„Nur Kinder haben Sporen nöthig“, bemerkte der Ungar,
„die Schenkel müssen das Pferd fliegen lehren.“
„Ja, wenn man solche Schenkel hat, wie die Hungarians“, warf der Abbé ein.
„Nein -- wenn man Husarenoffizier gewesen ist,“ betonte
Lajos und nahm unwillkührlich die Stellung eines Reiters an.
„Husarenoffiziere darf man unter dem hiesigen Jokey Club nicht suchen -- man muß mit
Pferdehändlern vorlieb nehmen“, entgegnete der Italiener, während er sich ein neues Stück Kautaback abbiß, nachdem
er den verbrauchten Theil vorher in ein roth und blau carrirtes Taschentuch gespieen hatte.
antwortete der Italiener.
Als Lombardi die Namen der Racepferde genannt hatte,
schienen sich die Augensterne des Ungarn zu vergrößern und suchten an der gegenüberliegenden Wand einen
Firierpunkt. Er zog seine Cigarre bis nah an die Hälfte in den Mund ein und zerbiß sie.
Er schien über Etwas nachzubrüten.
„Wer war die Glückliche unter diesen Bestien?“ frug er
dann, ohne sich merken zu lassen, daß ihm diese Frage etwas anderes, als gewöhnliche Neugierde dictirte.
antwortete der Italiener, als Sachverständiger auch die Couleur des Reiters nicht vergessend,
„Roth, weiß und grün !“ wiederholte der Ungar, „da hat
der Zufall die ungarischen Nationalfarben zusammengewürfelt - eine maliciöse Convenienz, wenn es ein Ungarpferd wäre
„Das sind unsere „Farben“, erwiederte der Italiener.
„In neuester Zeit ja“, sagte der Ungar, „der Unterschied liegt nur in der Zusammenstellung.“
„Ist wohl möglich“, bemerkte der Italiener, ohne den
Doppelsinn der Worte erkannt zu haben.
„Und wer war der Glückliche?“ frug Lajos im langge
dehnten Tone, als wäre ihm nicht viel an der Beantwortung dieser Frage gelegen.
„Wie ich weiß,gehört die Lydia Prairiebrand Mister
Cleveland, einem Farmer aus Illinois“, antwortete der Italiener Lombardi.
„Ist wohl schon lange hier?“ frug der Ungar -- aber mit
beengtem Athem, indem er dabei die Hand vor den Mund hielt und hustete.
„Nun, wie ich hörte -- einige Wochen. Der Kerl ist übri
gens ein großer Humbuger und versteht es, sich interessant zu machen --“
„Wie so?“ bemerkte der Ungar.
„Er behauptet, schon einmal ermordet gewesen zu sein
und so drei Tage mitten in der Prairie gelegen zu haben. Die
selbe wäre in Brand gerathen und das Flammenmeer über ihn
weggeeilt, ohne nur im geringsten feinen Körper zu verletzen.“
Dem Ungar traten große Schweißtropfen auf die hohe,bleiche
Stirne und rannen über sein Gesicht bis auf die behaarte
Brust hinab. Er warf seinen Kopf zurück auf die Lehne des
Fauteuils und stierte mit gespensterhaftem Blicke das Plafond an.
Erstaunt sahen sich Lombardi und Merlina an.
Der Abbé schob seinen Fauteuil weiter vom Tische ab, als fürchte er sich.
Der Ungar langte mit seinen Armen weit aus, als wollte
er etwas abwehren. Dann schien er wieder zu sichzu kommen und rief mit fürchterlichem Hohne:
„Donner und Doria -- wenn das verreckte Aas wieder
auf die Beine kommt, ist man nicht einmal sicher, daß man
selbst schon ein Aas gewesen ist.“ Und ohne auf eine weitere
Beschreibung des Italienerszu dringen, sprang er von seinem
Fauteuil auf und rief wie toll:
„Wenn New-Orleans schläft, wacht die Mühle -- die Clubbisten von 99 und 100 bringen Tod und Verderben!“
Dann wandt' er sich an den Italiener und sagte:
„Lombardi, lassen Sie uns in Nr.100 gehen -- der Abbé
kann uns begleiten.“ -- Hierauf trat er mit verstörtem Gesicht
[LSZ - 1854.04.07]
____________________________
Achtes Capitel.
Die Clubbisten von Neun und
Neunzig und Hundert.
„Sieh' Deine reichsten und ' Bürger zittern
vor mir,große Stadt! Sie bekleiden die höchsten Aemter
und buhlen gar ehrbar um die Volksgunst,und doch sind
sie eben so große Schurken, als wir -- denn sie drücken
uns im Dunkeln freundschaftlich die Hand -- auf der
Straße aber wollen sie uns nicht kennen. Daher sendet
Dir sein Anathema, O große Stadt, Don Luis, el grau
Desperado.
(Altes spanisches Schauspiel.)
Le Sage’s hinkender Teufel verstand die seltene Kunst, die
Dächer von den Häusern abzunehmen und seinem Günstling
Dinge sehen zu lassen, bei derem Anblick er in wenigen Minuten
mehr Erfahrung machte und größere Weisheit einsog, als weiland Doctor
Faust und fein Cicisbeodurch das tiefste Grübeln
über den Logos und Homunculus. Der hinkende Teufel flog
von der Seinestadt nachden Pyrenäen. Nachdem er in deren
Bädern das schuldbefleckte Glied wieder reingewaschen, nahm
er seinen Flug nach Gibraltar. Von da, durch die Engländer
vertrieben, streifte er die Säulen des Herkules und ließ sich
auf den höchsten Gipfeln des Atlas nieder. Dann knickte er die
Capitäler der Palmen Bileduldgerid's und sank in Liberia in's
Knie. Hier verliebte er sich in eine schöne Tochter Nigritia's
und machte Ansprüche. Als er aber nach vielen Wochen Courmachen
noch um kein Haar breit weiter gekommen war, als
- 128 -
zur Zeit, wo er sein Buhlen begann, so ward er's überdrüssig
und forschte nach Slave-Sale, um so auf leichtere Weise zum
Zweck zu gelangen. Da man ihm aber bedeutete, daß man kein
schwarzes Menschenfleisch feilbiete, so verdroß ihn das Liberia
dergestalt, daß er eilig wegflog und sich nicht eher wieder niederließ,
als bis er den Südwestpaß erreicht und Angesichts
von New-Orleans sich geräuspert und geschneuzt hatte.
Der hinkende Teufel kummert sich jetzt den Teufel mehr
um seine alte Liebschaft in Liberia, da er hier in New-Orleans
„plenty“ hat. Auch macht er sich ein großes Vergnügen daraus,
Moralphilosophie zu dociren und hebt zu diesem Zwecke mit
den Dächern zugleich die Petticoats auf. So hatte er's damals
mit der Hamburger Mühle gemacht und den wilden Katzen
der Dame Merlina. --
Obwohl die Clubkabinette der Hamburger Mühle, Jedes
für sich selbst, abgeschlossen waren, so hatte der Pontifer Maximus der Bande, der
Italiener Lombardi, vor den andern Clubbisten das Prärogativ voraus, in jedes von diesen
Cabinetten zu jeder ihm beliebigen Zeit zu gehen und seine Musterung vorzunehmen. --
Diejenigen Cabinette, die mit Nr.97 und 98 bezeichnet
waren, nahm das untergeordnete Personal in Anspruch, das
zwar im Allgemeinen die nemlichen Rechte als die Clubbisten
des höheren Grades genoß, doch mit feinen Ansprüchen auf
Gelderwerb bedeutend in den Hintergrund treten mußte. Die
es untergeordnete Personal bezog mehr ein Gnadengehalt, als
den honetten Theil der eroberten Beute. Thaten sie sich durch
ihre Bravour bei Verübung verschiedener Verbrechen hervor,
fo avancierten sie in die nächst höhere Nummer. Welche Proben
man bestanden haben mußte, um dieses vortheilhafte Avance
ment für sich zu gewinnen, haben wir an dem Abbé Dominique
Dubreuil gesehen. Die Clubbisten von 97 und 98 waren die
eigentlichen Werkzeuge und gehorsamen Diener der Mühle und
für dieselbe eben so unentbehrlich als für den Wagen die Räder.
Man stellte sie an die schwierigsten Posten und ließ sie die toll
kühnsten Streiche ausführen. Ihre Vergangenheit umschloß ein
mehr oder minder glänzender Rahmen, dessen Vergoldung durch
die Länge der Dauer abgenützt oder so beschmutzt war, daß er
für Nichts weiter tauglich schien, als in die Rumpelkammer
geworfen zu werden. Wie sich die Trappers aus den Vervehmten der menschlichen Gesellschaft, aus notorischen Verbrechern,
entsprungenen Sträflingen u.s.w. rekrutieren, so ließen sich
- 129 -
die Clubbisten der Mühle im geraden Gegentheile mit der großten
Keckheit in den Schooß derselben nieder, und waren um so
gefährlicher, als sie sich wegen ihrer Wohlhabenheit und scheinbaren
Rechtlichkeit oft die höchste Achtung ihrer Mitbürger zu erwerben wußten.
Die Clubzimmer von 97 und 98 waren ziemlich geräumig
und hatten ein zwar einfaches, aber bequemes Meublement.
Hier erwarteten sie die Befehle, wie sie ihnen von Nr.99
und 100 zukamen und besprachen gegenseitig die Mittel und Wege zur Ausführung ihrer Verbrechen.
Worin diese bestanden, werden wir gleich sehen.
War gerade nichts zu thun oder ein Unternehmen zu gefährlich,
so zechte man die ganze Nacht und senkte seine Phantasie in den Schooß der bleichen Mestizen
und wilden Zamba's.
Das war die Steuer, welche das Einkommen dieser untergeordneten
Clubbisten zum Vortheile Merlina’s und der Mühle stark decimirte. --
Merlina, die nie oder doch nur höchst selten, diese Clubbs
besuchte, führte des ungeachtet eine genaue Controlle.
Dieselbe war ihr sehr leicht möglich, da Lajos den officiellen
Berichtigungen des Italieners durch sein Soufleur Genie
mehr Nachdruck und die eigentliche Weihe verlieh.
Doch begeben wir uns jetzt in die Cabinette Nr.99 und
100, wohin Lombardi, Lajos und Dubreuil aus dem Salon der Mühle geeilt waren. --
Diese Clubkabinette, obwohl sie nach Außen, jedes für sich,
verschlossen und somit von Einander getrennt schienen, waren durch eine leichte Tapete,
die man nach Belieben aufziehen und herablassen konnte, zum freien Ein- und Ausgang von einem
Cabinette in's andere geschickt gemacht.
Diese Tapeten-Niederfälle stammten noch von dem Spanier Viala,
der sie der hübschen Hamburgerin zurückließ, die
sie für irgend ein Maneuver in ihrem Bedroom benützte.
Bei ihrem Auszuge aus der Mühle ließ die Frau V*, die
nachmalige Putzmacherin Bonceur, hoffnungslos zurück, wo sie
dann in die Hände der Clubbisten fielen, die sie mit Geschick an
dem eben bezeichneten Orte benützten. --
Es war nach eilf Uhr.
Der Abbé Dubreuil und Lombardi, die sich das sonderbare Benehmen des
Ungarn durchaus nicht erklären konnten, waren mechanisch seinem Aufrufe gefolgt, und wenn es der
Italiener bisher nicht gemerkt hatte, daß er sich unter den schroffen
- 130 -
Chrakter des Ungarn ducken mußte, so konnte er es jetzt um so mehr fühlen, indem Lajos in
dieser Nacht eine ganze Gewalt unumwunden hervortreten ließ.
Der Vorfall mit dem todtgeglaubten Pedlar aus Illinois,
mit dem er vor ungefähr einem Jahre jene nächtliche Tour durch die hohen Gräser der
Looking-Glass-Prairie unternommen hatte, brachte eine solche Veränderung in seinem bisher
geheuchelten Benehmen gegen den schmutzigen Italiener hervor, daß er alle bisher geübte
Nachsicht als lästigen Ballast von sich warf und sich demselben mit Einemmale als Dictator
gegen überstellte.
Er bedachte hier kein Risico -- er wollte und das war genug.
Der Abbé hüstelte eine gute Zeit lang fort, nachdem Lajos
bereits mehrere Male das Buch der Muhle durchblättert und ärgerlich wieder zugeschlagen hatte.
„Lombardi!“ unterbrach er plötzlich das Stillschweigen
und sah mit seinem kalten Marmorblicke auf den Italiener.
„Sie kommen mir sehr sonderbar vor, Lajos --“,
antwortete Lombardi und schielte dabei auf das Buch.
„Lombardi!“ rief der Ungar wiederholt aus, „ich bin es
überdrüssig, Sie noch weiters zu fetiren, wie Sie es bisher von mir gewohnt waren. Schreien
Sie, heulen Sie wie ein hungriger Wolf -- ich commandiere und Sie präsentieren!“
„Vor wem?“ frug der Italiener wie niedergeschmettert
und ganz unschlussig, wie er sich gegenüber einem solchen Betragen des Ungarn benehmen sollte.
„Vor dem Pontifer Mxrimus der Hamburger Mühle!“
betonte Lajos mit scharfem Accente.
„Dann muß ich vor mir selbst präsentieren“, sagte der Italiener verwirrt,
jetzt schon die ganze Gewalt fuhlend, die der Ungar auf ihn ausübte.
Der Abbé hüstelte noch immer und schien neutral.
„Sie präsentieren und ich commandire! -- Lombardi,
Abbé und Ihr Alle in der Muhle! Was seid Ihr Heuchler und Schleicher, Ihr Diebe und
Brandstifter gegen Lajos, den Clubbisten von Hundert, der sich wappnen muß gegen das Aas,
das schon die Luft verpestet hat? -- Wem von Euch ist schon ein Todter auferstanden? Wen von
Euch hat eine Leiche in die Schranken gerufen? Wer von Euch wäre nicht in Ohnmacht gefallen,
wenn er gehört hätte, daß ein von ihm Ermordeter noch Ansprüche auf eine Purse bei einem Wettrennen
- 131 -
mache? Wer von Euch hat eine Leiche reiten und ein ersoffenes oder verkohltes Pferd einen Preis
gewinnen sehen? -- Sie sehen mich fragend an, Lombardi? Sie haben den dummen Rülps Cleveland aber nicht
die Pedlar Leiche gesehen! -- Schauen Sie nicht so erbärmlich d'rein, Lombardi. -- Verstehen Sie
mich noch nicht? Mister Cleveland aus Illinois habe ich vor ungefähr einem Jahre mitten im Prairiebrande
todt liegen lassen und jetzt kommt er hieher und mischt sich mit seiner Stute unter die Rennpferde.“
Der Abbé knüpfte seine Halsbinde los und schaukelte sich auf den Stuhlbeinen.
„Das ist auch toll genug“, sagte er dann.
„Ich präsentire“, erwiederte Lombardi und fügte leiser
hinzu: „wenn es wahr ist, daß die Todten auferstanden sind.“
[LSZ - 1854.04.08]
„Lombardi! Wenn es auch nicht wahr wäre; ich commandiere und hiemit Punktum!“
„Well und ich präsentire“, sagte der Italiener ganz verdutzt.
„Und, wenn Sie fertig sind, nehme ich Ihnen das Gewehr
ab“, bemerkte der Abbé, der zu der Auferstehungsgeschichte noch eine ungläubige Miene machte.
„Für sie ist ein Gewehr zu gut, Abbé -- Rosenkränze für
Stricke -- das ist der Pfaffen Waffe!“ --
Diese plötzliche Umänderung des Ungarn während so kurzer Zeit mußte
auch eben so schnell wieder vorübergehen, wenn sich der Unmuth, das Erstaunen, der laute Groll an einem
starren, kalten Herzen gebrochen hatten. Auf den tobenden Orkan mußte Windstille folgen und das vorher
hin uüd hergepeischte Fahrzeug, dessen Steuermann mit grollender Stimme dem Sturm befehlen wollte, zu
gehorchen, schaukelte wieder ernst und stille ober dem gähnenden Grab des unersättlichen
Würgers Ocean. Kein Stern beleuchtete eine solche Nacht seit der erfolgten Windstille, nur Leuchtkäfer
schwirrten um Segel und Mast und schmückten, aber erhellten nicht das majestätische, ewige Dunkel.
Diese Leuchtkäfer reizten einst eine wieder zum Leben erstandene Leiche und ließen sie den Pfad
finden, der sie in's Verderben geleitete."
Es war keine Furcht, die den Ungarn überwältigte, als
er von Lombardi die grauenhafte Geschichte vernahm -- die großen, kalten Schweißtropfen, die ihm
auf Stirne und Brust standen, waren nicht die Kinder eines geängstigten Gemüthes
-- das gespensterhafte Auge zog sich nicht deshalb in die Länge,
weil sein Inneres ihm zugerufen hatte, es gäbe eine Rache
- 132 -
unter den Todten; nein -- er kann schon im Voraus, den Pedlar auf schickliche Weise sammt seiner
Lydia aus dem Weg zu räumen, noch bevor es ihm gelingen würde, unangetastet New-Orleans zu verlassen.
Das Verlangen nach seinem Tode kochte sich in ihm zur
gräßlichsten Raubgierde aus, machte ihn Anfangs auch wie ein Raubthier die Zähne fletschen, bis er,
dem Instinkte der Hyäne folgend, seinen lauten Groll unter die blutgierige Zunge verbannte. --
Der Ungar nahm jetzt das große Buch der Mühle wieder
vor, und blätterte mit ruhiger und sicherer Hand nach den bezüglichen Noten.
