Ausnahmen, bei fast allen Neugeborenen der Fall ist, sondern
sie waren bestimmt ausgeprägt, ja noch mehr, scharf markiert.
Die Augen, Stirne, die feinen schmalen Lippen, das Kinn --
Alles war der Ungar, sein Vater. Nicht nur, daß sich auf seinem
Köpfchen ein dichter, dunkler Haarwuchs zeigte, brachte
es auch fünf Zähnchen mit auf die Welt. An der Stelle auf
derjenigen Wange, wo der Vater die gräßliche Narbe hatte,
zeigte sich ein grauer Fleck, der bis zum Mundwinkel herablief.
Frida war entzückt über ihr Kind, eben wegen dieser frappanten
Aehnlichkeit mit seinem Vater. Mit der größten Aengstlichkeit
wachte sie beidem kränklichen Geschöpfe Tag und Nacht
und entzog sich seinethalben fast jegliche Bequemlichkeit. Wie
der Ungar nach der Rückkehr seiner Gattin in's wunderliebe
Häuschen ein Kind liebte, kann man aus jenem Gespräche in
der Hamburger Mühle entnehmen, wo er dasselbe in scheußlicher
Gemeinheit vor seinen Schandgenossen prostituierte. Wir
setzen noch hinzu, daß, als er sich das Erstemal in der Nähe
seines Kindes befand, es in einem Innern fürchterlich tobte
und fluchte. Entsetzte er sich vielleicht doch über jenen grauen
Fleck an der Wange des unschuldigen Kindes, das ihn unwill
kürlich an jene Mordseene in der Lookingglass-Prairie erinnern
mußte? Wohl hatte noch kein Mann einen sicherern Beleg für
die Treue seiner Frau, als der Ungar, wenn er sein Kind betrachtete.
Diese Treue! -- So weit war man im wunderlieben Häuschen, als der Prinz von Würtemberg mit Gräfin
Gertrude die tiefgebeugten Eltern überraschte und die ganze
Nacht über am einfachen Paradebette Tantchen Cölestine's
mitgewacht hatte. In der nemlichen Nacht wurde, wie wir
bereits wissen, die Hamburger Mühle ein Raub der Flammen.
Wir knüpfen nun wieder da an, wo das Ungeheuer in Begleitung des kleinen
Tiberius mit verschränkten Armen von Algiers aus dem Brande zusah und sich dann an Thomson's
Foundry vorbei in's wunderliebe Häuschen begab. --
[LSZ - 1854.09.12]
Achtes Kapitel.
Eine Nacht aus dem Leben einer
jungen Frau
Nach ihrer Rückkunft von Paß Christian lebten die beiden
Schwestern die erste Zeit ziemlich eingeschränkt. Theils wollte
- 110 -
man wieder einholen, was der Aufenthalt in der Ferne gekostet, theils
hatte man im Sinne, den an der nördlichen Begränzung des Gärtchens gelegenen Bauplatz an sich zu kaufen.
Diese Erweiterung des Grundeigenthums war um so wünschenswerther, als man hiemit dem vielen Geflügel, das sich
sehr stark vermehrt hatte, eine paffende Einfriedigung verschaffen konnte. Frida, deren ganze Aufmerksamkeit nun ihrem
Kinde gewidmet war, hatte gleich bei ihrer Ankunft in New-Orleans auf ihre Stelle im College resigniert, da ihr Gatte
nach seinem Vorgeben jetzt das Doppelte verdiente. Jenny's
Wirken hatte sich in soferne verändert, als sie jetzt nicht mehr
ihren Clavierunterricht in der Stadt ertheilte, sondern einige
auserwählte Zöglinge zu sich ins Haus kommen ließ. Das
war für die gute Jenny auch viel besser. Die viele Zeit, die sie
früher außer dem Hause, mit Herüber- und Hinüberfahren u.s,w. verlor,
konnte sie nun auch für ihre Lieblingsbeschäftigungen verwenden.
Nur zweimal in der Woche verließ sie das
wunderliebe Häuschen, um nach der Bayou Road zu fahren,
wo sie sich dann in die Residence des Prinzen von Württemberg
zu ihrem Kinde begab. Da war es auch, wo sie zuerst Gertrude und Constanze
traf, noch ehe die Eltern derselben von
ihrer und Frida's Gegenwart von dem Prinzen etwas erfahren hatten.
Derselbe hatte sie nach dem Tode von Tantchen Cölestine zu Mistreß Evans gebracht
und die Eltern, sowie dieandern Glieder der Familie über die Lake. Ihre freien
Stunden, wenn sie nicht nach der Bayou Road fuhr, verbrachte
Jenny theils an der Seite ihrer Schwester, theils unter jenem
Bananenbaum, unter dem jetzt ein kleines Bänkchen angebracht war.
Sie selbst taufte diesen Platz. „Jenny's Ruh.“ Und in der That gereichte es ihrem
Herzen zur größten Ruhe, wenn sie hier so ganz in der Nähe der verschlungenen
Namenszüge verweilen konnte. Niemand störte sie hier.
Einmal traf sie der Prinz, als sie eben ihre Busenschleife so um
den Stamm des Bananenbaumes band, daß dieselbe das A
und E vollkommen deckte. Verwirrt sprang sie auf und war
wie der Wind ins wunderliebe Häuschen geflogen. Sprachlos stand der
Prinz einige Augenblicke still, denn er konnte sich
dies sonderbare Benehmen Jenny’s durchaus nicht erklären.
Nachdem er sich mehrmals nach der Gegend des Häuschens zu
umgesehen, ob er nicht beobachtet würde, ließ er sich auf ein
Knie nieder und löste die Schleife von dem Stamme. Als er
das A und E bemerkte, war ihm die Verwirrung Jenny's
- 111 -
ganz klar geworden. „Ich sollte Dir eigentlich zürnen, Bananenbaum,“ flüsterte
der Prinz vor sich hin. „Bis jetzt glaubte ich, Gräfin Jenny hätte nur mir und der Schwester
ihr innerstes Geheimniß anvertraut, nun sehe ich aber, daß
auch Du in dasselbe eingeweiht bist.“ Der Prinz öffnete dabei seinen
Hemdebusen und ließ die verrätherische Schleife hineingleiten. Dann trat er aus der Gartenthüre, ohne die
Schwestern besucht zu haben. Jenny war Ein Feuer, als sie
bei der Schwester war und erzählte, daß sie der Prinz beim
Bananenbaum ertappt habe. „Das geschieht Dir ganz recht,
liebes Schwesterchen, warum hast Du unserm alten bewährten Freunde
Dein Geheimniß verschwiegen? Es lag mir schon
oft auf der Zunge, aber ich glaubte immer,Du würdest es ihm selbst einmal sagen.“
„Du hast Recht, Schwester,“ entgegnete Jenny in einem
herzlichen Tone, „es war ein großer Fehler von mir, daß ich's ihm verheimlicht habe.“
„Der Prinz ist der beste Beichtvater von der Welt,“ sagte
Frida, „er vergiebt alle Sünden.“
„Ueberhaupt wird er von Tag zu Tag liebenswürdiger,“
bemerkte Jenny, „ich liebe und schätze ihn wie meinen eigenen Vater.“
„Wer weiß?“ sagte Frida schelmisch.
„Aber Frida“ verbat sich die Schwester und drohte mit dem Finger.
„Ich weiß nicht,“ bemerkte Frida wieder, „aber der Prinz
ist gar nicht so langweilig, wie andere Männer in seinem Alter.“
„Larochefoucauld hat einmal gesagt: es giebt wenig Männer,
welche alt zu sein verstehen,“ citierte Jenny mit wichtiger Miene.
„Und unter diesen Wenigen befindet sich der Prinz,“ er
gänzte Frida, ebenso wichtig wie vorher ihre Schwester.
In dieser und ähnlicher Weise unterhielten sich die beiden
Schwestern gar oft. -- --
Heute saßen Jenny und Frida noch spät in der Nacht bei
Einander. Zwischen ihnen fand eine kleine Wiege, die sie abwechselnd in Bewegung gesetzt hatten. Der Kleine in der
Wiege schien jetzt ruhig zu schlummern. Frida hatte ihre rechte
Hand über das Geländer des Bettchens gelegt, doch so vorsichtig, daß dadurch keine Oeffnung zwischen der Musquitobare
entstand, denn bei der geringsten Vernachlässigung hätten sehr
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leicht Musquitoes hineinschlüpfen und das schlummernde Kind
aufwecken können. Beide trugen lange, schneeweiße Hemden
mit Blousenleib. Die Haare hatten sie zurückgekämmt und
nach hinten mit einer einfachen Nadel aufgesteckt. Wie immer
vor dem Schlafengehen, so hatten sie auch heute Gesicht, Nacken und Busen stark gepudert.
[LSZ - 1854.09.13]
Das Klima in Louisiana erfordert dies und Frauen, die
es unterlassen, merken es gar bald an ihrer Haut. Die Schwestern versäumten
das Pudern bei ihrer Nachttoilette nie, sowie sie überhaupt, was Reinlichkeit anbetrifft, sehr eigen waren.
Besonders waren ihre kleinen, schmalen Füße von wunderbarer Alabasterweiße, sowie die elegant geformten Nägel an den
Fußzehen von dem hübschesten Rosa angehaucht. --
„Dein Mann bleibt heute lange aus, liebe Schwester,“
bemerkte Jenny, während sie durch die Musquitobare nach dem schlummernden Kinde sah.
„Eben dachte ich darüber nach,“ entgegnete Frida,
„Tiberius ist bereits seit anderthalb Stunden weg.“
„Wenn nur kein Unglück passiert ist,“ versetzte Jenny,
„Tiberius verfährt manchmal so leichtsinnig beim Rudern.“
„O, deßhalb ist mir nicht bange, mein Mann ist ein treffslicher Schwimmer.“
„Das ist wahr, Frida -- doch, sage mir einmal, was hat
Dir denn Dein Mann gestern Nacht im Bette erzählt, daß Du so laut gelacht hast?“
„Warte, Jenny, hast Du schon wieder gehorcht?“
„Wenn ich gehorcht hätte, würde ich Dich nicht fragen,
liebes Schwesterchen. Es muß jedenfalls etwas Außerordentliches gewesen sein, weßhalb Du so gelacht hat. Ist's nicht so?“
„Das ist es gewesen, Jenny und ich könnte jetzt noch einmal anfangen zu lachen, wenn ich daran denke.“
„So sage mir, was war es?“
Statt der Antwort schwieg Frida und fingierte eine geheimnißvolle Miene, um die
Neugierde ihrer Schwester zu reizen.
