Geheimnisse von New Orleans


Buch Band III Zeitung Daten
Band II
  1. 02 Mrz 1854
  2. 03 Mrz 1854
  3. 04 Mrz 1854
  4. 05 Mrz 1854
  5. 07 Mrz 1854
  6. 08 Mrz 1854
  7. 09 Mrz 1854
  8. 10 Mrz 1854
  9. 11 Mrz 1854
  10. 12 Mrz 1854
  11. 13 Mrz 1854
  12. 16 Mrz 1854
  13. 17 Mrz 1854
  14. 18 Mrz 1854
  15. 19 Mrz 1854
  16. 21 Mrz 1854
  17. 22 Mrz 1854
  18. 23 Mrz 1854
  19. 24 Mrz 1854
  20. 25 Mrz 1854
  21. 26 Mrz 1854
  22. 28 Mrz 1854
  23. 29 Mrz 1854
  1. 30 Mrz 1854
  2. 31 Mrz 1854
  3. 01 Apr 1854
  4. 02 Apr 1854
  5. 04 Apr 1854
  6. 05 Apr 1854
  7. 06 Apr 1854
  8. 07 Apr 1854
  9. 08 Apr 1854
  10. 09 Apr 1854
  11. 11 Apr 1854
  12. 12 Apr 1854
  13. 13 Apr 1854
  14. 14 Apr 1854
  15. 15 Apr 1854
  16. 16 Apr 1854
  17. 18 Apr 1854
  18. 19 Apr 1854
  19. 20 Apr 1854
  20. 21 Apr 1854
  21. 22 Apr 1854
  22. 23 Apr 1854
  23. 26 Apr 1854
  24. 27 Apr 1854

[LSZ - 1854.03.02]

- 01 -

Dritter Band.

Gewidmet

der Creolin

Marie Lollette Bloodword.

„Statt Deiner seh' ich händeringend Auf der Apalachen Höh'n Der Zeit prophetisch Bild, Cassandra, Unglück prophezeiend steh'n.“
        (Aus „Cassandra“ von L. Reizenstein.)
    Marie Lolette! Ueber neun Jahre sind bereits da hingeschwunden, als ich Dich das Erstemal unter dem tiefblauen HimmelItalien's sah. Es war in der Nähe des Busens von Spezia, nicht weit von der Stelle, wo den jungen Shelley, den Liebling Lord Byron's, die Fluthen hinwegführten. Du kamst eben von Genua, von wo aus Du mit Deinem Freunde Taron einen Ausflug nach den schönen Oliven- und Orangengärten des Cavaliere Pittore unternehmen wolltest. Auf jener Marmorbank, an deren Füßen die Wappen zweier berühmten Dogengeschlechter prangten, traft Du jenen jungen Studenten mit gebräuntem Gesichte, das damals noch nicht vom Kuß der Frauen gebleicht war - Du trafft ihn mitten unter seinen Träumereien, wie er eben die Verse des <„Orlando furioso“ auf dem schlanken Halle eines schneeweißen Windspieles abscandierte.
    „Sie sind aus Genua Signor?“
    „„Möchte ich doch Ihre Frage bejahen können, Signora - so aber komme ich leider geradenwegs von Deutschland.““
    „Dann hat Sie Ihr Accent sicher nicht verrathen - aber geboren sind Sie wohl in Deutschland nicht?“
    „„Geboren nicht, nein! Doch gelte ich für einen Deutschen, obwohl ich noch als Kind mit sechs Jahren in Rom mit den Schleifen eines Cardinalshutes tändelte.“
    „Dann sind Sie also doch ein Italiener?“
    „„Von mütterlicher Seite aus, ja!““
    „Dann muß ich meine Frage zurücknehmen, die ich vorher an Sie gerichtet, Signor; ich konnte ja ohnedem Ihre Abkunft schon aus Ihrer Lectüre errathen, denn ein Deutscher würde

 

- 02 -

hier in Spezia, so wenige Meilen von Genua entfernt, nicht den „Orlando furioso“ lesen, sondern den „Frühling“ von Kleist.“
    „„Wenn mir Ihre vorher an mich gestellte Frage ein gleiches Recht zukommen ließe, Signora?“
    „Ich bin aus Louisiana gebürtig und die Wogen des Mississippi haben mir das Wiegenlied gesungen.“
    „„Aus Louisiana? Das war von jeher das Land meiner Träume; unter Palmen zu ruhen und im Schatten des Urwaldes einen Gedanken nachzugehen, das muß ein Götter genuß sein!“
    Marie Lolette! Was Du mir darauf antwortetest, es hat sich bewahrheitet. Zwei Jahre nach jenem Zusammentreffen verließ ich Italien, verließ ich Deutschland, um hier an Deiner Geburtsstätte, statt der schlanken, befiederten Palmen krüppelhafte Palmetto's, und statt des üppigen Urwaldes kranke Riesen einer vergangenen Zeit vorzufinden.
    Es trieb mich weg von Deiner Geburtsstätte; denn sie bot mir kein Interesse, da Du fehltest. Jene Worte, die Du mir vor neun Jahren zuriefest: „Suche, doch Du suchst umsonst“, geleiteten mich auf allen meinen Irrfahrten; sie donnerte mir der Niagara entgegen, wenn ich mich auf seine Felsenrisse schwang und in eine Tiefe hinabstarrte; den Indianer sah ich mit seinem Tomahawk diese Worte in die tausendjährigen Riesen des Urwaldes hauen; ritt ich durch die hohen Gräser der Prairien, so hört' ich sie lispeln: „Suche, doch du suchst umsonst!“ Sah ich ein Schiff seinen Anker lichten und wollte es betreten, so stöhnten die Masten: „Bleibe hier, denn Du suchst umsonst!“
    Umsonst, umsonst! Viele, viele Jahre! Da zeigtest Du mir endlich den Weg, den ich einzuschlagen hätte, um zu finden! Ich habe ihn betreten diesen verheißenen Pfad“ und ich brauche vor den lockenden Sirenen meine Ohren nicht mit Wachs zu verstopfen oder mich an einen Mast binden zu lassen, wie es einst meinem Schicksalsvetter Ulysses erging. Aber nicht viel hätte gefehlt, daß mich Circe bethört und in ein Schwein verwandelt hätte. Doch der göttliche Kuhhirt „Hymen“ rettete mich noch zur rechten Zeit aus dieser bedenklichen Metamorphose.

 

- 03 -

Erstes Capitel.

Ein Jahr spaeter.

    Zu jener Zeit, in die die nächstfolgenden Begebenheiten und außerordentlichen Vorkommnisse fallen, war derjenige Theil unserer Stadt, der jetzt unter dem Namen des „vierten Distriktes“ bekannt ist, noch nicht derselben einverleibt. Der vierte Distrikt hatte früher eine eigene Administration und führte den stolzen Namen Lafayette. Diese letztere Benennung ist trotz der neueren Eintheilung fortwährend die vorherrschende geblieben und kein echter New-Orleanser, der etwas auf das verzogene Kind der barroomduftenden Königin Mutter hält, wird sich beifallen lassen, statt Lafayette den nüchternen Ingenieur-Ausdruck „vierten Distrikt“ zu gebrauchen. Nicht nur eine eigene Stadtverwaltung, sondern sogar uoch eine selbstständige deutsche Zeitung hatte zu jener Zeit das stolze Lafayette. Sie war unter dem Namen „Courier“ und „Lafayette Zeitung“ bekannt. Auch sie mußte der Anneration weichen und dem Monopol auf ihren angewiesenen Bezirk entsagen. Was das Hinausrücken unserer Stadtgränzen bis in jene Region betrifft, so soll dabei der Einfluß der Millionärin Madame Delachaise keine geringe Rolle gespielt haben, Ihre unübersehbaren Plantagen, wo früher noch Negerhäuschen standen und die Baumwolle aus Milliarden von Kapseln sprang, heißen jetzt Faubourg oder Suburb Plaisance und Delachaise, und wo früher der Nigger Treiber die schwarzen Hunde seines Massa zum Arbeiten antrieb, hat sich deutscher Fleiß und deutsche Ausdauer ein selbstständiges Besitzthum geschaffen, und bearbeitet mit eigener Hand seine Gemüsegärten und pflanzt seine Magnolien und Chinabäume. Wo man früher nur durch sumpfiges Plantagenland ritt und oft bis an's Kniee in den schlammigen Boden hineinglitt, sind die schönsten Straßen entstanden und über sie läuft die Lokomotive und bezeichnet auch hier den regen Spekulationseifer und Unternehmungsgeist unserer Zeitgenossen. -- Jefferson City, Greenville, Hurstville, Rickerville, Bouligny bis hinaus nach Carrollton -- wer weiß, ob sie nicht schon in zehn bis zwölf Jahren eine einzige Stadt New-Orleans bilden werden, deren Areal und Seelenzahl die London's und Newyork's um das fünfsache überbieten würden! Und was dann? Und wie steht es mit jenem verhängnißvollen Kainzeichen, das sich der Süden selbst auf die glühende Stirne gebrannt hat? --

 

- 04 -

    Sehen wir uns nach einer Familie in der Washington Avenue um, die in einer alten, elenden Bretterhütte wohnt und sich eben in einer Conversation ergeht, der augenscheinlich ein allgemeiner Zwist vorausgegangen sein mußte. Ihre Gesichter sind von heftiger Aufregung und gesteigerten Verdrießlichkeiten fast ohne Ausnahme enflammiert, und ein ärgerliches Mißbehagen malt sich sogar in den Gesichtszügen eines neuge borenen Kindes, das zwischen zwei Matratzen eingeklemmt, in einer Hutschachtel liegt, die einst als Wohnsitz von einem Generalstabshut beansprucht war.
    Die übrigen Glieder der Familie sitzen sämmtlich um eine große Kiste, theils auf Koffern, theils auf umgestürzten Waschzubern und Bündeln mit schmutziger Wäsche.
    Ein kleines Mädchen von ungefähr fünf Jahren steht neben ihrer Mutter, den Kopf in deren Schooß gelegt.
    Die Mutter ist eine Frau von 49 Jahren, von nobler und achtunggebietender Tournure und ernsten, doch Vertrauen einflößenden Gesichtszügen. Sie ist in ein blendend weißes, gestricktes Negligée gekleidet und sieht von Zeit zu Zeit ängstlich auf ein Mädchen von sieben Jahren, das ihr zur Linken sitzt und defen mit Syrup beschmierten Hände sie von ihrem frischen Anzuge entfernt halten will.
    Ihren marmorweißen Hals umspannt ein breites, schwarzjammetnes Band, das vorne eine goldene Schließe in Form zweier Täubchen zusammenhält. Ihre Haare sind schwarz wie Ebenholz und nach hinten mit einem schwarzen Netz überdeckt, eine Coiffüre, die ihren Haarwuchs reicher und voller erscheinen läßt, als er in der That ist. Ihre dunklen Augen haben einen seelenvollen Ausdruck und sind selten ganz geöffnet. Ihre Nase hat in der Mitte eine leichte Biegung und nimmt sich, besonders im Profil gesehen, reizend aus.
    Ausgenommen die Frische ihres Colorites, mag sie von ihrer früheren Schönheit nichts eingebüßt haben. Sie ist eine jener seltenen Frauen, die selbst noch im höheren Alter für junge Männer gefährlich sind.
    Sie heißt Melanie, wie sie ihr Gatte, der ehemalige General-Flügeladjutant des Königs von B*, auch nennt.
    Er ist nur fünf Jahre älter als Melanie und von starkem, gedrungenem Körperbau. Sein grauer Schnurr- und Knebelbart, die hohe Stirne, die zwei dicken Falten zwischen den Augenbraunen, die festen Lippen, das kurz geschnittene Haar-

 

- 05 -

Alles dies erinnert an den originellen Kopf Wallensteins, Sein Gesicht, ungeachtet es von tiefen Falten durchfurcht ist, sieht frisch und heiter aus. Die hellblauen Augen sind groß und von intensiver Glut.
    Er trägt einen langen, blauen Rock, mit zwei Reihen silberner Knöpfe, mit Löwen en Relief, und einem hochstehenden jetzt umgestülpten Kragen, an dem man noch die weißen Fäden bemerkt, an denen früher die Goldborden festhielten.
Der alte Herr raucht aus einer Pfeife, in deren hölzernen Kopf eine Eberjagd en Bas-Relief meisterhaft ausgeführt ist. An dem grotesken Silberbeschläge, halb Roccoco, halb modern, sieht man deutlich die Versuche, dasselbe abzureißen, um es vielleicht in Ermanglung an Geld zu verkaufen.
    Ein junger Mann von achtzehn Jahren, Hugo, spielt mit dem Tabacksbeutel seines Vaters und sieht unmuthig und verdrossen darein. Seinen rechten Arm trägt er in einer Schlinge.
[LSZ - 1854.03.03]
    Seine Haare sind von weicher Blonde. Sein Gesicht ist hübsch, fast schön zu nennen. Seine sonst klaren und sprechenden Augen verlieren heute viel durch seine mißmuthige und verdrießliche Stimmung.
    Wegen eines rothwollenen Hemdes und ledernen Gürtels, mit dem Messerfutteral an der Seite, kann man ihn leicht für einen Matrosen oder Deckhand halten. Zudem hat er auch den unsichern, schwankenden Gang eines Seemannes.
    Das Stübchen, in dem sich unsere Familie befindet, enthielt außer dem schon erwähnten, wunderlichen Meublement wenig mehr, was der Erwähnung werth wäre.
    Auf dem Mantel des Kamines steht ein Bild in einem breiten, goldenen Rahmen, das einen jungen, schönen Mann in reicher Pagenkleidung vorstellt.
    Er hat eine auffallende Aehnlichkeit mit Melanien -- die nemlichen wunderbaren Augen, nur sind die blau statt schwarz. Wer Melanie dem Bilde gegenüber sieht, kann keinen Zweifel mehr hegen, daß der junge Mann in der reichen silbergestickten Pagenkleidung, mit den Achselvolantes, ihr Sohn sei.
    „Amelie ist wirklich in meinem Schooße eingeschlafen, sagte besorgt Melanie, „das arme Kind hat auch die ganze liebe Nacht kein Auge zugethan; wie froh bin ich, daß es jetzt schläft, das gute arme Kind!“
    „Ich habe auch nicht schlafen können, Du hast mir immer

 

- 06 -

die Decke weggezogen, Mutter -- Vater hat es Dir schon öfter gesagt, daß Du's nicht mehr thun sollst --“ wisperte die naseweise Gertrude in weinerlichem Tone: „Ich will auch gar nicht mehr bei Dir liegen -- “
    „Ich auch nicht!“ murmelte die älteste Tochter Constanze, ein Mädchen von sechszehn Jahren. „Ich werde mich überhaupt gar nicht mehr zu Berte legen“, fuhr sie dann fort: „wenn wir nicht bald ordentliche Betten bekommen - es ist wirklich eine Schande für Grafentöchter, so auf den Dielen herumliegen zu müssen, wie verlaufenes Gesindel. Ich trage morgen mein goldenes Armband in’s Leihhaus und kaufe mir, für mich ganz allein, ein recht gutes Bett - dann soll sich auch Niemand mehr zu mir hereinlegen.“
    „Aber Amelie doch?“ frug Hugo ironisch.
    „Die am allerwenigsten!“ erwiederte Constanze : „sie soll nur bei der Mutter schlafen; warum hat sie mir meiuen schönen Ring auf der Straße verloren?“
    „Ich gehe jetzt auch nicht mehr zu Bette!“ rief jetzt Eines um das Andere fast zu gleicher Zeit.
    „Man kann auch gar nicht mehr schlafen“, warf Hugo ärgerlich hin.
    „Warum hat Mutter auch die Federbetten verkaufen müssen!“, fügte Constanze in legerem Tone hinzu: „wir haben doch Alle nichts von dem Gelde gehabt.“
    „Du brauchst Dir auch keinen Taback mehr zu kaufen, Vater“, bemerkte Hugo.
    „Kaufe uns lieber Zucker für den Kaffee“, schluchzte ein Anderes, ich kann ihn so nicht länger mehr trinken, und Butter haben wir auch schon seit fünf Tagen nicht mehr im Hause gehabt.“
    „Wenn mein Arm nur besser wäre, ich ginge wieder aufs Boot und würde Feuermann“, schalt jetzt Hugo verdrossen ein, „da habe ich doch wenigstens mein gutes Essen und Trinken -- so auf der faulen Bärenhaut zu liegen und dazu nichts zu essen und zu trinken zu haben, wird mir nachgerade unerträglich.“ -
    „Wo Nichts ist, hat der Kaiser “s Recht verloren!“ bemerkte eine alte Dame, die auf einem Reisefacke saß, und in der Familie unter dem Namen „Tantchen Cölestine“ bekannt war. Dieselbe häckelte eifrig an einem Kragen und suchte nur hie und da einen kleinen Bologneserhund abzuwehren, der wiederholt an ihr hinaufsprang und nach der Häckelnadel schnappte,

 

- 07 -

der er all seine Aufmerksamkeit gewidmet zu haben schien.
     er es zu frech, so erhielt er von der dürren Hand der Tante einen tüchtigen Klaps.
     die böse Welt behauptet, war es Tantchen Cölestine nicht recht richtig im Kopfe.
     alte Herr, seine Gattin Melanie, Hugo, Constanze, Gertrude, Amelie, das erst zwei Wochen alte Suschen und Tantchen Cölestine -- diese ganze Familie bewohnte schon seit Einem Monat die einzige Stube der alten Barracke an Washington Avenue. Es war daher nicht zu verwundern, wenn sich dergleichen Zänkereien und Verdrießlichkeiten des Tages öfter wiederholten und der Mangel an den nöthigen Lebensbe dürfnissen die Kinder manchmal in Opposition gegen ihre Eltern brachte, deren edle Denkungsart und Liebe für dieselben sie bei solchen Auftritten entweder schweigen oder beruhigend auftreten ließ.
    Die älteste Tochter, Constanze, war ein recht hübsches Mädchen; sie hatte zwar keine regelmäßigen Gesichtszüge, aber des Pikanten, Verführerischen und Reizenden genug. Die geringste Bewegung ihres schlanken Körpers war zauberhaft, und wenn sie schlief, glich fiel der Pasithea*), die auch während des Schlummers und bei den unwillkührlichsten Situationen und Attitüden allen Liebreiz beibehielt, und sich nie bei einer unschönen Stellung ertappen ließ.
     Bette lag Constanze wie ein gemeißeltes Götterbild. Den einzigen Fehler, den sie besaß, hatte sie mit ihrem ganzen Geschlechte gemein - sie war nemlich nach Umständen mehr oder minder launenhaft.
    Lange noch zankte sie sich mit ihren Geschwistern herum, bis endlich ihre Gedanken in jene unbekannten Welten hin überschweifen, in deren Farbenglanz sich junge, unverdorbene Mädchen so gerne bespiegeln.
    Cölestine, die bisher eifrig an ihrem Kragen gehäckelt hatte, fand jetzt plötzlich auf, nahm eine Landkarte von der Wand und ging schnurstracks mit derselben auf Constanze zu. Indem sie ihr dieselbe vors Gesicht hielt, fuhr sie mit ihren knöchernen Fingern erst unsicher an den Flußnetzen Mitteldeutschlands herum, bis sie endlich an der Elbe inne hielt und mit ihrem Zeigefinger den Lauf dieses Stromes von Magdeburg an bis zu einer Mündung in die Nordsee verfolgte.
____________________


*) Pasithea: die Grazie des Schlafes bei Homer und Anakreon.

 

- 08 -

    Nach ihrer gewohnten Weise neigte sie ihren Kopf tief auf die linke Seite und summte eine alte Melodie von einer Grafentochter, die erst in Pracht und Glanz gelebt, und zuletzt verführt und verlassen ihr trauriges Leben in den Fluthen beschloß.
    „Setze Dich lieber wieder nieder auf Deinen Platz und arbeite!“ brummte Constanze, indem sie der Tante die Karte von Deutschland aus der Hand schlug, daß dieselbe an Melanien vorüber und der kleinen Gertrude an den Kopf flog : „wenn die Irländerin heute Abend kommt und den Kragen abholen will -- und Du hast ihn nicht beendet, so haben wir wieder Nichts zu essen!“
    Tantchen Cölestine trat einen Schritt von Constanzen zurück und sagte -in ihrer gewohnten Weise die beiden Arme in die Höhe hebend: „Stanzchen, Stanzchen! Ich weiß - Du verachtet mich“, dann wandt” sie sich an die übrigen Glieder der Familie: „Ich sage Euch aber Allen, es ist eine tolle Lüge, daß Tante Cölestine die Mörderin ihres Mannes sein soll . . . . aber das Unglück hab' ich vorausgesagt . . . . ja, ich weiß-Ihr verachtet mich . . . . ja quält mich nur so !“
    „Ich bitte Dich doch um des Himmelswillen, Cölestine, schweige oder rede doch nicht in dieser Weise; es hat Dir ja Niemand etwas zu Leide gethan“, drang jetzt Melanie in die und ließ die nun wieder erwachte Amelie von ihrem Schooß auf den Boden gleiten, „wir ehrten Dein Unglück und nahmen Dich freudig wieder auf; nun ist es auch an Dir, daß Du das Unglück, das Uns Allen so unverschuldet getroffen, mit erträgt...“
    „Ja, ich habe es vorausgesagt,“ fuhr Tantchen Cölestine zudringlich fort, „aber verachtet mich nicht! ... ich war ein schönes, gutes Mädchen, so jung und schön wie Stanzchen - - aber es ist eine tolle, tolle Lüge, daß Tante Cölestine ihren Mann umgebracht haben soll.“
    „Willst Du jetzt schweigen !“ warf Hugo ärgerlich ein- „alle Tage diese verrückten Worte; man könnte wirklich selbst noch verrückt werden!“
    „Du hast mich doch früher so lieb gehabt und meine Lieder so gerne gelesen --das waren verrückte Lieder, nicht wahr, mein Junge?“
    Bei diesen Worten ließ Tantchen Cölestine ein unheimliches Kichern vernehmen, das sich fast jeden Tag bei ähnlichen Controversen wiederholte, und worauf sie stets in jene

 

- 09 -

merkwürdige Erstase verfiel, die man in alten Zeiten, den Dienern der Cybele, den Korybanten, zugeschrieben hat.
    „Nicht wahr, das waren verrückte Lieder von der Tante, mein Junge? Hab’ erst gestern wieder ein neues gedichtet, willst Du's hören ?“
    Wie ein Kätzchen, wenn es sich in behaglicher Stimmung befindet, zu spinnen anfängt, so schnurrte jetzt Tantchen Cölestine, gleichsam präludierend, die Melodie zu einem Liede, aus dessem Terte wir nur die letzten Strophen behalten haben:
„So seid ihr denn geschieden
Du Glaube, Hoffnung, Liebe,
Es stahlen mir die Jahre
Der Jugend schönste Triebe.

An der Elbe hab' ich gesungen,
Da hab' ich gescherzt und gelacht,
Jetzt sagen die bösen Leute,
Ich hätt' meinen Mann umgebracht.

So seid ihr denn geschieden
Du deutsches Vaterland,
Du große Stadt am Elbestrom,
Du schöner Nordseestrand!“
[LSZ - 1854.03.04]
    In der Art und Weise, wie Tantchen Cölestine diese Strophen vortrug, lag allerdings ein gewisser Reiz, der sogar dem Liede selbst, wenn es gleich eines geregelten Metrums entbehrt, nicht abzusprechen ist. Allerwenigstens hat dies Lied des verrückten Tantchens mehr poetischen Werth, als alle Lieder unserer jetzt lebenden Dichterlinge zusammen genommen.
    „Ha, ha!“ fuhr sie dann plötzlich wieder fort -- „ha, ha, ha. . . doch wo bin ich? . . . Da sind wir ja wieder in unserm Deutschland, an der Elbe, in unserm geliebten Magdeburg . . . hu, hu, hu! ... da ist er ja auch dabei unter den Sträflingen ... ein gelbes und ein schwarzes Bein, einen gelben und einen schwarzen Arm! ... hu, hu, hu! . . Kommt Alle wie Ihr da seid, kommt, kommt, so kommt doch geschwind! ... Barmherziger Gott, steh' mir bei ... jener Sträfling will sich eben von der Kette losreißen ... Willst Du bleiben, woDu bist ... O, O laß mich... bringe mich doch nicht um's Leben.. ich hab' Dir ja Nichts zu Leide gethan --- hurrah, hurrah, Leutchen. Alle, kommt wie Ihr seid . . morgen geht's nach Amerika! . . . hu, hu, hu! . . . Habt Ihr doch mein Brautkleid mit eingepackt und den großen, weißen Schleier mit den Brabanter Spitzen! .. Adieu Deutschland, Adieu ... jetzt geht's nach Amerika! . . . Kommt, kommt, so kommt doch! . . Da! da habt Ihr's nun . . die Jolle ist schon vom Land gestoßen --

 

- 10 -

- seht, seht, jetzt steigen sie aus der Jolle und klettern in's große Schiff -- da, da! . . .“
    Dieser verwirrte Monolog des Tantchens schien keinen neuen Eindruck auf die Familie hervorzubringen. Man ließ sie mit ihren sonderbaren Geberden und Reden gewähren, ohne sie weiters zu unterbrechen.
    Nach Verlauf einiger Minuten kehrte sie wieder ruhig auf ihren Platz zurück, indem sie sich neuerdings auf den großen Reisesack setzte und ihre Häckelarbeit vornahm.
    Der Bologneser sprang schwanzwedelnd an ihr hinauf und begann von Neuem sein Schnappen nach der Häckelnadel.
    Das neugeborne Kind in der Hutschachtel fing jetzt an zu schreien und streckte seine kleinen Patschhändchen empor.
    Melanie erhob sich von ihrem harten Sitze, hob Suschen aus dem sonderbaren Bette und suchte es durch Schnalzen mit der Zunge zu beruhigen und zu besänftigen.
    Zu gleicher Zeit stand Hugo auf und trat zu einer Mutter, indem er ihr das kleine Suschen aus den Händen nahm und es ein paar Mal so stürmisch küßte, daß Suschen nur noch lauter zu schreien anfing, bis es endlich wieder in den Armen Melaniens zur Ruhe kam.
    Der Vater rauchte noch immer, ohne auch bisher nur Ein Wort geäußert zu haben, aus feinem Holzkopf und sah von Zeit zu Zeit nach Constanzen, die verdrossen und mit niedergeschlagenen Augen, ihr goldenes Armband in Händen hielt, es bald auf bald zuschloß und es von allen Seiten prüfend betrachtete.
    Amelie kaute zum Zeitvertreib an ihren Nägeln und schien zu schmollen, daß die Mutter das kleine Suschen in ihren Armen wiegte und herzte.
    Gertrude schabte mit dem Federmesser des Vaters an einem silbernen Medaillon und ließ es auf der Kiste tanzen und klingen, dann zog sie das losgewordene, abgetretene Leder aus den losen Schuhsohlen und warf es in's Kamin.
    „Du willst also nicht zu Mitreß Evans in den Dienst gehen, Constanze?“ unterbrach der Vater sein bisher beobachtetes Stillschweigen, nachdem er vorher eine Pfeife ausgeklopft und auf die Kiste gelegt hatte.
    „Constanze wird wohl so vernünftig sein“, fiel Melanie besorgt ein.
    „Ich glaube wohl, daß eine Mitstreß Evans mit den Dienstleistungen einer Comtesse zufrieden sein könnte“,

 

- 11 -

bemerkte in schnippischem Tone Constanze, indem sie ihren Zeigefinger an das Stumpfnäschen legte ; dann fuhr sie fort: „Wenn mir diese Mistreß Bedingungen vorschreiben will, so mag sie wohl bedenken, ob dieselben auch von meiner Seite aus annehmbar sind. Zum Bügeln und Waschen wird sie mich nicht gebrauchen können; denn sie hat genug schwarze Domestiken, die jedenfalls mit dieser Arbeit besser vertraut sind; zum Kochen wäre ich wohl tauglich, aber eine französische Küche schmeckt diesen Schotten nicht; als Kammermädchen, ihr beim Ankleiden und Coiffuren zu helfen, dafür bedanke ich mich schönstens - höchstens -- höchstens könnte ich mich entschließen, falls Mitreß Evans eine Gesellschaftsdame brauchen sollte, als solche ein Engagement anzunehmen. Die Gesellschaftsdame der Prinzessin Alexandra von B“ wird wohl nicht zu schlecht für die Mistreiß sein ! --“
    „Constanze, Constanze - das Näschen nicht so hoch getragen -- bedenke, daß die Umstände uns zwingen, von unserer gewohnten Etikette abzulassen, und daß es in diesem Lande keine Schande ist,zu dienen - - -“
    „Keine Schande ist, zu dienen? Im Süden, in einem Sklavenstaate, soll es keine Schande für ein weißes Mädchen sein, zu dienen? Das liest man in Auswandererbüchern. Alles sehr schön und gut geschrieben - in der Wirklichkeit ist es aber doch ganz anders. Dienerin bleibt Dienerin, mögen wir uns nun in einer Republik oder Monarchie befinden. Wer dient, wird zwar gesucht, benützt, gut gehalten, wenn er seinen Pflich ten getreu nachkommt - aber er wird nie geachtet und als seinem Herrn ebenbürtig betrachtet werden. Für einen Mann mag es noch angehen, er kann sich leichter darüber hinwegsetzen, aber für ein Mädchen halte ich es geradezu für ehrlos --“
    „Du erschreckt mich, Constanze“, fiel Melanie betroffen ein, „ich begreife nicht, wer Dir eine solche gefährliche Philo, sophie beigebracht hat - ehrlos ist man nur, wenn man eine schlechte Handlung begeht, die unser Gewissen befleckt und uns in eine zweideutige Stellung zur menschlichen Gesellschaft ver setzt - aber nimmermehr kann ich etwas Entehrendes darin finden, der Nothwendigkeit nachzugeben und eine früher einmal eingenommene Stellung zu vergessen, um im Dienste Auderer seinen Broderwerb zu suchen.“
    „Solche gute Lehren hat ihr wohl Paul de Cock gegeben, warf Hugo nachlässig hin.
    „Ich habe von Niemandem gute Lehren anzunehmen, wo

 

- 12 -

mir mein Verstand selbst sagt, was ich zu thun und was ich zu unterlassen habe,“ sagte Constanze.
    „Dann hat Dir Dein Verstand gewiß nicht gesagt, daß Du es unterlasen sollst, bei der reichen Schottin Deine Eristenz zu begründen. Mitreß Evans hat sich über Dich beim Prinzen von Würtemberg sehr vortheilhaft ausgesprochen und es liegt nur an Dir, daß Du ihre Zufriedenheit erwirbt, um vielleicht späterhin eine Freundin an ihr zu finden. Ahnte es nur der Prinz, was uns seit seiner Abwesenheit begegnet und in welch“ schlimmer Lage wir uns jetzt befinden, er würde Dich leicht dazu vermögen, das Engagement von Mitreß Evans anzunehmen ; denn man glaubt immer Andern mehr, als seinen eigenen Eltern.“
    „Der Prinz von Würtemberg wird es eben so wenig vermögen, mich zu Etwas zu bestimmen, wenn ich einmal nicht will,“ entgegnete Constanze in ihrem Starrsinn.
    „Wenn ich nur wüßte, wo sich Se. königl. Hoheit gegenwärtig aufhielten, ich würde Sie doch mit unserer fürchterlichen Lage bekannt machen. Wenn Sie wieder in unserer Stadt verweilten?“
    „Wenn Seine königl. Hoheit hier wären, hätten Sie uns gewiß schon aufgesucht“, bemerkte Melanie nachdenkend, „o, wer hätte vor einem Jahre geglaubt, daß wir je so tief sinken würden.
    „Wenn wir nur wüßten, wo unsere lieben Brüder wären, Mutter?“ schluchzte Gertrude.
    „Und wenn ich nur Jenny und Frida ausfindig machen könnte,“ sagte Constanze.
    „Du hast uns doch gesagt, Mutter, daß Emil in Amerika ist; ist denn dies nicht Amerika, wo wir sind?“ bemerkte Amelie.
    „Amerika ist gar groß, mein liebes Kind“, antwortete Melanie und strich mit ihren weichen Händen über die Wangen ihres Kindes.
    „Es ist mir unbegreiflich“, bemerkte Melaniens Gatte, „daß wir trotz unserer Nachforschungen und Bekanntmachungen durch die Zeitungen noch nichts von unsern Kindern und Jenny und Frida erfahren konnten.“
    „Daß sogar Prinz Paul nichts von Ihnen wissen sollte, wo er doch zugestand, daß er sie früher öfters besucht habe,“ entgegnete Melanie.
    „Ich weiß in der That nicht, was ich davon denken soll.

 

- 13 -

Wenn wir auf sie zu sprechen kamen, schien er mir immer mit Absicht abzubrechen und die Unterhaltung auf einen andern Gegenstand hinüberzuführen. Es wäre doch gräßlich, wenn wir so gänzlich ohne alle Nachricht von ihrem gegenwärtigen Aufenthalte bleiben sollten. Ich kann diesen Gedanken gar nicht ertragen.“
    Melaniens Augen näßten sich, als ihr Gatte diese Worte sprach.
    „Wenn sie nicht mehr am Leben wären“, sagte sie „ -- wenn sie hier gestorben wären, so hätten wir es doch erfahren müssen -- so, ohne alle Aussicht auf ein Wiedersehen seine Tage dahinzubringen, ist doch gar zu entsetzlich.“ -
    „Du solltest ja Morgen zum Consul gehen, ist's nicht so Vater?“ frug Hugo.
    „Ich verspreche mir von meinem Besuche beim Consul nur sehr wenig, mein Sohn; er hat mir zwar vor acht Tagen die Versicherung gegeben, daß er alle Mittel, die ihm zu Gebote ständen, anwenden wolle, um ihren gegenwärtigen Ausenthaltsort auszuforschen - aber wie es bei einem Geschäftsmanne gar häufig vorkommt, er vergißt die Interessen. Anderer gar leicht, wenn sie nicht zu gleicher Zeit in seine Branche mit einschlagen. Doch werde ich mich morgen jedenfalls auf's Consulat begeben und will auch noch einmal bei der deutschen Gesellschaft nachfragen.“
    „Die deutsche Gesellschaft wird sich noch weniger um unsere Leiden und Sorgen bekümmern“, setzte Hugo in mißmuthigem Tone hinzu, indem er dabei einen Seitenblick auf seinen bösen Arm warf, „wenn ich daran denke, wie sie mich damals angeschnauzt, als ich sie dringend ersuchte, mir einen Platz ausfindig zu machen, so könnte ich ihr, ich weiß nicht was, anthun.
[LSZ - 1854.03.05]
    „Pfui, Hugo, mäßige Deine Worte -- die Rohheit steht einem jungen gebildeten Manne schlecht; die guten Leute können nicht für die Tausenden, die ihre Hülfe beanspruchen, gleich Stellen vorräthig haben oder sie gar unterstützen; das wäre zu viel verlangt, mein Hugo. Die deutsche Gesellschaft thut ihre Pflicht hinlänglich, wenn es ihr möglich wird, nur Einige von den Vielen zu placieren. Man muß nur eine Forderungen nicht zu hoch spannen und Nichts Uebermenschliches verlangen. Wenn man bedenkt, welche immensen Ansprüche von allen Seiten an die deutsche Gesellschaft gemacht werden, so kann man es ihr auch nicht verdenken, daß sie manchmal ärgerlich

 

- 14 -

wird und ihren Mißmuth denjenigen entgelten läßt, die zu große Prätentionen machen.
    „Solche Corporationen befinden sich stets in einer unange nehmen Situation, gegenüber den Hülfsbedürftigen und Rathverlangenden. Man muß nicht immer die Schattenseiten dieser Gesellschaft hervorheben, sondern auch die Lichtpunkte ihres Wirkens und Strebens in's Auge fassen. Wie weit dehnt sich ihr Wirkungskreis aus? Wo sind demselben Schrankengesetzt? Wo hört sie auf, eine Unterstützerin und Rathgeberin zu sein? Und in welchen Fällen kann man von ihr verlangen, daß sie uns Hülfe bietet und an den Familieninteressen Theil zu nehmen hat? Wenn sie Dir, mein Hugo, damals nichts anders bieten konnte, als Dir den guten Rath zu geben, als Deckhand auf einem Boote zu arbeiten, so hatte sie nach meiner Ansicht hinlänglich ihre Pflicht gethan. Daß Du Dir bei dieser Gelegenheit Deinen Arm verbrüht hat, ist traurig genug, aber es wäre höchst ungerecht, ihr deshalb zu grollen und ihre Leistungen zu niedrig anzuschlagen.“
    Melanie schwieg und legte das kleine Suschen, das wieder eingeschlafen war, mit großer Vorsicht in die Hutschachtel und küßte dieses ihr jüngstes Kind auf die geschlossenen Augen. Hugo brummte noch über die deutsche Gesellschaft vor sich hin, ohne daß er es gewagt hätte, seiner Mutter ernstlich zu widersprechen. Vielleicht fürchtete er auch eine recht derbe Zurechtweisung seines Vaters. -
    Constanze, die im Stillen über ein gutes Bett nachgedacht hatte, wandte sich an Hugo und sagte zu ihm:
    „Weißt Du “was Bruder, ich habe mir gerade etwas recht Vernünftiges ausgedacht, errathe einmal, was?“
    „Wie kann ich errathen, was Du Dir eben ausgedacht hast; ihr Mädchen denkt Euch gar zu viel aus und da dürfte man wohl sein Lebelang darüber nachsinnen, um das Rechte zu errathen- - sag' mir's lieber gleich so, was Du wieder . einmal ausgebrütet; es ist mir zu langweilig, erst lange rathen zu müssen. Ich bin jetzt gar nicht in der Stimmung, Räthel und Charaden aufzulösen - - so sage, was hast Du denn schon wieder?“
    „Ich sag' es Dir nicht, Hugo - Du mußt erst rathen!“
    „Hast Du Dich vielleicht entschlossen, das Engagement von Mitreß Evans anzunehmen?“
    „Nein; jetzt darfst Du nur noch zweimal rathen, und

 

- 15 -

wenn Du es dann nicht erräthst, so sollst Du's gar nicht erfahren.“
    „Willst Du, daß ich Dein goldenes Armband in’s Leihhaus tragen soll, damit Du Dir ein gutes Bett kaufen kannst?“
    „Fast hättest Du's diesmal errathen - Du warst schon ganz nahe daran - so, jetzt zum Letztenmale! Nimm Dich zusammen, Hugo!“
    „Ja, ja, was soll ich sagen -- laß' mich erst ein wenig darüber nachdenken.“
    „Nein, nein, das gilt nicht, so wäre es keine Kunst.“ „Ist es vielleicht? ... ist's?“
    „So beeile Dich; wenn ich bis fünf und zwanzig gezählt habe, . .“
    „Willst Du mir vielleicht einen Kuß geben, Stanzchen?“ „Nicht errathen, mein Bruder, aber wenn Du mir einen Kußgiebst, will ich Dir’s dennoch sagen, was ich gemeint habe.“
    Die Eltern lächelten und waren jetzt selbst auf das Geheimniß ihrer Tochter gespannt.
    Nur Amelie schien etwas dagegen einzuwenden zu haben; denn als Hugo auf seine Schwester zuging, um sich durch einen Kuß von der Strafe des Nichterrathens loszukaufen, eilte sie auf Constanze zu und sagte mit weinerlicher Stimme:
    „Du sollst mir erst einen Kuß geben, Hugo braucht keinen, er war wieder so böse, nicht wahr Vater, nicht wahr Mutter?“ Während sich Constanze herabneigte, um ihre kleine Schwester zu küssen, kam Hugo zuvor und gab Constanzen rasch auf einander drei Küsse, einen auf den Mund, einen auf die Stirne und der dritte schob sich zwischen die Lippen Constanzens und der kleinen Amelie, die ganz erbost über den zudringlichen Bruder, ihre Schwester bis auf den Boden herabzog und sie gar nicht mehr loslassen wollte.
    „Nun will ich Dir's sagen,“ lachte Constanze, nachdem sie sich von Amelie losgemacht und sie wieder beruhigt hatte. „Weißt Du was, lieber Bruder? Du könntest wohl da hinüber gehen in den Live Oak Square und Mister Anderson ersuchen, Dir etwas Moos von seinen großen Bäumen herabnehmenzulassen, damit ich mir für heute Nacht ein gutes Bett zurechte machen kann.“
    „Damit wir gute Betten haben, Constanze,“ lärmte Gertrude.
    „Es ist ein gescheidtes Kind, unsere Gertrud,“ sagte Melanie leise zu ihrem Gatten, „wenn wir sie nur bald in die

 

- 16 -

Schule schicken könnten; zu Hause lernt fiel doch nichts, mögen wir uns noch so viele Mühe mit ihr geben.“
    „Du sollst ein Bett haben, Gertrud“, tröstete Constanze.
    „Die Amelie doch auch, liebe Schwester?“ bemerkte Hugo und sah dabei seine Schwester an.
    „Die Amelie? Nicht eher, als bis sie meinen Ring wieder gefunden hat“, entgegnete Constanze.
    „Aber Constanze! ärgere doch Amelie nicht so -- sieh“ das arme Kind, wie es weint--“ verbot die gute Mutter. Amelie fing wirklich an zu weinen, indem sie sich mit beiden Händen die Augen zuhielt und in eine Ecke ging.
    „Aber wer soll mir das Moos mit herunternehmen helfen wenn mir Mister Anderson auch die Erlaubniß dazu giebt; ich allein kann es nicht; das siehst Du wohl ein, Constanze; zudem muß ich mich sehr in Acht nehmen, damit mein Arm nicht schlimmer wird.“
    „Nichts leichter, als das!“ antwortete Constanze. „Ich begleite Dich hinüber, steige auf den Baum und werfe Dir das Moos herunter -- dann wollen wir es zusammen hieher tragen - Tantchen kann einstweilen die Matratzen auftrennen.“
„Laß es Gertrud thun“, wandt” Tantchen Cölestine ein : „ich muß meinen Kragen fertig häckeln -- Du thu'st es Gertrude, nicht wahr?“
    Gertrude nickte bejahend.- Hugo verließ in Begleitung seiner Schwester die Stube und ging mit ihr schräg über, dem Live Oak Square zu.-
___________________

Zweites Capitel.

Unter den Live Oaks.

    Seit einigen Jahren wird in New-Orleans das Bestreben sichtbar, die französischen Straßen dahin abzuändern, daß man sie entweder in's Englische übersetzt oder sie zu Gunsten letzterer Sprache ganz von Neuem umtauft oder die Namen der Straße auf eine andere und so umgekehrt, überträgt. So heißt die frühere Rue Douane jetzt Customhousestreet, Quatrième Barracks, der frühere Place d'Armes, den Maisons de Pontalba, Cathedrale, Courthouse und Levee quadrieren, heißt jetzt Jackson Square, und dafür mußte der Place d'Armes nach Rampartstreet wandern, wo man früher General Jackson

 

- 17 -

aufzusuchen hatte. Oft benimmt das Uebertragen französischer Benennungen in die englische Sprache den Straßen ihren ursprünglichen Charakter und läßt uns ein ganz falsches Bild von dem bezüglichen Quartier entwerfen. Dies gilt besonders von Frenchmentreet in der dritten Municipalität. Wer denkt bei dem Namen „Frenchmentreet“ noch an die alte Rue des Français, wo die fünf Grenadiere des Kaisers Napoleon Bonaparte neben einander ihre Häuser bauten, und diesen Häuserclub zu Ehren ihres Kaisers mit dem pompösen Namen „Kaiserstadt“ benannten. Zwei von diesen Häusern, freilich etwas verwittert und abgetragen, stehen heute noch, aber „Frenchmentreet“ duldet keine Possen, sie ist ganz nüchtern „American“ geworden. Wer sieht es diesen Häusern mit den langen Giebeldächern noch an, daß in ihren Räumen einst die Ueberbleibsel einer Garde wohnten, ihre kurzen Pfeifen schmauchten und sich von Austerlitz und Marengo erzählten. In dem einen wohnt jetzt ein Schneider und er denkt weder an die alte Garde noch an den Prometheus von St.Helena; in dem andern ist schon seit zehn Jahren ein deutscher Schuhmacher etabliert und an den schmierigen Wänden hängt weder Napoleon noch Josephine, weder der König von Rom noch Montholon, sondern Hecker, Bassermann, Kinkel und Kossuth, das Barrikadenmädchen und Jenny Lind sind seine Helden und Lieblinge, die er hier ausgestellt hat. So ändern sich die Zeiten! -
    Es ist von nicht geringer Bedeutung, daß der triste Pres byterianismus unserer modernen Angelsachsen noch keinen solchen Einfluß auf die dritte Municipalität ausgeübt hat, daß er es hätte wagen dürfen, ihr den schönen Namen „Rue d'Amour abzuschwindeln. Aber wer sieht die Zukunft voraus? Vielleicht werden schon unsere Kinder nichts mehr von Rue d'Amour wissen; das Council wird statt dieses Heidennamens „Yankee-Doodle-Dandystreet“ dekretiert haben. Dieses Bestreben, Alles zu amerikanisieren, würde in einer andern Stadt als New-Orleans, leicht in Vandalismus ausarten. Wohl erkennen wir die Neuerungen an, wenn sie dazu geeignet sind, zum Glanze, Wohlstand und zur Größe einer Stadt beizutragen; wir schenken allen Schöpfungen der Neuzeit unseren innigsten Beifall; aber wir haben zu gleicher Zeit so viel Achtung vor historischen Erinnerungen und Traditionen, daß es uns höchst unangenehm betrifft, wenn man ändert, ohne mit der Aenderung zugleich eine Besserung zu verbinden. Ist dies nicht der Fall, so

 

- 18 -

müssen wir derlei Uebertragungen als eine eitle Nationalfarce von Grund aus verdammen. --
[LSZ - 1854.03.07]
    Bekanntlich wurde New-Orleans erst im Jahre 1836 in drei Corporationen *) abgetheilt, denen man die Benennung „Municipalitäten“ gab. Diese Municipalitäten sind jetzt **) in Eine Corporation vereint, mit Einschluß der früheren City of Lafayette. Die Benennung „Districte“ entsprang aus der Verschmelzung der Municipalitäten in Eine Stadtecorporation und ist in dieser Beziehung nicht der von „Municipalities“ analog.
    Der Name Municipalität hat etwas so Charakteristisches für unsere französischen Quartiere, daß die jetzige Benennung durchaus nicht passen will.
    Es ist übrigens keine zu tadelnde Manie der Amerikaner, daß sie nicht nur ihren Städten, sondern auch ihren Straßen die Namen berühmter Männer, Gelehrten, großer Schriftsteller, Kriegshelden u.s.w. beilegen. Freilich geschieht dieses Taufen oft auf eine sehr merkwürdige Weise, da die Straßen häufig schon ihre Namen haben, bevor sie in der Wirklichkeit vorhanden sind. Manchmal geschieht es auch, daß eine Straße einem bloßen Zufall ihre Benennung verdankt.
    Dies ist mit der Washington Avenue der Fall.
    Diese empfing dadurch ihren Namen, daß hier ein ehemaliger „Horse back Pedlar“ seine Bude aufgeschlagen hatte und den Leuten nichts Anderes verkaufte, als das Bild George Washington's. --
    Steigt in Canalstraße in einen „Magazine-Street“ Omnibus und sagt dem Treiber, er möchte an Washington Avenue „stoppen.“ Ist der Omnibus-Treiber kein Esel oder hat er nicht andere Dinge im Kopfe -- die Euch übrigens nichts angehen, so wird er seine Pferde am bezeichneten Orte anhalten, und wenn Ihr ihm seinen Picayune bezahlt oder je nach Umständen das Ticket abgegeben habt, so steigt aus und wendet Eure Schritte rechts und Ihr werdet an den Live Oak Square kommen, der den gewaltigen Live Oak Bäumen, die auf dem
____________________


*) Die erste Einheilung unserer Stadt geschah in vier Wards, im Jahre 1792, durch den damaligen Gouverneur der Provinz, Baron von Carondolet, dem überaupt New-Orleans zur damaligen Zeit mehrere „Improvements“ verdankte. So bekam New-Orleans im Jahre 1793 die erste Straßenbeleuchtung, (Gasbeleuchtung wurde erst im Jahre 1834, zugleich mit den Waterworks, eingeführt) und noch im nemlichen Jahre wurde die Organisation unserer „Wachtleute“ in's Leben gerufen. Herr von Carondolet ließ ferner im nemlichen Jahre zwei Forts bauen. Eines am Fuße der Canalstraße, ein Anderes auf demjenigen Platze, wo jetzt die Münze steht u.a.m. --
**) seit dem Jahre 1852.

 

- 19 -

Grundeigenthum des Mister Anderson stehen, seinen Namen zu verdanken hat. --
    Live Oak Tree! oder Moosbaum, wie Dich Hermann's biedere Söhne nennen, Du bist außer den schönen Frauen Louisiana's die einzige Poesie! Deine Palmen, Louisiana, wo sollen wir sie suchen? Deine Palmetto's genügen uns nicht, sie sind nur die Aschenbrödel in jener Farrenfamilie, unter deren Schatten das Dromedar niederkniet und der Beduine ein Mädchen in den Armen wiegt. Louisiana, war Dein Baumeister ein Ignorant, daß er es nicht vermocht, Dein Himmelsgewölbe von den schlanken, hohen Palmensäulen tragen zu lassen? Hat er keine bessere Schule gehabt, als nur krüppelhafte Palmetto's zu erschaffen, die ihr Leben vom Schlamm fristen. Mein liebes Louisiana, Du hast uns in der alten Welt gewaltig viel vorrenommiert, wie schlank und hoch Deine Palmen und wie majestätisch ihre Krone sei! Wir vergeben. Dir diese Lüge; denn Deine Live Oaks sind noch schöner als die Palmen Biledulgerid's und Guyana's!
    Live Oak Tree! Du bist keine Linde, um die die lustige Dorfjugend tanzt; in Deine Nähe wagt sich kein Philister; denn Deine Poesie würde ihn erschrecken und für den Rest seines Lebens unruhig machen. Er würde gewahr werden, daß Du etwas ganz anderes bist, als ein Eichenbaum im Teutoburger Walde. Wie würde er entsetzt zurückfahren, wenn ihm Deine langen Haare in's Gesicht wehten! Live Oak Tree, in Deinem Schatten mit den Töchtern Sodom's zu sitzen, welche erhabene Poesie! --
    Live Oak Tree! Hätte Dich nur unser Grabbe gekannt, er wäre nicht im Drachenfels bei Düsseldorf verkümmert -- er hätte in Deiner Nähe seinen „Don Juan und Faust“ sicher vollendet. Alter Riese Live Oak, Du siehst zwar sehr krank aus und Deine langen Haare sind gebleicht. Trauerst Du vielleicht über Deine dahingegangenen Brüder, die der Sohn der Civilisation umgehauen und in Lumberyards gesteckt hat? Du siehst so verwirrt, mein Live Oak, komm', lass' Dir Deine langen Haare kämmen! --
    Wie Alles andere, so muß auch der arme Live Oak dem Yankee zum Gegenstande seiner Speculationen dienen. Daß er diesen Baum nur im Geringsten liebte, nur halb so liebte, wie seine Frau und Babies -- glaubt dies ja nicht! der Live Oak ist ihm nicht mehr oder weniger, als irgend ein anderer Baum, und er wäre im Stande, demselben ein Glied nach dem

 

- 20 -

Andern abzusägen, wenn ihm jedes Glied ein Lot oder auch nur den hundertsten Theil von dem Werthe eines Lots eintrüge. Ihr seid Freunde von schönen Gärten, schönen Blumen, schönen Oleandern, schönen Lila“s und feenhaften Chinabäumen? Macht es uns nur nicht weiß -- wir glauben es doch nicht. Und sollte sich je unter Euch Einer finden, dem eine eben aufgebrochene Reine Hortense Rührung abgewänne, so seid versichert, daß ihr von dieser Rolle einen ganz artigen Korb erhaltet, denn sie will mit Büsineß-Helden nichts zu schaffen haben.
    So ist es eine einmal hergebrachte Routine der Lotspeculanten, ein Lot mehr gelten zu lassen, wenn ein Live Oak Tree auf demselben steht. Natürlich gilt dies nur von Grundstücken, auf denen die Residences unserer Geschäftsleute stehen.
    So verliehen die großen Live Oaks, die auf den Grund stücken des Mister Anderson sich befinden, denselben keinen uns bedeutenden Werth.
    Die Wohnung Anderson's, der, von Geburt ein Schwede, in früheren Zeiten Matrose war, besteht aus einem schmalen, zweistöckigen Bretterhaus mit schmutzigen, abgefärbten Läden, rohen vom Alter grau gewordenen Wetterboards und einer kleinen angebauten Küche. Ueber seinem Dache hängen die ellenlangen Moose eines Live Oak, defen dicker Stamm in weiter Entfernung, innerhalb einer anderen Umzäunung, steht. Weht der Ost oder säuselt eine Brise vom Golfe herauf durch die verhängten Knäuel und Guirlanden dieser Moose, so schlagen sie an die Fenster des Wohnhauses oder flattern wie die greifen Haare eines Mannes weit umher in der Luft, ohne ihren ihnen von der Natur angewiesenen Standpunkt zu verlassen.
    Anderson besaß ein großes Milchgeschäft und hatte zu diesem Zwecke nebenan einen Stall bauen lassen, der fast die Tiefe des ganzen Grundstückes einnimmt und in dem seine Kühe und die zu einem Geschäfte nothwendigen Pferde der Milchkarren stehen. Zur linken Seite dieses Stalles ist ein Kessel von bedeutendem Umfange angebracht. Derselbe ist in eine Vermauerung von Ziegelsteinen gesenkt und dient zum Kochen des Futters seiner Kühe, das aus einer Mischung von Kleien, Bohnen und Erbsenhülsen besteht. Eine große Anzahl Federvieh treibt sich stets um diesen Kessel herum und findet in dem abgestreiften und an den Seiten herumklebenden Futter eine treffliche Nahrung. Zwei große Hunde drücken ihren Körper an die Wärme dieser Kesselmauer, wenn es nasses,

 

- 21 -

kühles Wetter ist. Den Raum zwischen dem Wohngebäude und dem Stalle, füllen mehrere Shanty's aus, in denen die Arbeiter Anderson's wohnen. --
    Der Eingang zu den beiden erwähnten Gebäulichkeiten besteht aus einem großen Thore, vor dem nach innen ein schwerer Balken gelegt ist und der erst weggenommen werden muß, wenn man eintreten will.
    Das Gärtchen vor dem Wohngebäude ist sehr ärmlich gehalten; auch hat man es bisher vernachlässigt, den schlammigen Boden mit Gartenerde auffüllen zu lassen.
    Dieses war nun die bezeichnete Stelle, wohin jetzt Constanze am Arme ihres Bruders ihre Schritte lenkte.
    Obwohl es Tags vorher noch schmutziges, naßkaltes Wetter war, so glühte heute die Sonne schon wieder wie ein gigantischer Hochofen und trieb den Frühlingswuchs in einer Zeit von nur wenigen Stunden aus dem schlammigen Boden heraus an's belebende Licht. Alle jene Bäume, welche während der Wintermonate ihr Blätterkleid abgestreift, schauten aus Millionen Augen und sogen gierig und trunken an der Flammenbrust der Sonne Louisiana's. Die Magnolias, Oranges, Chinatrees, sowie die übrigen immergrünen Bäume schossen funkelnd neue Spitzen und beschämten durch ihren frischen Glanz das dunkelgrüne Winterkleid. Die Spireas, Junipers, Dentzias und Hollies drückten den alten Blätterstaub von sich und trieben mit Ungestüm in’s neue Frühlingskleid. Auf den Tellern der rothen Ceder erging sich wieder der kleine rothe Curculio und steckte seinen Rüssel in’s duftende Blättermark. Laurier Amandier stolzierte wie ein Pfau und zerriß die Spinnenweben, die dem Drange seiner Lebenskraft weichen mußten, Der immergrüne Dorn bog seinen alten Stachel ab und drückte neue nach. -Von den immergrünen Gesträuchen strich die Mahonia Aquifolia wollüstig ihre weichen Ruthen an die nebenanstehende Myrthe „bright rosy purple“, die, zurückweichend, der „Queen of the Prairies“ die frischen Keime abdrückt. --
    Das ist ein Leben und ein Schaffen, ein Küssen und ein Drücken, ein Drängen und ein Dringen unter dem glühenden Himmel Louisiana's -- und das Alles vermögen wenige Stunden. --
    Nur der Live Oak steht düster und traurig.
    Seine schwarzgrünen Blätter sind unter dem hängenden Moose verborgen und mögen unter sich wohl ihre Frühlingsgeheimnisse haben -- aber der Live Oak weiß nicht viel davon.