Dieses Buch, „das Clubbuch der Hamburger Mühle“ genannt, war ungefähr von
dem Formate der Ledgers und hatte einen starken am Rücken und an den Ecken mit Silber
belegten Einband. Seine Farbe war dunkelroth, mit der be kannten Parole Tod oder Merlina auf jeder
Lage, in voller dunkler Schattierung. Die Noten des Buches, so wie überhaupt die ganze Führung desselben
waren in französischer Sprache abgefaßt und wurden nur hie und da durch die im Club bestehenden
Idiotismen unverständlich, ja in manchen Fällen sogar zu unauflösbaren Hieroglyphen, die nur die Sphynx
Merlina und die Clubbisten von Nr.99 und 100 zu deuten im Stande waren.
Der kurze, dicke Schlüssel, der das Schloß genannten
Buches öffnete, hing gewöhnlich an einer rothseidenen, schwarz durchzogenen Schnur, die man jedesmal
nach Abschluß der vorliegenden Geschäfte um den Einband in dreifacher Verschlingung wand und den Schlüssel
durch eine eigenthümliche Verknotung sinken ließ. Die dadurch entstehende Schleife bildete
den Namenszug von Dame Merlina.
Zum regelrechten Oeffnen sowohl, als zum Schließen des Clubbuches war in
gewisser Hinsicht eine nicht unbedeutende Fertigkeit nöthig.
Bisher hatte es Lombardi übernommen, dem Buche der
Mühle eine erste Weihe zu verleihen, und er that dies immer
auf eine Art und Weise, wie es dem Ungarn schon lange nicht mehr behagte.
Als derselbe eigenmächtig das Buch ergriff, ohne auf das Prärogativ des
Pontifer Maximus Rücksicht zu nehmen, hatte Dubreuil mit einem Seitenblicke auf den Italiener, dessen
anfangs erzwungene und dann freiwillige Unterwerfung im
- 133 -
Momente erkannt und und er glaubte nun auch eine ähnliche Zurücksetzung zu gewärtigen, obwohl er
sich bisher noch keine Rechenschaft geben konnte, wie und wann ein solches Benehmen
bei eintretenden Mißhelligkeiten unter den Verbündeten der Mühle selbst, eine wenn auch nur
annäherungsweise Ausgleichung hoffen lassen könnte.
Lombardi war bestürzt.
Der Abbé nicht minder.
Lombardi hoffte im Stillen vielleicht auf Merlina, der Abbé construierte
für sich neue Vorsichtsmaßregeln und brachte sie mit den bisher beobachteten in Verbindung.
Er sah nur zu gut ein, daß jener sonderbare Vorfall mit dem Pedlar Cleveland
aus Illinois nur den Anstoß zur Unabhängigkeits-Erklärung des Ungarn gegeben hatte und daß dieser schon
längst in sich den Wunsch herumgetragen habe, sich von den lästigen Verknüpfungen an gewisse Normen der
Clubbisten loszumachen, und die Vorteile zu genießen, ohne auf die hergebrachten
Verbindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. --
„Tod oder Merlina!“ rief jetzt der Ungar, indem er das Buch der Mühle vornahm.
„Tod oder Merlina!“ antworteten fast zu gleicher Zeit Dubreuil und Lombardi.
"Laios begann:
„Vom St. Charles Hotel eine Balance von fünfhundert Dollars -- wenn die Kerle
morgen nicht bezahlen, nimmt man die geeigneten Maßregeln.-- Dubreuil, wollen Sie das Herrn
A*, dem Clubbisten von 97, übertragen.“
Der Abbé verließ auf einen Augenblick sein jetziges Clubkabinett und
eilte zu Nr.97, wo er sich seiner Pflicht erledigte.
Ein Paar bleiche Mestizen, die an ihm vorbeistreifen, als
die Clubthüre von 97 geöffnet wurde, hielten ihn etwas länger auf, zurückzukehren, als gewöhnlich.
„Die Brandgelder werden künftighin erhoben, noch ehe man Feuer anlegt.“
„Gut,“ sagte Lombardi und Dubreuil.
„Hier ist eine Eingabe von Litera A.F.H.P. -- Seine zwei Häuser in
Tchoupitoulasstraße, die sich in sehr schlechtem Zustande befinden, aber sehr hoch assecuriert sind,
wünscht er niedergebrannt zu haben. Er bezahlt der Mühle für ihre Dienstleistungen zweitausend
fünfhundert Dollars -- ferner können wir die Summe von tausend Dollars für jenes Haus
von ihm beanspruchen, das dem Broker gehört und in Algiers
- 134 -
gelegen ist. Weshalb dies übrigens niedergebrannt werden soll, ist uns nicht bekannt.“
„Gut“, wiederholten Lombardi und Dubreuil.
„Eingegangen von Juliastreet, Erstens sechshundert Dollars, Zweitens
fünfzehnhundert Dollars, dann Drittens die fällige Balance von neunhundert Dollars.“ --
„Eingegangen von Campstreet siebenzehnhundert Dollars
für Einbruch und Diebstahl, Litera Z.
„Eingegangen von Canalstreet -- drei zu zweihundert Dollars für Brandstiftung,
bezugsnahme der zerstörten Meubels, die bedeutend versichert aber in der Wirklichkeit gar nicht
vorhanden waren.
„Eingegangen fünfhundertfünfundsiebenzig Dollars aus
St. Louis für ein hiesiges Handlungshaus-die Commissionäre zahlen das Doppelte.“
„Die Procente mit eingerechnet“, bemerkte Lombardi.
„Natürlich“, sagte der Ungar, „wir halten es wie gewöhnlich.“
„Für den Termin auf Weihnachten von der Cottonpresse
siebenhundert Dollars-der Agent bezahlt an die Gesellschaft neunhundert Dollars.
„Es ist besser, wir lassen ihm zweihundert ab -- dem Kerl ist nicht zu trauen.“
„Es bleibt dabei -- wenn sich Gabor nicht unbefugter
Weise hineinmengt, wird Nichts zu befürchten sein.“
„Man kann es nicht wissen“, bemerkte der Abbé.
„Kommt ein Unterschleifvor, läßt man's der Cottonpresse
auf ein andermal entgelten und treibt sie mit einem Anklage-Vorgeben in die Enge.“
„Ja, sie muß sich fügen,“ bejahte Lombardi --
[LSZ - 1854.04.09]
„Hier -- ein kleiner Job ... die Lumberyard Office in
Magazinestreet soll erbrochen und die große eiserne Geldkiste aufgesprengt werden --"Mühle empfängt vierzig Dollars.“
„Der Kerl ist ein infamer Geizhals, er könnte das Doppelte bezahlen.
Wir unterlassen es, wenn er nicht wenigstens achtzig bietet“, wandt' Lombardi ein.
„Und das Geld, das der Clubbist in der Geldkiste vorsindet --?“
begann Dubreuil, ironisch fragend.
„Es sollen fünfhundert Dollars gestohlen werden, die sich in der
Geldkiste gar nicht befinden. Der Lumberyard Mensch will durch diesen scheinbaren Diebstahl wahrscheinlich seinen
Partner hintergehen.“
- 135 -
„Lassen wir's dann“, sagte jetzt Lombardi, „auf nur fünfhundert Dollars
sind vierzig genug.“
Lajos unterzeichnete jetzt ein sechseckiges Blättchen, drückte
eine gelbe Oblate darauf und übergab es Dubreuil mit den Worten:
„Bringen Sie dies Herrn A*, dem Clubbisten von Nr.97; er soll die Hälfte
von den vierzig Dollars Tags vor dem Ein bruche collectiren.“
Der Abbé verließ Nr.99 und 100 und begab sich nach Nr.97.
Als er wieder zurückkam, erbat er sich eine kleine Unterbrechung.
Der Ungar gewährte. Auch Lombardi nickte zu.
„Herr A*“, begann der Abbé, „ersucht die Clubbisten von Nr.99 und 100, auf
ihn beim nächsten Traktement speciell Rücksicht zu nehmen -- er hat Schulden wie Heu und eine Frau mit
zwölf lebenden Kindern.“
„Das ist nicht unsere Schuld, daß er so viele Pampfen hat; es hat ihn
Niemand geheißen, ein solches Regiment von Unkraut auf die Welt zu setzen“, bemerkte Lajos.
Dann fügte derselbe hinzu:
„Sagen Sie dem Clubbisten von 97, daß er von heute ab wenigstens zweimal
in der Woche gegen die Zamba-Cholas unserer Dame nicht gleichgültig sein soll. Da trägt sein
Zeugungsvermögen doch anständige Zinsen, statt daß es das Capital anffrißt.“
„Es sind nur noch fünf Zamba-Cholas in der Mühle und drei von ihnen
befinden sich bereits in interessanten Umständen“, bemerkte der Italiener Lombardi; „den andern
Beiden ein entsprechendes Interesse abzugewinnen, würde wohl schwer halten -- aber der Clubbist mag
die dunkle Mulattin Hyderilla oder Pharis und Elma beglücken.“
„Mit Pharis könnte es zu früh sein -- sie leidet noch von
Parafina Brulard her“, erwiederte Dubreuil.
„Sie haben die Zange, Bürste und den Kinn-Nagel doch
mitgenommen, Abbé?“ frug Lajos.
„Wozu?“ sagte der Abbé, „wenn es darauf ankommt,
der Mühle eine neue Generation heranzuziehen.“
„Ehe Sie Morgen in die Mühle kommen, ersuchen Sie
Madame Brulard, Ihnen diese Geräthschaften zu verabfolgen -- es ist nur, um vielleicht einmal gegen
Sie ein Argumentum ad hominem zu haben,“ entgegnete der Ungar.
- 136 -
„Gut!“ sagte der Abbé. --
„Rothe Rubrick -- das leere Warehouse in Religiousstreet am sichersten vor
zwölf Uhr -- man kann von der Alley aus in den Anbau gelangen -- es wird um so sicherer niederbrennen, wenn
der Carpentershop zuerst in Angriff genommen wird -- -- das wäre heute“. Der Ungar sah auf seine Uhr und
wandte sich an Dubreuil:
„Welcher Clubbit hat es übernommen?
Kaum hatte der Ungar diese Fragen an den Abbé gerichtet, als man das
Anschlagen der Feuerglocken vernahm, die für die Clubbisten um so heller ertönten, als der Wind den
vollen Schall an den Fenstern der Mühle vorbeitrieb. Zu gleicher Zeit schrie die Nachtwache aus
vollem Halse ihr Feuer! Feuer! und drehte und schwang die Schnarre. Das Gerasset und Geklingel der
Engines, untermischt von dem übermäßigen Schreien und Toben der Feuerleute, deutete auf große Gefahr.
„Der Clubbist ist pünktlich,“ unterbrach der Ungar die
auf wenige Augenblicke eingetretene Pause, „'s ist eben fünf Minuten vor zwölf Uhr.“
„Religioustreet -- nicht wahr?“ frug Dubreuil.
„Aufzuwarten, Abbé -- wenn Sie nicht eben geschlafen haben“, sagte der
Ungar in maliciösem Tone.
„Man sieht es, daß Sie noch Neophyt in Nr.98 und 100 sind. Genauere
Orientierung von heute ab!“
„Gut!“ sagte der Abbé, indem er sehr stark hüstelte und
ärgerlich eine schmalen Lippen zusammenkniff. --
Lajos schlug jetzt das Mühlenbuch nach vorne um, markirte noch einige
Stellen mit rother Tinte und verlas, nachdem er vorher eine genaue Specification vorgenommen, den Status:
„Eingegangene Gelder -- Semestral-Betrag der Mühle: Fünf und Siebenzig tausend
Dollars -- verausgabt Sechszehn tausend Dollars -- zum Clubbistenfond geschlagen vierzehntausend dreihundert
Dollars -- bleiben für die Mühle Fünfundvierzigtausend -- davon fünf und zwanzigtausend für den Grant
in Teras bestimmt -- bleibt für die Mühle ein Netto Baarbetrag von Zwanzig Tausend.
„Sehr schmal dieses Semester“, brummte Lombardi, der es nicht so leicht
verschmerzen konnte, daß er sich den Befehlen des Usurpators zu fügen habe.
„Die Schottin wird die magere Gans wieder fett machen“,
bemerkte der Abbé, aber er unterdrückte dabei ein schadenfrohes Lächeln.
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„Wir wollen sehen,“ sagte der Italiener.
„Cubaangelegenheiten,“ fuhr Lojos weiter fort: „Gabor"s Bericht vom
25.l. M.-- Vom spanischen Gefandten erhalten zweitausend Dollars -- --
„Weshalb?“ frug der Abbé, dem als bisherigen Clubbisten von 98 noch
nicht. Alles bekannt sein konnte.
„Gut, daß Sie mich daran erinnern, Abbé, es ist unsere
Pflicht, daß wir Sie von Allem in Kenntniß setzen, was Sie in Ihrem niedern Grade nicht zu wissen brauchten.
„Sehr gütig“, erwiederte der Abbé, „ich bin stolz auf
Ihre mir geschenkte Aufmerksamkeit.“
„Gabor,“ entgegnete Lajos, „hat unter dem Vorgeben, in die Geheimniffe der
Cuba-Invasion eingeweiht zu sein, von Washington aus die eben von mir erwähnte Summe zugesendet erhalten.“
„Der Kerl macht Geld mit einem Schwindelgenie -- doch lassen wir ihn, er ist verabschiedet.“
„Höchst unklug“, brummte der Italiener in seinen fettigen
Bart, in den eben eine lange Jauche Kautabacks floß. --
„Am zweiten August verläßt der „Pampero“, mit General Lopez an Bord,
New-Orleans. Die royalistische Junta bietet eine sehr noble Entschädigung, wenn wir uns entschließen
könnten, zwei Clubbisten als Spione mitreisen zu lassen, die gleich nach ihrer Landung auf Cuba dem
Generalgouverneur Concha Bericht erstatten. Damit ihr Leben bei einer etwaigen mißglückten Landung der
Filibustiers nicht gefährdet ist, sollen sie ein kleines goldenes Kreuz auf der Brust tragen, auf dem
sich das Portrait der Königin Isabella befindet. Bei dessen Vorzeigen werden sie sich als gut
königlich gesinnt ausweisen können. Es ist das Zeichen der royalistischen Junta von New-Orleans und
seiner Branchen in Louisiana. Eben so haben sie die Clubkarten bei sich zu führen.“
„Ganz gut“, bemerkten Lombardi und Dubreuil fast zu gleicher Zeit.
„Ich glaube, wir wählen hiefür Campo und den Dutchman aus Galveston.“
„Angenommen!“
„Die Beiden sind geschulte Blacklegs -- die taugen an Besten,“ brummte der Ungar. --
Lajos schloß jetzt das Buch und ließ den Schlüssel durch
die verhängte Schlinge gleiten.
- 138 -
„Tod oder Merlina!“ rief er dann aus. Lombardi und
Dubreuil wiederholten die Parole.
Ein zweiter Feuerlärm erregte die Aufmerksamkeit der
Clubbisten. Von der Straße herauf hörten sie ganz deutlich die Worte eines Wachtmannes, der
einem andern zurief: „Bei Parasina Brulard -- das Feuer ist bei der Putzmacherin Boncoeur ausgebrochen.“
Als Dubreuil dies vernahm, wollte er aufstehen und sich entfernen.
„Abbé“, rief ihm der Ungar im befehlenden Tone zu,
„Sie vergessen ihren Grad!“
Dubreuil setzte sich wieder ärgerlich an seinen Platz.
Dem Italiener verdroß die Arroganz des Ungarn noch
mehr. Er sagte aber Nichts.
„So gehen Sie jetzt“, sagte Lajos zum Abbé, ihn durch das momentane
Zurückhalten auf seine Machtvollkommenheit aufmerksam machend.
Vielleicht wollte Lajos auch die Geduld des Abbé erproben. --
[LSZ - 1854.04.11]
Als der Abbé das Clubkabinet verlassen hatte und durch
den großen Salon der Mühle ging, um durch die hier angebrachte Oeffnung wieder hinabzusteigen,
hing sich ein langer Schatten an seine Fersen, der sich erst verlor, nachdem sich der
Abbé außerhalb der Peripherie der Beleuchtung befand.
Er eilte hastig nach der bezeichneten Brandstätte.
Als Dubrueil das Clubkabinett verlassen hatte, wandt”
sich Lajos mit ruhiger und sicherer Stimme an den Italiener:
„Lassen Sie sich etwas sagen, Lombardi.“
„Nun, was?“
„Der Pfaffe“, fuhr Lajos fort, „ist ein Schurke -- -- was sagen Sie hiezu?“
„Ich glaube es auch -- er ist vielleicht ein eben so großer, als ich und Sie.“
„Sie wollen sagen, als Sie und ich“, entgegnete der Ungar.
„Spielerei!“ sagte der Italiener.
„Einerlei!“ erwiederte der Ungar, „Sie sollen erfreut
darüber sein, daß ich Ihnen die Diktatur abgenommen habe.“
„Wenn ich Etwas darum gäbe, würden Sie es umsonst gewagt haben. Ich ließ
mir's gefallen, um keinen zu vorzeitigen Bruch unter den Clubbisten herbeizuführen -- übrigens bin
ich's zufrieden, wenn man mir keinen bedeutenderen Schaden zuzufügen gesonnen ist.“
- 139 -
„Nennen Sie es einen Schaden, Lombardi, daß ich Ihnen das Amt eines Pontifer
Maximus abgenommen - oder, daß Sie mir es freiwillig übergeben haben?“
„Ja -- aber einen Schaden, den ich jederzeit wieder gut zu machen im Stande bin.“ -
„Ich wüßte nicht, auf welche Weise. Sie dies zu thun im
Stande wären- oder gehen Sie mit irgend einem Plan um?“
„Ich weiß, was Sie sagen wollen, Lajos-da möchten Sie sich aber gewaltig
irren -- ich würde mir dadurch selbst schaden“, unterbrach der Italiener den Ungarn.
„Sie sind in der That zu fürchten, Lombardi,-- so genau
die innersten Gedanken seiner Nebenmenschen erforschen zu können -- ich beneide Sie um diesen Vorzug.“
Lombardi schwieg und schien ärgerlich.