„So sag' doch, Schwesterchen-was war's?“
„Ich erzähle Dir's ein Andermal, Jenny -- heute ist es
schon zu spät und mein Mann kann jeden Augenblick kommen.“
„Darf er's denn nicht wissen?“
„Gewiß“
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„Warum willst Du mir's aber nicht erzählen?“
„Ich will ja, Jenny - aber nur heute nicht.“
„Dies ist purer Eigensinn von Dir, meine Frida - es
muß Dir ja ganz gleichgültig sein, ob Du mir's jetzt gleich oder
Morgen erzählt. Thu' es lieber jetzt gleich, sonst muß ich
denken, Du willst Dir aufMorgen etwas Anderes aussinnen.“
Die beiden Schwestern horchten plötzlich auf. Frida ließ
ihre Hand von dem Geländer der Wiege gleiten und sah ihre Schwester fragend an.
„Das muß Feuer sein, Frida,“ sagte Jenny.
„Doch nicht in unserer Nähe? Komm’, Schwester, laßä' uns hinaussehen.“
Die beiden Schwestern verließen Arm in Arm das Zimmer,
nachdem sie noch vorher nach dem Kinde gesehen hatten, ob es auch ruhig fortschlummere.
Der Wind trug den Schall der Feuerglocken so laut von
New-Orleans herüber, als würden sie ganz in der Nähe angezogen.
Als Jenny und Frida auf der Galerie des Häuschens
waren, sahen sie am jenseitigen Ufer bereits gewaltige Flammen gen Himmel lodern.
„Das ist ein großes Feuer!“ rief Jenny aus. „Sieh'
mal, Frida, wie es immer weiter um sich greift.“
„Es ist doch entsetzlich mit diesem ewigen Brennen in New-Orleans.
Es kann auch kein Tagdahingehen, ohne daß man nicht Ein oder mehre Male aus seiner Ruhe aufgeschreckt wird.
Es ist gerade, als wenn es mit Absicht geschähe. Es ist gar
nicht mehr natürlich.“
„Das kann leicht sein, Frida -- es giebt in New-Orleans genug böse Menschen.“
Längs der Fence, die das Gärtchen umschließt, sahen sie
jetzt zwei Männer eilig dahingehen, die an den nahegelegenen
Docks Halt machten und sich sehr laut unterhielten.
„Ich glaube, es ist das große Warehouse von Johnson,“
hörten die Schwestern den Einen sagen.
„Das kann es nicht sein- Johnson's Warehouse liegt
noch einen Square weiter hinab. Wenn ich mich nicht täusche, so ist's die Hamburger Mühle,“ erwiederte der Andere.
„Dem Nest würde es nichts schaden, wenn es zu Grunde
ginge. Man hört so viel davon und wenn nur Hälfte wahr
- 114 -
ist, so verdiente es schon, ein Raub der Flammen zu werden. 'S ist lauter Loafergesindel, was darin wohnt.“
„Wenn das Loafergesindel mit verbrennen würde, könnte
sich die Nachbarschaft dazu gratulieren -- aber so müffen ordentliche Leute auch darunter leiden,“ entgegnete der Erstere.
„Du kannst doch Recht haben,“ sagte der Andere. „Betrachte diesen langen Zug von blauen Flammen.
Das ist Alkohol, was brennt.“
„Du meinst also jetzt auch, daß es das große Warehouse ist ?
„Ja ; so viel Alkohol und Liquor werden sie wohl in der
Hamburger Mühle nicht gehabt haben -- -- sieh', sieh', die
blauen Flammen werden immer länger und zahlreicher --
dort, ganz hinten, schlagen sie jetzt auch hervor -- -- und
doch, doch muß es die Mühle sein. Siehst Du dort, wo der
Wind den Rauch wegführt, da kann man das Nebengebäude
jetzt ganz deutlich sehen. Ich kann mich ganz gut entsinnen,
daß es dicht an der Mühle steht -- -- sieh', sieh', jetzt kannst Du's noch deutlicher sehen.“
[LSZ - 1854.09.14]
„Das kann wohl sein, ich habe nie so recht darauf Acht gegeben.“
Die Männer verließen die Brüstung der Docks und
gingen weiter hinab dem Ufer entlang.
Jenny, die, wie ihre Schwester, jedes Wort, das die
Männer mit Einander sprachen, deutlich vernommen hatte, sagte:
„Sagten die Mäuner nicht, daß ... die -- -- nun, wie
haben sie das Ding nur genannt?
„Hamburger Mühle, glaube ich.“
„Das muß ein schlimmes Nest sein, nach dem zu Urtheilen, was
die Männer darüber sprachen. Du mußt Deinen Mann fragen, Frida, wenn er zurückkommt -- der Name
klingt schon so geheimnisvoll - begierig wäre ich, wenn ich etwas Näheres darüber erführe.“
„Es kommt darauf an, ob mein Mann etwas davon
weiß, oder überhaupt schon einmal den Namen gehört hat.“
„Es wäre doch leicht möglich, daß er es wüßte; denn ich
habe noch nie einen Mann getroffen, der so viel Ortskenntniffe
besitzt; er ist ein lebendes Directory. -- -- --
Was geht im selben Augenblicke mit Jenny vor? Sind
das noch die matten Augen einer stillen Schwärmerin? Frida,
Frida, schlinge Deinen Arm um den schlanken Leib Deiner
- 115 -
Schwester, damit sie nicht im Taumel der Freude über das
Geländer hinabstürzt! Auf den Knieen flehe ich Dich an,
Frida, reiße Amor seine Pfeile aus dem Köcher, noch ehe er sie
alle in das Herz Deiner armen Schwester versendet; denn
der, den sie liebt, ist zu weit, zu weit, um die Lippen zu einem
Kuße zu spitzen, er ist drüben, drüben über dem breiten Strome
und steht mitten unter den Flammen und spottet der vernichtenden Glut. Ist das keine
Vision? Folgt Deine Einbildungskraft nicht einem lockenden Irrlichte? Sollte jener
schöne Mann mitden verengten Haaren und dem glühenden
Antlitze, der aufdem höchsten Giebel der Hamburger Mühle
steht, um von hier aus als Feuermann seine Pflicht zu erfüllen, wirklich Dein
Albert sein? Und Du glaubst ihn sicher zu
erkennen, meine Jenny? Es ist sehr weit von Algiers hinüber nach New-Orleans, aber
ich glaube Dir; denn ich weiß, daß das Auge der Liebe weitehend ist:
So stürmte ein kühles Lüftchen, das durch die gekrausten
Härchen eines weiblichen Götterbildesjauchzte.
Die blauäugige Frida schmiegte sich schützend an ihre
Schwester, als sich dieselbe weit über das Geländer der Gallerie hinausbog und ihre
Arme wie im stürmischen Verlangen nach dem rasenden Feuermeere ausstreckte.
„Frida, gute, gute Schwester, siehst Du denn meinen Albert
nicht?“ rief Jenny aus, und so laut, als befände sie sich
mit ihrer Schwester allein auf dem weiten Erdenrunde.
„Jenny, liebes gutes Schwesterchen, sei doch vernünftig, sage,
was ist Dir? Ich bitte Dich um's Himmelswillen, Schwesterchen -- -- O Gott, mein Gott, diese Augen --
-- Schwesterchen, Du erschrickt mich -- -- was ist Dir denn?“
„Siehst Du denn meinen Albert nicht? Da, da, sieht
Du nicht, wie er mitten in den Flammen steht -- O, Gott,
wenn sie ihm nur nichts zu Leide thun -- -- sieh', sieh',
jetzt steigt er höher hinauf -- O Gott -- die Leiter wird ihn
doch halten? -- -- oh, betrachte ihn genau, gerade wie Emil! -- --“
Man sah in der That auf einem querüberliegenden Dachbalken,
den die Flammen bisher noch verschont hatten, die
schlanke Gestalt eines Feuermannes, wie er, den Schlauch
mit geübter Hand regierend, den Wafferstrahl aufdie unter
ihm prasselnden Flammen schießen ließ. Sicher stand er,
als hätte er nicht die geringste Gefahr zu befürchten oderbsp;
- 116 -
als befände er sich auf festem Boden. Ganz deutlich traten
seine Umrisse aus der leuchtenden Lohe hervor und wurden
nur verwischt,wenn sich gerade der dichte Qualm aufdie Seite
legte und die Dachsparren streifte.
Es war höchste Zeit, daß der Feuermann seinen gefährli
chen Platz verließ, denn fast im nemlichen Momente, als er
die letzte Sprosse der Leiter herabgestiegen war, stürzte jener
Querbalken herab, mitten hinein in die rauchenden Trümmer und glühenden Schutthaufen.
Jenny sah den Feuermann herabsteigen und ließ ihr Ta
schentuch nach jener Richtung hin flattern, als wenn sie überzeugt wäre, daß sie derselbe sehen würde.
War es wirklich Albert?
Frida will es der Schwester Anfangs nicht einräumen
und doch, da es Jenny einmal haben will, so glaubt sie es zuletzt.
Ein heftiges Klingeln von der Gartenthüre her zeigte den
Schwestern an, daß Jemand im Begriffe ist, einzutreten.
„Das ist Dein Mann, Frida,“ sagte Jenny, „ich will
machen,daß ich in mein Schlafkabinet komme, ich fühle mich
nicht gefaßt genug, ihn zu begrüßen. Wünsche ihm in meinem
Namen eine gute Nacht und vergesse nicht, ihn nach der Hamburger Mühle zu fragen.“
Die beiden Schwestern gaben sich den herkömmlichen
Nachtkuß und Frida flüsterte der Schwester schnell in's Ohr :
„Aber horche heute nicht wieder, liebes Schwesterchen!“
„Laß das, Frida!“ warf Jenny rasch entgegen und eilte hinweg.