 

- 22 -

Er schaut uns an wie ein Riese der Vorzeit und schüttelt seine langen Haare, wenn wir ihn fragen, wie alt er ist?
    Wo stehen die schlanken, besiederten Palmen?
    Schaue um, für den plumpen Alligator ist die Fächer-Palmetto gut genug. --
[LSZ - 1854.03.08]
    Es war nach halb drei Uhr und eben die Zeit, wo unsere Kaufleute, Advokaten, Brokers u.s.w. ihre Officen in dem Geschäftstheile unserer Stadt verlassen, um mit ihren Familien ihr Diner zu sichzu nehmen. Um diese Stunde sind die Omnibusse dicht besetzt, und man kann oft drei bis fünfbegegnen, ohne in irgend einem Platz für seine werthe Person zu finden. Besonders ist dies bei der Magazine und Apollo Route der Fall, wo die Creme unserer Geschäftsleute wohnt. Ueber Nayades Street läuft die Horse Car und setzt hier, vorzüglich. am Tivoli Circle die Appetit verspürenden Passagiere ab. Die second Elite wohnt um Dryades Market, an White und Thalia Streets, und hier läßt sie der Dryades Omnibus absteigen, der, wie überhaupt alle Omnibusse, seinen Primärhaltpunkt in Canalstraße hat. - Das Geschwisterpaar stand vor Anderson's Eigenthum.
    Hugo pochte mit einem Steine an dasgroße Thor und Constanze sah neugierig durch die breiten Ritzen der Umzäunung.
    „Es ist wohl Niemand drinnen, Schwester“, sagte Hugo ärgerlich, nachdem er mehrere Male umsonst gepocht.
    „O ja, Hugo! sieh“ einmal da durch - die Leute müssen es wohl nicht gehört haben,“ erwiederte Constanze, indem sie ihren Bruder vor die Ritze schob.
    „Da kommt eben Jemand -- willst Du nach Mister Anderson fragen!“
    „Ich glaubte, es schickte sich besser für Dich, mein Bruder.“
    Ein Arbeiter in Hemdärmeln und rothbraunen Hosen öffnete das Thor und frug Hugo nach seinem Begehren.
    „Wir möchten gerne Mister Anderson sprechen -- er ist wohl nichtzu Hause?“ entgegnete Hugo in jenem Accente, der den Deutschen verrieth.
    „Ihr sprecht wohl deutsch?“ frug der Arbeiter, indem er dem Geschwisterpaar bemerkte, daß Mister Anderson jeden Augenblick nach Hause kommen müsse, da es bereits Mittagszeit sei.
    „Ihr könnt ja so lange warten, bis er kommt,“ redete er zu, als Constanze ihr Bedenken aussprach, Mister Anderson um diese Zeit zu belästigen. -

 

- 23 -

    „Sieh' doch dort oben“, rief Constanze freudig ihren Bruder zu, der mit ihr über die niedere Fence gestiegen war, um von da aus in Anderson’s Haus zu treten -- „sieh“, sieh“ nur, dort oben, dieses prächtige Moos; nein, nein, es ist doch auch zu schön--von hier aus kann man es erst recht genau sehen-- O, O, und dahinter erst, lieber Bruder, nein, nein, das ist eine Pracht und ein Reichthum. --“
    „Das wäre hinlänglich, um einem ganzen Regimente Sol, daten seine Matratzen zu stopfen“, fiel Hugo im phlegmatischen Tone ein.
    „O, ich glaube aber nicht, daß wir dieses da oben abreißen dürfen -- es ist gar zu schön!“
    „Das wird Anderson ganz gleichgültig sein, von welchem Baume wir Moos zupfen, wenn er uns nur einmal die Erlaubniß hiezu ertheilt hat.“
    „Was willst Du ihm denn sagen, wenn er kommt, Bruder?“
    „Ich bitte ihn ganz einfach um die Erlaubniß, Moos herabnehmen zu dürfen.“
    „Wenn er Dich aber frägt, zu welchem Gebrauche wir es wünschten?“
    „Danach zu fragen, hat so ein Geschäftsmann keine Zeit. Er wird's uns erlauben oder gleich rundweg abschlagen.“
    „Wenn er Dich aber dennoch früge?“
    „Er frägt aber nicht!“
    „Nein - lieber Bruder, ich setze nur den Fall, er früge Dich? Was würdest Du ihm antworten? Du könntest ihm doch nicht sagen, daß wir keine Betten haben -- das ginge nicht an!“
    „Er frägt aber nicht, Constanze!“
    „Nein, nein -verstehe mich doch recht, ich setze den Fall, er früge Dich -- ich setze nur den Fall.“
    Die Ankunft Anderson's unterbrach dieses kleine Scharmützel.
    Hugo ging ihm mit seiner Schwester entgegen.
    „Mister Anderson, wollten Sie uns wohl die Erlaubnis ertheilen, einige Arme voll Moos von Ihren Live Oaks herablangen zu dürfen?“
    „Zu was?“ frug dieser.
    „Siehst Du?“ flüsterte die erschrockene Constanze ihrem Bruder zu.
    Wäre Anderson ein Amerikaner gewesen, so hätte er

 

- 24 -

sicherlich nicht gefragt, aber die Schweden sind sehr neugierig. sie müssen. Alles wissen.
    Man sieht also, daß die Menschenkenntniß Hugo’s betreffs der Eigenthümlichkeiten der Geschäftsleute auf keiner sichern Bafis ruhte,da er die Nationalität ausschloß. Constanze hatte demnach nicht so ganz unrecht. --
    „Für unser Hühnerhaus!“ erwiederte Hugo schnell besonnen auf des Schweden Frage.
    „Für Euer Hühnerhaus?“ wiederholte erstaunt Anderson, „brauchen denn Eure Hühner Moos zum Schlafen?“
    Constanze wäre gerne in den Boden gesunken. Ihre Verlegenheit überstieg alle Grenzen. Sie wandte sich von den beiden Männern ab und sah nach den langen Moosen hin, die das Wohnhaus Anderson's in einem dunklen Rahmen einschlossen. Sie zirpte und trippte mit den Füßen und dankte im Stillen ihrem guten Geist, der das Gespräch endlich auf etwas anderes hinlenkte, nachdem vorher schon die Erlaubniß ertheilt war, so viel Moos herabzulangen, als man nur wollte.
    Hugo hatte so halb und halb die Wahrheit gesagt. Es war zwar ein altes Hühnerhaus ohne Dach in der Yard, wo ihre Barracke stand, aber es fehlten die Hühner.
    Anderson, der ein großer Freund von allen Arten Federvieh war, fand es schon der Mühe werth, den jungen Mann zu fragen, welche Art von Hühner sein Chickenhouse berge.
    „Verschiedene Arten“, drückte Hugo heraus -- „ein Creolhuhn ist, glaub' ich, auch dabei -- aber, wie es mit diesem Federvieh ist, man kann es nie ordentlich zusammenhalten. Bald läuft das, bald das weg-bald stiehlt der den Rooster aus der Yard, bald ein Anderer die Bruthenne, und so hätte man immer vollauf zu thun -- ich könnte jetzt nicht einmal genau bestimmen, wie viel wir im Hause haben.“
    „Dann müßt Ihr nicht viel Acht geben auf Euer liebes Vieh, bemerkte Anderson. „Ich weiß genau, wie viel ich Hühner habe, und fehlt mir einmal. Eines, so weiß ich schon, wohin ich zu gehen habe, um es zu finden. So weiß ich zum Beispiel nicht weit von hier einen Mann, der so sehr in meine Creolhühner verliebt ist, daß er es keine vierzehn Tage aushalten kann, ohne nicht eines zu sich zu nehmen.“
    Anderson lächelte schelmisch, als er diese Worte sprach.
    „Das ist wohl Eure Frau?“ frug er dann.
    „Nein, 's ist meine Schwester -- sie hat mich nur hieher begleitet, um mir zu helfen, Moos herabzunehmen, falls Sie

 

- 25 -

uns die Erlaubniß hiezu ertheiten, Mister Anderson“, entgegnete Hugo und stellte seine Schwester Constanze dem Wholesale Milchmanne vor.
    Derselbe nickte mit dem Kopf, schob einen Hut zurück, daß seine ganze Stirne sichtbar ward und empfahl sich.
    „'S ist doch recht ungalant von diesem Manne, daß er uns nicht einen von feinen Arbeitern mitgegeben hat,“ sagte Constanze zu ihrem Bruder, indem sie auf den schönsten Live Oak in genanntem Square zugingen.
    „Ja-man sollte es ihm von Rechtswegen übel nehmen, doch vielleicht versteht er's nicht besser“, tröstete Albert, der durch seine Schwester erst darauf aufmerksam gemacht wurde, daß Anderson in dieser Hinsicht so wenig Zuvorkommenheit und Galanterie an den Taggelegt. -
    Es war ein Charakterzug Anderson's, sich wenig mit dem schönen Geschlechte abzugeben, und da ihm sein früherer Stand als Seemann nie in die unmittelbare Nähe von Damen brachte, so hatte er sich ein patriarchalisches Verfahren gegen dieselben angewöhnt, um schnell abzubrechen, wo man es nur immer versuchte, ihn an sich zu fesseln. Er wollte hiemit nichts weiter bezwecken, als sein linkisches Benehmen vor denselben zu cachiren.
    Obwohl er ein beträchtliches Vermögen besaß und schon ziemlich weit über die Jahre hinaus war, wo man kein junger Mann mehr ist, sondern ein alter Innggeselle, so konnte er sich bis jetzt noch nicht entschließen, zu heirathen, aus Gründen, die sich auf leichte Weise aus dem eben Erwähnten herausfinden lassen.
    Constanze gefiel ihm gleich bei ihrem ersten Erscheinen, und wenn er sich gegen Sie nicht galant benahm, so war nur sein eigenes persönliches Mißtrauen Schuld. Er befürchtete, sich albern gegen sie zu benehmen, und da unterließ er es lieber ganz, ihr auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Die Folge wird es zeigen, daß dieses unser Raisonnement gegründet ist. -
    „Ich weiß nicht, Bruder, wie es mir möglich werden soll, da hinauf zu kommen, der Live Oak ist doch gar zu dick - wenn nur Dein Arm wieder bssfer wäre, so könntest Du hinaufsteigen -“
    „So, Constanze?“
„Nein, noch nicht, stell' Dich dichter mit der Schulter an den Stamm und senke Deine linke etwas.“

 

- 26 -

    „Ja -- jetzt hilft es mir doch nichts, Hugo - es ist immer nochzu kurz - wenn ich nur einmal dazwischen säße, auf die Zweige wollt' ich schon gelangen -“
    „So thun mir meine Hände weh, Hugo -- ich kann es so nicht lange aushalten -- probir' es und heb' Dich Etwas -- so -- so -- jetzt wird's gut, jetzt noch ein bischen -- nur noch eine Nadel breit strecke Dich länger, wenn Du kannst -“
    Constanze saß jetzt an der Stelle, wo sich der ungeheure Hauptstamm des Live Oak in zwei gewaltige Aeste auseinanderheilte, von denen jeder eine Conferenz von über fünfzehn Fuß hatte.
[LSZ - 1854.03.09]
    „Das geht aber nicht so leicht, Hugo, wie ich es mir vorgestellt habe -- die Dinger da wollen nicht recht losgehen,“ rief Constanze ihrem untenstehenden Bruder zu.
    „Nimm Dich in Acht, Constanze ; wenn Du Deine Beine nicht um den Ast drückt, so könntest Du leicht schwindelig werden und herabstürzen.“
    „Das kann ich nicht, mein Bruder, die dumme Rinde kratzt einen so -- ich sitze so gut genug -- wenn man nur nicht so weit auslangen müßte, um das Moos herauszureißen, es sitzt so fest - ist es denn angewachsen, Hugo?“
    „Das mußt Du ja am besten sehen können, Constanze das kann ich von hier aus nicht.“
    „So - da sind einmal ein Paar Büschel, da, da, fang' sie auf!“
    „Lass' sie nur fallen, Constanze, sie werden sich doch nicht weh thun,“ lachte Hugo laut auf.
    „Die dumme Rinde da hat mich schon wieder gekratzt, mein Bruder -- ich mag nicht mehr -- ich steige lieber wieder herab --“
    „Nun, das wäre doch albern, Constanze, wo Du nur froh sein darfst, daß Du einmal droben bist -- sei doch vernünftig und denke an Dein Bette auf heute Nacht --“
    „Du hast gut reden, Hugo, Du stehst da unten und sieht mir so ganz gemächlich zu.“
    „Du kannst doch nicht verlangen, daß ich mit meinem schlimmen Arm da hinaufkletten soll?“
    „Aber, Hugo, jetzt hat's mich schon wieder gekratzt -- es ist aber auch nicht mehr auszuhalten mit diesem dummen Live Oak da.“
    „Laß es nur kratzen, Stanzchen -- kratz es wieder!“

 

- 27 -

    „Aber, Hugo, es ist doch recht häßlich von Dir, daß Du noch Späße machen kannst.“
    Constanzen war es endlich gelungen, dem alten Live Oak mehrere Büschel Haare auszuziehen, und je mehr sie sah, wie sich der Mooshaufen unten vergrößerte, desto stärker wurde sie angefeuert, hierin fortzufahren. Die Rinde des bösen Live Oak hatte sie schon wieder mehrmals beleidigt -- aber sie ach tete jetzt wenig mehr darauf, und wenn sie ihre zarten Händechen angesehen hätte, würde sie bemerkt haben, daß sie bluteten.
    „So, jetzt ist 's genug, Stanzchen, das ist Moos für wenigstens fünf Bataillone -- steig jetzt wieder herab -- wir wollen unsern Schatz mit Einander nach Hause bringen -- Tantchen Cölestine kann uns auch helfen, mit hinüberzutragen, wenn wir das zweite Mal zurückkommen; denn auf Einmal geht es nicht!“
    „Nur noch das da oben, Hugo, O diese langen schönen Moose, wenn ich die noch habe, dann will ich es gut sein lassen!“
    „Stanzchen, Stanzchen -- nimm Dich in Acht und sei nicht so verwegen-es ist viel zu hoch für Dich -- Du könntest leicht das Gleichgewicht verlieren und herunterstürzen.“
    Trotz des wohlgemeinten Rathes ihres Herrn Bruders, kletterte Constanze immer höher und höher, so hübsch geschickt, daß man hätte meinen sollen, sie hätte sich eigens hiefür eingeübt. Jetzt war sie an dem ersehnten Punkte angelangt, von wo aus sie mit den Händen ihre letzte Beute erhaschen wollte. Mit der linken Hand hielt sie sich an einem Ast fest, die Kniee stemmte sie gegen einen andern und war eben im Begriffe überzubiegen und das superbe Moos zugreifen, da giebt der Ast, an den ihre Kniee gestemmt sind, nach -- die Verwirrung läßt sie, statt mit der andern Hand nach vorne, nach hinten greifen, sie verliert den Spiritus asper der Geistesgegenwart vollständig und hängt im nächsten Augenblicke zwischen Himmel und Erde-nur ihre linke Hand hält krampfhaft ein Aestchen, das jede Minute zu zerbrechen drohte.
    Hugo, der gerade während dieses bedenklichen Moments abseits dem Herumschnuppern der in seiner Nähe sich ergehenden Kühe zugesehen, hatte kaum das Angstgeschrei und Hülferufen seiner Schwester vernommen, als er seinen schlimmen Arm vergaß, denselben pfeilgeschwind aus der Binde riß und mit wunderbarer Behendigkeit auf den Baum kletterte und seine Schwester in seinen Armen auffing. --

 

- 28 -

    Constanze war gerettet. Aber jetzt ereignete sich ein Vorfall, der noch schlimmere Folgen hätte haben können, als das Herabstürzen von dem Live Oak Tree.
    Ein Bull nemlich, welcher bisher gemächlich unter den Blumen seines Harems einherstolzierte, war durch das Hülferufen der armen Constanze in eine so erbitterte Stimmung gerathen, daß er ein fürchterliches Gebrüll begann und auf den Live Oak Tree, zwischen defen Aeten sich Bruder und Schwester eben arrangierten, um sich zum Heruntersteigen capable zu machen, in weiten Sprungen losstürzte. Zu gleicher Zeit erhoben die Kühe einen so entsetzlichen Spektakel, daß es Constanzen ganz bange zu werden anfing und sie sogar den Bruder bat, es mit ihr zu versuchen, wieder einen Ast zurückzusteigen, bis Jemand erschiene, der sie aus ihrer gefährlichen Position befreite.
    Wie ein durchteufelter Uriel jagte der Bull um den Stamm des Live Oak herum und bohrte seine kurzen festen Hörner in blinder Wuth bald in diese, bald in jene Stelle des Riesenstammes. Rings umher durchwühlte er den Boden, dann warf er seine Hinterbeine in die Höhe, dann stürzte er wieder auf den Stamm los und versetzte ihm derbe Stöße, dann trieb er sich wieder in weiten Kreisen herum und brüllte und stampfte.
    Die Kühe, welche ihren werthen Herrn Gemahl auf eine so haarsträubende Weise sich geber den sahen, stimmten jämmt lich in den nemlichen Ton ein und machten dieselben verzweifelten Kreuz- und Quersprünge.
    Die Arbeiter Anderson's, die sich eben in dem großen Kuhstalle befanden, um denselben in Abwesenheit seiner Bewohnerinnen von den unnöthigen Verzierungen und Mille fleurs zu reinigen, sahen mit Staunen dem entsetzlichen Tanze zu. Sie streckten ihre Köpfe über die Fence und schienen unschlüssig, was hier zu thun wäre.
    „Laßt Eure Hunde herein,“ schrie Hugo denselben von seinem Verbannungsort herab zu, „sie werden das dumme Vieh wieder in Ordnung bringen!“
    Dies that seine Wirkung.
    War es angewöhnter Gehorsam oder Scheu vor den Hunden - es wäre dies schwer zu entscheiden, da bis auf unsere Tage die Logik der Psychologie der Rinderwelt noch nicht hinlänglich entwickelt ist-kurz, die bacchantischen Rinder-Mänaden, mit dem tobenden Satyr an der Spitze, thaten ihren

 

- 29 -

Wuthausfällen Einhalt und trabten bald in meisterlicher Ord nung durch die weit geöffneten Thore des Kuhstalles und begaben sich auf die ihnen angewiesenen Plätze. Zwar machte der Bull hin und wieder noch einige Versuche, sultanmäßig einzuschreiten -aber auch er stellte seine Unart endlich ein und wanderte an seine Krippe. -
    Wer war froher als Hugo und Constanze? Freudig umhalsten und küßten sich Bruder und Schwester, als sie wieder festen Boden unter ihren Füßen verspürten.
    „Wie kommt es aber, daß Dein Arm so plötzlich gesund geworden ist, Hugo?“ frug Constanze schelmisch lächelnd ihren Bruder.
    „Dir zu Lieb“, Schwester, ist er auf einige Augenblicke geheilt,“ antwortete Hugo und legte seinen Arm wieder in die Binde; denn er that ihm jetzt, wo seine Aufregung, in die ihn die gefährliche Lage seiner Schwester und die weiteren Vorfälle versetzt, vorüber war, doppelt weh.
    „Du hast Dir wohl weh gethan, Hugo -- -- schmerzt Dich Dein Arm wieder?“ sagte besorgt Constanze.
    „O, das hat nichts zu bedeuten, Schwester -- es ist doch noch immer besser, als es schmerzte Dich ein Arm -- komm jetzt und laß uns das Moos wieder zusammenlesen, das uns das wüthende Vieh nach allen Seiten zerstreut hat.
    „Du sollst jetzt nichts tragen, Bruder -- bleib' einstweilen hier, ich gehe nur schnell hinüber und ersuche Tantchen, mir zu helfen.“
    Ohne eine etwaige Einwendung Hugo's abzuwarten, enteilte Constanze über die Straße und trat in die Barracke,
    Eben war die Irländerin in der Stube und bezahlte ihre zwei Dollars für die gelieferte Arbeit. Dann bestellte sie noch zwei andere Krägen gegen das Ende der nächsten Woche.
    Die wollen ich und Constanze fertig machen, Tantchen“, sagte Melanie, als dieselbe wieder zum Häckelzeug griff, um von Neuem zu beginnen -- „ruh Dich aus oder flicke der kleinen Amelie ihr Hemdchen.“
    „Erlaube mir Mutter, daß ich die Güte Tantchens auf einige Augenblicke in Anspruch nehmen kann; ich kann das viele Moos nicht so allein herüberschleppen und dem guten Hugo schmerzt sein Arm so sehr,“ bat Constanze.
    „Ich weiß nicht, ob es Tantchen thun will,“ erwiederte Melanie, „ich kann nicht über sie verfügen.“
    Tantchen Cölestine ließ sich 's nicht zum wiederholten

 

- 30 -

Male sagen, denn die Aussicht auf ein gutes Bett gaben ihren alten Beinen Flügel. Hastig eilte sie mit Constanzen hinüber unter die Live Oaks.
[LSZ - 1854.03.10]
__________________

Drittes Capitel.

Die Coffee-Pickers.

    Schon seit langer Zeit hatte Constanze nicht mehr so gut geschlafen, als die vergangene Nacht. Nachdem sie mit Beihülfe Tantchens Cölestine das unter so vielen Schwierigkeiten eroberte Moos herbeigeschafft hatte, änderte sie ihren früher gefaßten Entschluß dahin um, daß sie, statt ihre Matratze zuerst vorzunehmen, vor Allem die ihres Vaters, der mit Hugo zusammenschlief, mit einer Meisterschaft stopfte und durchstach, die einem venetianischen Tapezierer Ehre gemacht hätte. Dies that sie, um ihren Bruder für die vielen Verrenkungen, die sein schlimmer Arm hatte erleiden müssen, auf die bestmöglichste Weise zu entschädigen.
    Obgleich sich Constanze mit ihrem Bruder beständig herumzankte und neckte, so hing sie doch mit der größten Zärtlichkeit an ihm. Liebevoll band sie ihm jeden Abend, ehe er zu Bette ging, mit der größten Sorgfalt einen Arm ein, befestigte die Binde mit einer neuen Schleife und machte ihn darauf aufmerksam, daß er sich ja so hinlegen möchte, damit ein Arm in keine gefährliche Lage gerathe. Dann ersuchte sie jedesmal ihren Vater, sich in Acht zu nehmen, damit er nicht während des Schlafes an den bösen Arm Hugo's stieße, was ihm nur neue Schmerzen verursachen könnte.
    Die kleine Amelie weinte fast die halbe Nacht am Halse ihrer Mutter, da man sie mit einem guten Moosbette erst auf den nächstfolgenden Tag vertröstete.
    Auch Gertrude schlief nicht gleich ein, als sie sich nieder legte. Sie nahm ihren Zeigefinger in den Mund und schien über Etwas nachzudenken.
    Tantchen Cölestine, die ebenfalls bis auf den nächstfolgenden Tag auf ihrem bisher eingenommenen Lager zubringen sollte, konnte nicht einschlafen. Sie sprang die Nacht hindurch wenigstens zwanzigmal auf und lief zwischen den am Boden liegenden Matratzen umher. Einmal stieß sie während ihres

 

- 31 -

Nachtwandelns an den Kopf Hugo's, der erschreckt aus dem Schlafe auffuhr und ihr eine derbe Zurechtweisung gab. Hie und da lief sie an's Fenster und trommelte an die Scheiben und surrte ihre Melodie von der verführten, unglücklichen Grafentochter. Dann fuhr sie zusammen, lief wieder auf ihr Lager zu, legte ihren Kopf wieder auf den Reisesack und sprang wieder auf, um in der Stube herumzutänzeln. So trieb sie es die ganze liebe Nacht. --
    Giebt es für ein Mädchen etwas Wichtigeres, als ein gutes Bett? Welches Mädchen wird es Constanzen verargen, daß alle ihre Gedanken und Wünsche auf ein besseres Nacht lager gerichtet waren? An der mehr oder minder größeren Sorgfalt, mit der sich ein Mädchen sein Bette zurechte macht, kann man seinen Charakter erkennen. Ein Mädchen, das nie von seinem Bette begeistert ist und sollte es auch in Seide und Eiderdunen liegen, ist entweder nicht recht wohl oder es liest langweilige Romane. Ein gutes, braves Mädchen kennt jeden Nadelstich an seinem Bette, mag es nun ein Seitenstich, ein Vorderstich, Hinterstich oder Steppstich sein. Ein gutes, braves Mädchen hält auch etwas auf seine Musquitobare; es schiebt fie so zurück, daß sie nicht baufähig aussieht, sondern gleiche, schöne Falten wirft. Ein gutes, braves Mädchen in New-Orleans wird nie in seinem Bette eine Musquito, die sich an ihm vollgesogen hat, todt machen, weil dadurch das Bett beschmutzt würde. Es wird die Musquito nur zu verscheuchen suchen, und will dies nicht helfen, so läßt es dieselbe ruhig gewähren -- und das Alles, um das frische Bett nicht zu verunreinigen und sollte es auch nur ein bescheidenes Moosbett sein.
    Etwas ganz Anderes ist es aber mit einem Ehebette. Ein Mädchenbett denkt sich : o wie lieb hat mich die Kleine! Ein Ehebett denkt sich: Never mind, die werden es schon „fixen!“
    Es ist ein trauriges Zeichen der Zeit, daß sich unsere Epikuräer so wenig mit der Bettphilosophie befassen. Sogar Daniel Webster, einer der größten und geistreichsten Epikuräer unseres Jahrhunderts, hat es versäumt, ein Amendement für ein zweckdienliches Bett-Compromiß im Senate auf den Tisch zu legen.“
    Ein derartiges „Internal-Improvement“ hätte schon längst die Aufmerksamkeit unserer Staatsmänner erregen sollen, Es ist ein trauriges Zeichen der Zeit, „daß noch so Vieles faul im Staate Dänemark ist.“

 

- 32 -

    New-Orleans ist es von einer weisen Vorsehung vorbehalten, hierin die Initiative zu ergreifen. --
    In Allem, was den Lebensgenuß erhöht und die finstersten Köpfe zu ercellenten Epikuräern heranzieht, ist New-Orleans bisher in den Ver. Staaten die Vorläuferin gewesen. Aber nicht nur hierin, sondern auch in dem,was so manche Erwerbsquellen anbelangt.
    New-Orleans ist diejenige Stadt in den Ver. Staaten, wo man nur höchst selten aus den Boardinghäusern hinausgeschmissen wird. Nirgends giebt es anständigere, noblere und aufopferungsfähigere Boardingwirthe, als in New-Orleans.
    Ein Boardingwirth in unserer Stadt wird eher Hab und Gut aufopfern, als daß es ihm je einfiele, einen Boarder hinauszuwerfen, wenn er nämlich nicht bezahlen will oder vielmehr nicht kann; mag er nun politischer Flüchtling, Aristokratie-Auswurf, literarischer Vagabond oder journalistischer Abenteurer sein. Wenn es je ein jüngstes Gericht giebt, wie uns die Mythologie erzählt, so wird der Herr im Thale Josaphat die Boardingwirthe von New-Orleans sicher nicht auf die Seite der Böcke stellen, sondern auf die andere.
    Das ist nicht Alles.
    New-Orleans ernährt seinen Mann. Wer in dieser Stadt verhungert, ist entweder zu faul, seinen Mund aufzusperren oder die Magenhäutchen sind im abnormen Zustande. Jeder Boardingwirth läßt einen so traurigen Passagier, wenn er auch kein regelmäßiger Boarder ist, an der Hochzeit zu Kanaan Theil nehmen; und wenn derselbe nicht in Hochzeitsschuhen erscheinen kann, so läuft er mit ihm zum Gevatter Schuhmacher und leistet für ihn Security. Hat er keinen Rock zum Anziehen, so geht er mit dem Unglücklichen auf Auction Sale; dürstet ihn, so zieht ihn der barmherzige Samariter mit an seine Bare, falls er eine solche in seinem Hause hat. Ist der Zahlungsunfähige ein passionierter Raucher, so giebt er ihm gewiß nicht die schlechteste Cigarre, sondern er empfiehlt ihm Winkelried Schlüter in Common street und läßt ihm ausrichten: „Eine schöne Empfehlung von Hrn.R.R. und er wünscht, daß Sie mir ein Paar von ihren feinsten Regalias verabreichen.“ Ist das bankerotte Subject guten Wein gewöhnt, so schickt man es zu John Fischer in Royalstreet und läßt es auf gut Glück eine Flasche Rüdesheimer trinken. --
    Ist aber Einer so eigensinnig und trotzig, mit den Boardingwirthen nicht auf so vertrautem Fuße stehen zu wollen, so

 

- 33 -

geht er zur Lunchzeit in irgendein „Dime-House“,- aber um Eures Magen's willen bei Leibe nicht in ein „Picayunehouse“ -- nimmt mir nichts dir nichts ein tüchtiges Gabelfrühstück, und zwar so tüchtig, daß er den Verlust der Diner Zeit leicht verschmerzen kann. Ist dies geschehen, so geht er nicht an die Bare, sondern streicht sich gefällig den Bauch, drückt dem nächsten Besten die Hand und zieht vornehm ab.
    Das ist nicht Alles.
    Wenn New-Orleans einen Mann ernährt, so thut es dasselbe auch mit ganzen Familien.
    Diejenigen, welche diesen Erwerbszweig repräsentieren, zerfallen in vier Kathegorien:
    1. Leveeratten. Diese Kathegorie schließt in sich jene hoffnungsvolle Jugend beiderlei Geschlechtes, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, ganze Hocksheads Zucker und Molasses anzubohren, deren Inhalt in beliebigen Quantitäten in einem Körbchen oder Fläschchen zu kollektiren, und wenn sie es zu bunt treiben, sich vor der Wharfpolizei in Acht zu nehmen.
    2, Cotton-Retailisten. Diese Kathegorie ist die gefährlichste, weil sie die Hauptquelle unserer Größe und Macht versiegen zu machen bemüht ist und schon oft bedeutende Fallissements unserer Cottonbrokers herbeigeführt hat. Sie manövrirt in der Nähe der Cottonpressen, vorzüglich in Tchoupitulasstreet und Ecke von Claiborne und Canalstreets. In Claibornestreet schützen sie die großen schattigen Bäume vor den Luchsaugen der Nachtpolizei.
    3. Ragpickers. Sie gehen in aller Unschuld in die Häuser, um Lumpen zu suchen und etwas Anderes zu finden.
    4. Coffeepickers. Dieses ist die beste Classe. Sie wird von den verschämten Armen unserer Stadt vertreten. Dies zur Orientierung des Nächstfolgenden. --
    Einige Tage vor der Moosaffaire unter den Live Oaks stand Gertrud vor der Thüre und hörte dem Geplauder mehrerer Kinder zu.
    Sie erzählten sich gegenseitig ihre Eroberungen in Caffee, den sie ihren Eltern nach Hause gebracht. Unter ihnen befand sich auch ein kleines niedliches Mädchen mit fröhlich-blickenden Kinderaugen, aber im ärmlichen Anzuge.
    Gertrude, die sich zu diesem Mädchen hingezogen fühlte, redete es an und erfuhr von der Kleinen, daß ihr Vater, ein Ohio Raftman, schon über drei Monate todt sei, und ihre Mutter, die sich bisher durch Waschen das zum Lebensunterhalte

 

- 34 -

nöthige Geld verdient hätte, nun auch schwer darniederliege. Ihre Nachbarn hätten sie zwar bisher etwas unterstützt, aber sie schienen es jetzt müde geworden zu sein. Sie selbst sei zu klein und schwach, als daß man sie zu Dienstleistungen irgend einer Art hätte gebrauchen können. Da nun ihre Mutter so gerne Caffee tränke, sie aber schon seit mehreren Tagen keinen mehr im Hause gehabt hätte, so habe sie sich entschlossen, mit ihren Spielgefährtinnen zum Caffeepicken zu gehen, damit ihre Mutter wieder einmal Caffee trinken könne. Sie hätte sich zwar anfangs geschämt, dieses zu thun, aber wenn sie dann wieder an ihre Mutter dachte, so hätte sie das Verlangen derselben wieder eines Andern belehrt.
[LSZ - 1854.03.11]
    Kinder schließen sehr schnell Freundschaft, besonders Mädchen. Sie nehmen von Einander auch sehr leicht etwas an, sowohl Gutes als Böses. Die sogenannten Unarten, durch die manche Kinder so reizend erscheinen, haben ihren Ursprungin gegenseitiger Freundschaft und Neigung. Sind es Mädchen, so werden sie mit ihren Puppen Mutter und Kind spielen; ist es ein Mädchen und ein Knabe, so werden sie das Possenspieß Mann und Frau aufführen.
    Das Gespräch der Kinder, das sich so eifrig um's Caffeepicken drehte, reizte die Neugierde Gertrud's dergestalt, daß sie die Kleine bat, es ihr das Nächstemal wissen zu lassen, wenn sie wieder auf die Bohnenjagd ausginge. Als Kind dachte Gertrude natürlicher Weise nur daran, wie es ihr am ehesten möglich sein könnte, sich von dem Hause ihrer Eltern zu entfernen, ohne daß dieselben es bemerkten. Der Gedanke an ihre etwaige Wiederkunft, und der Schrecken, in den ihre Eltern und Geschwister versetzt würden, falls dieselben sie vermißten, tauchten in ihr gar nicht auf.
    Die beiden Freundinnen schieden mit dem gegenseitigen Versprechen von Einander, beim nächsten Caffeepicken treu zusammen zu halten.
    Als Constanze wegen des mit Tantchen herbeigeschleppten Mooses von ihren Eltern dankbar bedacht wurde, so stieg in Gertrude plötzlich die Idee auf, auch Etwas zur Verbesserung ihrer Lage beizutragen, damit auch sie ihren Eltern ein „braves, gutes Kind“ abgewänne.
    Das war es nun, was sie die vergangene Nacht so nach denkend machte.
    Ihr fielen jetzt die kleinen Caffeepickers, die Freundin und

 

- 35 -

deren kranke Mutter ein. Ein Entschluß war daher schnell gefaßt, ohne das Wenn und Aber zu bedenken.
    Gertrude war etwas über sieben Jahr alt und ein herzallerliebstes Kind. Das Blau ihrer Vergißmeinnichtaugen blickte so treuherzig in die Welt hinaus, sah Einem so friedlich in's Gesicht, daß man in manchen Augenblicken leicht auf die Idee kommen konnte, das liebe Täubchen mit Haut und Haar aufzufressen.
    Ihr kleines Mündchen, das eine volle Reihe der glän zendsten, elegantesten Perlen barg, hatte so volle und glänzende Röthe, wie die halb aufgeblühte Blume des Liliput-Oleanders.
    Ihr Hals, der so beweglich war, wieder einer Turteltaube war von blendender Weiße und tadelloser Reinheit. Solche Turteltauben-Hälse sind gewöhnlich denjenigen Mädchen eigen, die frühzeitig heranreifen und von der Natur bestimmt sind, als Mütter sich und den Mann glücklich zu machen.
    Gertrude trug heute ein dunkellila Barègekleid mit weißen schwarzgeränderten Blümchen, das zwar nicht mehr sehr neu war, aber dennoch nett und reinlich kleidete. Ihr reiches, blondes Haar war in zwei lange Louisenzöpfe geflochten, die bis über ihre Taille herabhingen. Ihre Strümpfe waren zwar weiß, aber an vielen Stellen übernäht und ausgebessert, eine Verschönerung, die Gertrude dem im Ausflicken unermüdlichen Tantchen verdankte. Nur mit ihren Schuhen konnte Tantchen Cölestine nicht fertig werden.
    Zum sechsten Male schon stand heute Gertrude vor der Thüre, um ihrer Freundin aufzupassen, wenn sie mit ihrem Körbchen am Arme vorbeikäme.
    Endlich kam die Ersehnte.
    Vertraulich hing sie sich in den Arm des Raftman Töchterchens und wanderte mit ihr fort.
    „Wie weit haben wir wohl an den Ort, wo wir Caffee bekommen können, Lorchen?“ frug Gertrude ihre Freundin, als sie bereits mehrere Squares die Magazinestraße entlang gegangen waren.
    „O, es ist gar noch sehr weit, Gertrude; ich glaube, es ist am Besten, wir machen es so, wie es alle Kinder, die in dieser Gegend herum wohnen, machen, wenn sie zum Caffeepicken gehen -- es muß bald ein Omnibus da herabkommen, wir steigen dann hinten auf den Tritt, der kostet nichts, Gertrudchen.“

 

- 36 -

    „Da furcht' ich mich Lorchen, wie leicht könnten wir uns weh thun!“
    „Ich thue es auch nicht gerne, wenn der Omnibus eben im Fahren ist, deshalb passe ich immer den Augenblick ab, wo die Gentlemen und Ladies aus- und einsteigen.“
    „Du bist gescheider wie ich, Lorchen, da hätte ich wirklich nicht daran gedacht,“ entgegnete, ihre Freundin anblickend Gertrude. „Aber wenn da gerade Niemand ein- oder aussteigt, Lorchen, weißt Du dann auch, wie wir's anfangen sollen, hinten aufzukommen? So im Fahren getraue ich mich nicht recht.“
    „Siehst Du Gertrudchen, jetzt gehen wir noch bis an jene Ecke, da stehen um diese Zeit immer Leute, welche einsteigen -- das hab' ich mir schon so ausgerechnet“ erwiederte beruhigend Lorchen.
    „Wie klug Du bist, Lorchen,“ rief Gertrude erstaunt aus.
    Lorchen kehrte sich schnell um, und als sie in der Ferne einen Omnibus ansichtig wurde, faßte sie ihre Freundin am Arm und zog sie mit sich fort bis an jene von derselben bezeichneten Stelle.
    Wie Lorchen vorausgewußt, fanden schon mehrere Personen hier bereit, um auf die Ankunft des Omnibus zu warten.
    Als derselbe anhielt und Gertrude in ihrem Eifer gleich auf denselben los ging, um ihren bescheidenen Platz einzunehmen, hielt sie Lorchen zurück und bedeutete sie,daß sie warten müsse, bis alle Personen eingestiegen seien.
    Als der Omnibus abfuhr, standen Gertrude und Lorchen hinten am Tritte, und hielten sich gegenseitig mit einem Arme fest, den andern hatten sie um die Rahmen der Thürfenster geschlungen, um sich in Gleichgewicht erhalten zu können. --
    Ehe wir die beiden Freundinnen an den Ort ihrer Bestimmung ankommen lassen, müssen wir den geehrten Leserinnen denselben etwas näher beschreiben:
    Mit ihrer Front an Commercestreet stehen zwischen Julia und Notre Dame Straßen jene drei großen Warehäuser, die der Kaufmannschaft von New-Orleans unter den Namen: „Pelikan“, „Star“ und „Eagle“ bekannt sind. In ihnen sind die Reichthümer des Mr. Tourné aufgespeichert. Die Warehäuser selbst sind nicht sein Eigenthum, sondern gehören dem reichen Samuel Cohn, von dem sie Ersterer für seine ungeheuren Niederlagen gemiethet hat. Samuel Cohn ist der Geschäftswelt unter dem Namen „Pariser Cohn“ bekannt und Einer der reichsten und angesehensten Männer

 

- 37 -

unserer Stadt, Einer von den Wenigen, die ihren Reichthum ihrer unbestechbaren Redlichkeit, verbunden mit einer unermüdlichen Consequenz und eisernen Ausdauer in Geschäftssachen, zu verdanken haben. Man nennt ihn „Pariser Cohn“ zum Unterschiede von den vielen Cohn's in New-Orleans, die fast sämmtlich der Kaufmannschaft angehören und mehr oder minder mit dem allmächtigen Mammon vertraut sind. Sie bilden unter sich so ziemlich Eine Familie und datieren ihre Geschäftsroutine und ihr Kaufherrenthum von der freien Stadt Hamburg. In dieser Stadt sind noch gegenwärtig. Viele anfäßig und stehen hier wie dort in nicht geringem Ansehen.
    Im „Pelikan“ und „Star“ findet man in der Regel nur Gyps, Taue und Segeltuch, während das „Eagle Warehouse“ die Haupt-Niederlage für Caffee ist. Tausende von Säcken, meistens „Rio- und Domingo-Caffee,“ füllen die ansehnlichen Räume dieses Warehauses und bezeugen den immensen Verkehr unserer Stadt mit ausländischen Häfen.
    Was früher Venedig in seiner Glanzperiode war, würde schon längst New-Orleans geworden sein -- die Königin der Meere, die Monopolistin des Welthandels. Der Kaufmann von Venedig ist eben so gut hier zu Hause, wie er es einst in der Lagunenstadt war. Auch an Sheylocks fehlt es nicht, nur mit dem Unterschiede, daß die hiesigen Sheylocks keine Juden, son dern orthodore Christen sind, die nicht nach Einem Pfund Menschenfleisch, sondern nach ganzen Schiffsladungen dürften. Ja, New-Orleans würde schon längst ein Venedig geworden sein, wenn es nicht eine unsichtbare Hand in manchen Jahren für ein Verbrechen strafte, das Gemeinheit und Eigennutz bisher nur für ein nothwendiges Uebel gehalten haben.
    Die Wage der Weltgeschichte oscillirt oft Jahrhunderte, bis sie endlich eine Schale durch die Schwere ihrer Schulden danieder sinken läßt. --
    Kehren wir jetzt wieder zu unseren Freundinnen zurück.
    Gertrude, die mit ihrem Kopfe an der Oeffnung der Schiebfenster lag, hatte die Aufmerksamkeit eines ältlichen Mannes erregt, der in der hintersten Ecke des Omnibus sitzend, sie zu wiederholten Malen mit der größten Theilnahme beobachtete. Manchmal schien es sogar, als ob er irgend einen raschen Entschluß gefaßt hätte. Seine unruhigen Bewegungen, ein starrer Blick, der Eines von den beiden auf dem Tritte stehenden Mädchen genau zu mustern schien, fesselte anderer seits die Aufmerksamkeit eines jüngeren Mannes, der nun den

 

- 38 -

ältlichen Herrn mit der nemlichen Neugierde firirte, als dieser es bisher mit den beiden Mädchen gethan hatte.
[LSZ - 1854.03.12]
    Der ältliche Mann wurde dies gewahr,     Sie scheinen darüber ungelegen zu sein, daß ich Ihnen so oft meine Aufmerksamkeit schenke,“ wandte sich der jüngere an den ältlichen Mann, indem er seinen Hut mit der rechten Hand etwas auflüpfte, als wollte er letzterem dadurch seine Ehrerbietung bezeugen.
    „Das ist Jedermann's freier Wille“, entgegnete der Gefragte, „Sie könnten mir eben so wenig einen Verstoß gegen die Etikette in einem Omnibus entgegenhalten, wenn ich mir mit Ihnen dieselbe Firierung erlaubt hätte.
    „Sie betrachten. Eines von den beiden Mädchen, die da außen stehen -- wenn Sie sich so sehr für jenes blonde Köpfchen mit den schönen Vergißmeinnichtaugen interessieren, so muß ich nur erstaunen, wie Sie nicht schon längst auf den Einfall gekommen sind, das schöne Kind einzuladen, neben Ihnen Platz zu nehmen,“ sagte der junge Mann.
    „Wenn ich dies für gut gehalten hätte, so wäre eine An regung von Ihrer Seite nur höchst überflüssig gewesen, mein Herr.“
    „Wenn es mir erlaubt sein sollte, über jenes blonde Kind ganz nach meinem Gutdünken zu verfahren, so werde ich es ersuchen, neben mir Platz zu nehmen“ -- warf der jüngere Mann schelmisch d'rein, indem er sich augenblicklich erhob, um seinen Vorsatz auszuführen.
    Der ältliche Mann, dem dieses nicht zu gefallen schien, trat ihm in den Weg und zog an dem Riemen, so daß der Omnibustreiber stille hielt.
    „Sie wollen aussteigen, mein Herr? -- Desto besser für mich und die beiden armen Mädchen -- denn für alle Beide wird jetzt Platz genug sein und auch der Dritte mag nun irgendwo ein Unterkommen finden.“ „Guten Abend, Gentelman“, warf der ältliche Mann dem jüngern zurück, indem er die beiden Mädchen, die von dem Tritte getreten waren, bei den Händen faßte und sich von ihnen die Erlaubniß ausbat, sie etwas begleiten zu dürfen.
    Der Andere, der nun auch aus dem Omnibus gestiegen war, wollte dies durchaus nicht zugeben. Er faßte den ältlichen Mann so ungestüm von hinten bei den Armen, daß sich der so Betretene entrüstet umwandte, um seinem so sonderbaren Bedränger zu zeigen, was er zu unterlassen habe.

 

- 39 -

    Gertrude und Lorchen hatten während dessen schnell einen andern Omnibus, der eben wieder vorbeigeeilt kam, bestiegen, und sahen sich noch lange ängstlich nach den beiden Männern um, die in der nun entstandenen Aufregung ihre Abwesenheit gar nicht zu bemerken schienen.
    Noch ehe der Omnibus aus der Sehweite dieses Terrains gefahren war, schien es der aufmerksamen Gertrude, als ob Einer der beiden Herren von dem andern zu Boden geworfen würde. Dann schien es ihr, als ob derselbe sich wieder erhöbe und von Neuem einen Angriff versuchte. Endlich konnte sie Nichts mehr erblicken.
    Die Fahrt ging ziemlich rasch.
    Die Freundinnen wurden seit jener Stelle, wo die beiden Herren sich so kampflustig geberdeten, nicht mehr incommodirt.
    Seltsamer Weise stieg die ganze Route bis an Julia street niemand mehr ein.
    „Wenn ich Dich bei Deinem Kleide zupfe, Trudchen, springst Du schnell herab“, bemerkte Lorchen, „wir sind jetzt bald an Juliastreet und da haben wir nur noch quer über eine Straße zu gehen, dann sind wir an unserm ersehnten Ziele.“
    „Aber Lorchen, das kann ich doch nicht?“
    „Warum nicht, Trudchen? Herunterspringen ist viel leichter und weniger gefährlich, als sich hinaufschwingen. Lass nur schnell ab, wenn ich Dich zupfe. -- --“
    Jetzt lief der Omnibus an Juliastreet vorbei, Lorchen gab ihrer Freundin das verabredete Zeichen, rief: „komm Trudchen, komm, jetzt -- “und sprang vom Schlage herab. Gertrude folgte aber ihrer couragierten Freundin nicht nur nicht nach, sondern klammerte sich noch fester an die Fensterrahmen.
    Als Lorchen dies gewahr wurde, schrie sie aus vollem Halle dem Treiber zu, er möchte doch anhalten.
    Der Omnibustreiber, der der Meinung war, es wollte Jemand einsteigen, hielt inne.
    Gertrude sprang herab und lief ihrem besorgten Lorchen entgegen, die, außer sich vor Freude, dem erschrockenen Trudchen um den Hals fiel und sie zärtlich küßte.
    Der Omnibustreiber, der nicht recht wußte, was er von diesem Schauspiele denken sollte, fluchte im Wegfahren noch ein paar „damn’d dutch Girls“ zurück. --
    Es giebt wohl keine Straße in ganz New-Orleans, wo man so leicht in Gefahr geräth, überfahren zu werden, als Tchoupitoulasstreet. Es gehört das Genie eines vollendeten

 

- 40 -

Turners dazu, hier durchzukommen, ohne von den Pferden und Mauleseln zertreten und von der Unmasse von Dray's gerädert zu werden. Kniewellen, Bauchwellen, Rückenwellen, der große und kleine Riesenschwung -- kurz alle Uebungen am Reck und Barren müssen bis zur Meisterschaft einer ereirt sein. Erst wenn dies der Fall ist, kann man es wagen, zwischen acht Uhr Vormittags und vier Uhr Nachmittags über diese Straße zu gehen.
    Gertrude und Lorchen mußten wenigstens eine Viertel stunde warten, bis es ihnen endlich gelang, auf das entgegengesetzte Banquet zu gelangen.
    Als sie in Commercestreet einlenkten, sahen sie die ganze Schaar von Caffeepickers vor dem Eagle Warehause in rast loser Thätigkeit. Mädchen und Knaben, Männer und Frauen, junge und alte Weiber -- alles bunt durch einander, wie auf einer Leipziger Buchhändlermesse.
    Lorchen bemerkte unter diesem Trupp viele, die erst Neulinge in diesem Geschäfte waren; dieselben wurden von den Stammgästen des Eagle Warehauses auf eine gottlose Weise maltraitiert, weggestoßen und umgerannt, und wenn Einige von ihnen schon glaubten, mit einer reichen Beute den Nachhausemarsch antreten zu können, so wurde ihnen das so mühsam Erworbene von den unbarmherzigen Stammgästen wiederge, raubt und abgejagt.
    Wagten sie es dann, zu wiederholten Malen eine Lese zu beginnen, so war des Neckens und Gespöttes kein Ende. Besonders that sich ein kleiner, rothköpfiger irischer Junge hervor, der einem alten Weibe eine ganze Schürze voll Bohnen weg gemaust und in seinen grauen Hut geschüttet hatte. Die Alte war ihm eine ziemliche Strecke weit nachgelaufen, bis ihr der kleine Patrick die leere Schürze zurückwarf und sie fortwährend umkreiste und neckte. Das alte Weib kehrte wieder auf den Schauplatz ihres Wirkens zurück und begann von Neuem, die Bohnen aufzupicken. Der kleine Patrick setzte sich dem „Eagle“ gegenüber auf ein leeres Limebärrel, hielt seinen Hut voll Bohnen in die Höhe und sang unaufhörlich:

                    „Little Patrick Horner
                      Sat in the corner,
                    Eating a Chritsmas' pie:
                      He stuck in his thumb,
                      And pulled out a crumb,
                    Crying, „What a nice boy am I!“

    Hie und da eilte er über die Straße unter die Coffeepickers und kneipte die unermüdliche Alte in das steife Genick oder

 

- 41 -

schlug ihr die Bohnen aus der Schürze. Dieselbe wurde endlich so erbost, daß sie einen Stein aufhob und ihn deu kleinen Patrick fast an den Kopf geworfen hätte. Derselbe machte sich endlich aus dem Staube und sang abwechselnd :

                    „I come from Alabama from
                    With the shovel and the hoe etc
                    „Little Patrick Horner
                    Sat in the corner etc.


    Als Lorchen mit Gertruden Hand in Hand unter die Caffeepickers trat, machten ihr einige Mädchen auf eine überraschende Weise die Honneurs. Sie streckten derselben ihre Händchen entgegen und wichen von dem Platze, wo die größte Ernte zu hoffen war, bescheiden zurück. Gertrude, der dieses Benehmen der kleinen Coffeepickers gegen ihr Lorchen, sonderbar genug vorkommen mußte, war noch mehr in Erstaunen gesetzt, als man ihr freiwillig mehrere Baskets voll der schönsten Bohnen anbot. Auf die Einwendung Gertrudens, daß ihr zu viel gegeben werde, da sie nicht im Stande sei, dies Alles zu tragen, erbaten sich zwei Jungen und ein schon aufgeschossenes Mädchen, ihr hierin behülflich zu sein. Sogar jenes alte Weib, das während ihrer Ernte so oft von dem muthwilligen Patrick unterbrochen worden war, demnach mit ihren Schätzen gegen die andern noch sehr im Rückstande blieb, ließ mehrere Hand voll Bohnen in Gertrudens Basket fallen. Auf solche Gaben nickte Lorchen immer freundlich zu und man sah es an ihrem freudestrahlenden Gesichtchen, daß es ihr nicht gleichgültig war, wenn man ihrer Freundin auf eine so zuvorkommende Weise begegnete.
    Der ganze Trupp der Coffeepickers bewegte sich jetzt mit Einemmale nach dem vorletzten Thore des Eagle Warehauses, demjenigen Theil des Gebäudes, der gegen Notre Dame zu sich hinerstreckt. Den aufmerksamen Coffeepickers war es nemlich nicht entgangen, daß man unter die Wölbung Eines der vielen Thore die große Wage gerollt hatte. Als Sachkundige wußten diese kleinen Freibeuter sehr gut, daß man nun die Säcke, deren Naht nicht mehr solid genug war, ausschüttete, den so ausgeschütteten Caffee in einen neuen Sack schaufelte und den selben dann auf die Wage brachte und wog. Bei dieser Gelegenheit ist immer eine große Ausbeute zu hoffen, und wenn man mit dem Einschaufeln zu genau verfahren sollte, so werden doch stets mit den Füßen von den großen Haufen so viel Bohnen abgestoßen, daß man zwanzig Hände haben könnte um all die springenden und hüpfenden Dinger aufzufangen. --

 

- 42 -

    Lorchen, welche gleich anfangs bemerkt hatte, daß es sich hier beim Aufpicken nicht um die graugrünen Bohnen des Rio handle, sondern daß hier Java ein Füllhorn ausschütte, war wie der Wind hinter die gelbbraunen Dinger her, die bald auf ihrem Kopfe tanzten, bald von da abprallten und in die Gosse oder hinüber sprangen. --
    Die Java und Domingosäcke wurden gewöhnlich nur in den obern Räumen des Warehauses geöffnet. Geschah es einmal, daß sich ein solcher Aristokrat unter den Caffeesäcken nach unten verirrte, so war dies für die Coffeepickers ein epoche machendes Ereigniß. --
    Man darf aber hier durchaus nicht glauben, daß es Poesie war, was diese Kleinen, Männer und Frauen, Alt und Jung, nach den schönen Javabohnen so eilig fingern ließ, sondern einzig und allein die glänzende Voraussicht, ein Paar Dollars zu verdienen.
    Zum näheren Verständniß sei hier bemerkt, daß viele Grocerien dritten Ranges in New-Orleans von diesen Coffeepickers ihre Colonialwaaren beziehen und diesen Transithandel so viel als möglich begünstigen.--
    Die Coffeepickers von solcher zweideutigen Qualification sind gefährlicher, als die Süßwasserpiraten der Bayou Barataria und Bayou Lafourche. Während die Letzteren von einer gut disciplinierten Schiffswacht leicht in gehöriger Entfernung gehalten werden können, gehört es fast in's Bereich einer totalen Unmöglichkeit, den Ersteren so an der Ferse zu hängen, daß sie der Beleibtheit eines Domingo- oder Javasackes nicht zu nahe treten. Mit Rio geben sie sich nicht ab; denn mit dieser Sorte ist wenig zu verdienen. Wer ist auch im Stande, diese Coffeepickers zu überwachen oder ausfindig zu machen? Welcher Wachtmann ließe es sich gefallen, wenn man ihm zu muthete, hinter jeden Sack zu sehen, ob nicht etwa ein Coffeepicker daselbst Anker geworfen. Zudem hat diese gefährliche Sorte von Pickers so scharfe Schneidezähne, daß binnen einigen Wochen über die Hälfte der Tag- und Nachtwache des betreffenden Quartiers ohne Hände patrouillieren müßte. Diese Tausende von Säcken, die dicht gedrängt von den Dielen auf wärts bis zu den Dachsparren aufgeschichtet sind, gehörig zu überwachen! Im Pelikan Warehouse hat man es noch vor drei Jahren versucht, Fallen zu legen, aber seitdem daselbst ein Neger des Herrn Tourné unvorsichtigerweise hineingerathen ist, und man mit ihm -- da dem Neger in Folge dieses

 

- 43 -

Mißverständnisses ein Bein abgenommen werden mußte -- über zweitausend Dollars einbüßte, unterließ man es fernerhin, einer solchen verhängnißvollen Maschine seine Aufmerksamkeit zu widmen. Die Warehouse-Piraten trieben es zwar nach jenem Unfalle wieder bunter, als ehevor, aber, wenn man den Schaden, der daraus entstand, berechnete, so machte er noch lange nicht die Summe aus, die man durch die Amputation des Negerbeines verlor.
    In neuerer Zeit sind die Piraten aus dem „Pelikan“ gänzlich verschwunden, da sie den nunmehr dort aufgelegten Limebärrels keinen rechten Gout abgewinnen können. Dafür ist das Eagle Warehouse das Terrain ihres Enterns und Kaperns geworden. --
    Gertrude und Lorchen hatten ihre Ernte glücklich zu Ende gebracht.
    Jetzt erst fiel es. Ersterer ein, daß sie sich, ohne es ihren Eltern zuerst wissen zu lassen, von Hause entfernt hatte.
    „Was werden meine Eltern und Geschwister denken, Lorchen, wenn sie mich nirgends finden können?“ sprach Gertrude ängstlich ihr Bedenken gegen ihre Freundin aus.
    „Es ist noch nicht so lange her, Trudchen, daß wir uns entfernt haben -- Deine Eltern haben es vielleicht gar nicht bemerkt -- und haben sie es auch, so werden sie Dir, wenn sie den schönen Caffee sehen, auch nicht böse sein. Ich habe auch einmal so gedacht, wie Du -- mein Vater lebte damals noch -- Lindsey's Kinder lockten mich mit sich weg in die Stadt, Vater und Mutter durchsuchten das ganze Haus von Oben bis Unten, forschten bei der Nachbarschaft nach, allenhalben schickten sie hin oder gingen selbst, um mich auszuspähen -- doch sie konnten mich natürlich nirgends finden --- O, und wie pochte mir das Herz, als ich auf dem Nachhauseweg begriffen war -- wie fürchtete ich mich auf einmal -- denn mein Vater, Trud chen, war manchmal sehr streng -- schon, als mich meine Eltern von Weitem erblickten, liefen sie mir entgegen, die Mutter mit freudigem Gesicht, der Vater ernst und scheltend -- -- da zeigte ich Ihnen meinen Caffee und sie vergaben. Alles auf einmal -- siehst Du, Trudchen, anders wird es Dir wohl auch nicht ergehn, glaubst Du? --“
    Gertrude konnten diese Worte nicht beruhigen. Zudem kam es ihr vor, als schämte sie sich ein wenig, die elende Lage ihrer Familie durch ihren Besuch bei den Coffeepickers so öffentlich prostituiert zu haben.

 

- 44 -

    Lorchen, welcher die plötzliche Niedergeschlagenheit ihrer Freundin nicht entgangen war, dachte natürlicherweise nicht im Entferntesten an ihre eigentliche Ursache. Sie glaubte, Gertrude mache deshalb ein so betrübtes Gesicht, weil sie sich auf die Vorwürfe, die ihrer zu Hause warteten, fürchte.
    An Tchoupitoulasstreet angekommen, mußten sie abermals mehrere Minuten verziehen; denn die hin- und zurück fahrenden Dray's versperrten die ganze Straße.
    Gertrude wurde immer unruhiger und ermunterte Lorchen, wenn sich nur irgendwo eine passende Gelegenheit fände, über die Straße zu eilen.
    Endlich schien der rechte Augenblick gekommen zu sein.
    Zwischen den sich nachdrängenden Drays bildete sich ein Zwischenraum, der freilich, um hinüber zu gelangen, im Ru benutzt werden mußte. Sonst gerieth man unvermeidlich unter die Räder oder die Beine der Pferde.
    Wie der Blitz huschte Lorchen durch und bückte sich gerade noch zur rechten Zeit unter den Kopf eines Pferdes, sonst wäre es von demselben zu Boden geworfen worden.
    Gertrude, die dicht hinter Lorchen war, kam zu spät -- Ein entsetzlicher Schrei! Schon berührte sie das Rad eines mit Baumwolle beladenen Karrens -- da fühlte sie sich von einem kräftigen Arme umschlungen, der sie geübt und sicher aus dem entsetzlichen Wirrwar auf das sichere Trottoir brachte. Ueber ihr Körbchen rasselten Räder und traten Hufe -- in wenigen Augenblicken war auch nichts mehr zu sehen, außer einigen Flechten und zerstreut liegenden Bohnen.
    Gertrude, deren Schläfe in fieberhafter Aufregung pochten, hatte der Schrecken, in die sie dieser Vorfall versetzt, so außer Fassung gebracht, daß sie noch nicht einmal ihrem Retter in's Gesicht gesehen hatte. Jetzt, als sie ihre Augen zu ihm aufschlug und die einigen den ihrigen begegneten, fiel sie ihm für mich um den Hals und unter Lachen und Weinen schluchzte sie: „Gott sei Dank! Sie hier, Prinz?“
    „Comtesse Gertrud,“ rief ihr Lebensretter freudig aus, in einem Tone, der deutlich sagte : also sind Sie es doch gewesen -- ich habe mich also nicht geirrt.
    „Prinz, Sie hier “ wiederholte Gertrud, „O welches Glück, Prinz! --“
    „Kommen Sie, Comtesse, lassen Sie uns am St. Charles Hotel ein Cab besteigen -- wo sich Etwas außerordentliches ereignet, sammelt sich gleich ein Haufe Neugieriger“, flüsterte der

 

- 45 -

Prinz von Würtemberg Gertruden in's Ohr, indem er sie mit einem Blicke auf die Umstehenden aufmerksam machte. --
    Auf ihrem Wege nach St. Charles Hotel sprach der Prinz, der Gertrude an der Hand führte, kein Wort. Auch Gertrude schwieg. Der Prinz, in der peinlichsten Verlegenheit, auf welche Weise er sich die räthselhafte Situation Gertrudens erklären sollte -- Gertrud, mit niedergeschlagenen Augen und großer Aengstlichkeit eine gewisse Frage von Seiten ihres Lebensretters erwartend -- so gelangten sie an den Ort, wo man ein Cab besteigen sollte.
    Der Prinz brach zuerst ein Schweigen, indem er Gertrud frug:
    „Comtesse Gertrude, darf ich Sie wohl nach Hause begleiten?“
    „Wir wohnen Washington Avenue, Prinz, gegenüber dem Live Oak Square,“ wich Gertrud geschickt dieser bedenklichen Galanterie aus, eine Antwort, die den Prinzen selbst aus einer großen Verlegenheit riß.--
    „Nach Washington Avenue“ rief der Prinz dem Cabtreiber zu: „gegenüber dem Live Oak Square haltet an!“
    Als sie ungefähr fünf Squares weit gefahren waren, sah Gertrud Lorchen, mit ihrem Körbchen am Arme weinend und unruhig hin und her laufen.
    „Lorchen“, schrie Gertrude aus dem Wagen, ohne daß sie es eigentlich wollte und nur dem Drange ihres Herzens nachgebend.
    Lorchen, die die wohlbekannte Stimme ihrer Freundin vernommen hatte, sah sich erstaunt nach allen Seiten um, doch da die Gertrud unmöglich in einem Cab vermuthen konnte, so suchte sie unter den Fußgängern, allenthalben herumblickend.
    „Wem riefen Sie, Comtesse?“ frug der Prinz von Würtemberg eine kleine Dame - dann fügte er hinzu: „Vergeben Sie mir, daß ich Sie jetzt erst frage.“
    „Es war Lorchen, des Raftman’s Töchterchen, Prinz --" antwortete Gertrude.
    „Wie man doch einem Kind gegenüber die Geistesgegenwart verlieren kann!“ dachte sich der Prinz, als ihm die rasche -- Antwort Gertrudens das sagte, was er sich jetzt noch nicht zu fragen getraute. --

 

- 46 -

[LSZ - 1854.03.13]

Viertes Capitel.