„Sehen Sie, Lombardi“, fuhr der Ungar fort, „ich bin gezwungen, hier den Vorsitz zu führen.“
„Wer zwingt Sie? -- ich sicher nicht,“ entgegnete der
Italiener und verzog seinen Mund zu einem künstlichen Lächeln.
„Die Umstände haben mir befohlen, das mir eigenmächtig
zuzugestehen, was man mir doch nicht, oder höchstens mit bc deutenden Schwierigkeiten verknüpft, eingeräumt
hätte. Es geht zu mit der Mühle; das Einkommen verringert sich von Tag zu Tag immer mehr und mehr und die
Ausgaben steigen -- die beiden Wachtleute verlangen jetzt schon zwölfhundert Dollars mehr für ihre
Verschwiegenheit und zeitweiligen Dienstleistungen.“
„Ich weiß es,“ bemerkte Lombardi, „die Kerle fangen an,
übermäßige Forderungen an uns zu stellen; wenn das sofort geht, wird uns nach Abschluß des nächsten Semesters
kaum so viel übrig bleiben, um die nothwendigsten Lebensbedürfnisse befriedigen zu können.
„Die ihrigen sind leicht zu befriegen, Lombardi -- aber ich habe eine fünffache Verpflichtung.“
„Das versteh' ich nicht.“
„Nun doch -- erstens habe ich für meine Person zu sorgen und das ist zuletzt doch die
Hauptsache -- das räumen Sie mir doch ein, Lombardi?“
„Und dann zweitens?“
„Für die Mühle.“
„Um die Mühle brauchen Sie sich nicht zu angstigen; wenn nichts
einkommt, hat sie nichts.“
- 140 -
„Ganz recht,“ bemerkte der Ungar, „aber ein guter Clubbist spricht nicht so!“
„Drittens für Ihre Frau, nicht wahr?“ frug der Italiener.
„Ja, für meine blonde Katze Frida“, antwortete Lajos und hätte fast gelächelt.
„Viertens?“
„Viertens, für meine Schwägerin, die Strohwitwe Jenny.“
Es war eine Niederträchtigkeit des Ungarn, die genannten Personen in solcher
Gegenwart und an einem solchen Orte bei ihren Vornamen zu nennen. Er stellte sie dadurch mit den Hetären der
Dame Merlina in eine Cathegorie.
„Fünftens“, fuhr er fort, „für mein Kind.“
„Einen neuen Sprößling des Hauses der Grafen von Est --“
Der Italiener sprach diesen Namen nicht aus; denn ein
Blick des Ungarn bannte seine Zunge, dann sagte der Letztere:
„Ich verbiete es mir, Lombardi, daß Sie noch ein Mal meinen Namen nennen -- denken
Sie dabei, was Sie wollen -- -- aber die Tabacksjauche in Ihrem schmutzigen Maule soll ihn nicht beschmutzen.“
Der Italiener grinste mit widerlicher Verziehung seiner Nasenflügel.
„Den Wachtleuten,“ knüpfte der Ungar wieder an, „werden die zwölfhundert Dollars
künftighin nicht mehr bezahlt werden -- sie müssen mit den zweitausend Dollars, die sie seither erhalten haben, zufrieden sein.“
„Ein solcher Abzug ist nicht rathsam, die Kerls haben den
Teufel im Leibe,“ entgegnete Lombardi. --
„Und wenn jedes Haar an ihrem Leibe ein Teufel wäre, so werden sie künftighin nicht
mehr erhalten! Der spanische Rülps läßt mit sich handeln und ginge mit seiner Forderung vielleicht bis auf
fünfhundert Dollars herab, wenn ich ihm hart zusetzte. Der andere Wachtmann weiß, warum er's Maul hält; ich habe
ihm einmal helfen müssen, das Kind seiner Beischläferin im Kanal zu ersäufen -- und da er eine Frau und drei Kinder
hat -- er würde uns zuletzt auch noch um fünfhundert Dollars zu Diensten stehen. Zudem läuft die Bestie wie ein
Bürstenbinder und da langt ein schundiger Wachtmannslohn nicht zur Hälfte aus.“
„Hm! hm! wenn es so ist -- meinethalben, wenn Sie
mit ihnen eine für die Cassa der Mühle günstige Uebereinkunft
- 141 -
treffen könnten -- wir werden's zufrieden sein,“ entgegnete der
Italiener mit einem bedenklichen Achselzucken.
„Nun zu etwas Anderem“, sagte der Ungar. „Haben Sie
zufällig den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Pedlars Cleveland erfahren und wo eine Stute steht!“
„Ick, bin mit ihm nach dem Rennen in die Stadt geritten
- er saß auf einem Racepferd und war ziemlich geschwätzig. Der Irishman, der draußen einen Grogshop hält,
hat uns bis zur Hälfte begleitet, dann verließ er uns, um, wie er sich ausdrückte, einem dam'nd Yankee
das Fell über die Ohren zu ziehen, da er ihm beim Ankauf von Land betrogen habe.“
„Nebensache, Lombardi -- ich frage Sie, ob Sie nicht wissen, wo Cleveland wohnt
und in welchem Stalle eine Bestie steht?“
„Wo er wohnt, weiß ich nicht, aber wo seine Bestie abgefüttert und gestriegelt
wird es ist da, wo ich die meinige habe.“
„Das kann ich nicht wissen,wo Sie die ihrige haben.“
„Sie steht bei Oliver Dubois in Boarding.“
„Das ist demnach im Livery Stable, gegenüber der Liverpool und London Insurance
Compagnie in St.Charlesstreet?
„Im nemlichen, antwortete der Italiener.
Der Ungar dachte einige Augenblicke nach, dann frug er Lombardi :
„Sie kennen die Bestie doch ganz genau?“
„Natürlich; die Racepferde merkt man sich, besonders wenn sie einen Preis errungen haben.“
„Haben Sie sie auch genau angesehen -- es giebt Merkmale,
die viele Pferde gemein haben, man kann sich hierin leicht irren.“
„Das untrüglichste Merkmal, das die Lydia Prairiebrand
an sich trägt, ist, daß das linke Ohr fast um einen Zoll kürzer ist, als das rechte“.
„Ganz richtig“, bemerkte der Ungar und setzte hinzu:
„und hat eine getheilte Mähne, die halb auf die linke und halb
auf die rechte Seite gekämmt ist.“
„Und die Nüstern sind rotzig und haben einen gesunden Ueberschlag.“
„Ganz richtig.“
„Solche Stuten laufen keinem Hengst freiwillig unter die Beine.“
- 142 -
„Pferdedoktor!“ warf der Ungar launisch hin -- die Lydia
Prairiebrand soll nächstens ihre Behandlung erfahren.“
„Ich bin kein Veteränärarzt, Lajos -- ich kurire mit dem Ellenbogen.“
Dabei machte der Italiener eine gewisse Bewegung.
Der Ungar trat ihn auf den Fuß. --
[LSZ - 1854.04.12]
„Nun, Pferdedoktor, Sie werden diesmal Ihre Kunst an
Miß Lydia Prairiebrand erproben; möge Sie Aesculap und sein ganzer Troß beschützen!“
„Ich hab' Ihnen schon gesagt, daß ich Stuten mit dem Ellenbogen curire --
wenn es übrigens darauf ankommt, unserer Pedlar Miß ein Pülverchen zurecht zu machen -- so habe
ich gerade auch nichts dagegen.“
„Wo haben Sie dies Pülverchen zu präparieren gelernt, Lombardi?“
„Dies hat mir der Bereiter des Herzogs Quaglio in Florenz gelehrt -- ich
war kaum ein Junge von zehn Jahren und habe es schon so gut wie Einer verstanden, Pferde und Hunde
zu meinen Patienten zu zählen. Da waren die Drillinge des Grafen Farnese, drei Schwestern -- herrliche,
prächtige Isabellen -- der Unterbereiter brauchte mir nur die Reitgerte in die Hand zu geben und mir
den Bauchriemen zu zeigen -- so war der kleine Lombardi, der Teufelskerl, hinter die Drillinge
her und pferchte sie. Der alte Farnese hat die Pülverchen einst in meiner Mütze gefunden und mich
darüber zur Rede gestellt, Ich, als echter Pipo, gab ihm eine galante Antwort, so galant.
daß er die Augen zudrückte und dem kleinen Lombardi noch obendrein ein Douceur zukommen ließ.
Die Lazaroni würden es damals schon versucht haben, mich todtzuschlagen, wenn sie dies erfahren hätten.“
„Sie hätten wohl Lust, mich die ganze Nacht mit den
Lichtpunkten Ihres Jugendlebens bekannt zu machen“, unter brach jetzt der Ungar den Italiener, den
die Erinnerung an seine Jugendjahre auf einige Minuten den alten Schmutz, den
er in den Straßenrinnen von New-Orleans aufgefischt, abzuschütteln zwang. Denn der Pipo Lombardi war
gegen den Fruchthändler Lombardi noch immer ein schmuckes Bürschchen zu nennen.
Da wir befürchten, daß die schönen Leserinnen, falls sie keine Pferdeliebhaberinnen
oder leidenschaftliche Reiterinnen sind, diesem Jokey Gespräch kein Interesse abgewinnen können,
so unterlassen wir es, die nun folgenden Paraphrasen hier zu
- 143 -
erwähnen, um so mehr, als die delikate Passion für Pferde bei den beiden Clubbisten in Stallknecht-Poesie
auszuarten schien. Daher den Fehdehandschuh umgestülpt, ihr Amazonen von New-Orleans! Der Falke war blind. --
Der Groli, den der ehemalige ungarische Husarenoffizier
gegen die Stute des Pedlars Cleveland hegte, war seinem Charakter vollkommen angemessen. Ein Mensch, wie Lajos,
der die Pferde mehr liebte, als die Menschen, mußte eben deshalb seinen vollen Haß auf jene übertragen, wenn
sie ihm irgend einen Streich gespielt oder sich seinem Commando nicht
gefügt hatten. Er wäre übrigens eben so gut im Stande gewesen, seinen besten Freund für ein schönes Pferd zu opfern.
Obwohl er es selbst sehr gerne unternommen hätte, Lydia aus dem Wege zu schaffen, so unterließ er es aus nur ihm
bekannten Gründen und ertheilte hiefür Lombardi seine Instructionen.
Er selbst wollte um jeden Preis den Pedlar um's Leben bringen. Denn er sah ein, daß ihm derselbe, falls er am Leben
bliebe, einmal gefährlich werden könnte. --
Ehe sich die Clubbisten für diese Nacht trennten, hatten sie
noch drei Clubbisten von Nr.98 zu sich beordert, und ihnen den Befehl ertheilt, Gabor nicht aus den Augen zu
lassen und seinem Treiben aufs genaueste nachzuspüren und die gesammelten Momente und Data auf's gewissenhafteste
dem Collegium von Nr.99 und 100 zu hinterbringen.
Eine außergewöhnliche, nicht unbedeutende Zulage sollte
der Lohn einer befriedigenden Pflichterfüllung sein. Ebenso ward ihnen angedeutet, auf den Prinzen von Würtemberg,
den man ihnen als einen gefährlichen Gegner des Abbé Dubreuil, des Clubbisten von 99 bezeichnete, ein wachsames
Auge zu haben.
Das Betragen des Abbé zu controllieren, übernahm Lajos selbst. Die Auseinandersetzung
des Abbé hinsichtlich des Mordanfalles auf Miß Dudley Evans hatte ihn mißtrauisch gemacht
und ermahnt, dem Priester nicht aufs Wort zu glauben. Dieser beabsichtigte Mordanfall schien ihm für einen so
abgefeimten Jesuiten doch zu plump, und er wäre zufriedener gestellt gewesen, wenn der Pfaffe einen weniger
gefährlichen Weg ein geschlagen hätte. --
- 144 -
Neuntes Kapitel.
Unter dem Bette.
Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken
Springt der Löwe;welch ein Reitpferd! sah man reichere Schabracken
In den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen,
Als das bunte Fell des Renners, den der Thiere Fürst bestiegen?
In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne;
Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters dunkle Mähne;
Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und fliegt
gepeinigt;
Sieh', wie Schnelle des Kamceles es mit Parbelhaut vereinigt.“
(„Löwenritt.“)
Wenn wir jene Negerfamilie so ganz aus dem Gesichtskreis der geehrten
Leserinnen verschwinden ließen, so geschah dies nur deshalb, um keine voreilige Lösung jenes Knotens
herbeizuführen, den jener geheimnißvolle Mann während seiner Anwesenheit in den obern Räumen der
Atchafalaya Bank in so räthselhafte Verschlingungen geschürzt hatte. Wir bemerken hier nur, daß Sulla
damals verhindert wurde, den mit Hilfe seiner Adoptivtochter beabsichtigten Diebstahl zu begehen und daß er
nach vielen Mühseligkeiten und Drangsalen des materiellen Lebens seine angebliche Frau und Adoptivtochter
verlassen und endlich in der Hamburger Mühle einen sichern Zufluchtsort gefunden hatte. Wie er hieher
gelangte, können wir hier nicht mit Bestimmtheit behaupten; doch ist es wahrscheinlich, daß ihn Lajos in
Einem der vielen Negercafé's angetroffen und als brauchbares Werkzeug hierher geschleppt habe. Daß
Sulla der einzige schwarze Mann in der Mühle war, haben wir bereits bemerkt; glauben jedoch, noch hinzusetzen
zu müssen, daß es eine gewisse Bewandtniß hatte, daß er der Einzige
war. --
Seine Verrichtungen in der Mühle waren verschiedener Art, doch so geregelt, daß
er über die Hälfte des Tages nach eigenem Gutdünken über seine Muße verfügen konnte. Da sich die Clubbisten,
wenn sie gerade nicht die Nacht in der Mühle zubrachten, erst gegen Abend einfanden, so hatte der Neger
gewöhnlich nur von 7 Uhr bis 10 oder 12 Uhr hinter der Bare zu stehen, die sich im großen Salon nahe an der
Thüre, die in die beiden Schlafzimmer führte, befand. Unter der Bare des Salons der Hamburger Mühle darf man
sich übrigens keinen ordinären Schenktisch vorstellen, vor den man sich bei jedem Trunk, den man zu sich nahm,
pedantisch aufpflanzte oder in ungeziemender Weise herumlümmelte, dann seinen Dime oder
Picayune hinwarf und sich entfernte -- nein, die Bareder
- 145 -
Mühle bestand aus einem mit der höchsten Eleganz, aber auch
zugleich mit der feinsten Raffinerie gehaltenen Compler von T
* Stühlen und Schmachtsopha's,
aus deren Mitte eine Cascade der seltensten und besten Weine, Araks u.s.w. hervorragte. Den
Diameter dieser Cascade bildete der schwarze Barkeeper selbst, der von hier aus seine Segnungen ertheilte.
War Lajos in der Mühle, so erbat er sich noch eigens von Dame Merlina zwei dunkle Mulattinnen, durch
deren Hände er sein Lieblingsgetränk, echten Tokayer
*) empfing.
Lombardi war schäbig genug, an solchen
Abenden statt des feurigen Weines mehrere Quarts Brandy mit Pfeffermünze hinabzuschütten,
die ihn selten aus seinem heimtückischen Cynismus zu lichteren Sphären emporhoben. Gewöhnlich sank er, wenn
er sein be stimmtes Quantum getrunken hatte, ruhig und stumm zusammen und ließ sich von einigen Mädchen
der Mühle, die ihn theils bei den Füßen, theils beim Kopfe packten, in sein Schlafgemach schleppen. War
der Abbé gegenwärtig, so sang er ab scheuliche Vaudevilles und ließ sich auch hie und da bewegen,
zur Belehrung Aller eine Predigt über die sieben Todtsünden vom Stapel zu lassen.
[LSZ - 1854.04.13]
Hatte Merlina einige Gläser von dem Tokayer des Ungarn getrunken, so war sie
kaum mehr zu erkennen. Ihre glühenden Pulse flogen, das Feuer in ihren Augen schien die
Wimper zu verengen und die Höhlen zu erweitern; ihr langes, weißes Kleid wurde ihr um Schultern und
Busen zu eng, abgestreift und um die kurze Taille gebunden. Dann erschien sie selbst wie eine dunkle Wolke,
die rasch aufeinander folgendes Wetterleuchten in beständigem Glanze erhält. In solcher Verzückung ergriff
sie oft die langen schwarzen Haare des Ungarn, drehte sie zu Flechten und steckte ihm die goldene Klaue auf
den Kopf. Derselbe aber faß kalt und bleich neben ihr und lächelte nur, wenn sie ihn auf die Narbe an
seiner Wange küßte. Man sah ihn nie betrunken; ja er schien sogar bei jedem neuen Glas mehr zu erkalten
ünd zu verfeinern. Nur seine
____________________
*) Es ist bekannt, daß Merlina Dufresne direkt von französischen Schiffen
ihre Weine empfing, und daß ihr Champagner kein bloßer moussierender Frankenwein
und ihre Bordeaux nicht mit Brazil Holz verfälscht waren. Ihre diversen Weine,
z.B. Porto, Madeira u.s.w. sie aus eben so reinen Quellen. Seit sie aber
der Ungar mit der ersten Flasche Tofayer überrascht hatte, ließ sie alle andern bei
Seite. Welche bedeutende Summe Geldes der Ungar zur Erlangung dieses edlen
Getränkes verwenden mußte, mag daraus hervorgehen, daß echter Tokayer nur in der
Wiener Hofburg getrunken wird. Denn was Einem in Oesterreich und Ungarn unter
dem Namen „Tokayer“ vorgesetzt wird, ist weiter nichts, als eine mehr oder minder
feine Blume von „Ruster Ausbruch.“
- 146 -
Augen hefteten sich hie und da auf den Neger Sulla, der öfterverstohlen nach Merlina hinsah.