Jenny hatte Recht. Es war Lajos, der durch den Baumgang herankam.
Ihm folgte der kleine Tiberius, der seine
alte Leier von „Susannah don't you cry“ vor sich hinpfiff.
Frida verließ die Gallerie und ging ihrem Gatten auf
halbem Wege entgegen.
[LSZ - 1854.09.15]
Derselbe sah kaum vom Boden auf, als sie ihm zum Willkomm die
Hand reichte. Er dankte ihr in kurzen Worten
und bot ihr nicht einmal seinen Arm an, was er früher nie unterlassen hatte.
Nur half er ihr stillschweigend die Wiege,
in der das Kind lag, mit in's Schlafzimmer zu tragen. „Ich
bin müde:“ Das war Alles, was Frida aus ihm herausbringen konnte, als
sie sich bereits im Schlafzimmer befanden, das,
wie wir wissen, an das Cabinetchen Jennys stieß. Die Thüre,
die dasselbe mit jenem verband, wurde während der Nacht
- 117 -
nur leise angelehnt. Das war Jennys Wunsch, da sie sich nicht allein fühlen wollte.
Jenny war schon im Bette, als Frida und Lajos eintraten.
Eben hatte sie das Licht ausgeblasen.
Ohne etwas zu sagen, ging Lajos auf die Thüre zu und
drehte den Schlüssel zweimal im Schlosse herum.
Frida sah erstaunt dem Manoeuvre ihres Gatten zu;
denn sie konnte sich bis jetzt ein Benehmen durchaus nicht erklären.
„Warum schließt Du denn die Thüre, Lajos? Jenny
wird die Nacht sehr unruhigzubringen.“
„Die Schwägerin ist doch kein Kind mehr, daß sie sich
fürchtet, wenn die Thüre zugemacht ist -- -- es ist ja wirklich lächerlich!“
„Sprich nicht so laut, Lajos, sie hört es,“ bat Frida.
„Wenn sie es auch hört -- man muß ihr diese Kinderei
abzugewöhnen suchen -- wenn sie darüber nachdenkt, muß sie
sich vor sich selbst schämen -- wirklich, sehr langweilig, diese ewige Ziererei -- --“
„Was hast Du denn heute? Ist Dir denn etwas Unan
genehmes widerfahren? -- -- komm’, Lajos, sprich -- -- sei kein solcher Brummbär.“
„Ist kein Wunder, wenn man schlecht aufgelegt ist, jetzt
kann man betteln gehen.“
„Nun sage, was ist denn?“ frug Frida ängstlich- in der äußersten Spannung.
„Aller Verdienst zum Henker gefahren!“
„Fluche nicht, mein Lajos -- hat man Dir Deine Stelle
genommen? Hast Du Dich vielleicht mit Deinem Employer
entzweit? -- -- Das wäre noch kein so großes Unglück, weßhalb Du so unwirsch zu sein braucht -- für einen Mann, wie
Du, wird sich immer wieder etwas finden -- und wäre dies
auch nicht der Fall, so kann ich ja wieder als Lehrerin alltäglich in's College
wandern -- sie würden mich sehr gerne wie
der aufnehmen, dessen bin ich gewiß, Lajos -- --“
Es wird wohl überflüssig sein, daran zu erinnern, daß
Lajos, während er sich über den Verlust eines der Gattin vorgelogenen Geschäftes ärgerlich stellte, jene bedeutende Summe
Geldes in Papieren bei sich in der Tasche trug, die er unter
dem Bett der Piege Merlina’s hervorgeholt hatte. Aber ein
Umstand muß hier ganz besonders hervorgehoben werden, da
er über das Benehmen des Ungarn gegenüber seiner Gattin
- 118 -
etwas Licht verbreiten wird. Weßhalb hatte derselbe trotz
seines abstoßenden Charakters und seiner oft auch in den zartesten
Verhältnissen hervortretenden Schroffheit, bisher eine so
delikate Selbstverläugnung und Nachsicht gegen seine Frau an
den Tag gelegt? Bei einer Ankunft in New-Orleans und
die ersten Monate, die er wieder bei einer Gattin verlebte,
war es offenbar die Geldfrage, die ihn hiezu trieb. Er hatte
keine Beschäftigung, Frida hingegen noch etwas Vermögen,
gab Unterricht -- warum sollte er sich nicht haben überwinden
können, da den vollendetsten Heuchler -- wenn es ihm auch
manchmal sehr zur Last fiel -- zu spielen, wo doch sein noth
wendiger Lebensunterhalt von seinem Betragen abhing?
Aber von der Zeit an, wo er sich als Clubbist der Hamburger Mühle
so viel Geld verdiente, daß er sich sogar auf eigene Ordre die
edelsten und kostspieligsten Weine importieren
laffen konnte, die bisher vielleicht noch nie den Weg nach
New-Orleans gefunden hatten, sich da noch freiwillig in die
Zwangsjacke eines soliden Ehemannes und zärtlichen Vaters
zu stecken -- und sogar noch jetzt, wo er den ganzen Schatz
der Mühle im Besitze hatte, diese wenn auch nicht zarte doch
immerhin verlegene Rücksicht -- das mag wohl Manchem
unglaublich geschienen haben, da es ihm nicht gelungen sein
konnte, den Grund zu erforschen, der von seinem, des Ungarn Standpunkte aus dieses Benehmen rechtfertigte.
Die Sache verhält sich so:
Seit dem Verschwinden ihrer Männer hatten Jenny und
Frida keinen Brief mehr an ihre Eltern nach Deutschland geschrieben. Entweder
hielt sie falsche Scham davon ab, zu
berichten, daß sie in der Auswahl ihrer Männer betrogen und
hintergangen waren, oder-was sehr wahrscheinlich bei Jenny
der Fall war - sie wollten abwarten, bis sich ihre Verhältnisse wieder in so weit geordnet und geregelt hätten, daß sie es,
ohne großes Aergerniß zu geben, wagen dürften, wieder in den
Schooß ihrer Eltern zurückzukehren. Von Deutschland kamen
drei Briefe an. Der erste kam von Emil’s Eltern, den der
selbe jedoch, wie wir bereits im zweiten Bande bemerkt haben,
seiner Gattin verheimlichte. In diesem Briefe war angezeigt,
daß man wegen einer wiederholt drohenden Revolution ebenfalls
gesonnen sei, mit der ganzen Familie nach Amerika über
zuwandern. Mit der Heirath Frida's schien man nicht ganz
zufrieden zu sein, da dieselbe ohne die gegebene Zustimmung
der Eltern derselben vollstreckt wurde. Des unglücklichen Endes
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des Bruders Emils wurde sehr schmerzlich gedacht. Der
zweite Brief kam von den Eltern der Schwestern, aber nicht
an sie, sondern an den Prinzen von Würtemberg adressirt.
[LSZ - 1854.09.16]
Man bat ihn in den herzlichsten Ausdrücken, doch endlich
einmal. Etwas von sich verlauten zu lassen und ihnen die Lage
ihrer geliebten Töchter Jenny und Frida mit aller Aufrichtigkeit eines alten,
bewährten Freundes auseinanderzusetzen. Inden letzten Zeilen des Briefes war noch überdies ausdrücklich
bemerkt, daß, obwohl man sich gerade selbst nicht in der glänzendsten Lage befände,
man doch nicht abgeneigt sei, ihnen, falls
es für nöthig erachtet würde, eine bestimmte Summe Geldes
zu senden. Dieses Schreiben, das zu einer Zeit, wo der Ungar noch nicht nach
Algiers an den häuslichen Heerd zurückge
kehrt war, in die Hände des Prinzen kam, hatte derselbe den
beiden Schwestern vorgelegt. Er beging jedoch die Schwachheit, da um
Rath zu fragen, wo er selbst hätte Rath ertheilen
sollen. Jenny und Frida wollten weder von einer Antwort
etwas wissen, die der Prinz auf dieses Schreiben geben sollte,
noch überhaupt vorläufig nur das Geringste von sich verlauten
lassen. Wollte man aufrichtig verfahren, hieß es, so würde
man die guten Eltern kränken und ihnen das größte Herzeleid
zufügen -- und die Verhältnisse anders darstellen, als wie sie
wirklich beständen, das wollte man nicht auf sein Gewissen
nehmen. Lieber gar keine Antwort, als Täuschung: das war
das Resumé der Berathungen in mehrmaligen Zusammenkünften mit
dem Prinzen in dieser Sache. -- Der dritte und bis
jetzt letzte Brief war ebenfalls von den Eltern der Schwestern
und an Emil adressiert. Da derselbe eine englische Adresse
trug, so war er in der Briefliste der englischen Zeitungen annonciert.
Der Prinz von Würtemberg war auf mehrere Tage
nach Adayes, am Red River, gereist, um in den Environs dieser
alten spanischen Stadt nach einem dort sehr selten vorkommen
den Käfer, mit violettblauen Flügeldecken und zinnoberrothen
Querstreifen, der auf seinem breiten Halsschilde ein stark gebogenes Horn trägt, dem erst in neuester Zeit entdeckten Sca
rabaeus Theophilus, zu suchen. Die Schwestern bekamen sehr
selten eine englische Zeitung in die Hände und so blieb auch ihnen
die Annonce unbekannt. Der Zufall aber wollte es, daß der
Ungar die Briefliste durchlas und somit auch den Brief angezeigt fand.