Der Prinz von Wuertemberg.

    Vielen mag das geübte Rencontre von Seiten Gertrudens auffallend erschienen sein. Gertrude, an einem fürstlichen Hofe erzogen, geliebkost und gehätschelt von den schönen Töchtern des Hauses Wittelsbach, und obwohl noch Kind, angebetet selbst von der männlichen Hof-Camarilla, hatte bei dem so unerwarteten Zusammentreffen mit dem Prinzen plötzlich wieder die frühere Tournüre erhalten und schien nur wieder. „Kind“ in dem Augenblicke, als sie ihrer Freundin Lorchen vom Wagen aus zurief. Durch die traurigen Mißverhältnisse, die ihre Familie betrafen, in Sitte und Herzenspoint verkümmert oder vielmehr zum Naturkind geworden, hatten ihr die edlen Gesichtszüge des Prinzen jene erwärmenden Strahlen in Geist und Herz gesandt, die das Kind schon zur Dame machen und einen Reiz hervorzaubern, den nur wahrhaft geistig durchbildete Menschen zu genießen im Stande sind. Dieses Melée von Kindlichkeit und flügger Reife machte Gertrude zum lieblichsten Geschöpfe der Welt. Ihre Eltern beurtheilten sie ziemlich richtig, als sie sich leise zuflüsterten: Unsere Gertrud ist doch ein gescheidtes Kind!“
    Gertrude hatte sich kaum eine halbe Stunde von ihren Eltern entfernt, als dieselben ihre Abwesenheit bemerkten.
    Da sie sich früher nie, ohne Erlaubuiß einzuholen, auch nur wenige Augenblicke wegbegeben hatte, so war man um so mehr beunruhigt und in eine Beängstigung versetzt, die nur mit dem Wiederfinden des geliebten Kindes verschwinden sollte. Constanze und Hugo waren der Meinung, Gertrude sei unter die Live Oaks geeilt, um hier im Schatten dieser Riesen ihrer durch sie angeregten Wißbegierde Genüge zu leisten. Daß diese Vermuthung unbegründet war, wissen wir bereits.
    Als sich nun Melanie mit Amelie an der Hand selbst auf den Weg machte, um ihr Töchterchen aufzusuchen, schüttelte Tantchen Cölestine ihren Kopf und eröffnete zum wiederholten Male den Cyclus ihrer korybantischen Grimassen und Wahnworte.
    „Habe ich es nicht immer vorausgesagt, daß ein großes Unglück passiert -- -- -- aber man will Tantchen Cölestine nicht glauben -- man verachtet sie -- -- ja, ja, fahrt nur so fort, Ihr werdet es sicher bereuen, nach Amerika gekommen zu sein -- -- was habt Ihr denn schon wieder.-- -- Laß ab von

 

- 47 -

mir, ich hab' Dir ja nichts zu Leide gethan -- hab' ich es nicht immer vorausgesagt, daß sich bald ein großes Unglück ereignet? --“
    So und in ähnlicher Weise ging es wieder lange fort. Hugo, dem beiderlei Auftritten stets all“ eine böse Laune wiederkehrte, ergriff Tantchen Cölestine beim Arme und nöthigte sie mit Gewalt zum Niedersetzen auf ihren Reisesack.
    „Dummes, altes Ding Du,“ raisonnierte er: „es ist auch gar nicht mehr zu ertragen -- solchen Unsinn zu schwätzen, da man sich ohnehin nicht in der besten Lage befindet und außerdem genug zu thun hat, die widrigen Mißverhältnisse und Zufälle zu bekämpfen und zu lindern -- da noch solchen Unsinn und so unheimliches Gerede mit anhören zu müssen -- man könnte wahrhaftig Lust verspüren, ein kaltes Bad zu nehmen oder sich eine Pistole vor die Stirne zu drücken --“
    „Lass' mich das nicht wieder hören, Hugo,“ warf der Vater ernst ein, „es zeigt von einem bedenklichen Leichtsinne, seinem Unmuthe auf solche Weise Luft zu machen -- eine solche Sprache ist die unwürdigte, die ein junger Mann von Deinem Alter nur immer führen kann. Einen Wunsch auszusprechen, den man doch nie im Sinne hat auszuführen, sondern damit nur die Gemüthsruhe und Seelenstimmung seiner Angehörigen martert und verletzt, läßt mich kein gutes Urtheil über Dein Herz fällen, mein Sohn. --“
    „Es war auch nicht so gemeint, Vater,“ begegnete Hugo.
    „So sprechen. Alle, Hugo, die keine Anerkennung ihrer widersinnigen Reden finden. Ich hoffe zu Gott, daß sich Dein unnatürliches Mißbehagen wieder verlieren wird, wenn Dein Arm geheilt ist.--“
    Melanie trat mit Amelie in die Stube. Sie hatte vergebens gesucht. Eine unendliche Besorgniß und Aengstlichkeit malte sich auf ihrem echauffierten Antlitze.
    „Ich habe die ganze Nachbarschaft abgelaufen und konnte das böse Kind nirgends finden“, begann die gute Mutter fast athemlos. Die kranke Frau des verstorbenen Raftman's meint, es wäre wohl möglich, daß Gertrude mit ihrem Lorchen in die Stadt gegangen sei, da sie schon zu öfteren Malen davon gesprochen hätte, sie mitzunehmen. Ebenso glauben Lindsey's, bei denen ich ebenfalls gewesen bin -- wäre dies nur der Fall, ich würde ganz zufrieden sein -- aber, wenn ihr irgend ein Unglück begegnet wäre -- -- -- das gute, böse Kind, wie es sich nur so ohne Erlaubniß entfernen kann. --“

 

- 48 -

    „Beruhige Dich, Melanie“, tröstete ihr Gatte, „Gertrude wird wohl mit dem kleinen Lorchen einen Spaziergang gemacht haben und bald wieder unter uns erscheinen -- aber einen kleinen Verweis kannst Du ihr geben, wenn sie kommt, damit sie sich's für die Zukunft merkt und uns nicht wieder in solche Unruhe versetzt --“
    Hugo, der mit seiner Schwester an dem offenen Fenster stand, das auf die Washington Avenue hinausging, ließ seinen Blick unwillkührlich nach jener Seite hin schweifen, wo er glaubte, daß Gertrude kommen müßte.
    Eben lenkte ein Cab, das im raschen Trabe die Magazinestreet heraufgekommen war, um die Ecke in Washington Avenue und rollte dann langsam über die hier gelegten Planken. --
    „Da kommt Gertrude“, bemerkte Hugo im Spaße und stieß seine Schwester zugleich leise mit dem Arme an.
    „Wenn wir einen Wagen hätten, glaubte ich's fast selbst“, entgegnete Constanze und sah, ohne im Geringsten. Etwas dabei zu denken, nach dem Cab, das jetzt einige Schritte vor ihrer Barracke stille stand.-- -- --
    „Mutter, Vater -- der Prinz mit Gertruden --“ riefen plötzlich zu gleicher Zeit Hligo und Constanze, indem sie vom offenen Fenster zurücktraten und auf ihre Eltern zugingen.
    „Der Prinz mit Gertruden?“ frugen diese erstaunt, indem sie sich erhoben und mit an's Fenster eilten.
    Wessen Feder wäre wohl im Stande, das Erstaunen zuschildern, in das Melanie und ihr Gatte versetzt wurden, als sie den Prinzen von Würtemberg vor dem Wagen schlage stehen sahen, wie er sich eben anschickte, Gertruden die Hand zu bieten, um ihr herauszuhelfen! Sprachlos sahen sie sich einander an und standen noch am offenen Fenster, als der Prinz mit Gertruden bereits nahe genug war, um ihnen die Hand zu reichen.
    „Königl. Hoheit! Sie erweisen uns die Ehre --“
    „Königl. Hoheit? Pah, pah -- noch immer diese gehalt losen Titulaturen --“ warf der Prinz halb ärgerlich, im gutmüthigen Tone hin -- „wann werden Sie mich einmal kurzweg Bürger Paul nennen, meine gnädige Frau Gräfin?“
    „Bürger Paul“, rief lebhaft Melanie aus, „nun ist es an mir, Sie wegen der „gnädigen Frau Gräfin“ zur Rede zustellen.“
    „Mit Nichten, meine Gnädige“, fiel der Prinz gewandt ein, „bei Damen hat es mit den Titulaturen eine ganz andere Bewandtniß -- ein Weib kann stolz auf seine persönliche Würde

 

- 49 -

sein, es steht dem Weibe aber eben so vorzüglich, wenn es seinen Stolz auf einen ererbten edlen Namen setzt. Während es bei einem Manne lächerlich erscheint, wenn er in einer Republik starr an den Adelsprädikaten, die ihm unter einer monarchischen Regierung Geltung verschafft haben, festhält, und hier noch auf Titulaturen Ansprüche macht, die der Amerikaner doch nur zu ehren weiß, wenn sie mit großen Reichthümern verbunden sind; so benimmt man einem Weibe einen Theil seiner Würde, wenn man ihm nicht das in vollem Maße zukommen läßt, was von den Kinderjahren an darauf hingewirkt hat, es zu dem zu machen, was es geworden ist -- ein liebevoller Genius, dem die Vestafeuer Hoheit und Tugend um die Schläfe brennen --“
    „Enden Sie, enden Sie, königl. Hoheit“, bat Melanie, indem sie mit Grazie ihre weißen Hände faltete und dem Prinzen abwehrend in's Gesicht sah. --
    Jetzt erst schien Melanie zu bemerken, daß sie mit dem Prinzen vom Fenster aus spreche und sie die unverantwortliche Unhöflichkeit begangen hatte, ihn nicht einmal zum Eintreten in die Stube invitiert zu haben. Ebenso verhielt es sich mit ihrem Gatten. Derselbe war, nachdem er den Prinzen durch eine tiefe Verbeugung bewillkommt hatte, hinter Melanie getreten und hatte im selben Momente das Ungeziemende seines Verhaltens eingesehen. Als sich seine Gattin umwandte und seine Augen den ihrigen begegneten, hatten sie sich schnell verstanden und eilten nun auf die Thüre zu, deren Klinke der Prinz bereits in der Hand hielt und unter den herkömmlichen Höflichkeitsformeln mit der verloren geglaubten Gertrude eintrat.
[LSZ - 1854.03.16]
    Der Prinz von Würtemberg war eine jener Erscheinun gen, die uns schon beim ersten Anblicke großes Interesse abgewinnen und unsere Neugierde in steter Spannung erhalten. Obwohl er schon über die Jahre hinaus war, wo Don Juan um die tausendfarbige Flora flattert, so hatte er dennoch jenes zarte, rücksichtsvolle Benehmen gegen Damen, das sonst angehende Ehemänner so scharfcharakterisiert, beibehalten, und er selbst konnte sich immer noch rühmen, trotz eines vorgerückteren Alters, von schöner Damenhand so manche Rose als Preis für seine Liebenswürdigkeit und chevaleresce Galanterie erhalten zu haben. Aus seinen Gesichtszügen leuchtete jenes edle Ensemble, das wir bei allen Hohenstaufen bemerken und das sich -- und sollten sie auch noch hunderte von geratenen

 

- 50 -

überleben - nie ganz verwischen wird. Auf seiner schönen Stirne trotzte beständig die Parole: „Hie Welf, hie Waiblingen“ und kam er auf den verzweifelten Haushalt der deutschen Höfe zu sprechen, so leuchtete ein eigenthümliches Feuer aus seinen Augen, das sich phosphorisch seinen Zuhörern mittheilte. War sein Geist nicht durch irgend einen bedeutenden Gegenstand gefesselt, so hatte sein Gesicht einen weniger angenehmen Ausdruck, vorzüglich legte sich dann über seine Augen jener mysteriöse Schleier, den Amor noch hin und wieder lüftete und seinem Günstling zuflüsterte: „Du hast geliebt und bist geliebt worden!“ Da im Leben der Prinzen die Liebe, als Hauptagens aller ihrer Bestrebungen und Handlungen, eine große Rolle spielt, so konnten wir über diesen Punkt nicht stillschweigend hinwegeilen. Die Liebe entfernte den Prinzen aus einem angestammten Sitze und ließ ihn auf republikanischem Boden eine reinere und frischere Luft trinken; die Liebe führte ihn in die Schluchten Meriko's und ließ ihn den Ori Saba besteigen; die Liebe geleitete ihn an den Humboldt River und ließ ihn die Felsengebirge schauen; die Liebe war sein Ruder im leichten Indianer Canoe; die Liebe stopfte ihm die Friedens pfeife bei der Blackfeet- und Flathead Nation; die Liebe brachte ihn in den Wigwam eines Siourhäuptlings, dessen schöne Tochter ihm ein Halsband von Alligatorzähnen verehrte. Die Liebe ließ ihn am Vorgebirge der guten Hoffnung Anker werfen; die Liebe brachte ihn in die Saalah's der Königin von Madagaskar, und die Liebe führte ihn fast jedes Jahr wieder zurück nach New-Orleans.
    Nur wo im viel bewegten Leben eines Mannes die Liebe eine so große Rolle gespielt hat, kann man ihm mit Zuversicht zurufen: „Auch Du bist Einer jener Glücklichen, die nicht um sonst gelebt haben.“
    Die geehrten Leserinnen wissen bereits aus einem früheren Capitel, daß der Prinz von Würtemberg ein passionierter Entomolog war, und daß die beiden Schwestern in Algiers stets seiner gedachten, wenn ihnen ein schöner Schmetterling oder seltener Käfer in die Hände kam.
    Seine ausgedehnte Sammlung, besonders aus dem Reiche der Infecten, überbietet wohl Alles, was noch je von Naturforschern geleistet wurde. Coleoptera, Orthoptera, Hemiptera, Neuroptera, Hymenoptera, Lepidoptera, Diptera -- kurz alle bekannten Ordnungen finden sich in seiner Insektensammlung auf's genaueste repräsentiert. Chelonier, Saurier, Ophidier

 

- 51 -

und Batrachier sind entweder in Spiritusgläsern aufbewahrt, oder wenn dies ihr Umfang nicht erlaubt, so hat sie die geübte Hand des Taxidermisten gewissenhaft ausgestopft oder sonst für das Auge angenehm und befriedigend präparirt.
    Aus fremden Meeren hatte er dießmal eine beneidens werthe Auswahl von Cephalopoden und Pteropoden mitgebracht, so wie er dem regen Sammler Eifer seines Landsmannes, Professor Finke, mehrere seltene Gasteropoden und Anneliden verdankte.
    Ebenso erhielt er aus den reizenden Händen der engels schönen Tochter der Mistreß Evans an seinem Geburtstage die kostbaren Schmetterlinge „Paris“ und „Priamus.“ --
    Als der Prinz mit Gertruden in die mehr als bescheidene Stube getreten war, hatte er mit Einem Blicke die unglückselige Lage, in der sich gegenwärtig die ihm schon von früher her so liebgewordene Familie befand, durchschaut, und ein zarter Sinn und edles Wohlwollen bestimmten im Momente schon zum Voraus eine Ausgleichung dieser betrübenden Familien verhältnisse.
    Seit seiner letzten Abwesenheit von New-Orleans hatte er die Familie im sehr wohlhabendem Zustande verlassen und die Versicherung mit auf den Weg bekommen, daß man seine in Amerika gemachten Erfahrungen genau benützen und seinen wohlgemeinten Rathschlägen gewissenhaft nachkommen wolle.
    Als der Prinz nach Verlauf eines halben Jahres wieder hieher zurückkehrte, so konnte er es nicht unterlassen, sogleich jene gräfliche Familie aufzusuchen, um sich zu überzeugen, wie es ihr gelungen sei, die neuen Verhältnisse zur Begründung ihrer Glückseligkeit und Wohlhabenheit zu benützen und anzuwenden.
    Da es nicht unwahrscheinlich war, daß sie noch das nem, liche Haus bewohnten, das damals von dem Grafen auf eine gewisse Zeit gemiethet war, so eilte er sogleich dorthin; mußte aber zu einem nicht geringen Erstaunen hören, daß die gräfliche Familie bereits seit mehreren Wochen das Haus geräumt und, wie man vor ihm noch ferner laut werden ließ, gewisser Umstände halber wahrscheinlich auch New-Orleans verlassen habe. Die eifrigsten Nachforschungen in der Nachbarschaft und bei Personen, denen die Familie bekannt war, blieben fruchtlos und ersah sich genöthigt, dem Zufalle zu überlassen, was ihm durch emsiges Nachfragen bisher nicht gelungen war.

 

- 52 -

    Der Zufall hatte diesmal für den Prinzen einen Treffer gezogen. --
    Jener ältliche Mann, der heute im Omnibus saß und die außen auf dem Tritte stehende Gertrude nicht aus den Augen ließ, war niemand Anderes als der Prinz Paul.
    Wenn er so hinsah und sich das blonde Köpfchen betrachtete, ließ es ihm manchmal keinen Zweifel mehr übrig, daß das die junge Gräfin Gertrude sein müsse. Wenn er aber dann wieder auf ihre Begleiterin hinsah, die, ebenfalls mit einem Körbchen am Arme, von hinten den Körper Gertrud's deckte, so glaubte er sich wieder in einer argen Täuschung befangen. Wiederholt seine Musterung vornehmend, schien er endlich überzeugt, daß er sich nicht geirrt habe. Es mußte Gertrude, die Tochter des Grafen sein -- dieser bewegliche Taubenhals, dieses schöne blonde Haar, in zweilang herabhängenden Louisen zöpfen geflochten, die trotz ihrer ärmlichen Kleidung fesselnde Haltung ihres Körpers -- es mußten sich bedeutende Uebelstände in der Familie zugetragen haben -- aber in so kurzer Zeit? -- und doch -- es kann nicht anders sein -- dieses schöne Kind ist und bleibt einmal Gräfin Gertrude!
    So dachte der Prinz lange hin und her, bis er endlich mitjenem Manne, der von Gertrudens Anmuth und reizenden Gesichtszügen ganz eingenommen schien, in jenen merkwürdigen Conflikt gerieth, bei defem Beginne es Gertruden bereits gelang, auf einem andern Omnibus zu entkommen.
    Was weiters geschah,wissen wir bereits
    Wer der junge, oder vielmehr jüngere Mann war, werden wir in kurzer Zeit selbst aus dem Munde des Prinzen erfahren,
    Als derselbe mit Gertruden zu ihren Eltern fuhr, war es ihm in der unmittelbaren Nähe dieses schönen Kindes nicht anders zu Muthe, als sei es seine Tochter.
    Wenn sich Beider Blicke zufällig begegneten, so fand man sogar in der Art und Weise, wie dies geschah, eine gewisse Aehnlichkeit zwischen ihnen, eine Bemerkung, die sich übrigens Niemand auszusprechen getraute, der das liebevolle und treue Hingeben. Melaniens an ihren Gatten kannte. --
    Unverschuldetes Elend, bedeutende materielle Verkommenheiten sowohl im Privat -- als Familienleben, machen uns nur in Gegenwart solcher Personen bestürzt, die uns früher in Glanz und Ehren gesehen und beneidet, und deshalb unter das jetzt gedruckte Dach kommen, um sich entweder an unserem Unglücke zu weiden oder den Contrast zwischen ihrem Glück

 

- 53 -

und unserem Jammer die Rolle eines verletzenden Malizianten spielen zulassen. Vor gleichgesinnten und wahrhaft durchbildeten Menschen haben wir uns nie zu schämen und sollte unser Elend mit ihrer Wohlhabenheit auch im grellsten Gegensatze stehen.
    Der alte Graf und seine Gattin Melanie hatten kaum den Prinzen mit Gertruden die ärmliche Stube betreten sehen, als sie auch schon. Einen Gedanken faßten -- ohne alle weiteren Erörterungen und unnöthigen Entschuldigungen den Prinzen mit ihrer unglücklichen Lage -- von der er vielleicht schon irgendwo vernommen und die ihm nun selbst vor Augen getreten -- so weit es im ersten Momente zweckdienlich und schicklich schien, bekannt zu machen. Ja, noch mehr; hoffend auf die zarte Delikatesse und richtige Würdigung dieses Weltmannes, glaubten sie seiner Zuvorkommenheit dadurch die Bahn brechen zu dürfen, daß er ihnen bei Placierung ihrer ältesten Tochter bei der schon früher erwähnten Dame hülfreich an die Hand gehen sollte.
    So suchte gleiche Gesinnung gleiche Pflichten zu erfüllen und dem rettenden Genius für die Schätze dieser Erde den Tribut gebildeter Menschen, die Dankbarkeit, zu entrichten.
    Bei solcher Anschauungsweise mußte die erste Begegnung einen scherzhaften Ton anstimmen, der nur nach und nach in seelenvolle Akkorde verschwimmen konnte, wo dann Ernst und gefaßtes Lächeln sich gegenseitig um die Lorbeeren streiten.-
    „Königliche Hoheit --“wollte Melanie beginnen,
    „Aber, Gräfin --“ warf der Prinz ein.
    „Nun, Bürger Paul, Sie scheinen zu vergessen.“
    „Meine Gnädige -- wir rivalisieren, bevor wir uns Zeitlassen, uns über unser Wiedersehen zu freuen-- bitte, vor Allem -- sagen Sie Bürger Paul -- oder wenn Ihnen dies zu schwer auszusprechen ist -- so sagen Sie kurzweg Prinz“
    „Prinz -- bitte, so sagen -- sagen, sagen Sie -- meinetwegen Mistreß Clifford.--“
[LSZ - 1854.03.17]
    „Die Palme mache Ihnen streitig, wer da vermag, meine liebe Gräfin ; mit einem solchen Geiste ist schwer zu rivalisieren, Mistreß Clifford -- dabei verbeugte sich der Prinz gegen Melanien und ließ sich zwischen ihr sie den Grafen nieder -- Sie verstehen es vortrefflich, sich zu entschädigen. Clifford! Clifford ist ein schöner Name und sie tauschen diesen Hochtory mit ihrem edlen deutschen Namen um. --“
    „Meine Frau hat sich auf feine Weise an. Ihnen gerächt,

 

- 54 -

Prinz!“ bemerkte der Graf und blickte dabei mit der liebenswürdigsten Miene von der Welt Melanien an.
    „Mister Clifford“, sagte dieselbe mit halb lächelnder, halb ernster Miene zu ihrem Gatten: „Wenn Sie glauben, daß nur im Entferntesten die Idee in mir aufgetaucht ist, mich an Bürger Paul zu rächen, so bin ich bereit, sowohl von seiner als von Ihrer Seite jedwede Revanche mit dem größten Danke entgegenzunehmen. --“
    „Nun höre meine Melanie, das Mister Clifford müßte ich mir verbieten -- Mister Ernst ginge noch an, wenn Dir vor meinem und Deinem aristokratischen Namen graut --“ bemerkte der Graf mit halb verschleierter Ironie.
    „Allerliebst, unübertrefflich!“ schallt der Prinz ein; dann wandt“ er sich an Hugo, der neben Constanze auf einer Matratze saß und aus einer aufgegangenen Naht das frische Moos herauszupfte: --
    „Die New-Orleaner Luft scheint Ihnen gut zu bekommen, Hugo, Sie sehen kräftiger und gesünder aus, als damals, wo ich Sie das Letzte mal gesehen habe -- aber sie tragen ja Ihren Arm in der Binde? --“
    „Dieser Arm würde mich zum Citizen machen“, betonte Hugo mit starker Stimme, „wenn ich dieses Ungemach den Merikanern zu verdanken hätte -- Uncle Sam ist ein trefflicher Seelsorger für den Geldbeutel verwundeter Soldaten -- aber er kümmert sich wenig darum, wie viele Deckhandsund Feuerleute sich alljährlich den Arm oder Fußverbrühen-“
    Der Prinz sah sich Hugo jetzt genauer an, der mit seinem rothwollenen Hemde und dem Messerfutteral an der Seite, in der That einem Deckhand oder Matrosen ähnlicher sah, als einem ehemaligen Cheveaurleger-Offizier. --
    „Sie sind auf einem Boote gewesen und haben sich den Arm verbrüht, Hugo? Ist es wirklich so? --“ frug der Prinz mit theilnehmender Miene -- „es ist schlimm für einen jungen, gebildeten Mann, so hartes Lehrgeld bezahlen zu müssen und wieder von der Pik auf dienen zu müssen, wenn man früher schon einmal commandierte -- aber gab es denn keine bessere Stellung zu erringen -- ich meinte, es wäre für Sie ein Leichtes gewesen, einem anderen, weniger gefährlicheren Berufe Ihre Kräfte zu widmen --“
    Hugo saß still, bald seine Schwester Constanze, bald seine Eltern anblickend.
    Für diese schien nun der rechte Moment herangemaht, wo

 

- 55 -

sie es, ohne zu mißfallen und zu belästigen, wagen durften, hier anknüpfend die Serie ihrer erlittenen Leiden und Trübsale dem Fortunatus Genie des Prinzen von Würtemberg zu entrollen. --
    Melanie nahm auch jetzt wieder für ihren Gatten, dem es überhaupt nicht viel gegeben war, zu sprechen, das Wort:
    „Daß Sie uns in der traurigen Lage, in der wir uns seit langer Zeit befinden, aufsuchten und als alte Bekannte begrüßten, giebt mir das Recht, Prinz, Ihre Geduld etwas auf die Probe zu stellen, indem ich Ihnen mißliche Verhältnisse vorführe, deren eigentlicher Ursprung auf einer Nichtbeachtung Ihrer so wohlgemeinten und erfahrenen Rathschläge beruht. Doch vor Allem, Prinz, möchte ich Sie um die Erklärung Ihres uns Allen so geheimnißvollen Zusammentreffens mit Gertruden ersuchen, und wenn Sie uns die Gefälligkeit erwiesen haben, diese Lücke auszufüllen, werde ich Sie bitten, mir weiterhin ein geneigtes Ohr zu leihen.“
    Der Prinz wandte sich gegen einen hinter ihm stehenden Schützling, ergriff Gertruden's Hand und nahm sie neben sich. Da er augenblicklich bemerkt hatte, daß Gertrude von den Worten ihrer Mutter betroffen war, so neigte er sich gegen die Eltern und sagte:
    „Ehe ich Ihnen hierüber Aufschluß gebe, erlaube ich mir, einen Protest zu beanspruchen, den ich erheben werde, falls Gertrude etwas unconventionelles oder mit ihrem Gehorsam als gute Tochter Unverträgliches begangen haben sollte.“
    „Mit größtem Vergnügen, Prinz!“ erwiederte Melanie und der Grafund vergaben schon aus bloßer Neugierde ihrem Kinde.
    Gertrude wurde purpurroth im ganzen Gesichte, selbst durch die schneeweiße Haut ihres Turteltaubenhalses glitzerte der Rubin des jungen Blutes.
    „Prinz-nicht Alles!“ hauchte sie, so weich und schmel zend, daß es dem Prinzen an die Wange brannte.
    „Doch, Gertrude -- die Eltern werden Ihnen nicht zürnen.“
    „Was wird da herauskommen?“ flüsterte Hugo Constanzen in's Ohr. -
    Der Prinz fuhr fort:
    „Heute ist es der dritte Tag, daß unser Schiff seinen hiesigen Wharf erreicht hat. Eine Reise von Rio hieher ist abmattend und in jeder Beziehung unerquicklich. Todtmüde,

 

- 56 -

wie ich war, konnte ich es dennoch nicht unterlassen, die mir so theure Familie -- Melanie und der Graf dankten mit einer leichten Verbeugung -- aufzusuchen. Als ich in Ihre mir noch wohlbekannte Wohnung angekommen war, kam man mir mit einer Antwort entgegen, die mich nicht nur nicht befriedigte, sondern sogar in die peinlichste Aufregung und eine früher nie gekannte Unruhe versetzte. Die Gewißheit von noch so tragischer Färbung hat bei weitem nicht das Entsetzliche an sich, als jenes ungewisse Herumtappen und Nachforschen. Jener mir ertheilte, fast verletzende Bescheid führte meinem Geiste die verwirrtesten Bilder vor, deren undeutliche Combinationen mich zwei Tage lang peinigten und endlich durch einen Zufall oder eine Fügung Gottes -- wie man es nennen will, ein für mich wenigstens zum Theile befriedigende Gestaltung annahmen --"
    „Sie häufen zu viel der Artigkeiten, die wir durchaus nicht verdienen, Prinz“, fiel Melanie in die Rede.
    „Meine Gnädige -- wenn die Artigkeiten dem Herzen entspringen, so sind sie unserem Freundschaftsverhältnisse eben bürtiger, als die Wahrheit in rauhe Worte gehüllt --“ erwie derte der Prinz von Würtemberg im ernsten, doch liebevollen Tone.
    Ueber Melaniens Antlitz schimmerte ein leichtes Rosa, wie die aufgehende Sonne auf einen Augenblick das blasse Antlitz Amathusia's röthet. --
    Ihr Stillschweigen bezeugte dem Prinzen, daß sie geneigt sei, dies ohne Widerrede zuzugeben.
    „Auch heute war ich auf meiner mir zur Pflicht gemachten Expedition begriffen. Ich fuhr zu diesem Zwecke nach Bouligny, wo mir ein Freund lebte, eine herzensgute, treue Seele, der ich jederzeit. Alles anvertraute, was mich ängstigte und quälte. Auch diesmal wollte ich mir wieder Raths erholen und seine Mitwirkung in Anspruch nehmen. Aber wie es sich hier so oft ereignet, heute verläßt man einen Freund im besten Wohlsein, drückt ihm auf ein frohes, baldiges Wiedersehen die Hand -- morgen kommt man und findet statt seiner einen Sarg.“
    Mit weicher Stimme hatte der Prinz die letzten Worte gesprochen -- dann ließ er weiter vernehmen:
    „Von einer Familie, die durch das so unerwartete Ableben ihres Ernährers in keine beneidenswerthe Lage versetzt wurde, schied ich mit dem Versprechen, sie baldigst zu besuchen, um ihre Angelegenheiten in Ordnung zu bringen,

 

- 57 -

    Mit ihm hatte ich wieder eine Hoffnung zu Grabe getragen.
    Da nun der eigentliche Zweck meines Hinausfahrens nach Bouligny verfehlt war, so nahm ich wieder meinen Weg nach der Stadt zurück.
    Da ich keine Lust hatte, auch nur wenige Minuten auf die Steamkarre zu warten, so bestieg ich die Old Line der Magazinestreet und changierte mit einem zweiten Omnibus, der mich direkt nach Hause bringen sollte.
    Einige Straßen von hier ab stiegen zwei Mädchen hinten auf und postierten sich neben dem Schlage. Jedes von ihnen trug ein Körbchen am Arme. --“
    Gertrude sah verlegen auf den Prinzen.
    Hugo sagte halblaut zu Constanzen: „Gieb Acht, Schwester -- das war Niemand Anders, als Gertrude und Lorchen.“
    „Eines der beiden Mädchen erregte in solchem Grade meine Aufmerksamkeit, daß ich es unablässig beobachtete. Ich glaubte es zu kennen, doch als ich es an solchem Platze und in solcher Gesellschaft dachte, drängten sich wieder einige Zweifel auf. -- Und doch dachte ich gleich darauf wieder, es müßte so sein -- es konnte und durfte Niemand anders sein, als --“
    „Als Gertrud!“ ergänzte voreilig Hugo.
    „Mit Lore!“ theilte Constanze die Voreiligkeit ihres Bruders,
    Gertrude faß wie auf Kohlen.
    „Entschuldigen Sie Prinz, wenn ich Ihnen auf einen Augenblick in die Rede falle“ sagte der Graf, „Gertrude wird uns durch ihr eigenes Geständniß mit der Absicht ihrer Reise“ um die Welt vertraut machen.“
    Dann bog er sich vor und sagte zu seinem Töchterchen, die neben dem Prinzen auf einem gewölbten Koffer saß:
[LSZ - 1854.03.18]
    „Wir haben durchaus nichts dagegen, Gertrude, wenn Du mit Nachbars Lore einen kleinen Spaziergang unternimmt, aber, um in die Stadt zu fahren, solltest Du vorerst die Erlaubniß Deiner Eltern einholen, die Du durch Deine lange Abwesenheit in große Angst versetzt hattest.“
        Melanie, die diese unzeitige Pedanterie ihres Gatten kurz abbrechen wollte, befreite Gertrude von dem peinlichen Selbstgeständnisse und ersuchte den Prinzen, das Richteramt zu übernehmen.
    „Derselbe erzählte: "
    „Da Sie es nun alle wissen, daß dieses blonde Kind

 

- 58 -

Gräfin Gertrude war, so werde ich den weitern Verlauf dieser interessanten Begebenheit darnach regeln. Als ich so auf Gertruden hinsah, um mir das in's Gedächtniß zurückzurufen, was mir noch vor wenigen Monden so lebhaft vor den Augenstand, betrat mich ein Mann, der mir schräg gegenüber im Omnibusfaß, auf eine höchst merkwürdige Weise. Es schien ihn zu verdrießen, daß ich der kleinen Gertrude so ganz meine Aufmerksamkeit gewidmet hatte, und frug mich sogar im malieiösen Tone, warum ich das blonde Kind nicht zu mir herein nähme --“
    Gertrude stieß zufällig mit ihrem Ellenbogen an die rechte Hüfte des Prinzen, dem dies mit Absicht zu geschehen schien.
    „Fräulein Gertrude“, sagte er: „Sie werden mir gewiß zürnen, daß ich Sie außen stehen ließ und nicht einmal Antalten traf, Sie mit ihrer kleinen Freundin hereinzunehmen. Wenn ich jetzt daran denke, scheint es mir selbst unbegreiflich; wie es aber manchmal zu geschehen pflegt, man unterläßt aus übervollem Interesse oft Pflichten, die schon der Anstand und bloßes Wohlwollen erheischen. Aber mein liebenswürdiger Rivale ist zu tadeln, daß ihm dies einfiel, ohne nicht schon vorher der Jugend und Schönheit seinen geziemenden Tributgezollt zuhaben.“
    Gertrude dankte mit ihrem Vergißmeinnicht Paar und sah schelmisch nach Constanzen um, die es nicht unterlassen durfte, die Hand an ihren Busen zu legen, um ein aufsteigendes Kichern zu unterdrücken.
    „Sie machen Gertrude zu stolz, Prinz“, sagte Melanie.
    „Bald wird die „Rose von New-Orleans“ heißen, Constanze,“ flüsterte Hugo.
    „Wenn ich nicht wäre Bruder“, entgegnete Constanze, indem sie auf dasfeine Carmin ihrer Wangen herabfah. Dann lüftete sie den Saum ihres Kleides, daß ihre beiden Füßchen sichtbar wurden, um ihren Bruder auf diese schöne Gabe der Natur aufmerksam zu machen.
    Mit Flammenaugen sah derselbe auf seine geliebte Schwester.
    „Mein Nachbar“, fuhr der Prinz weiter, „mußte eben aus einer Barbierstube getreten sein, und wenn man weiß, wie verjüngt man einen solchen Ort verläßt, so konnte man es ihm auch nicht verargen, wenn “er in die Schwachheit verfiel, schön und auch jung zu scheinen. Ob er jung war, lasse ich

 

- 59 -

dahingestellt; wenigstens war er trotz seiner in's Graue spie lenden Haare jünger, als sein Nebenbuhler.“
    Graue Haare und ein empfängliches Gemüth bieten oft mehr Garantie für dauerndes Interesse, als das volle Haar eines jungen Mannes, den Eitelkeit und Einbildung mit unserem innersten Seelenleben spielen lassen“ theilte Melanie ihre Liebenswürdigkeit zwischen dem Prinzen mnd dem Grafen.
    „Damit wäre mein Nebenbuhler gerettet, meine Gnädige!“
    „Das ist noch nicht damit gesagt, Prinz.“
    Derselbe zuckte mit den Achseln.
    „Eine komische Scene aber ereignete sich jetzt, bei deren Vorführung ich mich kaum des Lachens erwehren kann“, erzählte der Prinz weiter. „Als ich ausstieg, um mit meinem blonden Geheimniß näher betrautzn werden, folgte mir mein Nebenbuhler auf der Ferse nach und drohte mir -- aus welchen Gründen ist mir noch diesen Augenblick ein Räthsel -- mich -- mich durchzuprügeln.“
    „Sie spaßen Prinz!“
    „Ich hab' es selbst gesehen“, bemerkte Gertrude.
    „Sie sind mir auf einem anderen Omnibus entwischt, Fräulein, und konnten leider diesem wunderbaren Ereigniß nicht bis zu seinem Ende beiwohnen.“
    „Wie man aber doch unschuldiger Weise in so mißliche Lagen gerathen kann“, bedauerte Melanie.
    „Wissen Sie auch, wer ich bin, frug mich mein Nebenbuhler im hochmüthigen Tone, indem er ein Auge zudrückte und mit dem andern widerspenstisch über seine Augengläser hinwegsah. Wie sollt' ich's wissen, erwiederte ich ihm, von dem höchsten Erstaunen ergriffen. Wissen Sie auch, wer ich bin und mit wem Sie es zu thun haben, und wissen Sie auch, daß mit mir nicht zu spaßen ist? -- Ich, natürlicherweise in eine noch stärkere Spannung versetzt, konnte seiner Prätension keine Genüge leisten, da ich den Mann vorher noch nie gesehen. -- Sie wissen also nicht, fuhr er dann fort -- ich bin doch kein Grünhorn mehr -- nun will ich's Ihnen sagen, damit Sie künftighin Ihr Benehmen gegen mich darnach regeln -- ich bin --“
    Alle horchten gespannt.
    „Ich bin der Deputy Surveyor der zweiten Municipalität und documentierter Plan Inspector!“
    „Was sagen Sie dazu, mein Herr? --“

 

- 60 -

    „Nun glaubte ich Wunder, was da kommen würde.“
    „Was ist das für eine Charge!“
    „Da habe ich noch nie davon gehört!“
    „Es ist aber in der That lächerlich!“
    „Prinz, Sie belieben zu scherzen?“
    „Wenn er nur wenigstens gesagt hätte, ich bin der Präsident der Ver. Staaten!“
    „Oder noch besser, ich bin der geheimnisvolle Gemahl von Madame de Pontalba.“
    „Oder hätte sagen sollen: ich bin der reichste Pflanzer Louisiana's; an mehrere hundert Meilen ziehen sich meine Plantagen hin -- ich bin ein Mann, sieht mich einmal an, bin ich nicht mächtiger, als ein Fürst -- trage ich nicht das Schicksal des ganzen Südens in Händen? Ist nicht Bayou Sarah in meiner Gewalt und führen da nicht alle Baumwollenballen mein Familienwappen!“
    „Das wäre doch noch etwas gewesen!“
    „Wobei man hätte ernst bleiben können!“
    „Wo er Neider, statt Spötter gefunden hätte!“
    Mit derlei Bemerkungen wechselten der Prinz, der Graf, Melanie, Hugo und Constanze mehrere Minuten lang, bis man erschöpft dem Ersteren wieder das Wort gönnte. --
    „Wir trennten uns erst“, vollendete der Prinz von Wür temberg seine Schilderung dieses mehr als komischen Vorfalles, „nachdem wir gegenseitig unsere Kräfte an unserem Leibe erprobt.“
    „Bis Sie Sieger blieben, Prinz?“ frug Melanie naiv.
    „Von Siegen war hier keine Rede, meine Gnädige - das verstand sich zuletzt von selbst -- obwohl der Planinspector jetzt wahrscheinlich in der ganzen Stadt austrommeln läßt : „ich kam, ich sah und siegte!“ --
    Nun erzählte der Prinz den weitern Verlauf seines kleinen Abenteuers mit seiner Blondine, das Körbchen mit Bohnen -- Lore -- die Lebensrettung, das Hieherfahren -- Nichts blieb“ verschwiegen.
    Aber Gertrud hielt im Geheimen mit ihrem Herzen ein vertrautes Zwiegespräch, in dem sie sich selbst gestehen mußte, daß ihr Gefühl für ihren Retter mehr als Dankbarkeit sei.
    War doch Gertrude trotz ihrer Jugend schon ein denkendes Mädchen und das Caffeepicken nicht ihre einzige Beschäftigung.
    Der mit dem Prinzen getroffenen Uebereinkunft gemäß war nun die Reihe des Erzählens an Melanie. <

 

- 61 -

    Sie begann in ihrer zarten und lieben Weise:
    „Wenn man den wohlgemeinten Rathschlägen eines edel denkenden und wohlwollenden Freundes nicht aufs Genaueste nachkommt und sie bis auf den kleinsten Punkt befolgt, so kann man in Wahrheit dem unseligen Geschicke nicht zürnen, das unseren früher so wohlgeordneten Haushalt vernichtet und unsere Familienbande zu lockern, wenn nicht gar zu zerreißen drohte. Ihnen, mein Prinz, kann ich es ja ohne Verhüllung gestehen, und meine Kinder, wie sie hier gegenwärtig sind, werden deshalb ihrer Mutter keine Vorwürfe machen. Daß Constanze einen solchen Widerspruchsgeist zeigt, indem sie ihr Stolz bisher abhielt, den ihr schon seit Monden angebotenen Dienst bei Mistreß Evans anzunehmen, übte auf alle meine Kinder einen bedenklichen Einfluß. Unsere traurige Lage ließ Hugo gestern eine Sprache gegen seine Eltern führen, die er unter weniger mißlichen Umständen sicher nicht gewagt hätte. Was in Zukunft aus unserer Familie geworden wäre, dies zu bestimmen, mein Prinz, überlasse ich Ihrer weisen Entscheidung.“
    „Gräfin Melanie,“ fiel der Prinz in’s Wort, „wie erleichtert fühle ich mich jetzt, daß Sie mir so vertrauensvoll die Hand bieten, zur Linderung Ihrer Mißverhältnisse die Freundschaftsbande enger zu knüpfen.“
    „Wenn Sie in diesem Sinne meine Worte deuten, Prinz, so möchte ich Sie ersuchen, in weiteren diesen Gegenstand berührenden Erörterungen schonend gegen mich zu verfahren.“
    „Wenn die Sonne hinter die Gipfel der Sierra Nevada sinkt, so verneigen sich die Sterne und werfen der Himmels königin ihren Scheidegruß zu“, erwiederte der Prinz, den die Brillanten des schönen Geistes Melaniens blendeten, mit phantastischer Galanterie und erhob sich von seinem Sitze, auf den er sich erst wieder niederließ, nachdem ihm Melanie mit Erlaubniß ihres Gatten gestattet, ihre Hand küfen zu dürfen.“
    Auf den Wink des Vaters verließ Hugo seinen Platz an der Seite seiner Schwester und stopfte dem alten Grafen eine Pfeife.
    Dann setzte er sich wieder neben Constanze.
    Der alte Graf schien mehr zu denken, als zu sprechen und überließ die ganze Conversation dem Prinzen und seiner Frau.
[LSZ - 1854.03.19]
    Constanze und Hugo horchten, stießen sich hie und da an, wenn ihre Mutter zu aufrichtig gegen den Prinzen verfuhr, oder neckten sich gegenseitig.
    Suschen schnullte an ihrem Händchen und hielt ihre

 

- 62 -

Augen geschlossen, wie ein junges Kätzchen. Manchmal eilte Tantchen Cölestine auf Suschen zu und brachte die Hutschachtel wieder in sichere Position.
    Sie selbst that nichts und stierte nur so vor sich hin. Das Bologneserhündchen zerzauste ein silbernes Portepée Hugo's aus guten alten Zeiten. -
    Der Prinz schien auf Tantchen gar nicht zu achten.
    Amelie lief ein und aus, schleppte Austernschalen von der Straße herein und baute sich ein Häuschen.-
    „Ungefähr zwei Wochen nach ihrer Abreise, Prinz“ knüpfte Melanie wieder an, „hatten wir uns entschlossen, nach Wisconsin zu reisen, um uns in diesem jungen, aufblühenden Staate anzukaufen. Wir begingen zu diesem Zwecke die taktlose Routine, unser kleines Capital, das, wie Sie wissen, Prinz, aus fünfzehntausend Dollars bestand, von Finley und Mathews zurückzuziehen. Zudem hatte mein Mann einen sonderbaren Widerwillen gegen alle Depositen und zog es vor, diese ganze Summe in Papier umzuwandeln und sie in seinem Seeretair aufzubewahren. Diese Summe sollte theils zum Ankauf einer Farm und der dazu nöthigen Utensilien und Geräth schaften, theils zu anderweitigen Lebensbedürfnissen verwandt werden. Doch unser Schicksal wollte es anders.“
    Melanie schwieg einen Augenblick.
    Der Prinz benützte diese Pause und bemerkte:
    „Was kommen mag, meine liebe Gräfin, ahne ich kaum -- doch erlauben Sie mir etwas vorzugreifen. Wie kommt es, daß Sie nicht das früher von uns besprochene Geschäft übernommen haben, bei dessen richtiger Leitung und Führung. Ihnen in wenigen Jahren ein nicht unbedeutender Vortheil entsprungen wäre? Mit fünfzehntausend Dollars konnten Sie, so viel ich mich noch erinnern kann, jenes Geschäft an sich kaufen.“
    „Mir sind meine zweitausend Dollars auch weggekommen --“ rief plötzlich Tantchen Cölestine dazwischen.
    „Beruhige Dich, Tantchen, der Prinz wird auch dies erfahren,“ bat Melanie. -
    „Der Mensch denkt und Gott lenkt, mein Prinz - unsere Pläne scheitern oft, wenn die Hebel zu ihrer Ausführung noch so genau in Bewegung gesetzt werden,“ wandte sich Melanie an den Prinzen.
    „Sie sind doch keine Fatalistin, meine liebe Gräfin? In diesem Lande muß man Denken und Lenken selbst übernehmen und der weisen Vorsehung durchaus nichts zutrauen oder

 

- 63 -

überlassen, wenn man es selbst zu thun im Stande ist,“ entgegnete derselbe.
    „Oder gar gegen den Himmel anstürmen,Prinz?“
    „Ja -- dem Fatum seine Kraft nehmen und sie selbst in unsere Hand legen!“
    „Schweigen wir von diesem Thema, mein Prinz - erlauben Sie mir meine traurige Geschichte zu vollenden.“
    „Entschuldigen Sie, meine Gräfin, daß ich Sie vorher unterbrochen habe.“
    „Am selben Tage, als uns das große Unglück, das Sie gleich vernehmen werden, betraf, war Hugo ausgegangen und wollte sich die Stadt noch einmal recht genau besehen, da wir uns entschlossen hatten, in ein Paar Tagen New-Orleans zu verlassen. Da wir aus den Zeitungen erfuhren, daß die westlichen Gewässer des Eises halber nicht mehr fahrbar seien, so wollten wir uns so lange in St. Louis aufhalten: Hier wollten wir den Winter zubringen, bis uns der Eisgang nicht mehr hindernd in den Weg trat, unsern Auszug in's gelobte Land -- wie wir Wisconsin nannten -- zu bewerkstelligen. -- Sie werden mich im Stillen der Umständlichkeit anklagen, mein Prinz, und mir es vielleicht verübeln, daß ich mit dem eigentlichen Thatbestand so lange zaudere. Das liegt in uns Frauen ein mal und es wird mir stets schwer, das so leichten Kaufes los zuwerden, was eine so entsetzliche Wirkung für unser Familien leben hatte.“
    „Es würde mir wehe thun, meine Gnädige -- wenn Sie an meiner Einsicht in den Gedankengang eines Weibes nur im Geringsten zweifeln würden. Frauen lieben die Prämissen und sind hierin gewissenhafter, als die Philosophen der modernen Schule, deren Logik darin besteht, daß sie beweisen, was sich von selbst versteht.“
    „Ich sehe, mein Prinz, wir gehören in das Zeitalter der Medicäer“, entgegnete lächelnd Melanie.
    „Und ich stelle mich Franz von Sickingen zur Seite“, sagte der Grafpathetisch und sah auf seine Gattin, als erwarte er von ihr ein Zeichen der Bewunderung wegen der Stichhaltigkeit seiner Bemerkung.
    „So erzähle doch weiter, Mutter; was Hugo gesehen und wie es uns damals erging“, sagte bittend Gertrude, die noch immer an der Seite des Prinzen saß.
    „Wie wir uns so in süßen Träumereien der Zukunft ergingen, stürmt Hugo eines Tages die Treppe herauf und erzählt uns,

 

- 64 -

daß das prachtvolle St.Charles Hotel in Flammen stehe, und daß zugleich die Methodistenkirche in Poydrastraße vom Feuer verzehrt werde. Er giebt uns hierauf eine so furchtbare Beschreibung des Brandes, wie der Monopteros von der Kuppel des Hotels herabgestürzt und in den Porticus geschlagen, und wie eine der großen Säulen quer über die Straße gefallen sei und zwei Kinder erschlagen habe und noch Anderes mehr, daß ich, als der Abend hereinbrach, eine so auffallende Beklommenheit spürte, wie noch nie in meinem ganzen Leben. Wenn einmal die Phantasie mancher Menschen aufgeregt ist, so läßt sie sich nicht mehr zügeln und sie erschafft oft Bilder und Phantome, die einer Welt angehören, von der wir uns keine Rechenschaft geben können. So erging es auch mir an jenem Abend. Ich sah im Geiste nichts als hochauflodernde Flammen, Feuer spritzen, eingeäscherte Tempel, stürzende Säulen, dichte Rauch wolken und manchmal schien es mir, als säße ich selbst mitten in einem ungeheuren Flammenmeere -- ich schrie um Hülfe, rief meinem Manne, meinen Kindern, dann sah ich mich plötzlich wieder allein, getrennt und geschieden von allen meinen Lieben.“
    Melanie sprach diese Worte in solchem Eifer, daß sich ihr ganzes Gesicht röthete und ihre Augen eine Lebhaftigkeit sprühten, wie sie der Prinz noch nie bemerkt hatte.
    „Gräfin, ich glaube zu ahnen -- es war dies eine Vorbedeutung“, sagte mit stillem Ernte der Prinz.
    „Je näher die Stunde herankam, in der wir uns gewöhnlich niederlegen, desto mehr nahm meine Angst und Beklommenheit zu. Ich sagte dies meinem Manne. Derselbe schrieb meinen ängstlichen Zustand der Beschreibung der Feuersbrunst zu und vindicirte mir Ruhe und Besserung auf den kommen den Tag.“
    „An Vorbedeutungen zu glauben, kam mir immer lächerlich vor, aber wenn ich an jene Schrecknisse zurückdenke, so wird meine nüchterne Definition, die ich früher von dergleichen Dingen gegeben, zu Schanden“ warf der Graf ein.
    „Wir legten uns zu Bette. Ich aber hatte keine Ruhe und konnte nicht in Schlaf kommen. Ich ging ins Nebenzimmer und bat Constanze sich zu mir zu legen, um noch ein wenig zu plaudern, und sich so die Zeit zu vertreiben, bis sich ein gelinder Schlummer auf die Augen senken würde.-- Constanze laberirte noch immer an ihrem Widerwillen, den sie gegen eine zweckdienliche Stellung bei der alten Schottin hegte. Diese Nacht schien sie es förmlich darauf abgesehen zu haben, mich

 

- 65 -

mit ihren Ansichten zu quälen. Doch ich ließ sie ruhig gewähren, da es mir überhaupt nur um Unterhaltung zu thun war.Auch von Ihnen, mein Prinz, war in jener Nacht die Rede --“
    Hätten der Prinz und Melanie diesen Augenblick den Grafen angesehen, so hätten sie bemerkt, daß ihm die letzteren Worte nicht recht behagt hatten; denn er machte ein ärgerliches Gesicht und klappte einen Pfeifendeckel mehrere Male nach Einander auf und zu -- was er doch gewöhnlich nie that.
    Er war wie alle Männer, die schöne, reizende, geistreiche Frauen haben. Sie sehen es wohl gerne, wenn ihre liebe Ehehälfte durch Schönheit oder reizendes Ensemble frappiert; sie hören es gerne, wenn man sie lobt wegen der Fülle und des Reichthums ihrer Gedanken, wegen der blendenden Schöne ihres Geistes, wegen der Vortrefflichkeit ihres Herzens, wegen der Liebe für ihre Kinder, wegen der zarten Hingebung an den Gatten, den man zum Ueberflusse, und daß er es hört, als den beneidenswertheiten unter den Sterblichen schildert -- aber dies mag wohl kein Mann ruhig hinnehmen und wäre er auf den Eisschollen Grönlands geboren.
    Doch der Unmuth des Grafen war nur vorübergehend.
    „Constanze,“ erzählte Melanie weiter, „konnte nicht begreifen, warum man ihr zugemuthet hätte, in den Dienst zutreten, da sie doch für ihre eigene Person Domestiken beanspruchen könnte. Sie wollte nicht einsehen, daß wir dies nur wünschten, um durch diesen Schritt ein intimeres Verhältniß mit der einflußreichen Schottin anzuknüpfen. Sie gefiel Mistreß Evans, wie Sie uns damals selbst sagten, Prinz, und Sie wünschte sehnlichst, Constanzen bei sich zu haben. Wäre Constanze nur einmal da gewesen -- das Andere hätte sich von selbst gegeben. Daß wir auf andere Weise, als in dieser Form, keinen Zutritt zu ihr erhalten konnten, wußten wir Alle; denn außer Ihnen, Prinz, hat sie schon seit Jahren. Niemanden zugelassen -- --“
    „Außer Herrn Dubreuil, ihren und ihrer Tochter Beichtvater“, schallt der Prinz ein. „Und wenn Mistreß Evans gewußt hätte, daß ich Sie nur deshalb besuchte, um hinter die abscheulichen Ränke dieses Pfaffen zu kommen, hätte Sie mir sicher die Thüre gewiesen -- denn, da sie den Priester für einen ausgezeichnet frommen und ehrbaren Mann hält, hätte ihr schon ein bloßes Mißtrauen gegen die Heiligkeit seiner Person ein großes Verbrechen geschienen. --“

 

- 66 -

[LSZ - 1854.03.21]
    Der Prinz sagte jetzt leiser zu Melanie und wandt' sich dann auch mit den nemlichen Worten an den Grafen:
    „Constanze hätte der schützende Genius sein sollen, der sich zwischen Mutter und Tochter gestellt hätte -- da der Beichtvater außer mir jede männliche Erscheinung im Hause verbat -- auch nichts davon wissen wollte, daß sich eine Vertraute hier einstellte -- so theilte ich dem rettenden Genius die Rolle eines Dienstmädchens zu.“
    Erstaunt sahen die Ehegatten dem Prinzen ins Gesicht, ohne sich die Deutung seiner Worte gehörig erklären zu können.
    Bei dem Nennen des Namens Dubreuil hatte Tantchen Cölestine ihren Kopf in die Höhe gehoben, faltete die Hände und sah wieder stier wie eine Wahnsinnige vor sich hin.
    „Das müssen Sie uns noch näher erklären, Prinz, wenn wir allein sind“, sagten Melanie und ihr Gatte, indem sie sich gegen den Prinzen vorbogen.
    „Ich werde Ihrem Wunsche mitdem größten Vergnügen willfahren“, versicherte der Prinz.
    „Warum hast Du mir erst gestern Vorwürfe darüber gemacht, daß ich mich nicht entschließen konnte, zu Mitreß Evans zu gehen? Wenn es früher nicht darauf ankam, seinen Unterhalt zu suchen, so war es jetzt, da wir uns so ohne alle Mittel befanden, auch nicht an der Stelle, durch mich irgend einem Complotte auf die Spur zu kommen“, bemerkte Constanze, die, ungeachtet sie dem Gespräche ihrer Mutter mit dem Prinzen keine Aufmerksamkeit zu schenken schien, Alles genau auffaßte und sogar jene leise gesprochenen Worte vernommen hatte.
    „Wenn es früher zuvorkommend und schön von Dir gewesen wäre, unterm Wunsche zu willfahren, so hätte es nach jenem erlittenen Unglücke die Nothwendigkeit erheischt, jeden Widerspruch hierin zu verscheuchen,“ entgegnete Melanie mit strafender Miene ihrer Tochter Constanze.
    „Wenn Du mir das früher gesagt hättest, Mutter, so wäre ich ohne Widerrede zu Mistreß Evans in den Dienst getreten“, schmollte Constanze.
    „Constanze!“ verbot der Graf im strengen Tone.
    „Der Prinz wäre artig genug gewesen, mich als Werkzeug zu gebrauchen, um irgend eine Intrigue zu durchkreuzen oder ein Complott zu zerstören“, wandte sich Constanze leise zu ihrem Bruder.
    „Melanie spann den Faden ihrer Erzählung weiter:

 

- 67 -

    „Wenn man sich vorgenommen hat zu schlafen, kann man sicher darauf rechnen, daß man gerade munter bleibt; während, wenn man den Schlaf verbannen will, derselbe sich um so gewisser einstellt. So geschah es auch in jener verhängnißvollen Nacht. Constanze schlief zuerst an meiner Seite ein. Dann kam in wenigen Minuten die Reihe an mich. Es war eine ruhige, stille Nacht, nicht durch das geringste Geräusch auf der Straße oder im Hause unterbrochen. Nur vom Nebenzimmer herein hörte ich das leise Athmen meiner andern Kinder.
    Mit was man sich den Tag über sehr eifrig beschäftigt, davon träumt man zur Nachtzeit gewöhnlich.
    Meine Sinne umgaukelten auch in der Traumwelt prasselnde bis an den Himmel leckende Flammen, zusammenstürzende Häuser, riesige Rauchsäulen, die allenthalben emporstiegen und mir nach keiner Seite hin einen Ausweg öffneten -- da fuhr ich plötzlich aus dem Schlafe und als ich meine Augen öffnete, sah ich gelbes Licht vor den Fenstern vorbeistreichen und den Spiegel, der unserm Bette gegenüber hing, wie in Flammen getaucht. Ich rieb mir die beiden Augen, öffnete sie und schloß sie; dann öffnete ich sie wieder, um mir auch gewiß zu sein, daß ich wachte. Da hörte ich das Rasseln der Maritze und das unheimliche Feuer Rufen eines Wachtmannes. Ich rüttelte Constanze auf, die ganz schlaftrunken wieder in die Kissen zurückfällt und unverständliche Worte lallt. Ich springe aus dem Bette, wecke meinen Mann, meine Kinder, Tantchen -- es war die höchste Zeit, mein Prinz! Die Scheiben eines Fensters sprangen und durch die Oeffnung leckten die Flammen. Prinz, es war ein fürchterlicher Moment.“
    Melanie schwieg einige Augenblicke und drückte ihre Hände gegen den Busen.
    Mit der höchsten Spannung hing der Prinz an ihren Zügen,
    „Ich trieb meinen Mann, meine Kinder und Tantchen, kaum halb angekleidet, zur Thüre hinaus und ließ nicht nach, bis Alle die Treppe hinabgeeilt waren. Wie ich später erfuhr, war Tantchen Cölestine wieder zurückgekehrt und warf einige Federbetten in den Hof hinab. Ich war schon bis zur Hälfte die Stufen der schmalen Treppe hinabgeeilt, da fällt mir plötzlich das Geld ein, das mein Mann im Sekretär, der neben meiner Schlafstube stand, aufbewahrt hatte. Es war kein Augenblick zu verlieren. Als ich in die Stube mehr hineinflog als ging, da fiel mein erster Blick auf jenes Bild, Prinz, das

 

- 68 -

dort über dem Kamin hängt, und, wie Sie wissen, meinen Emil in Pagenkleidung vorstellt -- --“
    Heiße Thränen perlten bei diesen Worten über die Wangen Melaniens und fielen auf ihre schönen Hände.
    „Mutter, Mutter, schien mein Emil zu fliehen -- willst Du mich hier umkommen lassen? Mutter, Mutter! nimm Dein Kind in Schutz -- mein Prinz, das Gesicht meines Sohnes war vom Wiederschein der um die Fenster leckenden Flammen wie verklärt -- ich griff schnell nach einem Stuhle, nahm das schwere Bild mit Leichtigkeit herab und mit diesem Schatz auf dem Arme, wollte ich eben aus dem Sekretär das aufbewahrte Geld, unser ganzes Vermögen, retten -- --“
    Melanie legte ihre rechte Hand auf die Stirne und schien nachzudenken.
    „Es wird mir stets unheimlich zu Muthe, mein Prinz, wenn ich des jetzt erfolgten Ereignisses gedenke; umsonst suche ich alle meine Geisteskräfte zu fassen, um hievon ein klares Bild zu geben -- schon hatte ich das Geld in Händen, da faßte mich eine todtenbleiche Gestalt mit der einen Hand am Arme, mit der andern greift sie nach dem Gelde und ist wie der Blitz von dannen. Ich stürze nach, ein Trupp Feuerleute kommt eben die Treppe heraufgerannt -- die Gestalt konnt' ich nicht mehr erblicken -- mein Prinz, wir waren plötzlich arme Leute -nur das Mutterherz birgt noch einen Reichthum, das Andenken an den verlornen Sohn, dessen Bildniß dort an der grauen Wand hängt. --
    Melanie verließ ihren Sitz, ging an dasKamin und starrte ihrem Sohne lange, sehr lange in die hellblauen Augen.
    Der Prinz war bis zu Thränen gerührt.
    Der alte Graf ließ seine Pfeife aus dem Munde fallen und sah bekümmert auf seine Gattin.
    Hugo und Constanze hörten auf, sich zu necken und zuzu flüstern; Gertrude legte ihr blondes Köpfchen in den Schooß des Prinzen und schluchzte.
    Die kleine Amelie ließ ihr Häuschen einfallen, das sie mit so großer Mühe aus den hereingeschleppten Austernschalen aufgebaut hatte und eilte weinend auf die Mutter zu.
    Nur Tantchen Cölestine blieb kalt und scherzte sogar mit dem Bologneser, den sie in die Ohren kniff, daß er sich winselnd unter ihr Kleid verkroch. --
    Der Prinz hob jetzt Gertrudens Köpfchen von seinem Schooße auf und ging auf Melanie zu:

 

- 69 -

    „Lassen Sie der Vergangenheit ihre Leiden und Schmerzen, meine Gräfin, und hoffen Sie auf die Freuden der Zukunft,“ tröstete der Prinz.
    „Mein Prinz, ich bin eine reiche Frau, meine Leiden verwandeln sich in Freuden, wenn ich hier meinem Sohne in die Augen sehe. Das hatte der Künstler, als er dieses Bildniß schuf, nicht geahnt, daß einst eine Zeit kommen werde, wo das Mutterherz in ihm den Sohn wiederfindet.“
    „Es wird sich auch das Original finden, meine liebe Gräfin, vertrauen Sie auf mich und auf die Zukunft. Ich weiche nicht mehr von der Seite ihrer Lieben, bis ich sie alle glücklich und geborgen weiß.“
    „Königl. Hoheit -- wie erwärmen. Sie mein Herz -- wie wohlthuend ist es, in diesem Lande, wo man das Mitgefühl für die Leiden und Trübsale Anderer nicht kennt, eine so rege Theilnahme zu finden“, sagte der Graf. --
    „Und Sie können sich der Gestalt und der Gesichtszüge nicht mehr erinnern, meine Gräfin?“ frug der Prinz Melanien, als die Gemüthsruhe wieder in so weit hergestellt war, daß man sich neuerdings in einer Conversation ergehen konnte.
    „Es war nur ein Moment, mein Prinz, und doch hat sich mir ein ganzes Aeußere so tief eingeprägt, daß ich ihn aus Tausenden herausfinden könnte -- diese Gesichtszüge, Prinz, sind mir unvergeßlich -- noch nie sah ich einen so bösen, wahrhaft satanischen Blick -die Gestalt trug lange pechschwarze Haare und einen dunklen Bart und sonderbar, wie es manchmal geschieht, daß man in einem einzigen Augenblicke. Alles erfaßt, so bemerkte ich auch eine breite Narbe an seiner Wange --“
    „Sie haben die Person früher noch nie gesehen?“
    „Nein, mein Prinz, um so unbegreiflicher ist es mir, wie sie von dem Gelde wußte.“
    „Er hat wahrscheinlich nicht eher davon gewußt, als bis er es gesehen. Es wird wohl einer von jenen gewandten Dieben gewesen sein, die sich zu Tausenden in New-Orleans herumtreiben, und wenn irgendwo ein Feuer ausbricht, immer die Ersten sind, die in die Häuser dringen und die bestürzten Leute, unter dem Vorwande ihnen ihre Hülfe anzubieten, oft mit der größten Frechheit bestehlen. Als er in das Zimmer trat, in dem Sie eben das Geld aus dem Sekretär nahmen, hatte er dässelbe mit seinen scharfen Diebsaugen gleich als gute Beute erkannt und es Ihnen entrissen, meine Gräfin. -- Sie sehen, es läßt

 

- 70 -

sich dieser Raub auf ganz natürliche Weise erklären. Er mag auch nicht so fürchterlich ausgesehen haben, dieser Dieb -- das Bleiche, Satanische hat Ihnen damals ihre erhitzte Phantasie vorgeführt-zudem haben die ärgsten, abgefeimtesten Spitzbuben oft die unschuldigten Gesichter.“
[LSZ - 1854.03.22]
    „O nein, mein Prinz, meine Phantasie hat mich nichts anderes sehen lassen, als ich in der That erblickt. Noch jetzt überkommt mich ein Grauen, wenn ich an jenes entsetzliche Gesicht zurückdenke.“
    „Erlauben Sie, meine Gräfin, daß ich Sie in Ihrem Gedankengange unterbreche und eine Frage an Sie stelle, deren Beantwortung mich in Etwas aufklären soll --“
    „Verfügen Sie ganz nach Ihrem Gutdünken, mein Prinz.“
    „Wie mag es wohl kommen, daß mir jene Leute, in deren Hause. Sie damals wohnten, auf meine Frage, ob Sie noch hier verweilten, auf eine so zweideutige Weise antworteten und achselzuckend. Ihre Abwesenheit in New-Orleans bezweifelten, und war es dasselbe Haus, in dem das Feuer ausbrach?“
    „Hierin will ich Ihnen den genügendsten Bescheid geben, mein Prinz-Als das Feuer, das nur den obersten Stock zerstörte, der bald darauf neu aufgebaut wurde -- gelöscht war, verfügte sich mein Mann noch in der nemlichen Nacht in jenes Haus, um dem Eigenthümer desselben sein Bedauern darüber auszusprechen, daß er ihm nun die Hausmiethe nicht entrichten könne, da er all' sein Geld bei dem Brande verloren habe. -- --“
    „Das wäre gar nicht nöthig gewesen“, bemerkte der Prinz, indem er sich an den Grafen wandte. „Man war aber doch sehr ungelegen darüber -- ja, beim Weggehen ließ der Vermiether noch Worte gegen mich fallen, die in mir eine große Entrüstung hervorriefen. Er bemerkte memlich, daß es ihm sonderbar vorkomme, wie gerade in unserm Stocke das Feuer ausgebrochen sei, und daß es Leute gebe, denen manche Feuersbrunst sehr gelegen komme, weil sie bei dieser Gelegenheit Entschuldigungsgründe haben, wenn ihnen von ihren Gläubigern zu stark zugesetzt wird.“
    „Das ist abscheulich!“ rief der Prinz aus. --
    In dem nemlichen Augenblicke pochte es an die Thüre und ein kleines, schmächtiges Männchen trat, sich höflich verneigend, ein, und begrüßte in französischer Sprache den Prinzen.
    Tantchen Cölestine hatte den Ankömmling kaum erblickt,

 

- 71 -

als sie verzweifelnd in die Höhe sprang und sich wie eine Wahnssinnige geberdete.

