennbare Angst bemächtigte.
Der Ungar schien nun keine Eile mehr zu haben. Langsamen,
fast bedächtigen Schrittes ging er durch den langen Baumgang.
Die wackere Köchin mit der Blendlaterne hinter ihm. Ihr
Herz pochte fürchterlich.
Vor dem Fronteingang des Häuschens angekommen, blieb der Ungar stehen.
Die wackere Köchin auch. Merkwürdig, sie meinte, sie
müßte stehen bleiben und dürfte nicht vorausgehen.
Der Ungar ging jetzt einige Schritte weiter.
Die wackere Köchin anch. Merkwürdiger, da sie doch
wußte, daß sie der Graf nicht mehr nöthig hatte. Denn derselbe trat gleich darauf in
den Corridor, in dem die ganze Nacht
hindurch eine Lampe, wenn auch matt, doch buntfarbig leuchtete.
Der Ungar, der natürlich nichts weniger als die wackere
Köchin im Kopfe hatte, war sehr erstaunt, als er plötzlich an
der Tapete des Treppenhauses neben einem noch einen zweiten Schatten gewahr wurde.
Rasch drehte er sich um, so rasch, daß die wackere Köchin heftig zusammenfuhr und am ganzen
Leibe zitterte. Das Aussehen des Ungarn war auch wirklich haarsträubend.
„Dumme Trolle, cheer' Dich in Dein Nest!“ rief er ärgerlich.
„Ich brauch' Dich nicht mehr.“
„Yes, Sir,“ sagte sie kleinlaut, blieb aber dabei noch immer stehen.
„Hörst Du, -- in's Nest!“ wiederholte der Ungar, sah
aber dabei auf die wackere Köchin.
- 139 -
„Yes, Sir!“ sagte sie, blieb aber dabei noch immer stehen.
„Nun, was hast Du, was willst Du denn? Du zittert ja
wie Espenlaub,“ sagte der Ungar. Er konnte sich's aber ungefähr denken, was der wackern
Köchin auf dem Herzen lag, Sie möchte nemlich wissen, wo die Damen wären und ob sie
überhaupt diese Nacht noch kämen,
„Leg' Dich in's Nest, Du hast auf Niemanden mehr zu
warten -- -- ist Jemand während meiner Abwesenheit hier gewesen?“
„Yes, Sir!“
„So? Yes, Sir? Warum hast Du mir's nicht gleich gesagt?“
„Yes, Sir!“
Die arme Köchin war wirklich so verblüfft, daß sie nicht
wußte, wie sie daran war, -
„Nun, beim Henker, wer ist denn hier gewesen?“
„Der junge Graf“ antwortete jetzt die wackere Köchin sehr kleinlaut.
„Was für ein junger Graf?“
„Der Gräfin Jenny ihr junger Graf.“
„Dummes Stück, was schwätzt Du da?“
„Ja, er war hier, der Gräfin ihr Graf Emil -- -- ist er
nicht nach der Party gekommen! -- ich hab's ihm gesagt, daß
bei Lady Stewart -- --“ sagte, frug die wackere Köchin ganz verdattert. --
Man kann sich wohl denken, daß auf eine solche Auskunft
hin der Ungar noch Näheres zu wissen begehrte. Die wackere
Köchin erzählte alles haarklein -- Die so unerwartete Ankunft
Emil’s -die Vorfälle in Lady Evans Residence -- seine eigene jetzige Lage? Ist's nicht
besser, man brennt das Nest nieder und geht zu den Hotoohs: So sprach er zu sich und stieg
in’s obere Stockwerk.
Mittlerweile hatte sich die wackere Köchin in ihre Kammer
neben der Küche begeben. Sie rückte Tisch und Stühle vor die Thüre, kroch dann ins Bett
und zog die Decke bis über den Kopf. Sie fürchtete sich nun einmal heute so. Die Arme!
Sie sollte nicht wieder das Tageslicht erblicken.
Das Erste, was nun der Ungar vornahm, war, daß er
sich wusch, frisierte und sich überhaupt ganz neu umkleidete;
dann raffte er noch alles vorräthige Geld zusammen und steckte
es bei. Es war dies kein Diebstahl, denn er wußte ja, daß
- 140 -
Jenny und Frida nicht mehr lebten und Emil doch nichts mehr holen konnte, da er den
festen Entschluß gefaßt, noch diese Nacht das wunderliebe Häuschen in Brand zu stecken.
Das Feueranlegen war bei dem Ungar zur förmlichen Manie geworden, was sich leicht daraus
erklären läßt, daß er so lange Zeit der Vorstand einer der gefährlichsten Brandstifterbanden
war. -- Eine üble, fast widerliche Gewohnheit, seinem Aerger durch Feueranlegen Luft zu machen.
Und ärgerlich war der Ungar nur, als er das wunderliebe Häuschen mit Feuer mordete. -- Die
nemliche Nacht noch, in der er dieses neue Verbrechen verübt, ruderte sich der Ungar in
demselben Kahne, den sonst immer Tiberius regiert, nach New-Orleans hinüber. Ganz unten in der
dritten Munizipalität stieg er an's Land. Seinen Kahn band er diesmal gar nicht an. Ein Zeichen,
daß er nicht mehr hinüber verlangte. Hier und drüben läuteten die Feuerglocken, als er das Ufer
verließ und der nächsten Straße zuschritt. Er sah sich gar nicht um. Desto gieriger sah ihm der
von der Feuersbrunst geröthete Himmel in eine kohlschwarzen Augen.
In seiner jetzigen Kleidung, die Cigarre im Munde und
eine hübsche Reitgerte in der linken Hand -- sah er ganz honett aus.
Zwei Wachtleute, die an der nächsten Ecke standen, fragten
ihn, wie viel Uhr es sei?
Der Ungar zog ganz höflich seine goldene Cylinderuhr und
sagte : „halb zwei Uhr voruber, Messieurs.“ Dann ging er weiter und bog in E* ein.
Von den beiden Wachtleuten aber war Einer ein Rheinpfälzer, der meinte: „Der Gentleman
geht gewiß auf den Schnepfenstrich.“ Das meinte der Andere dann auch. --
An einer sogenannten „Common Alley without blinds“
blieb der Ungar plötzlich stehen.
„Wenn der Abbé wirklich bei den Hotoohs stecken sollte, wie mir der lange
Jacques versichert, so kann ich wohl gleich ein Unterkommen finden, ohne erst lang Umstände machen zu
müssen,“ brummte er vor sich hin und schlich durch die Alley. Zur Rechten zog sich eine hohe Mauer hin,
zur Linken ein altes, aber vor Kurzem erst frisch übertünchtes, niedriges Gebäude, das genau das Ansehen
eines Warehauses hatte. Dieses Gebäude endete ungefähr in der Mitte der Alley, wo es sich mit
der hier quer überlaufenden Mauer verband. Dieser Theil der Mauer führte den Namen “blinded wall,"
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wahrscheinlich weil man nicht im Stande war, über diese mit Tausenden von Glasscherben besäte
Mauer zu steigen, demnach nicht sehen konnte, was drüben vorging. Eine Thüre, die auf
der Seite des Warehaus ähnlichen Gebäudes angebracht war, führte in zwei Gelasse mit kahlen Wänden,
worin sich auch nicht das geringste Ameublement vorfand. Diese Gelasse hatten nach Außen gar keine
Lichtöffnung, was auch ganz unnöthig gewesen wäre, da die Höhe der vor denselben stehenden Mauer
sie doch verdeckt hätte,
Wenn sich der Ungar schon etwas gewundert hatte, daß er, ohne erst das
übliche Zeichen machen zu müssen, unangefochten seinen Fuß in die genannten Gelasse setzen konnte, so
war er jetzt, wo ihm auch hier kein Ruf entgegen tönte, aufs Höchste erstaunt,
„Sonderbar,“ dachte er sich: „So frei und ungeniert kam
gewiß noch Keiner da herein.“
Stockfinster war es, sonst hätte er's sehen müssen, daß sich
dicht aus der westlichen Wand des hintern Gelasses zwei Gestalten herausarbeiteten und mit halbem
Leibe stecken blieben, So wenig Geräusch dieselben auch verursacht hatten, so vernahm es der Ungar
doch. Er dachte sich's, daß es Jemand sein mußte; denn auf diese Weise hatte man ihn noch immer
empfangen. Nur war diesmal die erste Parole ausgeblieben, ehe er in die Gelaffe trat.
„Wir sind die Gelben und die Braun ein, die Weiber und keine Frucht!“ rief
jetzt der Ungar, um doch zu sehen, ob er recht gehört hatte.
„Die Hotoohs decken, die Hotoohs drükken, keine Weiber und eine Frucht!“ war
die Antwort und der Ungar hörte zu gleicher Zeit die erwartete
Kugel bis zu sich heranrollen. Er bückte sich und nahm die
Kugel in die rechte Faust. Dieselbe wurde nun angezogen,
worauf er sicheren Schrittes dem Zuge folgte, bis seine Füße
an die Wand stießen, von der man ihm die Kugel, an einer
Schnur befestigt, hatte zurollen lassen. Seine Reitgerte, die
er, seit er in die Gelaffe getreten war, zwischen den Zähnen
hielt, ließ er jetzt fallen und kroch durch die Oeffnung der westlichen Wand, durch
die sich vorher die Hotoohs gestreckt hatten,
„Wen deckst Du?“ frug den Ungarn. Eine von den beiden Hotoohs, die Nemliche,
die die Kugel gegen ihn gerollt hatte. Sie befanden sich nemlich jetzt am Fuße der schmalen
Treppe, die in die Hotoohgemächer führte.