Es war acht Tage nach seiner Aufnahme in den
Club der Hamburger Mühle. Er ging geradezu auf die Post
-
- 120 -
und ließ sich den Brief einhändigen. Dann begab er sich nach
den nächsten Caffeehaus, um ihn mit Muse durchzugehen
Sein Gesicht erheiterte sich sichtbar, als er die erste
Seite umschlug und auf der zweiten zu lesen begann. Es war hier von
Nichts geringerem die Rede, als daß ein Onkel, den man
schon längst für verschollen hielt, zum Erstaunen. Aller als
steinreicher Mann von Indien zurückgekehrt war. Derselbe
habe gleich bei seiner Ankunft in der Residenzstadt den Stan
desherrn besucht und sei nicht wenig ärgerlich gewesen, als er
das goldlockige Friderle -- wie er niemlich Frida nannte --
das er als Kind so oft auf seinem Schooß geschaukelt und geküßt
habe, nicht mehr fand. Als er nun gehört habe -- hieß
es im Briefe weiter -- daß Friderle mit ihrer Schwester nach
Amerika gereist sei, so habe sich der alte Onkel ganz untröstlich
gezeigt und hätte auch, wenn er nicht. Tags darauf schon
erkrankt wäre, gleich die Reise über See angetreten, um sein
Friderle, das er sich jetzt wie einen Erzengel vorstelle, im
fremden Lande aufzusuchen. Der Onkel -- schrieb man ferner
gegen das Ende des Briefes zu -- läge schon seit Monden
kränklich darnieder und phantasire unaufhörlich von seinem
Friderle. Bald wolle er dieses bald jenes glänzende Geschenk
übersenden, unterläßt aber dann die Ausführung, da er warten
will, bis er ganz gesund wird. Obwohl er, der Onkel
niemlich, nicht im geringsten daran zweifle, daß er bald so recht
wieder auf die Beine komme, so habe er dennoch jüngst seinen
letzten Willen aufsetzen lassen und man bezeichne allgemein das
Friderle als Universalerbin u.s.w. -- Das Vermögen des
Onkels sollte sich auf zehn bis zwölf Millionen Dollars belaufen. --
Den Brief vernichtete der Ungar auf der Stelle.
Viele Gründe wären anzuführen, warum er dies that. In
keinem Falle schadete die Vernichtung dieses Briefes der Erbchaft
etwas, die, wie er wohl einsah, seiner Frida, wenn auch
nicht gleich, doch immer noch eher, als er sich vielleicht mit
seinen glänzenden Aussichten hinauswagte, zufallen müsse. Frida
war somit eine der reichsten Erbinnen der Welt, ohne daß sie
nur die geringste Ahnung von ihrem der einstigen ungeheueren
Reichthum hatte. -- Man sollte nun meinen, der Ungar hätte
sich bei Betrachtnahme seiner zukünftigen Lage nicht mehr der
Gefahr ausgesetzt, um als Mörder und Brandstifter ergriffen
zu werden. Das fiel ihm nicht bei. Das Leben als Clubbist
der Hamburger Mühle gefiel ihm Anfangs so ausnehmend
gut, daß er sogar Alles zu riskiren schien. Endlich aber,
- 121 -
übersättigt von allen nur erdenklichen Genüssen, ging er eifrig mit
dem Plane um, sich der Schätze der Hamburger Mühle zu bemächtigen
und dieselbe selbst in Brand zu stecken. Aber immer,
wenn er schon ganz nahe daran war, diesen Plan zur Ausführung
zu bringen, stellten sich ihm unübersteigliche Hindernisse
in den Weg. Ja, es gab für ihn sogar wieder eine Periode,
wo er seinen Plan vollkommen fallen ließ, da ihn Dame Merlina
und die bleichen Motizen von Neuem gefesselt und an sich
gezogen hatten. Was ihm früher nicht durch seinen Scharf
inn gelungen war, hatte ihn endlich der Zufall durch ein merk
würdiges Zusammentreffen von unerhörten Scenen ausführen
affen. Man denke an das Capitel „unter dem Bette.“ Diese
That sollte der Schlußstein seiner Verbrechen sein, dann wollte
er solid leben, scheinbar eine ehrbare Beschäftigung vornehmen
und ruhig die Erbschaft seiner Frau abwarten. Seiner Frau
nun Alles zu sein und sie förmlich auf den Händen zu tragen, war sein neuester Vorsatz.
Da dieselbe noch Nichts von ihrem der einstigen Reichthum
[LSZ - 1854.09.17]
wußte, so konnte sie auch nicht das geringste Mißtrauen hegen,
daß er sie nur des Geldes halber so zärtlich und zuvorkommend behandle.
Das ärgerliche Benehmen, das er diese
Nacht über den Verlust seines vorgeblichen Geschäftes äußerte,
war von ihm während der Ueberfahrt im Kahne ersonnen und
sollte den Uebergang zu einem Leben bilden, wie es sich seine
Gattin nicht besser wünschen könnte. Seine Rüge in Betreff
des furchtsamen Benehmens seiner Schwägerin und das Absperren der
Thüre war auch weiter nichts, als eine vor bedachte Finte.
Kehren wir nun wieder zu dieser Nacht zurück. --
„Sieh', Lajos, fuhr Frida weiter, „wenn es weiter
Nichts ist, als daß Du Deine Stelle eingebüßt, so bin ich Dir
recht böse, daß Du mich deshalb in solche Unruhe versetzt hat.“
„Nein, weiter ist es Nichts, Frida, aber immer schon
genug, um mich ärgerlich zu stimmen. Der Gedanke, jetzt
wieder müßig gehen zu müssen und wenn es nur auf kurze
Zeit wäre, ist mir unerträglich. Ich bin das thätige, maschinenmäßige Schaffen
bereits so gewöhnt, daß ich mich jetzt sehrunglücklich fühlen werde.“
„Aber, mein Lajos, entgegnete Frida in einem fast
mütterlichen Tone, „Du hältst Dich über meine Schwester Jenny
auf, weil sie so kindisch ist und sich bei zugeschlossener Fre
- 122 -
fürchtet -- sage, ist das nicht eben so kindisch von Dir, daß
Dir bei dem Gedanken, einige Zeit müßig gehen zu müssen, so
schlimm zu Muth wird? Und dann, mein Lajos, giebt es ja
außerdem so viele Beschäftigungen, denen Du Deine gewohnte
Thätigkeit widmen kannst -- in unserm Gärtchen, in unserer
Yard, ja im Hause selbst -- oder wenn Du Lecture, Musik
vorzieht -- -- Du siehst, es ist keine Gefahr vorhanden, sich
wegen Nichtsthun's unglücklich zu fühlen.“
Es gehörte in der That das vertrauensvolle Gemüth Fri
das dazu, um diese grenzenlose Heuchelei nicht im Momente
zu durchschauen. War die unglückliche Frau in vielen Beziehungen sehr
verständig und klar denkend, so war sie doch,
wenn sie Jemandem einmal ihr unbegrenztes Vertrauen geschenkt hatte,
leicht zu hintergehen. Obwohl Lajos einst ihr
Vertrauen so schändlich mißbraucht hatte, so ließ sie sich doch
wieder täuschen und von seiner an den Tag gelegten Reue und
scheinbar unerschütterlichen Anhänglichkeit und Liebe verwirren
und blenden. Dazu kam noch, daß sie ihrem Manne ihr Bedauern
nicht versagen konnte, wenn er so recht spät, meistens
erst ein oder zwei Stunden nach Mitternacht nach Hause kam,
erschöpft und abgemattet von dem Arbeiten in der genannten
Factory. Wäre ihr nur einmal eingefallen, seine Hände anzusehen und seine
feine Toilette zu mustern, so hätte sie hierüber vielleicht andere Ansichten bekommen. Und doch, Frida in
ihrem Wohlwollen, hätte auch dann noch nichts Arges dabei
gedacht. Diese kleine Strafpredigt, die sie ihm nun hielt, zeugte
wieder klar und deutlich für die schöne Reime ihres Gemüthes und ihrer Herzensgüte.
„Wir werden sehen, Frida, was hier zu thun ist -- vielleicht
wird es besser gehen, als wir glauben,“ sagte Lajos mit
affectirter Ruhe und griff dabei wie von ungefähr an die Tasche, wo er den Schatz der Mühle verborgen hatte,
„Wie Du glaubst, mein Lajos, entgegnete Frida
Lajos ging auf die Wiege zu und lüftete die Musquitovorhänge,
eben so viel, daß er hinein sehen konnte. Dann schloß er dieselben wieder und meinte :
„Das Kind sieht mir doch frappant ähnlich, wie
„Es ist seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten,
fiel Frida freudig ein. „Sogar das da!“ fuhr sie fort, indem sie dabei Lajos zärtlich die Narbe streichelte
„Der mexikanische Desperado, der mir diese Wunde
beigebracht, hat wohl nicht geahnt, daß sie dazu beitragen wird,
- 123 -
in dem Sohn auf den ersten Augenblick den Vater zu erkennen,“ bemerkte
der Ungar so ruhig und so behaglich, als freute
er sich von ganzem Herzen über die Aehnlichkeit eines Kindes mit ihm.
„Sage lieber, sagte Frida leise und heimlich: „der liebe
Gott hat Deine Frau so gern, daß er ihr im Sohne den Gatten zum zweiten Male schenkt.“
Dabei hing sie sich an seinen Hals, daß er sich unwillkürlich beugen mußte und ihm bei die
ser Gelegenheit irgend Etwas entfiel, das einen ziemlichen Schlag auf den Boden verursachte.
Frida hörte es fallen.
Der Ungar fühlte es,
Frida suchte lange auf dem Boden umher, während Lajos lächelnd zusah.
„Es ist Nichts, Frida, wir täuschen uns,“ sagte er. Er
hatte aber wohl bemerkt, daß es unter der Wiege lag, dicht am hinterm Schaukelbeine.
„Ich sehe es, Frida,“ sagte der Ungar mit verstellter
kindlicher Unbefangenheit, doch ein satanisches Lächeln zeigte sich in seinen Gesichtszügen.
„Sage, mein Lajos, wo ist es, was war es ?“ bat Frida
und nahm mit beiden Händen das lange Nachthemd nach vorne
zusammen, weil es sie beim Bücken hinderte,
Der Ungar bückte sich jetzt ebenfalls und hob das Gesuchte auf.
Im nemlichen Augenblicke hatte es auch Frida bemerkt,
eben als Lajos darnach griff. Jetzt wo er es frei und hoch in
der Hand hielt, daß man es von allen Seiten genau betrachten konnte, langte
sie an seinen ausgestreckten Arm empor und rief:
[LSZ - 1854.09.19]
„O, wie schön, diese herrlichen, farbigen Gläser -- Hast
Du mir das mitgebracht, Lajos? O, das ist gut, ein hübsches
Nachtlämpchen habe ich mir schon längst gewünscht! Die unsrige sieht so triste und unheimlich aus.“
Es war die gestohlene Agraffe des von dem Ungarn mit
der Pechmaske der Hotooh's erstickten Italieners Lombardi.