Sulla, der eine rasende Leidenschaft für Merlina gefaßt hatte, hatte bisher mit über menschlicher
Kraftanstrengung das erhitzte Element in seinem Innern zu dämpfen gesucht und
glaubte bereits so weit mit sich ins Reine gekommen zu sein, daß er es wagen konnte, Merlina
in’s Gesicht zu sehen, ohne sich bei ihr oder Andern nur im Mindesten zu verrathen. --
Merlina hatte die heftige Leidenschaft Sulla's wohl bemerkt,
aber anstatt ihr auszuweichen, schien sie dieselbe durch ihr Benehmen nur noch mehr anfachen zu wollen.
Verliebt war sie eigentlich nur in den Ungarn, in einer Weise, wie sich's der
Weiße kaum erklären kann; aber es machte ihr großes Vergnügen, anzureizen und abzuwehren, scheinbar
zu bewilligen, was sie im nächsten Augenblicke darauf mit dem ärgsten Hohn bestrafte. Ja sie trieb
es hierin oft so weit, daß sie ihm öfter den Auftrag ertheilte, ihr zur Nachtzeit einen beliebigen
Gegenstand vor das Bett zu bringen, in das sie sich kaum halb angekleidet niedergelegt hatte. Kam dann der
Neger und gab sich alle Mühe, die Thüre so leise als möglich zu öffnen, so zog sie ein Pistol unter
ihrem Kopfkissen hervor und drohte ihn nieder zuschießen, wenn er sich nicht gleich entfernen würde. Der
gequälte Sulla wußte anfangs dieses Benehmen seiner ange beteten Herrin gar nicht zu deuten. Und dennoch
ging er zum zweiten und dritten Male wieder in die Falle und mußte jedesmal eben so erschreckt und hoffnungslos abziehen.
Heute hoffte und fürchtete er zu gleicher Zeit.
Sulla, der es kaum erwarten konnte, bis sich die Clubbisten von 99 und 100 aus
dem Salon entfernten, hatte sich, nachdem sich dieselben in ihre Clubkabinette zurückgezogen,
schnell über den Salon durch das Schlafzimmer bis vor die erste Pieçe der Dame Merlina geschlichen, um hier einzutreten.
Als er die Thüre öffnete, rief ihm Merlinaleise jene Worte zu:
„Nimm Dich in Acht, Sulla! der Ungar brächte Dich um, wenn er Dich sähe.“
Sulla ließ sich aber diesmal nicht zurückschrecken.
Keck trat er ein.
Merlina verließ ihre Piege und eilte auf die Aufseherin in
dem schon oft genannten Schlafzimmer zu und befahl ihr, scharf
Acht zu geben, wenn sich die Clubbisten entfernten und sie durch
ein dreimaliges Pochen an die Thüre aufmerksam zu machen.
- 147 -
Sie selbst verschloß die äußerste Thüre, die vom Salon aus in
die Schlafzimmer und von da in ihre Pieçen führte.
Wem dies sonderbar erscheint, den brauchen wir nur an die Worte zu erinnern,
die der Ungar Merlina zuflüsterte, als er mit Lombardi und Dubreuil den Salon verließ.
Die Clubbisten verließen gewöhnlich gegen ein Uhr ihre Cabinette und als
Sulla bei Merlina eintrat, war es kaum einige Minuten nach Eilf.
„Merlina, Du erschreckt mich diesmal nicht und wenn Du in jeder Hand eine
Pistole hieltet“, entgegnete der Neger auf die Warnung seiner Dame und riegelte die Thüre hinter sich zu.
Merlina ließ es ohne Widerrede geschehen, und ohne nur im geringsten eine
feindselige Bewegung zu machen.
Sie löste ihre goldene Klaue aus der Coiffüre und steckte
sie in ein sammtenes, bauchiges Nadelkissen. Dann strüppte sie ihre langwolligen Haare aus einander und
ließ sie bis halb über die breite Stirne fallen.
Die Pieçe, in der sich jetzt Sulla mit Merlina befand,
enthielt außer zwei Chaies longues von dunkelrothem Sammt, den übrigens ein blendend weißer Ueberzug
verbarg, ein sogenanntes „Master bed“ mit hohen, armsdicken Beinen und weiter, ausgeschweifter Unterlage.
Die Säulen dieses Bettes sind von der feinsten, zierlichsten Construktion und laufen in einen breiten
Schlangenkopf aus, dessen Augen zu gleicher Zeit die Ringe bilden, durch die die Stäbe zum Festhalten der
Musquitovorhänge gelegt sind. Um den Top dieses Materbettes reihten sich wunderbare Verzierungen in Figuren
und Laubwerk, in der Art, wie man sie an den alten Schwanenbetten der Inkas antrifft. Eine lange, grünseidene
Quaste, die sich aus der Mitte des Topes aufs Bettplateau herabläßt, dient zu gleicher Zeit als Glockenzug.
Dieses war eine Erfindung Merlina’s, mit der sie schon manchen Clubbisten halb todt oder halb wüthend
gemacht hatte; denn wenn der scheinbar Begünstigte glaubte, seinem Glücke sei nichts mehr entgegen und
er dürfte nun ganz ungestraft seine brennenden Glieder in das feuchte Dunkel des Zamboicum tauchen, so
schnellte sich Merlina plötzlich in die Höhe, kreuzte ihre Beine in chinesische Plastik und zog an der
verhängnißvollen Quaste. Auf ein solches Manöver war der erregte Tantalus natürlich wie aus den
Wolken gefallen und zum Beschwören und Lamentieren ließ man ihm keine Zeit,
- 148 -
Doch wehe dem Clubbisten, wenn er es in einem solchen
Augenblicke gewagt hätte, widerspenstig zu sein oder nach seinem
Abgange von dem Orte seiner Qual von der Tücke und Hinterlist der Damo Merlina zu erzählen.
Sie hätte sich an ihm fürchterlich gerächt. Nicht, daß sie demselben mit Dolch oder
Pistol gedroht hätte, nein, -- in ihren Armen hätte er die entsetzliche Folter zu leiden gehabt,
die, wenn sie nicht noch im rechten Momente zu Ende war, den ganzen Organismus zerstört
und verbrannt hätte. Ein grauenvoller Tod, wenn Amor seine Pfeile an den unrechten Ort
verschießt! Ein entsetzliches Leiden, wenn sie abgeschossen werden, ehe ein leichter Flügelschlag
die brennende Wange und die glühenden Lippen kühlt.
Im Tempel der Venus tanzen dann Furien statt der lieblichen Genien der Brautnacht und statt des
hinfließenden Lockenhaa haares ringelt und bäumt sich das Schlangenhauptder Medusa
und überzieht die Polster der Liebe mit tödtendem Geifer.
Es wäre heute eine schöne Nacht gewesen -- schön, weil
die Feuerglocken die Nachtfeier der Venus eingeläutet hätten.
Der Neger stellte sich seitwärts an die Thüre und ver
suchte es sogar, noch die Chaie longue vorzuschieben, obwohl er jene bereits verriegelt hatte.
Auch diese Manipulation verhinderte Merlina nicht.
Sie ließ den Neger gewähren.
Als derselbe die Chaiselongue vor die Thüre gerückt hatte,
schien er hiemit noch nicht zufrieden.
Jener große, schwere Waschtisch mit dunkler Marmor
platte, den er in der andern Pieçe bemerkte, däuchte ihm noch besser, als alles Andere.
Er schob die Chaiselongue wieder von der Thüre und zog
den Waschtisch hinzu. Als derselbe gegen die Thüre gerückt war, setzte er sich auf die Platte und sah
mit einem langen Blicke auf Merlina, die seinem Treiben und Verbarricadiren
bis zu Ende ruhig zugesehen hatte.
[LSZ - 1854.04.14]
„Sulla, nimm Dich in Acht! Ich schicke Dir einen Hotooh
*) -- “ rief jetzt die
Zambo-Negresse und lehnte sich in halbliegender Stellung an das Plateau des Masterbettes.
____________________
*) Hotooh ist für jeden Farbigen in New-Orleans, wenn er gerade nicht
selbst ein Mitglied dieser Verbindung ist, ein Schreckensname. Die gräßlichsten Mißhandlungen und
brutalsten Schläge, die sie auf den Plantagen von den Overseers und Nigger-drivers zu erdulden haben,
setzen sie bei weitem nicht so in Furcht, als wenn man ihnen droht, von New-Orleans einen Hotooh zu
beordern. Ebenso bringen die Negerweiber ihre Kinder mit dem Namen „Hotooh“ zur Ruhe, in derselben Weise,
als man in Deutschland mit dem „schwarzen Peter“ oder, wie in neuester Zeit mit dem Namen „Hecker“
droht. -- Die geheime Verbindung der Hotoohs, die größtentheils aus bleichen Mestizen und verfärbten Quinteronen
besteht, hat ursprünglich eine wenig gefährliche Tendenz. Aus ihrem Munde hört.
- 149 -
„Die Hotooh's dürfen froh sein, wenn ich sie nicht besuche“,
entgegnete der Neger, eine brennenden Augen starr auf Merlina gerichtet.
„Die Hotooh's haben spitze Messer und breite Tatzen -- komm' mir nicht zu nahe,
Sulla, sonst bist Du morgen aus der Mühle.“
Der Neger setzte einen Fuß auf den Teppich des Bodens, den andern hielt er noch in der Schwebe.
Die Zambo-Negresse rührte sich nicht, aber sie sah desto
schärfer auf jede seiner Bewegungen.
Der Neger deßgleichen.
Als derselbe seinen andern Fuß auf den Boden setzte, rief Merlina wiederholt:
„Nimm’ Dich in Acht, Sulla, ich jage Dir eine Kugel durch's Gehirn,“ dabei
griff sie unter ihr Kopfkissen, -- zog eine Pistole hervor und richtete die Oeffnung auf den Neger.
„Schieße nur zu, Merlina, die Kugel wird an meinem harten Kopfe abprallen.“
„Wenn es so ist, Sulla, dann will ich nicht schießen“,
entgegnete die Zambo-Negresse und steckte ihre Waffe wieder an den frühern Platz,
Sulla machte eine leichte Bewegung und schien sich sachte
von der Marmorplatte des Waschtisches herabzulassen. Jetzt stand er aufrecht. Seine Arme hingen unsicher herab,
aber die Hände griffen tastend und prüfend nachdem Masterbette, auf das sich, drei Schritte von ihm entfernt,
Merlina hoch aufgesetzt hatte.
„Bleibe stehen, Sulla -- aber wenn Du mich so mit
Deinen Armen erreichen kannst, so nimm diese Nadel hier.“
„Merlina, ich bleibe nicht und sollt' ich zur Hölle fahren,
sagte in bestimmtem Tone der gereizte Sulla.“
„Sieh', Sulla -- ich habe nur diese Nadel, aber wenn
Du mir nahe kommt, so steche ich Dir die Augen aus.
„Ich bleibe nicht, Merlina“, wiederholte der Neger und
drückte seinen Körper zurück, als fürchte er trotz seiner Betheuerung dennoch vorwärts zu gehen.
Ein leises Pochen außerhalb der Thüre erregte jetzt seine Aufmerksamkeit
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man sehr oft die Schimpfnamen „black nigger“ und „yellow Creole Pony“, und
man wird bei ihrer näheren Bekanntschaft finden, daß sie einen unausstehlichen Hochmuth
gegenüber den dunkeln Schattierungen an den Tag legen, und daß unter ihnen
eine Art Farbenaristokratie besteht, die in ihren Verschrobenheiten der Geburts- und
Geldaristokratie nicht im geringsten nachsteht.
- 150 -
Er sah zurück.
Merlina verließ das Bett und ging gefaßt auf Sulla zu.
Derselbe bewegte sich unwillkührlich auf die Seite.
„Ich komme gleich wieder, Sulla“, sagte sie und schloß die Thüre auf
Der Neger ergriff ihre Hand, die eben den Schlüssel umdrehte, und sah ihr starr ins Gesicht. --
„Ich komme gleich wieder, Sulla“, wiederholte dieselbe gefaßt, „setze Dich einstweilen
auf jene Chaiselongue und dort in dem Körbchen sind einige Cigarren.“
„Ich will nicht rauchen -- aber wenn Du mich wieder
umsonst quältest und martertest -- -- wer hat eben geklopft? Wann kommst Du zurück?“
„In einigen Minuten, Sulla, ich dachte nicht gleich daran, als ich Dich vorher hereinließ.“
„An was dachtest Du nicht?“
„Ich dachte im ersten Augenblicke nicht daran, daß man
mich um diese Zeit nöthig hat.“
„Warum ziehst Du den Schlüssel ab, Merlina -- lass ihn stecken -- es ist so besser.“
„Nein, Sulla, es ist vorsichtiger gehandelt, wenn ich von außen die Thüre absperre -- es
wäre leicht möglich, daß während meiner Abwesenheit der Ungar käme und wenn er Dich hier träfe? --“
„Nun, wenn er mich träfe?“
„Er brächte Dich um, Sulla.“
„Ich bringe ihn um“, entgegnete der Neger mit einem so entsetzlichen Blicke, daß
Merlina ihr Gesicht von ihm abwandte und hastig zur Thüre hinauseilen wollte.
„Den Schlüssel lasse hier, Merlina, ich kann mich selbst einsperren; wenn Du
wieder zurückkommst, brauchst Du nur zu pochen -- ich öffne Dir dann auf der Stelle,
„Wenn Dn mir den Schlüssel nicht nehmen läßt, Sulla, so komme ich nicht wieder,“
Sulla warf einen prüfenden Blick auf die Zambo-Negresse und wollte ihr schnell einen
Kuß auf die Stirne drücken; doch dieselbe stemmte ihre Faust gegen seinen Mund und sagte mit verstelltem Zorne:
„Wenn Du zudringlich sein willst, Sulla, so hast Du hier nichts mehr zu thun!“
„So schließe mich ein, Merlina, aber ich beschwöre Dich, recht bald wieder zu kommen,“
bat der Neger nachgebend.
- 151 -
Merlina zog den Schlüssel vollends aus dem Loche und ging zur Thüre hinaus,
die sie dann von Außen stark verschloß, indem sie den Schlüssel zweimal umdrehte und ihn dann abzog.
Als sich Sulla jetzt allein sah, ging er musternd umher
und besah sich zum Erstenmale genau die Lokalität.
Als er von ungefähr auf die Thüre sah, aus der Merlina
ebengeeilt war, däuchte es ihm, als wenn Jemand zum Schlüsselloch hereinsähe und sich
dann wieder wegwandte. Denn bald drang ein heller Lichtschimmer durch dasselbe, bald war es wieder ganz dunkel.
Er sah jetzt genauer hin. Er bemerkte immer wieder das Wechseln von Licht und Dunkel.
„Merlina ist vor dem Schlüsselloch und beobachtet mich“,
dachte er bei sich. Er ging von der Seite auf die Thüre zu und hing ein Taschentuch über das Schloß, so
daß das Schlüsselloch vollkommen verdeckt wurde. So stand er einige Augenblicke still und sah im Zimmer umher.
Als er auf das Bett zuging, noch immer mit dem Gesichte
gegen die Thüre gewendet, sah er, wie das Taschentuch vom Schlosse herabfiel. Er ging wieder zurück, hob es
auf und hing es wieder über. Er legte sich mit dem Ohr an das Schloß und glaubte ein leises Flüstern und
Kichern zu vernehmen. Er horchte mit gespannter Aufmerksamkeit. Da fiel das Taschentuch zum zweitenmale herab,
aber diesmal nicht auf den Boden, sondern gerade auf sein Gesicht, so daß es dasselbe vollkommen verdeckte.
Aergerlich nahm er es herab und sah durch das Schlüsselloch.
Da blitzte ihm ein Auge entgegen, das aber schnell wieder verschwand.
Er rührte sich nicht von der Stelle. Sein Auge blieb hart am Schlüsselloche. Er
sah nichts mehr und als er sich wieder wegwandte, blieb es hell in der Oeffnung.
Man wird sich erinnern, daß um diese Zeit die Clubbisten noch in ihren Cabinetten
beisammen waren und daß sie dieselben fast nie vor ein Uhr nach Mitternacht verließen.
Sulla ging jetzt auf ein Trumeau zu, auf dem das Nadelkissen lag, in das Merlina
noch kurz vorher ihre goldene Klaue gesteckt hatte, und nahm sie heraus. Dann eilte er wieder auf
die Thüre, hing ein Taschentuch zum drittenmale über das Schloß, befestigte es aber diesmal mit der Klaue, so daß
es unmöglich herabfallen konnte.
- 152 -
Er schlich nun im Zimmer umher und ging auch wieder auf das Bett zu. Die
Neugierde trieb ihn, die Kopfkissen aufzuheben. Unter denselben, gegen die Kopfwand des Bettes gesenkt,
bemerkte er das Pistol, das Merlina vorher auf ihn gerichtet hatte. Neben dem Pistol lag ein schwarzes
Dolchfutteral mit silbernem Schuh; der Dolch selbst lag mit der Spitze aufwärts gekehrt. Als er diese
Gegenstände mit den Kopfkissen wieder verdecken wollte, so trieb die dadurch erregte Luft einen
Streifen schmalen Papieres auf den Boden, den er hastig aufhob. Er enthielt folgende Zeilen, die
mit schlechter blaßblauer Tinte ziemlich unleserlich geschrieben waren:
„Das Benehmen des Abbé gefällt mir schon lange nicht
mehr. Ebenso ist mir die Gegenwart Lombardi's sehr lästig.
Die Gelder der Schottin mag der Pfaffe durch seine Schliche
wohl erhalten -- ob aber die Mühle etwas davon zu sehen
bekommt, ist eine andere Frage. Sollte sich Gabor noch einmal
etwas zu Schulden kommen lassen, so versetzt ihm die
Mühle einen Tritt; denn da er um nicht viel besser, als
ein Hund ist, so muß man ihn auch als einen solchen behandeln.