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„Ich decke den Abbé Dominique Dubreuil,“ erwiderte der
Ungar und drückte die Hotooh an sich heran.
„So klatsche
*), dann decke,“ wisperte die Nemliche
wieder. Es war das Wispern einer Thierin, der aber ein Gottesfunke, Geist genannt, in Gehirne glimmte.
(Hier entschuldige der Leser, daß sich unsere Feder ins
Papier verbeißt und dabei so fest ihren Spalt zusammendrückt, daß die Tinte herabrinnt.)
Tintenkleckse für Worte. Die Types hiefür sind noch nicht gegossen. --
Jetzt wandte sich die andere Hotooh an den Ungarn:
„Den Abbé Dominique Dubreuil wirst Du nicht mehr
kennen, wenn wir Dir ihn auch zeigen werden.“
„Wie so?“ meinte der Ungar und stieg mit der Hotooh
die Treppe hinauf. Die andere Hotooh hockte unten; denn sie hatte noch Etwas zu arrangieren.
„Weil er einen Schnurrbart trägt, wie Du, abgebrannter
Clubbist,“ versetzte die Hotooh und lächelte auf feine, schelmische Art.
„Nichts weiter?“ frug der Ungar gelassen. Damit
meinte er nemlich die Schnurrbartgeschichte. Ihr Lächeln galt
dem „abgebrannten Clubbisten.“ Das merkte er sich. Der
Rothkopf und der lange Jacques hatten doch die Wahrheit gesprochen, als sie meinten, der Abbé
sagte in seiner Betrunkenheit oft das dummste Zeug. Denn auf was anders sollte die
Hotooh angespielt haben, als daß er z.B. den Schatz der Mühle
besitze und diese angesteckt habe?
____________________
*) Die Sprache der Hotsoh's ist so complicirter Art,
hat eine von ähnlichen Toterie Idiomen so abweichende Biegung, daß fbon der bloße Versuch, dieselbe
zu deuten, zu einer ansehnlichen Grammaire heranschwellen würde. Zudem hat die Sprache die Eigenheit,
daß ein und dasselbe Wort oft eine zwölffache Bedeutung hat, wo dann immer
die Betonung -- bald weinerlich und ächzend, bald stark, leise, ernst und dumpf u.s.w. für das jedesmalige
Verständniß entscheidet. Fast unmöglich ist es, jedes Wort auch nur annäherungsweise in eine andere Sprache
zu übertragen. So haben wir das Hotooh'sche fachorin mit klatschen gegeben. Hier mußte uns der Wortlaut zum
Führer dienen: „Facherin“ haben die Hotoohs eine vierfache Bedeutung unterlegt.
Es heißt eben so gut, „schlagen,“ „beißen,“ als „küssen“ und „umarmen.“ Hier entscheidet das Mienenspiel
zugleich in Verbindung mit der Betonung. „Tichel“ (was wir mit Decken wiedergeben)
heißt eben so gut „fragen“, „wünschen“, als „schlafen“, „streicheln“ und „beißen.“ -- Der bekannte unglückliche
Alfred Durand, der nach einem halbjährigen Aufenthalte bei den Hotoobs, in deren Schoß ihn
übrigens nur die äußerste Noth getrieben hatte, dieser Verbindung entfloh, sprach die
Sprache der Hotoohs so geläufig, wie seine Muttersprache, die französische. Dafür, daß
er dieselbe an unrechten Orten mißbrauchte, mußte er sterben. Man sagte damals, er
hätte in einem Anfluge tiefer Melancholie Gift genommen. Es waren aber die Hotoobs,
die ihn vergifteten und seinen Leichnam dann auf offene Straße legten, wo ihn am
frühesten Morgen ein Schiffszimmermann gefunden hatte. --
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Der Abbé Dominique Dubreuil hatte sich hier wirklich einen
fürchterlichen Schnurr -- nicht nur, sondern auch Kinn -- und
Backenbart stehen lassen. Er hockte unter einer ganzen Heerde
Female Hotoohs, als der Ungar mit der Hotooh in's Sanctissimum trat.
Hätte der Abbé nicht gehüstelt, der Ungar hätte
ihn bei Gott im ersten Augenblicke nicht erkannt. So sehr hatte
sich derselbe seit der kurzen Zeit, in der man sich nicht mehr sah, verändert.
Hochwürden Schwein war förmlich fett geworden, trotzdem, daß
es sich jetzt das Saufen so sehr angewöhnt hatte, Andere ordentliche Leute hätten bei einer
solchen Aufführung, wie sie der Abbé seit einiger Zeit unter den Hotoohs pflegte, gewiß
schon längst die Lungenschwindsucht bekommen, Uebrigens auch
sehr leicht möglich, daß ein sonst so abgezehrtes Leibchen jetzt
der Sauerteig der Waffersucht in die Höhe trieb und daß es
nur so aussah, als ob er gesund fett wäre. --
Der Abbé war nicht wenig betroffen, als er so wider alles. Erwarten
den Erdietator der Hamburger Mühle eintreten sah. Er verwünschte es im Geiste tausendmal, daß er
so oftmals über ihn bei den Hotoohs geschimpft hatte; doch schien er
gleich darauf schon wieder etwas beruhigt, als ihm der Ungar
ein freundliches: Comment s'en va? zuwarf. Seine Ruhe
wurde aber wieder sehr geschmälert, als er vom Entschluß des
Ungarn, auf immer hier zu bleiben, vernahm. Die Angst des
Abbé war übrigens ganz überflüssig, denn der Ungar erwähnte
weder etwas von den Worten des langen Jacques und des
Rothkopf, noch that er überhaupt dergleichen, als ob er eine
Pique auf ihn hätte. Der Abbé schwieg von dem Mühlenbrande, weil er keine Sache
heraufbeschwören wollte, in der er sich indiskret gezeigt hatte; denn es blieb doch nur immer
eine Vermuthung, daß der Erdictator der Urheber jenes folgereichen
Brandmanoeuvres war -- der Ungar sprach nicht hievon, weil
es ihm zu umständlich war. So hielten sich. Beide gegenseitig
beständig in Schach. Einmal, als der Abbé so recht betrunken war -- es war bei Gelegenheit
der Aufnahme eines vierzehnjährigen Quadroonen Mädchens in die Hotooh Verbindung -- wollte er
schon von der Mühle anfangen -- (denn weil der Ungar auch so hartnäckig davon schwieg, schien ihm
seine Meinung doch gegründet) aber er unterließ es doch. Von
der Hiramsnacht und was ihn hieher getrieben, sprach der Ungar nie ein Wort. Er wollte unit den
Wölfen heulen, aber sie nicht zu Vertrauten machen. Nur dadurch glaubte er auch hier
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bald Alle unter seinen Hut zu bekommen, wie er es früher mit
der Mühle und vornehmlich mit dem Collegium der Clubbisten
gemacht hatte; denn es fiel ihm gar nicht bei, immer hier zu
bleiben. Er wollte sich auch hier wieder die Dictatur erobern
und dann dieselbe benützen, um -- Geld zu machen. Doch im
Schicksalsbuche war es anders beschlossen. --
Uebergehen wir einen Zeitraum von ungefähr zehn Tagen.
Es war in derselben Nacht, in der wir zum ersten Male
in die verwitterte Barracke zu der vom gelben Fieber beimgesuchten Familie traten,
als der Ungar und der Abbé ausgegangen waren, um gewisse Einkäufe für die Hotoohs zu
besorgen. Den Abbé kannte gewiß Niemand in der ganzen Stadt,
so verändert sah er aus. Abgesehen von seinem großen Barte,
der ihn schon ganz allein unkenntlich gemacht hätte, hatte er sich
einen künstlichen Höcker angepaßt, so daß er von hinten genau
aussah wie Aesop und nicht mehr wie das liederliche, rückenschwache Subject Dubreuil.
Man kaufte unter Anderm ein ganzes Set Pillenschachteln, die
der Abbé in eine tiefe Rocktasche stecken mußte; denn
der Ungar hatte immer, wenn ihn der Abbé frug, zu kleine Taschen. Das Wahre an der Sache aber war,
daß ihn der Ungar bei solchen Einkäufen immer als Packesel benutzte. -- Schon wollten sie wieder
ihren Weg nach der Wohnung der Hotooh's einschlagen, als es dem Ungarn plötzlich einfiel, daß man
Laudanum vergessen habe. Dasselbe hatten die Hotooh's noch diese Nacht nöthig, daher man sich wohl
zu einem kleinen Umweg verstehen mußte.
An der Ecke von Enghien und CasacalvoStraßen traten sie in eine Apotheke.
Dieselbe war so überfüllt mit Menschen, die auf Medicamente fur Fieberkranke paßten, daß sich vor einer
Viertelstunde nicht die geringste Aussicht darbot, befriedigt zu werden. Zum Zeitvertreib stellte sich
der Ungar an die Stellage, wo die Tinkturen standen und überflog die Etiketten mit gleichgültigen Blicken.
Nur an einigen Glasern blieb sein Auge länger und aufmerksamer haften. Der Abbé stand auf der an
deren Seite und unterhielt sich mit den Radices. Aber er hatte es bald satt und vegab sich auf die
Seite, wo der Ungar stand. Ein, zwei, drei Menschen verließen jetzt die Apotheke. Der
Apotheker mit seinen zwei Gehülfen hatte alle Hände voll.