Lombardi braucht sie jetzt nicht mehr. Deßhalb kann sie
der Ungar auch ohne Scheu im eigenen Hause brennen.
Der Pipo Lombardi ist todt, aber der Husarenoffizier Lajos
lebt noch. Die Lebenden ergötzen sich an der Hinterlassenchaft der Todten -- das ist ja uralter Gebrauch. --
„Mein guter Mann,“ sagte Frida mit einer Stimme,
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deren Klang Worte nicht schildern können, „wir werden heute
Nacht gut schlafen bei dem schönen, schönen Lämpchen -- siehe
wie herrlich es auf das Gestell paßt -- das alte Ding hier
wollen wir gleich aus dem Fenster werfen, es taucht doch zu Nichts mehr.“
Frida nahm den alten Lampenaufsatz und warf ihn aus dem Fenster.
Lajos hatte sich an die Wiege gesetzt. Er sah schrecklich
bleich aus. Es war dies zwar bei ihm keine seltene Erscheinung, aber als ihm jetzt
Frida in's Gesicht blickte, so schien es
ihr doch, als hätte sie ihn noch nie so bleich gesehen. Zuerst
glaubte sie, es käme von der gefärbten Lampenagraffe, da die
grüne Glasseite derselben gerade nach ihm hinsah. Sie drehte
sie deshalb um, so daß das reine, weiße Glas, das zwischen
zwei rubinrothen abgekantet war, nun eine natürlichere, weniger täuschendere
Beleuchtung hervorbringen mußte -- aber es
half Nichts; das Gesicht ihres Gatten blieb nach wie zuvor
schrecklich bleich, fast graugrün. Waren es die Folgen jener
haarsträubenden Abmattung in der Piege der Zambonegresse
Es mußte so sein; denn als ihm Frida sagte: „Wir werden
heute Nacht gut schlafen bei dem schönen, schönen Lämpchen,
fand er es für gerathen, ein Unwohlsein vorzuschützen und sich
von ihr die Erlaubniß auszubitten, noch einige Stunden im
Gärtchen, im Freien, in besserer Kühlung zu verweilen. Frida
gab es sehr ungerne zu, und als ihr Gatte mit einem Büffelfelle
unterm Arm das Schlafzimmer verließ, so schloß sie die
Thüre, die in’s Cabinetchen Jenny's führte, auf, und ließ ihre
Schwester zu sich herein, auf so lange niemlich, bis ihr Gatte
wieder zurückkommen würde. --
Lassen wir die beiden Schwestern mit dem kleinen Kinde
in der Wiege allein und folgen wir dem Ungarn nach
Derselbe begab sich auf diejenige Seite der Galerie, die gegen
die Fagade des Häuschens umspringt, breitete hier sein Büffelfell
aus und streckte sich der Länge nach auf dasselbe hin. Sein
Gesicht wandte er nach jener Gegend hin, wo noch immer der
Rauch aus der Brandstätte qualmte und in kleinen Absätzen
sich bald schwächer, bald stärker verzog. Die Feuermannschaft
war schon vor einer Viertelstunde zurückgekehrt und nur noch
hie und da sah man ein Häuflein Menschen neugierig in der
Nähe der vom Feuer zerstörten Hamburger Mühle herumstehen
und die Trümmer und Schutthaufen begaffen. Der Mond
strömte über jene Brandstätte sein helles Licht aus, so daß man
- 125 -
sie vom wunderlieben Häuschen aus ganz deutlich überschauen konnte.
Als der Ungar fast unbeweglich eine gute Weile gelegen
hatte, setzte er sich plötzlich auf, griff in seine Seitentasche und
nahm die Banknoten heraus, die er sorgfältig zusammengebunden hatte.
Er bog sie zur Hälfte ein und fingerte daran
herum, als ob er sie noch einmal zählen wollte. Das that er
nicht einmal, sondern mehrere Male nach Einander, wie Einer,
der noch immer nicht glauben will, daß er sich wirklich im
Besitze einer so großen Summe befinde. Er wog sie auf der
flachen Hand und machte überhaupt noch verschiedene Manoeuvres damit.
Da vernahm er hinter sich ein Knarren wie von
neuen Schuhen. Er sah rasch um sich und erblickte Gabor von
Rokavar, der ihn mit einem tiefen Bückling nach Art der
Laien unter den Hamburger Clubbusten begrüßte. Der Ungar,
der sich sonst bei den bedenklichsten Ueberraschungen so kaltblütig
zeigte, wie eine Leiche, erschrack diesmal doch. Denn das
Erscheinen des Geächteten der Hamburger Mühle in diesem
Augenblicke war auch zu unverhofft. Aber schon im nächsten
Momente hatte er wieder seine volle Geistesgegenwart er
langt. Er erhob sich rasch und wandte sich im verächtlichen
Tone an Gabor: „Warum stört der verstoßene Hund die
nächtliche Ruhe seines ehemaligen Herrn?“
„Das Hündchen möchte gern auch ein Theilchen von den
hübschen Banknötchen haben, die sein Herr in Händen hat.“
erwiederte Gabor mit einem süßlichen Lächeln, aber dabei doch ziemlich couragiert.
„Verdammtes Mensch, ich schneide Dir die Kehle durch,
wenn Du mir nicht sagt, was Dich hieher führt und weshalb Du mich belauscht hast?“ sagte Lajos in bitterkaltem Tone.
„Laß Dir sagen, Lajos,“ versetzte Gabor, „ich glaube,
es wird besser sein, wir verständigen uns und Du giebt mir die Hälfte von dem Profitchen.“
„Profitchen? von welchem Profitchen verdammter ungarischer Scandomiez!“
„Was schimpft Du auf die Ungarn, Lajos, Du bist ja selbst ein Ungar!“
„Aber kein Standonicz -- sprich, was meinst Du mit
Deinem Profitchen ? mache schnell oder ich schneide Dir die
Kehle durch. Lajos zog bei diesen Worten sein langes Bowieknife hervor,
„Sprich nicht so laut, Lajos, die Ladies können sonst nicht
- 126 -
schlafen und würden uns dann stören, bevor wir uns noch verständigt hätten,“ erwiederte
Gabor, ohne sich im mindesten über die Manipulation mit dem Bowie knife entsetzt zu zeigen.
[LSZ - 1854.09.20]
„Tod oder Merlina, verdammter Scandomicz, was soll Dein Geschwätz bedeuten ?
„Es soll nichts bedeuten, Lajos -- Dein Hündchen möchte
nur die Hälfte von den schönen Banknötchen haben, die Du
eben durchgezählt hat -- -- weiter ist es nichts, Lajos -- ein
so armes, verstoßenes Hündchen wie ich, ist ja mit Wenigem zufrieden --“
Der Ungar war nahe daran, sich auf Gabor zu stürzen
und ihm das lange Bowiemesser durch den Leib zu rennen.
Aber er sah wohl ein, daß ein so gewaltsames Verfahren auf
offener Galerie für ihn gefährlich werden könnte. Und wer
stand ihm gut dafür, daß der verschmitzte Jude Rokavar -- dessen
Großvater, ein Hofbanquier, von den Habsburgern einst
das Adelsdiplom erkauft -- nicht eine oder mehrere Personen
im Hinterhalte stehen habe, die jedenfalls gleich hervorbrechen
würden, wenn Gabor ein Leid angethan würde? War hiefür
sein couragiertes Benehmen, das er früher noch bei keiner einzigen
Gelegenheit an den Tag gelegt hatte, nicht Beweis genug?
Der Jude hatte ihn jedenfalls die Hamburger Mühle verlassen sehen,
dessen glaubte er sich jetzt gewiß zu sein. Und
hatte er das, so mußte er auch, als dieselbe gleich darauf in
Brand gerieth, in ihm den Urheber erkennen. Freilich, wie es
gekommen, das wollte er von ihm erst erfahren. -- Rokavar
waren die Bedenklichkeiten, die in Lajos wegen der Handhabung
seines Bowiemesfers aufgestiegen waren, nicht entgangen. Er
sah ihn einen stechenden, mißtrauischen Blick über
das Gärtchen werfen, als befürchte er, er, niemlich Gabor,
habe irgendwo Bundesgenossen im Hinterhalte. Das kam
Gabor trefflich zu statten. Ja, er bestärkte Lajos in seinem
Mißtrauen noch mehr, indem er nun selbst einige Seitenblicke
in das Gärtchen hinabwarf, besonders da, wo sich der schattige
Baumgang zu dunklen, wildverwachsenen Gebüschen hinab
zieht. Aber gerade dieses Umspringen des Benehmens zeigte
dem schlauen Ungarn, daß Gabor von Rokavar keine Hilfe
von einem etwa Versteckten zu erwarten habe. Der Jude, der
recht pfiffig sein wollte, hatte somit sich selbst in sein Garn ver
strickt und zeigte dem Ungarn die eigentliche Situation erst recht an.
- 127 -
„Gut, Gabor,“ sagte jetzt Lajos, „Du hast bei mir einen
Bundel Banknoten gesehen?
„Ja; im Werthe von über Hunderttausend Dollars,
entgegnete der Jude trocken,
„Du hast mich belauscht -- "bist vorher hinter mir gestan
den, als ich sie zählte, hm, "nicht so?“
„Freilich hab ich Dich belauscht, Lajos, aber der Himmel
weiß es, nicht hier -nicht hier, daß ich gewußt hätte, wo Du die schönen Banknötchen her hat.“
„Nicht hier,“ dachte sich der Ungar, „freilich der Jude hat
es gesehen, wie ich die Noten gezählt habe -- aber nicht hier?
Was sollte er mit dem „nicht hier“ meinen, hat er vielleicht
gar -- --doch -- nein, das ist nicht möglich -- -- nein, Hölle
und Teufel, das wäre rein unmöglich!“
„Nicht hier?“ frug der Ungar jetzt den Juden gelassen.