Uebrigens halte ich es für das Beste, ihn gleich kalt
zu machen, so wie er die zweitausend Dollars von Washington
aus erhalten haben wird. Er wird mit seinem Antheil
nicht zufrieden sein und da wäre es leicht möglich, daß er
uns verließe und uns auf irgend eine Weise Schaden zuzufügen
gesonnen wäre. Wie ich mich gegen dieselben nach
meiner Zurückkunft von Mobile benehmen werde, lasse ich
noch dahingestellt. Ist denn Lombardi durchaus noch nöthig?
Und wie lange wäre er es noch? Suche Dich nur vor Allem
der Papiere Sulla's
*) zu bemächtigen; denn er hat dann
keine Beweise in Händen, daß er frei ist und man wird ihm
nicht Zeit laffen, sich diese wieder zu verschaffen. Es ist mir
nicht um die fünfzehnhundert Dollars zu thun, für die ich
ihn verkaufen werde, sondern es ist mir nur hauptsächlich
daran gelegen, ihn aus der Mühle zu entfernen. Sich an
uns zu rächen, wird ihm nicht beifallen, da er nie erfahren
wird, wer ihm seine Papiere gestohlen und wer ihn verkauft
hat. Er wird sicher in die Falle gehen, wenn wir ihn die
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*) Man wird sich noch aus dem ersten Bande erinnern, daß Sulla aus einem
der Neuengland-Staaten war. Die Legalität kann hiemit im Süden mißbraucht
werden. Dasselbe war der Fall mit dem Neger Bacon aus New-Hampshire, im
Jahre 1844, der nach Alexandria, am Red River, verkauft wurde.
- 153 -
nächste Woche über den Lake schicken. Bartlett meint, er wolle ihn leicht für 2500 Dollars losschlagen.
Dein Lajos.“
Man sieht, daß diese Zeilen zu einer Zeit geschrieben waren,wo der Ungar noch
keinen Coup d'état gegen den Pontifer Maximus der Mühle gewagt hatte. Ebenso war damals
Gabor noch actives Mitglied der Bande. --
Verwundert starrte der Neger diese Zeilen an, die ihn noch
zur rechten Zeit auf eine Verschwörung gegen die Freiheit seiner Person aufmerksam gemacht
hatten. Er ordnete das Bett wieder mit der größten Sorgfalt und steckte den glücklichen
Fund in seine Westentasche.
Als er sich umdrehte und gegen die Thüre zuwandte, leckte ein Feuerschein
um Schloß und Riegel und in wenigen Sekunden lag ein Taschentuch in Asche verwandelt auf dem Boden.
Auch war es ihm, als ob schon wieder Jemand durch das Schlüsselloch gesehen hätte.-
[LSZ - 1854.04.15]
Zur Charakteristik des Menschen gehört auch eine Kleidung. So kann man mit Sicherheit
annehmen, daß Männer, welche den untern Theil der Weste aufgeknöpft tragen, mit
stürmischer Sinnlichkeit begabt sind, und daher auch bei Frauen am meisten Glück haben. Männer, welche gewöhnlich
die ganze Weste zugeknöpft tragen, ohne auch nur Einen Knopf frei zu lassen, sind entweder Mucker oder sie
fürchten für den Magen oder Unterleib, eine Aengstlichkeit, die ihnen die Damenwelt nie
verzeiht und wenn sie mit den schlagendsten Beweisen hervorkommen sollten. Angeborene Eleganz verleitet.
Manchen, beständig einen schwarzen Frack zu tragen, der auch bei zweideutigen Handthierungen nicht abgelegt
werden darf. Ein Mann, welcher der Dame seines Herzens mit weißer Halsbinde und weißer Piquewete den Hof
macht, darf des Sieges gewiß sein, während eine weiße Piqueweste und eine farbige Cravatte die begierigsten
Frauen anwidert und abschreckt. Wer den Frack zugeknöpft trägt, ist entweder ein Pfaffe oder auch ein
affectirter Menschenfreund, oder ein Wholesale Grocer; entweder ein Orgelspieler oder ein Clavierlehrer bei
jungen Ladies. Wer im Sommer dunkle Westen trägt, hat entweder keine von heller Farbe oder er ist ein
Zeitungsschreiber oder Theaterrecensent. Wegen der Absence von weißen Piquewesten sind
die Letztgenannten auch vollkommen für das Salonleben verloren. Keiner Dame wird es einfallen, einem solchen
- 154 -
schwarzwestigen Zeitungsschreiber oder Theaterrecensenten nur die geringste Freiheit zu gestatten.
Ebenso wird jede nur einigermaßen auf guten Ton haltende Dame einem Courmacher, der im
Sommer Unterhosen trägt, mit gerechter Entrüstung die Thüre weisen.
Dies ist besonders in New-Orleans der Fall. In keiner
Stadt hat die Blüthe der Ritterschaft mehr zu riskieren. --
Der Neger Sulla trug Sommer wie Winter einen schwarzen Frack,
eine weiße Halsbinde und eine weiße Piqueweste, eine Eleganz, die er auch hinter seiner Bare
nicht ablegte. Weßhalb er des ungeachtet nicht reufirte, wäre schwer zu entscheiden.
Sulla befand sich in der fieberhaftesten Stimmung und fluchte im
Innern über die Härte seines Geschickes. Abgesehen von der Aufregung, in die ihn jene
Zeilen versetzten, war der sonderbare Vorfall mit einem Taschentuche eben auch nicht
dazu geeignet, ihn kälter zu stimmen und sein Blut weniger rasch fließend zu machen. Er sah
jetzt nur zu gut ein, daß ihn Merlina am Narrenseile herumführe und seiner spotte. In
der größten Unruhe verbrachte er so über eine Stunde, ohne daß die Zambo-Negresse erschienen wäre.
Er setzte sich auf das Bett und stierte die Thüre an.
Den Entschluß, den er gefaßt, Merlina bei ihrem Erscheinen wegen der erwähnten Zeilen zur Rede
zu stellen, ließ er nach einigem Nachdenken fallen, da er es für klüger hielt, vorläufig
noch zu schweigen, um keine zu voreiligen Zerwürfnisse herbeizuführen. Ja, manchmal trat
sogar der Groll gegen eine so schändliche Verschwörung vor seiner erhitzten Phantasie in den Hintergrund. --
Wieder verfloß eine Stunde und Sulla saß noch immer in bangster Erwartung auf dem Bette.
Endlich brach ihm aber doch die Geduld. Mit einem verzweifelten
Blicke verließ er das Bett und wollte auf die Thüre zueilen -- da vernahm er die durch die Teppiche gedämpften
Tritte einer Person und gleich darauf öffnete Merlina die Thüre und bat ihn in hastiger Eile, sich schnell
zu verbergen, da der Ungar im Augenblicke hier erscheinen werde.
Die Bitte war so dringend und schien so gut gemeint, daß sich Sulla gar nicht
weiters bedachte, sondern mit seinen Augen einen passenden Versteck suchte.
„Hier, Sulla,“ drängte Merlina, indem sie unter das Bett
deutete, „leg' Dich schnell da hinunter; ich ziehe die Decke herab,
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damit er Dich nicht sehen kann -- -- schnell, schnell, Sulla -- ich höre ihn schon kommen.“
Sulla legte sich unter das Bett und Merlina zog an einer
Seite die Decke bis auf den Boden herab.
So schien Sulla vollständig verborgen.
Im nächsten Augenblicke trat der Ungar ein, nachdem er
vorher den Schlüssel von Außen abgezogen hatte, um die Thüre von innen zu versperren.
Merlina ging ihm entgegen und reichte ihm die Hand.--
Nachdem Lajos den Clubbisten von 99 und 100, Lombardi,
nach aufgehobener Sitzung im Clubkabinette, bis an die Oeffnung im Boden des Salons begleitet
hatte, eilte er, der Worte eingedenk, die er Merlina zugeflüstert hatte, vor die beiden
Schlafzimmer. Er fand die äußere Thüre verschloffen. Die Pale-Chino-Zamba-Chola, die ihn zum
wenigsten sechs Mal pochen ließ, öffnete ihm endlich, indem sie zu gleicher Zeit einen
unbesiegbaren Schlaf als Entschuldigungsgrund wegen ihrer Verzögerung, die Thüre zu öffnen, vor schützte.
„Ist Dame Merlina in ihrer Piege?“ frug er leise die Aufseherin, als er eintrat.
Dieselbe bejahte es.
In der That war Merlina eben in ihre Pieçe geeilt, nach
dem die Pale-Chino-Zamba-Chola auf ihren Befehl gezögert hatte, dem Ungarn die äußere Thüre zu öffnen.
Merlina hatte, als sie den Neger verließ, noch lange an der Thüre verweilt,
und wie derselbe auch richtig bemerkt hatte, mehrmals zum Schlüffeloche hineingesehen. Als Sulla sein
Taschentuch über das Schloß hing, nahm sie eine gerade gebogene Haarnadel, steckte sie durch das
Schlüsselloch und brachte so jenes zum Herabfallen. Das Nemliche wiederholte sie auch das zweite Mal
und als Sulla sein Taschentuch mit der goldenen Klaue befestigt hatte, so zündete sie vermittelt
eines Streichhölzchens dasselbe an, das, wie wir gesehen haben, auch im Augenblicke aufgebrannt war.
War es Neugierde, die sie zu einem solchen Benehmen
trieb, oder leitete sie eine andere Ursache?
[LSZ - 1854.04.16]
Die sonderbaren Ertravaganzen und barocken Einfälle Merlina's, wenn sie gerade
bei guter Laune war, sich an der Angst oder Verlegenheit ihrer Opfer zu weiden, waren so unzählig, daß man
wirklich Anstand nehmen muß, jeder Bewegung und Attitude seine Aufmerksamkeit zu schenken.
Während der zwei Stunden, die sie Sulla allein ließ,
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hatte sie die Mädchen der Mühle, von denen sie mehrere erst aufwecken mußte, in's
Nachtverhör genommen, d.h. sie bestimmte ihnen etwas genauer die Plätze, die sie den folgenden
Theil der Nacht einzunehmen hatten.
Die dunkle Mulattin Hyderilla wurde zum Clubbisten
von 98 beordert; ebenso Pharis und Elma, die bereits schon
eingeschlafen waren, bedeutet, sich dem Wunsche jenes Clubbisten zu fügen.
Ungern thaten dies die beiden Mädchen, da sie den Clubbisten von 98
als einen rohen Mann kannten, der, ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht zu nehmen, die der brutalsten Behand«
lung unterwarf. Doch sie mußten gehorchen.
Als Hyderilla mit Pharis und Elma das Schlafzimmer verließ, eilte
Merlina demjenigen Theile desselben zu, wo die Betten der bleichen Mestizen standen.
Diese unglücklichen Geschöpfe konnten diese Nacht
unangefochten einschlafen.
Man sagte dann in der Mühle, die hielten „after night“.
Einige lagen unverhüllt auf den Decken und umfaßten ihre
Kopfkissen und hielten sie fest an sich gedrückt -- ein Bild, das solchen gefallenen Engeln
die Traumwelt gar oft vorführt.
Die bleiche Mestize Semiramis, der Liebling Merlina's
und ohne daß sie es wußte, auch des Ungarn, nahm eine wahrhaft rührende Stellung ein.
Sie war nemlich knieend eingeschlafen und zwar so, daß sie ihr Gesicht in die Kissen drückte
und die gewölbte Parthie des Unterkörpers hoch hinaus hielt.
Dadurch entstand die schon bei den alten Griechen so hoch
geschätzte „doppelte Curve“, die bekanntlich bei Thorwaldson eine so große Rolle spielte
und der Sculptur ihre vornehmsten Mäcenate verschafft hat.
Neben dieser doppelten Curve, die im vollen Lichte erschien,
fiel der warme Schatten in einem Winkel von 45 Grad auf die Inseite der Lenden, die eine
breite rothe Binde bis zur Hälfte umspannte.
Bei dem jedesmaligen Athemholen der Schläferin lockerte
sich diese rothe Binde ein wenig.
Merlina hob die Musquitobare in die Höhe und strich
dreimal rasch auf einander über den Körper Semiramis's.
Bei dieser Berührung sank die bleiche Mestize in die Kniee
und kam auf den Rücken zu liegen.
Merlina wiederholte ihre Manipulation mit einer solchen
Gewandtheit, wie sie nur eben bei der farbigen Race möglich ist.
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Der Weiße wurde in diesem Falle zum Magnetismus
seine Zuflucht nehmen müssen. Semiramis rieb sich die Augen und sah schlaftrunken umher.
Als sie wieder etwas zu sich gekommen war, setzte sich die
Zambo-Negresse neben sie aufs Bett und nahm eine kleine Eramination vor, deren ganzen
Inhalt wir hier unmöglich geben können. Nicht als ob wir befürchteten, durch eine zu
übertriebene Aufrichtigkeit den zarten Sinn unserer geehrten Leserinnen zu verletzen, sondern
weil solche Dinge schon von Natur aus bestimmt sind, Geheimnisse zu bleiben.
Merlina frug unter Anderm:
„Semiramis, wer stahl Dir gestern die rothe Binde?“
„Der Clubbist von Nr.87, der Dutchman aus Galveston.“
„Wie halten es die Clubbisten von 99 und 100?“
„Ich mußte gehorchen.“
„Hast Du Gabor gestern nicht gesehen?“
„Leider; meine schöne Diamantbroche war verschwunden, als er mich verließ.“
„Der Schurke! er wird sie herausgeben müffen, wenn ich es Lajos sage.“
„Lajos zürnt mir; er wird sich freuen, wenn er von die dem Diebstahl hört.“
„Hast Du denn Lajos gesehen? das ist sonst nicht des Clubbisten Art.“
„Ja; er warnte mich vor Sulla; er drohte mir sogar das Herz herauszureißen,
falls ich Sulla nur die geringste Aufmerksamkeit erzeigen würde.“
„Nimm Dich in Acht, wenn Du lügst.“
„Ich lüge nicht, aber ich bitte inständig, Lajos Nichts hie von zu sagen.
„Lajos ist Dir wohl nicht gleichgültig, Semiramis?“
„Was hälfe es mir auch, wenn er mir nicht gleichgültig
wäre-Lajos erwärmt einen anderen Busen.“
„Semiramis, Du bist ein braves Kätzchen, aber ziehe
die Krallen nicht ein, wenn Lajos Dein Pfötchen beleckt.“
„Ich thue. Alles der Königin der Nacht zu Gefallen --
doch nein, wir müssen gehorchen und wir gehorchen gerne.“
Merlina rückte jetzt näher an die Mestize und ließ sie mit
den Nägeln auf ihrem Rücken herumkrabbeln.
Das war so eine böse Unart der Zambo-Negresse. Nur
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Semiramis war im Stande, die hierin vollkommen zu befriedigen.
Die andern kratzten ihren Rücken entweder zu stark oder
sie fuhren so leise mit den Fingerspitzen darüber weg, daß sich Merlina jedesmal ärgern mußte.
Als das Krabbeln schon fast zu Ende war, pochte der
Ungar, wie wir bereits wissen, zu wiederholten Malen an der
Außenseite der Thüre, ohne daß man ihm gleich öffnete.
Seines Rencontres in der Piege haben wir bereits gedacht,
Er setzte sich auf die weichen Polster der Chaise longue,
die gerade dem Bette gegenüber stand, unter dem Sulla verborgen lag. Merlina ließ
sich auf den Boden nieder und legte ihren Kopf in einen Schooß. Dabei schielte sie
aber auf das Bett, vielleicht um die mehr oder minder große Sicherheit des
Versteckten besser beurtheilen zu können. Die unverzeihliche Nonchalance Merlina's hatte
den Neger in der That in eine sehr gefährliche Lage gebracht. Es lag hier überhaupt nur an
einem glücklichen Zufalle oder einer für ihn günstigen Episode, wenn es hier zu keiner
überraschenden Entdeckung und einem gefährlichen Conflict kommen sollte.
Der Ungar saß in Hemdeärmeln und hatte ein schwarzes
Halstuch wie eine Schärpe quer über die Brust gebunden.
Merlina strich sich die langwolligen Haare hinter die Ohren
und warf ihr weißes Häubchen um.
Ihre Augen funkelten, die die einer Katze im Dunkeln und
auf ihrer breiten Tigerstirne thronte wieder der zurückgedrängte Juwelenschein des
großartigsten Sinnenrausches. So geschah es immer, wenn sie zusammentrafen. --
Er sprach anfangs kein Wort, die auch nicht, bis ihnen
endlich Amor die Sprache wieder gab. Die Zambo-Negresse stand jetzt plötzlich auf und
warf sichzurück auf das Bett, hielt ihre Arme in die Höhe und schien an ihren Fingern
etwas abzu zählen. Bei dieser Gelegenheit verschob sich etwas die Decke, die den
bedauernswerthen Sulla verbergen sollte. Merlina merkte dies nicht; sie schien überhaupt
ganz vergessen zu haben, daß sie noch für Jemanden besorgt sein müßte.
„Merlina, mein Pantherweibchen!“ rief der Ungar jetzt
zärtlich aus und fuhr mit der rechten Hand über seine Brust.
[LSZ - 1854.04.18]
„Eins, Zwei, Drei, Vier --“ zählte Merlina an den Fingern ab.
„Was rechnest Du?“ frug sie der Ungar in gleichgültigem Tone.
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„Ich wollte eben nachzählen, wie oft Du schon hoffnungslos
aus meiner Piece getreten bist,“ entgegnete die Zambo-Negresse und fuhr fort:
„Vier, Fünf, Sechs, Sieben -- Sieben Mal!“
„Zum Teufel auch, Merlina, laß' einmal ab von diesen
Kindereien -- -- man nimmt sich vor, zu lieben und das ist genug!“ sagte der Ungar und
seine Lippen preßten sichzusammen, wie bei Einem, der einen festen Entschluß gefaßt
hat und ihn um jeden Preis auszuführen gesonnen ist.
„Man nimmt sich vor, zu lieben, Lajos, und ich nehme
mir heute vor, nicht zu lieben -- Jedem seinen Willen!“ --
„Hast Du noch ein Paar Rattenschwänze, Merlina?“
Rattenschwänze nannte der Ungar in boshafter Weise die
Cigarren aus dem Fruchtstore des Italieners Lombardi.