„Tinctura Belladonnae,“ las der Ungar halb laut und
sah dabei den Abbé an.
„Wird gebraucht, Abbe?“
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„Für Verschiedenes,“ sagte der Abbé gleichgültig,
„Sagten Sie mir nicht einmal, Sie hätten auch Pharmazie studiert?“ -
„So ist es auch,“ versetzte der Höcker-Neophyt, --
„Dann können Sie mir doch auch etwas Besseres sagen,
als „für Verschiedenes.“
„Nun, ja -- man gebraucht es auch bei Erisyphelas,“ war die Antwort,
„Seh' schon, Abbé, Sie verstehen. Nichts -- haben mir Etwas vorgelogen.“
„Glauben Sie das,“ entgegnete der Abbé- aber beeilen
wir uns -- wir werden bald an der Reihe ein --“
„Belladonna braucht' ich, Abbé, glauben Sie, er gibt sie uns?“
„In keinem Falle, Lajos, und sollten Sie's mit Gold auf wägen.“
„Dann nehmen wir das ganze Glas mit,“ sagte der Ungar in
entschlossenem Tone. Hierauf wandte er sich an den Abbé:
„Das Glas steht aber zu hoch; was meinen Sie, Abbé?
wollen Sie da hinaufsteigen und es herabholen?“
„Wo denken Sie hin, Lajos?“ sagte der Abbé erschrocken,
aber so unheimlich leise und feig, daß es nicht einmal der Ungar hörte, der doch ganz nahe bei ihm stand,
„Haben Sie mich verstanden, Abbé?“
„Lajos, ich bitte Sie, unterlassen Sie den Scandal. Wie
können Sie von mir so etwas verlangen, was ich nicht einmal
von Ihnen verlangen würde und Sie sind doch viel länger als ich -- --“
„Länger ja, aber auch größer,“ unterbrach ihn der Ungar -- dann sagte
er nach einer kurzen Pause:
„Wenn Sie nicht wollen, Abbé, dann thu' ich's -- das
Menschenzeug hier soll mich nicht genieren, aber geben Sie Acht und eilen Sie schnell nach, daß
man Sie nicht faßt; denn man hat Sie mit mir sprechen sehen -- --“
Der Abbé hielt den Ungarn mechanisch am Rock, als wollte
er ihn zurückhalten und wollte gerade sagen: „Aber das Laudanum, Lajos,“ als jener schon hinaufgestiegen
war und wie der Blitz mit dem schweren Pittsburger Glase auf die Straße eilte.
Den Abbé riß es unwiderstehlich nach. Nur immer den
dahineilenden Ungar im Auge, war er demselben schon ganz
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nahe gekommen, als sich ein Theil seines künstlichen Höckers
verschob und unter den rechten Arm würgte. Dadurch wurde
er wieder etwas zurückgehalten, während der Ungar, der nur
so dahinflog, einen bedeutenden Vorsprung gewann.
„Diebe, Räuber, Mörder!“ Dann wieder „Feuer,
Feuer!“ fluchte, schrie und heulte man den Fliehenden nach
Dann rief es wieder wie toll und als wäre die ganze Stadt
gefährdet: „Watsch, Watsch! Cityrats, Cityrats!“ -- Solche
Exclamationen werden am meisten von Leuten erhoben, die gar
nicht einmal wissen, um was es sich handelt. Einer schreit:
„Watsch“, so schreit ein zweiter: „Cityrat“; ein dritter, der des
Weges kommt, schreit schon wieder etwas anderes, z.B. „Feuer, Feuer!“ u.s.w. -- Die
Wachtleute hassen dieses Untereinanderschreien und mit Recht; denn sie wissen, daß derlei
hyperbolische Erclamationen eben so viele Warnungsrufe für
den wirklich fliehenden Spitzbuben, Mörder oder Brandstifter
sind. -- Ohne diesen Wirrwar wäre es dem Ungarn und Abbé
ungeachtet ihres pfeilschnellen Dahinschießens sicherlich nicht gelungen, zu entkommen;
denn gleich nachdem der Ungar mit seiner
Bella Donna und dem Abbé
aus der Apotheke stürzte, wurde Lärm geschlagen und so erfolgreich, daß sich alsobald mehrere
von der heiligen Hermandad zur Wiedereroberung der giftigen
Donna bereitwillig zeigten. Hätten die Wachtleute damals
schon ihren Halbmond, an den Kittel geheftet, getragen, so
wäre es unverzeihlich gewesen, wenn sie denn doch nicht die
Diebe noch erwischt hätten. So aber trugen sie zu jener Zeit
noch keine solche Leuchte. Heut zu Tage kommt es nicht mehr
vor, daß Einer ungestraft mit einer
Bella Donna davonläuft. --
Man wird noch im Gedächtniß behalten haben, daß der Arzt von der
Howard Association, als er aus der Barracke trat, um in seinen Wagen zu steigen, einen Mann
in demselben fand, der ihn nach einem lakonischen Widerpart mit einem Faustschlag auf die Stirne
zu Boden warf. Dieser Mann war der Ungar, der in seinem Fliehen die Gelegenheit, daß der Wagen
leer stand, benützt hatte, indem er sich ohne Weiteres hineinsetzte und alsogleich auch die Zügel
ergriff. Auch hat man bereits erfahren, auf welch eine unsanfte Art der Ungar demnach,
keuchenden Abbé in den Wagen verhalf. Aber der Ungar sollte seine giftige Apothekermamsell nicht
mehr in die Wohnung der Hotoohs schleppen. Er fuhr zu rasend schnell-beim Umbiegen um eine Ecke stieß
der Doctorkarren so heftig an einen Laternenpfahl, daß icht nur ein, sondern gleich alle Räder zerbrachen
und die Gabel im Hinaufstoßen das arme Pferd furchtbar
an die Kinnlade schlug. Da hatte das Kutschieren für heute ein Ende.
„Lassen Sie die ganze Geschichte liegen, Lajos,“ sagte der
Abbé bestürzt und immer noch ganz außer Athem, „ich glaube,
in der nächsten Straße ist eine
Hotooh Kralle*) -- --“
Hätte sich nicht im nemlichen Augenblicke, wo der Abbé einen so wohlgemeinten
Rath gab, die wohlbekannte Musik eines Wachtmann-Prügels vernehmen lassen, so wäre von dem Ungarn vielleicht
noch Gegensprache erhoben worden. Aber so? Man konnte es doch nicht wissen -- man hatte in diesem Revier
keine Freunde -- man sah zu echauffiert und verdächtig aus -- kurz der Rath des Abbé fand bei dem Belladonnadieb
Beifall. Beim Abbé war es Feigheit, daß er einen Zufluchtsort ersehnte -- dem Ungarn war es zu monoton, schon
wieder einen Conflikt zu bestehen und vielleicht dachte er auch daran,
daß ihm die Hotochs einen zu großen Verschub übel nehmen möchten.
Man floh.
Hinter sich nun erst recht Lärm, Prügel-Musik und Schnarre.
Jetzt patschte man durch das hier zusammengelaufene Regenwasser und trat -- in
eine Hotooh-Kralle? Bei Leibe nicht -- man befand sich in der Barracke der gräflichen Familie.
Der Abbé hatte sich geirrt. Man war am nemlichen
Platze wieder angekommen, wo man in den Doctorkarren stieg.
War es Zufall oder trieb sie eine höhere Macht hieher?
Und jetzt erst, nachdem wir schon zweimal vom Fieberlager
der Atriden geflohen, und jetzt erst, nachdem wir nach der ersten Flucht die Karten gemischt und
als Trumpf die Hiramsnacht ponierten und jetzt erst, nachdem wir Euch mit den Hotoohs und der
Bella Donna auf Abwege gebracht -- erst jetzt
fliegt der Vorhang in die Höhe und es wird aufgeführt das Trauerspiel:
„Das Wiedersehen.“
____________________
*) Hotooh - Kralle (Crahwilla) ist
eine Filiale, deren die Hotoohs im dritten Distrikt Fünf und im zweiten Distrikt. Eine etabliert haben sollen. Am Tage
wird gewöhnlich Obst ausgestellt. Daneben stehen zur Sommerszeit ein paar mit Eiswasser gefüllte Eimer, in
denen sich Bouteilen oder Krüge mit Root Beer befinden. Auch schenken sie
nebenbei auf einem kleinen Tischchen zwischen fünf und sieben Uhr Morgens Caffee. Dies geschieht. Alles
im Freien, dicht am Eingang der Barracke. -- Mit Sonnenuntergang sind die Filialen geschlossen,
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Constanze hatte sich mit halbem Leibe von ihrem Lager erhoben, als die Beiden
eingetreten waren. Sie hatte dieStimme des Grafen gleich erkannt. Die Worte, die derselbe mit dem
Abbè Dubreuil gewechselt, hatte sie nicht verstanden, da sie in der Hotoohsprache gesprochen wurden.
Im ersten Momente der Ueberraschung legte sie ihre Rechte auf die glühende Stirne und senkte den Kopf,
als wollte sie sich erst auf Worte besinnen, oder als fürchtete sie, die so plötzliche Erscheinung sei
nur ein Traum. Dann nimmt sie alle ihre Kräfte zusammen und rafftsich empor. Im nemlichen Augenblicke
erkannte sie auch der Graf
„Gräfin Constanze!“ rief er aus: „Was soll das? Sie hier? Und was..“
Constanze bewegt die Lippen -- unarticulierte Laute sind es nur, die sie
herausstößt; sie schlägt ihre Arme zurück, sieht bald auf den Grafen, bald neigt sie sich über das
Antlitz ihrer Mutter, die halb zu schlafen und halb zu wachen scheint; ihre
Bewegungen werden immer heftiger; man sieht es ihr an, sie
möchte gerne sprechen, rufen -- doch statt dessen drückt sie noch
ein paar Mal beide Hände auf den Mund und dann stößt sie
einen so entsetzlichen Schrei aus, daß der Ungar noch einen
Schritt weiter zurückweicht, Melanie erschrocken emporfährt
und der Abbé mit eingeknickten Knien über die Schwelle des Hinterraumes schlottert.