„Hier wohl -- aber nicht hier, daß ich's zum Erstenmale
sah, wo Du die schönen Banknötchen her hat, die schönen Dingerchen die!“ schmunzelte der Jude.
„Sprich deutlicher, Gabor,“ sagte der Ungar
in einem gemäßigten Tone; als wollte er zu irgend einem Einverständnisse einlenken
„Wo anders soll ich Dich belauscht haben, als in unserm
schönen Mühlchen selbst.“
Der Arm des Ungarn, in dessen Hand man noch immer des
Bowiemesser sah, zuckte etwas. Doch kamen ihm die letzten Worte Gabor's nicht mehr unerwartet.
Gabor von Rokavar fuhr fort:
„Gottes Wunder, Lajos, Du hast Dir ja ganz gütlich
gethan mit unserer Dame Merlina. Gottes Wunder, ich hätte
nicht geglaubt, daß Du so verliebt sein kannst -- -- und wie
schön hast Du das Niggerchen abgemuckt! -- -- -- Und die
Banknötchen erst, Lajos, die Du unter dem Bett hervorgeholt
hast -- das war noch das Süßeste -- --
Der Jude hatte in abgebrochenen Sätzen gesprochen, da
bei forschend dem Ungarn ins Gesicht sehend, um den Eindruck zu bemessen, den
seine Worte auf denselben machen wür
den. Lajos nemlich sah ihn gar nicht an, sondern lehnte sich
nachlässig an eine Säule der Galerie und ließ seinen Blick
über den Garten schweifen, aus dem eben der letzte Schimmer
des Mondlichtes gewichen war,
Ueber was brütete der Ungar eben nach, ohne daß ihm
- 128 -
jedoch nur Ein Wort, das der Jude gesprochen, entgangen war?
Sehen wir nach jener Mard, die ans Gärtchen gränzt
und durch eine kleine Thür mit demselben in Verbindung steht.
Ueber das Gärtchen nach dieser Mard hin schweifte das
Auge des Ungarn und blieb lange auf eine gewisse Stelle geheftet. Diese Yard,
die zum Grundeigenthum der beiden
Schwestern gehörte, war früher zu einer Küferei oder sogenannten „Cooperage“
benützt worden. Nichts deutete mehr auf die fruhere Benutzung des Grundstückes hin; denn ein zehn
Fuß langer und fünf Fuß breiter Teich, dessen trübes, mit
Schlamm überzogenes Wasser in einer Vermauerung von
Backsteinen eingeschlossen war, konnte von demjenigen, der hier
nicht ganz genau bekannt war, unmöglich bemerkt werden, da
ihn dichte Verschlingungen von perenirenden Gewächsen ganz durchzogen und überdeckten,
[LSZ - 1854.09.21]
Es war ein hoop-pond, d.h. ein Teich, in den die Küfer
ihre Reife zum Einweichen legen, um ihnen die für ihren Gebrauch nothwendige Biegsamkeit und Elasticität zu verschaffen.
Dieser Teich stieß hart an die fast mannshohe Gartenfence
und hatte überdies eine solche Lage, daß er, wenn man an
ihn herantrat, weder vom Häuschen aus, noch von irgend
wo anders her gesehen werden konnte, man wäre denn durch
die Thüre gegangen, die vom Garten in die Yard, wo der Teich lag, führte.
An diesen Teich dachte der Ungar.
„Ich sehe,“ wendete er sich an Gabor von Rokavar,
„Du hattest Dich irgendwo in der Mühle verborgen und so
Alles mit angesehen. Obwohl es mir bis jetzt noch unbegreiflich ist, wie
Du das bewerkstelligt haben kannst, so will ich
Dich hierüber jetzt nicht weiter ausfragen -- Du kannst es
mir ein andermal ausführlich erzählen -- hier, Gabor, hast
Du die gewünschte Hälfte von dem Vermögen der Mühle --
aber kalt will ich Dich machen, wenn Du irgend einmal den
Versuch machen solltest, die Sicherheit meiner Person durch
eine Schufterei zu gefährden. -- Merk Dir das! -- hier, ich will die Noten abzählen -- --“
Der Ungar nahm bei diesen Worten seinen Bündel Noten
wieder aus der Tasche, hielt die untere Hälfte fest in der
Hand und fingerte die obere durch. Als er so fertig war, zog
er die Hälfte ab und überreichte sie Gabor. Derselbe griff
- 129 -
haftig darnach, steckte sie aber nicht auf der Stelle bei, sondern
hielt sie, wie unschlüssig, noch in der freien Hand.
Lajos, dem dies in der That auffiel, frug ihn: „Nun,
glaubst Du vielleicht,Du hättest nicht die richtige Zahl oder ich
hätte Dich hintergangen? Ich lasse Dir Zeit, so viel Du willst, zum Nachzählen.“
Gabor von Rokavar schöpfte Verdacht. Nicht etwa weil
er in eine richtige Theilung des Geldes Zweifel setzte, sondern
weil der Ungar ihm den Rath gegeben, es noch einmal zu überzählen.
Sollte er nicht diese Gelegenheit benützen, ihn mit
einem Stoße durch das Bowiemesser in die andere Welt hinüberzusenden?
Vielleicht hatte der Ungar auch nur scheinbar
eine mißtrauische Miene gemacht, als ob Jemand zu seiner
Hilfe im Hinterhalt läge, falls ihm etwas Schlimmes passieren
sollte ? Wer weiß? Man kann nie vorsichtig genug sein, besonders
einem solchen Manne wie Lajos gegenüber! So dachte
der Jude bei sich, als ihm der Ungar den Rath ertheilte, das
Ueberzählen der Noten selbst vorzunehmen.
Gabor von Rokavar, dem ein einziger Blick auf die ihm
überreichten Noten genügt hatte, um sich zu überzeugen, daß
er vorläufig genug habe, trat etwas zurück und sagte:
„Die Noten will ich noch einmal übergehen, wenn Du
Dein langes Messer wegwirft.“
„Da werde ich mich wohl hüten,“ entgegnete der Ungar.
„Das Bowieknife hat mich an 320 Dollars gekostet -- goldner Griff, echter Stahl -- -- hm,
hm, Du bist wohl verrückt, Gabor?“
„Du kannst es ja an einen Ort schmeißen, wo Du es wie
der finden kannst, wenn ich weg bin,“ meinte der Jude, dem es
erst jetzt, wo er das Geld hatte, bange wurde.
„Furchtsames Aas von einem Scandonicz !“ knirschte der
Ungar, schleuderte aber dabei ein Messer im weiten Bogen
von sich weg. Der Jude folgte mit den Augen freudig dem
Fluge des Messers, das in ein fremdes Grundstück niederfiel,
das ganz leer stand und nur mit halbaufgeschossenem Korn,
wildem Hanf und Brombeersträuchern bedeckt war.
Gabor ahnte wohl nicht, daß der Ungar mit ihm etwas
ganz anderes vorhabe, als ihm mit dem Bowiemesser auf den
Leib zu rucken. Auch ließ er sich herzhaft übertölpeln, daß er
glauben konnte, der Ungar würde so mir nichts dir nichts, blos
weil er es so wünschte, mit ihm theilen. Es fiel ihm trotz seiner
nicht geringen Verschmitztheit gar nicht einmal, das
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der Ungar den Gedanken in sich hegen könne, noch ehe er ihn
verlassen habe, wieder in den Besitz der Noten, somit des ganzen
Schatzes der Mühle zu gelangen. Als das gefährliche
Messer entfernt war, faßte Gabor Vertrauen, d.h. er glaubte,
der Ungar wolle ihn zum zweiten Male fesseln, um ihn ander
wärts wieder zu benützen, da, wie er selbst Zeuge gewesen war,
außer dem Abbé Dubreuil, der, als das Feuer ausbrach, nicht
in der Mühle verweilte, kein Clubbist mehr am Leben war.
Warum hätte er sonst so willig mit ihm theilen können, wenn
der Ungar seinen Vortheil nicht dabei im Auge gehabt hätte?
Es konnte nur die augenblickliche Freude über das erhaltene
Geld sein, die den Juden so dumm und blind machte. Nicht
so viel oder gar kein Geld in der Hand, hätte denselben gewiß
vorsichtiger zu Werke gehen laffen. Gabor wurde in seinem
Vertrauen noch mehr bestärkt, als der Ungar anfing, ein Gespräch
wegen Abbé Dubreuil und des von ihm gefaßten Entschlusses, das Vermögen der Mistreß Evans an sich zu ziehen,
anzuknüpfen. Lajos setzte dem Juden die Vortheile, die auch
für sie daraus entspringen könnten, in so glatten verführerischen
Worten auseinander, daß derselbe jeden Verdacht bei Seite
warf und im Verlauf des Gespräches mit dem Ungarn die
Treppe der Gallerie herabgestiegen war und sich nun mit ihm im Gärtchen befand. --
Am östlichen Horizont flimmerte bereits ein blasser
Lichtstreifen, der sich aber noch leicht und sanft in die dunkle Schattierung des
Nachthimmels verlor. Alle jene tausend Stimmen
von Cikaden, Fröschen, Nachtreihern, Anhinga’s, Rohrdrom
meln u.s.w., die sich unter dem Himmel Louisiana's allnächt
lich zu einem wunderbaren Concerte vereinigen, waren bereits
verstummt und nur ein Lokustizankte sich noch mit einer kleinen
rothgestreiften Prairiegrille herum.
[LSZ - 1854.09.22]
Im Gärtchen selbst war es noch sehr dunkel, denn die dichtstehenden
Baumreihen und hohen, weit auseinander strebenden
Gebüsche ließen das matte Frühlicht nicht eindringen. Aber
deßungeachtet fühlte man mitten im Dunkel den anbrechenden
Morgen, seit es daß die frischere Luft oder der Verstand des
Menschen den Verräther spielte. Nur die weiße Farbe, mit
der man den Hauptstamm einiger Bäume übertüncht hatte,
um ihrer Zerstörung durch gewisse Infecten vorzubeugen, sah
lebhaft in's frische, grüne Dunkel. Sonst konnte man kaum
die Gartenwege deutlich sehen.