Fünftes Capitel

Tantschen Coelestine.

„ . . . . . . . Disvuol cio che volle    
E per nuovi pensier cangiaproposta    
Si che dal commenciar tutto si tolle. −“    
(Dante.)    
    Um sich das wahnsinnige Geber den Tantchen Cölestine's beim Anblicke des kleinen Mannes zu erklären, müssen wir in die Jahre ihrer Mädchenzeit zurückgehen.-
    Der Rittergutsbesitzer von Nesebeck war in Magdeburg als einer der reichsten Cavaliere bekannt. Den Winter brachte er gewöhnlich mit seiner Familie in der Stadt zu, und nur während der Sommerzeit hielt er sich auf seinem in der Nähe der Hurburg gelegenen Gute auf. Dem Touristen ist die Hurburg wohlbekannt, auf deren Anhöhe, rings von dichtem Gehölze begränzt, die Kirche mit dem Nonnenkloster steht. In ihrer Nachbarschaft ist ein treffliches Wirthshaus eingerichtet, das besonders zur Ferienzeit von den Studenten Jena"s und Leipzig"s stark frequentiert wurde. Concerte und Bälle wechsel ten mit glänzenden Commercen und Suiten und mancher Nonne mag es oft ganz weh um's Herz geworden sein, wenn sie über die Klostermauern hinüber blickte, wo die Musensöhne begeisternde Burschenlieder sangen und mit ihren Haurapieren muthwillig in der Luft herumfuchtelten oder sich in neuen Finten übten. Herr von Nesebeck, als echter Lebemann und routinierter Kneipier, der der leidenschaftlich durchbrachten Burschenzeit die schönsten Jahre seines Lebens verdankte, kam öfter in Begleitung seiner beiden Töchter von seinem Rittergute herüber nach der Hurburg, wo er dann dieselben zur würdigen Aebtissin führte, die den Schwestern in ihrer huldvollen Güte so manche Schächtelchen, gefüllt mit den ausgezeichnetsten und feinsten Nonnenfürzchen, zukommen ließ. Diese Nonnenfürzchen der Klosterfrauen auf der Hurburg waren ursprünglich für die Trüffelhunde des Grafen Görz bestimmt, die nach dem Genusse jener Fürzchen ein sicherer Instinkt nach dem genann ten Bodengeheimniß leitete. Wer schon Trüffel an der Tafel des Grafen Görz gespeist, mag den Unterschied zwischen ihnen und den anderswo genossenen gehörig zu würdigen verstehen.

 

- 72 -

Herr von Nesebeck holte seine Töchter erst wieder aus dem Kloster, wenn er mit den anwesenden Burschen- und Landsmannschaften gehörig gekneipt und geölt hatte. Brachte er eine neue Jagdmütze mit auf die Hurburg, so hatte sie daselbst der Landesvater so arg mitgenommen, daß es eine Schande gewesen wäre, sich keine neue zu kaufen.
    Hatte doch Herr von Nesebeck so viel überflüssiges Geld, daß ein Beutel nicht leer geworden wäre und wenn er sich jede Sekunde sein ganzes Leben lang eine neue Jagdmütze hätte kaufen müssen.
    Eine Jagdmütze kostet natürlicherweise nicht so viel, als ein echter Panamafrohhut, und ein preußischer Thaler ist auch ein lumpiges Ding gegen einen Dollar „e pluribus unum.“
    Herr von Nesebeck war bereits das dritte Mal verheirathet und deßungeachtet schien er Alles eher zu sein, als ein Ehemann. Wer ihn in einem kurzen, knappen Jagdhabit sah, mit dem weißen gestickten Kragen, um den ein grünseidenes Halstuch locker geschlungen war; wer die Sorgfalt bemerkte, mit der er seinen Schnurrbart pflegte und heranzog, wer sich mit ihm in Gesellschaft von Damen befand, wer ihn auf den Studentencommercen kneipen sah -- hätte sicher geglaubt, Herr von Nesebeck hätte sich noch nie zwischen die Wendekreise eines Ehebettes gewagt, sondern wäre noch auf Freiersfüßen und ein unausstehlicher Junggeselle, der es vorzog, fein Vermögen selbst zu verprassen, statt daß er sich hätte anschicken sollen, ein Weib zu nehmen, um mit ihm die Freuden und Leiden dieses sonderbaren Erdenlebens zu theilen.
    Es giebt Männer, die förmlich vom Schicksale auserlesen zu sein scheinen, daß sie mehrmals heirathen müssen. Sind sie in den Banden der Ehe verstrickt, so wünschen sie sich den Wittwerstand, und sind sie durch den Tod ihrer geliebten Ehehälfte zum zweiten Male freigeworden, so sticht sie der Hafer zum Drittenmale und sie schließen neuerdings mit Hymen einen Bund. Solche Männer dürften zwanzigmal das Unglück haben, ihre Frauen zu verlieren, sie würden zum ein und zwanzigsten Male wiederholt heirathen.
    Das Verhältniß solcher Männer zu den Weibern gestaltet sich ganz anders, als das der sogenannten „treu bis in den Tod bleibenden Ehemänner.
    Während die Letzteren bei ihren Bewerbungen der Dame ihres Herzens die Cour machen müssen, um zu ihrem legitimen Besitz zu gelangen, so wird jenen Ehemännern von den Damen

 

- 73 -

    die Cour gemacht. Hier verliebt sich die Dame in den Herrnund verführt ihn -- dort liebt und verführt der Herr die Dame.
    Ein ähnliches Verhältniß finden wir bei manchen Reikenarten. --
    Herr von Nesebeck war ungefähr fünf und dreißig Jahre alt, als er die dritte Frau nahm. Sie war das jüngste Kind des Grafen von Arco Valley und ein wahrer Engel an Liebenswürdigkeit und Herzensgüte. In seine dritte Ehe brachte er ein Töchterchen, das ihm seine erste Frau, ebenfalls aus einer reichen und beguterten Familie, zum Andenken hinterlassen hatte. Es hieß Cölestine, welchen Namen man, als es fünf Jahre zählte, gegen den frühern „Henriette“ umgetauscht hatte. Es hätte auch in der That für das schöne Kind keinen passenderen Namen gegeben. Man hätte es kaum glauben, follen, daß Cölestine die gewöhnliche Region des Lichter blickens passiert habe; sie schien ein echtes Kind des Himmels, ein Stern zu sein, der auf die Erde gefallen war. So licht, so sonnig, so rosig, so rein, so himmlisch war weit und breit kein Kind zu sehen.
    Herr von Nesebeck nannte sie stets seinen Herzensschatz, und wenn er Feten gab, so war des Bewunderns und Liebkosens kein Ende. Hatte der Vater Freunde und Bekannte mit an seine Tafel gezogen, so stellte er Cölestine mitten auf den Tisch und ließ seinem Töchterchen von den Cavalieren auf eine verschwenderische Weise Weihrauch streuen.
    Wem dann Cölestine bei dieser Gelegenheit Kußhändchen zuwarf, der hob sich und prahlte, als wäre ihm von seiner Göttin das erste Zugeständniß entriert.
    Solche Tage verlebte das Kind Cölestine. --
    Auch seine dritte Frau beschenkte ihn sehr bald mit einem Töchterchen, dem man den Namen seiner Mutter, Melanie, gab. An dem Tage, an dem Melanie geboren wurde, feierte Cölestine ihren zehnten Geburtstag.
    Tags darauf starb die Mutter und dieser Vorfall trübte auf einige Zeit die Freude, die man bei der Geburt eines neuen Sprößlings des Geschlechtes der von Nesebeck empfand.
    Ein Jahr nach dem Hinscheiden seiner dritten Frau war Herr von Nesebeck den Wittwerstand schon wieder überdrüssig geworden. Doch diesmal unternahm er seine Brautfahrt nicht mehr in die Gaue Preußens oder Altbaierns, sondern er wandte sich nach dem Lande der Nibelungen und warb eine ungarische

 

- 74 -

Magnatentochter aus dem berühmten, einst so mächtigen Geschlechte der Grafen Esterhazy von Galantha.
    Während der unermüdliche Freier mit seinen früheren Frauen in scheinbar glücklichem Einverständnisse gelebt hatte, so war diese Ehe für ihn eine Hölle voll Qualen und Leiden.
    Die Folge davon war, daß sich der gequälte Ehemann immer tollere Ertravaganzen erlaubte und nur im Kneipen mit seinen alten Freunden -- von denen ihn noch kein einziger verlassen hatte, da er ja bis an den Hals im Golde stak -- eine Entschädigung für die zu Hause ausgestandenen Leiden fand.
    Seine lustig durchlebte Studentenzeit konnte der Ritter gutsbesitzer auch jetzt noch nicht vergessen, daher man ihn am öftesten mitten unter den jungen Füchsen, Renonce- und Corps burschen sah. Bald trug er die Farben dieser, bald jener Landsmannschaft, die den alten Burschen alle sehr lieb gewonnen hatten.
[LSZ - 1854.03.23]
    Sein in Geldangelegenheiten höchst nobles Benehmen verführte zudem manchen hoffnungsvollen Studenten, über die Schnur zu hauen, und sich Gewohnheiten zu assimilieren, die der spärliche Fond nicht immer erlaubte.
    Die Flitterwochen waren noch nicht ganz vorübergerauscht, als sich Herr von Nesebeck schon wieder mit einem Favoritgedanken, so bald als möglich Wittwer zu sein, herumtrug.
    Doch diesmal ward sein Wunsch nicht erhört und als er nach Verlauf von 13 Jahren noch immer nicht Wittwer war, so gab er alle Hoffnung auf, es je wieder zu werden.
    Von nun an wandte er all' seine Aufmerksamkeit seinen beiden Töchtern zu, von denen Cölestine schon das drei und zwanzigste Jahr erreicht hatte, ohne sich bisher entschlossen zu haben, dem Wunsche ihres Vaters gemäß eine vortheilhafte Alliance zu schließen. -
    Cölestine gehörte zu denjenigen beneidenswerthen Mädchen, die in jenem Alter, wo andere gewöhnlich verblühen, erst ihre volle Schönheit entfalten und von Jahr zu Jahr an Liebreiz zuzunehmen scheinen.
    Die gewählte Erziehung, welche Cölestine seit ihrem sechs ten Jahre erhalten hatte, machte sie nur noch unwiderstehlicher.
    „Man könnte rasend werden, Herr von Nesebeck, wenn man Ihre Tochter ansieht, ohne die Hoffnung zu haben, von ihr auch nur die kleinste Begünstigung zu erhalten. Von heute ab werde ich keinen Fuß mehr in Ihr Haus setzen, falls Sie mir nicht mit Bestimmtheit die Aussicht eröffnen, von ihr in

 

- 75 -

Zukunft nicht mit so tödtender Gleichgültigkeit behandelt zu werden“, sagte eines Tages der preußische Minister von Sch*, einer ihrer vielen Bewerber, zu Herrn von Nesebeck.
    „Ew. Ercellenz muthen mir zu viel zu, wenn Sie glauben, daß ich im Stande wäre, über das Herz meiner Tochter nach Belieben verfügen zu können“, antwortete ihm der Vater der schönen Cölestine.
    Der preußische Minister machte gute Miene zum bösen Spiel.
    Er hielt jedoch sein Wort und betrat von dieser Zeit an nie mehr das Haus Herrn von Nesebecks.
    Wie sich der Minister aber an seiner Tochter rächte, sollte er gar bald erfahren.
    Um diese Zeit hielt sich in Magdeburg ein Creole auf, der wegen seiner Gewandtheit in allen romanischen Sprachen und überhaupt wegen seiner sonstigen ausgebreiteten Gelehrsamkeit ein bedeutendes Furore machte. Der Abbé Dubrueil -- so hieß der Creole -- war in allen Circeln der Löwe des Tages und trotz seiner kleinen, schmächtigen Figur von allen Damen mit nicht geringer Theilnahme betrachtet. Er war erst kürzlich aus Louisiana angekommen und auf einer apostolischen Sendung begriffen. Da ihn gewife vom päpstlichen Stuhle zugeskommene Aufträge auf die Dauer von mehreren Jahren in Magdeburg fesselten, so hatte er auf sein Nachsuchen unter andern vom erzbischöflichen Ordinariat die Erlaubniß erhalten, bei den Klosterfrauen auf der Hurburg als Beichtvater fungieren zu dürfen.
    Eines Tages erhielt der Abbé folgenden Brief:
       „Ew. Hochwürden
M. Dominique Dubreuil!
    Einige kostbare Mittheilungen, die mir betreffs Ihrer werthen Persönlichkeit zukamen, ließen es mich wagen, Ihnen hiemit ein Anerbieten zu machen, gemäß welchem Sie sich auf leichte Weise eine Summe Geldes erwerben können, die Ihnen das Honorar, das sie Ihrer apostolischen Sendung verdanken, als Rechenpfennige erscheinen läßt. Sobald ich mich versichert halte, daß Sie den Forderungen, die ich bei folgend an. Sie stelle, eifrig nachzukommen bestrebt sind, so werde ich Ihnen auf solidem Wege die Summe von zehntausend Thalern, als die Hälfte des Ihnen hiermit bestimmten Betrages, zukommen lassen. Die andere Hälfte werden Sie erhalten, wenn Ihre Bemühungen von einem sichern

 

- 76 -

Erfolge gekrönt sein werden. Befürchten Sie nicht, durch Annahme dieses von mir gestellten Antrages, in Zukunft sich auf irgend eine Weise zu compromittieren; denn die Wege, welche ich Ihnen zur Ausführung meines Plans eröffnen werde, sollen Ihnen den Beweis liefern, wie überflüssig hier ein etwaiges Mißtrauen sei. Sie werden nicht erschrecken und im geringsten zaudern, wenn ich Ihnen hiemit erkläre, daß ich Sie für einen Mann halte, der für Geld. Alles zu thun im Stande ist. Diese meine Aufrichtigkeit soll Sie vielmehr bewegen, mir Ihr ungetheiltes Zutrauen zu schenken. Sollten Sie mich wegen der eben ausgesprochenen Worte selbst für einen Schurken oder Spitzbuben halten, so würde ich Ihnen deshalb nicht zürnen; es wäre mir sogar sehr lieb, wenn Sie dies thun würden, da wir dann Beide nichts von Einander zu befürchten hätten. Doch zur Sache: Sie kennen das schöne Fräulein Cölestine von Nesebeck und haben sie, da Sie Ihr Beruf als Beichtvater öfter auf die Hurburg führt, gewiß schon mehrere Male bei den Klosterfrauen an getroffen. Cölestine von Nesebeck ist eine gute Katholikin und somit ein herrliches Opfer der Habsucht eines Priesters der alleinseligmachenden Kirche. Diese Parenthese bemerkte ich Ihnen nicht deshalb, um Sie auf die rechten Mittel aufmerksam zu machen, da ich wohl weiß, daß ein so gewandter Diener des hl. Ignatius von Loyola keine Belehrung von einem Laien annimmt, sondern ich wollte damit nur ungefähr andeuten, was Sie vielleicht erst zu suchen hätten. Wie ich aus zuverlässiger Quelle erfahren habe, so hat das Fräulein von Nesebeck einem jungen Studenten aus Jena ihr bisher noch frei gebliebenes Herz geschenkt und schickt sich vielleicht eben an, ihren Vater zu überreden, ihr zu einer Verbindung mit demselben hülfreich an die Hand zu gehen und den Familienrath dahin zu bringen, daß derselbe seine Erlaubniß hiezu gebe. Diese Verbindung muß unwiderruflich entweder auf Jahre hinausgeschoben oder was noch besser wäre, gleich vernichtet werden. Sollte jedoch besagte Verbindung auf hartnäckigen Widerstand des Familienrathes stoßen -- was sehr leicht möglich wäre, da der glückliche Brautwerber von bürgerlicher Herkunft ist -- so sollten Sie deshalb nicht abgehalten werden, die Liebenden auf eine Weise zu trennen, die keine Annäherung mehr zuließe. --
    Unter der Chiffre A.Sch., Berlin, postrestante, werde ich Ihrer Antwort mit Sehnsucht entgegenharren. --

 

- 77 -

    Nachschrift. Fürchten Sie meinen Einfluß, falls Sie es wagen sollten, mir weitere Bedingungen zu stellen.“
    Für den abgefeimten Priester, der noch nie vor einer Schwierigkeit zurückgewichen war, war es ein Leichtes, sich in den Besitz der versprochenen Summe zu setzen. Das Erste, was er vornahm, war, daß er genaue Erkundigungen nach den Familienverhältnissen des Herrn von Nesebeck einzog. Er ließ sich von einer hochgeachteten und angesehenen Person dem Rittergutsbesitzer und seiner Familie vorführen, und hatte sich in kurzer Zeit so beliebt und fast unentbehrlich gemacht, daß ihm der alte Herr von Nesebeck die ausschließliche Seelsorge für seine beiden Töchter anvertraute. Er ertheilte denselben Unterricht in fremden Sprachen und den Dogmen der katholischen Kirche und hatte sich bald das Vertrauen des Fräulein Cölestine in so hohem Grade erworben, daß ihn dieselbe um die Begünstigung ersuchte, ihr Beichtvater zu werden.
    Um dieselbe Zeit wurde an einem jungen, adeligen Studenten, der zu Pferde auf einem Retourwege nach der Universitätsstadt begriffen war und eine schwere Börse bei sich führte, ein schaudererregender Raubmord begangen. Trotz aller Nachforschungen von Seiten der betreffenden Behörden war man nicht im Stande, dem Thäter auf die Spur zu kommen. Da tauchte plötzlich das Gerücht auf, daß jenem Studenten, den man als den künftigen Bräutigam des Fräuleins von Nesebeck bezeichnete, die erwähnte Unthat nicht ganz fremd sei. Ja, es traten sogar Zeugen für die Bewahrheitung dieser Thatsache auf, so daß der unglückliche junge Mann gefänglich eingezogen wurde, und nachdem er mehrere Wochen im Kerker geschmachtet, so wurde ihm der Urtheilsspruch auf lebenslängliches Gefängniß bei harter Arbeit in Eisen. Wer schmiedete diese Ränke gegen das Leben eines lebenslustigen, jungen Mannes? Ein Priester derjenigen Kirche, die jederzeit das Wort „Nächstenliebe“ im Munde führt, in der That aber wie ein Raubthier über ihre Kinder herfährt und ihnen Ruhe und Frieden aus der Brust stiehlt.
    Das war dem Creolen noch nicht genug.
    Das Scheusal, nicht zufrieden mit der Belohnung, die es dem Versprechen gemäß, auch pünktlich empfing, suchte die Lei den der unglücklichen Cölestine, die nun auf immer von dem Gegenstande ihrer Liebe getrennt war, auf eine Weise für sich auszubeuten, wie sie der Satan nicht feiner auszufinnen im Stande gewesen wäre.

 

- 78 -

    Der Abbé Dominique Dubreuil, der anfangs durch eine erheuchelte Theilnahme an den Seelenleiden seines Beichtkindes einen gewissen Einfluß auf das Herz der trostlosen Cölestine ausüben wollte, nahm nun, da ihm dieses mißlang, zu einem Mittel seine Zuflucht, durch das er um so sicherer seinen schänd lichen Zweck zu erreichen hoffte -- er stellte ihr eine vorgebliche Befreiung ihres Geliebten aus den Händen der Gerechtigkeit als die Belohnung für eine etwaige Begünstigung in Aussicht.
    Arme Cölestine, hätte Dich doch der Tod aus diesem Leben geführt, noch ehe Du erfahren mußtest, daß Dir statt des duftenden Myrthenkranzes die Bella Donna der Schändung um das schöne Lockenhaupt gewunden wurde!

    Die schreckliche Nacht des Wahnsinns lagerte sich um die Sinne des unglücklichen Mädchens, als es aus den Umarmungen des Priesters erwachte. Die strahlende Schönheit ihres Geistes wurde zum stummen Dämon der heiligen Schrift.

[LSZ - 1854.03.24]
    In der Privat-Irrenanstalt des Doctor Blanche zu Montmartre verbrachte die arme Cölestine volle fünfzehn Jahre. Ihr Wahnsinn breitete sich immer mehr aus, so daß ihr Geist bald ganz von einer finstern Verwirrung ergrissen war. Der bereits hoch betagte Vater verwendete fast ein ganzes Vermögen auf die Heilung seiner Tochter, deren Wahnsinn ihm bis zu seinem Tode ein unerklärliches Räthel blieb. Außer Herrn Blanche wurde Cölestine noch mehreren andern Aerzten von der berühmten Irrenanstalt zu Bicetre zur Behandlung über geben, aber alle verzweifelten an ihrer Heilung. Wieder waren funfzehn Jahre verflossen, da schien es endlich dem berühmten Dr. Falret gelungen zu sein, die nun 55 Jahre alte Cölestine aus der Nacht des Wahnsinns befreit zu haben. Ein unvermutheter Zufall machte ihrer Krankheit plötzlich ein Ende. Dr. Falret ließ nemlich die Kranke zu jenen böswilligen Verrückten bringen, denen es großes Vergnügen verursacht, ihre Leidensgefährten zu martern und zu quälen. Eines von diesen Geschöpfen brachte ihr die Idee bei, daßman sie hieher gebracht habe, um sie zu tödten; denn, wer sich an diesem Orte aufhielte, dem würde bei der nächsten besten Gelegenheit das Leben geraubt. Diese Erklärung versetzte die Unglückliche in die größte Todesangst, so daß sie ihre Vorgesetzten flehendlich bat, die doch aus diesem Orte zu entfernen.

 

- 79 -

    Von ihren Angehörigen war außer Melanien jetzt Niemand mehr am Leben. Die letzten Jahre des Herrn von Nesebeck bildeten eine ununterbrochene Kette von Leiden und Trübsalen aller Art. Abgesehen davon, daß ihm der entsetzliche Zustand seiner geliebten Cölestine jeden Lebensgenuß vergiftete, so brachte ihn das ausschweifende Benehmen seiner Frau in manchen Momenten fast zur Verzweiflung. Er verlor sie zwei Jahre vor seinem Tode durch einen Sturz vom Pferde während einer Steeplechase mit Puckler-Muskau. Der Fürst ließ sie auf seinem eigenen Gehöfte begraben, wo er ihr einen Schwan von carrarischem Marmor, aufdem Amor reitet, als Denkmal widmete,
    Der alte Nesebeck wußte sich kaum mehr zu fassen, als er nach dem Tode seiner Frau die ungeheure Schuldenlast, die dieselbe auf seine Schultern gehäuft, gewahr wurde.
    Er starb entfernt von seinen Kindern und verlassen von seinen Zechbrüdern.
    Melanie, die mit dem bairischen Grafen von * vermählt war, hatte bereits fünf Kinder, von denen die ältesten, Emil und Ernst, ersterer mit seiner Frau und deren Schwester nach Amerika wanderte. --
    Zu dieser Zeit befand sich die Stiefschwester Melaniens, das unglückliche Tantchen Cölestine, in der gräflichen Familie.
    Zwar kamen hie und da noch einige Ausfälle ihres Irreseins zum Vorschein, doch wurden sie sehr oft durch gesunde Ertasen paralisiert. In manchen Augenblicken hatte sie übrigens noch die fire Idee, verheirathet gewesen zu sein und ihren Mann umgebracht zu haben. Sie phantasiert dann von Magdeburg, von der Elbe, träumt von einem Sträfling, der ihr etwas zu Leide thun will und tritt in der Familie, seit sich die selbe in Amerika befindet, oft als Unglücksprophetin auf.
    Man hat sie mit über die See genommen.
    Das ist Tantchen Cölestine.

Sechstes Capitel..

Korybantische Zufaelle.

    O schone Kinderzeit im alten Vaterlande! O wunderbarres Leben und Weben Deiner Mädchen, O Deutschland. Im Wald und auf der Flur -- im Hain und in der Laube, in der

 

- 80 -

Scheune und hinterm Backtrog, in der Kirche und auf dem Tanzboden, in der Sennhütte und im Thale, auf dem Arme und im Schooße, beim Kühemelken und Streusammeln -- O Mädchen, wie zauberhaft und mährchenreich wart ihr in Eurem Deutschland! Mädchen, Ihr waret schon über die Jahre hinaus, wo man Euch keine Kinder mehr nennen konnte, und dennoch freutet Ihr Euch noch über die Hobelspäne, die Ihr Euch als Locken um den Kopf bandet; Ihr hinget Euch ein Kirschenpärchen hinter die Ohren und bildetet Euch ein, Ihr trüget ein Rubingeschmeide -- wie pochten Eure Herzen, Ihr deutschen Mädchen, wenn Ihr ein Ei aufschluget und ein Zwillingspaar darin fandet! Woher kam all' dies Gefunkel und Gezitter, dies Blühen und Lieben, dies Weinen und Sehnen? Es kam daher, weil Ihr noch nichts vom allmächtigen Dollar gehört hattet, und keinen Molasses auf den Salat träufeln ließet; weil Ihr das „how much?“ noch nicht kanntet und es Euch gar nicht einfiel, darauf zu sehen, ob Euer Nachbar ein „vacant“ oder „improved“ Lot besitze ; weil Ihr auf Eure Blumenbeete mehr hieltet, als auf eine fashionable Dreß; weil Ihr lieber gestrickte als gewebte Strümpfe truget; weil man Euch nicht dutch sondern deutsch nannte -- kurz, weil Ihr noch nicht wußtet, daß die goldenen Aepfel der Hesperiden einen faulen Kern bergen. Ihr Mädchen und Frauen alle, warum habt Ihr Deutschland verlassen? -- -- -- Und Ihr Mädchen, denen man in der alten Heimath die schlanken und zarten Leiber in den prunkvollen Mantel der Aristokratie gehüllt hat? Nun, Ihr werdet in diesem Lande entweder Messalinen, oder -- was noch weit schlimmer ist -- Ihr verbrennt Eure Gefühle auf dem Scheiterhaufen Eures Herzens. --
    Erschrocken fuhr der Prinz von Würtemberg von einem Sitze, als er Tantchen Cölestine beim Hereintreten des kleinen, schmächtigen Männchens so entsetzt und wie verzweifelt sich geber den sah. Gertrude griff nach seiner Hand und legte ihr blondes Köpfchen an die rechte Hüfte des Prinzen. Derselbe dankte mit einer scheinbaren Aufrichtigkeit dem Ankömmling für seine Begrüßung mit einem leichten Kopfnicken und wollte ihn eben der gräflichen Familie vorstellen, als das Benehmen Cölestine"s sich in einer solch” fürchterlichen Weise äußerte, daß sich die ganze Familie zu gleicher Zeit erhob und sich wie in Einen Knäuel zusammendrängte.
    Das kleine Männchen, das bald auf den Prinzen, bald auf Tantchen Cölestine hinsah, fand wie gebannt.

 

- 81 -

    Melanie, die dies bemerkte, rief ihm in ängstlichem Tone, der nur zu deutlich zeigte, was sie litt, zu:
    „Zürnen Sie uns nicht wegen der so unerwarteten Be gegnung, mein Herr -- es wird wohl bald vorüber sein ...“
    „Gnädige Frau, Sr. köngl. Hoheit wollen mir die Ehre er zeigen, Ihnen in mir den Prediger an Rue des Ramparts und den Beichtvater der Mistreß Evans vorzustellen --“
    „Wie kommt es Hochwürden ...,“ wollte eben der Prinz beginnen, als sich Cölestine auf den Ankömmling mit einer Wuth stürzte, die diesen wie eine Leiche erbleichen machte.
    „Mutter, Vater, Mutter, Mutter !“ schrieen die Kinder durcheinander und wichen zurück.
    „Sind Sie doch vernünftig, meine gnädige Dame und lassen Sie meinen armen Kopf in Ruhe -- Gott beschütze Sie, was haben Sie, was fällt Ihnen bei -- so lassen Sie mich doch endlich los-Prinz, helfen Sie mir aus den Händen meiner Bedrängerin“ rief Dubreuil -- den die geehrten Leserinnen bereits erkannt haben werden -- in verwirrtem Pathos, als ihn Cölestine bei den Haaren ergriff und ihn herumzuschleifen drohte.
    „Tante, laß ab oder ich gebe Dir mit meinem Degenstock einen Hieb -- dummes, altes Ding Du!“ schrie Hugo roh dazwischen und griff nach der erwähnten Waffe.
    „Hugo!“ warf der Grafin strafendem Tone hin, „Du scheinst Dir in Deiner Rohheit zu gefallen, stelle den Stock wieder an seinen Platz!“
    Als sich Hugo zaudernd vom Blicke seines Vaters ab wandte, begegnete er den Augen seiner Mutter, die ihn anzuflehen schien, den Vater jetzt nicht zu erzürnen. Dann riß sie sich von Gertruden und Amelien, die sie bisher fest umschlungen hielten, los und eilte auf das kleine Suschen zu, das durch eine zu rasche Bewegung beim Aufwachen die Hutschachtel in eine gefährliche Stellung gebracht hatte.
    „Nein, ich lasse Dich nicht“, rief Cölestine jetzt aus, indem Sie Dubreuil's Arme so nah" an Einander drückte, daß sich die Ellenbogen berührten, „nein, nein, ich lass' Dich nicht --, sieh” mich nur an, sieh", sieh", kennst Du mich nicht mehr -- -- ha, ha! ich hab' Dich noch nicht vergessen -- das sind Deine Augen, das Deine Nase, und das Deine salbungsvollen Lippen -- Dominique Dubreuil, kennst Du mich nicht mehr? -- Sieh', sieh' nur, wie Du jetzt zittert, sieh' in meine Augen, heiliger Mann und ist Dir jede Erinnerung

 

- 82 -

verschwunden, so frage Deinen Gott und Deine Heiligen und sie werden Dir die Geschichte wieder erzählen -- -- -- Abbé Dominique Dubreuil, Du kennst mich nicht mehr?. . . .“
    Das war kein bloßer Wahnsinn.
    Durch diese Worte stahl sich der leise Anflug eines bewußten Gedankens. -
    „Die Dame ist verrückt! Befreien Sie mich..“ gurgelte mit undeutlichem Accent der Abbé, da jetzt Cölestine mit ihrer Brust auf einem Gesichte lag und über ihn hinaus stierte.
    Der Prinz von Würtemberg und der Graf gingen auf die Beiden zu und versuchten es, Tantchen Cölestine von dem Prediger loszumachen.
    „Nein, ich lasse Dich nicht“, rief dieselbe wieder, indem sie Ihre Hände nur noch straffer um die dünnen Arme Dubreuil's spannte.
    „Ich lasse Dich nicht, Dominique Dubreuil, bis Du mich wieder erkennt -- -- nein, nein, ich lass' Dich nicht! ...“
    Mit den Bändern an dem schwarzen Strohhute des Predigers, den die aufmerksame Amelie vom Boden aufgehoben und auf die Kiste, die hier den Familientisch vorstellte, gelegt hatte, spielte der zum Fenster hereinstreichende Wind und ließ sie auf und nieder flattern.
    Die langen, doch spärlichen Haare des Predigers standen in der Nähe der Schläfe zerzaust in die Höhe und glichen so den Flügeln des grauschwarzen Todtenvogels auf den Giftbäumen Borneo's.
[LSZ - 1854.03.25]
    „Meine Dame, wenn Sie jetzt meine Arme nicht loslassen und Sie, königl. Hoheit, mich nicht befreien, so werde ich schreien, daß die ganze Nachbarschaft zusammenläuft und den Scandal mit ansieht!“ sagte Dubreuil in so zuverlässigem Tone, daß man schließen konnte, er würde seine Drohungen augenblicklich ausführen.
    Das that er auch.
    „Um Gotteswillen, mein Herr -- bedenken Sie -- -- Tantchen, Tantchen, laß Dich doch ermahnen -- Gertrude da -- nimm meinen Shawl und häng' ihn über's Fenster -- Amelie, bleibe hier und öffne die Thüre nicht mehr -- mein Herr, bedenken Sie, das Aufsehen -- --“ bald befehlend, bald bittend, lief Melanie ängstlich in der Stube umher und wußte in der That nicht, was sie beginnen sollte.
    Dubreuil schrie aus vollem Halse.
    Plötzlich ließ ihn Tantchen Cölestine los und lief in

 

- 83 -

umgekehrter Stellung von ihm weg und wieder hin, dann wieder weg, bis sie endlich ihrem innern Drange in folgenden Ausdrücken Luft machte:
    „Priester der Liebe, wie feig Du doch bist -- starker Gottesmann, Du schreit wie ein Kind vor den Händen eines schwachen Weibes -- O Dominique Dubreuil, Du lächelt, weil Du mich für verrückt hält -- hu, hu! Dominique Dubreuil, wie kommst Du mir vor? .... Seh' ich denn so alt aus, daß Du mich nicht mehr kennt -- ich war doch so jung und schön wie Stanzchen -- sind meine Wangen nicht mehr roth, sind meine Lippen so bleich? -- -- Du siehst mich jetzt wieder so väterlich und fromm an -- Dubreuil, Dubreuil: soll ich Dir wieder im Beichtstuhl zu Füßen fallen? -- Dominique Dubreuil; Du bist so alt, so häßlich geworden, und doch erkenn' ich Dich noch -- und Du solltest mich nicht mehr erkennen? Priester der Liebe, Beschützer der Unschuld, hast Du noch nie vom schönen Fräulein Cölestine von Nesebeck gehört? ....“
    Der Graf, welcher sich mit seinem Rücken gegen die verschlossene Thüre gestemmt hatte, und Melanie, die ihm zur Seite stand, hatten umsonst auf ein baldiges Ende der verrückten Excesse Tantchens gehofft. Diese Auftritte, wie sie sich bisher schon so oft ereignet hatten, dauerten gewöhnlich nur einige Augenblicke und Tantchen Cölestine setzte sich dann immer wieder ruhig auf ihren Reisesack. Diesen Moment wollten sie jetzt ruhig abwarten und redeten auch dem Prinzen zu, nicht weiter einzuschreiten, sondern sie gewähren zu lassen. Es war dann noch immer Zeit genug, Herrn Dubreuil ihren Zustand auseinander zu setzen und ihn durch eine rege Theilnahme wegen des ausgestandenen Schreckens zu entschädigen. Sie sahen sich jetzt getäuscht; ja noch mehr, sie fanden dießmal in den Worten Tantchens eine seltene Klarheit und bewußte Betonung. Bei den letzten Worten Tantchens Cöle stine zuckte Dubreuil trotz seiner Fassung, die er zu erheucheln strebte, sichtbar zusammen. Sein fahles, aufgedunsenes Gesicht schien sich zu verlängern, seine Kniee knickten ein und seine Augen hafteten forschend und stechend auf dem Antlitze Cölestinens.
    „Lassen Sie mich gehen, ehe wir noch einen größern Skandal erleben -- Ihre verrückte Dame scheint es immer bunter treiben zu wollen“, sagte Dubreuil, zu dem Grafen nnd Melanien gewandt, und ging auf die Thüre zu.
    Der Graf schloß die Thüre auf.

 

- 84 -

     „Lassen Sie von diesem Vorfalle nichts verlauten, mein werther Abbé -- es ist nicht unsere Schuld,“ sagte der Graf leise zu Dubreuil, als derselbe, ohne darauf zu hören, hin auseilte.
    Cölestine hinderte ihn nicht.
    Sie hatte sich vor das Kamingestellt und schien wieder beruhigt.
    Melaniens Shawl, den Gertrud über das Fenster gehängt, um so den Vorübergehenden die Gelegenheit, die schreckliche Scene mit anzusehen, zu benehmen, fiel, durch die schweren Tritte des Grafen erschüttert, herab auf den Boden und ließ nun eine Fernsicht offen, die alle mit der höchsten Bewunderung nach der bezeichneten Stelle sehen ließ.
    Zu gleicher Zeit ergoß die scheidende Sonne eine helle Purpurröthe in die dürftige Stube und erleuchtete die ganze Familie. Ueber Suschens Kopf schwamm ein leichtes Roth, das sich an der länglicht runden Hutschachtel in elliptische Form gebrochen hatte und ihr so das Ansehen eines Jesuskindes gab.
    Hinter den bis auf den Boden herabhängenden Aesten eines Live Oak lag das blutrothe Haupt der sinkenden Sonne, und wenn sich die Moose des Live Oak, durch den leichten West bewegt, auseinandertheilten, so schien es, als scheitelten sie deren Antlitz.
    „Mutter, sieh' doch, wie schön Tantchen aussieht!“ rief Gertrud Melanien zu. Sie, wie alle andern folgten dieser Bitte,
    Eben verlief sich der letzte Rubin der Abendsonne auf Cölestinens Gesichte, schwebte noch einen Augenblick wie ein kleines Meteor auf ihrer Stirne, bis ihn das Auge trank. Cölestine hatte sich vom Kamine, in das sie bisher geblickt, abgewandt, und stand jetzt wie eine trauernde Niobe vor dem Grabe der Abendsonne.
    „Mutter, sieh' doch, wie sonderbar. Tantchen aussieht -- sie schaut gar nicht mehr so verrückt“, sagte Gertrud wiederholt zu ihrer Mutter und zupfte sie am Kleide.
    „Frau Gräfin“, flüsterte der Prinz Melanien ins Ohr, „Ihre Schwester muß einst ein wunderschönes Mädchen gewesen sein?“
    „Das ist eine sonderbare Frage, mein Prinz“, erwiderte Melanie frappiert.
    „So sehen Sie nur hin, meine Grafin!“

 

- 85 -

     „Mein Prinz, entschuldigen Sie -- das ist ein unheimliches Gerede !“
    „Aber Mutter, was ist denn mit Tantchen?“ rief Gertrud ziemlich laut dazwischen.
    „Sehen Sie, meine Gräfin, auch Fräulein Gertrude --“
    „Was, Fräulein Gertrude?“ unterbrach Melanie den Prinzen, „was haben Sie denn?“
    Mit Cölestine war in der That eine auffallende Veränderung vorgegangen. Wenn Sie früher immer gebückt ging und ihren Kopf aufdie eine Seite legte, so stand sie jetzt gerade mit erhobenem Haupte. Sie schien aufeinmalgrößer geworden zu sein, und ihre Hände ruhten sicher auf ihrem Busen. --
    War es die so unerwartete Erscheinung ihres Verführers, die sie so umwandelte in Stellung, Würde und Geberdenspiel? Oder sollten die leichten Schatten des Wahnsinns, die seit ihrer Entlassung aus der Irrenanstalt noch hie und da ihr Gehirn umzogen, auf Einmal gänzlich verscheucht sein? Sollte sie noch im hohen Alter mit lichtem Blicke in ihre gräßliche Vergangen heit zurücksehen mussen? Sollte die Matrone erst jetzt beweis nen, was sie als Mädchen nicht mehr im Stande war, da ihr damals der böse Dämon des Irreseins das Gehirn erdrückt hatte? Sollte die sechs und fünfzigjährige Cölestine die Gefühle des Mädchens noch in sich bergen? Sollte das blühende Herz der Jungfrau zwei und dreißig Jahre lang geschlummert haben, um eines Tages wieder zu einer vollen Schöne und Fülle erwachen zu können? Sollte der Busen der Matrone wieder zu wogen beginnen, nachdem er so viele, viele Jahre wie ein ver welktes Blätterpaar am dürren Stiele hing? Sollte Amor noch um die greifen Haare flattern, nachdem er so lange Zeit aus den üppigen Locken verbannt war? -
    Warum nicht? Saugt doch auch die Blume nur wenige Augenblicke vor ihrem Hinscheiden an den taumelnden Staub fäden eine ganze Welt voll Liebe! -- -- --
    Cölestine war nicht mehr wahnsinnig. Schon beim ersten Anblicke des Priesters sah sie mit fürchterlicher Klarheit in Ihre Jugend zurück. Nur tanzten hie und da noch auf den wild bewegten Wogen des Gedankenmeeres die verabschiedeten Geister der Nacht des Wahnsinns.
    Der Prinz, Melanie, der Graf,Hugo und Constanze sammelten im Stillen die Worte Cölestinens, wie sie an den Priester gerichtet waren.
    Aber nur der Prinz entzifferte richtig diese grauen

 

- 86 -

Hieroglyphen und glaubte die fürchterliche That des Abbé durchschaut zu haben. „Eine Wahnsinnige“, so dachte der Prinz bei sich, „spricht nicht so -- woher kannte Cölestine den Priester, da sich derselbe zum Erstenmal in der Familie gezeigt und nur der Graf ihn einmal gesehen hatte. Außer ihm und dem Grafen kannte ihn die ganze Familie nur vom Hörensagen.-- -- Dubreuil, Dubreuil, soll ich Dir wieder im Beichtstuhl zu Füßen fallen -- -- sagte sie das nicht? Und Dubreuil war in seinen Jugendjahren in Deutschland auf einer Mission begriffen, wie er mir selbst erzählt hat! -- Kennst Du nicht mehr das schöne Fräulein von Nesebeck? frug ihn nicht Tantchen so? -- Als sie noch schön, jung, angebetet war? -- -- das Scheusal von einem Priester hat sie im Beichtstuhle geschändet -- und deßhalb ist sie verrückt geworden! Nun tritt mir Alles klar vor Augen-zittre Teufel von einem Diener Gottes -- und das Nemliche willst Du an dem Engel von einem Mädchen, an der Tochter der Mistreß Evans -- dasselbe, Scheusal, willst Du an Miß Dudley Evans begehen? Also deshalb stehst Du so vertraut, also wieder deshalb bist DuBeichtvater geworden? --“
    So tobte es im Innern des Prinzen, als er all' die Worte Tantchens in seine Erinnerung zurückgeführt hatte und sein rascher Gedankengang im Nu die Lichtpunkte aus diesem Chaos sammelte.
    Er sah unverwandt auf Tantchen Cölestine.
    Wie verklärt strahlte ihr Antlitz, als sie sich vom Fenster abwandte und mit ihren Augen Melanien suchte. Dieselbe blieb im ersten Augenblicke stumm vor Erstaunen und Bewunderung. Auch Cölestine sprach erst kein Wort; aber ihre Augen entwickelten deutlicher, was die Lippen noch verschweigen mußten. Es waren nicht mehr die gedrückten Augen einer Matrone, sondern die Sterne eines jungen, hoffenden Mädchens. Ihr Gesicht war bleich; aber diese Bleiche hatte eine Reinheit und Durchsichtigkeit, die ihres Gleichen suchte.
[LSZ - 1854.03.26]
    Sie eilte auf Melanie, die ihr eben begegnen wollte, zu, und umarmte fie; dann that sie dasselbe der Reihe nach bei allen Gliedern der Familie.
    Man unterzog sich höchst betroffen dieser Zärtlichkeits Aeußerungen des Tantchens.
    Auch der Prinz sollte von ihr bedacht werden.
    Zaudernd stand sie einige Augenblicke vor ihm, dann ging sie zurück, trat auf ihn wieder zu-dann ergriff sie seine Hand und küßte sie. Mit einem langen Blicke betrachtete sie den

 

- 87 -

Prinzen, der seinerseits ganz verwirrt über diese außerordent liche Schönheit und den majestätischen Anstand Cölestinens, derselben mit einem leisen Handdruck ihr zärtliches Wohlwollen zurück gab.
    Hugo und Constanze getrauten sich kaum zu athmen -- so sehr waren auch sie von diesem erhabenen, feierlichen Momente ergriffen.
    Cölestinens Blicke richteten sich jetzt auf das Portrait Emil’s über dem Kamine,
    „Wie schön, wie schön!“ rief sie plötzlich begeistert aus, „das ist Dein Gott, Melanie! nicht wahr, Schwester?
    „Ja, meine liebe Schwester“, entgegnete dieselbe in wehmüthigem Tone, „es ist der Gott meines Herzens, der Sohn Melaniens -- aber was ist in Deiner Seele vorgegangen, Cölestine? wie hängt Dein Blick so trunken an jenem Bilde!“
    „Tantchen hat sich in Emil verliebt“, sagte Hugo zu Constanze, aber nicht mehr mit spöttischer, sondern theilnehmender Miene. -- -- „Wenn sie erst den wirklichen Emil gesehen hätte, Constanze?“
    „Ich weiß nicht, Bruder -- aber Du bist eben so schön -- Emil kam mir immer vor wie ein Mädchen oder eine junge Frau; ich lieb' das nicht, Bruder, wenn die Männer zu schön sind- sie haben dann gewöhnlich nicht viel Geist --“, antwortete Constanze.
    „Du magst wohl recht haben“, bejahte Hugo und legte seine Stirne in Falten, als wollte er damit nachdenkender scheinen und seiner Schwester zu gleicher Zeit einen Beweis für die Richtigkeit ihrer Bemerkung liefern.
    „Eitel bist Du doch, Hugo“ sagte Constanze, der das forcirte Mienenspiel ihres Bruders nicht entgangen war.
    „Eitel ist nicht meine geringste Tugend“, bemerkte derselbe trocken, „wenn ich nicht ein bischen eitel wäre, so wär' ich schon längst aller Civilisation baar.“
    „Ich habe neulich auf dem Markte einen Indianer gesehen, den Du doch keinen civilisierten Menschen nennen wirst, und er schien doch ziemlich eitel.“
    „Das ist durchaus kein passender Vergleich, Constanze -- übrigens verstehst Du das nicht.“
    Jetzt nahm das Benehmen Tantchen's zu wiederholtem Male ihre Aufmerksamkeit in Anspruch. Diese hing schluchzend

 

- 88 -

am Halse ihrer Stiefschwester und schien sie mit ihren Thränen fast zu ersticken.
    „Cölestine, meine liebe gute Schwester, was ist Dir schon wieder? -- Du blicktest doch vorher noch so freundlich und froh?“ frug Melanie.
    „Eben deßhalb, meine Schwester“, erwiederte Cölestine, in Einem fort schluchzend, „was war ich, Melanie, und was bin ich jetzt?“
    „Es ist doch eine fürchterliche Rache der Natur, den Wahnsinn zu brechen, damit der Verstand die Seele martern und quälen kann“, sagte leise zum Grafen der Prinz und sah demselben fragend in die Augen.
    „Ich kann hier nur staunen, königl. Hoheit, mag mir die Zukunft hierüber eine richtige Deutung geben“, sagte gedehnt der Graf und stellte sich mit verschränkten Armen etwas näher an Melanien und Cölestine.
    Gertrude wich nicht von der Seite des Prinzen. Hie und da sah sie zu ihm auf, als wollte sie ihn um etwas fragen.
    Amelie hatte sich ängstlich zwischen ihre Mutter und Tantchen Cölestine geschoben und versuchte sie mehrere Male aus einander zu bringen, da sie glaubte, Cölestine wolle ihrer Mutter etwas zu Leide thun. Da ihr dies nicht gelang, so fing auch sie zu weinen an. -- -- --
    Wo folgenschwere Ereignisse und unerwartete Zufälle so rasch auf Einander in die Peripherie eines vom Unglücke heimgesuchten Familienkreises hineinstürmen, möchte man gerne den Wunsch erfüllt sehen, die Feder in die Hand einer höheren Macht legen zu können, damit sie es selbst unternehme, ihre Schrecknisse und Schauder dem Papiere anzuvertrauen.
    Cölestine hing mit der ganzen Schwere ihres Körpers am Halle ihrer Schwester, die sich alle nur erdenkliche Mühe gab, sich noch aufrecht erhalten zu können. Das Antlitz Cölestinens war zurück gewandt auf das Bild über dem Kamine.
    Schön waren die Züge Cölestinens, so rein und bleich wie Alabaster -- aber auch so kalt.
    „Barmherziger Gott! Tantchen ist todt“, schrie Melanie entsetzt auf und suchte mit ihren Augen ihren Gatten.
    „Todt?“ schrieen. Alle fast zu gleicher Zeit, außer dem Prinzen, der gefaßt auf Melanie zuging, um sie aus der Umarmung der entseelten Schwester zu befreien.
    „Ich war darauf vorbereitet, es konnte ja nicht. Anders kommen -- diese plötzliche Verklärung ihres Antlitzes -- --

 

- 89 -

jenes Bild -- -- meine liebe Gräfin, es war nicht anders möglich,“ sagte der Prinz ruhig, mit einem Anflug von Feierlichkeit in der Betonung einer Worte.
    „Ihre Genesung war der Tod, mein Prinz“, entgegnete ihm Melanie mit zitternder Stimme.
    „Das erwachte Feuer mußte das Herz tödten -- es kam zu schnell.“ --
    Hugo, der auf den Wink seines Vaters zur Stube hinaus geeilt war, um nach einem Arzte zu gehen, hatte das Glück, gleich wenige Schritte vom Hause entfernt einem in die Hände zu laufen und kam jetzt mit demselben zur Thüre herein.
    „Nicht wahr, Tantchen ist nicht todt, Doktor? Nicht wahr, sie schläft nur?“ plauderte Amelie und kußte die Ent seelte auf die kühlen Lippen. Nach mehreren vergeblich angestellten Versuchen hielt ihr der Arzt endlich einen kleinen Spiegel vor den halbgeöffneten Mund und sagte:
    „Kein Athem trübt ihn mehr -- sie ist todt.“ --
    Das oberflächliche Verdikt des Coroners lautete: gestorben am Schlagflusse. -

*         *
*

    Der Prinz von Würtemberg blieb die ganze Nacht über bei der Familie und übernahm es, bei Tantchen zu wachen, der man, so gut es in der Schnelligkeit und mit dem vorhandenen Material möglich war, durch Uebereinanderlegen der Matratzen ein Paradebett hergerichtet hatte.
    Hugo ging noch in die Stadt und holte auf freundliches Ersuchen des Prinzen mehrere Leuchter sammt Wachskerzen, dann noch verschiedene andere Utensilien und Gegenstände,wie sie eben für die gegenwärtige Situation als nöthig erachtet wurden. Den Prinzen leitete bei diesen Vorkehrungen in der so ärmlichen Wohnung eine ganz eigenthümliche, aber richtige und von feinem Gefühlstacte zeugende Idee. Es wäre keine Schwierigkeit gewesen, die gräfliche Familie noch diese Nacht in eine passende und ihrem Stande angemessene Wohnung zu bringen -- da außer dem Bilde das ganze Meublement zuruckgelassen werden konnte -- der Prinz wußte aber, daß er bei einem zu voreiligen Entgegenkommen sicher auf eine Opposition der Ehegatten hätte rechnen dürfen, und außerdem noch die Stille und Weihe dieses Momentes durch eine unverdiente, glänzende Außenseite beeinträchtigt worden wäre.
    „Das hätten wir nicht geglaubt, Bruder, daß wir für ein Todtenbett das Moos von den Live Oaks herunternehmen

 

- 90 -

wurden -- -- das arme Tantchen, wie eilig und froh sie's herüberschleppte, um gleich mir und Dir ein gutes Bett zu bekommen“, sagte Constanze mit trauernder Miene zu Hugo, der zwei Koffer an einander geschoben hatte, um sich so für diese Nacht ein Lager zu bereiten. Sie selbst saß auf einem Bündel Wäsche und hatte ihren Kopf in die Arme ihres Bruders gelegt.
    „Ich könnte mir eine Ohrfeige geben“, bemerkte Hugo, „wenn ich daran denke, daß ich noch so wenige Augenblicke vor ihrem Tode so grob gegen sie gewesen bin -- doch Du weißt es ja, Constanze, daß es nicht so böse gemeint war.“
    Gertrude war mit ihrem Kopfe im Schooße des Prinzen, der mit dem Grafen und seiner Gattin neben dem improvisierten Paradebett saß, eingeschlafen, und neben ihr auf dem Boden, den Rücken an ihre vollen Beinchen gelehnt, athmete im leisen, sanften Schlummer die kleine Amelie, deren geröthete Augen lider bewiesen, daß sie der Schlaf beim Weinen um das todte, kalte Tantchen überrascht hatte. --
    Als die Sonne die dunkeln Moose auf den höchsten Gipfeln der Live Oaks röthete, verließ der Prinz auf einige Zeit das Haus an Washington Avenue, um für die Zukunft seiner Lieben blühende Kränze zu winden.