„Mutter!“ möchte Constanze rufen: „Das ist Graf Lajos, das ist der Gatte
Frida's, den wir mit auf die Farm bringen wollten und auf dessen Bekanntschaft Du Dich so sehr gefreut
hat -- -- sieh', Mutter, das ist Graf Lajos, von dem ich Dir so viel erzählt und den wir für verloren
hielten -- -- sieh', Mutter, das ist der unglückliche Vater seines auf so entsetzliche
Weise dahingegangenen Kindes -- --“
Und zu dem Grafen möchte Constanze gerne sagen:
„Wo sind Sie in jener furchtbaren Nacht hingekommen -- warum haben Sie sich
nicht bei mir und Gertrude sehen lassen -- warum sind Sie nicht zu uns auf die Farm gekommen? -- -- Haben
Sie vielleicht den Prinzen gesehen oder waren Sie bei ihm? -- -- -- Aber, wie kommen Sie hieher? Sie sind zu
spät gekommen, Graf Lajos -- -- Sehen Sie einmal dahinein, da drinnen liegen Vater, Bruder und Schwesterchen
und dann sehen Sie hier um sich -- -- nicht wahr, Graf Lajos, wir sind
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seit der Zeit, wo wir uns zum Letztenmale aben, recht unglück lich geworden? -- --“
So würde Constanze wahrscheinlich zur Mutter, zum
Grafengesprochen haben, wenn sie noch -- reden könnte,
Das Erscheinen des Ungarn war zu unerwartet, zu plotzlich. Sie blieb stumm. --
Der Abbé erkannte mit einem Blicke, wo er sich befand, noch ehe der Ungar es
nur ahnte. Hatte er doch Melanie schon in jener ärmlichen Behausung in Washington Avenue gesehen
und Constanze nicht auch? Hatte er die Letztere etwas später nicht auch wieder bei Miß Dudley gesehen ?
-- Auf sein verändertes Aussehen vertrauend verließ er die Schwelle und stellte sich hinter den Ungar,
Melanie hatte die Beiden jetzt auch gesehen.
„Meine Constanze -- was ist das? -- -- wer sind diese Männer? -- Sprich'
doch, Constanze -- was wollen die Männer hier? --“
Das arme, unglückliche Mädchen hatte die Frage ihrer Mutter nicht mehr
vernommen -- sie war zur Seite ihres Bettes niedergesunken. Der Würgengel der Fieberpest fand, daß
es endlich einmal Zeit war. --
Der Ungar und der Abbé hatten dem furchtbaren Ende Constanzens zugesehen.
„Ich gehe hinaus,“ sagte der Abbé dazwischen und er
schlich statt zur Thüre, die auf die Straße führte, wieder in den
Hinterraum zurück, wo die Leichen des Grafen, Hugos und
Suschens liegen. Lassen wir ihn im Finstern einstweilen
herumtappen. Vielleicht greift oder stößt er an etwas Kaltes -- und wenn dies der Fall ist, so fällt
er schon vor Schrecken zu Boden und gibt seinen Geist auf; denn dieser Mensch ist feig. -- -- --
Melanie, Du unglücklichste aller Mütter, steige doch lieber
wieder ins Bett-Du kannst Dich ja kaum auf den Füßen erhalten. Glaubst Du denn, das Fieber hat Dich
verlassen, weil Du jetzt wieder aufstehen kannst? O, traue diesem heimtückischen Feinde nicht, er würgt
und mordet, wo man es am wenigsten erwartet. Sieh, dort liegt das gute Lorchen -- erst noch
vor wenigen Minuten hat sie Dir fühlende Umschläge auf die glühende Stirne gelegt -- -- ich sage Dir, unglückliche Mut
ter, traue dem Fieber nicht und lege Dich nieder!
Siehst Du, daß Constanze auch schon todt ist!
Nimm Deine weißen Füße in Acht, Melanie; trittst Du da
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hinein, so bekommen sie eine häßliche Farbe. Gertrude und Amelie auch? Rüttle nur zu, Melanie!
Siehst Du -- auch todt. -- Aber jetzt wärst Du bald hineingetreten -- -- aber, Melanie, Du thust jetzt
gerade, als wärst Du noch die einzig Lebende in Deiner Behausung -- -- Nun, siehst Du, jetzt bist Du doch da
hineingetreten! -- -- --
Der Ungar hat während dessen gedacht -- viel gedacht. -- Was ihn hier festbannte,
warum er nicht floh- wer weiß das ?
Die Todten kann man nicht lange ansehen. Es werden Einem davon die Augen
so müde. Und küfen kann man sie auch nicht, wenn sie fo gestorben sind. Deßhalb will Melanie wieder ins
Bett steigen und denkt gar nicht mehr an den Mann oder die Männer, um die sie vorher Constanze gefragt hat.
Da fühlt sie eine Hand auf ihrer entblößten Schulter und weil ihre Schultern so glühend heiß und die Hand
so bitter kalt, so schrickt sie zusammen und streift im Umdrehen mit ihren Lippen
an die Narbe auf der Wange des Ungarn.
Diese Narbe! Diese Augen! Da kann bei Melanie nur Ein Gedanke sein -- sie hat
den nemlichen Mann vor sich, der ihr bei jener Feuersbrunst das Geld aus den Händen gerissen, während sie das
Bild Emils auf den Armen trug -- sie hat den Urheber all' ihres Elends, den Mörder ihrer ganzen Familie vor sich.
Sie weiß jetzt gar nicht, was sie thut. Statt ihre Lippen
von der Narbe zu entfernen, drückt sie dieselben nur noch heftiger an und reißt dann mit beiden Händen an
den langen Haaren des Ungarn. Derselbe läßt sich's gefallen. Er hat in Melanien jene Frau schon erkannt, ehe
er ihr die Hand auf die Schulter gelegt hat. Er hat es errathen, daß dieselbe die Mutter Constanzens und
Gertrudens, daß sie das weibliche Oberhaupt der gräflichen Familie ist, die er in Begleitung von Lady
Stewart und des Prinzen von Würtemberg hätte besuchen sollen -- und es schwebte schon auf seinen Lippen, auch
ihr wissen zu lassen, wer er ist -- -- da zieht ihn Melanie zu sich auf den Boden und da er sich zu schnell
emporreckt, so läßt er seine Haare, die sie vorher gefaßt hatte, in ihren Händen.
Sie hat es nicht erfahren, daß der Ungar der Gatte Frida's war. So wenig wie
die Andern, daß der Gatte Frida's der Dieb und Brandstifter war.
Dem Ungarn fällt nun wieder der Abbé ein. Er nimmt
das Licht vom Mantel des Kamins und geht in den Hinterraum
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Da er nicht auf den Boden sieht, so tritt er auf den Abbé. Er war todt.
Und nun schließt der Ungar auf einen Augenblick die Augen. Ohne daß es ihm
Jemand befiehlt, geht er auf den Zehen aus dem Hinterraum und stellt das Licht, nur noch ein winziges
Stümpchen, auf seinen alten Platz.
Wie es ihn doch hier noch zurückhalten kann -- als ob er noch etwas zu thun hätte.
Auf was besinnt er sich denn noch? Will er hier bleiben? Doch jetzt geht er
ja. -- Jetzt bleibt er wieder stehen. Er denkt sich: Draußen vor der Thüre müssen Leute stehen, sonst könnte
es doch nicht so leise und dann wieder etwas lauter sprechen.
Da kommt's herein :
Uriah Hiram, Sam Cleveland aus Illinois und der junge Graf Emil.
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Fünftes Kapitel.
Die Fahrt nach dem Richt-
platze.
Das waren traurige Tage und schauerliche Nächte in der Zeit zwischen dem 14.Juli
und 27.August. Wenig sonnige Tage und ein fast beständiges Weinen des Nachthimmels. Und gelang es je
einmal der Sonne, das schmutzige Gewölk zu durchreißen, so fandte sie einen Hagel von glühenden Pfeilen
auf die armen, geängstigten Menschen. Nicht viel besser hat es der Mond gemacht, wenn er sich nach
vielen Nächten wieder einmal sehen ließ. Die aus ihren schwülen Wohnungen hinaus ins Freie eilten, um
sich an seinem Lichte zu erfreuen, kehrten gar bald wieder zurück und klagten über Kopfweh. Ja, Manche
wollten sogar bemerkt haben, daß in jenen Nächten, wo der Mond am Himmel stand, die Meisten gestorben
sind. Nicht weniger beängstigend als Sonne nnd Mond waren für den aufmerksamen, sinnigen Beobachter
die abentheuerlichen Wolkengebilde, die sich besonders gegen die Mitte des Monats August zu am Nachthimmel
zeigten. Ihre Metamorphosen blieben bei dem jedesmaligen Erscheinen immer die nemlichen. Zuerst stieg
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von der Gegend her, wo der Mississippi seine Fluthen in den Golf hinabwälzt, eine riesenhafte schwarze
Wolke auf. Einige Minuten lang blieb sie unbeweglich. So schien sie ein ungeheurer verwitterter Felsblock,
von irgend einem Posthumus-Giganten in unsere Cypressensumpfe geschleudert. Die anorganische Physiognomie
dieses Coloffes verschwand, denn er bewegte sich und flog, immer weiter und weiter herauf und dann
herüber nach unserer Stadt, wo er dann über der Freimaurerhalle stehen blieb.