Diese einzige Frage besiegte die Koketterie der Zambo-Negresse.
Ohne etwas darauf zu erwiedern, verließ sie das Bett und setzte sich wieder auf den Boden
zwischen die Beine des Ungarn, den Kopf in einem Schooß vergraben.
„Hast Du noch ein Paar Rattenschwänze, Merlina?“
„Du braucht jetzt nicht zu rauchen, mein Lajos,-Dein
Pantherweibchen hat für Dich etwas Besseres, als Cigarren.“
„Ich verlange nichts Besseres, als Rattenschwänze. Wenn
Sulla noch nicht schläft, kann er mir auch noch einen Cherry Cobbler zurechte machen.“
„Wir haben keine Rohre und kein Kraut mehr in der Mühle, mein Lajos.“
„Ich will den Cherry Cobbler nicht mit dem Rohre aus
schlürfen -- ich will ihn saufen.“
„Aber kein Kraut?“
„Ist nicht nöthig.“ Bei diesen Worten hob er mit beiden
Händen Merlina's Kopf aus seinem Schooße, um hinaus zugehen.
Merlina drückte sich mit Gewalt an ihn und bat ihn, sie
nicht zu verlassen, da Sulla wahrscheinlich schon im Schlafe liege.
„Ich will den faulen schwarzen Hund aus dem Bette
treiben - - - hast Du seine Papiere!“, unterbrach er sich dann.
„Es wird Alles pünktlich besorgt werden, mein Lajos,“
antwortete Merlina, der diese Frage sehr ungelegen kam, da
sie natürlicherweise an den unter dem Bette liegenden Sulla dachte.
„Es wird Alles pünktlich besorgt werden, mein Lajos,“
- 160 -
wiederholte sie beruhigend und um Sulla irre zu führen, setzte sie hinzu:
„Sulla wird morgen die Papiere betreffs des Accounts der
Bare in Ordnung bringen.“
Hätte Sulla jenen schmalen Streifen Papier auch nicht gefunden,
so hätte ihn diese verdrehte Antwort dennoch zum weitern. Nachdenken führen müssen.
Trotz seiner bedenklichen Lage unter dem Bette schwebte
ein leichtes Lächeln um einen Mund, als er diese Worte vernahm.
Daß sich Lajos mit dieser schiesen Beantwortung seiner
Frage so schnell abfertigen ließ, lag wahrscheinlich daran, daß
er glaubte, Merlina wolle ihn nur ärgern. Er sagte des halb kurz:
„Sieh' zu, daß Du die Geschichte bis höchstens übermorgen in Ordnung bringen kannst.“
„Es soll geschehen, mein Lajos,“ erwiederte Merlina, die
nur froh war, daß der Ungar hievon keine weitere Notiz nahm.
Es gestaltet sich nach der Progression des menschlichen
Croton zu einer unläugbaren mathematischen Wahrheit, daß, wo die höchste moralische
Versunkenheit den Habitus bläht und markiert, der Geist seinen höchsten Triumph feiert und daß,
wenn um den Sitz der Sinnlichkeit das liederliche Herenheer der Amoretten und Mänaden buhlt
und schwärmt, der Imperator Geist am liebsten im Gehirne seinen Thron aufschlägt
und von da herab nach alter Cäsaren-Weise eine Donner und Blitze schleudert.
Wer nicht im Stande ist, einen ganzen Vesuv von Sinnen-Unflätherei
auf Einen Zug hinabzuschlürfen, ohne seinem moralischen Bewußtsein und seiner Herzensruhe zu schaden,
der hat von der imperialistischen Herrlichkeit des Geistes wenig zu befürchten. Wer seinen Geist
in den Stiefel der Moral schnürt, Priapus und Venus aus den Tempeln der Liebe vertreibt und den
Geldwechslern in der Vorhalle in einem blinden Eifer die Tische umwirft, den kann man zwar einen
soliden Mann nennen -- für dieses Renommé muß ein solcher aber auch gewärtigen, daß ihm Amor bei
jeder Gelegenheit auf den Rücken speit.
Deßhalb sind auch Voltaire und Rousseau gewaltigere
Geister, als Montesquieu und Diderot. Deßhalb sind Shakespeare und Lord Byron größer,
als Milton, Moore und Shaftesbury. Deßhalb sind Göthe und Heinrich Heine
- 161 -
größer, als Schiller und Ludwig Börne, der Jude Baruch. Deßhalb Boccaccio und Casanova größer,
als Dante und Torquato Tasso. Deshalb Chalderon de la Barca größer, als der ganze spanische Dichter
Cyclus der Ascetik; -- -- kurz, es zeigt von großer Armuth des Geistes, wenn der moralische Mensch
da zu weinen beginnt, wo er nicht aufhören sollte, zu lachen.
*)
Was hätte Lajos und Merlina Dufresne der Welt nicht
nutzen können? Diese, wenn sie die dunkle Färbung der Haut nicht in eine erclusive Stellung zur
kaukasischen Raee gebracht hätte; Jener, wenn er das Uebermaß von Hyänengeifer auf die Feinde
des allgemeinen Wohles hätte träufeln lassen! Der ungarische Graf Lajos ***, der ehemalige
chevalereske, bontonierte Husarenoffizier und der Sohn. Eines der ältesten Magnatengeschlechter - er
wird hier auf republikanischem Boden zum habituellen Mörder und Brandstifter; ja noch mehr, er
wird wegen einer ausgesetzten Belohnung von zehn Dollars zum Verräther eines armen Soldaten, der
der Zwangsjacke Uncle Sam's entflohen war und ihm selbst ein Desertieren anvertraut hatte!
**)
Die nun folgenden Scenen möge die weibliche Elite eines geachteten
Leserkreises in dem oben angedeuteten Sinne auf nehmen und wir werden dann sicher nicht angeklagt werden,
____________________
*) Es gehört mit zu den Verschrobenheiten unserer Zeit,
daß eingestreute Lyrik den Charakter des Romanes verwischen muß. Man sieht sich jedoch hiezu genöthigt,
da richtige objective Auffassung auch bis auf den heutigen Tag noch das Monopol
des Genius zu sein scheint, und das überzählige Proletariat des Geistes zur nähern
Verständigung einen genauen Commentar nöthig hat.-- Hannibal ante portas!
**) Welche Stufenleiter von Vergehen oder Verbrechen Lajos
hinter sich hatte, als er den gastlichen Boden Amerika's bestieg, getrauen wir uns hier nicht zu publiciren,
da man von diesen leicht auf den Namen der Familie schließen könnte, von
der uns ein ehrenwerther Freund gegenwärtig noch in Debreczin lebt. -- Seiner
Selbstcharakteristik entnehmen wir hier eine Stelle, die bezeichnend genug ist, um die
Ueberzeugung zu erlangen, daß er nicht plötzlich das geworden, als was wir ihn
kennen lernten.-- Es war im Jahre 1848, als noch Herr Schell sein Bierhaus
hielt und Herr ....... pape die lustige Gesellschaft mit seinem Gesange erfreute und
hie und da auch ein schwarzes Sammetröckchen hervorzauberte und im edlen Grimme
das blonde Lockenhaupt schüttelte; es war noch zur Zeit, als im besagten Bierhause
Herr Viereck jeden Abend regelmäßig declamirte und der Gesellschaft Grimassen
vorschnitt; es war zur Zeit, als der Wirthjene originelle“ hielt, wobei
unter verschiedenen Yankee Notions auch deutsche Tocarden als Preise an estellt
waren; es war an dem Orte und zur Zeit, wo sich Herr A.J. noch sehr lebhaft
präsentierte und dem Herrn ...... pape mit seinem eigenen hohlen Siegelringe auf
den Kopf pickte -- wenn so Alles lustig und guter Dinge war, erregte ein stiller
bleicher Mann in nobelster, prägnantester Cavalier Garderobe die Aufmerksamkeit
Aller. Als ihn die lustige Gesellschaft einmal betrunken machte, so erzählte er, wie er
schon als Kind mit fünf oder sechs Jahren sich in die Schlafkabinette seiner Schwestern
geschlichen und ihnen Brennesseln über die geschlossenen Augen gelegt und sie
mit Nadeln gestochen und mit einem Federmesser in die Klitoris geschnitten habe,
Dieser Mann war Lajos, der damals noch einen Cigarrenladen hatte und nachdem
er banquerott geworden war, plötzlich New-Orleans und seine Frau verließ. Wie
nannte sich damals dieser Mann? Nunja, er führte einen deutschen Namen, der
übrigens eine getreue Uebersetzung seines ungarischen war. --
- 162 -
die Vielseitigkeit ihres Geistes überschätzt und die Reinheit ihres Gemüthes bestäubt zu haben.
Es ist noch ein großes Glück, daß, wo der Mann sich in den Philisterrock kleidet,
der Genius des Weibes dem Falconier den Arm bietet, und ihm als weiblicher Eicisbeo ein sicheres Geleite giebt. --
[LSZ - 1854.04.19]
„Zum Letztenmale jetzt, Merlina! Sage mir, willst Du oder willst Du nicht? Ich
spüre keine Lust in mir, noch Tage oder vielleicht Monate lang wie ein Bursche in den Flegeljahren
zu schwärmen und mich in eine sentimentale Stimmung zu versenken. Den Teufel auch um Deine Liebe, wenn ich erst
darum feilschen und schachern soll.-- Willst Du oder willst Du nicht, Merlina? Du weißt, ich habe keine Zeit
zu verlieren!“
„Keine Zeit?“ frug Merlina und erhob sich mit ihrem Kopfe aus dem Schooße des Ungarn.
Aber sie wandte ihr Gesicht nicht dem einigen zu, sondern sah mit einem haarsträudenden Blicke nach der Stelle
hin, wo Sulla verborgen lag.
„Du weißt, daß Tiberius nur bis drei Uhr im Kahne auf mich wartet, um mich nach
Algiers hinüber zu rudern. Komm' ich später, so stößt er ohne mich wieder vom Ufer und Du weißt, ich muß heute
Nacht noch zu meiner Frau -- -- oder vielmehr, Du weißt es nicht -- aber ich muß um drei
Uhr an Ort und Stelle sein -- und dies aus gewissen Gründen.“
„Und ich nehme mir aus gewissen Gründen vor, Dich jetzt
zu ersuchen, mich allein zu lassen,“ entgegnete im gesteigerten Tone die Zambo-Negresse. -- -- --
Ein heftiges, mehrere Male auf Einander folgendes Niesen ließ sich jetzt vom Bette
her vernehmen. Es war zu nahe und daher zu deutlich, als daß man hätte meinen sollen, es wäre außerhalb der Piege.
Wie unter dem Einflusse einer galvanischen Batterie, so schnellte der Ungar
in die Höhe und stieß mit seinen Knieen so heftig an den Kopf der am Boden sitzenden Zambo-Negresse,
daß ihr Oberkörper das Gleichgewicht verlor und nach vorne auffiel.
In dem nemlichen Augenblicke glitt, glatt wie ein Aal, unter dem Bette eine Gestalt
hervor, die wegen der nach hinten aufgebauschten Musquitobare noch verborgen blieb und langte
mit sicherer Hand zwischen die Kehrseite der Kopfkissen und zog einen Dolch und ein Pistol hervor.
Da die Hand, die diese Waffen hervorzog, im Lichte war,
- 163 -
so hatte der Ungar das Blitzen des Dolches und den Metall glanz des Pistolenlaufes bemerkt.
Merlina lag mit dem Kopf auf dem Boden und bewegte
sich lauernd gegen das Bett zu, indem sie ihre beiden Hände
vorletzte und die Finger auseinanderspreizte.
Der Ungar griff an seine rechte Hosentasche, um ganz
sicher zu sein, daß er den Pieçeschlüssel bei sich habe.
Er trat jetzt einige Schritte zurück und sah bald auf die
Zambo-Negresse, bald nach dem Bette, woher das Niesen vernommen wurde.
Die Gestalt hatte sich hinter der Musquitobare in gerader
Stellung aufgepflanzt und das Licht der im Centrum hängenden
Camphinelampe warf den Schatten dieser Gestalt in fast dreimaliger Verlängerung bis über's Plafond hinaus.
Ein Blick des Ungarn genügte, um den Schatten eines
Negerkopfes mit der wolligen Frisur zu erkennen.
Auch die Zambo-Negresse hatte den Schatten fast im nemlichen Momente bemerkt.
Rasch wie eine Tigerkatze erhob sie sich vom Boden, sprang auf den Kopftheil des Bettes und griff unter die Kissen.
Doch der Dolch und das Pistol waren bereits in andern Händen.
„Hölle und Teufel! Sind hier Wildsäue im Gehege?
Ein schwarzer Keuler und ein braunes Mutterschwein! Ein fatales Vergnügen, ohne Waffen auf die Eberjagd zu gehen!“
rief der Ungar im bitterkalten, schneidenden Tone und ging entschlossen auf das Bett zu.
Die Zambo-Negresse hatte sich mit dem Rücken gegen die
Wand gestemmt, da, wo der Kopftheil des Bettes von derselben absteht. Nach links und rechts flogen ihre Blicke;
mit der rechten Hand umspannte sie eine fünfkantige Säule des Masterbettes. Die Linke schien unentschlossen.
Sulla allein kannte seine wahre Situation. Denn da ihm
der Zufall das verhängnißvolle Billet in die Hände gespielt, so
wußte er, wen er in der Person des Ungarn und Merlina's
vor sich hatte. Merlina, die nicht die geringste Ahnung hatte,
daß Sulla mit der Verschwörung gegen seine Person vertraut
war, und Lajos, der hier nur einen Nebenbuhler vor sich sah,
sie Beide mußten sich bei ihrem ersten Zusammentreffen täuschen.
Statt als die entlarvten Betrüger hinsichtlich des beabsichtigten
Verkaufs dem Neger gemeinsam die Spitze zu bieten, bekam
Lajos Merlina und Sulla zu Gegnern, während Sulla wieder
- 164 -
auf Lajos und Merlina all' seinen Groll zu wälzen hatte.
Lajos sah dann neben dem Nebenbuhler auch die Falschheit der Zambo-Negresse.
Der Ungar wußte im ersten Augenblicke nicht, gegen wen
er sich zuerst wenden sollte. Waffen führte er heute ganz gegen seine sonstige Gewohnheit keine
bei sich. Er wußte den Platz des Dolches und des Pistoles unter den Kopfkissen -- doch er
hatte sehen müssen, daß ihm ein Anderer zuvorgekommen war. Der Schlüssel, den er nun aus seiner
Hosentasche hervorzog, war eine einzige Waffe.
Es entstand eine fürchterliche Pause. Der Ungar stand fest und sicher,
den Schlüssel in der nervigten Faust, kaum einen Schritt von Merlina entfernt, die vor Wuth am ganzen
Leibe zitterte. Ihre rechte Hand umspannte krampfhaft den Bettpfosten. Der Neger stand noch immer so, daß
ihn weder Merlina noch der Ungar sehen kannte; denn die auf die linke Seite des Bettes gebauschte
Musquitobare warf ihren Schatten zurück und verdeckte ihn.
Der Ungar, dem durch das nähere Hinzutreten an das Bett, der Schatten des
Negers an der Wand und dem Plafond aus den Augen verschwunden war, bog sich jetzt vor und sah
an der Wand einen in die Höhe gehaltenen Arm mit gezücktem Dolch in der geübten Hand und ein Pistol,
das auf und niederfiel, je nachdem sich der andere Arm hob oder sank.
Mit Blitzeschnelle hatte er einen Entschluß gefaßt, der,
wenn er so rasch ausgeführt wurde, als er entstanden war, ihm wenigstens das Leben retten mußte, das hier
augenscheinlich auf dem Spiele stand. Die rasche Ausführung dieses gefaßten Entschlusses mußte ihm dann zu
gleicher Zeit auch die Mittel an die Hand geben, sich eremplarisch zu rächen, vielleicht das
Leben der einen Person durch den Tod der andern zu erkaufen.
Er sprang mit Einem Satz auf das Bett, riß durch die Musquitobare und stürzte
den überraschten Sulla durch die Schwere seines Körpers und durch die Heftigkeit des Anstoßes rücklings zu Boden.
Er selbst schlug mit dem Neger nieder, doch so, daß er auf ihn zu liegen kam.
Fast wäre es Sulla gelungen, mit herkulischer Kraft anstrengung den Ungarn auf die
Seite zu werfen. Doch als er Letzterem mit tiefem Bisse die Wange zerfleischte, so trieb der
wüthende Schmerz, den die schon zum Drittenmale aufgebissene
- 165 -
Wange verursachte, die Muskeln des Ungarn in eine O unmenschliche Stärke, daß derselbe den Neger bezwang,
indem er ihm die Arme so fest umdrehte und sie mit den Ellenbogen in dessen Mund einschlug, daß derselbe
dumpf stöhnend seine Augen wie im Todeskampfe verdrehte.
Als Merlina dies gewahr wurde, so schlang sie ihre Beine um eine Säule des Bettes,
kletterte auf den Top und schlug mit ihrer Faust die Leiste des obersten Brettes der nur schwachen Wand ab,
stieß das Brett selbst nach und ließ sich durch diese Oeffnung in das nebenanstoßende Schlafzimmer hinab.
Hier trieb sie alle Mädchen aus den Betten und indem sie selbst aus der Holzkammer
eine Art herbeischleppte, rief sie denselben zu:
„Tod oder Merlina! Katzen, mir nach!“
[LSZ - 1854.04.20]
Daß sich die Katzen der Dame Merlina nicht so schnell in geordnete Toilette
werfen konnten, braucht hier wohl nicht erst bemerkt zu werden. Die ganze Schaar der bleichen Mestizen
und dunklen Mulatten war gleich nach dem ersten Aufrufe ihrer Herrin auf den Beinen. Sogar die beiden Chola's,
die sich in vorgerückten, interessanten Umständen befanden, mußten sich anschließen. Da sie wegen ihres
hoffnungsvollen Zustandes bis über den Unterleib herabhängende, gestrickte Nachtjacken trugen, so war eine
etwaige Verkältung weniger gefährlich, als bei den Uebrigen, deren ganze Uniform in einem blendenden
Hemde bestand, das oben mit einem Schnürchen durchzogen war, demnach beliebig verengt oder erweitert werden konnte.