[LSZ - 1854.03.28]

Siebentes Capitel.

In der Hamburger Muehle.

    Für den Menschenkenner und Sittenmaler ist es von nicht geringem Interesse, dem Ursprunge solcher Namen nachzuspü ren, welche Orte führen, wo das Verbrechen und die Schande triumphieren, durch wohl geregelte Manöver und unerbittliche Strenge im Haushalt trotz der Argusaugen der Polizei ungehindert fortwuchern und selbst noch im hohen Flore stehen, wenn bereits die öffentliche Meinung ihren Richterspruch proclamirt hat.
    Die „Hamburger Mühle“ war früher ein Boardinghaus für Seeleute und hatte den Spanier Viala zum Besitzer. Viala selbst war bis zu seinem vier und fünfzigsten Jahre Seemann, brachte es jedoch während dieser ganzen Zeit eines Dienstes nicht weiter als bis zum Untersteuermann. Auf einer Fahrt von Marseille nach New-Orleans fiel er während eines heftigen Sturmes vom obersten Korb des Hauptmastes und zerschmetterte sich beide Arme, so wie den rechten Schenkel. Damals

 

- 91 -

zierte noch die stattliche Brig „Dolores“ unsern Wharf, deren Capitain, Antoine Du Ponteil, dem Untersteuermann Viala alle mögliche Hulfe angedeihen ließ, in so generöser Weise, daß er den für die See dienstuntauglich gewordenen Mann, nicht nur auf eigene Kosten einem geschickten Arzte übergab, sondern ihm auch zur Errichtung eines Boardinghauses in der dritten Municipalität verhalf. Da dem Unglücklichen beide Arme und das linke Bein abgenommen werden mußten, so traf auch diese Zuvorkommenheit mit seiner Erstenzfrage zusammen.
    Leider war der unglückliche Viala Einer von jenen gutmüthigen Saufbrüdern, die keinen Schluck allein zu sich nehmen können, sondern stets eine Gesellschaft der auserlesensten Art um sich haben müssen. Das hätte den ehemaligen Untersteuermann noch nicht in's Verderben gestürzt. Aber daß seine unzertrennlichen Zechbrüder so immense Löcher in den Taschen hatten, war ein Ruin. Seine mehr als gewöhnliche Neigung zu dem schönen Geschlechte half ihm nebenbei auch ein wenig seine Dobraen aus der Börse ziehen. Besonders war er wüthend auf Indianer Creolinnen verpicht und verfiel stets in einen gefährlichen Parorismus, wenn ihm gerade eine Caffe nicht erlaubte, die gerechten Ansprüche jener übermüthigen Bajaderen zu befriedigen. Als Viala bereits so weit herabge kommen war, daß er seine Candygläser, leeren Aleflaschen und Steinkrüge verkaufen mußte, wollte es sein Glück, daß er mit einer Hamburgerin bekannt wurde, die ihn bewog, ihr sein Boardinghaus sammt Einrichtung um einen mäßigen Preis zu überlassen.
    Einmal im Besitze dieser liebenswürdigen Dame -- die, nebenbei gesagt, durch ihre Liebenswürdigkeit einst ganz Hamburg auf die Beine brachte -- bekam das Seemanns-Boardinghaus ein ganz anderes Ansehen. Unter ihr erhielt „Seaman's Erchange“ den Namen „Hamburger Mühle“, und zwar auf folgende Weise: Eine Dame wie Frau V* -- wie sie sich nemlich nennen ließ -- mußte bald der Mittelpunkt aller Wünsche und Thorheiten des verliebten Rouéthums und vagabondiren den Verliebtseins werden. Die ungehobelten Söhne Neptun's waren in kurzer Zeit von dem Stutzerthum der dritten Municipalität verdrängt, das sich meistens aus Schwindlern jedweder Art, ohne Beschäftigung herumstreifenden Clerks, ungerathenen Söhnen vermögender Eltern und überhaupt reichen und nicht reichen Faulenzern par excellence, recrutierte. Obwohl Frau V*

 

- 92 -

die lose Conduite ihrer Gäste sehr gut kannte, so war sie doch nicht ungelegen darüber. Im Gegentheile hatte sie sehr bald eingesehen, daß ihr diese lockeren und leichtsinnigen Vögel eine anständige Leibrente verschafften. -- „Es geht halt nichts über unsere Hamburgerin“, flüsterten sich die hoch- und plattdeutschen Gentlemen zu, wenn sie Frau V* mit ihrem prickeln den Witze bewirthete. Da blieb „unser Hamburg“ das Morgen-Mittag- und Abendgebet und „Berg“, „Ahrens (Muller)“ „Locke am Zeughausmarkt“,„Aeltermann Haase's Crispinchen“ waren die Kügelchen am Rosenkranze, die man andächtig ableierte. Frau V* war eine der keckten, lebhaftesten und fameufesten Brünetten -- d.h. nicht mehr schön genug, um mit Erfolg auf dem neuen Jungfernstieg zu promenieren, aber befriedigend schön, um als Besitzerin eines Private-Boardinghauses gute Geschäfte zu machen. Zu dieser Zeit hieß die „Hamburger Mühle“ noch kurzweg „Private Boarding, Mrs. V* und hielt sich auch anfanglich ganz strict an die Normen und den Wirkungskreis eines solchen Institutes. Nur in Einem Punkte variierte sie von ihren übrigen Metiergenossinnen -- sie hatte memlich keine Tochter. Aus welchen Gründen, konnte bisher auch nicht im Entferntesten ermittelt werden. Dies hält uns jedoch nicht ab, des Ursprungs der Benennung „Hamburger Mühle“ Erwähnung zu thun, obwohl wir wissen, daß wir den echten New-Orleanser Schooßkindern hiemit nichts Neues sagen.
    Wie alle Hamburgerinnen, so hatte auch Frau V* oft die barockesten und originellsten Einfälle, und wenn sie ihre gute Laune gerade auf eine verfängliche Seite warf, so war sie unübertrefflich. So hatte die Eines Abends -- es war gegen das Ende Mardi Grass's -- ihren Boarders ein brillantes Souper servieren lassen, wobei auch nichts fehlte, was den Gaumen habitueller Schmarotzer und Gourmands auf die befriedigendste Weise zu kitzeln im Stande war.
    Ehe man sich niedersetzte, erbat sich Frau V* , nachdem sie vorher dreimal geschellt hatte, von ihren Gästen das Wort: „Sie werden gewiß schon die Bemerkung gemacht haben, meine Herren, daß auf Ihren Tellern Servietten liegen, die Sie von heute ab jeden Tag zur Souperzeit vorfinden werden. Entfalten Sie diese Servietten nicht so hastig, sondern theilen Sie behutsam die Enden auseinander und suchen Sie, ohne daß es von ihrem Nachbar bemerkt werden kann, nach einer rosarothen Schleife, die sich nur in Einer Serviette vorfinden wird. Wer

 

- 93 -

diese Schleife in seinem Besitze hat, soll sich genau nach dem unter derselben gehefteten Zettel richten.“
    Es vergingen drei Tage, ehe man diesem Geheimniß auf die Spur kam, das nur diejenigen zu deuten verstanden, die die Glücklichen waren, diese rosarothe Schleife in ihren Servietten zu entdecken.
    Am vierten Tage kam es endlich heraus. Schellte man zum Souper, so frug man sich jetzt gegenseitig mit geheimnißnißvoller Miene:
    „Wer von uns mag wohl die Schleife vorfinden, um heute Nacht mit unserer schönen Hamburgerin „zur Muhle“ zu gehen?“
    Das Private Boarding aber nannte man von dieser Zeit an: Hamburger Mühle, oder richtiger -- die Mühle der Hamburgerin. --
    So findet man es in den Annalen der alten Hamburger Mühle vom Jahre 1838 - 1842 verzeichnet.
    Nun traten bedeutende Aenderungen in diesem Etablissement ein, die es bereits zwei bis drei Jahre später kaum mehr in seinem früheren Colorite erkennen lassen. Frau V* , die rasche, kecke, vielbewährte Freundin und Gespielin, wurde nemlich acht Tage nach Beerdigung des Mardi Grass auf eine so schreckliche Weise von den Pocken heimgesucht, daß, als sie sich wieder das erste Mal unter ihren Gästen sehen ließ, man es nicht mehr für nöthig fand, ihr nur im Geringsten eine größere Aufmerksamkeit zu schenken, als sie gewöhnlicher Anstand und einmal hergebrachte conventionelle Manieren erforderten. Wenn das Gesicht einer Nonne von Pocken verzerrt wird, so hat dies nicht viel zu bedeuten, da es ja nicht verboten ist, mit Pocken besät sich unter die Cherubim und Seraphim zu mengen; aber wenn das Cupidoantlitz eines weiblichen Roué durch irgend eine Krankheit, z.B. Pocken, verunstaltet wird, so bleibt nichts anderes übrig, als die noch übrige Zeit seines Lebens einen soliden und anständigen Wandel zu führen. Denn was die Schönheit kleidet, kleidet nicht auch die Häßlichkeit. Wenn es der schönen Frau V* allerliebst stand, ein bischen liederlich und fidel zu sein, -- natürlich von dem Standpunkte aus beurtheilt, aufdem sie fußte -- so war die durch Pocken entstellte sicher nicht beneidenswerth, wenn sie es hätte wagen sollen, noch weiters zu prätendieren, von der Männerwelt auf den Händen getragen zu werden. Frau V* wußte, was sie

 

- 94 -

nun zu thun hatte; denn sie besaß Geist, d.h. sie war ein Hamburgerin.
    Sie verließ die Hamburger Mühle, in der die Nachtfeier der Venus so oft über die Bretter ging, sah sich nach einem halben Dutzend der grünsten, saftigsten Backfischchen um und nannte sich von jetzt an Putzmacherin Boncoeur.
[LSZ - 1854.03.29]
    Da sie ihres außergewöhnlichen Rufes halber nicht für passend fand, sich unter die Noblesse ihres neuen Erwerbszwei des zu begeben, so zog sie mit ihrem Regimente Backfischchen, die sämmtlich eine nicht unbedeutende Nadelfertigkeit besaßen, nach jenem Straßen -- Diagramm, das ge'n Westen von der Residence der Negresse Parafina Abigail Brulard seinen Schlagschatten erhält.
    Da aber das neu etablierte Putzmachergeschäft trotz des verführerischen Aushängeschildes „Boncoeur“ (was soviel heißt, als „herzensgute Seele“) nicht recht in Flor kommen wollte, so nahm man das, Millinery und Dreßmaker“ weg und nagelte an die Stelle des frühern glänzenden Schildes ein einfaches Brettchen, worauf man geschrieben hatte: „Ironing und Washing“. Das reussierte. Nach Verlauf von vierzehn Tagen konnte man von Neuem das fruhere von mehr Wohlstand zeugende Schild substituieren.
    Doch kehren wir jetzt wieder in die Hamburger Mühle zurück.--
    War die Hamburger Mühle unter der Aegide von Frau V* , alias Bonceur, nur ein unschuldiges liederliches Nest, das Niemand anderm etwas zu Leide that, als sich selbst, so wurde sie unter ihrer Nachfolgerin, der freien Zambo-Negresse *)
____________________


*) Zambo Negro entsteht aus der Vermischung eines Negers mit einer Mulattin. Ein weiblicher Zambo Negro ist das non plus ultra einer rasenden, unersättlichen Sinnenunflätherei. Bei der Kreuzung des farbigen Blutes kann man den weiblichen Zambo Negro cum emphasi „mannstoll“ nennen. Die übrigen Schattierungen ponderieren in ihrem mehr oder minder hohen Grad von Sensibilität, nach der Reihenfolge: Zambo, durch Befruchtung einer Indianerin durch einen Neger; Mulatie. Kind eines Weißen und einer Negerin; dunkler Mulatte, Kind eines Negers und einer Mestize; Mestize, Kind eines Weißen und einer Indianerin (auch in verfärbter Quinteronen Befruchtung -- sonst bleicher Mestize); Chino, Kind eines Indianers und einer Negerin; Copperchino: durch verfärbte Befruchtung des Hauptstamms; Quadrone, Kind eines Weißen und einer Mulattin; 3ambo-Chino, Kind eines Negers und einer Chino; Pale-Chino-Zamba, widernatürliche Verfärbung der vorherrschenden Schattierung; Creole (in farbiger Specialität), Kind eines Weißen mit einer Metize; schwarzer Mulatte, Kind eines Negers und einer Quinterone; dunkler Chino, entsteht durch Befruchtung einer Mulattin durch einen Indianer (gute Race); dunkler Zamba, Kind einer Mulattin und einer Zamba; Chino Chola, Kind eines Indianers und eines Chino; Pale-Chino-Zambo-Chola, verfärbte Ereirung mit scheußlicher Genus-Verwechslung (erbärmliche Race). --

 

- 95 -

Heloise Merlina Dufresne, eine Höhle der scheußlichsten Laster und Verbrechen. Brandstifter, Mörder, Diebe tranken hier Brüderschaft mit den verworfensten Geschöpfen der farbigen Race, von derem weiblichen Theile Merlina ihre beste Einnahme zog. Finster und stumm saß hier der Sohn der Civilisation, der weiße Mann, wenn er aus der tödtenden Umarmung der Chino-Zamba's an die Bare geflohen war, um hier zu vergessen, was ihn noch kurz vorher ein schäumender Sinnenrausch nicht vergessen ließ. Außer einem freien Neger aus einem der Neuengland Staaten, duldete Merlina keinen zweiten schwarzen Mann in der Mühle. Sie that dies theils aus Rücksicht für die Caukasier, theils auch -- und dies war wohl das vorherrschende Motiv -- um den sonst unvermeidlichen Conflict der erhitzten Bestialitäten zu verhindern. Merlina hatte -- wie die Zambo Negressen meistentheils -- eine kurze Taille und einen sehr langen Unterkörper. Dabei war sie hoch aufgeschossen und ihr runder, fester Kopf mit einer breiten Tigerstirne bewegte sich lebhaft und lauernd aufdem kurzen, vollen Halle. Ihr in halber Kreuzung gekraustes Haar trug sie um den Kopf herum gegen den Wirbel zu angekämmt, und machte die Nachttoilette, so warf sie sich ein schneeweißes Häubchen um, das ihr dunkel zimmtfarbenes Gesicht bis an die Schläfe freiließ, jedoch auf beiden Seiten dasselbe, wie in einen weißen Rahmen einschloß. Ihre gewöhnliche Bekleidung bestand aus einem bis auf den Boden fallenden, taillelosen Kleide, dessen Nackenausschnitt den ersten Anflug der Cupidofalte des Busens deutlich erblicken ließ. Das Kleid lockerte sich in so weit, als eine mittlere Nonchalance bei einer Zambo Negresse zu beanspruchen das Recht hat. Merlina war übrigens nicht mehr sehr jung, obwohl sie erst sechszehn Jahre zählte. Denn dieser Typus floriert nur zwischen dem siebenten und eilften Jahre. Eine Zambo Negresse mit achtzehn Jahre fängt schon an zu verwelken und die glänzenden, weißen Zähne erhalten bereits mit dem Beginne der Zwanziger jene dunkelblaue Färbung, die ein sicherer Vorbote der dahin sinkenden Carnationsfrische ist. Merlina war schon sechszehn Jahre alt! Ein Schauer überläuft den weißen Mann bei diesem Ausrufungs zeichen und er versinkt in abmattendes Grübeln und Tändeln. Stellt eine achtjährige Zambonegresse neben eine Pompadour und Dubarry und Ihr werdet den Unterschied kennen lernen. Bringt ein Zamba Mädchen zum Weinen und Ihr werdet erfahren, was Thränen sind; bringt sie zum Lachen und Ihr

 

- 96 -

werdet höflicht einräumen, daß Ihr bisher noch nicht einmal gewußt habt, was Lachen ist. Erregt ihre Eifersucht und Ihr werdet gestehen müssen, daß das Weib mit den Tigern und Panthern in eine Cathegorie fällt, ja dieselben in manchen Fällen sogar noch übertrifft. Kneipt mit einer Zamba und Ihr werdet Gott Bacchus in seiner Majestät und Herrlichkeit schauen. Laßt Euch von ihr einen Dolch in die Hand drücken und Ihr werdet besser, als Garrick und Iffland. Laßt Euch von ihr die Nägel schneiden und Ihr werdet das magnetische Fluidum bis auf den Grund erforschen. Merlina war schon sechszehn Jahre alt! Und Du, Bleichgesicht, bist erst dreißig oder vierzig Jahre alt! Es ist ein Geheimniß der Chemie, das weder Liebig noch Boussinggault enthullen. Ihre Molekülenweisheit nützt hier Nichts. --
    Unter Merlina's Regimente erhielt die Hamburger Mühle eine von der früheren durchaus verschiedene Einrichtung. Die beiden Austernshops, zwischen denen sie bisher wie eingeklemmt stand, wurden nun zur Mühle geschlagen, die dadurch nicht nur an Räumlichkeit, sondern -- was hier vom Standpunkte dieser Wirthschaft aus noch mehr hervorzuheben war -- auchaußerordentlich an Sicherheit gewann. Zudem hatte der eine Austernshop, in Verbindung mit den hintern Gebäulichkeiten -- dem Coffeeroom und dem geräumigen Bowlingsaloon des Italieners Lombardi, wie sie früher die Rear Erhebung der Mühle deckten und begrenzten, einen selten so anzutreffenden Hinterhalt in Aussicht gestellt, der, sobald man sich gegen den Zugang der nach der hintern Straße laufenden Alley gedeckt hielt, in gefährlichen Momenten, wie bei etwaigem Zusammenstoß mit der Polizei, von bedeutender Wichtigkeit war. Nahm die Front Elevation der Hamburger Mühle an Levee früher nur dreißig Fuß in Anspruch, so hatte sie jetzt durch Besitz nahme der genannten Austernshops um das Dreifache gewonnen. Ebenso ließen die Proportionen der Tiefe die frühere Beengtheit vergessen. -- Merlina hatte an tausend Dollars auf die schickliche Verschmelzung dieser neu gewonnenen Parcellen zu. Einem Ganzen verwandt, so wie sie an achthundert für anderweitige Improvements zu verausgaben hatte. Der Italiener Lombardi, der seit dem Abgeben eines Austernshops an Merlina ausschließend für ihr Interesse handelte und wirkte, hatte in dem Theile der Mühle, wo sich früher das Dining Room der Boardinggäste der Hamburgerin befand, zum Scheine einen miserablen Fruchtstore eröffnet, wo man außer den

 

- 97 -

gewöhnlichen Obstsorten noch Cigarren von den schlechtesten Brands, Thonpfeifen, Kautaback von der niederträchtigsten Qualität, Fire Crackers, u.s.w. feilbot, auch Soda und Mead pumpte. Für Herumtreicher und Tagediebe waren zur rechten Seite des Fruchtstores kleine Piecen angebracht, wie man sie fonst gewöhnlich nur in Austernshops des dritten Ranges vorsindet. Die Thüre zum eigentlichen Sanctum der Hamburger Mühlen-Wirthschaft war durch ein sechs Fuß hohes Gestell verdeckt, auf defen Kränzen die Fruchtkörbe, Rosinenboren und runden Feigenschachteln standen. Vor diesem Gestelle stand der Counter, aus dessen Platte sich die Soda- und Mead-Pumpe erhob, deren bleierne Röhren durch seltenen Gebrauch das Getränk in halbvergiftetem Zustande in die ausgetrockneten Kehlen der Matrosen und Levee-Arbeiter führte. An der Nachlässigkeit, mit der das Frucht- und Schenkgeschäft von Lombardi betrieben wurde, hätte ein aufmerksamer Beobachter sehr leicht erkennen können, daß es in der Mühle nicht mit rechten Dingen zugehe. Lombardi, obwohl er kaum erst fünf und dreißig Jahre zählte, war ein durch und durch ruiniertes Subject, von verdorbenem und verpestetem Habitus, ekelhaft triefenden Augen und einer in's Bodenlose gehenden Unreinlichkeit. Schon in seinem zwanzigsten Jahre mußte er wegen eines gravierenden Verbrechens nach Baton Rouge in's Staatsgefängniß wandern. Zu einem lebenslänglichen Aufenthalt daselbst verurtheilt, wurde er jedoch nach acht Jahren vom Gouverneur begnadigt. Zwei Jahre trieb er sich, seine Existenz durch unredlichen Erwerb fristend, in New-Orleans und Um gebung herum, bis ihn der Zufall einmal auf ein Einwandererschiff führte, wo er ein deutsches Landmädchen kennen lernte, deren Eltern auf der See gestorben waren und ihr keine unbeträchtliche Summe baaren Geldes hinterlassen hatten. Seiner wenn auch mangelhaften Kenntniß der deutschen Sprache hatte er es zu verdanken, daß er mit dem unerfahrenen Mädchen in kurzer Zeit so innig betraut wurde, daß sie ihm gegen sein Versprechen, sie zu heirathen, vertrauensvoll all' ihr Geld anbot, mit dem er sich in den Besitz jenes Austernshops setzte, den er, wie wir bereits gesehen haben, an Merlina abgegeben hatte. Nachdem er das arme Mädchen, dem er während der ganzen Zeit kaum das Gnadenbrod zukommen ließ, ein volles Jahr mit leeren Versprechungen hingehalten und vertröstet hatte, starb es plötzlich -- wie er selbst aussagte: am Klimafieber. Die ihn aber näher kennen gelernt hatten, dachten etwas ganz

 

- 98 -

Anderes. Da man aber keine Belege seines Mißtrauens in Händen hatte, so mußte man schweigen. Zudem war Lombardi als notorisches mauvais Sujet zu sehr gefürchtet, als daß man es hätte wagen sollen, mit einer Anklage vor das Forum der Oeffentlichkeit zu treten. Man wußte, daß der häßliche, schmutzige Italiener trotz seiner scheinbaren Zurückgezogenheit mit den gewandtesten Schurken der Stadt in Verbindung stehe und daß er an ihnen einen Anhalt habe, den bloße Vermuthungen und unbegründete Ausfälle nicht im geringsten zu erschüttern im Stande waren. Man wohnte in seiner Nachbarschaft, man kannte ihn, man hielt ihn sogar für den Mörder des deutschen Mädchens, man traute ihm die größten Schändlichkeiten zu -- ja selbst der Captain of the Guard sagte einmal zu ihm, als er eben einen Fruchtstore schließen wollte: „Nehmt Euch in Acht, Lombardi, man weiß es, daß Euer Fruchtstore nicht die einzige Erwerbsquelle ist -- meine Leute sehen Euch genau auf die Finger!“ -- und dennoch wiegte sich der Italiener in übermüthiger Sicherheit. „Bleibt mir mit Euren Leuten vom Halle, Captain,“ erwiederte er demselben damals trotzig, „wenn sie nicht so gerne zu mir hereinschlichen und meinen Cognac tränken, würde ich mich wohl in Acht zu nehmen haben, adio Captain!“ -- „Ja, wartet -- Ihr bringt den Vogel nicht mehr in Euren Käfig nach Baton Rouge -- es müßte mir denn Einer oder der Andere Gesellschaft leisten“, brummte er dann für sich hin, als er dem Captain die Thüre vor der Nase zugeschlagen hatte. --
[LSZ - 1854.03.30]
    Dem Fruchtstore des Italieners Lombardi zur Linken bemerkte man an einem der äußersten Thürpfosten ein halb abgerissenes Stück schwarzen Bleches, auf dem ziemlich deutlich die Worte zu lesen waren: „Furnished rooms to let.“ Unter diesem Blechschilde war ein Papierstreifen angeheftet, auf dem das Nemliche in französischer Sprache stand. Nur war dem „Chambres garnies a louer“ noch beigefügt: „pour garçons“ -- Dieser Theil des Hauses gehörte ebenfalls zur Hamburger Mühle. Nur war die Sorge des Vermiethens scheinbar einer im guten Rufe stehenden Person übergeben. Die Miethsleute selbst -- mit nur wenigen Ausnahmen -- wußten es nicht, daß sie unter der Aegide Merlina's standen und ihnen beständig das Schwert des Damokles, über dem Haupte hing.
    Der eigentliche Aufenthaltsort der Bande Merlina's und ihres Helfershelfers Lombardi war von dem vermietheten

 

- 99 -

Hause und dem Fruchtstore in die Mitte genommen und somit so gelegen, daß es einer sehr genauen Ortskenntniß dieser Wohnlichkeiten bedurfte, um sich nur halbwegs orientieren zu können. Die an dem ehemaligen Austernshop des Italieners hinlaufende Alley führte nur in die hintern Räume der Mühle, welche in sofern mit dem Centrum derselben in Verbindung standen, als man sich von hier aus die AYard entlang bis an die Hinterthüre des Fruchtstores begab, die äußere Bekleidung der doppelten Thüre vermittelt eines leisen Druckes an einer Feder in die Höhe hob und so in den eigentlichen Hamburger Salon hinaufstieg.
    Zur rechten Seite des „Salons“ führte eine Tapetenthüre in zwei kleinere Zimmer, die nur durch eine leichte, kaum zwei Fuß hohe Tapetenbarrière getrennt waren. Hier schlief in ziemlich anständigen Betten mit schwefelgelben Musquitovorhängen, das weibliche Personal der Zambo Negresse. Die Mitte dieser Schlafzimmer hielt ein einfacher Verschlag, in dem die Aufseherin des untergeordneten Personals ihr Nachtlager hatte. Von diesem Verschlage aus konnte man das Geringste, was hier vorfiel, genau bemerken. Zur Aufseherin hatte Merlina eine Pale-Chino-Zamba-Chola gewählt, weil diese Schattirung wegen vollkommener Absence menschlicher Faiblessen die strengste Controlle bei einer etwaigen Verletzung des Schicklichkeitsgefühles handhabt. Wollte Merlina zu ihren Piegen gelangen, so mußte sie durch diese Schlafzimmer gehen, die die ganze Nacht von drei Camphine Lampen erhellt waren.
    Dem Salon zur linken Seite war ein Cabinettchen angebracht, das rechts in die Küche und Holzkammer und von da weiter ab in divergierender Richtung, mit ihrer Thüre an einem schmalen verdeckten Gange, in vier größere Cabinette führte, die mit 97, 98, 99 und 100 nummeriert und, jedes für sich selbst, abgeschlossen waren. Dieselben würden ihre Aussicht auf die Levee eröffnet haben, wenn man die festgeschlossenen Fensterladen aufgemacht hätte. Seit hier Merlina eingezogen war, kam dies jedoch nie vor.--
    Der Salon der Mühle, den die eben beschriebenen Oertlichkeiten einrahmen, war der eigentliche Sammelplatz der Gäste Merlina's. Obwohl es für keinen Uneingeweihten mögelich gewesen wäre, hieher zu gelangen, so durfte man doch erst, wenn man durch die doppelte Thüre geschlüpft war, hier eintreten, nachdem man auf das „wer da?“ die Parole: „Tod oder Merlina!“ abgegeben hatte. Dabei mußte der

 

- 100 -

Eintretende mit den Knöcheln der linken Hand zweimal an seinen Hinterkopf pochen und von Merlina eine kleine Karte *) entgegennehmen. Diese Karte hatte einen schmalen, rothen Rand, der eine einfache Linie schien, in der That aber aus unzähligen Herzen bestand, von denen jedes kaum den zwanzigsten Theil von der Größe eines mäßigen Stecknadelknopfes hatte. Ganz dicht an diesem Rande waren in jeder Ecke die Anfangsbuchstaben des Loosungswortes zu sehen. In die Mitte war der Namenszug Merlina's gestochen, in den ebenfalls die Initialen der Parole in rother Farbe meisterhaft verschlungen waren. Diese Karte mußte wieder zurückgegeben werden, wenn der Gast sich entfernte. Er durfte sie nur behalten, wenn er ein Clubbist von Nr.99 und 100 war. -- Die Wände des Salons waren mit vier, an acht Fuß hohen Spiegeln geschmückt, deren stark vergoldete und zierlich durchbrochene Rahmen mit dichtem, schwarzem Flore behängt waren, wahrscheinlich um ihren Glanz durch den Tabacksqualm nicht trüben zu lassen.
    Rings herum an den Wänden waren Tischchen angebracht mit entsprechenden bequemen Lehnstühlen. In der Mitte stand ein großer, runder Tisch mit weißer Marmorplatte, der gewöhnlich nur dann besetzt war, wenn man Domino à la poudre spielte. Das Kartenspiel war von hier gänzlich verbannt. Merlina hatte zwar die erste Zeit seit Eröffnung ihres neuen Etablissements selbst gerne mitgespielt, aber da es während des Spieles häufig zu rohen Excessen kam, hatte sie sich es verbeten. Bei Domino à la poudre hingegen blieb Alles im ruhigen Geleise. Höchstens, daß eine momentane Aufwallung die Andacht der Spieler störte.
    So stand es mit den obern Parthien der Mühle. Bälle wurden hier nicht arrangiert. Nur ließ Merlina regelmäßig während der Faschingszeit den Fruchtstore Lombardi's ausräumen und gab Pickenicks und sogenannte Kuhschwänze, wobei Jedem der Eintritt unentgeldlich gestattet war. Diese Gastfreundschaft wurde jedoch durch doppelte Kreide bei Verabreichung der Getränke wieder in Schatten gestellt. Ebenso war

_____________________
*)) Man wird sich noch erinnern, daß im Jahre 1851, (wo das Volk die Cigarrenläden der Spanier zertrümmerte), in der Office der spanischen „La Patria“, die die Cuba Affaire in ein so trauriges Derangement versetzte, Karten von der eben beschriebenen Art hinter einem zerbrochenen Setzkasten aufgefunden wurden, die man als einem royalistischen Club angehörig betrachtete. Sie stammten von einem Setzer der Patria, der zu gleicher Zeit auch Graveur war und sie einer Mittelsperson für Merlina ablieferte. --

 

- 101 -

das Barroom, welches Merlina einige Monate später neben dem Fruchtstore eröffnete, Jedem zugängig. Dieses Barroom sollte die Augen des Publikums von ihrem eigentlichen Treiben und Schaffen abrichten. Sie übergab es einem alten Irländer zur Besorgung, der wieder einen jungen deutschen Mann hinter die Bare stellte und sich den ganzen Tag nicht darum bekümmerte - denn das alte unverbesserliche Kind des heiligen Patrick lag stets voll und toll mit den Füßen auf dem Tische ineinem Lehnstuhl, fluchte und bramarbisierte mit den Vorüber, gehenden oder spuckte ihnen zum Zeitvertreib seinen Kautaback auf den Rücken. Wenn er dann wieder einmal nüchtern war, so ging er hinter die Bare, schob die Schublade heraus und zählte die eingegangenen Gelder. Schien ihm die Einnahme zu gering, so fluchte er auf den armen Barkeeper, daß demselben ganz angst und bange wurde und drohte ihm, ihn nächstens wegzujagen. Als sich aber diese unfläthige Kassavisitation zu oft wiederholte, so entschädigte sich der maltraitierte Barkeeper dadurch, daß er seinem Alten regelmäßig ein paar Dollars von seiner Einnahmeentzog. „Das versoffene Schwein“, dachte er bei sich, „schimpft doch jedesmal, wenn es nachsieht und ist auch nie zufrieden, wenn es gleich weiß, daß nicht mehr eingegangen sein kann -- wenn es jetzt wieder grunzt, so werde ich doch mit Recht angegrunzt -ich sehe gar nicht ein, daß ich mich, so mir nichts dir nichts, herumschimpfen lassen soll.“ --
    Dieses Barroom mit den über demselben gelegenen meublirten Zimmern wurde von den in die Verhältnisse Merlina's Uneingeweihten die Hamburger Mühle genannt, eine Benennung, die in sofern seine Richtigkeit hat, als das Barroom und die genannten Zimmer einen Theil der berüchtigten Mühle bildeten.-- --
    Fast um die nemliche Zeit, als man in dem kleinen Hause an Washington Avenue am Todtenbette der unglücklichen Cölestine wachte und sich liebevoll und tröstend entgegenkam, saß an einem der Seitentischchen in dem großen Salon der Hamburger Mühle, ein Mann in den mittleren Jahren, der sich ruhig und ohne nur im Geringsten eine Miene zu verziehen, eben eine bedeutende Wunde an seinem Fuße verbunden hatte. Er stützte sich jetzt mit seinem linken Arm auf den Tisch, indem er seine Wange in die hohle Hand drückte. Sein von langen, pechschwarzen Haaren umfluthetes Gesicht war von dem intensiven Lichte der Camphine Lampen in eine wahre Marmorbüste ver wandelt, die nur durch die dunkle Farbe der Kopf- und

 

- 102 -

Barthaare, so wie durch die großen, in weiten Bogen geöffneten Augen einen lebenden Contrast empfing. Rock und Weste hatte er ausgezogen und auch das leichte Halstuch aufgeknüpft und bei Seite gelegt. Sein langer, jedoch voller Hals, sowie die stark mit Haaren bewachsene Brust waren eben so bleich, wie sein Gesicht. Eben war er im Begriffe aufzustehen, um sich eine Cigarre anzuzünden, als er Jemanden die verborgene Treppe heraufsteigen hörte. Er ließ seine Hand, in der er die Cigarre hielt, sinken und rief in kurzem, aber schrillem Tone: „Wer da?“ -- „Tod und Merlina!“ antwortete eine ängstliche Stimme, die von einem Manne von mittelmäßiger Größen kam, der in den Salon trat.
    „Hölle und Teufel, Gabor! Tod oder Merlina! Wenn Du Dich noch einmal verspricht, breche ich Dir das Genick!
    „Sei ruhig, Lajos, ich bitte Dich; es soll mir nicht wieder passieren“, entgegnete schüchtern der Angekommene.
    „Ruhig, Gabor? Wegen eines solchen Hundes wird man nicht unruhig -- ich sage Dir's nur, damit Du Dir"s in Zukunft merkt, wenn Dir Merlina überhaupt noch gestattet, uns weiter zu besuchen.“
    „Wie so, Lajos? Du hast mich doch nicht bei ihr ver schwätzt?“
    „Maul halten, Gabor!“
    „Ja, ja doch, Lajos -- gieb mir die Karte.“
    „Braucht keine.“
    „Warum nicht, Lajos?“
    „Wirst gleich seh'n!“
    Gabor trat jetzt einige Schritte zurück und neigte sich fast bis auf den Boden.
[LSZ - 1854.03.31]
    Merlina, die immer gleich nach Lösung der Parole in den Salon trat, um ihre Karte zu übergeben, war eben erschienen. Wie gewöhnlich,trug sie auch heute ihr langes, tailloses Kleid von blendender Weiße und hatte ihre kohlschwarzen langwolligen Haare mit einer goldenen Klaue gegen die Mitte ihres breiten Kopfes aufwärts gekämmt. Ihre feste, vorspringende Stirn lag grollend, wie die einer gereizten Tigerkatze, über ihre Augen, die Lajos in dämonischer Schwärmerei einen „lieben bösen Blick“ nannte. Ihren sonst rein zimmerfarbenen Teint hatte die Aufregung dunkelviolett gefärbt, einCarnationswechsel, der sich sogar der Stirne und ihrem ganzen Halle bis herab auf den losen Busen mitgetheilt hatte. Ihre lauernden Augen sprühten wie eine Feuergarbe, die nach allen Seiten hin Funken

 

- 103 -

und Sterne fliegen und sinken läßt. Trotz ihrer thierschen Gesichtsformation war dieser weibliche Zambo-Negro schön zu nennen. Nicht nur das Ebenmaß des Gliederbaues und die reine Harmonie der Gesichtszüge, sondern auch die ungestüme Bestialität, die aus den Augen eines Raubthiers flammt, ist schön -- wenn auch thierisch schön, wenn auch teuf lisch schön! Sogar dem kalten, gefühllosen Lajos bebten die Füße, wenn sie sich auf einen Schooß niederließ, um ihm den üppigen Wald von Haaren aus der Stirne zu streichen. Lajos war der Einzige, dessen Wünschen und Befehlen sie sich fügte. Sie war die Vertraute seiner geheimsten Gedanken geworden; ohne ihn wurde kein Plan ausgeführt, kein Verbrechen in Angriff genommen, kurz -- er war das Faktotum der Hamburger Mühle. Und wie nahm sich Merlina vor dem Ungarn in Acht! Sie setzte sich ihm zwar auf den Schooß, kämmte und strich seine Haare; aber wenn sie nur die geringste Fibration bemerkte, so sprang sie auf und war mit Einem Satze aus dem Salon und schloß sich in ihre Piegen ein. Sie wußte, daß, wenn Lajos von ihr eine Begünstigung erstritte, derselbe sie verließ und nicht anstehen würde, den Dolch in ein Herz zu stoßen, an dem er sich in manchen Momenten einen flüchtigen Wärmeleiter geträumt hatte.
    Sie wandte sich jetzt in französischer Sprache an Gabor, der vor ihren Tigerblicken seine Augen niederschlug:
    „Mein Herr, Sie werden heute keine Karte erhalten, da Sie in der Mühle überflüssig geworden sind. Wir können uns auf Sie nicht verlassen -- Sie sind zwar bereit, in jedes Unternehmen einzugehen, aber Sie sind zu feige, um es auszuführen und verlassen Ihre Freunde, wo es darauf ankommt, Sie zu beschützen oder Ihnen doch wenigstens hilfreich an die Hand zu gehen. Lassen Sie sich nie mehr in der Mühle blicken und hüten Sie sich, den Spion oder gar den Angeber zu machen.“
    „Das wird Gabor wohl bleiben lassen,“ fiel ihr Lajos in die Rede, „er weiß, daß ich ihn kalt machen würde -- Tod oder Merlina“
    Gabor zitterte bei diesen Worten wie Espenlaub.
    Lajos trat näher auf ihn zu, stülpte seine Hose an einem Beine bis über's Knie herauf und sagte zu ihm, indem er auf eine große Brandwunde zeigte, deren Verband er abgenommen hatte, in sarkastischem Tone:
    „Da, sieh' her, Hund,das habe ich beim Brande in Juliastreet

 

- 104 -

davongetragen, weil Du schon davon lieft, noch ehe die Feuerspritzen angerasselt kamen; sieh' her, Hund -- ich mußte nun selbst suchen und wäre bei dieser Gelegenheit bald in den Flammen umgekommen -- Tod oder Merlina -- kennst Du die Parole? -- verstehst Du ihre Deutung? Merlina für Tapferkeit und unerschrockenes Benehmen -- und Tod? Tod für die Hunde, die ihren Herrn untreu werden. -- Nun, mein ungetreuer Hund, verstehst Du jetzt die Parole? -- --“
    „Du willst mich doch nicht umbringen, Lajos-- so 'nen armen Menschen, der nicht weiß, wo er Abends seinen Kopf hinlegen soll- ich will gewiß in Zukunft folgen und ein gutes Hündchen sein“, schweifwedelte und bat Gabor, der sich in Gedanken über alle Berge wünschte.
    „Aus der Mühle, Hund!“ donnerte ihm Lajos entgegen, mit einem Blicke, der den Erschrockenen eilig sich zu entfernen hieß.
    Als Gabor die Stufen hinabpolterte, streifte er an einen alten Mann vorbei, den er jedoch vor lauter Eile nicht zu bemerken schien.
    Aus dem Salon ertönte die schrille Stimme Lajos's:
    „Wer da?“
    „Tod oder Merlina!“ hüstelte der eben Eintretende, ging auf Merlina und Lajos zu und drückte denselben die Hände.
    „War das nicht Gabor, der so eilig hinabrannte? ' hat wohl vollauf zu thun?“
    „Zu thun gehabt“, antwortete Lajos, „und die Zukunft wird es zeigen, ob wir es mit ihm noch einmal zu thun haben.“
    „Wenn er den Denuncianten machen sollte“, sagte Mer lina und setzte sich an den großen runden Tisch mit der weißen Marmorplatte.
    „Wie so?“ frug der eben Eingetretene - „hat Gabor vielleicht einen Spitzbubenstreich gemacht? -- "würde mich durchaus nicht wundern; ich habe dem Burschen schon gleich anfänglich nicht viel zugetraut.“
    „Den Spitzbubenstreich hat er eben nicht gemacht“, erwiederte Lajos, „deßhalb haben wir ihn jetzt abgefertigt; aber einen Schurkenstreich spielte mir der Hund.“
    „Welchen?“ frug der Andere gespannt.
    „Er hat mich beim Brande im Stich gelassen.“
    „Und Sie haben das Haus also umsonst angesteckt?“
    „Das nicht -- das Geld hat Merlina -- aber ein böses

 

- 105 -

habe ich bei dieser Affaire davongetragen,“ antwortete Lajos.
    „Wie damals?“ sagte der Andere.
    „Sie meinen, wie damals vor einem halben Jahre, wo ich der Frau mit dem großen Bilde auf den Armen die fünfzehn tausend Dollars abnahm? -- Nun, damals war ich selbst Schuld daran. Diese dumme, alte Wunde schmerzt mich noch mehr, als die heut' erlittene, besonders wenn sich das Wetter ändert.“
    „Sie sind doch ein wahrer Unglücksvogel und vom Himmel auserlesen, für die sündhafte Menschheit Ihr Blut zu vergießen, armes, armes Lamm Gottes! Doch der Herr wird seine Kinder in Gnaden aufnehmen, wenn einst die Stunde der Vergeltung kommt -- und Sie, Lajos, werden zum Allerwenigsten mit einer Seraphim-Krone beschenkt werden -- zwei Brandwunden, an jedem Bein eine, eine ungeheure Narbe an der Wange -- ha, ha! das sind lauter schöne Kainszeichen -- -- Kain, Kain! Lajos, Lajos! Wo ist Dein Bruder Abel? Das Blut Deines erschlagenen Bruders schreit um Rache zu mir empor! -- -- ha, ha, ha!“
    „Kain? Ja! Wie man es nehmen will -- es kommt zuletzt doch nicht darauf an, ob man den Bruder oder einen Schacherjuden erschlägt“, erwiederte im bitterkalten Tone Lajos und zündete sich an einer der Camphine Lampen, mit sicherer Hand den Cylinder aufhebend, seine Cigarre an.
    „Das Rauchen macht den Kopf schwer und reizt zur Sünde an,“ bemerkte der eben Angekommene.
    „Sie irren sich, Abbé -- ich denke und handle leichter und rascher, wenn ich eine Eigarre im Munde habe; zudem hat man doch auch einen Gegenstand zwischen dem zerstörenden Gebiß, an dem man seine Wuth auslassen kann, wenn es die Hundewelt zu toll treibt und es an Menschenopfern fehlt -- -- und wenn das Rauchen zur Sünde anreizen sollte -- so möchten Sie mich doch mit dieser Sünde bekannt machen, Abbé; ist es eine Sünde, die mir gefällt, so will ich die Cigarre nie mehr aus dem Munde nehmen, ausgenommen, wenn ich die Sünde begehe.“
    „Nun, Lajos, Sie spielen ja schon ganz prächtig auf die schöne Sünde an; beim heiligen Antonius von Padua -- welcher fameuse Sarkasmus! ha! ha! Lajos, es ist Schade, daß Sie nicht lieben können!“ rief der Abbé aus, an dem die

 

- 106 -

geehrten Leserinnen bereits Herrn Dubreuil erkannt haben werden.
    „Wie meinen Sie das, Abbé?“ frug Lajos barsch, als hätte es ihn verdrossen, daß der Abbé in Gegenwart Merlina's eine solche Hypothese aufstellte.
    „Ich wasche meine Hände rein von dem Blute, das meine Zunge vergossen hat“, antwortete Dubreuil im infamen Tone Lajos, der fühlte, daß ihn der Abbé diesmal übertroffen habe.
    „Sie sind heute gut aufgelegt, Abbé“: frug Lajos Dubreuil mit gleichgültiger Betonung. --
    „Ich habe keine Ursache, es heute zu sein -- Alles ging verkehrt -- Tod oder Merlina!“ --
    „Tod oder Merlina“, rief Merlina, welche in einer Brieftasche blätterte und zu rechnen schien, dem Abbé nach.
    Auch an Lajos fand die Parole ein Echo.
    Derselbe frug den Abbé:
    „Haben Sie Unglück gehabt mit der schönen Tochter der Mistreß Evans?“
    „Von Unglück kann vorläufig keine Rede sein, Lajos, da ich bis jetzt mein Glück an ihr noch nicht versucht habe.“
    „Wenn Sie im Stande sind, das Mädchen zum Fall zu bringen, zahlt Ihnen Merlina -- --“
    „Wie viel?“ unterbrach ihn der Abbé und sah schelmisch nach Merlina.
    „Wie viel, Abbé? Was berechtigt Sie zu der Frage, wie viel? fragen Sie, mit was?“
    „Nun, mit was?“
    „Mit Nichts!“ fiel Merlina rasch ein und erhob sich von ihrem Stuhle -- „wo die Sünde schon selbst die Belohnung in sich schließt, wäre es eine Thorheit, weitere Gaben zu verspenden; aber Sie scheinen ganz von Ihrer eigentlichen Pflichterfüllung abzuschweifen, Abbé -- Tod oder Merlina! -- was ziehen Sie vor?“
[LSZ - 1854.04.01]
    „Dame Merlina -- ich habe bis jetzt gethan, was in meinen schwachen Kräften steht; in wenigen Wochen werden Sie das Resultat für den Fond der Hamburger Mühle beanspruchen können,“ erwiederte Dubreuil.
    Sind Sie auch sicher, Abbé, daß die alte Schottin nach dem Tode ihrer Tochter Ihnen so viel Geld verabreichen wird?
    Dessen bin ich mir ganz gewiß, Dame Merlina -- Sie wissen, daß sie mir schon längst die beanspruchte Summe

 

- 107 -

von fünfzigtausend Dollars zum vorgeblichen Bau einer katholischen Kirche unter den Heiden Afrika's, zugesagt hätte, wenn sie nicht noch immer glaubte, ein Unrecht an ihrem Kinde, ihrereinzigen Erbin zu begehen -- sie sagte mir, Mitreß Dudley könnte ihr nach ihrem Tode leicht Vorwürfe darüber machen, wenn sich ihre Zukunft nicht so glänzend gestalten sollte, wie siees wünschte. Da hab' ich nun einen ganz artigen Plan gefaßt: Ich bringe die mondsüchtige heilige Mistreß Dudley Evans in den Beichtstuhl nach der Kirche in Rue de Ramparts, zu einer Zeit,wo Niemand gegenwärtig ist -- -- -- ich will ihr die Seligkeiten, die sie dereinst im Himmel genießen wird, so verführerisch ausmalen, daß sie ganz verzückt wird und mir von selbst in die Arme fällt -- O, es wird mir leicht werden, glauben Sie es mir Dame Merlina, glauben Sie mir, Lajos!
    Den Engel zum Falle zu bringen, darum beneide ich Sie, Abbé -- das Andere ist für die Hunde, bemerkte der Ungar.
    Aber beim Teufel! rief er aus -- Wenn Sie den Engel zum Falle gebracht haben, ist er noch lange nicht todt, Abbé --
    Sie werden sich doch nicht mit einer einfältigen Allegorie herumschleppen - wo Tod oder Merlina auf der Karte steht -- ?
   Sie ließen mich vorher nicht ausreden, Lajos, hören Sie weiter: Wenn ich das dumme Engelein zum Falle gebracht habe -- was eigentlich gar nicht nothwendig wäre, aber ich thue es natürlich nur, um einmal wieder etwas besseres als Austern und Schildkrötensuppe - zu genießen -, wie gesagt, wenn ich das mondsüchtige Lamm zum gefallenen Engel gemacht habe, erdross'le ich sie mit leichter Mühe -- -- --
    Hölle und Teufel, Abbé, unterbrach ihn Lajos: Sie sind ein größerer Satan, als ich Ihnen in der That zugetraut habe -- aber lassen Sie sich sagen, daß dies ein böses Wagestück ist -- was hilft es Ihnen zuletzt -- und der Mühle natürlich auch -- wenn Sie den Engel abgewürgt haben. Ihre Mutter weiß, daß Sie mit ihr zur Kirche gefahren sind -- auf wen Anders, als auf Sie muß der Verdacht fallen -- -- -- und dann noch, wenn Sie der Sakristant, der Küster oder andere Personen sehen würden -- es ist doch nicht so sehr sicher in der Kirche; was meinen Sie dazu, Abbé Dubreuil?
    Sie erzeigen mir die Ehre, meine Wenigkeit höher zu stellen, als den Satan selbst und doch trauen Sie dem Satan nicht so viel zu, daß er sich aus der Schlinge zu ziehen weiß --

 

- 108 -

ich aber sage Ihnen, Lajos, daß Sie ein noch bei weitem größerer Satan sind, als ich, sonst würden Sie mich nicht auf eine so listige Weise hintergehen, da Sie es ungefähr wissen, was ich weiters zu thun gesonnen bin, um das Trauerspiel des Hauses Evans in ein Lustspiel für die Hamburger Mühle umzuwandeln -- --
    So erzählen Sie, beginnen Sie und bringen Sie die Sache bald zum Abschlusse -- -- Sie sehen, Dame Merlina und Ich warten mit der höchsten Spannung ... drängte Lajos.
    Dubreuil fuhr weiter:
    Wie gesagt, ich würge sie dann ab, lasse sie liegen und verlasse die Kirche -- wenn ich dies thue, ist Niemand darin -- das wird sich ungefähr zwischen drei und vier Uhr zutragen; gegen halb fünf Uhr kommt der Neger in die Kirche undmacht rein für den folgenden Sonntag -- der Neger ist kaum in die Kirche getreten-ich natürlich, passe den Moment an einem günstigen Orte, von Niemanden bemerkt, ab -- ich trete gleich nach dem Neger ein -- der Neger, die verführte, abgewürgte Dudley Evans, wer anders als der Nigger muß es gethan haben? Oder glauben Sie vielleicht, daß auf mich nur der geringste Verdacht fallen könnte? Gott behüte! Man dürfte den Abbé Dominique halb auf der That ertappen, man würde es nicht glauben -- Sehen Sie, meine Dame Merlina, sehen Sie, mein Satan Lajos - solche Vortheile hat ein Priester voraus. -- Der Nigger wird natürlich gleich gelyncht -- und wenn auch nicht, wie kann ein Nigger wagen, gegen einen so frommen Mann nur den Mund aufzuthun? Sie sehen, Sie sehen. -- Dann das Resultat und die Lehre von der ganzen Fabel: Die unglückliche Mutter wird mir im ersten Momente ihres Schmerzes um das verblutete Lamm alle meine Wünsche gewähren -- sie wird mir die fünfzigtausend Dollars, sie wird mir Ihr ganzes Vermögen zu wohlthätigen Stiftungen übergeben und zum Kirchenbauen für die Heiden und Cameele in den Saharras - o - es wird. Alleszum Besten gelingen -- Man wird auch Seelenmessen in Masse nöthig haben -- --
    Ich werde Ihnen von heute ab an der Ferse hängen, Abbé - damit, wenn Sie die That wirklich vollbracht haben, Sie nicht in die Versuchung gerathen sollen, die Hamburger Mühle mit den erworbenen Schätzen zu schlecht zu bedenken - Abbé Dubreuil, Sie kennen die Parole?

 

- 109 -

    Tod oder Merlina! antwortete derselbe auf die bedeutungsvolle Frage des Ungarn.
    Zu sich aber sagte er: Diese Spitzbuben sind doch alle ohne Ausnahme unausstehlich mißtrauisch. Eh bien, ich will einmal sehen.
    Merlina's Gesicht, das der Aerger über Gabor's feiges Benehmen mit einer dunkelvioletten Röthe überzogen hatte, erhielt mehr und mehr wieder seine ursprüngliche Carnation und paradierte in wollüstigen Schwenkungen vor dem Todtenantlitze des Ungarn und der kranken aufgedunsenen Fratze des Abbé. Sie lockerte -- was sie gewöhnlich zu thun pflegte, wenn sie guter Laune war -- um die Hüften herum ihr langes, tailleloses weißes Kleid, sprang auf Lajos zu und drückte ihre feste Tigerstirne bacchantisch an seine entblößte, stark behaarte Brust.
    Der Ungar bewegte keine Miene; aber schnell wie der Blitz fuhr ein Flämmchen durch seine Augensterne, und verschwand eben so schnell wieder hinter den dunklen Wimpern.
    Tod oder Merlina? rief Merlina fragend aus und rieb ihre Tigerstirne an der behaarten Brust des Ungarn.
    Tod oder Merlina! entgegnete derselbe und blies eine dichte Wolke einer Cigarre in Merlina's Nacken hinab, so tief, daß dieselbe unter dem Saum ihres Kleides wieder zum Vorscheine kam, und es schien, als schwebte sie auf einer Wolke. Ein zweiter sicherer und scharfer Strich machte die Täuschung vollkommen.
    Semele und Jupiter! rief der Abbé aus und wischte sich an seinem Rockärmel die geile Nase ab.
    Ein unglücklicher Versuch, witzig zu sein, Dubreuil -- Sie hätten besser bemerkt: der Teufel und seine Katze -- den Jupiter und Mamsell Semele hol' der Henker -- Tod oder Merlina!
    Tod oder Merlina! wiederholte der Abbé und stellte sich wieder in ehrerbietige Stellung.
    Merlina verließ jetzt den Ungarn und setzte sich wieder an den großen runden Tisch. Die goldene Klaue, welche ihre langwolligen Haare in der Mitte zusammenhielt, hatte sich durch das feste Anschmiegen an den Ungarn etwas auf die Seite geschoben und drohte herabzufallen.
    Lajos, dem dies nicht entgangen war, ging auf Merlina zu und ordnete ihre derangierte Coiffure, indem er die goldene Klaue sicher gegen den Wirbel zu einfach.

 

- 110 -

    Dann ließ er sich Merlina vis a vis in einen Fauteuil nieder und sagte zum Abbé:
    Wie meinten Sie das, Monsieur Dubreuil, als sie vorher sagten, daß Ihnen. Alles verkehrt ginge -- hatten Sie's anderwärts vielleicht auch versucht, infam zu sein?
    Das will ich Ihnen gleich sagen, Lajos, wenn es Ihnen Vergnügen macht und Dame Merlina es nicht ennyirt -- doch wünschte ich vorher erst Lorbeeren einzusammeln wegen meiner so gut ausgesonnenen Teufelei betreffs des mondsüchtigen Fräuleins.
    Lorbeeren, Dubreuil? Noch ehe Sie sie verdient haben? Wenn Sie eine weniger häßlichere Nase hätten, Abbé, würde sie Ihnen Dame Merlina zur Belohnung ihrer voreiligen Prätension abbeißen --
    Ich würde noch mehr thun,Abbbé, wenn Sie nicht so alt und häßlich wären, äußerte Merlina, indem sie ihre Zungenspitze vorschob und ihre beiden Reihen Zähne zeigte.
    Die Lorbeeren, bemerkte Dubreuil weiter, wären schon verdient gewesen, als ich Ihren ersten Vorschlag bei Seite warf. Sie sehen, daß mein neuer Plan besser ist, als der vorgeschlagene Vergiftungsprozeß, ein Unternehmen, das immer unangenehme Folgen nach sich ziehen mußte -- auch ist mein ausgehecktes Manöver sicherer, als den schottischen Engel durch Fasten, Bußübungen und Leibgürtel zu Tode zu martern -- solche Heilige haben ein verdammt zähes Leben!
    So zäh' wie Sie, Abbé, sagte im kalten Tone der Ungar. Wenn Sie jedoch irgend einen Verstoß gegen Ihre Pflichten als Clubbist der Mühle begehen sollten, würde Ihnen Ihre Zähigkeit nichts nützen.
    Lajos, ein solches Mißtrauen verdiene ich nicht -- ich appelliere an das Gerechtigkeits-Gefühl der Dame Merlina, entgegnete Dubreuil, indem er sich näher an den großen Tisch hin bewegte.
    Behalten Sie die Karte, Monsieur Dubreuil, Sie sind von heute an Clubbist von Nr.99, sagte Merlina zum Abbé, indem sie demselben die betreffende Clubmarke überreichte.
[LSZ - 1854.04.02]
    Dubreuil ließ sich nun auch in einen Fauteuil am großen Tische nieder, eine Situation, die ihm sein früherer Rang als Nr.98 nicht gestattete. Jetzt war es ihm sogar erlaubt, sich dicht neben die Zambo-Negresse zu setzen und sie genauer zu firieren, falls ihn ein freundliches Gesicht von Dame Merlina dazu anspornen sollte,

 

- 111 -

    Das Verkehrt Gehen haben Sie uns noch nicht erklärt, Dubreuil -- Sie haben heute überhaupt eine eigenthümliche Laune, bemerkte der Ungar, indem er eine lange Rauchwolkenach der Richtung streichen ließ, wo der Abbé faß.
    Derselbe wehrte mit seinen Händen lächelnd den Cigarrendampf von seinen Augen ab und frug einleitend, indem er seinen magern Hals nach Merlina hinstreckte:
    Sie haben schon vom Prinzen von Würtemberg gehört, Dame Merlina?
    Nicht nur von ihm gehört, sondern ihn auch öfter gesehen, antwortete dieselbe.
    Wo ungefähr und wann haben Sie das Vergnügen gehabt? frug der Abbé Dominique Dubreuil in infamem Tone, die Zambo-Negresse forschend anblickend.
    Dieselbe hatte diese zweideutige Firierung nicht bemerkt und schien andächtig den Translatus in ihrer Brieftasche zu mustern.
    Wo und wann, wenn Sie mir gestatten zu fragen, Dame Merlina? wiederholte neugierig der Abbé in einem weniger infamen Tone.
    Sie machen etwas zu schnell Gebrauch von Ihrer Freiheit als Clubbist Nr. 99, bemerkte Merlina, indem sie ihren Hals noch mehr einzog und in den gelockerten Ausschnitt ihres Kleides hinab sah.
    Nicht mehr, als Sie mir gestatten, verwegen zu sein, Dame Merlina, entgegnete Dubreuil und sah auf den Ungarn, der stumm und kalt in nachlässiger Stellung im Fauteuil saß und in langen Zügen seine Cigarre dampfte.
    Den Prinzen von Würtemberg? sagte Merlina in fragendem Tone, als besänne sie sich eben erst und holte aus der Vergangenheit eine Erinnerung hervor. Den deutschen Prinzen? Ja, ich kenne ihn -- vom Sehen -- als ich noch am Caffeestand saß, hatte ich ihm öfter eingeschenkt; er kam regelmäßig gegen 3 Uhr nach Mitternacht auf den französischen Markt -- kam sehr eilig, schüttete zwei, drei Tassen Chocolade schnell nach Einander hinunter und eilte eben so schnell, als er gekommen, wieder weg.
    Wie kannten Sie ihn aber? frug Dubreuil mit unausstehlichem Accent.
    Es war in der That ein großes Wunder zu nennen, daß sich Merlina so geduldig der Neugierde des Abbé unterwarf.
    Das lag außer ihrer gewöhnlichen Weise.