Jetzt täuschte man sich nicht mehr. Man wußte es jetzt, daß dieser scheinbare
Felsencoloß eine riesige, schwarze Wolke war. Um sie herum lag in weitem Kreise der fleckenlose, dunkel
blaue Nachthimmel, in dessen Schooße fünfzehn Sterne funkelten. An der Grenze dieses lichten Kreises
streckte sich feines schmutziges Gewölke, das bis auf den Horizont herabhing, wo
es von größeren, schwarzen Wolkenballen verschlungen wurde.
Aus diesen fuhr bald ein Blitz und der darauf erfolgende heftige Donnerschlag machte die Riesenwolke über
der Freimaurerhalle erzittern. Und welche Erscheinung bot sich nun dar? Tausende, Hunderttausende von
schwarzen Fäusten sprangen aus der Riesenwolke und sie selbst spaltete sich im selben Momente. Aus dem
dunklen Chaos flockten sich jetzt weiße Wolken ab und flogen auf die Seite, während der dunkle Theil des
Gewölkes, aus dem die schwarzen Fäuste sprangen, sich an die Grenze des lichten Himmels flüchtete. Die
fünfzehn funkelnden Sterne waren jetzt zwischen den weißen und schwarzen Wolken, die sich auf beiden
Theilen in Hunderttausende abflockten. Da gab es nun mit Einemmale ein merkwürdiges Schauspiel. Die
schwarzen Wolken ruckten vor und flogen dann mit Windeseile auf die fünfzehn Sterne zu, an die sie sich
anhingen, als wollten sie dieselben durch die Schwere ihres Gewichtes aus dem Himmel reißen und sie auf
die Erde niederziehen. Das schienen die weißen Wolken nicht dulden zu wollen. Sie stürzten sich
über die schwarzen her, die nun mit jenen einen furchtbaren Kampf begannen. Da war es gerade, als wären
sie bewaffnet, führten lange Messer und schreckliche Schießgewehre; denn man sah ein beständiges Leuchten
und Blitzen und hörte ein ununterbrochenes Knallen und Getöse. Man konnte nichts mehr von ihnen erblicken,
denn ein dichter Rauch umhüllte die Streitenden. -- -- -- Der Pulverdampf war verflogen -- die weißen
Wolken schienen gesiegt zu haben; denn es waren ihrer noch Hunderttausende im lichten Kreise -- von den schwarzen
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nur noch etliche Tausende -- die andernfanken wie todt in das feine schmutzige Gewölke bis auf den
Horizont hinab, wo sie von den leuchtenden Blitzen und heftigen Donnerschlägen
empfangen wurden. Die Sieger -denn die weißen Wolken sahen so aus -- schleppten die Besiegten hinter
sich her, die aber immer noch ihre schwarzen Fäuste ballten. -- Dieses Wolkengebilde flog nun von einem
Ende der Stadt bis zum andern, bis sich der helle Kreis über der Freimaurerhalle so verengt hatte, daß
kein einziger Stern mehr sichtbar war. -- Die Hotoohs nennen diese Erscheinung, die sich in den Jahren 1847
und 1853 so oft wiederholt hatte, den wilden Jäger des Südens. --
So wandern wir denn weiter und laufen alle Straßen
auf und ab, aber nirgends können wir ein fröhliches Gesicht erblicken. Lange Trauerzüge von Odd Fellows
und Freimaurern, von Feuerleuten und Militaircompagnieen und hin und wieder
auch von Turnern, begegnen uns auf jedem Schritt und Tritt. Da ist nirgends mehr ein Wagen zu haben,
um sich auf einer Spazierfahrt etwas zu zerstreuen, denn sie sind alle auf ihrem
Wege nach den Leichenäckern. Nicht einmal einen ordentlichen
Todtenkarren können wir mehr auftreiben, um unsern Sarg hineinzuschieben. Das Gold läuft.
Alles in den Sack des Leichenbestatters, aber schon, indem er es überzählt, schlägt ihn
der Würgengel der Fieberpest zu Boden und er hat auch Nichts.
An den Putzläden wollen wir nicht lange stehen bleiben,
denn das Angassen der schwarzen Hüte, Spitzen und Schleier
macht uns keine Freude. Das ewige Einerlei der weißen Blu
men hat uns schon längst nicht mehr recht gefallen.
Doch hier! Was, Kanonenschüsse? Wird Sebastopol bombardiert oder giebt
es einen Sklavenaufstand? Da biegen wir nur schnell um die nächste Ecke, um zu sehen, was da
vorgeht. Da steht wirklich eine Kanone und bei ihr wirklich ein Kanonier. Wir besinnen uns sehr lange. Ist
Sr.Ercellenz der Gouverneur von Louisiana gestorben? Sind der achte Januar und der vierte Juli nicht
schon längst vorüber? Und Washington's Wiegenfest kann heute auch nicht gefeiert werden, -- da müssen wir
wohl den Kanonier um Auskunft bitten. „Sir, zu was dies Schießen?“ -- „Die Väter unserer Stadt haben
geruht, das gelbe Fieber wegschießen zu lassen.“ - Am nächsten Morgen läuft uns ein halbes Dutzend News
Boys zwischen die Beine. Nur Einem nehmen wir die Delta ab. Die Todten,
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liste? -- -- Hier -- -- Dreihundert und zwanzig todt! Nur das wollten wir wissen. Wir werfen die Delta
wieder weg und denken uns: „Also das hat das Abfeuern der Kanonen genützt!“
Und weil wir schon sehr müde sind, so setzen wir uns in
einen Omnibus. Keine Seele darin. Wir lassen uns immer weiter fahren, ohne allen Zweck und blos, damit
einmal zur Abwechslung gefahren ist. Aber bald macht uns auch das Fahren müde, ja noch mehr, als das
Beinewandern. Wir reißen hastig am Strange und geben dem Treiber in der Zerstreuung
beim Aussteigen statt eines Dime einen Quarter Eagle. Der Treiber, dem schon die Pest im Kopfe
steckt, wirft das Goldstück weg und flucht: „Zur Hölle mit diesem Dime, der hat ja das gelbe Fieber!“
Jetzt sind wir an den rechten Ort gekommen. Von Langeweile kann hier
keine Rede sein. Ein solches Amphitheater, wie es hier vor unsern Augen liegt, wird selbst Don Rica nicht im
Stande sein, aufzurichten. Es wird begrenzt von den Straßen Prytanee, Plaquemine, Sixt und Washington Avenue.
Wer kennt ihn nicht, den berüchtigten Lafayette Kirchhof? --
Sanitätspolizei? Unser Mayor soll sich in eigener Person überzeugen? Wie
könnt Ihr das verlangen? Denn da hineinzutreten, dazu gehört Courage und ein Flacon und nicht nur
das Letztere allein. -- Wir sind nun einmal neugierig und wenn uns diese elenden Todtenkarren noch lange
den Eingang verwehren, so schlagen wir auf die Maulthiere oder steigen über die Mauer. -- --Klatsch,
klatsch -- wollt Ihr uns da hineinlassen? Doch wir wollen die armen Maulthiere nicht länger beohrfeigen.
Man darf wirklich froh sein, daß man noch etwas Lebendiges sieht.-- So, nun -- nun hocken wir auf der hohen
Kirchhofsmauer und da sie noch nicht ganz zerbröckelt ist, so wird sie uns wohl einstweilen noch
halten. Riechfläschchen haben wir keines mitgenommen; denn wie hätten wir uns auch nur träumen lassen, daß
man einen so furchtbaren Pestgeruch inmitten der Stadt duldet? Dort will man das gelbe Fieber mit
Kanonenschüssen aus der Stadt treiben und hier wird ihm solcher Fraß vorgeworfen? Doch was sollen wir
beginnen ohne Riechfläschchen? Herunterspringen wollen wir nicht, da wir
nun einmal oben hocken. So kneipen wir denn in Ermangelung von etwas Besserem einige Haare aus
dem mageren Schwanz dieser Maulthiere, auf die wir gerade noch herablangen können und stopfen sie
uns in die Rase. Aber auch das ist
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kein probates Mittel. Hier -- diese schwarzen Federbüsche auf dem Todtenwagen kann man noch viel
leichter erreichen. Da reißen wir uns nun eine ziemliche Partie von Federn heraus und drücken sie
gegen unsere Nasenflügel. Das geht vortrefflich -- in der That, ein bisher noch ungekanntes Gegengift. Mit
dieser Schwanzhaar-Federbuschschnauze hocken wir nun auf der grauen Kirchhofsmauer und schauen:
Fünf und Siebenzig Särge. Doch das wäre noch Nichts, wenn diese Särge nur
ordentlich unter der Erde lägen -- allerwenigstens dreiFuß tief. Aber so hat man nur
zwei Zoll hoch Schlamm darüber geschmissen und als es in der vorletzten Nacht regnete, haben sich diese
Särge gehoben und sind aus einander gekracht. Da lagen sie nun wieder unter freiem Himmel, Männer, Frauen
und Kinder. Und da der Tod keine Scham kennt, so führt man sich hier ganz unmanierlich auf.