Gabor wurde immer lebhafter bei seinem Sprechen, was
- 131 -
ihm von Seiten des Ungarn eine kleine Rüge zuzog, indem er
ihn nemlich darauf aufmerksam machte, daß noch Alles im
Hause schliefe.
„Also morgen gewiß bei den Hotooh's treffen wir uns,“
sagte der Ungar mit sicherer Stimme, als er den Juden bis
vor die Thüre gebracht hatte, die in jene AYard führte, wo der oben genannte Teich lag.
„Komm' ich da hinaus auf die Straß"? Ich muß eilen,
daß ich jetzt nach Hause komme. Ich übernachte bei meinem
alten Wirth hinter Thayer's Plantage. Nach New-Orleans
kann ich jetzt doch noch nicht hinüber und mit einem Kahn,
falls sich auch ein Ruderjunge dazu fände, ist es doch zu viel
riskiert, wenn man so zuckersüße Nötchen bei sich führt! Das
Ferryboot ist doch immer sicherer -- -- -- Komm' ich da
hinaus aufdie Straß’?“ wiederholte der Jude dann wieder
und streckte seinen Kopf durch die Oeffnung der Fencethüre in
die Yard hinein.
Der Ungar stand dicht hinter ihm.
„Freilich,“ erwiederte derselbe -- „Du schneidet hier
wenigstens dreihundert Schritte ab bis zu Thayer's Plantage.“
Der Jude trat in die Aard.
Der Ungar zuerst hinter ihn und dann zu einer Rechten.
Er ergriff jetzt die Hand des Juden, scheinbar wie zum
Abschied und sagte noch einmal: „Also ist es sicher, Gabor ?
Morgen bestimmt beiden Hotooh's -- --“
„Sehen wir uns,“ bekräftigte der Jude.
Der Ungar ließ seine Hand aus der des Juden gleiten
und that, als ob er stolpere: „Die verdammten Kühe,“
fluchte er, „überall liegen sie. Einem im Wege.“ Dabei ließ
er den Juden hinter sich an der Fence vorbeigleiten, ihn war
nend, er möge sich in Acht nehmen, daß er über keine Kuh falle.
„Gottes Wunder,“ entgegnete Gabor: „Was thun die
Küh' bei uns ehrliche Leut'?“ Er sondierte dabei vorsich
tig den Boden mit seinen Füßen, bevor er fest auftrat ....
„Gottes Wunder, glaubt' ich doch jetzt, daß ich an eine Kuh
gestoßen wär,“ rief er dann wieder, als er einige Schritte
weiter gegangen war.
Sie befanden sich jetzt kaum einen Schritt von dem
hooppond entfernt.
- 132 -
Der Ungar hatte schon vorher, als er über die angebliche
Kuhgestolpert war, seinen Rock ausgezogen und ihn zu beiden
Seiten des Rückentheiles straff gefaßt.
Jetzt, als Gabor eben etwas von der Fence abging, um
den Schlingpflanzen, die ihm an die Beine schlugen, auszu
weichen, warf ihm Lajos mit Blitzeschnelle einen Rock über
den Kopf und drückte ihn im nemlichen Momente fest an die Fence zurück. --
Es waren nur wenige Augenblicke und Gabor von Rokavar hörte auf mit den Füßen zu zappeln.
Der Ungar hatte ihm mit aller Gewalt seiner nervigten
Hände den Hals zugeschnürt.
„Das war so gut, wie die Pechmaske der Hotooh's,“
sagte er vor sich hin, als er seinen Rock vom Kopfe des Erdroffelten abzog und wieder in die Aermel schlüpfte.
Dann nahm er ihm das Geld ab und zog bei dieser Gelegenheit noch eine
Brieftasche
*) hervor, die er zu sich steckte, um
deren Inhalt bei Licht zu durchsuchen. -- Da war es ihm
plötzlich, als hörte er vom Häuschen her einen gellenden
Schrei. Er wendete sich um und horchte. Da aber wieder
Alles ruhig war, so glaubte er, es sei ein Nachtreiher gewesen,
den irgend ein Raubvogel erhascht habe.
Den Leichnam ließ er in den Teich gleiten und flocht die
____________________
*)Ein Brief, den der Ungar noch am nemlichen Tage in der Brieftasche
Gabor's vorfand und der von jener Doppelgängerin unserer Frida herstammte, die
wir damals im Plantershausen St. Louis und dann aus der Erzählung Jenny's
kennen gelernt haben, kann hier nur in einer Note beigefügt werden, da er durchaus
nicht den geringsten Aufschluß enthält, um befriedigend in die Lösung jener mysteriösen
ehelichen Verhältnisse einzugreifen. Wer war jener Lajos, den die Doppelgängerin
in folgenden Zeilen nennt? Wer war sie selbst? Und in welcher Verbindung
stand sie mit Gabor? Konnte der feige, niederträchtige Jude solche Zeilen
niederschreiben, wie sie der Ungar damals im Album der Doppelgängerin vorfand?
Vielleicht, daß es uns vorbehalten ist, hierüber in Zukunft einiges Licht zu verbreiten.
Bis jetzt waren wir es nicht im Stande.
Der genannte Brief lautet:
„Herr von Rokavar! Seit meiner Ankunft in Milwaukie sind nun
bereits drei Wochen verstrichen, und Lajos ist noch immer nicht erschienen. Ich
kann mir seine Fahrlässigkeit um so weniger erklären, als er mir in St.Louis aufs
Heiligste versprochen hat, in einigen Tagen nachzukommen. Ich befinde mich des
halb in der fürchterlichsten Lage von der Welt, da ich ihm meine Juwelen, mein
Geld -- mein Alles zurückließ. Von einem schrecklichen Vorfall, der mir in St.
Louis in meinem Hotel begegnete, werde ich Ihnen nächstens berichten, da ich
jetzt zu verstimmt und niedergeschlagen bin. Ich sage Ihnen vorläufig hierüber
nur so viel, daß mich ein Doppelgänger meines Lajos auf eine schaudererregende
Weise attaquirt hat, ein wahrer Teufel in Menschengestalt. Ich kann Ihnen
nicht beschreiben, was ich leide, wenn ich an die etwaigen Folgen denke, die der
Besuch dieses Doppelgängers nach sich ziehen kann. Ich zitiere schon bei dem
bloßen Gedanken und es überläuft mich oft so kalt, als berührte mich die Hand
einer Leiche. Er heilen Sie mir Ihren Rath, Herr von Rokavar, was ich in
dem Falle zu thun habe, wenn Lajos nicht mehr erschiene, aber entschlagen Sie
sich zu gleicher Zeit jeder Hoffnung, einst ganz mir anzugehören.
Ihre wohlmeinende Freundin Frida.“
- 133 -
dadurch auseinander gestruppten Gebusche und Mustangs, so
gut es im tiefen Halbdunkel möglich war, wieder in- und durcheinander. --
[LSZ - 1854.09.23]
Als der Ungar in’s Häuschen zurückkam, und durch das
Drawingroom dem Cabinet seiner Gattin zuging, stinszte ihm
dieselbe in einem entsetzlichen Zustande entgegen. Jenny kam
ihr auf den Fuß nachgeeilt, nicht weniger verwirrt und bleich.
Sie zogen den Ungarn in's Schlafzimmer, wo die neue Lampe
scheinbar ruhig und friedlich auf dem Vorsprung des Kamins
ihr vielfarbiges Licht ausströmte.
Der Ungar war nicht wenig betroffen; denn er dachte
gleich daran, daß Frida und die Schwägerin etwas gesehen
oder gehört haben könnten. Er sah aber gleich, daß er sich hierin täuschte.
Es war etwas ganz Anderes, was sie so entsetzt und zerstört aussehend machte.
Als sich der Ungar nemlich entfernt hatte und Frida ihre
Schwester zu sich in's Schlafzimmer hereinließ, blieben sie einige Zeit bei Einander auf,
um so den Ungarn zurückzuerwarten. Als er aber so lange nicht kam, glaubte Frida, er würde
wohl bis zum Anbruch des Tages auf der Gallerie zubringen,
was er sehr oft zu thun pflegte, obwohl es ihm die zärtliche
Gattin jedesmal auszureden suchte.
Jenny legte sich zu ihrer Schwester und sie schliefen bald ein.
Sie mochten so eine halbe Stunde ruhig fortgeschlum
mert haben, als sie durch ein ungewöhnliches Geschrei des Kindes aufgeschreckt wurden.
Als sie nach der Wiege hinsahen, bemerkten sie, daß das Kind die Musquitovorhänge herabgerissen
und sich ganz in dieselben verwickelt hatte. Frida sprang
alsogleich aus dem Bette und auf ihr Kind zu. Jenny setzte
sich mit halbem Leibe auf. Aber wer beschreibt das Entsetzen
Frida's, als sie den feuchten, kalten Leib einer Ratte berührte,
die über dem Hals ihres Kindes ausgestreckt lag und sich durch
das Stampfen und Schreien desselben nicht im geringsten abschrecken ließ.
Ein entsetzlicher Schrei entwandt sich der Brust der unglücklichen Mutter.
Mit der Wuth einer Löwin, der man ihre Jungen raubt,
riß sie die verwirrten Musquitovorhänge auseinander und griff nach der Ratte.
Aber neues, unbeschreibliches Entsetzen!
- 134 -
Die Zähne der Ratte hatten den Hals ihres Kindes ge faßt.
Jenny war jetzt auch an die Wiege getreten. Sie sank
aber gleich wie ohnmächtig zusammen.
Frida darf an der Ratte nicht reißen; denn dadurch
würde sie nur die Lage ihres Kindes verschlimmern.
Am ganzen Leibe zitternd vor Wuth, schlägt die sonst so
sanfte Frida ihre Zähne knirschend aneinander und ihr Blick
ist der einer Furie -- so schön himmelblau ihre Augen und so
goldlockigt ihre Haare auch sein mögen.
Sie hatte einmal gehört, daß sich Ratten vor dem grie
chischen Feuer fürchten und bei einem Anblicke alsogleich die
Flucht ergreifen und nie wieder an denselben Ort zurückkehren.
Das fällt ihr nun ein. Und sollten die farbigen Gläser
der Lampenagraffe nicht die nemlichen Dienste thun?