 

- 112 -

    Wie ich den deutschen Prinzen kannte, Abbé? Ich kenne ihn eigentlich nur vom Sehen -- nur ein einziges Mal, wie ich mich eben erinnere, habe ich mit ihm persönlich zu thun gehabt.
    Ja, aber wie -- -- --?
    Verfluchtes Inquisitionsverfahren -- an jedem Wort, das Sie sprechen, Abbé, ist der Pfaffe sichtbar -- daß die Jesuiten doch schon durch ihre Zunge gebrandmarkt sind -- rief der Ungar in schneidendem Tone dazwischen, schob den Fauteuil etwas weiter vom Tische ab und legte seine Beine kreuzweis auf die weiße Marmorplatte.
    Der Abbé hat jetzt das Recht, unverschämt zu sein, nahm Merlina für Dubreuil die Antwort auf.
    Sie waren mit Ihrer Clubmarke zu voreilig, Merlina, bemerkte der Ungar und warf einen spöttischen Blick auf den Abbé Dubreuil,
    Dubreuil schien sich um diese Intermezzos wenig zu bekümmern; denn er fuhr in seinem forschenden Tone fort: Ja, aber auf welche Weise, Dame Merlina! -- --
    Verdammter Jesuit! warf der Ungar dazwischen, ohne jedoch nur im Geringsten dabei eine Miene zu verziehen.
    „Lassen Sie dem Jesuiten seine Rechte, Lajos - war Tartüffe doch auch ein Jesuit und --
    Sie erzürnen mich nicht, Abbé, unterbrach der Ungar Dubreuil, aber ich gebe Ihnen eine Ohrfeige, wenn Sie es wagen sollten, unzeitige Vergleiche anzustellen --
    Eine Krähe hackt der Andern die Augen nicht aus -- wo der Mühlstein liegt, ist auch der Müller oder die Müllerin nicht weit, erwiederte trocken der Abbé.
    Nicht immer, schalt Merlina ein und fuhr mit ihrer Hand über die Tigerstirne.
    Nicht immer, Merlina?" frug der Ungar und warf die erloschene Cigarre dem Abbé zwischen die Beine.
    Nicht immer, mein Mühlstein Lajos.
    Nicht immer, meine Müllerin, sagte der Ungar, indem er die Allegorie Merlina's sehr passend austauschte.
    Also den deutschen Prinzen -- drängte Dubreuil neuer dings.
    Lajos sah auf den Abbé, sagte aber diesmal kein Wort.
    Den deutschen Prinzen, erwiederte Merlina, ohne eine neue Zudringlichkeit des Abbé abzuwarten, habe ich zum Erstenmale gesehen -- und auch gesprochen, als ich noch bei Derbigny und

 

- 113 -

Breton aufder Plantage war. Er hielt sich ungefähr eine Woche daselbst auf und lief den ganzen Tag mit einem alten Neger im Sumpfland herum, um nach Schlangen und Bullfrogs zu suchen --
    A, ha! rief der Abbé aus.
    A, ha? Wie so, a, ha? frugder Ungar.
    Nun, nun -- ich meine halt so, a, ha! sagte in scherzen der Weise der Abbé.
    Thun Sie nicht so geheimnißvoll, Dubreuil -- man glaubt's Ihnen doch nicht, bemerkte der Ungar; dann wandte er sich an Merlina und fragte:
    Frißt der Prinz die Schlangen und Bullfrogs?
    Wahrscheinlich frißt er sie, antwortete Merlina; wir haben sie auf der Plantage oft gefressen.
    Die Bullfrogs, das glaub' ich -- aber doch wohl die Schlangen nicht? frug der Ungar wieder.
    Gerade die Schlangen! antwortete Merlina.
    Aber von den Schlangen haben Sie doch die Green -- snacke ungeschoren gelassen?
    Gerade die nicht, erwiederte Merlina; das ist gerade das beste Fressen -- mit einem Dutzend Greensnackes in Leibe kann man dem Teufel seine Ideen aus dem Kopfe treiben.
    Wie so, Dame Merlina? frug der Abbé neugierig.
    Wenn der Teufel das Pantherweibchen umarmen will und er merkt, daß es Green-snackes gefressen hat, so rennt er weg und ruht nicht eher, bis er wieder in seinem Höllen pfuhl sitzt.
    Dann ist der Teufel ein großes Rindvieh und hat ver dammt viel Aehnlichkeit mit einem Engel, sagte der Ungar.
    Wie wurden Sie es denn machen, Lajos, wenn Sie wüßten,daß ich Green-snackes im Leibe hättte, falls sie nemlich eine Teufelei in sich verspurten?
    Gegen das Pantherweibchen? frugder Ungar und schlug seine Zähne klappend an Einander.
    Nun ja, gegen wen sonst?" antwortete Merlina.
    Wenn ich eine Teufelei --
    Liebelei -- -- fiel der Abbé dem Ungarn in’s Wort.
    Schweigen Sie, Dubreuil, oder Sie bekommen eine Ohrfeige -- nun, wenn ich eine Teufelei in mir verspürte und ich merkte oder Sie sagten mir -- daß Sie Green-snackes im Leibe hätten, so würde ich diese Thiere zum Tanzen bringen, Merlina.

 

- 114 -

    Infam! rief der Abbé aus.
    Du bist größer, als der Teufel, mein Lajos! schrie Merlina wonnetrunken auf und eilte auf den Ungarn, der sie jedoch mit den Händen abwehrte, seine Beine von der Tischplatte sinken ließ und aufstand, um sich eine neue Cigarre aus seiner Rocktasche zu holen.
    Murrend und grollend begab sich Merlina wieder auf ihren Platz zurück und kratzte in ihren wolligen Haaren herum.
    Den Abbé schien dies zu ärgern. Er sah es nur zu gerne, wenn der Satan mit der Tigerkatze spielte und letztere ihm die kalten Lippen mit der brennenden Zunge zum warmen Leben öffnete. In dieser Hinsicht war Dubreuil wie eine alte Kupplerin, welche dem Tändeln eines Liebespaares zusteht. Wir haben ihn früher einmal bei Parafina Brulard gesehen, wo er noch bis zu dieser Stunde das Commando führte, was hier in der Mühle ausschließlich dem Ungarn zuzukommen schien. Wie übrigens Parasina dem elenden Körperchen des Predigers Interesse abgewinnen konnte, ist nur in sofern begreiflich, als man die Eigenthümlichkeiten und sonderbaren Launen der weiblichen Serualität nicht von der Lichtseite betrachtet.
    Heute ist das Weib Alles und morgen wieder ist es Nichts. Das Serualverhältniß zwingt es zum Schleier und die nemliche Relation treibt es in die Arme der Göttin Libido. Schwarz oder Weiß -- Einerlei! --
    Dame Merlina, griff Dubreuil den Faden der Unterhaltung wieder auf und rückte etwas näher an die Zambo-Negresse - demnach sind Sie auf diese Weise mit dem deutschen Prinzen bekannt geworden?
    Der Ungar hatte sich wieder auf seinen alten Platz begeben, wo wir ihn das Erstemal sitzen fahen, als er sich eben die Brandwunde verbunden hatte.
    Nicht gerade auf diese Weise, erwiederte Merlina nach einer ziemlich langen Pause. Ehe derselbe unsere Plantage verließ, kam er-vielleicht war es nur Zufall -- auf mich zu und frug mich, ob ich die Congo-snackes kennte? Ich bejahte es und da versprach er mir eine gute Belohnung, wenn ich ihm bis zu einer Wiederkunft. Eine fangen und aufheben würde.
    A, ha! erwiederte Dubreuil.
    Sie wissen ja gar nicht, was das für ein Thier ist, Abbe, demerkte Lajos.
    Die Congosnacke ist das giftigste Thier in Louisiana, es

 

- 115 -

ist breiter als lang und hat am Bauche zwei fleischige Dinger, die fast aussehen, wie Füße -- erklärte Merlina.
[LSZ - 1854.04.04]
    „Und dieses häßliche, giftige Vieh sollten Sie für den Prinzen fangen und aufbewahren, Dame Merlina?“ frug Dubreuil wieder. Er warf aber dabei einen Seitenblick zurück auf den Ungarn, der den Schatten Merlina's an der Wand unverwandt anftierte.
    „Ja!“ antwortete die Zambo-Negresse. -- -- --
    Der Ungar hatte jetzt seine Musterung des Schattenbildes Merlina's beendet, stand auf und streckte sich wieder in seinen Lehnstuhl vor dem großen, runden Tische.
    „Nun Abbé“, begann er, „es wäre endlich einmal Zeit, daß Sie Dame Merlina und mir über das „Verkehrtgehen“ Aufschluß ertheilten. Durch Ihre alberne Neugierde und unfruchtbare Geschwätzigkeit sind wir von unserm ursprünglichen Thema ganz abgeschweift - machen Sie einmal tabula rasa mit ihren Verbindlichkeiten und überlassen Sie das Uebrige einem leeren Schwätzer.“
    „Eh bien!“ warf Dubreuil in legerem Tone hin und begann :
    „Es ist eine niederträchtige Geschichte, die mir heute gegen Abend passiert ist; so niederträchtig, daß sie sogar ein Romanschreiber mit Erfolg benützen könnte. Ich mußte lange ausholen und wenigstens fünf und dreißig Jahre zurückgehen, wenn ich diesen Unsinn gehörig entwickeln wollte. Eh bien! ichmache es kurz, damit ich meine Dränger und Quälgeister sobald als möglich loswerde. Daß Mistreß Evans trotz ihres colossalen Reichthums vollkommen unter meinem heiligen Pantoffel steht, ist nicht nur Ihnen, sondern der ganzen Mühle bekannt. Daß sich aber mein Einfluß auf die so weit erstreckt, daß sie sich's von mir gefallen läßt, mit ihrer Tochter wie eine Nonne eingesperrt zu leben, ist fast zu originell, als daß man mir es glauben würde. So habe ich ihr unter Androhung der fürchterlichsten Höllenqualen verboten, außer dem Prinzen von Würtemberg einen anderen männlichen Besuch anzunehmen. Warum ich dies gethan, wird den Clubbisten der Mühle deutlich hervorleuchten. Auch der lammfrommen Miß Dudley habe ich die strengste Clausur verordnet und ihr mit dem süßesten Honigeim, der nur immer im Himmel anzutreffen ist, eine wahrhaft königliche Belohnung verheißen. Ich verlangte sogar, daß sie sich von ihren Freundinnen gänzlich entfernt halte.

 

- 116 -

Sie thut es, hat es gethan und wird auch in Zukunft meinen Befehlen nachkommen -- --“
    „Bis sie abgewürgt ist und ihr Blut sich für uns in Gold verwandelt“, unterbrach der Ungar den Abbé auf einen Augenblick.
    „Mutter und Tochter“, fuhr Dubreuil fort, „sind so unbegreiflich blind, daß es in der That Noth thäte, ihnen von einem erprobten Oculisten den Stahr stechen zu lassen. Ich kann mit ihnen beginnen, was ich will; wie ich pfeife, so tanzen sie; weine ich vor Rührung über ihre Sünden, so weinen sie mit. Sage ich zu Miß Dudley: Miß, der Herr will es, daß Sie eine Generalbeichte ablegen, denn Ihre Sünden schreien gegen den Himmel -- so meint das dumme Gänschen wirklich, sie hätte Sünden, wirft sich auf die Knie, sät Erbsen in ihre Schuhe, läßt sich mit nacktem Knie auf die scharfe Kante eines Scheites Holz nieder und fleht und jammert, ruft die Barmherzigkeit Gottes, die Fürbitte der Muttergottes und alle Heiligen von A bis Z. an -- und dies Alles für wieder und wieder Nichts. So dumm ist das Gänschen! Die Mutter natürlich ist nicht viel besser -- aber nicht so interessant in ihrem Seelenschmerz, der in ihren bessern Jahren in Geburtswehen aufgegangen ist. Ha, ha! Dieses Engelspielen und Sehnsucht treiben mit dem Heiland und einem Schlingel von einem Nährvater, dem Carpenter Joseph -- es ist mir unbegreiflich, wie die Menschen heut zu Tage noch so dumm sein können und sich von uns Pfaffen regieren lassen. Ha, ha, diesen frommen Gefühlsdusel und Aberglauben wird das dumme Volk in Ewigkeit nicht los. Eh bien, wir Pfaffen thun ganz recht, wenn wir diese Borniertheit gehörig auszubeuten suchen -- wo Schaafe sind, muß auch ein Hirte sein! Und wenn es einen Gott im Himmel gäbe -- er könnte uns Pfaffen darob nicht zürnen, ebenso wenig, wie der Teufel in uns grollt, den wir so herrlich, so ausgezeichnet repräsentieren -- --“
    „Sie werden eckelhaft, Abbé, mit ihrem ewigen Predigerton, bemerkte der Ungar: „wenn Ihr Pfaffen auch Atheisten seid, so klebt Euch doch immer noch der alte Schmutz um die Tonsur -- kommen Sie einmal zur Sache!“
    Dubreuil erzählte nun, daß er zufällig an dem Live Oak Square vorbeigekommen sei und den Prinzen beobachtet habe wie er eben einem jungen blonden Madchen aus dem Cab half und vor dem offenen Fenster einer alten Barracke sich eine Zeitlang unterhielt. Da er hier irgend ein Abenteuer vermuthete,

 

- 117 -

wäre er, nachdem der Prinz mit dem schönen Kind eingetreten war, mehrere Male nach Einander am offenen Fenster vorübergegangen und habe heimlich einen Blick in die mehr als dürftige Stube geworfen. Da habe er denn den alten Grafen erblickt, mit dem ihn der Prinz schon früher einmal bekannt gemacht habe. Bei dem Anblick des Grafen mußte er natürlich den Schluß ziehen, daß hier die gräfliche Familie wohne, von der ihm der Prinz stets sehr theilnehmend erzählte. Ein zweiter, rascher Blick, den er in's offene Fenster geworfen habe, habe ihn ein bildschönes Mädchen erblicken lassen, das er gleich für dasjenige erkannt, wovon ihm %%% Evans mehrmalserzählte. Zudem habe er den Prinzen sich so traulich in den Schooß der Familie niederlassen sehen, daß ihn eine unbändige Neugierde trieb, an die Thüre zu pochen und einzutreten.
    Nun erwähnte Dubreuil die uns schon bekannten korybantischen Zufälle der unglücklichen Cölestine und verhehlte ihnen auch seine früher an ihr verübte Schandthat nicht. Ein gestreute Sarkasmen und ironische Ausfälle mußten die schreckliche That des Scheusals im Priesterrocke noch würzen und bald Lajos, bald Merlina eine flüchtige Bewunderung abgewinnen. --
    „Sie haben seit jener Zeit, wo Sie den Engel verführten und am Gehirne bankerott machten, wenig Fortschritte gemacht, Abbé -- Sie mußten ja damals kaum erst aus den Windeln gekrochen sein -- -- -- wirklich fabelhaft, äußerst mythologisch -- das geht noch über die Sage vom Herkules, der schon in der Wiege eine Schlange erdrückt haben soll,“ frug Lajos in abgerissenen Sätzen den Abbé Dominique Dubreuil, als dieser mit einer Erzählung zu Ende war.
    „Nun“, erwiederte dieser, indem er seinen Mund zu einem widerlichen Lächeln verzog, „ich war damals doch schon zwei und zwanzig Jahre alt -- für uns Creolen nicht mehr sehr jung --“
    „Ich beneide Sie um Ihre großen Kenntnisse, Abbé,-- mit zwei und zwanzig Jahren schon einen päpstlichen Attaché vorstellen zu können, ist jedenfalls beneidenswerth“, bemerkte der Ungar, in einem Tone, der den Abbé in Zweifel ließ, ob es Ironie oder wirkliche Anerkennung war.
    „Sie müssen sich sehr verschlechtert haben, Monsieur Dubreuil, daß Sie es bis jetzt trotzdem nicht weiter gebracht haben, als zum Prediger an einer Filiale und zum Beichtvater eines alten Weibes --“, fiel Merlina ein.

 

- 118 -

    „Das war Pater Rothaan's Werk, daß ich in meinem Avancement zurückgeblieben bin,“ erwiederte Dubreuil.
    „Was ist das für ein Geschöpf, der Pater Rothaan 24 frug Merlina nachlässig.
    „Das ist der Jesuitengeneral, Dame Merlina.
    „Der hat wohl den kleinen Riesen gefürchtet? schalt Lajos spöttisch ein.
    „In Angelegenheiten des Unterrockes, ja!“ rief Dubreuil wichtig aus.
    „Unterrockes?“ wiederholte der Ungar.
    „Was anders? der General spie Gift und Flammen, als er dahinter kam, daß ich eine Maitresse verführt habe,“ antwortete Dubreuil,
    „Sie sind ja ein fürchterlicher Mensch, Abbé; welcher Frevel, die Maitresse eines Jesuitengenerals zu verführen!“ sagte der Ungar mit einem Anfluge von guter Laune.
    „Nicht wahr?“ betonte der Abbé.
    „Sie haben es immer mit Maitressen zu thun, Abbé --“
    „Pardon“, fiel ihm Dubreuil in’s Wort -- denken Sie an Miß Dudley Evans!“
    „Ist auch eine Maitresse, Abbé -- der ganze Himmel mit all" einen Engeln und Heiligen benützt sie --“ sagte der Ungar.
    „Prächtig, Lajos! Sie übertreffen Rabelais und Aristophanes!“ rief der Abbé aus.
    „Also das berechtigte Sie vorher zu dem Ausrufe: „Alles verkehrt gegangen -- daß Sie in dem verrückten Weibe ein verführtes Beichtkind erkannten?“ lenkte Merlina wieder in's alte Thema ein.
    „Nun, ja, ich wollte eine neue Bekanntschaft machen und eine alte auffrischen“, antwortete Dubreuil.
    „Sie werden es jetzt wohl bleiben lassen“, sagte Merlina.
    „Ja, ich befinde mich jetzt in einer höchst unangenehmen Situation. Der Prinz, der mich bisher für einen höchst frommen und achtungswerthen Mann hielt, wird nun eine ganz andere Ansicht über das Leben und Wirken des Abbé Dubreuil bekommen“ bemerkte der Creole mit halber Ironie.
    Man sieht, daß der Abbé bisher noch immer der festen Ueberzeugung war, der Prinz achte ihn und halte ihn für einen Ehrenmann. Er hatte nicht die geringste Ahnung, daß ihn der Prinz verfolge und daß derselbe nur deshalb das Haus von Mistreß Evans besuche, um sich der Wahrheit eines Briefes

 

- 119 -

zu vergewissern, den er vor zehn Monaten von einem Freunde aus Teras erhalten hatte. Jener Brief lautete:
[LSZ - 1854.04.05]

            „Lieber Freund!
        Wie ich zufällig erfahren habe, hält sich der Creole Abbé
    Dominique Dubreuil in New-Orleans auf und hat sich bereits
    einen nicht unbedeutenden Ruf als Prediger erworben.
    Wenn dies der nemliche Schurke sein sollte, der vor einigen
    Jahren unter dem Namen „Gonzales“ in Merico sein Wesen
    trieb und so viele Familien in's Unglück gestürzt hat, so
    ersuche ich Sie, so viel es in Ihren Kräften steht,die Pläne
    dieses scheußlichen Priesters zu durchkreuzen, indem Sie sich
    Eintritt in jene Familiencircel verschaffen, wo derselbe am
    meisten geachtet und angebetet wird. Besonders mache ich
    Sie aufdie Prätentionen, die dieser Schurke als Beichtvater
    an junge Mädchen stellt, aufmerksam. Unter diesem Deckmantel
    hat er in Mertko die größten Schändlichkeiten begangen.
    Gehen Sie sicher zu Wege -- denn dieser Schlangenhabitus
    ist zu jeder That fähig. Viele Grüße von meiner
    Familie. Führen Sie Ihre Forschungen im Bereiche der
    Natur wieder einmal in unsere Nahe, so versäumen Sie ja
    nicht, uns mit Ihrem Besuche zu beehren.
                                                   Achtungsvoll
    San Antonio, 21. Mai 18..        J. S.“


    „Sich da weiß zu waschen, ist keine Hererei“, bemerkte der Ungar: „Sie sind doch sonst so erfindungsreich, Abbé -- und hier sehen Sie Schwierigkeiten?“
    „Was hilft da jeder Versuch, die Sache anders darzustellen, wenn sich einmal das verfluchte Mißtrauen in den Prinzen eingeschlichen hat -- --“
    „Sie hatten einen Bruder, Abbé -- er sah Ihnen auf's Haar gleich - und zwei und dreißig Jahre, wie Sie selbst sagten, sind seit jener Zeit schon verstrichen. --“
    „A, ha!“ rief Dubreuil aus.
    „Nun ist einmal Ihr A, ha! begründet,“ entgegnete der Ungar. --
    Die Ankunft eines Mannes, der schon mit halbem Leibe aus der geheimen Oeffnung, die, wie wir bereits wissen, in das eigentliche Centrum der Hamburger Mühle, den Salon fuhrte, emporgestiegen war, brach einen weitern Discurs über das bisher gehaltene Thema ab.
    Merlina wandte sich um und rief: „Wer da!“
    „Tod oder Merlina“, antwortete der Eintretende und

 

- 120 -

fügte noch bei: „Wenn New-Orleans schläft, wacht die Mühle -- die Clubbisten von 99 und 100 bringen Tod und Verderben!
    Dubreuil, der Clubbit von 99 antwortete: „Von Mitternacht kommt ein Rauch und ist kein Einsamer in seinen Gezelten.“
    „Heule Thor, schreie Stadt! Ganz Philisterland ist feige! Die Wasser von Dimon sind voll Blut - des Nachts kommt Verstörung über Ar in Moab, sie ist dahin!“ sagte Lajos, der Clubbist von 100.
    Der eben Angekommene, Lajos und Dubreuil stellten sich nun zusammen und reichten sich die Hände.
    Merlina stand von ihrem Lehnstuhle auf und sprach, indem sie ihre beiden Arme in die Höhe streckte:
    „Dieses ist die Last über Damaskus: Siehe, Damaskus wird keine Stadt mehr sein, sondern ein zerfallener Steinhaufe!“
    Diese Worte wurden jedesmal gegenseitig ausgetauscht, so oft. Einer von der Bande Merlina’s zu Nr.99 avancierte. Lajos, obwohl er seine Phrase im feierlichen Tone aussprach, sagte für sich hin:
    „In den gewöhnlichsten prosaischen Verhältnissen müssen solche Firlefanzereien getrieben werden -- wenn uns Jemand gesehen oder gehört hätte, würde er Wunder glauben, welcher entsetzliche Schwur die Clubbisten bindet und was sie für eine Majestät und Würde entwickeln -- Du kannst Dir etwas darauf einbilden, Prophet Jesaia, daß Deine Verse im Munde der Mordbrenner in der Hamburger Mühle eine Stiftshütte gefunden haben.“
    Dubreuil dachte vielleicht ebenso. Nur getraute sich Keiner, dem Andern diese Geringschätzung kund zu thun.
    Lajos mit seinem kalten, tödtenden Scepticismus, der habituelle Mörder und Räuber -- Dubreuil, der Posthumus Sodom's und Gomorrha"s -- Lombardi (denn das war der zuletzt Eingetretene), der hinter einem ekelhaften Cynismus das Herz einer Hyäne und die Giftdrüsen einer Klapperschlange verbarg, die Alle Drei belogen sich gegenseitig in ihrem ausschließlichen Eifer fur die Mühle, obwohl sie scheinbar innig zusammenhielten und ihren Verpflichtungen als Club bisten von Nr.99 und 100 pünktlich nachkamen. Sie fürchteten sich gegenseitig. Alle Drei und aus eben dieser Furcht entsprang in manchen Fällen ein unbegrenztes Vertrauen. Lombardi glaubte auf Lajos, Lajos auf Dubreuil einen gewichtigen Einfluß auszuüben und doch beherrschte die Schlauheit des Priesters

 

- 121 -

Beide. Wenn Lajos den Abbé sehr oft in spöttischer und wegwerfender Weise behandelte, so beging er den Fehler, nicht einzusehen, warum sich der Abbé dies gefallen ließ, und weßhalb er sich geduldig seinem Protektorat unterwarf. Dasselbe war mit Lombardi der Fall. Ohne daß er es ahnte, trat er vor dem Ungarn in den Hintergrund und der Pontifer Mari mus der Hamburger Mühle wurde zum gehorsamen Diener des Ungarn und Merlina's.
    So traten diese Männer trotz ihres rivalisierenden Selbst betrugs in eine enge Verbrüderung und verfügten nur zu lange mit grauenhafter Energie über das Leben und Eigenthum der Bewohner von New-Orleans.
    Lombardi, das schmutzige, liederliche Subject, das von Merlina beim Beginne ihres neuen Arrangements nur benützt und gebraucht wurde, hatte schon nach einem kurzen Aufenthalt des Ungarn in der Mühle aufgehört, die Seele derselben zu sein. Aber da er in vielen Fällen unentbehrlich war, so war Lajos klug genug, ihm vorläufig eine secundaire Stellung nicht fühlen zu lassen.
    Dubreuil durchschaute das kluge Benehmen des Ungarn gegenüber dem ehemaligen Pontifer Mxrimus der Hamburger Mühle und konnte eben deshalb über Bei der Tendenzen leicht zur Klarheit gelangen.
    Das Auftreten Lombardi's in diesem Momente führt uns zu einer nähern Beschreibung seiner Persönlichkeit:
    In den größern Städten Italiens, vorzüglich im Florentinischen und Kirchenstaate, giebt es eine gewisse Sorte von Unterhändlern, die besonders dem Fremden, wenn er in einem Gasthofe absteigt oder sich bei sternenklarer Nacht herauswagt, um vielleicht eine ganz unschuldige Promenade zu machen, durch ihre Aufdringlichkeit und ihr feiles Anerbieten zur größten Last fallen. Diese Unterhändler, die an Bajaderenbrüsten gesängt und in Bordellhäusern auferzogen und aufgewachsen sind, werden in der Hetärensprache „Gli Pipi“ genannt, was wahrscheinlich nur ein Coterie-Ausdruck ist, wie sie sich der Italiener zu Tausenden fabricirt und die man vergebens in einem Dictionaire vorfinden würde. Solche Ausdrücke erhalten mit der Zeit das Bürgerrecht und werden an den Orten, wo sie entstanden sind, zum Stereotyp. Die Pipis, anscheinend in die Cathegorie der Lazaroni’s fallend, haben immer Geld, obwohl sie stets schmutzig und zerlumpt erscheinen. Der Lazarone haßt diese Pipi"s; ja, verfolgt sie manchmal mit der größten

 

- 122 -

Erbitterung. Dieselben wissen es ganz genau, daß die Pipi's stets Geld im Strumpfe führen, und daß sie nur deshalb so synisch umherwandeln, um das Privilegium eines Lazarone zu genießen, trotz der Freibeuterei, die sie an den Fremden ausüben, sicher zu sein. Es vergeht fast keine Woche, daß nicht Einer von diesen Pipi's todt aus den Kloaken gezogen wird, und die Polizei weiß sehr gut, warum sie dann immer unter den Lazaroni nach dem Thäter spürt. Diese Pipi"s sind an einigen italienischen Höfen an die Stelle der früheren Hofnarren getreten und haben schon die ärgerlichsten Scenen hervorgerufen. *) Sie entfernen sich gewöhnlich in späteren Jahren vom Orte ihres Wirkens und Geldmachens und spielen in Provinzialstädten die großen Herrn. An die Stelle ihres frühern Cynismus tritt Eleganz und fashionable Dressur, wie es eben die errungenen Schätze erlauben. Ein solcher Pipo war Lombardi in seiner Heimath. Von seinem vierzehnten bis neunzehnten Jahre hatte er treu dieses Amt verwaltet, doch von den Lazaroni's auf's unermüdlichste verfolgt, zog er es vor, Italien zu verlassen, um in New-Orleans nach einem erst halbjährigen Aufenthalt wegen eines gravierenden Vergehens zur Rechenschaft gezogen und lebenslänglich nach Baton-Rouge befördert zu werden. Seiner Begnadigung durch den Gouverneur haben wir bereits Erwähnung gethan, so wie uns ein Partnership an der Hamburger Mühle deutlich geworden ist. --
    Lombardi, der etwas über fünf und dreißig Jahre zählte, war von weniger als mittelmäßiger Größe. Sein ursprünglich gedrungener Körperbau, der in frühern Jahren eine ungeheure Muskelkraft entfaltet hatte, die selbst das zweideutige Leben eines Pipo nicht zu schwächen im Stande war, erhielt durch die fortgesetzten Excessen in allen nur erdenklichen Tinten von Ausschweisungen jenes schwammige, gelbfahle Aussehen, das keinen frohen Blick mehr zuläßt und den gesunden kräftigen Mann stets mit Widerwillen und Eckel erfüllt. Solche Subjecte fühlen es nur zu gut, daß sie schon halbe Leichen sind und suchen sich dadurch an der Natur zu rächen, daß sie ihre Blüthen zerknicken und den sprudelnden Kelch des Lebens für ihre Mitmenschen in einen Giftbecher verwandeln. Auf des Italieners Rücken lag der Fluch der tabes dorsualis, und wer ihm
____________________


*) Man denke hier an die beiden Pipi's aus Sinigaglia, die der jetzige Kaiser der Franzosen, Louis Bonaparte, einst mit sich in New-York herumschleppte und die aus Rache -- da sie sich nicht hinlänglich honorirt glaubten, -- jenes scheußliche Complott in einem Bordellhause gegen ihn geschmiedet hatten, das Bonaparte fast in die Tombs gebracht hätte.

 

- 123 -

in's triefende Auge sah, war empört über einen solchen Repräsentanten des menchlichen Geistes.-- Diese Augen -- nun -- diese Augen -- wollte man diese näher beschreiben, müßte man riskieren, daß die eigene Hand verfaule, die hiefür die Feder ansetzen würde.
[LSZ - 1854.04.06]
    Wer aus Lombardi's Fruchtstore Obst aß oder daselbst Mead oder Soda trinken konnte, mußte entweder ein ober flächlicher Beschauer des menschlichen Misere sein oder ein hungriger, durstiger Rigger. Die einzige Fußbekleidung des Italieners bestand aus ein Paar Schlappschuhen, die er schon halb ausgetreten aus der Straßenrinne gefischt und seit mehreren Monaten nicht von den Füßen gebracht hatte. Er that dies nicht aus Geiz, sondern lediglich nur aus dem Grunde, weil er einen seinem Habitus eigenthümlichen Widerwillen gegen einen neuen, frischen Gegenstand hatte, den er irgend einem Gliede seines Leibes anpassen sollte. Deßhalb trug er Sommer wie Winter ein rothes Unterhemd von grobem Zeuge, über das er nie ein weißes Hemd anzog und das nur dann von seinem Leibe kam, um die verschmierte schmutzige Seite nach Innen zu kehren, bis ihn ein erneuerter Schmutz auf der um gewandten Seite das nemliche Manöver wieder beginnen ließ. Das Rauchen konnte er schon längere Zeit nicht mehr ertragen, und da er regelmäßig vomuiren mußte, wenn er einen neuen Versuch wagte, so beschränkte er sich auf das Schnupfen und Kauen. Das Letztere hatte er sich so sehr angewöhnt, daß er es sogar während des Schlafes nicht unterließ. Zudem klebte ihm in den Mundwinkeln immer der braune Saft des Kautabacks, der sich oft bis in den schwarzen Kinnbart verlief. Wer früh Morgens an einem Fruchtstore vorbeikam und den Mann ansah, konnte für den ganzen Tag seinen Appetit verlieren. So liebenswürdig war der Fruchthändler Lombardi.-
    Der Ungar, der Abbé und Merlina rückten ihre Fauteuils mehrere Fußweit von ihm weg, als er sich zwischen sie niederließ.
    Lombardi, der dies als ein Zeichen der Ehrfurcht ansah, die man gegen seine Person hegte, versuchte durchaus keine Annäherung, da er dies gewohnt war und es ihm auch ganz gut zu gefallen schien.
    Eine Cigarre, die ihm der Ungar höflich anbot, lehnte er ab, da er sich -- wie er sagte -- das Rauchen ganz abgewöhnen wollte.
    „Sie rauchen gar nicht mehr, Lombardi, und thaten es früher doch so leidenschaftlich?“ frug der Abbé.

 

- 124 -

    „Das Rauchen greift nur die Caffe an -- sonst ist es doch zu Nichts nütze“, antwortete der Italiener und schob einen Klumpen Kautaback mit der Zunge auf die andere Seite.
    „Sie haben Recht, Lombardi“, sagte der Abbé, „das Geld, das man für Cigarren ausgiebt, kann man anderwärts zu etwas Besserem verwenden und zudem ist es auch der Gesundheit nachträglich -- es setzt sich auf die Brust, wenn man es auch anfänglich nicht gewahr wird.“
    „Und reizt zur Sünde an, Abbé“ sagte der Ungar mit Ironie.
    „Auch“, erwiederte Dubreuil, „aber die Brust ist die Hauptsache.“
    Der Ungar schob von einer halbentblößten Brust das Hemd noch weiter zurück, versetzte ihr mit seinen Fäusten ein Paar tüchtige Schläge und sagte:
    „Sehen Sie, Abbé, wie das Rauchen die Brust angreift!“
    „Keine Regel ohne Ausnahme“, antwortete derselbe.
    „Unter Vieren zwei Ausnahmen!“ rief Merlina aus und schob den Ausschnitt ihres Kleides quer auf die Seite, „-- und ich rauche doch auch!“ dann erbat sie sich von dem Ungarn die Cigarre, welche der Italiener eben ausgeschlagen hatte und dampfte übermüthig darauf los.
    „Sie haben wohl heute Blaumontag gemacht, Lombardi - ich wollte Ihnen einige Notizen bringen -- fand Sie aber den ganzen Tag über nicht in Ihrem Fruchtstore?“ wandte sich Lajos an den Italiener.
    „Ich war in die Pfähle des Metairie Race Course eingeklemmt“, antwortete derselbe.
    „Den Metairie Race Course und die ganze Metairie Ridge soll der Teufel holen“, entgegnete der Ungar, „wenn man sich langweilen will, darf man nur da hinausgehen -- Pferderennen interessieren mich nicht mehr -- ich sehe lieber Menschenrennen.“
    „Man muß mit dem lieben Vieh vorlieb nehmen, wenn es an Menschen fehlt“, sagte der Italiener und drückte seinen Zeigefinger in den rechten Augenwinkel.
    „Stand eine hohe Purse?“ frug der Ungar in gleichgültigem Tone.
    „Die erste Race zog unbedeutend, bei der zweiten standen 2000 Dollars -- 2 mile heats!“ entgegnete der Italiener.
    „2 mile heats!“ wiederholte Lajos, „das Vieh muß tüchtig gewässert haben?“

 

- 125 -

    „Und geblutet“, fügte Lombardi hinzu, „der Jokey Club hat scharfe Sporen.“
    „Nur Kinder haben Sporen nöthig“, bemerkte der Ungar, „die Schenkel müssen das Pferd fliegen lehren.“
    „Ja, wenn man solche Schenkel hat, wie die Hungarians“, warf der Abbé ein.
    „Nein -- wenn man Husarenoffizier gewesen ist,“ betonte Lajos und nahm unwillkührlich die Stellung eines Reiters an.
    „Husarenoffiziere darf man unter dem hiesigen Jokey Club nicht suchen -- man muß mit Pferdehändlern vorlieb nehmen“, entgegnete der Italiener, während er sich ein neues Stück Kautaback abbiß, nachdem er den verbrauchten Theil vorher in ein roth und blau carrirtes Taschentuch gespieen hatte.
    „Wie hießen die Bestien?“ frug der Ungar.
    „Atalia Taylor, Mary Bourbonet, Conrad the Corsair und Lydia Prairiebrand,“ antwortete der Italiener.
    Als Lombardi die Namen der Racepferde genannt hatte, schienen sich die Augensterne des Ungarn zu vergrößern und suchten an der gegenüberliegenden Wand einen Firierpunkt. Er zog seine Cigarre bis nah an die Hälfte in den Mund ein und zerbiß sie.
    Er schien über Etwas nachzubrüten.
    „Wer war die Glückliche unter diesen Bestien?“ frug er dann, ohne sich merken zu lassen, daß ihm diese Frage etwas anderes, als gewöhnliche Neugierde dictirte.
    „Lydia Prairiebrand -- Rider's dress red, white and green,“ antwortete der Italiener, als Sachverständiger auch die Couleur des Reiters nicht vergessend,
    „Roth, weiß und grün !“ wiederholte der Ungar, „da hat der Zufall die ungarischen Nationalfarben zusammengewürfelt - eine maliciöse Convenienz, wenn es ein Ungarpferd wäre *); dann würde man in der Metairie Ridge die fines regni **) zu suchen haben.“
    „Das sind unsere „Farben“, erwiederte der Italiener.
    „In neuester Zeit ja“, sagte der Ungar, „der Unterschied liegt nur in der Zusammenstellung.“
____________________



*) Ein Seitenhieb auf einen Paragraphen im Verpoeczy Tripartitum.
**) Der Mordbrenner spielt hier auf Art.2,§ 25 in corpus Juris Hungariaean, wo vom bekannten Juramentum, dem Krönungseid, die Rede ist: „Fines regni nostri Hungariae et quae ad illud quocunque Jure and tituio pertinent, non abalienabinaus noc minuemus etc. “

 

- 126 -

    „Ist wohl möglich“, bemerkte der Italiener, ohne den Doppelsinn der Worte erkannt zu haben.
    „Und wer war der Glückliche?“ frug Lajos im langge dehnten Tone, als wäre ihm nicht viel an der Beantwortung dieser Frage gelegen.
    „Wie ich weiß,gehört die Lydia Prairiebrand Mister Cleveland, einem Farmer aus Illinois“, antwortete der Italiener Lombardi.
    „Ist wohl schon lange hier?“ frug der Ungar -- aber mit beengtem Athem, indem er dabei die Hand vor den Mund hielt und hustete.
    „Nun, wie ich hörte -- einige Wochen. Der Kerl ist übri gens ein großer Humbuger und versteht es, sich interessant zu machen --“
    „Wie so?“ bemerkte der Ungar.
    „Er behauptet, schon einmal ermordet gewesen zu sein und so drei Tage mitten in der Prairie gelegen zu haben. Die selbe wäre in Brand gerathen und das Flammenmeer über ihn weggeeilt, ohne nur im geringsten feinen Körper zu verletzen.“ Dem Ungar traten große Schweißtropfen auf die hohe,bleiche Stirne und rannen über sein Gesicht bis auf die behaarte Brust hinab. Er warf seinen Kopf zurück auf die Lehne des Fauteuils und stierte mit gespensterhaftem Blicke das Plafond an.
    Erstaunt sahen sich Lombardi und Merlina an.
    Der Abbé schob seinen Fauteuil weiter vom Tische ab, als fürchte er sich.
    Der Ungar langte mit seinen Armen weit aus, als wollte er etwas abwehren. Dann schien er wieder zu sichzu kommen und rief mit fürchterlichem Hohne:
    „Donner und Doria -- wenn das verreckte Aas wieder auf die Beine kommt, ist man nicht einmal sicher, daß man selbst schon ein Aas gewesen ist.“ Und ohne auf eine weitere Beschreibung des Italienerszu dringen, sprang er von seinem Fauteuil auf und rief wie toll:
    „Wenn New-Orleans schläft, wacht die Mühle -- die Clubbisten von 99 und 100 bringen Tod und Verderben!“
    Dann wandt' er sich an den Italiener und sagte:
    „Lombardi, lassen Sie uns in Nr.100 gehen -- der Abbé kann uns begleiten.“ -- Hierauf trat er mit verstörtem Gesicht

 

- 127 -


gannz nahe an die Zambo-Negresse und flüsterte: „Merlina, mein Pantherweibchen, ich sehe Dich heute Nacht.“
    Betroffen sah dieselbe den Ungarn an.
    „Tod oder Merlina“ stürmte das Triumvirat der Bande Merlina’s und eilte in's Clubkabinett. --
    In dem nemlichen Augenblicke verließ ein Mann von sehr dunkler Färbung seine Stelle an der Außenseite der Salonthüre und huschte in die Holzkammer, die den Clubkabinetten in divergierender Richtung begegnet. -- Als die Clubbisten die Thüre hinter sich verschlossen hatten, verließ er eben so vorsichtig wieder sein Versteck, ging durch die beiden Schlafzimmer, wo, wie wir bereits wissen, eine Pale-Chino-Zambo-Chola das Regiment führte, und pochte an die vordere Piege Merlina's
    „Nimm’ Dich in Acht, Sulla!“ sagte Jemand leise zu ihm -- „der Ungar brächte Dich um, wenn er Dich sähe.“
[LSZ - 1854.04.07]
____________________________

Achtes Capitel.

Die Clubbisten von Neun und
Neunzig und Hundert.

„Sieh' Deine reichsten und ' Bürger zittern vor mir,große Stadt! Sie bekleiden die höchsten Aemter und buhlen gar ehrbar um die Volksgunst,und doch sind sie eben so große Schurken, als wir -- denn sie drücken uns im Dunkeln freundschaftlich die Hand -- auf der Straße aber wollen sie uns nicht kennen. Daher sendet Dir sein Anathema, O große Stadt, Don Luis, el grau Desperado.
(Altes spanisches Schauspiel.)

    Le Sage’s hinkender Teufel verstand die seltene Kunst, die Dächer von den Häusern abzunehmen und seinem Günstling Dinge sehen zu lassen, bei derem Anblick er in wenigen Minuten mehr Erfahrung machte und größere Weisheit einsog, als weiland Doctor Faust und fein Cicisbeodurch das tiefste Grübeln über den Logos und Homunculus. Der hinkende Teufel flog von der Seinestadt nachden Pyrenäen. Nachdem er in deren Bädern das schuldbefleckte Glied wieder reingewaschen, nahm er seinen Flug nach Gibraltar. Von da, durch die Engländer vertrieben, streifte er die Säulen des Herkules und ließ sich auf den höchsten Gipfeln des Atlas nieder. Dann knickte er die Capitäler der Palmen Bileduldgerid's und sank in Liberia in's Knie. Hier verliebte er sich in eine schöne Tochter Nigritia's und machte Ansprüche. Als er aber nach vielen Wochen Courmachen noch um kein Haar breit weiter gekommen war, als

 

- 128 -

zur Zeit, wo er sein Buhlen begann, so ward er's überdrüssig und forschte nach Slave-Sale, um so auf leichtere Weise zum Zweck zu gelangen. Da man ihm aber bedeutete, daß man kein schwarzes Menschenfleisch feilbiete, so verdroß ihn das Liberia dergestalt, daß er eilig wegflog und sich nicht eher wieder niederließ, als bis er den Südwestpaß erreicht und Angesichts von New-Orleans sich geräuspert und geschneuzt hatte. Der hinkende Teufel kummert sich jetzt den Teufel mehr um seine alte Liebschaft in Liberia, da er hier in New-Orleans „plenty“ hat. Auch macht er sich ein großes Vergnügen daraus, Moralphilosophie zu dociren und hebt zu diesem Zwecke mit den Dächern zugleich die Petticoats auf. So hatte er's damals mit der Hamburger Mühle gemacht und den wilden Katzen der Dame Merlina. --
    Obwohl die Clubkabinette der Hamburger Mühle, Jedes für sich selbst, abgeschlossen waren, so hatte der Pontifer Maximus der Bande, der Italiener Lombardi, vor den andern Clubbisten das Prärogativ voraus, in jedes von diesen Cabinetten zu jeder ihm beliebigen Zeit zu gehen und seine Musterung vorzunehmen. --
    Diejenigen Cabinette, die mit Nr.97 und 98 bezeichnet waren, nahm das untergeordnete Personal in Anspruch, das zwar im Allgemeinen die nemlichen Rechte als die Clubbisten des höheren Grades genoß, doch mit feinen Ansprüchen auf Gelderwerb bedeutend in den Hintergrund treten mußte. Die es untergeordnete Personal bezog mehr ein Gnadengehalt, als den honetten Theil der eroberten Beute. Thaten sie sich durch ihre Bravour bei Verübung verschiedener Verbrechen hervor, fo avancierten sie in die nächst höhere Nummer. Welche Proben man bestanden haben mußte, um dieses vortheilhafte Avance ment für sich zu gewinnen, haben wir an dem Abbé Dominique Dubreuil gesehen. Die Clubbisten von 97 und 98 waren die eigentlichen Werkzeuge und gehorsamen Diener der Mühle und für dieselbe eben so unentbehrlich als für den Wagen die Räder. Man stellte sie an die schwierigsten Posten und ließ sie die toll kühnsten Streiche ausführen. Ihre Vergangenheit umschloß ein mehr oder minder glänzender Rahmen, dessen Vergoldung durch die Länge der Dauer abgenützt oder so beschmutzt war, daß er für Nichts weiter tauglich schien, als in die Rumpelkammer geworfen zu werden. Wie sich die Trappers aus den Vervehmten der menschlichen Gesellschaft, aus notorischen Verbrechern, entsprungenen Sträflingen u.s.w. rekrutieren, so ließen sich

 

- 129 -

die Clubbisten der Mühle im geraden Gegentheile mit der großten Keckheit in den Schooß derselben nieder, und waren um so gefährlicher, als sie sich wegen ihrer Wohlhabenheit und scheinbaren Rechtlichkeit oft die höchste Achtung ihrer Mitbürger zu erwerben wußten.
    Die Clubzimmer von 97 und 98 waren ziemlich geräumig und hatten ein zwar einfaches, aber bequemes Meublement.
    Hier erwarteten sie die Befehle, wie sie ihnen von Nr.99 und 100 zukamen und besprachen gegenseitig die Mittel und Wege zur Ausführung ihrer Verbrechen.
    Worin diese bestanden, werden wir gleich sehen.
    War gerade nichts zu thun oder ein Unternehmen zu gefährlich, so zechte man die ganze Nacht und senkte seine Phantasie in den Schooß der bleichen Mestizen und wilden Zamba's.
    Das war die Steuer, welche das Einkommen dieser untergeordneten Clubbisten zum Vortheile Merlina’s und der Mühle stark decimirte. --
    Merlina, die nie oder doch nur höchst selten, diese Clubbs besuchte, führte des ungeachtet eine genaue Controlle.
    Dieselbe war ihr sehr leicht möglich, da Lajos den officiellen Berichtigungen des Italieners durch sein Soufleur Genie mehr Nachdruck und die eigentliche Weihe verlieh.
    Doch begeben wir uns jetzt in die Cabinette Nr.99 und 100, wohin Lombardi, Lajos und Dubreuil aus dem Salon der Mühle geeilt waren. --
    Diese Clubkabinette, obwohl sie nach Außen, jedes für sich, verschlossen und somit von Einander getrennt schienen, waren durch eine leichte Tapete, die man nach Belieben aufziehen und herablassen konnte, zum freien Ein- und Ausgang von einem Cabinette in's andere geschickt gemacht.
    Diese Tapeten-Niederfälle stammten noch von dem Spanier Viala, der sie der hübschen Hamburgerin zurückließ, die sie für irgend ein Maneuver in ihrem Bedroom benützte. Bei ihrem Auszuge aus der Mühle ließ die Frau V*, die nachmalige Putzmacherin Bonceur, hoffnungslos zurück, wo sie dann in die Hände der Clubbisten fielen, die sie mit Geschick an dem eben bezeichneten Orte benützten. --
    Es war nach eilf Uhr.
    Der Abbé Dubreuil und Lombardi, die sich das sonderbare Benehmen des Ungarn durchaus nicht erklären konnten, waren mechanisch seinem Aufrufe gefolgt, und wenn es der Italiener bisher nicht gemerkt hatte, daß er sich unter den schroffen

 

- 130 -

Chrakter des Ungarn ducken mußte, so konnte er es jetzt um so mehr fühlen, indem Lajos in dieser Nacht eine ganze Gewalt unumwunden hervortreten ließ.
    Der Vorfall mit dem todtgeglaubten Pedlar aus Illinois, mit dem er vor ungefähr einem Jahre jene nächtliche Tour durch die hohen Gräser der Looking-Glass-Prairie unternommen hatte, brachte eine solche Veränderung in seinem bisher geheuchelten Benehmen gegen den schmutzigen Italiener hervor, daß er alle bisher geübte Nachsicht als lästigen Ballast von sich warf und sich demselben mit Einemmale als Dictator gegen überstellte.
    Er bedachte hier kein Risico -- er wollte und das war genug.
    Der Abbé hüstelte eine gute Zeit lang fort, nachdem Lajos bereits mehrere Male das Buch der Muhle durchblättert und ärgerlich wieder zugeschlagen hatte.
    „Lombardi!“ unterbrach er plötzlich das Stillschweigen und sah mit seinem kalten Marmorblicke auf den Italiener.
    „Sie kommen mir sehr sonderbar vor, Lajos --“, antwortete Lombardi und schielte dabei auf das Buch.
    „Lombardi!“ rief der Ungar wiederholt aus, „ich bin es überdrüssig, Sie noch weiters zu fetiren, wie Sie es bisher von mir gewohnt waren. Schreien Sie, heulen Sie wie ein hungriger Wolf -- ich commandiere und Sie präsentieren!“
    „Vor wem?“ frug der Italiener wie niedergeschmettert und ganz unschlussig, wie er sich gegenüber einem solchen Betragen des Ungarn benehmen sollte.
    „Vor dem Pontifer Mxrimus der Hamburger Mühle!“ betonte Lajos mit scharfem Accente.
    „Dann muß ich vor mir selbst präsentieren“, sagte der Italiener verwirrt, jetzt schon die ganze Gewalt fuhlend, die der Ungar auf ihn ausübte.
    Der Abbé hüstelte noch immer und schien neutral.
    „Sie präsentieren und ich commandire! -- Lombardi, Abbé und Ihr Alle in der Muhle! Was seid Ihr Heuchler und Schleicher, Ihr Diebe und Brandstifter gegen Lajos, den Clubbisten von Hundert, der sich wappnen muß gegen das Aas, das schon die Luft verpestet hat? -- Wem von Euch ist schon ein Todter auferstanden? Wen von Euch hat eine Leiche in die Schranken gerufen? Wer von Euch wäre nicht in Ohnmacht gefallen, wenn er gehört hätte, daß ein von ihm Ermordeter noch Ansprüche auf eine Purse bei einem Wettrennen

 

- 131 -

mache? Wer von Euch hat eine Leiche reiten und ein ersoffenes oder verkohltes Pferd einen Preis gewinnen sehen? -- Sie sehen mich fragend an, Lombardi? Sie haben den dummen Rülps Cleveland aber nicht die Pedlar Leiche gesehen! -- Schauen Sie nicht so erbärmlich d'rein, Lombardi. -- Verstehen Sie mich noch nicht? Mister Cleveland aus Illinois habe ich vor ungefähr einem Jahre mitten im Prairiebrande todt liegen lassen und jetzt kommt er hieher und mischt sich mit seiner Stute unter die Rennpferde.“
    Der Abbé knüpfte seine Halsbinde los und schaukelte sich auf den Stuhlbeinen.
    „Das ist auch toll genug“, sagte er dann.
    „Ich präsentire“, erwiederte Lombardi und fügte leiser hinzu: „wenn es wahr ist, daß die Todten auferstanden sind.“
[LSZ - 1854.04.08]
    „Lombardi! Wenn es auch nicht wahr wäre; ich commandiere und hiemit Punktum!“
    „Well und ich präsentire“, sagte der Italiener ganz verdutzt.
    „Und, wenn Sie fertig sind, nehme ich Ihnen das Gewehr ab“, bemerkte der Abbé, der zu der Auferstehungsgeschichte noch eine ungläubige Miene machte.
    „Für sie ist ein Gewehr zu gut, Abbé -- Rosenkränze für Stricke -- das ist der Pfaffen Waffe!“ --
    Diese plötzliche Umänderung des Ungarn während so kurzer Zeit mußte auch eben so schnell wieder vorübergehen, wenn sich der Unmuth, das Erstaunen, der laute Groll an einem starren, kalten Herzen gebrochen hatten. Auf den tobenden Orkan mußte Windstille folgen und das vorher hin uüd hergepeischte Fahrzeug, dessen Steuermann mit grollender Stimme dem Sturm befehlen wollte, zu gehorchen, schaukelte wieder ernst und stille ober dem gähnenden Grab des unersättlichen Würgers Ocean. Kein Stern beleuchtete eine solche Nacht seit der erfolgten Windstille, nur Leuchtkäfer schwirrten um Segel und Mast und schmückten, aber erhellten nicht das majestätische, ewige Dunkel. Diese Leuchtkäfer reizten einst eine wieder zum Leben erstandene Leiche und ließen sie den Pfad finden, der sie in's Verderben geleitete."
    Es war keine Furcht, die den Ungarn überwältigte, als er von Lombardi die grauenhafte Geschichte vernahm -- die großen, kalten Schweißtropfen, die ihm auf Stirne und Brust standen, waren nicht die Kinder eines geängstigten Gemüthes -- das gespensterhafte Auge zog sich nicht deshalb in die Länge, weil sein Inneres ihm zugerufen hatte, es gäbe eine Rache

 

- 132 -

unter den Todten; nein -- er kann schon im Voraus, den Pedlar auf schickliche Weise sammt seiner Lydia aus dem Weg zu räumen, noch bevor es ihm gelingen würde, unangetastet New-Orleans zu verlassen.
    Das Verlangen nach seinem Tode kochte sich in ihm zur gräßlichsten Raubgierde aus, machte ihn Anfangs auch wie ein Raubthier die Zähne fletschen, bis er, dem Instinkte der Hyäne folgend, seinen lauten Groll unter die blutgierige Zunge verbannte. --
    Der Ungar nahm jetzt das große Buch der Mühle wieder vor, und blätterte mit ruhiger und sicherer Hand nach den bezüglichen Noten.
    Dieses Buch, „das Clubbuch der Hamburger Mühle“ genannt, war ungefähr von dem Formate der Ledgers und hatte einen starken am Rücken und an den Ecken mit Silber belegten Einband. Seine Farbe war dunkelroth, mit der be kannten Parole Tod oder Merlina auf jeder Lage, in voller dunkler Schattierung. Die Noten des Buches, so wie überhaupt die ganze Führung desselben waren in französischer Sprache abgefaßt und wurden nur hie und da durch die im Club bestehenden Idiotismen unverständlich, ja in manchen Fällen sogar zu unauflösbaren Hieroglyphen, die nur die Sphynx Merlina und die Clubbisten von Nr.99 und 100 zu deuten im Stande waren.
    Der kurze, dicke Schlüssel, der das Schloß genannten Buches öffnete, hing gewöhnlich an einer rothseidenen, schwarz durchzogenen Schnur, die man jedesmal nach Abschluß der vorliegenden Geschäfte um den Einband in dreifacher Verschlingung wand und den Schlüssel durch eine eigenthümliche Verknotung sinken ließ. Die dadurch entstehende Schleife bildete den Namenszug von Dame Merlina.
    Zum regelrechten Oeffnen sowohl, als zum Schließen des Clubbuches war in gewisser Hinsicht eine nicht unbedeutende Fertigkeit nöthig.
    Bisher hatte es Lombardi übernommen, dem Buche der Mühle eine erste Weihe zu verleihen, und er that dies immer auf eine Art und Weise, wie es dem Ungarn schon lange nicht mehr behagte.
    Als derselbe eigenmächtig das Buch ergriff, ohne auf das Prärogativ des Pontifer Maximus Rücksicht zu nehmen, hatte Dubreuil mit einem Seitenblicke auf den Italiener, dessen anfangs erzwungene und dann freiwillige Unterwerfung im

 

- 133 -

Momente erkannt und und er glaubte nun auch eine ähnliche Zurücksetzung zu gewärtigen, obwohl er sich bisher noch keine Rechenschaft geben konnte, wie und wann ein solches Benehmen bei eintretenden Mißhelligkeiten unter den Verbündeten der Mühle selbst, eine wenn auch nur annäherungsweise Ausgleichung hoffen lassen könnte.
    Lombardi war bestürzt.
    Der Abbé nicht minder.
    Lombardi hoffte im Stillen vielleicht auf Merlina, der Abbé construierte für sich neue Vorsichtsmaßregeln und brachte sie mit den bisher beobachteten in Verbindung.
    Er sah nur zu gut ein, daß jener sonderbare Vorfall mit dem Pedlar Cleveland aus Illinois nur den Anstoß zur Unabhängigkeits-Erklärung des Ungarn gegeben hatte und daß dieser schon längst in sich den Wunsch herumgetragen habe, sich von den lästigen Verknüpfungen an gewisse Normen der Clubbisten loszumachen, und die Vorteile zu genießen, ohne auf die hergebrachten Verbindlichkeiten Rücksicht zu nehmen. --
    „Tod oder Merlina!“ rief jetzt der Ungar, indem er das Buch der Mühle vornahm.
    „Tod oder Merlina!“ antworteten fast zu gleicher Zeit Dubreuil und Lombardi.
    "Laios begann:
    „Vom St. Charles Hotel eine Balance von fünfhundert Dollars -- wenn die Kerle morgen nicht bezahlen, nimmt man die geeigneten Maßregeln.-- Dubreuil, wollen Sie das Herrn A*, dem Clubbisten von 97, übertragen.“
    Der Abbé verließ auf einen Augenblick sein jetziges Clubkabinett und eilte zu Nr.97, wo er sich seiner Pflicht erledigte.
    Ein Paar bleiche Mestizen, die an ihm vorbeistreifen, als die Clubthüre von 97 geöffnet wurde, hielten ihn etwas länger auf, zurückzukehren, als gewöhnlich.
    „Die Brandgelder werden künftighin erhoben, noch ehe man Feuer anlegt.“
    „Gut,“ sagte Lombardi und Dubreuil.
    „Hier ist eine Eingabe von Litera A.F.H.P. -- Seine zwei Häuser in Tchoupitoulasstraße, die sich in sehr schlechtem Zustande befinden, aber sehr hoch assecuriert sind, wünscht er niedergebrannt zu haben. Er bezahlt der Mühle für ihre Dienstleistungen zweitausend fünfhundert Dollars -- ferner können wir die Summe von tausend Dollars für jenes Haus von ihm beanspruchen, das dem Broker gehört und in Algiers

 

- 134 -

gelegen ist. Weshalb dies übrigens niedergebrannt werden soll, ist uns nicht bekannt.“
    „Gut“, wiederholten Lombardi und Dubreuil.
    „Eingegangen von Juliastreet, Erstens sechshundert Dollars, Zweitens fünfzehnhundert Dollars, dann Drittens die fällige Balance von neunhundert Dollars.“ --
    „Eingegangen von Campstreet siebenzehnhundert Dollars für Einbruch und Diebstahl, Litera Z.
    „Eingegangen von Canalstreet -- drei zu zweihundert Dollars für Brandstiftung, bezugsnahme der zerstörten Meubels, die bedeutend versichert aber in der Wirklichkeit gar nicht vorhanden waren.
    „Eingegangen fünfhundertfünfundsiebenzig Dollars aus St. Louis für ein hiesiges Handlungshaus-die Commissionäre zahlen das Doppelte.“
    „Die Procente mit eingerechnet“, bemerkte Lombardi.
    „Natürlich“, sagte der Ungar, „wir halten es wie gewöhnlich.“
    „Für den Termin auf Weihnachten von der Cottonpresse siebenhundert Dollars-der Agent bezahlt an die Gesellschaft neunhundert Dollars.
    „Es ist besser, wir lassen ihm zweihundert ab -- dem Kerl ist nicht zu trauen.“
    „Es bleibt dabei -- wenn sich Gabor nicht unbefugter Weise hineinmengt, wird Nichts zu befürchten sein.“
    „Man kann es nicht wissen“, bemerkte der Abbé.
    „Kommt ein Unterschleifvor, läßt man's der Cottonpresse auf ein andermal entgelten und treibt sie mit einem Anklage-Vorgeben in die Enge.“
    „Ja, sie muß sich fügen,“ bejahte Lombardi --
[LSZ - 1854.04.09]
    „Hier -- ein kleiner Job ... die Lumberyard Office in Magazinestreet soll erbrochen und die große eiserne Geldkiste aufgesprengt werden --"Mühle empfängt vierzig Dollars.“
    „Der Kerl ist ein infamer Geizhals, er könnte das Doppelte bezahlen. Wir unterlassen es, wenn er nicht wenigstens achtzig bietet“, wandt' Lombardi ein.
    „Und das Geld, das der Clubbist in der Geldkiste vorsindet --?“ begann Dubreuil, ironisch fragend.
    „Es sollen fünfhundert Dollars gestohlen werden, die sich in der Geldkiste gar nicht befinden. Der Lumberyard Mensch will durch diesen scheinbaren Diebstahl wahrscheinlich seinen Partner hintergehen.“

 

- 135 -

    „Lassen wir's dann“, sagte jetzt Lombardi, „auf nur fünfhundert Dollars sind vierzig genug.“
    Lajos unterzeichnete jetzt ein sechseckiges Blättchen, drückte eine gelbe Oblate darauf und übergab es Dubreuil mit den Worten:
    „Bringen Sie dies Herrn A*, dem Clubbisten von Nr.97; er soll die Hälfte von den vierzig Dollars Tags vor dem Ein bruche collectiren.“
    Der Abbé verließ Nr.99 und 100 und begab sich nach Nr.97.
    Als er wieder zurückkam, erbat er sich eine kleine Unterbrechung.
    Der Ungar gewährte. Auch Lombardi nickte zu.
    „Herr A*“, begann der Abbé, „ersucht die Clubbisten von Nr.99 und 100, auf ihn beim nächsten Traktement speciell Rücksicht zu nehmen -- er hat Schulden wie Heu und eine Frau mit zwölf lebenden Kindern.“
    „Das ist nicht unsere Schuld, daß er so viele Pampfen hat; es hat ihn Niemand geheißen, ein solches Regiment von Unkraut auf die Welt zu setzen“, bemerkte Lajos.
    Dann fügte derselbe hinzu:
    „Sagen Sie dem Clubbisten von 97, daß er von heute ab wenigstens zweimal in der Woche gegen die Zamba-Cholas unserer Dame nicht gleichgültig sein soll. Da trägt sein Zeugungsvermögen doch anständige Zinsen, statt daß es das Capital anffrißt.“
    „Es sind nur noch fünf Zamba-Cholas in der Mühle und drei von ihnen befinden sich bereits in interessanten Umständen“, bemerkte der Italiener Lombardi; „den andern Beiden ein entsprechendes Interesse abzugewinnen, würde wohl schwer halten -- aber der Clubbist mag die dunkle Mulattin Hyderilla oder Pharis und Elma beglücken.“
    „Mit Pharis könnte es zu früh sein -- sie leidet noch von Parafina Brulard her“, erwiederte Dubreuil.
    „Sie haben die Zange, Bürste und den Kinn-Nagel doch mitgenommen, Abbé?“ frug Lajos.
    „Wozu?“ sagte der Abbé, „wenn es darauf ankommt, der Mühle eine neue Generation heranzuziehen.“
    „Ehe Sie Morgen in die Mühle kommen, ersuchen Sie Madame Brulard, Ihnen diese Geräthschaften zu verabfolgen -- es ist nur, um vielleicht einmal gegen Sie ein Argumentum ad hominem zu haben,“ entgegnete der Ungar.