Fünf Hundert Särge und nur drei Todtengräber. Diese Särge sind eben
abgeworfen worden und sollen nun verscharrt werden. Aber wer gräbt ein Loch? Nur drei Todtengräber? Warum
schickt die Corporation nicht ihre Neger her, um die Leichen bei Seite zu schaffen! Sind nicht Neger zu
solchem Dienste wie geschassen? -- -- Die Corporation giebt ihre Neger schon längst nicht mehr her -- denn
sie könnten ja bei diesem gefährlichen Geschäfte sehr
leicht von der Seuche ergriffen werden und da würde man per
Stück im Durchschnitt an 1200 Dollars verlieren. Lieber den
Pestgeruch über die ganze Nachbarschaft, als ein Deficit in der
Tasche! -- Und nur drei Todtengräber
Wer die drei Todtengräber sind und wiesie sich aufführen.
Die drei Todtengräber sind drei desperate junge Männer. Sie hatten nicht nur kein Geld, um aus
der Stadt zu entfliehen, sondern auch Nichts zu beißen und zu nagen. Da haben sie von dem hohen
Lohn vernommen, den man für Gräber graben bezahlt und ihr Entschluß war gleich
gefaßt. Zweimal hatte sie der furchtbare Pestgeruch zurückgetrieben und zweimal sind sie wieder
hieher zurückgekehrt. Fünf bis zehn Dollars für Ein Grab! Für solchen Lohn kann ein
Desperado sein ohnehin sehr prekäres Leben schon aufs Spiel
setzen. Nur zwanzig solcher Todtengruben und wir sind aus
der Geldklemme, ermuthigten sich die drei desperaten Männer
gegenseitig. Man hat es noch einmal versucht -- ein, zwei,
drei Löcher sind bereits gegraben, da entsinkt der Muth und
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alle Kraft scheint zu weichen. Wir wollen uns tüchtig belaufen,
meinte Einer von ihnen. Dieser Vorschlag wird acceptiert und
schon nach einer Stunde taumelt das desperate Kleeblatt betrunken
auf dem Leichenacker herum, gräbt aber dabeitüchtig
darauf los. -- Als der Abend herankam, hatte Jeder von ihnen
hundert Dollars in der Tasche, die sie glücklicherweise die Nacht
über noch verjubelt haben -- denn schon den nächsten Morgen
warf man sie in die von ihnen selbstgegrabenen Gruben. Wißt
Ihr,wer die drei desperaten Männer waren?
Dieser Ragpiker wird ein reicher Mann, wenn er am Leben bleibt.
Es ärgert uns, daß esein Deutscher ist, den wir hier so gierig an den Leichen herum
handthieren sehen. Der Ragpiker raucht eine miserable
half Spanish Segar und reißt dabei den aufgeplatzten Leichen die
Kleider vom Leibe. Sommerhosen, gute leinene Hemdebusen
und Frauenkleider -- das preßt er Alles zusammen in seinen
Sack und findet auch hin und wieder ein goldenes Ringelein,
ein Ohrtröpfchen und sonst allerlei gute Waare. Der Mensch
hat sich nicht erst besaufen müssen, um seinem Geschäfte nach
zugehen, wie es die drei desperaten Männer machen mußten,
Blos mit seinem glimmenden Stumpen im Munde hat er alle
diese Herrlichkeiten eingesackt. -- Kennt Ihr diesen Ragpiker
vom vorigen Jahre? Ei, freilich -- er sitzt jetzt in einer Lawyer
Office und führt die Feder. Der Mensch kann reich werden,
wenn er am Leben bleibt.
Ein Stadtleichenkarren, auf dem zwanzig Särge liegen.
Die Treiber fahren nicht einmal bis vor die Thüre des Kirchhofes. Sie werfen die Särge, einen nach dem
andern, gleich über die Mauer. Sind denn Alle, die in diesen Todtentruhen liegen, am gelben Fieber gestorben
Wäre der Coroner gewissenhaft gewesen und hätte er nicht gleich mir nichts dir nichts das Verdict abgegeben:
„Gestorben am gelben Fieber,“ so hätte man erfahren, daß von den zwanzig Eingesargten kaum fünf von der
Seuche dahingerafft worden. Dann wäre es auch gleich herausgekommen, daß die schöne Cigarrenhändlerin
Juana M* ihres Mannes überdrüßig geworden und das Dasein des gelben Fiebers benützt hat,
um ihn schnell und ohne daß es Aufsehen erregte, aus dem Wege zu schassen. Fand man es denn zu jener
Zeit ganz natürlich, wenn man sagte, der oder jener sei am gelben Fieber gestorben? Forschte man da
noch weiter nach und wie steht es mit W., Vater und Sohn? Sollen denn die partout der
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Seuche zum Opfer gefallen sein oder weiß es der Herr Neveu besser? -- Ja, das gelbe Fieber war der
Sündenbock aller Mörder und Giftmischer. In so ferne man selbst am Leben blieb, war es noch immer die
sicherste Spekulation. -- --
Doch wir hopsen jetzt wieder von unserer grauen Kirchhofsmauer; denn wir
haben genug gesehen. Die falsche Schnauze werfen wir auch wieder weg, so wie wir um die Ecke biegen.
Wir trollen uns nach Hause und streifen bei dieser Gelegenheit an hunderten
von Theerfässern vorbei, die die Weisheit unserer Stadt-Väter anzuzünden befohlen, um die Stadt
auszuräuchern und das gelbe Fieber zu ersticken.
Geschützfeuer und Theerbrennen!
Hat es denn Niemand gewußt, daß Hiram in der Stadt war?
________________
Flüchtet in Eure Wohnungen; denn wahrlich, ich sage Euch, der Mond stand
noch nie so leuchtend am Himmel. Seine volle Scheibe blitzt wie der Schild des Achilles und die fünfzehn
Sterne um ihn herum wie das Diadem der Cleopatra,
Seid Ihr nun alle zu Hause bei Euren Weibern und Kindern? Ueberlebt Ihr
diese Nacht, so könnt Ihr von Glück sagen; denn wenn Euch jetzt die Seuche befällt, so eilt Ihr nicht
mehr nach einem Arzte.
Seid Ihr nun. Alle zu Hause? -- -- -- und jetzt, da Ihr
zu Hause seid, hilft es Euch doch Nichts. Der Warnungsruf klang zu spät.
Ihr habt schon als Kinder vernommen, daß der Mond
die Wasser anzieht und somit Ebbe und Fluth bewirkt,
Was ist das Menschengehirn anders als ein unergründlicher Ocean, in dessen
Tiefe es von Ungeheuern wimmelt Die Perlen, die in seiner Tiefe gefunden werden, sind nur die Thränen
dieser Ungeheuer, die sie vergießen, wenn sie die Harpune des Mondstrahles trifft.
Der Ocean hat seine Ebbe und Fluth, warum nicht das Gehirn auch?
Den Ocean würde es schmerzen, wenn der Mond ihn verließe;
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Euch schmerzt es, daß er Euch uicht verläßt -- -- -- ein
Dilemma ohne Gnade und Barmherzigkeit. --
Das Mondlicht platzt heute Nacht auf die ganze Stadt
herab. Nur Eine Hellung, aber Millionen von Schatten. Um
die Schatten, die haften und starren, wollen wir uns jetzt nicht
bekümmern -- nur mit denen, die schleichen und huschen, die
stampfen und trampeln, mit diesen wollen wir uns bekannt
machen. Denn sie sind eben auf der Fahrt nach dem Richtplatze begriffen. --
Längs des Carondelet Canals knarren die müden Räder
eines Leichenkarrens. Die sechs schwarzen Federbüsche wanken
und nicken, als wären sie eingeschlafen. Nur ein Pferd zieht diesen
Karren. Auf den ersten Blick sieht man es diesem Pferde an,
daß es zu solchem Dienste nicht gewöhnt ist, sondern daß es viel
lieber dahinflöge mit einem geübten Reiter im Sattel. Es ist
aber auch das erste und letzte Mal, daß es solchen Dienst verrichtet.
In dem Karren sitzen drei Männer.
Einer sitzt ganz hinten und trägt eine lange weiße Kleidung nebst
schweren eisernen Ketten, die er alle zu sich auf den Schooß genommen hat. Seine Haltung ist
ungeachtet des ihn belastenden Gewichtes der schweren Ketten und eisernen Kugeln daran, aufrecht
und nur ein Einziges mal während der ganzen langen Fahrt hat er sich gebückt. Es war nemlich, als
er die auf dem Boden liegenden Ketten und Kugeln aufhob, um sie auf den Schooß zu nehmen; denn seine
Arme wurden immer abwärts gezogen, wenn er sie in Einander legen wollte, was nun einmal seine Gewohnheit
war. Von dem Gesichte dieses Mannes sah man Nichts als die Augen, die aus den
zwei Löchern einer Maske, die ihm aufgedrückt war, hervorleuchteten. Die Seitenbänder der Maske
schnürten eine Ohren so dicht zusammen, daß er auch nicht das geringste Wort
von dem zu vernehmen im Stande war, was zwei andere Männer, die in der entgegengesetzten Ecke des
Karrens saßen, mit Einander sprachen.
Der Eine von diesen trägt die schwarze Kleidung Monseigneurs, während
der Andere ganz leger, fast ländlich gekleidet ist,
Der Eine ist eine lange, aber abgemagerte Gestalt, der
Andere hat einen gedrungenen Körperbau von unter mittelmäßiger Größe.
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Beide sprechen französisch, nur ist ihr Accent sehr verschieden.