Ein Blitz dieser Gedanke. Ein Blitz -- die Ausführung.
Als Frida der Ratte die Gläseragraffe vor das Auge
hält, läßt sie von ihrem Opfer ab und raschelt über die Wiege auf den Boden hinab.
Frida aber läßt die Lampe fallen, wirft sich auf ihr Kind
und bedeckt es mit tausend Küffen.
Als sie sich wieder erhebt, steht Jenny vor ihr, bleich wie
der Abgott des Todes. Sie kann nicht sprechen, hat aber Alles gesehen.
Die Lampe stand ruhig und heimlich, als trüge sie an
alledem nicht die geringste Schuld, auf dem Mantel des Kamines.
Weder Jenny, noch Frida haben sie vom Boden aufge
hoben und wieder an ihren Platz gestellt.
Das Kind schlief für immer.
So waren denn beide Schwestern endlich hinausgeeilt,
um den Ungarn aufzusuchen und fo hat er es gefunden. --
Dem kalten Bösewichte knickten die Kniee ein, als er vor
seinem todten Kinde stand. Vielleicht das Erstemal in seinem
Leben regte sich in seinem Herzen etwas, was man bei guten
Menschen Gefühl nennt. Thränen konnte er nicht weinen --
wie anders auch ? Die Natur hat sie ihm schon von Geburt
aus versagt. Der Mörder hatte als Kind nie geweint.
- 135 -
Am Abende desselben Tages, an dem wir Gräfin Constanzer
und Miß Dudley von „Christ's Church“ aus bis nach Hause
begleiteten, waren
Lady Evans Stuart und der
Prinz von Würtemberg in einem Gespräche begriffen, das uns manches Interessante darbietet und zugleich eini
gen Aufschluß über die gegenwärtige Lage Abbé Dubreuil's
verschafft. Wir geben die schließenden Momente dieses für
unsere Leserinnen gewiß höchst interessanten Gespräches. --
Die alte Schottin faltete eben ein Schreiben von ziemlich
großem Umfange, das sie mit gespannter Aufmerksamkeit durch
gelesen hatte, wieder zusammen. An dem dazu gehörenden Couverte, das auf ihrem Schooße lag, sah man ein gebrochenes
gräfliches Siegel und auf der Adressen Seite las man in freien,
schönen Zügen:
„To his Royal Highness, Prince Paul of
Wuertemberg, New Orleans, Louisiana, U.St.“
[LSZ - 1854.09.24]
Lady Evans Stuart schob das Schreiben, nachdem sie es
zusammengefaltet hatte, in das Couvert und legte es auf den neben ihr stehenden Alabaster-Trumeau.
„So scheint es denn doch, daß Sie Recht haben, mein
Prinz,“ wandte sich Lady Evans Stuart in französischer
Sprache an den Prinzen Paul von Würtemberg, „es ist in
der That der nemliche Abbé Dubreuil, der das infamierende
Verbrechen an Tante Cölestine begangen hat. Die päpstliche
Sendung nach Magdeburg fällt auch genau in dieselbe Zeit.“
Dann fuhr die alte Schottin sehr aufgeregt fort: „O,daß ich
noch in den letzten Tagen meines Lebens so etwas an einem
Priester erleben mußte, der einer Kirche angehört, der ich von
Jugend auf all' meine Verehrung und Anbetung zollte!“
„Beruhigen Sie sich, Madame,“ entgegnete der Prinz
mit warmer, theilnehmender Miene: „Sind wir froh, daß
wir den Ruf, das Leben, die Unschuld Ihres engelgleichen Kindes gerettet haben.“
„Und ich hatte so nichts, aber auch so gar nichts geahnt!“
sagte Lady Evans in langgedehnten Worten.
„Und an jenem Tage, wo der Abbé mit Ihrem Kinde
nach der Beichte fahren wollte -- -- haben Sie auf mich gezürnt, als Sie hörten,
daß ich es verhinderte,“ versetzte der Prinz ganz ruhig und gelaffen.
„Also glauben Sie wirklich, daß der Abbé das Nemliche
mit meinem Kinde .... es ist entsetzlich, wenn ich nur daran denke.“
„Madame -- es wäre geschehen -- eben solche Vorbereitungen
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traf er damals bei Tantchen Eölestine - Sie haben die Briefe gelesen -- --“
„O, bitte Prinz, jetzt nichts mehr hievon -- -- der Abbé
wird seiner Strafe nicht entgehen.“
„Ich schreibe heute noch nach Rio de Janeiro ... dorthin
hat er sich mit dem ihm von dem Bischof anvertrauten Gelde geflüchtet.“
„Glauben Sie sicher zu sein, Prinz?“
„Er ist auf dem Schiffe, das nach Rio segelte, gesehen worden.“
„Möge ihm die Rache des Himmels, den er so schwerer
zurnt, uachfolgen,“ sagte die alte Schottin im Feuer ihres religiösen Gefühls.
Beide schwiegen einige Augenblicke.
Lady Evans Stmart nahm zuerst wieder das Gespräch auf:
„Aber Prinz, um wieder auf unsere gräfliche Familie zu
ruckzukommen -- ein so gutes Herz. Sie haben und einen so
wohlwollenden Sinn. Sie hegen, so war es doch sehr grausam
von Ihnen, daß Sie es so lange hinausgeschoben haben, Jenny
in die Arme ihrer Schwiegereltern zu führen.“
„Hierüber hatte ich meine triftigen Gründe,“ versetzte der
Prinz mit einer geheimnißvollen Miene.
„Sie tragen auch immer Geheimniffe bei sich, Prinz,“ sagte die alte Schottin.
„Heimlichkeiten-keine Geheimniffe!“ rief der Prinz lebhaft aus.
„Aber sagen Sie mir doch, mein Prinz,“ fuhr Lady Evans
Stuart fort: „Wie kommt es doch, daß Graf Lajos * in so
geringer Gunst bei dem Cousin seiner Gemahlin steht?“
„Hierüber kann ich Ihnen wirklich keine befriedigende Ant
wort geben, Madame; Graf Lajos * ist ein sehr achtungswerther, reeller Mann -- ich habe an ihm nichts auszusetzen. Er
gefällt mir durch und durch, wie überhaupt alle ungarischen
Edelleute für mich etwas sehr Auziehendes haben. Leider kommen wir höchst selten zusammen; denu er ist den ganzen Tag,
oft spät bis in die Nacht hinein beschäftigt.“
Lady Evans Stuart neigte sich etwas gegen den Prinzen
vor und flüsterte leise:
„War nicht der Graf Lajos* schon einmal seiner Gemahlin
untreu gewesen? Man erzählt sich in gewissen Keisen so Manches.“
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„Nicht, daß ich wüßte,“ versetzte der Prinz.
„Wieder Geheimniffe oder Heimlichkeiten - wie Sie es
nennen mögen, mein Prinz,“ bemerkte die alte Schottin.
Dann, als der Prinz Nichts darauf erwiederte, fuhr sie fort:
„Hat der Herr Graf nicht zweiJahre lang von seiner
Gemahlin entfernt gelebt? -- -- Gestehen Sie, Prinz, Sie wissen, Sie wissen, Sie müssen es wissen -- --“
„So viel ich weiß, ja -- er war zwei Jahre abwesend --
es mögen ihn hiezu Umstände gezwungen haben, die mir nicht
bekannt sind -- übrigens kann ich Sie versichern, Madame, daß es keinen treuern und solidern Mann giebt.“
„Wie man sich erzählt,“ fuhr die Schottin weiter, „soll
er vor noch nicht langer Zeit in einer Fabrik beschäftigt gewesen sein -- das wundert mich sehr -- ein ungarischer Edel
mann, aus so altem Hause -- --“
„Madame,“ entgegnete der Prinz, „Graf Lajos* ist über
derartige Skrupel schon längst hinweg - - -“
„Vielleicht spielt er nur die Rolle eines Cincinnatus,“
meinte Lady Evans, „er wird abwarten, bis man ihn einst
ausder Fabrik wie jenen vom Pfluge weg zur Diktatur führt
-- -- Sein Vaterland hat noch nicht ausgespielt.“
„Madame, Sie mögen. Recht haben,“ versetzte der Prinz
schelmisch lächelnd, „aber auf eine solche Hoffnung hin, würde
ich meine Gesundheit in einer Fabrik nicht riskieren.“
„Also in vierzehn Tagen, Prinz, begleiten Sie uns über
die Lake. Sie und Graf Lajos“ werden ihre Pflichten als Cavaliere unter die Damen gehörig zu vertheilen wissen.“
„Ob Graf Lajos* mitgeht, ist noch sehr in Frage gestellt,“ versetzte
der Prinz,“ er ist seit dem Tode seines ersten und einzigen Kindes sehr verstimmt.“
„Die Fahrt über die Lake kann ihn im Gegentheil nur
aufheitern,“ entgegnete die alte Schottin.
„Ich will mein Bestes versuchen, ihn zu überreden, die
Reise mit anzutreten,“ sagte der Prinz.
„Da er, wie Sie mir sagten, Prinz, noch nicht einmal die
Schwiegereltern der Schwester seiner Gemahlin kennt, so
sollte das für Graf Lajos * um so mehr ein Grund sein, mitzureisen.“
„Das wird auch das Einzige sein, was ihn dazu bewegen
könnte,“ sagte der Prinz eifrig, „ich will esversuchen.“ --
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Als der Prinz die alte Schottin verließ, sagte er zu ihr mit
besorgter Miene:
„Madame, verzögern wir die Abreise nicht länger, als wie
es bereits bestimmt ist, es könnte sehr nachtheilige Folgen nach
sich ziehen.“ -
„Wie meinen Sie das, mein Prinz?“ frug Lady Evans frappiert.
„Es sind bereits mehrere Todesfälle am gelben Fieber
vorgekommen und man glaubt allgemein, daß dasselbe zu einer
nie gekannten Epidemie heranwachsen wird.
Den Sommer Achtzehn hundert und drei
und fünfzig hat schon Lacanal in seinen Schriften als einen Schreckensommer prophezeiht“-
(Ende des vierten Bandes.)