„Katzen, mir nach!“ ertönte zum wiederholten Male die wohlbekannte Stimme von
Dame Merlina, als sich noch Einige schlaftrunken die Augen rieben und unter der Bettdecke zu
schaffen machten. Was sie sich zu schaffen machten, ist hier überflüssig zu erwähnen, da die in die
Racenverhältnisse Ein geweihten wohl wissen, daß in dem befruchteten Leibe der
Chola's Dinge vorgehen, die nur ein Gott zu erklären im Stande sein könnte.
Die Haft und Eile, mit der die Mädchen von ihrer Gebieterin angetrieben wurden,
verhinderte dieselben, auch nur die mäßigste Bekleidung sich zu wählen; dezhalb sah man nir
gends Strümpfe und Schuhe, und bei Einigen, die die üble Gewohnheit hatten, ohne Hemden zu schlafen, war
auch von diesen keine Rede. Diejenigen, welche die schon genannten gestrickten Nachtjacken trugen,
bildeten somit den Dreßcircle unter dem dunklen nackten Chaos, wo die Tinten in allen nur er
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denklichen Schattierungen mit Einander wetteiferten. Diese wilden Nacktheiten wogten nun mit Dame
Merlina und der bleichen Mestize Semiramis an der Spitze, gegen die Thüre der wohlbekannten Piege.
Nur wenige Schläge mit der Art waren erforderlich, um sich trotz der
verschlossenen Thüre Eingang zu verschaffen.
Die Katzen Merlina's waren maschinenmäßig ihrer Herrin nachgeeilt und sahen
erst jetzt, als sie des Negers und des Ungarn ansichtig wurden, um was es sich hier handelte.
Der Ungar hatte sich unterdessen vom Boden erhoben und stand auf der Brust des
Negers, der nicht das geringste Lebenszeichen mehr von sich zu geben schien. Sein Gesicht war
bleich wie der Tod; denn auch Neger werden bleich, wenn das Leben flieht. Aber diese Bleiche ähnelt
alten Oelgemälden, von denen sich bereits der Firniß abgelöst hat und deren ausgebleichter Grund des
Colorits die nackte Leinwand durchschimmern läßt. So changiert hier das dunkle, glänzende Ferment.
In der Rechten hielt Lajos das Pistol, wie zum Abfeuern fertig. Der Zeigefinger
lag an der Zunge und es gehörten die ganze Ruhe und Kälte des Ungarn dazu, daß jener den lockern
Hahn nicht abschlug. Bei der geringsten Fibration des Fingers mußte die Person, auf die der Lauf gerichtet
war, einem unvermeidlichen Tod anheimfallen. Die Linke des Ungarn hielt den Dolch. Der Griff war zu beiden
Seiten abwärts gebogen und der Haltstern losgeschraubt. Seine Spitze war abgesprungen.
Doch die Schärfe seiner doppelten Kanten erlaubte immer noch, ihn bis an den Griff nachzustoßen.
Merlina stand erstarrt. Sie sah bald auf den Ungarn, bald auf den Neger.
Lajos blickte sie ruhig an. Nur verzog sich sein Mund zu einem eiskalten Lächeln.
Auf seiner Wange standen schwarze, dicke Blutstropfen. Die Zähne des Negers waren
tief in die alte Narbe gedrungen und die Epidermis sah man bis über das Nasenbein abgeschält.
Die Mehrzahl der Katzen schien entschlossen und ungerührt von dem schrecklichen
Schauspiele, das sich ihren Augen darbot. Nur wenige traten furchtsam zurück. Unter den Letzteren befanden sich
die schwangern Chola's.
Die bleiche Mestize Semiramis bückte sich und sah dem Neger prüfend in’s bleiche
Antlitz. Dabei blickte sie fragend nach Merlina auf, als erwarte sie irgend einen Befehl
„Du hast Sulla getödtet, Lajos? Sulla war unschuldig!“
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sagte jetzt mit wilder Geberde die Zambo-Negresse. Die Art hatte sie über die Schulter gelegt.
Die anfangs furchtsam zurückgewichenen Chola's traten näher.
„Unschuldig oder nicht unschuldig, gleichviel -- der schwarze
Hund ist abgemuckt und damit Basta!“ entgegnete der Ungar.
„Ich habe Sulla zum Narren gehalten und herein gelockt -- -- ich wollte
ihm nur eine Papiere heimlich entwenden -- er trägt sie in der linken Westentasche.“
 „Der schwarze Hund kann jetzt auf die Hochzeit gehen.
Mit seinem schwarzen Frack und seiner weißen Weste kann er seine Braut beglücken.“
Der Ungar bemerkte mit Einemmale eine leise Bewegung unter seinen Füßen.
Hat sich die Brust des Negers gehoben oder wurde es ihm schwindlich auf der Negerleiche? Er sah
hinab und trat fester gegen die Brust. Sein Standpunkt wird unsicher; die Brust scheint sich in der That
zu heben.
Er sah dem Neger schärfer ins Gesicht. Die weit geöffneten
Augen sind glanz -- und leblos. Aus den blauen Lippen dringt kein Hauch. Und dennoch hob sich die Brust.
Der Ungar wurde ärgerlich. Er trat den Neger mit dem rechten Fuß auf den Hals,
der linke behauptete noch eine frühere Stelle,
Dieses leichte Schwanken beruhte offenbar auf einer argen Täuschung. -
Der Ungar kehrte dem Gesichte des Negers wieder den Rücken.
Seine Mienen verriethen nicht die geringste Beklommenheit.
„Jag' die Katzen in ihre Nester -- wir wollen Hochzeit
halten, mein Pantherweibchen!“ sagte jetzt der Ungar in heiterem Tone und auf sein Gesicht trat
eine gewisse Lebhaftigkeit. Er ließ sogar beide Arme sinken und hielt die Oeffnung des
Pistols gegen den Boden zugekehrt. Den Dolch schleuderte er auf den Top des Masterbettes.
Mit Merlina war bei diesen Worten eine wunderbare Umwandlung vorgegangen.
Ueber ihr Gesicht fuhr eine dunkel violette Purpurröthe, die bis zur Cupidofalte hinabjagte. Der
ganze Körper schien wie in ein Flammenmeer getaucht und durch ihre Augensterne zog leuchtend wie
ein Komet durch den schwarzen Ocean des Nachthimmels, die goldene Deichsel eines
Panthergespannes. Die Wagenlenker waren Frau Venus und Amor. --
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[LSZ - 1854.04.21]
Die Zambo-Negresse, die für Lajos in wahrhaft dämonischer Weise brannte und
glühte, und die, wenn ihre Sinnlichkeit im rechten Momente angefacht wurde, sich rücksichtslos dem
hinzugeben im Stande war, der sie mit dem Zauberstab der Liebe berührte, -- Merlina, die sechszehnjährige
wilde Katze, die der Ungar so treffend ein Pantherweibchen nannte; Merlina, die bisher mit ihren Opfern
nur tändelte und sie oft schonungslos verbluten ließ; Merlina, die trotz der Sittenverderbniß in ihrem
eigenen Hause sich bisher noch von keinem Manne den Gürtel losbinden ließ; die Kälte und Bedachtsamkeit
heuchelte, wenn man ihr gegenüber in Feuer und Flammen gerieth; Merlina, die nur ein außerordentlicher,
wenn auch schrecklicher Vorfall dazu bewegen konnte, das preiszugeben, was sie trotz ihrer Mordlust und
Grausamkeit wie das goldene Vließ bewacht und manchmal mit großen Schwierigkeiten erstritten und erkämpft
hatte -- dieselbe wilde Katze, dasselbe Pantherweibchen taumelte und glühte, bei dem Gedanken, sich
endlich dem ganz hinzugeben, den sie bisher oft auf so grausame Weise geneckt und von sich abgestoßen hatte.
Der Ungar fibrierte nur leise, als er jetzt von der Leiche des Negers stieg,
um in den Armen der Zambo-Negresse das zu verwirklichen, was ihm ihre Augen prophezeihten.
Hätte jedoch Merlina seine Gedanken errathen, sie würde ihn entsetzt und
wuthentbrannt zurückgestoßen haben. Dieselben Arme, die ihn umschließen sollten, hätten sich in Schlangen
körper verwandelt.
Auf einen Wink des Ungarn entfernten sich die Katzen
Merlina's aus der Piege, nachdem der bleichen Mestize Semiramis noch vorher die Weisung zugekommen war,
an der zerschlagenen Thüre Wache zu halten und sich, wenn sie müde sei, von einer Chola ablösen zu lassen.
„Lass' Sulla liegen, mein Lajos“ bat die Zambo-Negresse
den Ungarn, als derselbe die Negerleiche in die Höhe hob, um sie wahrscheinlich hinauszuschleppen.
„Lass' ihn liegen, mein Lajos“, wiederholte sie, „Sulla hat es verdient,
auch noch im Tode unser Glück mit anzusehen, -- sieh' sieh', wie er seine Zähne zeigt und uns so unverwandt anblickt!“
„Hilf mir ihn dort an die Wand stellen -- er wird wohl noch so viel Besonnenheit
haben, um stehen zu bleiben und nicht zusammen zu fallen. Wie schön ihm ein schwarzer Frack steht
-- -- komm, mein Sulla, lass' Dir die Halsbinde losknüpfen
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damit Du freier athmen kannst -- einfältiger Mensch! Warum bist Du so schnell gestorben, noch ehe ich
Dich verkauft habe -- Mister Bartlett wird jammern um den schönen Nigger, der ihm so schnell zur Hölle
entfahren. -- -- So, so, mein Barkeeper der Mühle, bleibe ruhig stehen und betrachte uns genau -- --
Dummer Bursche, warum mußtest Du auch in meine arme Wange beißen und Deine schöne weiße Halsbinde beschmutzen
-- sieh' hier, die Blutflecken auf Deiner schönen weißen Ballweste -- -- fletsche die Zähne nicht so frech,
mein armes Niggerchen -- Du weißt gar nicht, wie dumm es aussieht, wenn ein verrecktes Thier noch anmaßend
sein will -- so, so, bleib' nur still stehen und lauf” uns nicht davon! -- --“
Merlina nahm jedes dieser Worte mit fürchterlicher Gier auf und bewunderte
den Ungarn im Stillen wegen seiner guten Laune.
Beide unterstützten sich gegenseitig in ihrem Bemühen, den
Neger an die Wand zu stellen. Wenn sie aber glaubten, daß er aufrecht stehe, soglitten die Beine aus und er
fiel langgezogen wieder auf den Boden.
Sie versuchten es noch mehrere Male, aber stets vergebens.
„Hätte ich mein Gewehr hier“, bemerkte der Ungar, „ich würde ihm den Ladstock
zum Maule hineinstecken und bis in den Magen hinabstoßen -- er würde sich dann doch bequemen
müssen, gerade zu stehen.“
Ein wiederholter Versuch, die Leiche stehend zu machen, mißglückte ebenfalls.
Wenn sie glaubten,daß es ihnen gelungen war, so schlug der Neger immer wieder
der Länge nach auf den Boden. Seinen Kopf hielt er hoch und etwas zurückgebogen; die Fäuste
waren fest zusammengedrückt.
Der Ungar, welcher den Neger fest um den Leib gefaßt hatte, um es noch einmal
zu versuchen, ihn aufrecht an die Wand zu stellen, kam zufälligerweise mit seinen Fingern an die
Westentasche und vernahm das Knistern eines Papiers.
Er ließ die störrische Leiche wieder sinken und griff in die Westentasche.
Es waren die bekannten Papiere des Negers, die ihm
Merlina auf ein Geheiß des Ungarn rauben sollte.
Bei der Herausnahme dieser Papiere fiel ein schmales, offenes Billet zu Boden.
Merlina war auf das Bett gestiegen und hatte die Musquitobare in Ordnung gebracht.
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Eben stieg sie wieder herab. Ihr Kopfund Nacken waren noch unter den Vorhängen
verborgen; denn sie ordnete Kissen und Decken, da sie an die Liebe des Ungarn dachte.
Ein Blick des Ungarn auf das Billet, das derselbe gleich
als dasjenige erkannte, welches er Merlina von Mobile ausübersandte, brachte ihn aus seiner angewohnten
und satanischen Ruhe.
Seine Stirne brannte wie ein glühender Hochofen und
seine behaarte Brust hob sich in wilden Oscillationen.
„Doch betrogen!“ stieß er in entsetzlichem Tone heraus
und sprang auf die Zambo-Negresse zu.
Er ergriff sie bei den Armen, brachte sein Gesicht ganz
nahe an das ihrige und sah ihr starr in die Augen.
„Was ist Dir, mein Lajos? Mein Lajos, mein Lajos! -- --“ rief sie.
„Ja, infame Schlange -- Dein Lajos ist hier -- er wird Dich aus Liebe
erdrücken und Dir als Leiche zukommen lassen, was Du ihm lebend in Aussicht gestellt. Ich möchte
Dich gerne warm umarmen, recht zärtlich menschlich warm umarmen, mein Pantherweibchen, aber ich traue Dir lebend
nicht mehr -- d'rum sei's mit der Leiche!“
Das Gesicht des Ungarn verzerrte sich zu einer entsetzlichen
Fratze, als er diese Worte sprach. Seine Augen waren mit
Blut unterlaufen und hatten jenen fahlen, bläulichen Schimmer, wie er der Hyäne eigen ist,
wenn sie in den aufgescharrten Gräbern mit den Leichen Buhlschaft treibt. --
Man wird sich noch erinnern, daß jenes Billet Sulla
zufällig in die Hände kam, als er das Bett der Zambo-Negresse durchsuchte,
Bei dem Anblicke desselben mußte natürlicherweise in dem Ungarn der
Gedanke aufsteigen, er sei betrogen und schändlich verrathen. Wer anders als Merlina hatte den
Neger jene Zeilen in die Hände gegeben,die ihn auf die Verschwörung aufmerksam machen sollten, die
die Freiheit seiner Person bedrohte. Also war Sula in alle Geheimnisse eingeweiht? Also Er, das Haupt
der Mühle, stand, ohne daß er es bisher nur im geringsten geahnt hatte, unter der Controlle des schwarzen
Barkeepers? Und was mag Merlina mit Sulla gegen seine Person im Schilde geführt haben? Wollte man
sich vielleicht gar seiner entledigen? Fürchtete man ihn? Oder benutzte man ihn nur
zur Ausführung jener unzähligen Verbrechen und Gräuelthaten,
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deren glückliche Erfolge bisher die Casse der Mühle füllen mußten?
Das Benehmen Merlina's bei dem Tode Sulla's? Und jetzt? So verändert!
Hatte sich ihm Merlina nicht scheinbar zugewendet, weil sie einsah, daß mit dem todten Neger kein
Bündniß mehr zu schließen sei?
Diese Gedanken durchzuckten das Gehirn des Ungarn mit
der Schnelligkeit des Blitzes.-
[LSZ - 1854.04.22]
Merlina wußte nicht mehr, wie ihr geschah, als die langen
schwarzen Haare des Ungarn um ihren Nacken fielen und der selbe mit halbgeschlossenen
Augen über sie hinaussah. Semiramis, die als Wache an der zerschlagenen Thüre
der Pieze aufgestellt war, hatte mit der ihrer Race eigenthümlichen Neugierde von Anfang
bis zu Ende dieser haarsträuben den Verirrung beigewohnt und war kaum im Stande, einen
Schrei des Entsetzens zu unterdrücken. Sie kehrte der Tragödie, deren Verlauf die bisher
aufmerksam verfolgt hatte, den Rücken und sah sinnend und vor sich hinbrütend zu Boden.
Sie hatte Alles gesehen, konnte aber nicht Alles begreifen.
Sie verließ trotz der strengen Disciplin ihren bisherigen
Platz an der Thüre, kroch ins Bett und zog die Decke bis über ihren Kopf hinaus.
Ein kalter Schweiß rann ihr von der Stirne. Sie wollte
wieder aufstehen und vor die Piece eilen, um zu sehen, ob sie nicht geträumt habe. Doch
ein unerklärliches Etwas hielt sie von ihrem Vorsatze zurück. --
Unsichern Ganges verließ der Ungar die Stelle, wo er an
Merlina das doppelte Verbrechen begangen hatte.
Gab es in diesem Augenblicke ein größeres Scheusal auf
der weit bewohnten Erde? Hat auf beiden Hemisphären je ein größeres Ungethüm gehaust?
Wie ein Gespenst wandelte der Ungar mehrere Male in
der Piece umher und warf hie und da einen Blick in die Schlafzimmer.
Die Katzen der Mühle waren alle in tiefen Schlummer
versunken. Einige athmeten leise, andere schrieen im Schlafe auf und warfen sich auf die andere Seite.
Die Aufseherin schnarchte wie ein Mann oder vielmehr wie ein Weib solcher geschlechtslosen Race.
Der Ungar blieb stehen und lehnte sich an die zerschlagene
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Thüre. Er war vielleicht das einzige Wesen in der Mühle, das in diesem Momente wachte.
Merlina todt -- Sulla todt! Alles in Ruhe, von Niemandem beobochtet! Sollte
er diese sichere Position verlassen, ohne hieraus einen Vortheil zu ziehen? Wußte er nicht den
Ort, wo der ganze Reichthum der Mühle verborgen lag? Warum sollte er nicht mit Einemmale ein reicher Mann
werden können? Welchen Werth sollte das Leben so vieler Menschen in der Mühle haben? Und war es nicht besser,
wenn Alle zu Grunde gingen und Niemand übrig blieb?