Während ihres Gespräches sehen sie öfter auf den mit Ketten belasteten Mann
hinüber, der bisher noch kein einziges Wort gesprochen hat, obwohl er sprechen könnte, da ihm die
Maske nicht den Mund zudrückt. --
„Ihre Lydia scheint schon müde zu sein,“ sagte die lange
Gestalt zu dem andern Manne.
„Sie war schon müde, als ich sie anschirrte,“ war die Antwort.
„Das mag wohl sein -- es war auch keine Kleinigkeit -- -- ein drei
Stunden langes ununterbrochenes Ringen und Kämpfen -- hätte sie es nicht mit dem ungarischen Grafen zu
thun gehabt, so wäre sie schneller fertig geworden.“
„Es war nur gut, daß der Graf keine Waffen führte, meine Lydia lebte nicht mehr.“
„Wenn er auch Wassen bei sich gehabt hätte, sie würden ihm doch zu Nichts genützt haben. -- Ich stand an ihrer
Seite.“
„Die Faust hatte er schon in ihrem Maule, wahrscheinlich
wollte er ihr die Zunge herausreißen -- --“
„Das hatte er im Sinne, aber sie hat ihm noch zur rech
ten Zeit das Handgelenk zermalmt.“
„Die Ketten und Handschellen müssen ihn furchtbar
schmerzen -- er will sich aber Nichts merken lassen -- -- sehen will ich doch, wie er sich benimmt,wenn
er sieht, daß er sterben muß.“
Die lange, abgemagerte Gestalt zuckte bei dieser Bemerkung
des andern Mannes die Achseln. Dann frug fie:
„Nun, Monsieur Cleveland, wie gefällt Ihnen der junge Graf Emil?“
„Gefällt mir ganz wohl, einen schönern Mann habe ich
in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Was er verbrochen haben mag, daß Sie ihn aus Strafe in
einem solchen Momente seinen Eltern zuführten, kann ich mir nicht recht denken.
Er sieht so unschuldig und herzlich gut d’rein, daß ich ihn, wäre er mir auf einsamen Wegen begegnet,
für einen Engel gehalten hätte, den mir der Herrgesandt.“
„Glauben Sie, das Wiedersehen seiner Eltern und Geschwister hat ihm das Herz gebrochen?“
„Sie wissen, ich konnte nicht länger mehr in der Barracke
bleiben -- ein Schmerzensschrei beim Anblicke seiner todten Mutter
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zuerst und dann -- -- O, es überläuft mich noch jetzt ein kalter Schauder, wenn ich daran denke.“
„Glauben Sie, das Wiedersehen hat ihm das Herz gebrochen?“ frug die
lange Gestalt zum zweiten Male.
„Ich glaube es,“ war die Antwort, „obwohl ich ihn seit
jener Nacht nicht mehr gesehen habe -- -- wie konnte es auch Anders möglich sein?“
„Ich habe sein Herz verhärtet, in dem Augenblicke, wo es
brechen wollte. Emil -- und Lucy, von der ich Ihnen erzählt
habe, müssen leben bleiben, bis ihr Kind, das im nächsten Monate geboren werden wird, das
achtzehnte Jahr erreicht hat, bis zum Jahre 1871. Sie sollen vielleicht erleben, was ich nicht mehr
erleben kann -- den Anbruch einer neuen Morgenröthe, die über den Süden der Vereinigten Staaten
hereinbrechen wird. -- Sollten Sie es erleben, Monsieur Cleveland, so vergessen Sie nicht das Jahr
Achtzehnhundert und ein und siebenzig und den jungen Toussaint
Louverture. -- Wenn ich gestorben, wird Diana Robert zu Lucy und Emil eilen und ihnen Mutter, Freundin und
eine treue Rathgeberin sein. Sie wird ihnen aber nur für die nothwendigsten Lebensbedürfnisse
Geld in die Hände geben, denn der Leichtsinn Emil’s und Lucy's ist grenzenlos -- sie würden von Neuem
wieder trotz allerbisher gemachten Erfahrungen herumludern und ihr Kind vernachlässigen.“
Der Pedlar Cleveland reichte Hiram die von der Sonnengluth Louisiana's gebräunte Rechte und sagte:
„Sollte ich's erleben, so vertrauen Sie auf mich ebenfalls, denn ich bin ein
eifriger Leser von Uncle Tom's Cabin, dem Evangelium der Neuzeit.“
Hiram unterdrückte bei diesen Worten des Pedlars ein ironisches Lächeln, das
seine schmalen bleichen Lippen umspielte. Er tadelte aber nicht im geringsten feinen ungereimten
Vergleich; denn er konnte wohl sehen, daß der Mann doch wenigstens guten Willen zeigte. Nur kam es darauf
an, ob der Pedlar überhaupt die Geburt des gelben Heilands er lebte. -- --
Der Carondelet Canal hat während der Monate Juli und
August ein merkwürdiges Aussehen. Sein Wasser ist um diese Zeit so dicht mit Wasserpflanzen
*) bedeckt, daß, lägen nicht hie %%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%
____________________
*) Dem Botaniker unter dem Namenplantagonatans bekannt.
In der Nähe der Bayou St.John: Mors Ramae. --
- 161 -
%%%%%%%%%%%%%%%%%%
und da
Lake Killers“
*) zerstreut umher, man ihn leicht für einen langen
Rasenstreifen halten würde. Schon mancher Fremde hat hier sein Leben eingebüßt, wenn er auf diese
verrätherische Wiese einen Fuß setzte; denn er hat vielleicht die Schiffe nicht in Acht genommen,
oder es war eben keines da. Kein Jahr vergeht, ohne daß nicht zwanzig bis fünfzig Leichname
herausgefischt werden, von denen man nie erfährt, wer sie waren, ob sie zufällig hier ihr Grab
gefunden oder von verbrecherischer Hand hineingestoßen wurden.
Der Leichenkarren ächzte langsam dem Canal entlang
und war jetzt in der Nähe des Tivoli Gartens angekommen.
„Befehlen Sie dem Hotooh, hier anzuhalten,“ sagte Hiram zum Pedlar
Cleveland. „Wir sind jetzt an Ort und Stelle.“
Ohne ein Wort zu erwidern, streckte der Pedlar seinen
Kopf aus dem Leichenkarren und packte den Hotooh Treiber bei den Beinen.
Der Hotooh zog das Pferd zum Stehen an und rief zugleich in den Karren hinein:
„Sollen wir ihn da hineinschmeißen?“
Er bekam keine Antwort.
Der Ungar -- denn das war der mit Ketten und eisernen
Kugeln belastete Mann -- machte in dem Augenblicke, als der
Karren anhielt, eine kurze aber heftige Bewegung, wobei seine
Fesseln wieder auf den Boden fielen, so daß sie seine Arme, die
er bisher in einander gelegt hatte, gewaltsam niederrißen.
Dann stand er auf und sah in gebückter Stellung aus dem
Karren hinaus. Als er des Canals ansichtig wurde, frug er
in schneidend kaltem Tone, sich dabei nach der Seite hinwendend, wo Hiram mit dem Pedlar saß:
„Soll ich vielleicht da hineinspazieren?“
Es erfolgte keine Antwort auf seine Frage, nemlich kein bejahendes oder
verneinendes Kopfnicken; denn wegen der Maske hätte der Ungar keine andere Antwort vernehmen können.
Zum Pedlar aber sagte Hiram:
„Geben Sie genau Acht, wenn wir aussteigen; denn der
Mensch führt etwas im Schilde.“
Der Tivoli Garten war schon seit einer Stunde geschlossen;
____________________
*) Lake Killers nennt man die Schiffe, die von dem Lake Pontchartrain in die
Bayou St. John und von den in das Old Basin kommen.
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denn wegen der wenigen Gäste, die zu dieser Zeit hier ein kehrten, hielt es der Wirth nicht der Mühe
werth, seinen Garten bis nach Mitternacht geöffnet zu halten. Gegenüber, dicht
am Ufer des Canals, lag ein Lake Killer, ein alter, mastenloser Schooner, der hier einer Ausbesserung
entgegenharrte. Noch vor drei Tagen war er von drei Matrosen bewohnt; die fast zu
gleicher Zeit von der Seuche ergriffen wurden, und da sie keine Hilfe erwarten konnten, in der Fieberhitze
sich in den Canal stürzten. Die Leichname hatten sich gar bald gehoben und lagen nun, furchtbar entstellt,
auf der grünen Oberfläche des Wassers, dicht unter dem Bugspriet.
Der Hotooh war von dem Bocke gestiegen und hatte sich
vor die Oeffnung der Karrenthüre gestellt.
Jetzt stieg Hiram aus. Gleich nach ihm wollte der Pedlar aussteigen.
Da raffte der Ungar all' seine Kräfte zusammen, hob eine eiserne Kugel und
schlug sie Cleveland an den Hinterkopf. Mit einem dumpfen Schrei stürzte der Pedlar aus der Oeffnung des
Karrens und schlug auf den Boden. Er war todt.
„Ich hab's ihm gesagt,“ fagte Hiram zum Hotooh Treiber, „daß der Ungar etwas
im Schilde führt. Es ist seine Schuld.“
Im nemlichen Momente hatte Lydia ihre Stränge zerrissen und war zu ihrem
Herrn herangeeilt, defen dumpfen Schrei sie vernommen hatte. Als wollte sie ihn aufweichen
grünen Rasen betten, ergriff sie mit den Zähnen eine Kleider und schleppte ihn -- in den Canal. Lydia
wäre nicht untergefunken, hätte sich ihr Herr nicht in ihre Zügel verfangen und er sie so in die Tiefe
mit hinabgezogen. Den Hotooh, der zur Hülfe eilen wollte, hielt Hiram zurück, indem er fagte:
„Es war seine eigene Schuld -- ich hab' ihn vorher gewarnt. Wo man nach
solchem Richtplatze fährt, ist Gehorsam nöthig.“
Der Hotooh verbeugte sich, als erwarte er einen Befehl.