 

- 136 -

    „Gut!“ sagte der Abbé. --
    „Rothe Rubrick -- das leere Warehouse in Religiousstreet am sichersten vor zwölf Uhr -- man kann von der Alley aus in den Anbau gelangen -- es wird um so sicherer niederbrennen, wenn der Carpentershop zuerst in Angriff genommen wird -- -- das wäre heute“. Der Ungar sah auf seine Uhr und wandte sich an Dubreuil:
    „Welcher Clubbit hat es übernommen?
    Kaum hatte der Ungar diese Fragen an den Abbé gerichtet, als man das Anschlagen der Feuerglocken vernahm, die für die Clubbisten um so heller ertönten, als der Wind den vollen Schall an den Fenstern der Mühle vorbeitrieb. Zu gleicher Zeit schrie die Nachtwache aus vollem Halse ihr Feuer! Feuer! und drehte und schwang die Schnarre. Das Gerasset und Geklingel der Engines, untermischt von dem übermäßigen Schreien und Toben der Feuerleute, deutete auf große Gefahr.
    „Der Clubbist ist pünktlich,“ unterbrach der Ungar die auf wenige Augenblicke eingetretene Pause, „'s ist eben fünf Minuten vor zwölf Uhr.“
    „Religioustreet -- nicht wahr?“ frug Dubreuil.
    „Aufzuwarten, Abbé -- wenn Sie nicht eben geschlafen haben“, sagte der Ungar in maliciösem Tone.
    „Man sieht es, daß Sie noch Neophyt in Nr.98 und 100 sind. Genauere Orientierung von heute ab!“
    „Gut!“ sagte der Abbé, indem er sehr stark hüstelte und ärgerlich eine schmalen Lippen zusammenkniff. --
    Lajos schlug jetzt das Mühlenbuch nach vorne um, markirte noch einige Stellen mit rother Tinte und verlas, nachdem er vorher eine genaue Specification vorgenommen, den Status:
    „Eingegangene Gelder -- Semestral-Betrag der Mühle: Fünf und Siebenzig tausend Dollars -- verausgabt Sechszehn tausend Dollars -- zum Clubbistenfond geschlagen vierzehntausend dreihundert Dollars -- bleiben für die Mühle Fünfundvierzigtausend -- davon fünf und zwanzigtausend für den Grant in Teras bestimmt -- bleibt für die Mühle ein Netto Baarbetrag von Zwanzig Tausend.
    „Sehr schmal dieses Semester“, brummte Lombardi, der es nicht so leicht verschmerzen konnte, daß er sich den Befehlen des Usurpators zu fügen habe.
    „Die Schottin wird die magere Gans wieder fett machen“, bemerkte der Abbé, aber er unterdrückte dabei ein schadenfrohes Lächeln.

 

- 137 -

    „Wir wollen sehen,“ sagte der Italiener.
    „Cubaangelegenheiten,“ fuhr Lojos weiter fort: „Gabor"s Bericht vom 25.l. M.-- Vom spanischen Gefandten erhalten zweitausend Dollars -- --
    „Weshalb?“ frug der Abbé, dem als bisherigen Clubbisten von 98 noch nicht. Alles bekannt sein konnte.
    „Gut, daß Sie mich daran erinnern, Abbé, es ist unsere Pflicht, daß wir Sie von Allem in Kenntniß setzen, was Sie in Ihrem niedern Grade nicht zu wissen brauchten.
    „Sehr gütig“, erwiederte der Abbé, „ich bin stolz auf Ihre mir geschenkte Aufmerksamkeit.“
    „Gabor,“ entgegnete Lajos, „hat unter dem Vorgeben, in die Geheimniffe der Cuba-Invasion eingeweiht zu sein, von Washington aus die eben von mir erwähnte Summe zugesendet erhalten.“
    „Der Kerl macht Geld mit einem Schwindelgenie -- doch lassen wir ihn, er ist verabschiedet.“
    „Höchst unklug“, brummte der Italiener in seinen fettigen Bart, in den eben eine lange Jauche Kautabacks floß. --
    „Am zweiten August verläßt der „Pampero“, mit General Lopez an Bord, New-Orleans. Die royalistische Junta bietet eine sehr noble Entschädigung, wenn wir uns entschließen könnten, zwei Clubbisten als Spione mitreisen zu lassen, die gleich nach ihrer Landung auf Cuba dem Generalgouverneur Concha Bericht erstatten. Damit ihr Leben bei einer etwaigen mißglückten Landung der Filibustiers nicht gefährdet ist, sollen sie ein kleines goldenes Kreuz auf der Brust tragen, auf dem sich das Portrait der Königin Isabella befindet. Bei dessen Vorzeigen werden sie sich als gut königlich gesinnt ausweisen können. Es ist das Zeichen der royalistischen Junta von New-Orleans und seiner Branchen in Louisiana. Eben so haben sie die Clubkarten bei sich zu führen.“
    „Ganz gut“, bemerkten Lombardi und Dubreuil fast zu gleicher Zeit.
    „Ich glaube, wir wählen hiefür Campo und den Dutchman aus Galveston.“
    „Angenommen!“
    „Die Beiden sind geschulte Blacklegs -- die taugen an Besten,“ brummte der Ungar. --
    Lajos schloß jetzt das Buch und ließ den Schlüssel durch die verhängte Schlinge gleiten.

 

- 138 -

    „Tod oder Merlina!“ rief er dann aus. Lombardi und Dubreuil wiederholten die Parole.
    Ein zweiter Feuerlärm erregte die Aufmerksamkeit der Clubbisten. Von der Straße herauf hörten sie ganz deutlich die Worte eines Wachtmannes, der einem andern zurief: „Bei Parasina Brulard -- das Feuer ist bei der Putzmacherin Boncoeur ausgebrochen.“
    Als Dubreuil dies vernahm, wollte er aufstehen und sich entfernen.
    „Abbé“, rief ihm der Ungar im befehlenden Tone zu,
    „Sie vergessen ihren Grad!“
    Dubreuil setzte sich wieder ärgerlich an seinen Platz.
    Dem Italiener verdroß die Arroganz des Ungarn noch mehr. Er sagte aber Nichts.
    „So gehen Sie jetzt“, sagte Lajos zum Abbé, ihn durch das momentane
    Zurückhalten auf seine Machtvollkommenheit aufmerksam machend.
    Vielleicht wollte Lajos auch die Geduld des Abbé erproben. --
[LSZ - 1854.04.11]
    Als der Abbé das Clubkabinet verlassen hatte und durch den großen Salon der Mühle ging, um durch die hier angebrachte Oeffnung wieder hinabzusteigen, hing sich ein langer Schatten an seine Fersen, der sich erst verlor, nachdem sich der Abbé außerhalb der Peripherie der Beleuchtung befand.
    Er eilte hastig nach der bezeichneten Brandstätte.
    Als Dubrueil das Clubkabinett verlassen hatte, wandt” sich Lajos mit ruhiger und sicherer Stimme an den Italiener:
    „Lassen Sie sich etwas sagen, Lombardi.“
    „Nun, was?“
    „Der Pfaffe“, fuhr Lajos fort, „ist ein Schurke -- -- was sagen Sie hiezu?“
    „Ich glaube es auch -- er ist vielleicht ein eben so großer, als ich und Sie.“
    „Sie wollen sagen, als Sie und ich“, entgegnete der Ungar.
    „Spielerei!“ sagte der Italiener.
    „Einerlei!“ erwiederte der Ungar, „Sie sollen erfreut darüber sein, daß ich Ihnen die Diktatur abgenommen habe.“
    „Wenn ich Etwas darum gäbe, würden Sie es umsonst gewagt haben. Ich ließ mir's gefallen, um keinen zu vorzeitigen Bruch unter den Clubbisten herbeizuführen -- übrigens bin ich's zufrieden, wenn man mir keinen bedeutenderen Schaden zuzufügen gesonnen ist.“

 

- 139 -

    „Nennen Sie es einen Schaden, Lombardi, daß ich Ihnen das Amt eines Pontifer Maximus abgenommen - oder, daß Sie mir es freiwillig übergeben haben?“
    „Ja -- aber einen Schaden, den ich jederzeit wieder gut zu machen im Stande bin.“ -
    „Ich wüßte nicht, auf welche Weise. Sie dies zu thun im Stande wären- oder gehen Sie mit irgend einem Plan um?“
    „Ich weiß, was Sie sagen wollen, Lajos-da möchten Sie sich aber gewaltig irren -- ich würde mir dadurch selbst schaden“, unterbrach der Italiener den Ungarn.
    „Sie sind in der That zu fürchten, Lombardi,-- so genau die innersten Gedanken seiner Nebenmenschen erforschen zu können -- ich beneide Sie um diesen Vorzug.“ Lombardi schwieg und schien ärgerlich.
    „Sehen Sie, Lombardi“, fuhr der Ungar fort, „ich bin gezwungen, hier den Vorsitz zu führen.“
    „Wer zwingt Sie? -- ich sicher nicht,“ entgegnete der Italiener und verzog seinen Mund zu einem künstlichen Lächeln.
    „Die Umstände haben mir befohlen, das mir eigenmächtig zuzugestehen, was man mir doch nicht, oder höchstens mit bc deutenden Schwierigkeiten verknüpft, eingeräumt hätte. Es geht zu mit der Mühle; das Einkommen verringert sich von Tag zu Tag immer mehr und mehr und die Ausgaben steigen -- die beiden Wachtleute verlangen jetzt schon zwölfhundert Dollars mehr für ihre Verschwiegenheit und zeitweiligen Dienstleistungen.“
    „Ich weiß es,“ bemerkte Lombardi, „die Kerle fangen an, übermäßige Forderungen an uns zu stellen; wenn das sofort geht, wird uns nach Abschluß des nächsten Semesters kaum so viel übrig bleiben, um die nothwendigsten Lebensbedürfnisse befriedigen zu können.
    „Die ihrigen sind leicht zu befriegen, Lombardi -- aber ich habe eine fünffache Verpflichtung.“
    „Das versteh' ich nicht.“
    „Nun doch -- erstens habe ich für meine Person zu sorgen und das ist zuletzt doch die Hauptsache -- das räumen Sie mir doch ein, Lombardi?“
    „Und dann zweitens?“
    „Für die Mühle.“
    „Um die Mühle brauchen Sie sich nicht zu angstigen; wenn nichts einkommt, hat sie nichts.“

 

- 140 -

    „Ganz recht,“ bemerkte der Ungar, „aber ein guter Clubbist spricht nicht so!“
    „Drittens für Ihre Frau, nicht wahr?“ frug der Italiener.
    „Ja, für meine blonde Katze Frida“, antwortete Lajos und hätte fast gelächelt.
    „Viertens?“
    „Viertens, für meine Schwägerin, die Strohwitwe Jenny.“
    Es war eine Niederträchtigkeit des Ungarn, die genannten Personen in solcher Gegenwart und an einem solchen Orte bei ihren Vornamen zu nennen. Er stellte sie dadurch mit den Hetären der Dame Merlina in eine Cathegorie.
    „Fünftens“, fuhr er fort, „für mein Kind.“
    „Einen neuen Sprößling des Hauses der Grafen von Est --“
    Der Italiener sprach diesen Namen nicht aus; denn ein Blick des Ungarn bannte seine Zunge, dann sagte der Letztere:
    „Ich verbiete es mir, Lombardi, daß Sie noch ein Mal meinen Namen nennen -- denken Sie dabei, was Sie wollen -- -- aber die Tabacksjauche in Ihrem schmutzigen Maule soll ihn nicht beschmutzen.“
    Der Italiener grinste mit widerlicher Verziehung seiner Nasenflügel.
    „Den Wachtleuten,“ knüpfte der Ungar wieder an, „werden die zwölfhundert Dollars künftighin nicht mehr bezahlt werden -- sie müssen mit den zweitausend Dollars, die sie seither erhalten haben, zufrieden sein.“
    „Ein solcher Abzug ist nicht rathsam, die Kerls haben den Teufel im Leibe,“ entgegnete Lombardi. --
    „Und wenn jedes Haar an ihrem Leibe ein Teufel wäre, so werden sie künftighin nicht mehr erhalten! Der spanische Rülps läßt mit sich handeln und ginge mit seiner Forderung vielleicht bis auf fünfhundert Dollars herab, wenn ich ihm hart zusetzte. Der andere Wachtmann weiß, warum er's Maul hält; ich habe ihm einmal helfen müssen, das Kind seiner Beischläferin im Kanal zu ersäufen -- und da er eine Frau und drei Kinder hat -- er würde uns zuletzt auch noch um fünfhundert Dollars zu Diensten stehen. Zudem läuft die Bestie wie ein Bürstenbinder und da langt ein schundiger Wachtmannslohn nicht zur Hälfte aus.“
    „Hm! hm! wenn es so ist -- meinethalben, wenn Sie mit ihnen eine für die Cassa der Mühle günstige Uebereinkunft

 

- 141 -

treffen könnten -- wir werden's zufrieden sein,“ entgegnete der Italiener mit einem bedenklichen Achselzucken.
    „Nun zu etwas Anderem“, sagte der Ungar. „Haben Sie zufällig den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Pedlars Cleveland erfahren und wo eine Stute steht!“
    „Ick, bin mit ihm nach dem Rennen in die Stadt geritten - er saß auf einem Racepferd und war ziemlich geschwätzig. Der Irishman, der draußen einen Grogshop hält, hat uns bis zur Hälfte begleitet, dann verließ er uns, um, wie er sich ausdrückte, einem dam'nd Yankee das Fell über die Ohren zu ziehen, da er ihm beim Ankauf von Land betrogen habe.“
    „Nebensache, Lombardi -- ich frage Sie, ob Sie nicht wissen, wo Cleveland wohnt und in welchem Stalle eine Bestie steht?“
    „Wo er wohnt, weiß ich nicht, aber wo seine Bestie abgefüttert und gestriegelt wird es ist da, wo ich die meinige habe.“
    „Das kann ich nicht wissen,wo Sie die ihrige haben.“
    „Sie steht bei Oliver Dubois in Boarding.“
    „Das ist demnach im Livery Stable, gegenüber der Liverpool und London Insurance Compagnie in St.Charlesstreet?
    „Im nemlichen, antwortete der Italiener.
    Der Ungar dachte einige Augenblicke nach, dann frug er Lombardi :
    „Sie kennen die Bestie doch ganz genau?“
    „Natürlich; die Racepferde merkt man sich, besonders wenn sie einen Preis errungen haben.“
    „Haben Sie sie auch genau angesehen -- es giebt Merkmale, die viele Pferde gemein haben, man kann sich hierin leicht irren.“
    „Das untrüglichste Merkmal, das die Lydia Prairiebrand an sich trägt, ist, daß das linke Ohr fast um einen Zoll kürzer ist, als das rechte“.
    „Ganz richtig“, bemerkte der Ungar und setzte hinzu: „und hat eine getheilte Mähne, die halb auf die linke und halb auf die rechte Seite gekämmt ist.“
    „Und die Nüstern sind rotzig und haben einen gesunden Ueberschlag.“
    „Ganz richtig.“
    „Solche Stuten laufen keinem Hengst freiwillig unter die Beine.“

 

- 142 -

    „Pferdedoktor!“ warf der Ungar launisch hin -- die Lydia Prairiebrand soll nächstens ihre Behandlung erfahren.“
    „Ich bin kein Veteränärarzt, Lajos -- ich kurire mit dem Ellenbogen.“
    Dabei machte der Italiener eine gewisse Bewegung.
    Der Ungar trat ihn auf den Fuß. --
[LSZ - 1854.04.12]
    „Nun, Pferdedoktor, Sie werden diesmal Ihre Kunst an Miß Lydia Prairiebrand erproben; möge Sie Aesculap und sein ganzer Troß beschützen!“
    „Ich hab' Ihnen schon gesagt, daß ich Stuten mit dem Ellenbogen curire -- wenn es übrigens darauf ankommt, unserer Pedlar Miß ein Pülverchen zurecht zu machen -- so habe ich gerade auch nichts dagegen.“
    „Wo haben Sie dies Pülverchen zu präparieren gelernt, Lombardi?“
    „Dies hat mir der Bereiter des Herzogs Quaglio in Florenz gelehrt -- ich war kaum ein Junge von zehn Jahren und habe es schon so gut wie Einer verstanden, Pferde und Hunde zu meinen Patienten zu zählen. Da waren die Drillinge des Grafen Farnese, drei Schwestern -- herrliche, prächtige Isabellen -- der Unterbereiter brauchte mir nur die Reitgerte in die Hand zu geben und mir den Bauchriemen zu zeigen -- so war der kleine Lombardi, der Teufelskerl, hinter die Drillinge her und pferchte sie. Der alte Farnese hat die Pülverchen einst in meiner Mütze gefunden und mich darüber zur Rede gestellt, Ich, als echter Pipo, gab ihm eine galante Antwort, so galant. daß er die Augen zudrückte und dem kleinen Lombardi noch obendrein ein Douceur zukommen ließ. Die Lazaroni würden es damals schon versucht haben, mich todtzuschlagen, wenn sie dies erfahren hätten.“
    „Sie hätten wohl Lust, mich die ganze Nacht mit den Lichtpunkten Ihres Jugendlebens bekannt zu machen“, unter brach jetzt der Ungar den Italiener, den die Erinnerung an seine Jugendjahre auf einige Minuten den alten Schmutz, den er in den Straßenrinnen von New-Orleans aufgefischt, abzuschütteln zwang. Denn der Pipo Lombardi war gegen den Fruchthändler Lombardi noch immer ein schmuckes Bürschchen zu nennen.
    Da wir befürchten, daß die schönen Leserinnen, falls sie keine Pferdeliebhaberinnen oder leidenschaftliche Reiterinnen sind, diesem Jokey Gespräch kein Interesse abgewinnen können, so unterlassen wir es, die nun folgenden Paraphrasen hier zu

 

- 143 -

erwähnen, um so mehr, als die delikate Passion für Pferde bei den beiden Clubbisten in Stallknecht-Poesie auszuarten schien. Daher den Fehdehandschuh umgestülpt, ihr Amazonen von New-Orleans! Der Falke war blind. --
    Der Groli, den der ehemalige ungarische Husarenoffizier gegen die Stute des Pedlars Cleveland hegte, war seinem Charakter vollkommen angemessen. Ein Mensch, wie Lajos, der die Pferde mehr liebte, als die Menschen, mußte eben deshalb seinen vollen Haß auf jene übertragen, wenn sie ihm irgend einen Streich gespielt oder sich seinem Commando nicht gefügt hatten. Er wäre übrigens eben so gut im Stande gewesen, seinen besten Freund für ein schönes Pferd zu opfern. Obwohl er es selbst sehr gerne unternommen hätte, Lydia aus dem Wege zu schaffen, so unterließ er es aus nur ihm bekannten Gründen und ertheilte hiefür Lombardi seine Instructionen. Er selbst wollte um jeden Preis den Pedlar um's Leben bringen. Denn er sah ein, daß ihm derselbe, falls er am Leben bliebe, einmal gefährlich werden könnte. --
    Ehe sich die Clubbisten für diese Nacht trennten, hatten sie noch drei Clubbisten von Nr.98 zu sich beordert, und ihnen den Befehl ertheilt, Gabor nicht aus den Augen zu lassen und seinem Treiben aufs genaueste nachzuspüren und die gesammelten Momente und Data auf's gewissenhafteste dem Collegium von Nr.99 und 100 zu hinterbringen.
    Eine außergewöhnliche, nicht unbedeutende Zulage sollte der Lohn einer befriedigenden Pflichterfüllung sein. Ebenso ward ihnen angedeutet, auf den Prinzen von Würtemberg, den man ihnen als einen gefährlichen Gegner des Abbé Dubreuil, des Clubbisten von 99 bezeichnete, ein wachsames Auge zu haben.
    Das Betragen des Abbé zu controllieren, übernahm Lajos selbst. Die Auseinandersetzung des Abbé hinsichtlich des Mordanfalles auf Miß Dudley Evans hatte ihn mißtrauisch gemacht und ermahnt, dem Priester nicht aufs Wort zu glauben. Dieser beabsichtigte Mordanfall schien ihm für einen so abgefeimten Jesuiten doch zu plump, und er wäre zufriedener gestellt gewesen, wenn der Pfaffe einen weniger gefährlichen Weg ein geschlagen hätte. --


- 144 -

Neuntes Kapitel.

Unter dem Bette.

Plötzlich regt es sich im Rohre; mit Gebrüll auf ihren Nacken
Springt der Löwe;welch ein Reitpferd! sah man reichere Schabracken
In den Marstallkammern einer königlichen Hofburg liegen,
Als das bunte Fell des Renners, den der Thiere Fürst bestiegen?

In die Muskeln des Genickes schlägt er gierig seine Zähne;
Um den Bug des Riesenpferdes weht des Reiters dunkle Mähne;
Mit dem dumpfen Schrei des Schmerzes springt es auf und fliegt
                                  gepeinigt;
Sieh', wie Schnelle des Kamceles es mit Parbelhaut vereinigt.“
(„Löwenritt.“)

    Wenn wir jene Negerfamilie so ganz aus dem Gesichtskreis der geehrten Leserinnen verschwinden ließen, so geschah dies nur deshalb, um keine voreilige Lösung jenes Knotens herbeizuführen, den jener geheimnißvolle Mann während seiner Anwesenheit in den obern Räumen der Atchafalaya Bank in so räthselhafte Verschlingungen geschürzt hatte. Wir bemerken hier nur, daß Sulla damals verhindert wurde, den mit Hilfe seiner Adoptivtochter beabsichtigten Diebstahl zu begehen und daß er nach vielen Mühseligkeiten und Drangsalen des materiellen Lebens seine angebliche Frau und Adoptivtochter verlassen und endlich in der Hamburger Mühle einen sichern Zufluchtsort gefunden hatte. Wie er hieher gelangte, können wir hier nicht mit Bestimmtheit behaupten; doch ist es wahrscheinlich, daß ihn Lajos in Einem der vielen Negercafé's angetroffen und als brauchbares Werkzeug hierher geschleppt habe. Daß Sulla der einzige schwarze Mann in der Mühle war, haben wir bereits bemerkt; glauben jedoch, noch hinzusetzen zu müssen, daß es eine gewisse Bewandtniß hatte, daß er der Einzige war. --
    Seine Verrichtungen in der Mühle waren verschiedener Art, doch so geregelt, daß er über die Hälfte des Tages nach eigenem Gutdünken über seine Muße verfügen konnte. Da sich die Clubbisten, wenn sie gerade nicht die Nacht in der Mühle zubrachten, erst gegen Abend einfanden, so hatte der Neger gewöhnlich nur von 7 Uhr bis 10 oder 12 Uhr hinter der Bare zu stehen, die sich im großen Salon nahe an der Thüre, die in die beiden Schlafzimmer führte, befand. Unter der Bare des Salons der Hamburger Mühle darf man sich übrigens keinen ordinären Schenktisch vorstellen, vor den man sich bei jedem Trunk, den man zu sich nahm, pedantisch aufpflanzte oder in ungeziemender Weise herumlümmelte, dann seinen Dime oder Picayune hinwarf und sich entfernte -- nein, die Bareder

 

- 145 -

Mühle bestand aus einem mit der höchsten Eleganz, aber auch zugleich mit der feinsten Raffinerie gehaltenen Compler von T* Stühlen und Schmachtsopha's, aus deren Mitte eine Cascade der seltensten und besten Weine, Araks u.s.w. hervorragte. Den Diameter dieser Cascade bildete der schwarze Barkeeper selbst, der von hier aus seine Segnungen ertheilte. War Lajos in der Mühle, so erbat er sich noch eigens von Dame Merlina zwei dunkle Mulattinnen, durch deren Hände er sein Lieblingsgetränk, echten Tokayer*) empfing. Lombardi war schäbig genug, an solchen Abenden statt des feurigen Weines mehrere Quarts Brandy mit Pfeffermünze hinabzuschütten, die ihn selten aus seinem heimtückischen Cynismus zu lichteren Sphären emporhoben. Gewöhnlich sank er, wenn er sein be stimmtes Quantum getrunken hatte, ruhig und stumm zusammen und ließ sich von einigen Mädchen der Mühle, die ihn theils bei den Füßen, theils beim Kopfe packten, in sein Schlafgemach schleppen. War der Abbé gegenwärtig, so sang er ab scheuliche Vaudevilles und ließ sich auch hie und da bewegen, zur Belehrung Aller eine Predigt über die sieben Todtsünden vom Stapel zu lassen.
[LSZ - 1854.04.13]
    Hatte Merlina einige Gläser von dem Tokayer des Ungarn getrunken, so war sie kaum mehr zu erkennen. Ihre glühenden Pulse flogen, das Feuer in ihren Augen schien die Wimper zu verengen und die Höhlen zu erweitern; ihr langes, weißes Kleid wurde ihr um Schultern und Busen zu eng, abgestreift und um die kurze Taille gebunden. Dann erschien sie selbst wie eine dunkle Wolke, die rasch aufeinander folgendes Wetterleuchten in beständigem Glanze erhält. In solcher Verzückung ergriff sie oft die langen schwarzen Haare des Ungarn, drehte sie zu Flechten und steckte ihm die goldene Klaue auf den Kopf. Derselbe aber faß kalt und bleich neben ihr und lächelte nur, wenn sie ihn auf die Narbe an seiner Wange küßte. Man sah ihn nie betrunken; ja er schien sogar bei jedem neuen Glas mehr zu erkalten ünd zu verfeinern. Nur seine
____________________


*) Es ist bekannt, daß Merlina Dufresne direkt von französischen Schiffen ihre Weine empfing, und daß ihr Champagner kein bloßer moussierender Frankenwein und ihre Bordeaux nicht mit Brazil Holz verfälscht waren. Ihre diversen Weine, z.B. Porto, Madeira u.s.w. sie aus eben so reinen Quellen. Seit sie aber der Ungar mit der ersten Flasche Tofayer überrascht hatte, ließ sie alle andern bei Seite. Welche bedeutende Summe Geldes der Ungar zur Erlangung dieses edlen Getränkes verwenden mußte, mag daraus hervorgehen, daß echter Tokayer nur in der Wiener Hofburg getrunken wird. Denn was Einem in Oesterreich und Ungarn unter dem Namen „Tokayer“ vorgesetzt wird, ist weiter nichts, als eine mehr oder minder feine Blume von „Ruster Ausbruch.“

 

- 146 -

Augen hefteten sich hie und da auf den Neger Sulla, der öfterverstohlen nach Merlina hinsah. Sulla, der eine rasende Leidenschaft für Merlina gefaßt hatte, hatte bisher mit über menschlicher Kraftanstrengung das erhitzte Element in seinem Innern zu dämpfen gesucht und glaubte bereits so weit mit sich ins Reine gekommen zu sein, daß er es wagen konnte, Merlina in’s Gesicht zu sehen, ohne sich bei ihr oder Andern nur im Mindesten zu verrathen. --
    Merlina hatte die heftige Leidenschaft Sulla's wohl bemerkt, aber anstatt ihr auszuweichen, schien sie dieselbe durch ihr Benehmen nur noch mehr anfachen zu wollen. Verliebt war sie eigentlich nur in den Ungarn, in einer Weise, wie sich's der Weiße kaum erklären kann; aber es machte ihr großes Vergnügen, anzureizen und abzuwehren, scheinbar zu bewilligen, was sie im nächsten Augenblicke darauf mit dem ärgsten Hohn bestrafte. Ja sie trieb es hierin oft so weit, daß sie ihm öfter den Auftrag ertheilte, ihr zur Nachtzeit einen beliebigen Gegenstand vor das Bett zu bringen, in das sie sich kaum halb angekleidet niedergelegt hatte. Kam dann der Neger und gab sich alle Mühe, die Thüre so leise als möglich zu öffnen, so zog sie ein Pistol unter ihrem Kopfkissen hervor und drohte ihn nieder zuschießen, wenn er sich nicht gleich entfernen würde. Der gequälte Sulla wußte anfangs dieses Benehmen seiner ange beteten Herrin gar nicht zu deuten. Und dennoch ging er zum zweiten und dritten Male wieder in die Falle und mußte jedesmal eben so erschreckt und hoffnungslos abziehen.
    Heute hoffte und fürchtete er zu gleicher Zeit.
    Sulla, der es kaum erwarten konnte, bis sich die Clubbisten von 99 und 100 aus dem Salon entfernten, hatte sich, nachdem sich dieselben in ihre Clubkabinette zurückgezogen, schnell über den Salon durch das Schlafzimmer bis vor die erste Pieçe der Dame Merlina geschlichen, um hier einzutreten. Als er die Thüre öffnete, rief ihm Merlinaleise jene Worte zu:
    „Nimm Dich in Acht, Sulla! der Ungar brächte Dich um, wenn er Dich sähe.“
    Sulla ließ sich aber diesmal nicht zurückschrecken.
    Keck trat er ein.
    Merlina verließ ihre Piege und eilte auf die Aufseherin in dem schon oft genannten Schlafzimmer zu und befahl ihr, scharf Acht zu geben, wenn sich die Clubbisten entfernten und sie durch ein dreimaliges Pochen an die Thüre aufmerksam zu machen.

 

- 147 -

Sie selbst verschloß die äußerste Thüre, die vom Salon aus in die Schlafzimmer und von da in ihre Pieçen führte.
    Wem dies sonderbar erscheint, den brauchen wir nur an die Worte zu erinnern, die der Ungar Merlina zuflüsterte, als er mit Lombardi und Dubreuil den Salon verließ.
    Die Clubbisten verließen gewöhnlich gegen ein Uhr ihre Cabinette und als Sulla bei Merlina eintrat, war es kaum einige Minuten nach Eilf.
    „Merlina, Du erschreckt mich diesmal nicht und wenn Du in jeder Hand eine Pistole hieltet“, entgegnete der Neger auf die Warnung seiner Dame und riegelte die Thüre hinter sich zu.
    Merlina ließ es ohne Widerrede geschehen, und ohne nur im geringsten eine feindselige Bewegung zu machen.
    Sie löste ihre goldene Klaue aus der Coiffüre und steckte sie in ein sammtenes, bauchiges Nadelkissen. Dann strüppte sie ihre langwolligen Haare aus einander und ließ sie bis halb über die breite Stirne fallen.
    Die Pieçe, in der sich jetzt Sulla mit Merlina befand, enthielt außer zwei Chaies longues von dunkelrothem Sammt, den übrigens ein blendend weißer Ueberzug verbarg, ein sogenanntes „Master bed“ mit hohen, armsdicken Beinen und weiter, ausgeschweifter Unterlage. Die Säulen dieses Bettes sind von der feinsten, zierlichsten Construktion und laufen in einen breiten Schlangenkopf aus, dessen Augen zu gleicher Zeit die Ringe bilden, durch die die Stäbe zum Festhalten der Musquitovorhänge gelegt sind. Um den Top dieses Materbettes reihten sich wunderbare Verzierungen in Figuren und Laubwerk, in der Art, wie man sie an den alten Schwanenbetten der Inkas antrifft. Eine lange, grünseidene Quaste, die sich aus der Mitte des Topes aufs Bettplateau herabläßt, dient zu gleicher Zeit als Glockenzug. Dieses war eine Erfindung Merlina’s, mit der sie schon manchen Clubbisten halb todt oder halb wüthend gemacht hatte; denn wenn der scheinbar Begünstigte glaubte, seinem Glücke sei nichts mehr entgegen und er dürfte nun ganz ungestraft seine brennenden Glieder in das feuchte Dunkel des Zamboicum tauchen, so schnellte sich Merlina plötzlich in die Höhe, kreuzte ihre Beine in chinesische Plastik und zog an der verhängnißvollen Quaste. Auf ein solches Manöver war der erregte Tantalus natürlich wie aus den Wolken gefallen und zum Beschwören und Lamentieren ließ man ihm keine Zeit,

 

- 148 -

    Doch wehe dem Clubbisten, wenn er es in einem solchen Augenblicke gewagt hätte, widerspenstig zu sein oder nach seinem Abgange von dem Orte seiner Qual von der Tücke und Hinterlist der Damo Merlina zu erzählen. Sie hätte sich an ihm fürchterlich gerächt. Nicht, daß sie demselben mit Dolch oder Pistol gedroht hätte, nein, -- in ihren Armen hätte er die entsetzliche Folter zu leiden gehabt, die, wenn sie nicht noch im rechten Momente zu Ende war, den ganzen Organismus zerstört und verbrannt hätte. Ein grauenvoller Tod, wenn Amor seine Pfeile an den unrechten Ort verschießt! Ein entsetzliches Leiden, wenn sie abgeschossen werden, ehe ein leichter Flügelschlag die brennende Wange und die glühenden Lippen kühlt. Im Tempel der Venus tanzen dann Furien statt der lieblichen Genien der Brautnacht und statt des hinfließenden Lockenhaa haares ringelt und bäumt sich das Schlangenhauptder Medusa und überzieht die Polster der Liebe mit tödtendem Geifer.
    Es wäre heute eine schöne Nacht gewesen -- schön, weil die Feuerglocken die Nachtfeier der Venus eingeläutet hätten.
    Der Neger stellte sich seitwärts an die Thüre und ver suchte es sogar, noch die Chaie longue vorzuschieben, obwohl er jene bereits verriegelt hatte.
    Auch diese Manipulation verhinderte Merlina nicht.
    Sie ließ den Neger gewähren.
    Als derselbe die Chaiselongue vor die Thüre gerückt hatte, schien er hiemit noch nicht zufrieden.
    Jener große, schwere Waschtisch mit dunkler Marmor platte, den er in der andern Pieçe bemerkte, däuchte ihm noch besser, als alles Andere.
    Er schob die Chaiselongue wieder von der Thüre und zog den Waschtisch hinzu. Als derselbe gegen die Thüre gerückt war, setzte er sich auf die Platte und sah mit einem langen Blicke auf Merlina, die seinem Treiben und Verbarricadiren bis zu Ende ruhig zugesehen hatte.
[LSZ - 1854.04.14]
    „Sulla, nimm Dich in Acht! Ich schicke Dir einen Hotooh *) -- “ rief jetzt die Zambo-Negresse und lehnte sich in halbliegender Stellung an das Plateau des Masterbettes.
____________________


*) Hotooh ist für jeden Farbigen in New-Orleans, wenn er gerade nicht selbst ein Mitglied dieser Verbindung ist, ein Schreckensname. Die gräßlichsten Mißhandlungen und brutalsten Schläge, die sie auf den Plantagen von den Overseers und Nigger-drivers zu erdulden haben, setzen sie bei weitem nicht so in Furcht, als wenn man ihnen droht, von New-Orleans einen Hotooh zu beordern. Ebenso bringen die Negerweiber ihre Kinder mit dem Namen „Hotooh“ zur Ruhe, in derselben Weise, als man in Deutschland mit dem „schwarzen Peter“ oder, wie in neuester Zeit mit dem Namen „Hecker“ droht. -- Die geheime Verbindung der Hotoohs, die größtentheils aus bleichen Mestizen und verfärbten Quinteronen besteht, hat ursprünglich eine wenig gefährliche Tendenz. Aus ihrem Munde hört.

 

- 149 -

    „Die Hotooh's dürfen froh sein, wenn ich sie nicht besuche“, entgegnete der Neger, eine brennenden Augen starr auf Merlina gerichtet.
    „Die Hotooh's haben spitze Messer und breite Tatzen -- komm' mir nicht zu nahe, Sulla, sonst bist Du morgen aus der Mühle.“
    Der Neger setzte einen Fuß auf den Teppich des Bodens, den andern hielt er noch in der Schwebe.
    Die Zambo-Negresse rührte sich nicht, aber sie sah desto schärfer auf jede seiner Bewegungen.
    Der Neger deßgleichen.
    Als derselbe seinen andern Fuß auf den Boden setzte, rief Merlina wiederholt:
    „Nimm’ Dich in Acht, Sulla, ich jage Dir eine Kugel durch's Gehirn,“ dabei griff sie unter ihr Kopfkissen, -- zog eine Pistole hervor und richtete die Oeffnung auf den Neger.
    „Schieße nur zu, Merlina, die Kugel wird an meinem harten Kopfe abprallen.“
    „Wenn es so ist, Sulla, dann will ich nicht schießen“, entgegnete die Zambo-Negresse und steckte ihre Waffe wieder an den frühern Platz,
    Sulla machte eine leichte Bewegung und schien sich sachte von der Marmorplatte des Waschtisches herabzulassen. Jetzt stand er aufrecht. Seine Arme hingen unsicher herab, aber die Hände griffen tastend und prüfend nachdem Masterbette, auf das sich, drei Schritte von ihm entfernt, Merlina hoch aufgesetzt hatte.
    „Bleibe stehen, Sulla -- aber wenn Du mich so mit Deinen Armen erreichen kannst, so nimm diese Nadel hier.“
    „Merlina, ich bleibe nicht und sollt' ich zur Hölle fahren, sagte in bestimmtem Tone der gereizte Sulla.“
    „Sieh', Sulla -- ich habe nur diese Nadel, aber wenn Du mir nahe kommt, so steche ich Dir die Augen aus.
    „Ich bleibe nicht, Merlina“, wiederholte der Neger und drückte seinen Körper zurück, als fürchte er trotz seiner Betheuerung dennoch vorwärts zu gehen.
    Ein leises Pochen außerhalb der Thüre erregte jetzt seine Aufmerksamkeit
____________________


man sehr oft die Schimpfnamen „black nigger“ und „yellow Creole Pony“, und man wird bei ihrer näheren Bekanntschaft finden, daß sie einen unausstehlichen Hochmuth gegenüber den dunkeln Schattierungen an den Tag legen, und daß unter ihnen eine Art Farbenaristokratie besteht, die in ihren Verschrobenheiten der Geburts- und Geldaristokratie nicht im geringsten nachsteht.

 

- 150 -

    Er sah zurück.
    Merlina verließ das Bett und ging gefaßt auf Sulla zu. Derselbe bewegte sich unwillkührlich auf die Seite.
    „Ich komme gleich wieder, Sulla“, sagte sie und schloß die Thüre auf
    Der Neger ergriff ihre Hand, die eben den Schlüssel umdrehte, und sah ihr starr ins Gesicht. --
    „Ich komme gleich wieder, Sulla“, wiederholte dieselbe gefaßt, „setze Dich einstweilen auf jene Chaiselongue und dort in dem Körbchen sind einige Cigarren.“
    „Ich will nicht rauchen -- aber wenn Du mich wieder umsonst quältest und martertest -- -- wer hat eben geklopft? Wann kommst Du zurück?“
    „In einigen Minuten, Sulla, ich dachte nicht gleich daran, als ich Dich vorher hereinließ.“
    „An was dachtest Du nicht?“
    „Ich dachte im ersten Augenblicke nicht daran, daß man mich um diese Zeit nöthig hat.“
    „Warum ziehst Du den Schlüssel ab, Merlina -- lass ihn stecken -- es ist so besser.“
    „Nein, Sulla, es ist vorsichtiger gehandelt, wenn ich von außen die Thüre absperre -- es wäre leicht möglich, daß während meiner Abwesenheit der Ungar käme und wenn er Dich hier träfe? --“
    „Nun, wenn er mich träfe?“
    „Er brächte Dich um, Sulla.“
    „Ich bringe ihn um“, entgegnete der Neger mit einem so entsetzlichen Blicke, daß Merlina ihr Gesicht von ihm abwandte und hastig zur Thüre hinauseilen wollte.
    „Den Schlüssel lasse hier, Merlina, ich kann mich selbst einsperren; wenn Du wieder zurückkommst, brauchst Du nur zu pochen -- ich öffne Dir dann auf der Stelle,
    „Wenn Dn mir den Schlüssel nicht nehmen läßt, Sulla, so komme ich nicht wieder,“
    Sulla warf einen prüfenden Blick auf die Zambo-Negresse und wollte ihr schnell einen Kuß auf die Stirne drücken; doch dieselbe stemmte ihre Faust gegen seinen Mund und sagte mit verstelltem Zorne:
    „Wenn Du zudringlich sein willst, Sulla, so hast Du hier nichts mehr zu thun!“
    „So schließe mich ein, Merlina, aber ich beschwöre Dich, recht bald wieder zu kommen,“ bat der Neger nachgebend.

 

- 151 -

    Merlina zog den Schlüssel vollends aus dem Loche und ging zur Thüre hinaus, die sie dann von Außen stark verschloß, indem sie den Schlüssel zweimal umdrehte und ihn dann abzog.
    Als sich Sulla jetzt allein sah, ging er musternd umher und besah sich zum Erstenmale genau die Lokalität.
    Als er von ungefähr auf die Thüre sah, aus der Merlina ebengeeilt war, däuchte es ihm, als wenn Jemand zum Schlüsselloch hereinsähe und sich dann wieder wegwandte. Denn bald drang ein heller Lichtschimmer durch dasselbe, bald war es wieder ganz dunkel.
    Er sah jetzt genauer hin. Er bemerkte immer wieder das Wechseln von Licht und Dunkel.
    „Merlina ist vor dem Schlüsselloch und beobachtet mich“, dachte er bei sich. Er ging von der Seite auf die Thüre zu und hing ein Taschentuch über das Schloß, so daß das Schlüsselloch vollkommen verdeckt wurde. So stand er einige Augenblicke still und sah im Zimmer umher.
    Als er auf das Bett zuging, noch immer mit dem Gesichte gegen die Thüre gewendet, sah er, wie das Taschentuch vom Schlosse herabfiel. Er ging wieder zurück, hob es auf und hing es wieder über. Er legte sich mit dem Ohr an das Schloß und glaubte ein leises Flüstern und Kichern zu vernehmen. Er horchte mit gespannter Aufmerksamkeit. Da fiel das Taschentuch zum zweitenmale herab, aber diesmal nicht auf den Boden, sondern gerade auf sein Gesicht, so daß es dasselbe vollkommen verdeckte.
    Aergerlich nahm er es herab und sah durch das Schlüsselloch.
    Da blitzte ihm ein Auge entgegen, das aber schnell wieder verschwand.
    Er rührte sich nicht von der Stelle. Sein Auge blieb hart am Schlüsselloche. Er sah nichts mehr und als er sich wieder wegwandte, blieb es hell in der Oeffnung.
    Man wird sich erinnern, daß um diese Zeit die Clubbisten noch in ihren Cabinetten beisammen waren und daß sie dieselben fast nie vor ein Uhr nach Mitternacht verließen.
    Sulla ging jetzt auf ein Trumeau zu, auf dem das Nadelkissen lag, in das Merlina noch kurz vorher ihre goldene Klaue gesteckt hatte, und nahm sie heraus. Dann eilte er wieder auf die Thüre, hing ein Taschentuch zum drittenmale über das Schloß, befestigte es aber diesmal mit der Klaue, so daß es unmöglich herabfallen konnte.

 

- 152 -

    Er schlich nun im Zimmer umher und ging auch wieder auf das Bett zu. Die Neugierde trieb ihn, die Kopfkissen aufzuheben. Unter denselben, gegen die Kopfwand des Bettes gesenkt, bemerkte er das Pistol, das Merlina vorher auf ihn gerichtet hatte. Neben dem Pistol lag ein schwarzes Dolchfutteral mit silbernem Schuh; der Dolch selbst lag mit der Spitze aufwärts gekehrt. Als er diese Gegenstände mit den Kopfkissen wieder verdecken wollte, so trieb die dadurch erregte Luft einen Streifen schmalen Papieres auf den Boden, den er hastig aufhob. Er enthielt folgende Zeilen, die mit schlechter blaßblauer Tinte ziemlich unleserlich geschrieben waren:
    „Das Benehmen des Abbé gefällt mir schon lange nicht mehr. Ebenso ist mir die Gegenwart Lombardi's sehr lästig. Die Gelder der Schottin mag der Pfaffe durch seine Schliche wohl erhalten -- ob aber die Mühle etwas davon zu sehen bekommt, ist eine andere Frage. Sollte sich Gabor noch einmal etwas zu Schulden kommen lassen, so versetzt ihm die Mühle einen Tritt; denn da er um nicht viel besser, als ein Hund ist, so muß man ihn auch als einen solchen behandeln. Uebrigens halte ich es für das Beste, ihn gleich kalt zu machen, so wie er die zweitausend Dollars von Washington aus erhalten haben wird. Er wird mit seinem Antheil nicht zufrieden sein und da wäre es leicht möglich, daß er uns verließe und uns auf irgend eine Weise Schaden zuzufügen gesonnen wäre. Wie ich mich gegen dieselben nach meiner Zurückkunft von Mobile benehmen werde, lasse ich noch dahingestellt. Ist denn Lombardi durchaus noch nöthig? Und wie lange wäre er es noch? Suche Dich nur vor Allem der Papiere Sulla's *) zu bemächtigen; denn er hat dann keine Beweise in Händen, daß er frei ist und man wird ihm nicht Zeit laffen, sich diese wieder zu verschaffen. Es ist mir nicht um die fünfzehnhundert Dollars zu thun, für die ich ihn verkaufen werde, sondern es ist mir nur hauptsächlich daran gelegen, ihn aus der Mühle zu entfernen. Sich an uns zu rächen, wird ihm nicht beifallen, da er nie erfahren wird, wer ihm seine Papiere gestohlen und wer ihn verkauft hat. Er wird sicher in die Falle gehen, wenn wir ihn die
____________________


*) Man wird sich noch aus dem ersten Bande erinnern, daß Sulla aus einem der Neuengland-Staaten war. Die Legalität kann hiemit im Süden mißbraucht werden. Dasselbe war der Fall mit dem Neger Bacon aus New-Hampshire, im Jahre 1844, der nach Alexandria, am Red River, verkauft wurde.

 

- 153 -

nächste Woche über den Lake schicken. Bartlett meint, er wolle ihn leicht für 2500 Dollars losschlagen.
                                  Dein Lajos.“
    Man sieht, daß diese Zeilen zu einer Zeit geschrieben waren,wo der Ungar noch keinen Coup d'état gegen den Pontifer Maximus der Mühle gewagt hatte. Ebenso war damals Gabor noch actives Mitglied der Bande. --
    Verwundert starrte der Neger diese Zeilen an, die ihn noch zur rechten Zeit auf eine Verschwörung gegen die Freiheit seiner Person aufmerksam gemacht hatten. Er ordnete das Bett wieder mit der größten Sorgfalt und steckte den glücklichen Fund in seine Westentasche.
    Als er sich umdrehte und gegen die Thüre zuwandte, leckte ein Feuerschein um Schloß und Riegel und in wenigen Sekunden lag ein Taschentuch in Asche verwandelt auf dem Boden.
    Auch war es ihm, als ob schon wieder Jemand durch das Schlüsselloch gesehen hätte.-
[LSZ - 1854.04.15]
    Zur Charakteristik des Menschen gehört auch eine Kleidung. So kann man mit Sicherheit annehmen, daß Männer, welche den untern Theil der Weste aufgeknöpft tragen, mit stürmischer Sinnlichkeit begabt sind, und daher auch bei Frauen am meisten Glück haben. Männer, welche gewöhnlich die ganze Weste zugeknöpft tragen, ohne auch nur Einen Knopf frei zu lassen, sind entweder Mucker oder sie fürchten für den Magen oder Unterleib, eine Aengstlichkeit, die ihnen die Damenwelt nie verzeiht und wenn sie mit den schlagendsten Beweisen hervorkommen sollten. Angeborene Eleganz verleitet. Manchen, beständig einen schwarzen Frack zu tragen, der auch bei zweideutigen Handthierungen nicht abgelegt werden darf. Ein Mann, welcher der Dame seines Herzens mit weißer Halsbinde und weißer Piquewete den Hof macht, darf des Sieges gewiß sein, während eine weiße Piqueweste und eine farbige Cravatte die begierigsten Frauen anwidert und abschreckt. Wer den Frack zugeknöpft trägt, ist entweder ein Pfaffe oder auch ein affectirter Menschenfreund, oder ein Wholesale Grocer; entweder ein Orgelspieler oder ein Clavierlehrer bei jungen Ladies. Wer im Sommer dunkle Westen trägt, hat entweder keine von heller Farbe oder er ist ein Zeitungsschreiber oder Theaterrecensent. Wegen der Absence von weißen Piquewesten sind die Letztgenannten auch vollkommen für das Salonleben verloren. Keiner Dame wird es einfallen, einem solchen

 

- 154 -

schwarzwestigen Zeitungsschreiber oder Theaterrecensenten nur die geringste Freiheit zu gestatten. Ebenso wird jede nur einigermaßen auf guten Ton haltende Dame einem Courmacher, der im Sommer Unterhosen trägt, mit gerechter Entrüstung die Thüre weisen.
    Dies ist besonders in New-Orleans der Fall. In keiner Stadt hat die Blüthe der Ritterschaft mehr zu riskieren. --
    Der Neger Sulla trug Sommer wie Winter einen schwarzen Frack, eine weiße Halsbinde und eine weiße Piqueweste, eine Eleganz, die er auch hinter seiner Bare nicht ablegte. Weßhalb er des ungeachtet nicht reufirte, wäre schwer zu entscheiden.
    Sulla befand sich in der fieberhaftesten Stimmung und fluchte im Innern über die Härte seines Geschickes. Abgesehen von der Aufregung, in die ihn jene Zeilen versetzten, war der sonderbare Vorfall mit einem Taschentuche eben auch nicht dazu geeignet, ihn kälter zu stimmen und sein Blut weniger rasch fließend zu machen. Er sah jetzt nur zu gut ein, daß ihn Merlina am Narrenseile herumführe und seiner spotte. In der größten Unruhe verbrachte er so über eine Stunde, ohne daß die Zambo-Negresse erschienen wäre.
    Er setzte sich auf das Bett und stierte die Thüre an. Den Entschluß, den er gefaßt, Merlina bei ihrem Erscheinen wegen der erwähnten Zeilen zur Rede zu stellen, ließ er nach einigem Nachdenken fallen, da er es für klüger hielt, vorläufig noch zu schweigen, um keine zu voreiligen Zerwürfnisse herbeizuführen. Ja, manchmal trat sogar der Groll gegen eine so schändliche Verschwörung vor seiner erhitzten Phantasie in den Hintergrund. --
    Wieder verfloß eine Stunde und Sulla saß noch immer in bangster Erwartung auf dem Bette.
    Endlich brach ihm aber doch die Geduld. Mit einem verzweifelten Blicke verließ er das Bett und wollte auf die Thüre zueilen -- da vernahm er die durch die Teppiche gedämpften Tritte einer Person und gleich darauf öffnete Merlina die Thüre und bat ihn in hastiger Eile, sich schnell zu verbergen, da der Ungar im Augenblicke hier erscheinen werde.
    Die Bitte war so dringend und schien so gut gemeint, daß sich Sulla gar nicht weiters bedachte, sondern mit seinen Augen einen passenden Versteck suchte.
    „Hier, Sulla,“ drängte Merlina, indem sie unter das Bett deutete, „leg' Dich schnell da hinunter; ich ziehe die Decke herab,

 

- 155 -

damit er Dich nicht sehen kann -- -- schnell, schnell, Sulla -- ich höre ihn schon kommen.“
    Sulla legte sich unter das Bett und Merlina zog an einer Seite die Decke bis auf den Boden herab.
    So schien Sulla vollständig verborgen.
    Im nächsten Augenblicke trat der Ungar ein, nachdem er vorher den Schlüssel von Außen abgezogen hatte, um die Thüre von innen zu versperren.
    Merlina ging ihm entgegen und reichte ihm die Hand.--
    Nachdem Lajos den Clubbisten von 99 und 100, Lombardi, nach aufgehobener Sitzung im Clubkabinette, bis an die Oeffnung im Boden des Salons begleitet hatte, eilte er, der Worte eingedenk, die er Merlina zugeflüstert hatte, vor die beiden Schlafzimmer. Er fand die äußere Thüre verschloffen. Die Pale-Chino-Zamba-Chola, die ihn zum wenigsten sechs Mal pochen ließ, öffnete ihm endlich, indem sie zu gleicher Zeit einen unbesiegbaren Schlaf als Entschuldigungsgrund wegen ihrer Verzögerung, die Thüre zu öffnen, vor schützte.
    „Ist Dame Merlina in ihrer Piege?“ frug er leise die Aufseherin, als er eintrat.
    Dieselbe bejahte es.
    In der That war Merlina eben in ihre Pieçe geeilt, nach dem die Pale-Chino-Zamba-Chola auf ihren Befehl gezögert hatte, dem Ungarn die äußere Thüre zu öffnen.
    Merlina hatte, als sie den Neger verließ, noch lange an der Thüre verweilt, und wie derselbe auch richtig bemerkt hatte, mehrmals zum Schlüffeloche hineingesehen. Als Sulla sein Taschentuch über das Schloß hing, nahm sie eine gerade gebogene Haarnadel, steckte sie durch das Schlüsselloch und brachte so jenes zum Herabfallen. Das Nemliche wiederholte sie auch das zweite Mal und als Sulla sein Taschentuch mit der goldenen Klaue befestigt hatte, so zündete sie vermittelt eines Streichhölzchens dasselbe an, das, wie wir gesehen haben, auch im Augenblicke aufgebrannt war.
    War es Neugierde, die sie zu einem solchen Benehmen trieb, oder leitete sie eine andere Ursache?
[LSZ - 1854.04.16]
    Die sonderbaren Ertravaganzen und barocken Einfälle Merlina's, wenn sie gerade bei guter Laune war, sich an der Angst oder Verlegenheit ihrer Opfer zu weiden, waren so unzählig, daß man wirklich Anstand nehmen muß, jeder Bewegung und Attitude seine Aufmerksamkeit zu schenken.
    Während der zwei Stunden, die sie Sulla allein ließ,

 

- 156 -

hatte sie die Mädchen der Mühle, von denen sie mehrere erst aufwecken mußte, in's Nachtverhör genommen, d.h. sie bestimmte ihnen etwas genauer die Plätze, die sie den folgenden Theil der Nacht einzunehmen hatten.
    Die dunkle Mulattin Hyderilla wurde zum Clubbisten von 98 beordert; ebenso Pharis und Elma, die bereits schon eingeschlafen waren, bedeutet, sich dem Wunsche jenes Clubbisten zu fügen.
    Ungern thaten dies die beiden Mädchen, da sie den Clubbisten von 98 als einen rohen Mann kannten, der, ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht zu nehmen, die der brutalsten Behand« lung unterwarf. Doch sie mußten gehorchen.
    Als Hyderilla mit Pharis und Elma das Schlafzimmer verließ, eilte Merlina demjenigen Theile desselben zu, wo die Betten der bleichen Mestizen standen.
    Diese unglücklichen Geschöpfe konnten diese Nacht unangefochten einschlafen.
    Man sagte dann in der Mühle, die hielten „after night“.
    Einige lagen unverhüllt auf den Decken und umfaßten ihre Kopfkissen und hielten sie fest an sich gedrückt -- ein Bild, das solchen gefallenen Engeln die Traumwelt gar oft vorführt.
    Die bleiche Mestize Semiramis, der Liebling Merlina's und ohne daß sie es wußte, auch des Ungarn, nahm eine wahrhaft rührende Stellung ein. Sie war nemlich knieend eingeschlafen und zwar so, daß sie ihr Gesicht in die Kissen drückte und die gewölbte Parthie des Unterkörpers hoch hinaus hielt.
    Dadurch entstand die schon bei den alten Griechen so hoch geschätzte „doppelte Curve“, die bekanntlich bei Thorwaldson eine so große Rolle spielte und der Sculptur ihre vornehmsten Mäcenate verschafft hat.
    Neben dieser doppelten Curve, die im vollen Lichte erschien, fiel der warme Schatten in einem Winkel von 45 Grad auf die Inseite der Lenden, die eine breite rothe Binde bis zur Hälfte umspannte.
    Bei dem jedesmaligen Athemholen der Schläferin lockerte sich diese rothe Binde ein wenig.
    Merlina hob die Musquitobare in die Höhe und strich dreimal rasch auf einander über den Körper Semiramis's.
    Bei dieser Berührung sank die bleiche Mestize in die Kniee und kam auf den Rücken zu liegen.
    Merlina wiederholte ihre Manipulation mit einer solchen Gewandtheit, wie sie nur eben bei der farbigen Race möglich ist.