In solcher Weise raisonnierte der bleiche Mörder und schritt
zur schleunigen Ausführung eines eben gefaßten Entschlusses.
Um zu dem Gelde der Mühle zu gelangen, mußte er unter
das Bett kriechen und eine Diele aufheben.
Auf der einen Seite des Bettes hingen die Beine der
Zambo-Negresse kalt und steif auf den Boden herab; ihr Oberkörper lag gräßlich zugerichtet
unter den Musquitovorhängen. Er ergriff die Beine und warf sie in's Bette hinein.
Er that dies jedoch so rasch, daß dieselben auf der andern Seite wieder hinaus fielen und den Neger,
der mit seinem Gesicht nahe am Fuße eines Bettpfostens lag, auf die Stirne schlugen.
Der Ungar duckte sich wieder und kroch auf allen Vieren
unter das breite Masterbett.
Die Diele war nicht so leicht aufzuheben, als er sich vorstellen mochte.
Nach vielen vergeblichen Versuchen und nachdem
er sich bereits die Nägel an den Fingern blutig geschunden
hatte, kroch er wieder auf allen Vieren unter dem Bette hervor
und holte die Art herbei, die Merlina neben der Leiche Sulla's
hingeworfen hatte. Er begab sich jetzt wieder an die Stelle, wo das Geld verborgen lag.
Nach vielem Abmühen gelang es ihm endlich, die Diele in
die Höhe zu heben.
Unter derselben befand sich eine Höhlung von ungefähr zwei
Fuß breit und ebenso tief, die ganz von einem Buche ausgefüllt wurde. Er nahm das Buch
heraus, und kroch mit demselben hervor und legte es auf die Platte des Waschtisches, den noch
kurz vorher Sulla vor die Thüre der Piege geschoben hatte. Er schlug es auf und fand sich in
seinen Erwartungen nicht getäuscht. So oft er die Blätter umschlug, fiel ihm eine gewichtige
Banknote in die Augen, von denen keine weniger als hundert Dollars zählte. Als er das Buch von Anfang bis
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Ende durchblättert hatte, war er im Besitze von hundert und zwanzigtausend Dollars.
Mit ruhiger und sicherer Hand falzte er die Banknoten
zusammen und steckte sie in seine Hosentasche.
„Geld! Geld!“ lachte er vor sich hin und seine Augen belebten sich wieder auf's Neue.
Er sah auf seine Uhr. Es war Zwei nach Mitternacht.
Es war hohe Zeit, daß er rasch handelte.
Sachte ging er durch die beiden Schlafzimmer und trat in
die Clubkabinette von Nr.99 und 100. Hier zog er eine Schublade unter dem Tische hervor,
an dem er noch vor einer Stunde mit den andern Clubbisten gesessen hatte, um sich über
die Angelegenheiten der Mühle zu besprechen und den untergeordneten Mitgliedern der Bande
ihr Verhalten vorzuzeichnen.
Unter dem Buch der Mühle, das in Wachstuch eingewickelt
war, lag das gräßliche Mordinstrument des Collegiums der Clubbisten der Hamburger Mühle.
Seinen Gebrauch hatte sie Merlina gelehrt. Dasselbe war seit dem Bestehen der Bande
der Zambo-Negresse schon mehr als zwölfmal angewandt worden. Siebenmal an Clubbisten selbst,
in Fällen, wo man sich memlich aus gewissen Gründen genöthigt sah, dieselben unschädlich zu
machen. Es war die
Pechmaske *),
die man den auserlesenen Opfern während des Schlafes auf das Gesicht drückte, bis sie erstickt waren.
Lajos nahm die Pechmaske aus dem Wachstuche hervor
und barg sie in sein Hemd, vorn auf die Brust. Dann ging er eben so sachte, als er in die
Clubkabinette getreten war, durch den Salon der Mühle und ließ sich durch die wohlbekannte Oeffnung hinab.
Ehe wir seine Schritte weiter verfolgen, müssen wir noch bemerken, daß der
Italiener Lombardi neben einem Fruchtstore schlief, von dem ihn nur eine leichte Tapetenwand trennte,
Nur bei außergewöhnlichen Gelegenheiten schlief er oben, wenn er sich nemlich nach den Katzen Merlina's
sehnte oder auch, wenn er zu betrunken war, um hinabzusteigen.
Lombardi hatte sich heute gleich zu Bette gelegt, als er
mit dem Ungarn die Clubkabinette verließ und derselbe zu Merlina eilte.
____________________
*) Man wird sich noch erinnern, daß bei der Verhaftung
des bekannten Schulmeisters Dyson
im vorigen Sommer (1853) eine Pechmaske vorgefunden wurde,
deren Zweck sich Niemand erklären konnte. Wie war Dyson in den Besitz einer solchen
Maske gekommen? Wer hat ihn ihren Gebrauch gelehrt? Auch die schon erwähnten
Hotooh's sollen dieses fürchterliche Mordinstrument handhaben. --
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Er konnte aber nicht schlafen; denn das Benehmen des
Ungarn gegenüber seiner Würde als Pontifer Maximus der Mühle lag ihm drückend wie ein Alp,
auf der Brust. Zudem hatte er sich nicht einmal ausgezogen.
Um sich die Zeitzu vertreiben, hatte er ein großes Stück
Kautaback zu sich gesteckt.
[LSZ - 1854.04.23]
Das Schlafgemach Lombardi's paßte genau zu seinem
Aeußern und schien mit demselben an Unsauberkeit und Unordnung zu wetteifern. In ihm befand
sich kein Fenster und die wenige Luft, die es empfing, drang nur spärlich durch ein sehr
schmales, vergittertes Loch oberhalb der Thüre.
Dieser Mensch hätte wie ein Standesherr leben und wohnen können,
aber die Dreckseele verschmähte jeden Comfort.
In sein Bett, das die Folgen des oftmaligen Betrunken eins
auf eine eckelerregende Weise befleckt und gefärbt hatten, hätte
sich auch der schmutzigste und verkommenste Ragpicker nicht
gewagt. Abgetragene, zerrissene Kleidungsstücke, Taglichter-Stumpen,
gebrauchter Kautaback, Citronen- und Orangen-Schalen
und leere Matches-Boren lagen allenthalben umher
und ein blecherner Topf, der ihm neben seinem ursprünglichen
Zweck zugleich auch als Trink- und Waschgeschirr diente, trug
gerade auch nicht dazu bei, daß man bei seinem Eintreten von
Millefleurs Düsten überrascht wurde.
Der beste Gegenstand, der sich im Schlafgemache des
Italieners befand, war eine Venetianische Lampe, deren Licht
von dunkelblauen und rubinrothen Gläsern, die in ihrer Fügung
ein Octaeder bildeten, zusammengehalten war. Diese Lampe,
die er mit von Italien herübergebracht und ihm als Pipo einst
große Dienste geleistet hatte, konnte beliebig umgedreht werden,
ohne sie von ihren einmal eingenommenen Standpunkt zu
verrücken. Heute war die rothe Gläser Agraffe seinem Bette
zugekehrt. Am Plafond schwebte der Schein vom Abglanze des
Octaeders und zog sich in die Länge oder verengte sich, sowie
der Luftzug, der durch das vergitterte Loch oberhalb der Thüre
hereinstrich, nachließ. Gedankenlos sah der Italiener diesem
Lichtspiele zu, bis ihn wieder der Unmuth wegen der Vorkommnisse in
den Clubkabinetten bemeisterte. --
Der Ungar stand bereits an der Hinterthüre des Fruchtstores,
von wo aus man die ganze Yard bis zur Begrenzung der schon an einem andern Orte erwähnten
Alley übersehen konnte. Diese Uebersicht war heute durch die aufgehängte
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Wäsche, welche der von der Alley herüberstreichende Luftzug auf und nieder klatschte, gestört.
Der Mond, der einen großen Hof hatte, warf einen matten und unsichern
Schein in diese Räume.
In der nächsten Nachbarschaft schrie sich ein Mocking Bird
*) fast die Kehle heiter, indem er bald das
Miauen einer Katze, bald das Krähen eines Hahnes nachahmte, auch mitunter ganz charmante
Bastardliedchen pfiff oder Triller schlug, wie eine faivrte Opernsängerin.
Kaum zwei Schritte von der Hinterthüre des Fruchtstores
entfernt, befand sich der Eingang in Lombardi's Schlafgemach.
Der Ungar sah nach dem vergitterten Loche oberhalb der
Thüre auf. Daß er Licht bemerkte, überraschte ihn nicht im geringsten; denn er wußte,
daß der Italiener nie im Finstern schlief.
Er schob die Pechmaske weiter von der Brust zurück, doch
so, daß er sie schnellwieder herauslangen konnte. Dann legte er sein Ohr an die Thüre und
horchte. Er hörte den Italiener husten und vernahm das Knarren des Feldbettes.
Er pochte, anfangs leise, dann etwas stärker.
„Wer da?“ rief von drinnen die Stimme des Italieners,
in einem so zweifelhaften Tone, daß man leicht glauben konnte, daß es ihm an Geistesgegenwart gebrach.
„Tod oder Merlina!“ löste der Ungar seine Parole.
Der Italiener verließ das ächzende Feldbett und schob den doppelten Riegelzurück.
„Ich glaubte, Sie schliefen schon“, redete Lajos den
Fruchthändler an und affectirte ein schalkhaftes Lächeln.
„Wenn Sie der Meinung waren, daß ich schlief, warum
weckten Sie mich denn? -- -- -- Hat die Mühle eine neue Order?“
Der Italiener ließ den Ungar in die Schlafstube und
streckte sich wieder auf ein schmutziges Bett.
„Ihr Bett ist, wurmstichig, Lombardi, undächzt und stöhnt
wie eine alte Betschwester,“ bemerkte der Ungar und suchte vergebens nach einem passenden Sitze,
wo er sich niederlassen könnte, ohne sich die Beinkleider zu beschmutzen. Er knüpfte
sein schwarzseidenes Halstuch, das er wie eine Schärpe um die Brust gebunden hatte, los, und
breitete es auf einem alten Stuhle, der nur eine halbe Lehne hatte, vorsichtig aus. Dann
____________________
*) Spottvogel.
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rückte er bis zum Bette des Italieners vor. Doch ließ er einen kleinen Zwischenraum offen.
„Dame Merlina schickt mich zu Ihnen herab, Lombardi,
um zu erfahren, wie es Ihnen geht, da sie glaubt, Sie befänden sich schon ein paar Tage nicht recht wohl.“
„Danke,danke!“ schmunzelte der Italiener, der sich durch
diese zarte Aufmerksamkeit der Zambo-Negresse sehr geschmeichelt fühlte.
„Dame Merlina sorgt für Sie, wie eine Mutter“, fuhr
Lajos fort und drückte seinen linken Arm an die Maske unter seinem Hemde.
„Sagen Sie Dame Merlina, ich befände mich auf die
Dosis Calomel ganz wohl -- nur hie und da etwas Rückenwehe und Kitzel im Gaumen -- doch dies hat nichts
zu bedeuten, da ich es nun einmal gewöhnt bin“, erwiederte der Italiener
und spuckte eine bedeutende Quantität Kautaback auf seine schmierige Bettdecke und biß sich ein frisches Primchen ab.
„Dann kann ich mich also wieder entfernen und Dame
Merlina zur Beruhigung sagen, daß Sie sich ausgezeichnet gut befinden“, sagte der Ungar.
„Sie brauchen gerade nicht zu sagen ausgezeichnet, aber
Sie können ihr bemerken, mir ginge es so, so, passabel“, entgegnete der Italiener.
Der Ungar sah jetzt über das Bett des Italieners hinweg,
indem er sich etwas vorneigte.
„Sie suchen wohl einen gewissen Gegenstand, Lajos -- hier zu Ihrer Rechten, Sie brauchen
sich nicht zu genieren“, bemerkte Lombardi und bog seinen Rücken ein, der ihn plötzlich wieder schmerzte.
„Nicht das“, entgegnete der Ungar, „ich sah nur da hinüber nach jener Ratte, die
so unverschämt an ihren Schuhen nagt und sich trotz unserer Gegenwart nicht irre machen läßt
ihren Appetit zu befriedigen. -- -- --
Sie verziehen Ihre Ratten, Lombardi, und bilden sie zu
Gourmands heran -- das ist nicht recht.“
Als sich der Italiener zur andern Seite des Bettes herausbog, um nach der
genächigen Ratte zu sehen, hatte der Ungar schnell die Pechmaske unter seinem Hemd hervorgezogen
und war über ihn hergestürzt.
Ehe sich Lombardi in Vertheidigungszustand setzen konnte,
hatte ihm der Ungar die Maske über das Gesicht geworfen und mit beiden Händen fest aufgedrückt.
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Der Italiener griff nach seinem Gesichte und zerrte vergebens an der Maske.
Er sprang in die Höhe, fiel aber gleich wieder zurück. Dann zuckte er noch einige Augenblicke mit
Händen und Füßen, bis er lang gedehnt einen Geist aufgab.
Ueber die Pechmaske aber glitt der kalte Leib einer Ratte.
„Also dennoch eine Ratte!“ warf der Ungar höhnisch lachend hin: „Wenn man den
Teufel an die Wand malt, kommt er angefahren.“ --
„Eine Erinnerung an dich, mein schmieriger Pipo, will
ich mir aber doch noch mit auf den Weg nehmen -- das Lämpchen ist doch gar zu schön; wie wird
sich meine blonde Frida freuen, wenn sie bei einem Glanze einschlafen kann -- sie liebt
die bunten Lampen und Lüstres gar sehr, mein unglücklicher Pechvogel. Damit du aber, falls
deine Seele in die Hölle gefahren, dem Herrn Satan und seiner Lady nicht klagen kannst,
ich hätte es dir gestohlen, so will ich es königlich bezahlen.
Läß'st du das Geld liegen, so ist es deine eigene Schuld -- --“ Der Ungar, der, während er diese Worte sprach,
auf den erstickten Italiener hinsah, wandte sein Gesicht jetzt von ihm ab und warf in einem unbeschreiblichem
Uebermuthe eine Hundert Dollar Bill auf den Tisch, auf dem die Lampe stand, dann
schraubte er die schmale Glas-Agraffe los und steckte sie in seine Hosentasche. Den Oelapparat warf er dem
Fruchthändler auf's Bett, wobei die Ratte, die wieder zurückgekehrt war und schon ein Loch in den Hals des
Erstickten gebissen hatte, über das Bett hinwegschlürfte.
Wenn Jemand vor der Thüre des Schlafgemachs gestanden hätte, so würde er
geglaubt haben, es wäre außer dem Ungar und dem Erstickten noch eine andere Person gegenwärtig.
Hastig, doch so leise wie ein Hotooh, strich der Ungar die
Treppe hinauf in den Hamburgersalon.
Aus einem Seitenkabinette hörte er das laute Schäckern des Clubisten von
No.98, dem, wie wir bereits wissen, für diese Nacht Pharis und Elma beigegeben waren.
„Ihr Hunde und Katzen werdet nicht lange mehr lachen“
dachte Lajos bei sich: „die Laden sind vernagelt und die Oeffnung werde ich zuklappen und zum
Ueberflusse noch die untere Thüre absperren -- doch halt! die Semiramis könnte ich wecken -- -- doch nein,
das geht nicht, es würde den ganzen Spaß verderben.“
Der Ungar ging auf die Bare zu, auf deren Cascade neben verschiedenen
Weinen auch mehrere Gefäße mit Spirituosen
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gefüllt, standen, nahm von einem derselben den gläsernen Stöpsel heraus und ließ den Inhalt in
einen zusammengelegten Teppich fließen. Dann riß er einen Streifen von einer Zeitung und zündete
denselben an einer Camphinelampe an. Die den brennenden Fidibus hielt er dann in den mit Alkohol
getränkten Teppich,
Eilig ging er nun auf die Oeffnung im Salon zu und
klappte, nachdem er schon mit halbem Leibe unten stand, das Deckbrett nieder. Am Fuße der
Treppe angekommen, verschloß er die zu ihr führende Thüre und warf dann den Schlüssel in die Gosse der Yard. --
Als er auf die Straße trat, war in der nächsten Umgedung der Mühle. Niemand zu sehen.
Vom Markte herüber hörte man das Klimpern der Kaffeelöffel und
das Klappern der Tassen und Teller. Die Butchers tranken schon ihren Caffee.
Gelassen und sichern Schrittes ging der Ungar auf jene
Stelle zu, wo er Tiberius befohlen hatte, seiner bis 3 Uhr nach Mitternacht mit dem Kahne zu warten.
An die Stützbalken des Wharfes schlugen die von einem eben ankommenden
Dämpfer erregten Wellen des Mississippi. Eine Kanonensalve und gleich darauf die Erwiederung deuteten
darauf hin, daß der Dämpfer über See kam. Die Fackeln am Ufer sandten ihren Feuerschein auf den
glücklichen Ankömmling und erleuchteten den breiten rothen Streifen über den Kajütenlucken. Durch
das Gerassel der Ankerketten hindurch vernahm man den monotonen Refrain der Matrosen und das
Commandowort des Capitäns.
„Die Georgia!“ hörte er hinter sich einen Mann sagen:
„sie kommt vom Isthmus -- ein goldenes Cargo und ein luftiges Gesindel“
Der Ungar drehte sich um und begegnete mit seinen Blicken der Hafenwache.
Dieselbe begrüßte und fragte ihn, ob er einen Bekannten an Bord habe.
„Wenn es die Georgia ist“ entgegnete Lajos, „so bin ich
umsonst hierher gekommen. Der Steamer, mit dem ich einen
Freund erwarte, hat mit diesem nichts zu schaffen.“
„Das ist verdrießlich,“ bemerkte die Hafenwache und verließ den Ungar,
der rechts ablenkte und längs des Wharfes zum Niveau der Fluchzeile hinabstieg,
Hier traf er auch seinen Kahn, den das erregte Wasser
auf und nieder schaukelte. Er war mit einem Taue an einen
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