Hiram schob ihn bei Seite. „Ich habe Dich jetzt nicht nöthig,“ sagte er.
Der Hotooh empfahl sich und rannte nach der Stadt. Erwar in einem Innern
hocherfreut, daß ihm Hiram nicht befahl, den Todtenkarren mitzuschleppen. --
Der Ungar saß noch immer im Karren. Er hatte sich,
nachdem er dem Pedlar die Kugel an den Hinterkopf geschlagen
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wieder ganz ruhig in die Ecke gesetzt, als wäre durchaus nichts vorgefallen. Jetzt trat Hiram zu ihm
und griff ihm ins Gesicht. Der Ungar rührte sich nicht. Er saß da, als ob alles Leben aus ihm gewichen
wäre. Auch waren Hände, Füße und selbst das Gesicht eiskalt. Hiram griff ihm jetzt noch einmal
in's Gesicht und als er sich noch nicht rührte, nahm er ihm die Maske ab.
„Herr Graf, steigen Sie jetzt aus dem Karren. Der
Mond wird sein Henkeramt übernehmen.“
„Blos, um Ihnen zu zeigen, daß ich mich nicht fürchte,“
antwortete der kalte Lebendige, „so steige ich aus.“
Hiram trat etwas auf die Seite und zog eine kleine Kapsel
hervor. Aus der Kapsel nahm er ein Glas, ungefähr von der
Größe einer Linie. Diese hielt er dem Ungar vor's Gesicht.
Der Ungar wankte mehrere Male hin und her; dann fiel er zu Boden.
Noch einmal hielt Hiram das Glas vor, und als der Ungar zu zucken begann,
so schloß er ihm die Handschellen auf und streifte die Ketten ab.
„Stehen Sie auf, Herr Graf, und folgen Sie mir auf jenen Schooner!“
Langsam erhob sich der Ungar und sah bald auf Hiram,
bald nach dem Canal, bald schaute er aufwärts nach dem Mond.
Er fühlte sich jetzt so schwach wie ein Kind. Seine sonst so
musculösen Arme waren zusammengeschrumpft, wie die eines alten Weibes. Seine Kniee knickten ein.
„Was habt Ihr mit mir angefangen?“ frug er Hiram,
dem er ohne Widerrede auf den Schooner folgte. --
„Sagt, was habt Ihr mit mir angefangen, was wollt Ihr
beginnen? -- -- Wollt Ihr mich vielleicht da hineinwerfen? sagte der Ungar wiederholt in einem
sanften, weichen Tone, der aber noch furchtbarer klang als die Flüche, die er früher ausgestoßen.
Hiram schwieg.
Der Ungar lag mit dem Rücken auf einem zerfetzten Segel, wie es ihm
Hiram befohlen hatte. Er lag still und ruhig, als erwarte er jeden Augenblick, daß ein sanfter Schlummer
über ihn kommen möge. Nur einmal wollte er es versuchen, sich emporzurassen, denn er hatte plötzlich
einen unennbaren Schmerz in seinen Schläfen verspürt. Doch er sank gleich darauf wieder zurück. -- -- --
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Jetzt trat ein Augenblick ein, in dem das Gesicht des Ungarn von einer
wunderbaren Klarheit übergoffen war. Seine Augen strahlten in himmlischer Verzückung und um seinen Mund
spielte ein mildes, fast kindliches Lächeln.
Er faltete seine Hände und sah zur vollen Scheibe des Mondes empor.
„Wie schön Du bist, Mond!“ betete er: „O laß mich ewig hier in Deinem Lichte liegen!“
Da sandte der Mond einen Strahl auf ihn herab, der sah aus wie ein Blitz in Wasser getaucht.
Dieser Strahl traf die Stirne des Ungarn.
Sein ganzes Gesicht verzerrte, verschob und drehte sich.
Als ihn Hiram bei seinen langen Haaren ergriff, um ihn in's Wasser gleiten zu lassen, war das Gesicht
des Ungarn kohlschwarz.
Er war am Mondstich gestorben. --
Epilog.
Der Schreckenssommer des ewig denkwürdigen Jahres achtzehnhundert und drei
und fünfzig war abgeklungen. Unsere Dichter tauchten ihre Federn wieder in das fluthende Gold der
Sterne und sanken berauscht in den Magnolienschooß Ihrer Majestät, der Königin des Südens. Und wo
früher nur der Leichenwagen hielt, da stand jetzt wieder der Troubadour und klimperte fehnsüchtige
Weisen in das liebereiche Herz einer Dame. Der Leiermann schleppte sich wieder vor die Wohnungen
der zurückgekehrten Bajaderen und ließ sich's auch nicht verdrießen, in Neger Café's eine geringe
Gabe entgegenzunehmen. An den Ufern des Mississippi tanzten allnächtlich wieder Columbia's Najaden,
die unermüdlichen Leveedamen und mischten sich gottvergessen unter den Termitenschwarm schlaflosser
Matrosen. Sie wanden ihnen Kränze von Gumboes und spanischem Pfeffer und traktierten sie mit Küssen
und Schildkrötensuppe. Dazwischen das Geraffel der Tambourins und das Knattern und Klopfen der
Castagnetten die ganze lange, liebe Nacht hindurch. Die nemliche alte Wirthschaft wieder -- kaum
hat der Todtengräber seinen Spaten weggeworfen, kaum hatte der Würgengel der Pest sein letztes Opfer
begafft, so stach sie doch gleich. Alle der Hafer wieder. Doch, dies sind unschuldige
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Ergötzungen und der Tod wahrlich nicht werth, daß sich solch' liebenswürdiges Völklein seinethalben abgräme. --
Aber Mene, Teckel, Upharsin! Als wenn gar Nichts vorgefallen wäre;
als wenn man es schon längst vergessen hätte, daß einst Hiram der Freimaurer auf Erden wandelte; als
wenn man es nicht wüßte, weßhalb die schreckliche Seuche die halbe Stadt mordete, so treibt der Wholesalemann
in Menschenfleisch schon wieder seinen schwarzen Troß zu Markte und die Landsknechte des Südens sitzen schon
wieder mit der Geißel des Viehhändlers zu Pferde. --
Und so geschah es zur Carnevalszeit des Jahres 1854, als
eine stattliche Brig in den Hafen von New-Orleans einlief, über
deren Kajütenlucken mit langen goldenen Buchstaben der Name „Toussaint Louverture“ geschrieben stand.
Kein Bugsirboot brachte die Brig an unser Ufer; ohne Hilfe, mit eingerefften Segeln, flog sie
stromaufwärts zum nicht geringen Erstaunen des anwesenden Schiffsvolkes. Und der Commandeur der
Brig, ein Native von Haiti, sandte alsobald einen Boten in die Stadt, mit einem Schreiben. Darin stand:
„Wir Faustinus I., Kaiser von Haiti, entbieten dem Grafen Emil R.* und
seiner Gemahlin, Lucy Wilson, Unsern Gruß. -- Beide sollen sich ohne den geringsten Verschub an Bord der
Brig Toussaint Louverture begeben und ihren Sohn unter dem Schutze Diana Robert's in New-Orleans
zurücklassen. So lautet es im Codicill zum Vermächtnisse Hiram's, das Uns durch besagte Diana Robert auf
den ausdrücklichen Befehl des Ersteren nach Unterer Residenzstadt übersandt wurde. Was
für Beide noch Weiteres im Testamente enthalten ist, werden Wir ihnen bei ihrer Ankunft in Unteren Landen
nicht zurückhalten. An den Grafen Emil viele Grüße vom Prinzen von Würtemberg, den Wir seit dem Sommer
1853 interimistisch als Reichskleinodienbewahrer in Unsern allergnädigten Schutz aufgenommen haben. Ebenso
viele und herzliche Grüße besagtem Grafen Emil von seinem alten Bekannten, dem Büchsenspan
ner, der auf einer Lustreise von New-Orleans nach den Antillen an Unsere Küsten verschlagen wurde und
den Wiraus purer Hochachtung für seine Nation zum Oberhofabstrompeter ernannt haben.
Faustinus.“
So unerwartet die Brig „Toussaint Louverture“ in den
Hafen von New-Orleans eingelaufen war, ebenso flog sie auch wieder stromabwärts -- mit Lucy und Emil an Bord.
An demselben Tage wurde Vetter Karl, der treuherzige
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Mann mit den soliden deutschen Augen, durch eine sonderbare Verkettung von Umständen bei den lesbischen
Weibern am New Basin als Chief-Ostler installiert. Orleana war schon zwei Wochen vorher in eine bessere
Welt hinübergegangen. Das so plötzliche Verschwinden ihrer Busenfreundin Claudine de Lesuire,
die sich seit jener Hirams-Nacht nicht mehr beim heiligen Graal einstellte, war die Ursache ihres so
unverhofften Hinscheidens. Seit dieser Zeit blühen in New-Orleansauch keine Stiefmütterchen mehr.
Impavidum fexient Ruinae!
(Ende der „Geheimnisse von New Orleans“.)
1854
Restauriert und bearbeitet aus Buch und Zeitung von
Peter R K Wagner - 2019