 

- 157 -

    Der Weiße wurde in diesem Falle zum Magnetismus seine Zuflucht nehmen müssen. Semiramis rieb sich die Augen und sah schlaftrunken umher.
    Als sie wieder etwas zu sich gekommen war, setzte sich die Zambo-Negresse neben sie aufs Bett und nahm eine kleine Eramination vor, deren ganzen Inhalt wir hier unmöglich geben können. Nicht als ob wir befürchteten, durch eine zu übertriebene Aufrichtigkeit den zarten Sinn unserer geehrten Leserinnen zu verletzen, sondern weil solche Dinge schon von Natur aus bestimmt sind, Geheimnisse zu bleiben.
    Merlina frug unter Anderm:
    „Semiramis, wer stahl Dir gestern die rothe Binde?“
    „Der Clubbist von Nr.87, der Dutchman aus Galveston.“
    „Wie halten es die Clubbisten von 99 und 100?“
    „Ich mußte gehorchen.“
    „Hast Du Gabor gestern nicht gesehen?“
    „Leider; meine schöne Diamantbroche war verschwunden, als er mich verließ.“
    „Der Schurke! er wird sie herausgeben müffen, wenn ich es Lajos sage.“
    „Lajos zürnt mir; er wird sich freuen, wenn er von die dem Diebstahl hört.“
    „Hast Du denn Lajos gesehen? das ist sonst nicht des Clubbisten Art.“
    „Ja; er warnte mich vor Sulla; er drohte mir sogar das Herz herauszureißen, falls ich Sulla nur die geringste Aufmerksamkeit erzeigen würde.“
    „Nimm Dich in Acht, wenn Du lügst.“
    „Ich lüge nicht, aber ich bitte inständig, Lajos Nichts hie von zu sagen.
    „Lajos ist Dir wohl nicht gleichgültig, Semiramis?“
    „Was hälfe es mir auch, wenn er mir nicht gleichgültig wäre-Lajos erwärmt einen anderen Busen.“
    „Semiramis, Du bist ein braves Kätzchen, aber ziehe die Krallen nicht ein, wenn Lajos Dein Pfötchen beleckt.“
    „Ich thue. Alles der Königin der Nacht zu Gefallen -- doch nein, wir müssen gehorchen und wir gehorchen gerne.“
    Merlina rückte jetzt näher an die Mestize und ließ sie mit den Nägeln auf ihrem Rücken herumkrabbeln.
    Das war so eine böse Unart der Zambo-Negresse. Nur

 

- 158 -

Semiramis war im Stande, die hierin vollkommen zu befriedigen.
    Die andern kratzten ihren Rücken entweder zu stark oder sie fuhren so leise mit den Fingerspitzen darüber weg, daß sich Merlina jedesmal ärgern mußte.
    Als das Krabbeln schon fast zu Ende war, pochte der Ungar, wie wir bereits wissen, zu wiederholten Malen an der Außenseite der Thüre, ohne daß man ihm gleich öffnete.
    Seines Rencontres in der Piege haben wir bereits gedacht,
    Er setzte sich auf die weichen Polster der Chaise longue, die gerade dem Bette gegenüber stand, unter dem Sulla verborgen lag. Merlina ließ sich auf den Boden nieder und legte ihren Kopf in einen Schooß. Dabei schielte sie aber auf das Bett, vielleicht um die mehr oder minder große Sicherheit des Versteckten besser beurtheilen zu können. Die unverzeihliche Nonchalance Merlina's hatte den Neger in der That in eine sehr gefährliche Lage gebracht. Es lag hier überhaupt nur an einem glücklichen Zufalle oder einer für ihn günstigen Episode, wenn es hier zu keiner überraschenden Entdeckung und einem gefährlichen Conflict kommen sollte.
    Der Ungar saß in Hemdeärmeln und hatte ein schwarzes Halstuch wie eine Schärpe quer über die Brust gebunden.
    Merlina strich sich die langwolligen Haare hinter die Ohren und warf ihr weißes Häubchen um.
    Ihre Augen funkelten, die die einer Katze im Dunkeln und auf ihrer breiten Tigerstirne thronte wieder der zurückgedrängte Juwelenschein des großartigsten Sinnenrausches. So geschah es immer, wenn sie zusammentrafen. --
    Er sprach anfangs kein Wort, die auch nicht, bis ihnen endlich Amor die Sprache wieder gab. Die Zambo-Negresse stand jetzt plötzlich auf und warf sichzurück auf das Bett, hielt ihre Arme in die Höhe und schien an ihren Fingern etwas abzu zählen. Bei dieser Gelegenheit verschob sich etwas die Decke, die den bedauernswerthen Sulla verbergen sollte. Merlina merkte dies nicht; sie schien überhaupt ganz vergessen zu haben, daß sie noch für Jemanden besorgt sein müßte.
    „Merlina, mein Pantherweibchen!“ rief der Ungar jetzt zärtlich aus und fuhr mit der rechten Hand über seine Brust.
[LSZ - 1854.04.18]
    „Eins, Zwei, Drei, Vier --“ zählte Merlina an den Fingern ab.
    „Was rechnest Du?“ frug sie der Ungar in gleichgültigem Tone.

 

- 159 -

    „Ich wollte eben nachzählen, wie oft Du schon hoffnungslos aus meiner Piece getreten bist,“ entgegnete die Zambo-Negresse und fuhr fort:
    „Vier, Fünf, Sechs, Sieben -- Sieben Mal!“
    „Zum Teufel auch, Merlina, laß' einmal ab von diesen Kindereien -- -- man nimmt sich vor, zu lieben und das ist genug!“ sagte der Ungar und seine Lippen preßten sichzusammen, wie bei Einem, der einen festen Entschluß gefaßt hat und ihn um jeden Preis auszuführen gesonnen ist.
    „Man nimmt sich vor, zu lieben, Lajos, und ich nehme mir heute vor, nicht zu lieben -- Jedem seinen Willen!“ --
    „Hast Du noch ein Paar Rattenschwänze, Merlina?“
    Rattenschwänze nannte der Ungar in boshafter Weise die Cigarren aus dem Fruchtstore des Italieners Lombardi.
    Diese einzige Frage besiegte die Koketterie der Zambo-Negresse. Ohne etwas darauf zu erwiedern, verließ sie das Bett und setzte sich wieder auf den Boden zwischen die Beine des Ungarn, den Kopf in einem Schooß vergraben.
    „Hast Du noch ein Paar Rattenschwänze, Merlina?“
    „Du braucht jetzt nicht zu rauchen, mein Lajos,-Dein Pantherweibchen hat für Dich etwas Besseres, als Cigarren.“
    „Ich verlange nichts Besseres, als Rattenschwänze. Wenn Sulla noch nicht schläft, kann er mir auch noch einen Cherry Cobbler zurechte machen.“
    „Wir haben keine Rohre und kein Kraut mehr in der Mühle, mein Lajos.“
    „Ich will den Cherry Cobbler nicht mit dem Rohre aus schlürfen -- ich will ihn saufen.“
    „Aber kein Kraut?“
    „Ist nicht nöthig.“ Bei diesen Worten hob er mit beiden Händen Merlina's Kopf aus seinem Schooße, um hinaus zugehen.
    Merlina drückte sich mit Gewalt an ihn und bat ihn, sie nicht zu verlassen, da Sulla wahrscheinlich schon im Schlafe liege.
    „Ich will den faulen schwarzen Hund aus dem Bette treiben - - - hast Du seine Papiere!“, unterbrach er sich dann.
    „Es wird Alles pünktlich besorgt werden, mein Lajos,“ antwortete Merlina, der diese Frage sehr ungelegen kam, da sie natürlicherweise an den unter dem Bette liegenden Sulla dachte.
    „Es wird Alles pünktlich besorgt werden, mein Lajos,“

 

- 160 -

wiederholte sie beruhigend und um Sulla irre zu führen, setzte sie hinzu:
    „Sulla wird morgen die Papiere betreffs des Accounts der Bare in Ordnung bringen.“
    Hätte Sulla jenen schmalen Streifen Papier auch nicht gefunden, so hätte ihn diese verdrehte Antwort dennoch zum weitern. Nachdenken führen müssen.
    Trotz seiner bedenklichen Lage unter dem Bette schwebte ein leichtes Lächeln um einen Mund, als er diese Worte vernahm.
    Daß sich Lajos mit dieser schiesen Beantwortung seiner Frage so schnell abfertigen ließ, lag wahrscheinlich daran, daß er glaubte, Merlina wolle ihn nur ärgern. Er sagte des halb kurz:
    „Sieh' zu, daß Du die Geschichte bis höchstens übermorgen in Ordnung bringen kannst.“
    „Es soll geschehen, mein Lajos,“ erwiederte Merlina, die nur froh war, daß der Ungar hievon keine weitere Notiz nahm.
    Es gestaltet sich nach der Progression des menschlichen Croton zu einer unläugbaren mathematischen Wahrheit, daß, wo die höchste moralische Versunkenheit den Habitus bläht und markiert, der Geist seinen höchsten Triumph feiert und daß, wenn um den Sitz der Sinnlichkeit das liederliche Herenheer der Amoretten und Mänaden buhlt und schwärmt, der Imperator Geist am liebsten im Gehirne seinen Thron aufschlägt und von da herab nach alter Cäsaren-Weise eine Donner und Blitze schleudert.
    Wer nicht im Stande ist, einen ganzen Vesuv von Sinnen-Unflätherei auf Einen Zug hinabzuschlürfen, ohne seinem moralischen Bewußtsein und seiner Herzensruhe zu schaden, der hat von der imperialistischen Herrlichkeit des Geistes wenig zu befürchten. Wer seinen Geist in den Stiefel der Moral schnürt, Priapus und Venus aus den Tempeln der Liebe vertreibt und den Geldwechslern in der Vorhalle in einem blinden Eifer die Tische umwirft, den kann man zwar einen soliden Mann nennen -- für dieses Renommé muß ein solcher aber auch gewärtigen, daß ihm Amor bei jeder Gelegenheit auf den Rücken speit.
    Deßhalb sind auch Voltaire und Rousseau gewaltigere Geister, als Montesquieu und Diderot. Deßhalb sind Shakespeare und Lord Byron größer, als Milton, Moore und Shaftesbury. Deßhalb sind Göthe und Heinrich Heine

 

- 161 -

größer, als Schiller und Ludwig Börne, der Jude Baruch. Deßhalb Boccaccio und Casanova größer, als Dante und Torquato Tasso. Deshalb Chalderon de la Barca größer, als der ganze spanische Dichter Cyclus der Ascetik; -- -- kurz, es zeigt von großer Armuth des Geistes, wenn der moralische Mensch da zu weinen beginnt, wo er nicht aufhören sollte, zu lachen. *)
    Was hätte Lajos und Merlina Dufresne der Welt nicht nutzen können? Diese, wenn sie die dunkle Färbung der Haut nicht in eine erclusive Stellung zur kaukasischen Raee gebracht hätte; Jener, wenn er das Uebermaß von Hyänengeifer auf die Feinde des allgemeinen Wohles hätte träufeln lassen! Der ungarische Graf Lajos ***, der ehemalige chevalereske, bontonierte Husarenoffizier und der Sohn. Eines der ältesten Magnatengeschlechter - er wird hier auf republikanischem Boden zum habituellen Mörder und Brandstifter; ja noch mehr, er wird wegen einer ausgesetzten Belohnung von zehn Dollars zum Verräther eines armen Soldaten, der der Zwangsjacke Uncle Sam's entflohen war und ihm selbst ein Desertieren anvertraut hatte! **)
    Die nun folgenden Scenen möge die weibliche Elite eines geachteten Leserkreises in dem oben angedeuteten Sinne auf nehmen und wir werden dann sicher nicht angeklagt werden,
____________________


*) Es gehört mit zu den Verschrobenheiten unserer Zeit, daß eingestreute Lyrik den Charakter des Romanes verwischen muß. Man sieht sich jedoch hiezu genöthigt, da richtige objective Auffassung auch bis auf den heutigen Tag noch das Monopol des Genius zu sein scheint, und das überzählige Proletariat des Geistes zur nähern Verständigung einen genauen Commentar nöthig hat.-- Hannibal ante portas!
**) Welche Stufenleiter von Vergehen oder Verbrechen Lajos hinter sich hatte, als er den gastlichen Boden Amerika's bestieg, getrauen wir uns hier nicht zu publiciren, da man von diesen leicht auf den Namen der Familie schließen könnte, von der uns ein ehrenwerther Freund gegenwärtig noch in Debreczin lebt. -- Seiner Selbstcharakteristik entnehmen wir hier eine Stelle, die bezeichnend genug ist, um die Ueberzeugung zu erlangen, daß er nicht plötzlich das geworden, als was wir ihn kennen lernten.-- Es war im Jahre 1848, als noch Herr Schell sein Bierhaus hielt und Herr ....... pape die lustige Gesellschaft mit seinem Gesange erfreute und hie und da auch ein schwarzes Sammetröckchen hervorzauberte und im edlen Grimme das blonde Lockenhaupt schüttelte; es war noch zur Zeit, als im besagten Bierhause Herr Viereck jeden Abend regelmäßig declamirte und der Gesellschaft Grimassen vorschnitt; es war zur Zeit, als der Wirthjene originelle“ hielt, wobei unter verschiedenen Yankee Notions auch deutsche Tocarden als Preise an estellt waren; es war an dem Orte und zur Zeit, wo sich Herr A.J. noch sehr lebhaft präsentierte und dem Herrn ...... pape mit seinem eigenen hohlen Siegelringe auf den Kopf pickte -- wenn so Alles lustig und guter Dinge war, erregte ein stiller bleicher Mann in nobelster, prägnantester Cavalier Garderobe die Aufmerksamkeit Aller. Als ihn die lustige Gesellschaft einmal betrunken machte, so erzählte er, wie er schon als Kind mit fünf oder sechs Jahren sich in die Schlafkabinette seiner Schwestern geschlichen und ihnen Brennesseln über die geschlossenen Augen gelegt und sie mit Nadeln gestochen und mit einem Federmesser in die Klitoris geschnitten habe, Dieser Mann war Lajos, der damals noch einen Cigarrenladen hatte und nachdem er banquerott geworden war, plötzlich New-Orleans und seine Frau verließ. Wie nannte sich damals dieser Mann? Nunja, er führte einen deutschen Namen, der übrigens eine getreue Uebersetzung seines ungarischen war. --

 

- 162 -

die Vielseitigkeit ihres Geistes überschätzt und die Reinheit ihres Gemüthes bestäubt zu haben.
    Es ist noch ein großes Glück, daß, wo der Mann sich in den Philisterrock kleidet, der Genius des Weibes dem Falconier den Arm bietet, und ihm als weiblicher Eicisbeo ein sicheres Geleite giebt. --
[LSZ - 1854.04.19]
    „Zum Letztenmale jetzt, Merlina! Sage mir, willst Du oder willst Du nicht? Ich spüre keine Lust in mir, noch Tage oder vielleicht Monate lang wie ein Bursche in den Flegeljahren zu schwärmen und mich in eine sentimentale Stimmung zu versenken. Den Teufel auch um Deine Liebe, wenn ich erst darum feilschen und schachern soll.-- Willst Du oder willst Du nicht, Merlina? Du weißt, ich habe keine Zeit zu verlieren!“
    „Keine Zeit?“ frug Merlina und erhob sich mit ihrem Kopfe aus dem Schooße des Ungarn. Aber sie wandte ihr Gesicht nicht dem einigen zu, sondern sah mit einem haarsträudenden Blicke nach der Stelle hin, wo Sulla verborgen lag.
    „Du weißt, daß Tiberius nur bis drei Uhr im Kahne auf mich wartet, um mich nach Algiers hinüber zu rudern. Komm' ich später, so stößt er ohne mich wieder vom Ufer und Du weißt, ich muß heute Nacht noch zu meiner Frau -- -- oder vielmehr, Du weißt es nicht -- aber ich muß um drei Uhr an Ort und Stelle sein -- und dies aus gewissen Gründen.“
    „Und ich nehme mir aus gewissen Gründen vor, Dich jetzt zu ersuchen, mich allein zu lassen,“ entgegnete im gesteigerten Tone die Zambo-Negresse. -- -- --
    Ein heftiges, mehrere Male auf Einander folgendes Niesen ließ sich jetzt vom Bette her vernehmen. Es war zu nahe und daher zu deutlich, als daß man hätte meinen sollen, es wäre außerhalb der Piege.
    Wie unter dem Einflusse einer galvanischen Batterie, so schnellte der Ungar in die Höhe und stieß mit seinen Knieen so heftig an den Kopf der am Boden sitzenden Zambo-Negresse, daß ihr Oberkörper das Gleichgewicht verlor und nach vorne auffiel.
    In dem nemlichen Augenblicke glitt, glatt wie ein Aal, unter dem Bette eine Gestalt hervor, die wegen der nach hinten aufgebauschten Musquitobare noch verborgen blieb und langte mit sicherer Hand zwischen die Kehrseite der Kopfkissen und zog einen Dolch und ein Pistol hervor.
    Da die Hand, die diese Waffen hervorzog, im Lichte war,

 

- 163 -

so hatte der Ungar das Blitzen des Dolches und den Metall glanz des Pistolenlaufes bemerkt.
    Merlina lag mit dem Kopf auf dem Boden und bewegte sich lauernd gegen das Bett zu, indem sie ihre beiden Hände vorletzte und die Finger auseinanderspreizte.
    Der Ungar griff an seine rechte Hosentasche, um ganz sicher zu sein, daß er den Pieçeschlüssel bei sich habe.
    Er trat jetzt einige Schritte zurück und sah bald auf die Zambo-Negresse, bald nach dem Bette, woher das Niesen vernommen wurde.
    Die Gestalt hatte sich hinter der Musquitobare in gerader Stellung aufgepflanzt und das Licht der im Centrum hängenden Camphinelampe warf den Schatten dieser Gestalt in fast dreimaliger Verlängerung bis über's Plafond hinaus.
    Ein Blick des Ungarn genügte, um den Schatten eines Negerkopfes mit der wolligen Frisur zu erkennen.
    Auch die Zambo-Negresse hatte den Schatten fast im nemlichen Momente bemerkt. Rasch wie eine Tigerkatze erhob sie sich vom Boden, sprang auf den Kopftheil des Bettes und griff unter die Kissen.
    Doch der Dolch und das Pistol waren bereits in andern Händen.
    „Hölle und Teufel! Sind hier Wildsäue im Gehege? Ein schwarzer Keuler und ein braunes Mutterschwein! Ein fatales Vergnügen, ohne Waffen auf die Eberjagd zu gehen!“ rief der Ungar im bitterkalten, schneidenden Tone und ging entschlossen auf das Bett zu.
    Die Zambo-Negresse hatte sich mit dem Rücken gegen die Wand gestemmt, da, wo der Kopftheil des Bettes von derselben absteht. Nach links und rechts flogen ihre Blicke; mit der rechten Hand umspannte sie eine fünfkantige Säule des Masterbettes. Die Linke schien unentschlossen.
    Sulla allein kannte seine wahre Situation. Denn da ihm der Zufall das verhängnißvolle Billet in die Hände gespielt, so wußte er, wen er in der Person des Ungarn und Merlina's vor sich hatte. Merlina, die nicht die geringste Ahnung hatte, daß Sulla mit der Verschwörung gegen seine Person vertraut war, und Lajos, der hier nur einen Nebenbuhler vor sich sah, sie Beide mußten sich bei ihrem ersten Zusammentreffen täuschen. Statt als die entlarvten Betrüger hinsichtlich des beabsichtigten Verkaufs dem Neger gemeinsam die Spitze zu bieten, bekam Lajos Merlina und Sulla zu Gegnern, während Sulla wieder

 

- 164 -

auf Lajos und Merlina all' seinen Groll zu wälzen hatte. Lajos sah dann neben dem Nebenbuhler auch die Falschheit der Zambo-Negresse.
    Der Ungar wußte im ersten Augenblicke nicht, gegen wen er sich zuerst wenden sollte. Waffen führte er heute ganz gegen seine sonstige Gewohnheit keine bei sich. Er wußte den Platz des Dolches und des Pistoles unter den Kopfkissen -- doch er hatte sehen müssen, daß ihm ein Anderer zuvorgekommen war. Der Schlüssel, den er nun aus seiner Hosentasche hervorzog, war eine einzige Waffe.
    Es entstand eine fürchterliche Pause. Der Ungar stand fest und sicher, den Schlüssel in der nervigten Faust, kaum einen Schritt von Merlina entfernt, die vor Wuth am ganzen Leibe zitterte. Ihre rechte Hand umspannte krampfhaft den Bettpfosten. Der Neger stand noch immer so, daß ihn weder Merlina noch der Ungar sehen kannte; denn die auf die linke Seite des Bettes gebauschte Musquitobare warf ihren Schatten zurück und verdeckte ihn.
    Der Ungar, dem durch das nähere Hinzutreten an das Bett, der Schatten des Negers an der Wand und dem Plafond aus den Augen verschwunden war, bog sich jetzt vor und sah an der Wand einen in die Höhe gehaltenen Arm mit gezücktem Dolch in der geübten Hand und ein Pistol, das auf und niederfiel, je nachdem sich der andere Arm hob oder sank.
    Mit Blitzeschnelle hatte er einen Entschluß gefaßt, der, wenn er so rasch ausgeführt wurde, als er entstanden war, ihm wenigstens das Leben retten mußte, das hier augenscheinlich auf dem Spiele stand. Die rasche Ausführung dieses gefaßten Entschlusses mußte ihm dann zu gleicher Zeit auch die Mittel an die Hand geben, sich eremplarisch zu rächen, vielleicht das Leben der einen Person durch den Tod der andern zu erkaufen.
    Er sprang mit Einem Satz auf das Bett, riß durch die Musquitobare und stürzte den überraschten Sulla durch die Schwere seines Körpers und durch die Heftigkeit des Anstoßes rücklings zu Boden.
    Er selbst schlug mit dem Neger nieder, doch so, daß er auf ihn zu liegen kam.
    Fast wäre es Sulla gelungen, mit herkulischer Kraft anstrengung den Ungarn auf die Seite zu werfen. Doch als er Letzterem mit tiefem Bisse die Wange zerfleischte, so trieb der wüthende Schmerz, den die schon zum Drittenmale aufgebissene

 

- 165 -

Wange verursachte, die Muskeln des Ungarn in eine O unmenschliche Stärke, daß derselbe den Neger bezwang, indem er ihm die Arme so fest umdrehte und sie mit den Ellenbogen in dessen Mund einschlug, daß derselbe dumpf stöhnend seine Augen wie im Todeskampfe verdrehte.
    Als Merlina dies gewahr wurde, so schlang sie ihre Beine um eine Säule des Bettes, kletterte auf den Top und schlug mit ihrer Faust die Leiste des obersten Brettes der nur schwachen Wand ab, stieß das Brett selbst nach und ließ sich durch diese Oeffnung in das nebenanstoßende Schlafzimmer hinab.
    Hier trieb sie alle Mädchen aus den Betten und indem sie selbst aus der Holzkammer eine Art herbeischleppte, rief sie denselben zu:
    „Tod oder Merlina! Katzen, mir nach!“
[LSZ - 1854.04.20]
    Daß sich die Katzen der Dame Merlina nicht so schnell in geordnete Toilette werfen konnten, braucht hier wohl nicht erst bemerkt zu werden. Die ganze Schaar der bleichen Mestizen und dunklen Mulatten war gleich nach dem ersten Aufrufe ihrer Herrin auf den Beinen. Sogar die beiden Chola's, die sich in vorgerückten, interessanten Umständen befanden, mußten sich anschließen. Da sie wegen ihres hoffnungsvollen Zustandes bis über den Unterleib herabhängende, gestrickte Nachtjacken trugen, so war eine etwaige Verkältung weniger gefährlich, als bei den Uebrigen, deren ganze Uniform in einem blendenden Hemde bestand, das oben mit einem Schnürchen durchzogen war, demnach beliebig verengt oder erweitert werden konnte.
    „Katzen, mir nach!“ ertönte zum wiederholten Male die wohlbekannte Stimme von Dame Merlina, als sich noch Einige schlaftrunken die Augen rieben und unter der Bettdecke zu schaffen machten. Was sie sich zu schaffen machten, ist hier überflüssig zu erwähnen, da die in die Racenverhältnisse Ein geweihten wohl wissen, daß in dem befruchteten Leibe der Chola's Dinge vorgehen, die nur ein Gott zu erklären im Stande sein könnte.
    Die Haft und Eile, mit der die Mädchen von ihrer Gebieterin angetrieben wurden, verhinderte dieselben, auch nur die mäßigste Bekleidung sich zu wählen; dezhalb sah man nir gends Strümpfe und Schuhe, und bei Einigen, die die üble Gewohnheit hatten, ohne Hemden zu schlafen, war auch von diesen keine Rede. Diejenigen, welche die schon genannten gestrickten Nachtjacken trugen, bildeten somit den Dreßcircle unter dem dunklen nackten Chaos, wo die Tinten in allen nur er

 

- 166 -

denklichen Schattierungen mit Einander wetteiferten. Diese wilden Nacktheiten wogten nun mit Dame Merlina und der bleichen Mestize Semiramis an der Spitze, gegen die Thüre der wohlbekannten Piege.
    Nur wenige Schläge mit der Art waren erforderlich, um sich trotz der verschlossenen Thüre Eingang zu verschaffen.
    Die Katzen Merlina's waren maschinenmäßig ihrer Herrin nachgeeilt und sahen erst jetzt, als sie des Negers und des Ungarn ansichtig wurden, um was es sich hier handelte.
    Der Ungar hatte sich unterdessen vom Boden erhoben und stand auf der Brust des Negers, der nicht das geringste Lebenszeichen mehr von sich zu geben schien. Sein Gesicht war bleich wie der Tod; denn auch Neger werden bleich, wenn das Leben flieht. Aber diese Bleiche ähnelt alten Oelgemälden, von denen sich bereits der Firniß abgelöst hat und deren ausgebleichter Grund des Colorits die nackte Leinwand durchschimmern läßt. So changiert hier das dunkle, glänzende Ferment.
    In der Rechten hielt Lajos das Pistol, wie zum Abfeuern fertig. Der Zeigefinger lag an der Zunge und es gehörten die ganze Ruhe und Kälte des Ungarn dazu, daß jener den lockern Hahn nicht abschlug. Bei der geringsten Fibration des Fingers mußte die Person, auf die der Lauf gerichtet war, einem unvermeidlichen Tod anheimfallen. Die Linke des Ungarn hielt den Dolch. Der Griff war zu beiden Seiten abwärts gebogen und der Haltstern losgeschraubt. Seine Spitze war abgesprungen. Doch die Schärfe seiner doppelten Kanten erlaubte immer noch, ihn bis an den Griff nachzustoßen.
    Merlina stand erstarrt. Sie sah bald auf den Ungarn, bald auf den Neger.
    Lajos blickte sie ruhig an. Nur verzog sich sein Mund zu einem eiskalten Lächeln.
    Auf seiner Wange standen schwarze, dicke Blutstropfen. Die Zähne des Negers waren tief in die alte Narbe gedrungen und die Epidermis sah man bis über das Nasenbein abgeschält.
    Die Mehrzahl der Katzen schien entschlossen und ungerührt von dem schrecklichen Schauspiele, das sich ihren Augen darbot. Nur wenige traten furchtsam zurück. Unter den Letzteren befanden sich die schwangern Chola's.
    Die bleiche Mestize Semiramis bückte sich und sah dem Neger prüfend in’s bleiche Antlitz. Dabei blickte sie fragend nach Merlina auf, als erwarte sie irgend einen Befehl
    „Du hast Sulla getödtet, Lajos? Sulla war unschuldig!“

 

- 167 -

sagte jetzt mit wilder Geberde die Zambo-Negresse. Die Art hatte sie über die Schulter gelegt.
    Die anfangs furchtsam zurückgewichenen Chola's traten näher.
    „Unschuldig oder nicht unschuldig, gleichviel -- der schwarze Hund ist abgemuckt und damit Basta!“ entgegnete der Ungar.
    „Ich habe Sulla zum Narren gehalten und herein gelockt -- -- ich wollte ihm nur eine Papiere heimlich entwenden -- er trägt sie in der linken Westentasche.“
    „Der schwarze Hund kann jetzt auf die Hochzeit gehen. Mit seinem schwarzen Frack und seiner weißen Weste kann er seine Braut beglücken.“
    Der Ungar bemerkte mit Einemmale eine leise Bewegung unter seinen Füßen. Hat sich die Brust des Negers gehoben oder wurde es ihm schwindlich auf der Negerleiche? Er sah hinab und trat fester gegen die Brust. Sein Standpunkt wird unsicher; die Brust scheint sich in der That zu heben.
    Er sah dem Neger schärfer ins Gesicht. Die weit geöffneten Augen sind glanz -- und leblos. Aus den blauen Lippen dringt kein Hauch. Und dennoch hob sich die Brust.
    Der Ungar wurde ärgerlich. Er trat den Neger mit dem rechten Fuß auf den Hals, der linke behauptete noch eine frühere Stelle,
    Dieses leichte Schwanken beruhte offenbar auf einer argen Täuschung. -
    Der Ungar kehrte dem Gesichte des Negers wieder den Rücken.
    Seine Mienen verriethen nicht die geringste Beklommenheit.
    „Jag' die Katzen in ihre Nester -- wir wollen Hochzeit halten, mein Pantherweibchen!“ sagte jetzt der Ungar in heiterem Tone und auf sein Gesicht trat eine gewisse Lebhaftigkeit. Er ließ sogar beide Arme sinken und hielt die Oeffnung des Pistols gegen den Boden zugekehrt. Den Dolch schleuderte er auf den Top des Masterbettes.
    Mit Merlina war bei diesen Worten eine wunderbare Umwandlung vorgegangen. Ueber ihr Gesicht fuhr eine dunkel violette Purpurröthe, die bis zur Cupidofalte hinabjagte. Der ganze Körper schien wie in ein Flammenmeer getaucht und durch ihre Augensterne zog leuchtend wie ein Komet durch den schwarzen Ocean des Nachthimmels, die goldene Deichsel eines Panthergespannes. Die Wagenlenker waren Frau Venus und Amor. --

 

- 168 -

[LSZ - 1854.04.21]
    Die Zambo-Negresse, die für Lajos in wahrhaft dämonischer Weise brannte und glühte, und die, wenn ihre Sinnlichkeit im rechten Momente angefacht wurde, sich rücksichtslos dem hinzugeben im Stande war, der sie mit dem Zauberstab der Liebe berührte, -- Merlina, die sechszehnjährige wilde Katze, die der Ungar so treffend ein Pantherweibchen nannte; Merlina, die bisher mit ihren Opfern nur tändelte und sie oft schonungslos verbluten ließ; Merlina, die trotz der Sittenverderbniß in ihrem eigenen Hause sich bisher noch von keinem Manne den Gürtel losbinden ließ; die Kälte und Bedachtsamkeit heuchelte, wenn man ihr gegenüber in Feuer und Flammen gerieth; Merlina, die nur ein außerordentlicher, wenn auch schrecklicher Vorfall dazu bewegen konnte, das preiszugeben, was sie trotz ihrer Mordlust und Grausamkeit wie das goldene Vließ bewacht und manchmal mit großen Schwierigkeiten erstritten und erkämpft hatte -- dieselbe wilde Katze, dasselbe Pantherweibchen taumelte und glühte, bei dem Gedanken, sich endlich dem ganz hinzugeben, den sie bisher oft auf so grausame Weise geneckt und von sich abgestoßen hatte.
    Der Ungar fibrierte nur leise, als er jetzt von der Leiche des Negers stieg, um in den Armen der Zambo-Negresse das zu verwirklichen, was ihm ihre Augen prophezeihten.
    Hätte jedoch Merlina seine Gedanken errathen, sie würde ihn entsetzt und wuthentbrannt zurückgestoßen haben. Dieselben Arme, die ihn umschließen sollten, hätten sich in Schlangen körper verwandelt.
    Auf einen Wink des Ungarn entfernten sich die Katzen Merlina's aus der Piege, nachdem der bleichen Mestize Semiramis noch vorher die Weisung zugekommen war, an der zerschlagenen Thüre Wache zu halten und sich, wenn sie müde sei, von einer Chola ablösen zu lassen.
    „Lass' Sulla liegen, mein Lajos“ bat die Zambo-Negresse den Ungarn, als derselbe die Negerleiche in die Höhe hob, um sie wahrscheinlich hinauszuschleppen.
    „Lass' ihn liegen, mein Lajos“, wiederholte sie, „Sulla hat es verdient, auch noch im Tode unser Glück mit anzusehen, -- sieh' sieh', wie er seine Zähne zeigt und uns so unverwandt anblickt!“
    „Hilf mir ihn dort an die Wand stellen -- er wird wohl noch so viel Besonnenheit haben, um stehen zu bleiben und nicht zusammen zu fallen. Wie schön ihm ein schwarzer Frack steht -- -- komm, mein Sulla, lass' Dir die Halsbinde losknüpfen

 

- 169 -

damit Du freier athmen kannst -- einfältiger Mensch! Warum bist Du so schnell gestorben, noch ehe ich Dich verkauft habe -- Mister Bartlett wird jammern um den schönen Nigger, der ihm so schnell zur Hölle entfahren. -- -- So, so, mein Barkeeper der Mühle, bleibe ruhig stehen und betrachte uns genau -- -- Dummer Bursche, warum mußtest Du auch in meine arme Wange beißen und Deine schöne weiße Halsbinde beschmutzen -- sieh' hier, die Blutflecken auf Deiner schönen weißen Ballweste -- -- fletsche die Zähne nicht so frech, mein armes Niggerchen -- Du weißt gar nicht, wie dumm es aussieht, wenn ein verrecktes Thier noch anmaßend sein will -- so, so, bleib' nur still stehen und lauf” uns nicht davon! -- --“
    Merlina nahm jedes dieser Worte mit fürchterlicher Gier auf und bewunderte den Ungarn im Stillen wegen seiner guten Laune.
    Beide unterstützten sich gegenseitig in ihrem Bemühen, den Neger an die Wand zu stellen. Wenn sie aber glaubten, daß er aufrecht stehe, soglitten die Beine aus und er fiel langgezogen wieder auf den Boden.
    Sie versuchten es noch mehrere Male, aber stets vergebens.
    „Hätte ich mein Gewehr hier“, bemerkte der Ungar, „ich würde ihm den Ladstock zum Maule hineinstecken und bis in den Magen hinabstoßen -- er würde sich dann doch bequemen müssen, gerade zu stehen.“
    Ein wiederholter Versuch, die Leiche stehend zu machen, mißglückte ebenfalls.
    Wenn sie glaubten,daß es ihnen gelungen war, so schlug der Neger immer wieder der Länge nach auf den Boden. Seinen Kopf hielt er hoch und etwas zurückgebogen; die Fäuste waren fest zusammengedrückt.
    Der Ungar, welcher den Neger fest um den Leib gefaßt hatte, um es noch einmal zu versuchen, ihn aufrecht an die Wand zu stellen, kam zufälligerweise mit seinen Fingern an die Westentasche und vernahm das Knistern eines Papiers.
    Er ließ die störrische Leiche wieder sinken und griff in die Westentasche.
    Es waren die bekannten Papiere des Negers, die ihm Merlina auf ein Geheiß des Ungarn rauben sollte.
    Bei der Herausnahme dieser Papiere fiel ein schmales, offenes Billet zu Boden.
    Merlina war auf das Bett gestiegen und hatte die Musquitobare in Ordnung gebracht.

 

- 170 -


    Eben stieg sie wieder herab. Ihr Kopfund Nacken waren noch unter den Vorhängen verborgen; denn sie ordnete Kissen und Decken, da sie an die Liebe des Ungarn dachte.
    Ein Blick des Ungarn auf das Billet, das derselbe gleich als dasjenige erkannte, welches er Merlina von Mobile ausübersandte, brachte ihn aus seiner angewohnten und satanischen Ruhe.
    Seine Stirne brannte wie ein glühender Hochofen und seine behaarte Brust hob sich in wilden Oscillationen.
    „Doch betrogen!“ stieß er in entsetzlichem Tone heraus und sprang auf die Zambo-Negresse zu.
    Er ergriff sie bei den Armen, brachte sein Gesicht ganz nahe an das ihrige und sah ihr starr in die Augen.
    „Was ist Dir, mein Lajos? Mein Lajos, mein Lajos! -- --“ rief sie.
    „Ja, infame Schlange -- Dein Lajos ist hier -- er wird Dich aus Liebe erdrücken und Dir als Leiche zukommen lassen, was Du ihm lebend in Aussicht gestellt. Ich möchte Dich gerne warm umarmen, recht zärtlich menschlich warm umarmen, mein Pantherweibchen, aber ich traue Dir lebend nicht mehr -- d'rum sei's mit der Leiche!“
    Das Gesicht des Ungarn verzerrte sich zu einer entsetzlichen Fratze, als er diese Worte sprach. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen und hatten jenen fahlen, bläulichen Schimmer, wie er der Hyäne eigen ist, wenn sie in den aufgescharrten Gräbern mit den Leichen Buhlschaft treibt. --
    Man wird sich noch erinnern, daß jenes Billet Sulla zufällig in die Hände kam, als er das Bett der Zambo-Negresse durchsuchte,
    Bei dem Anblicke desselben mußte natürlicherweise in dem Ungarn der Gedanke aufsteigen, er sei betrogen und schändlich verrathen. Wer anders als Merlina hatte den Neger jene Zeilen in die Hände gegeben,die ihn auf die Verschwörung aufmerksam machen sollten, die die Freiheit seiner Person bedrohte. Also war Sula in alle Geheimnisse eingeweiht? Also Er, das Haupt der Mühle, stand, ohne daß er es bisher nur im geringsten geahnt hatte, unter der Controlle des schwarzen Barkeepers? Und was mag Merlina mit Sulla gegen seine Person im Schilde geführt haben? Wollte man sich vielleicht gar seiner entledigen? Fürchtete man ihn? Oder benutzte man ihn nur zur Ausführung jener unzähligen Verbrechen und Gräuelthaten,

 

- 171 -

deren glückliche Erfolge bisher die Casse der Mühle füllen mußten?
    Das Benehmen Merlina's bei dem Tode Sulla's? Und jetzt? So verändert! Hatte sich ihm Merlina nicht scheinbar zugewendet, weil sie einsah, daß mit dem todten Neger kein Bündniß mehr zu schließen sei?
    Diese Gedanken durchzuckten das Gehirn des Ungarn mit der Schnelligkeit des Blitzes.-

[LSZ - 1854.04.22]
    Merlina wußte nicht mehr, wie ihr geschah, als die langen schwarzen Haare des Ungarn um ihren Nacken fielen und der selbe mit halbgeschlossenen Augen über sie hinaussah. Semiramis, die als Wache an der zerschlagenen Thüre der Pieze aufgestellt war, hatte mit der ihrer Race eigenthümlichen Neugierde von Anfang bis zu Ende dieser haarsträuben den Verirrung beigewohnt und war kaum im Stande, einen Schrei des Entsetzens zu unterdrücken. Sie kehrte der Tragödie, deren Verlauf die bisher aufmerksam verfolgt hatte, den Rücken und sah sinnend und vor sich hinbrütend zu Boden.
    Sie hatte Alles gesehen, konnte aber nicht Alles begreifen.
    Sie verließ trotz der strengen Disciplin ihren bisherigen Platz an der Thüre, kroch ins Bett und zog die Decke bis über ihren Kopf hinaus.
    Ein kalter Schweiß rann ihr von der Stirne. Sie wollte wieder aufstehen und vor die Piece eilen, um zu sehen, ob sie nicht geträumt habe. Doch ein unerklärliches Etwas hielt sie von ihrem Vorsatze zurück. --
    Unsichern Ganges verließ der Ungar die Stelle, wo er an Merlina das doppelte Verbrechen begangen hatte.
    Gab es in diesem Augenblicke ein größeres Scheusal auf der weit bewohnten Erde? Hat auf beiden Hemisphären je ein größeres Ungethüm gehaust?
    Wie ein Gespenst wandelte der Ungar mehrere Male in der Piece umher und warf hie und da einen Blick in die Schlafzimmer.
    Die Katzen der Mühle waren alle in tiefen Schlummer versunken. Einige athmeten leise, andere schrieen im Schlafe auf und warfen sich auf die andere Seite. Die Aufseherin schnarchte wie ein Mann oder vielmehr wie ein Weib solcher geschlechtslosen Race.
    Der Ungar blieb stehen und lehnte sich an die zerschlagene

 

- 172 -

Thüre. Er war vielleicht das einzige Wesen in der Mühle, das in diesem Momente wachte.
    Merlina todt -- Sulla todt! Alles in Ruhe, von Niemandem beobochtet! Sollte er diese sichere Position verlassen, ohne hieraus einen Vortheil zu ziehen? Wußte er nicht den Ort, wo der ganze Reichthum der Mühle verborgen lag? Warum sollte er nicht mit Einemmale ein reicher Mann werden können? Welchen Werth sollte das Leben so vieler Menschen in der Mühle haben? Und war es nicht besser, wenn Alle zu Grunde gingen und Niemand übrig blieb?
    In solcher Weise raisonnierte der bleiche Mörder und schritt zur schleunigen Ausführung eines eben gefaßten Entschlusses.
    Um zu dem Gelde der Mühle zu gelangen, mußte er unter das Bett kriechen und eine Diele aufheben.
    Auf der einen Seite des Bettes hingen die Beine der Zambo-Negresse kalt und steif auf den Boden herab; ihr Oberkörper lag gräßlich zugerichtet unter den Musquitovorhängen. Er ergriff die Beine und warf sie in's Bette hinein. Er that dies jedoch so rasch, daß dieselben auf der andern Seite wieder hinaus fielen und den Neger, der mit seinem Gesicht nahe am Fuße eines Bettpfostens lag, auf die Stirne schlugen.
    Der Ungar duckte sich wieder und kroch auf allen Vieren unter das breite Masterbett.
    Die Diele war nicht so leicht aufzuheben, als er sich vorstellen mochte. Nach vielen vergeblichen Versuchen und nachdem er sich bereits die Nägel an den Fingern blutig geschunden hatte, kroch er wieder auf allen Vieren unter dem Bette hervor und holte die Art herbei, die Merlina neben der Leiche Sulla's hingeworfen hatte. Er begab sich jetzt wieder an die Stelle, wo das Geld verborgen lag.
    Nach vielem Abmühen gelang es ihm endlich, die Diele in die Höhe zu heben.
    Unter derselben befand sich eine Höhlung von ungefähr zwei Fuß breit und ebenso tief, die ganz von einem Buche ausgefüllt wurde. Er nahm das Buch heraus, und kroch mit demselben hervor und legte es auf die Platte des Waschtisches, den noch kurz vorher Sulla vor die Thüre der Piege geschoben hatte. Er schlug es auf und fand sich in seinen Erwartungen nicht getäuscht. So oft er die Blätter umschlug, fiel ihm eine gewichtige Banknote in die Augen, von denen keine weniger als hundert Dollars zählte. Als er das Buch von Anfang bis

 

- 173 -

Ende durchblättert hatte, war er im Besitze von hundert und zwanzigtausend Dollars.
    Mit ruhiger und sicherer Hand falzte er die Banknoten zusammen und steckte sie in seine Hosentasche.
    „Geld! Geld!“ lachte er vor sich hin und seine Augen belebten sich wieder auf's Neue.
    Er sah auf seine Uhr. Es war Zwei nach Mitternacht.
    Es war hohe Zeit, daß er rasch handelte.
    Sachte ging er durch die beiden Schlafzimmer und trat in die Clubkabinette von Nr.99 und 100. Hier zog er eine Schublade unter dem Tische hervor, an dem er noch vor einer Stunde mit den andern Clubbisten gesessen hatte, um sich über die Angelegenheiten der Mühle zu besprechen und den untergeordneten Mitgliedern der Bande ihr Verhalten vorzuzeichnen.
    Unter dem Buch der Mühle, das in Wachstuch eingewickelt war, lag das gräßliche Mordinstrument des Collegiums der Clubbisten der Hamburger Mühle. Seinen Gebrauch hatte sie Merlina gelehrt. Dasselbe war seit dem Bestehen der Bande der Zambo-Negresse schon mehr als zwölfmal angewandt worden. Siebenmal an Clubbisten selbst, in Fällen, wo man sich memlich aus gewissen Gründen genöthigt sah, dieselben unschädlich zu machen. Es war die Pechmaske *), die man den auserlesenen Opfern während des Schlafes auf das Gesicht drückte, bis sie erstickt waren.
    Lajos nahm die Pechmaske aus dem Wachstuche hervor und barg sie in sein Hemd, vorn auf die Brust. Dann ging er eben so sachte, als er in die Clubkabinette getreten war, durch den Salon der Mühle und ließ sich durch die wohlbekannte Oeffnung hinab.
    Ehe wir seine Schritte weiter verfolgen, müssen wir noch bemerken, daß der Italiener Lombardi neben einem Fruchtstore schlief, von dem ihn nur eine leichte Tapetenwand trennte, Nur bei außergewöhnlichen Gelegenheiten schlief er oben, wenn er sich nemlich nach den Katzen Merlina's sehnte oder auch, wenn er zu betrunken war, um hinabzusteigen.
    Lombardi hatte sich heute gleich zu Bette gelegt, als er mit dem Ungarn die Clubkabinette verließ und derselbe zu Merlina eilte.
____________________


*) Man wird sich noch erinnern, daß bei der Verhaftung des bekannten Schulmeisters Dyson im vorigen Sommer (1853) eine Pechmaske vorgefunden wurde, deren Zweck sich Niemand erklären konnte. Wie war Dyson in den Besitz einer solchen Maske gekommen? Wer hat ihn ihren Gebrauch gelehrt? Auch die schon erwähnten Hotooh's sollen dieses fürchterliche Mordinstrument handhaben. --

 

- 174 -

    Er konnte aber nicht schlafen; denn das Benehmen des Ungarn gegenüber seiner Würde als Pontifer Maximus der Mühle lag ihm drückend wie ein Alp, auf der Brust. Zudem hatte er sich nicht einmal ausgezogen.
    Um sich die Zeitzu vertreiben, hatte er ein großes Stück Kautaback zu sich gesteckt.
[LSZ - 1854.04.23]
    Das Schlafgemach Lombardi's paßte genau zu seinem Aeußern und schien mit demselben an Unsauberkeit und Unordnung zu wetteifern. In ihm befand sich kein Fenster und die wenige Luft, die es empfing, drang nur spärlich durch ein sehr schmales, vergittertes Loch oberhalb der Thüre.
    Dieser Mensch hätte wie ein Standesherr leben und wohnen können, aber die Dreckseele verschmähte jeden Comfort. In sein Bett, das die Folgen des oftmaligen Betrunken eins auf eine eckelerregende Weise befleckt und gefärbt hatten, hätte sich auch der schmutzigste und verkommenste Ragpicker nicht gewagt. Abgetragene, zerrissene Kleidungsstücke, Taglichter-Stumpen, gebrauchter Kautaback, Citronen- und Orangen-Schalen und leere Matches-Boren lagen allenthalben umher und ein blecherner Topf, der ihm neben seinem ursprünglichen Zweck zugleich auch als Trink- und Waschgeschirr diente, trug gerade auch nicht dazu bei, daß man bei seinem Eintreten von Millefleurs Düsten überrascht wurde.
    Der beste Gegenstand, der sich im Schlafgemache des Italieners befand, war eine Venetianische Lampe, deren Licht von dunkelblauen und rubinrothen Gläsern, die in ihrer Fügung ein Octaeder bildeten, zusammengehalten war. Diese Lampe, die er mit von Italien herübergebracht und ihm als Pipo einst große Dienste geleistet hatte, konnte beliebig umgedreht werden, ohne sie von ihren einmal eingenommenen Standpunkt zu verrücken. Heute war die rothe Gläser Agraffe seinem Bette zugekehrt. Am Plafond schwebte der Schein vom Abglanze des Octaeders und zog sich in die Länge oder verengte sich, sowie der Luftzug, der durch das vergitterte Loch oberhalb der Thüre hereinstrich, nachließ. Gedankenlos sah der Italiener diesem Lichtspiele zu, bis ihn wieder der Unmuth wegen der Vorkommnisse in den Clubkabinetten bemeisterte. --
    Der Ungar stand bereits an der Hinterthüre des Fruchtstores, von wo aus man die ganze Yard bis zur Begrenzung der schon an einem andern Orte erwähnten Alley übersehen konnte. Diese Uebersicht war heute durch die aufgehängte

 

- 175 -

Wäsche, welche der von der Alley herüberstreichende Luftzug auf und nieder klatschte, gestört.
    Der Mond, der einen großen Hof hatte, warf einen matten und unsichern Schein in diese Räume.
    In der nächsten Nachbarschaft schrie sich ein Mocking Bird *) fast die Kehle heiter, indem er bald das Miauen einer Katze, bald das Krähen eines Hahnes nachahmte, auch mitunter ganz charmante Bastardliedchen pfiff oder Triller schlug, wie eine faivrte Opernsängerin.
    Kaum zwei Schritte von der Hinterthüre des Fruchtstores entfernt, befand sich der Eingang in Lombardi's Schlafgemach.
    Der Ungar sah nach dem vergitterten Loche oberhalb der Thüre auf. Daß er Licht bemerkte, überraschte ihn nicht im geringsten; denn er wußte, daß der Italiener nie im Finstern schlief.
    Er schob die Pechmaske weiter von der Brust zurück, doch so, daß er sie schnellwieder herauslangen konnte. Dann legte er sein Ohr an die Thüre und horchte. Er hörte den Italiener husten und vernahm das Knarren des Feldbettes.
    Er pochte, anfangs leise, dann etwas stärker.
    „Wer da?“ rief von drinnen die Stimme des Italieners, in einem so zweifelhaften Tone, daß man leicht glauben konnte, daß es ihm an Geistesgegenwart gebrach.
    „Tod oder Merlina!“ löste der Ungar seine Parole.
    Der Italiener verließ das ächzende Feldbett und schob den doppelten Riegelzurück.
    „Ich glaubte, Sie schliefen schon“, redete Lajos den Fruchthändler an und affectirte ein schalkhaftes Lächeln.
    „Wenn Sie der Meinung waren, daß ich schlief, warum weckten Sie mich denn? -- -- -- Hat die Mühle eine neue Order?“
    Der Italiener ließ den Ungar in die Schlafstube und streckte sich wieder auf ein schmutziges Bett.
    „Ihr Bett ist, wurmstichig, Lombardi, undächzt und stöhnt wie eine alte Betschwester,“ bemerkte der Ungar und suchte vergebens nach einem passenden Sitze, wo er sich niederlassen könnte, ohne sich die Beinkleider zu beschmutzen. Er knüpfte sein schwarzseidenes Halstuch, das er wie eine Schärpe um die Brust gebunden hatte, los, und breitete es auf einem alten Stuhle, der nur eine halbe Lehne hatte, vorsichtig aus. Dann
____________________


*) Spottvogel.

 

- 176 -

rückte er bis zum Bette des Italieners vor. Doch ließ er einen kleinen Zwischenraum offen.
    „Dame Merlina schickt mich zu Ihnen herab, Lombardi, um zu erfahren, wie es Ihnen geht, da sie glaubt, Sie befänden sich schon ein paar Tage nicht recht wohl.“
    „Danke,danke!“ schmunzelte der Italiener, der sich durch diese zarte Aufmerksamkeit der Zambo-Negresse sehr geschmeichelt fühlte.
    „Dame Merlina sorgt für Sie, wie eine Mutter“, fuhr Lajos fort und drückte seinen linken Arm an die Maske unter seinem Hemde.
    „Sagen Sie Dame Merlina, ich befände mich auf die Dosis Calomel ganz wohl -- nur hie und da etwas Rückenwehe und Kitzel im Gaumen -- doch dies hat nichts zu bedeuten, da ich es nun einmal gewöhnt bin“, erwiederte der Italiener und spuckte eine bedeutende Quantität Kautaback auf seine schmierige Bettdecke und biß sich ein frisches Primchen ab.
    „Dann kann ich mich also wieder entfernen und Dame Merlina zur Beruhigung sagen, daß Sie sich ausgezeichnet gut befinden“, sagte der Ungar.
    „Sie brauchen gerade nicht zu sagen ausgezeichnet, aber Sie können ihr bemerken, mir ginge es so, so, passabel“, entgegnete der Italiener.
    Der Ungar sah jetzt über das Bett des Italieners hinweg, indem er sich etwas vorneigte.
    „Sie suchen wohl einen gewissen Gegenstand, Lajos -- hier zu Ihrer Rechten, Sie brauchen sich nicht zu genieren“, bemerkte Lombardi und bog seinen Rücken ein, der ihn plötzlich wieder schmerzte.
    „Nicht das“, entgegnete der Ungar, „ich sah nur da hinüber nach jener Ratte, die so unverschämt an ihren Schuhen nagt und sich trotz unserer Gegenwart nicht irre machen läßt ihren Appetit zu befriedigen. -- -- --
    Sie verziehen Ihre Ratten, Lombardi, und bilden sie zu Gourmands heran -- das ist nicht recht.“
    Als sich der Italiener zur andern Seite des Bettes herausbog, um nach der genächigen Ratte zu sehen, hatte der Ungar schnell die Pechmaske unter seinem Hemd hervorgezogen und war über ihn hergestürzt.
    Ehe sich Lombardi in Vertheidigungszustand setzen konnte, hatte ihm der Ungar die Maske über das Gesicht geworfen und mit beiden Händen fest aufgedrückt.

 

- 177 -

    Der Italiener griff nach seinem Gesichte und zerrte vergebens an der Maske. Er sprang in die Höhe, fiel aber gleich wieder zurück. Dann zuckte er noch einige Augenblicke mit Händen und Füßen, bis er lang gedehnt einen Geist aufgab.
    Ueber die Pechmaske aber glitt der kalte Leib einer Ratte.     „Also dennoch eine Ratte!“ warf der Ungar höhnisch lachend hin: „Wenn man den Teufel an die Wand malt, kommt er angefahren.“ --
    „Eine Erinnerung an dich, mein schmieriger Pipo, will ich mir aber doch noch mit auf den Weg nehmen -- das Lämpchen ist doch gar zu schön; wie wird sich meine blonde Frida freuen, wenn sie bei einem Glanze einschlafen kann -- sie liebt die bunten Lampen und Lüstres gar sehr, mein unglücklicher Pechvogel. Damit du aber, falls deine Seele in die Hölle gefahren, dem Herrn Satan und seiner Lady nicht klagen kannst, ich hätte es dir gestohlen, so will ich es königlich bezahlen. Läß'st du das Geld liegen, so ist es deine eigene Schuld -- --“ Der Ungar, der, während er diese Worte sprach, auf den erstickten Italiener hinsah, wandte sein Gesicht jetzt von ihm ab und warf in einem unbeschreiblichem Uebermuthe eine Hundert Dollar Bill auf den Tisch, auf dem die Lampe stand, dann schraubte er die schmale Glas-Agraffe los und steckte sie in seine Hosentasche. Den Oelapparat warf er dem Fruchthändler auf's Bett, wobei die Ratte, die wieder zurückgekehrt war und schon ein Loch in den Hals des Erstickten gebissen hatte, über das Bett hinwegschlürfte.
    Wenn Jemand vor der Thüre des Schlafgemachs gestanden hätte, so würde er geglaubt haben, es wäre außer dem Ungar und dem Erstickten noch eine andere Person gegenwärtig.
    Hastig, doch so leise wie ein Hotooh, strich der Ungar die Treppe hinauf in den Hamburgersalon.
    Aus einem Seitenkabinette hörte er das laute Schäckern des Clubisten von No.98, dem, wie wir bereits wissen, für diese Nacht Pharis und Elma beigegeben waren.
    „Ihr Hunde und Katzen werdet nicht lange mehr lachen“ dachte Lajos bei sich: „die Laden sind vernagelt und die Oeffnung werde ich zuklappen und zum Ueberflusse noch die untere Thüre absperren -- doch halt! die Semiramis könnte ich wecken -- -- doch nein, das geht nicht, es würde den ganzen Spaß verderben.“
    Der Ungar ging auf die Bare zu, auf deren Cascade neben verschiedenen Weinen auch mehrere Gefäße mit Spirituosen

 

- 178 -

gefüllt, standen, nahm von einem derselben den gläsernen Stöpsel heraus und ließ den Inhalt in einen zusammengelegten Teppich fließen. Dann riß er einen Streifen von einer Zeitung und zündete denselben an einer Camphinelampe an. Die den brennenden Fidibus hielt er dann in den mit Alkohol getränkten Teppich,
    Eilig ging er nun auf die Oeffnung im Salon zu und klappte, nachdem er schon mit halbem Leibe unten stand, das Deckbrett nieder. Am Fuße der Treppe angekommen, verschloß er die zu ihr führende Thüre und warf dann den Schlüssel in die Gosse der Yard. --
    Als er auf die Straße trat, war in der nächsten Umgedung der Mühle. Niemand zu sehen.
    Vom Markte herüber hörte man das Klimpern der Kaffeelöffel und das Klappern der Tassen und Teller. Die Butchers tranken schon ihren Caffee.
    Gelassen und sichern Schrittes ging der Ungar auf jene Stelle zu, wo er Tiberius befohlen hatte, seiner bis 3 Uhr nach Mitternacht mit dem Kahne zu warten.
    An die Stützbalken des Wharfes schlugen die von einem eben ankommenden Dämpfer erregten Wellen des Mississippi. Eine Kanonensalve und gleich darauf die Erwiederung deuteten darauf hin, daß der Dämpfer über See kam. Die Fackeln am Ufer sandten ihren Feuerschein auf den glücklichen Ankömmling und erleuchteten den breiten rothen Streifen über den Kajütenlucken. Durch das Gerassel der Ankerketten hindurch vernahm man den monotonen Refrain der Matrosen und das Commandowort des Capitäns.
    „Die Georgia!“ hörte er hinter sich einen Mann sagen: „sie kommt vom Isthmus -- ein goldenes Cargo und ein luftiges Gesindel“
    Der Ungar drehte sich um und begegnete mit seinen Blicken der Hafenwache. Dieselbe begrüßte und fragte ihn, ob er einen Bekannten an Bord habe.
    „Wenn es die Georgia ist“ entgegnete Lajos, „so bin ich umsonst hierher gekommen. Der Steamer, mit dem ich einen Freund erwarte, hat mit diesem nichts zu schaffen.“
    „Das ist verdrießlich,“ bemerkte die Hafenwache und verließ den Ungar, der rechts ablenkte und längs des Wharfes zum Niveau der Fluchzeile hinabstieg,
    Hier traf er auch seinen Kahn, den das erregte Wasser auf und nieder schaukelte. Er war mit einem Taue an einen

 

- 179 -

Legpflock festgebunden. Der kleine Tiberius lag auf dem Boden des Kahnes und schlief. Die Ruder lagen kreuzweis über seinem Kopf.
    Lajos trat mit einem Fuße auf das Sitzbrett des Kahnes und rüttelte den Neger aus dem Schlafe. Derselbe fuhr er, schrocken empor, doch als er seinen Herrn erkannte, war er beiruhigt. Er stieg aus dem Kahn, löste das Tau von dem Legpflocke und warf es auf die Grundsparren des Kieles. Der Ungar saß jetzt vorn auf dem Brette und sah unverwandt nach der Richtung hin, woher er gekommen war.
    Tiberius stemmte eines der Ruder gegen das Ufer und stieß sicher und gewandt vom Lande ab.
    Der Hof des Mondes verzog sich eben in einen langen, schmalen Nebelstreifen und ließ dessen Scheibe frei.
    Tiberius war ein gewandter Fährmann. In gleichem Takte erhoben sich die Ruder, wie zwei lange schwarze Arme aus den Wellen und schlugen eben so gleichmäßig wieder ein.
    Sie hatten bereits schon die Hälfte der Fahrt zurückgelegt, als sich eine schneeweiße Seemöve so nahe an dem Ungar niederließ, daß er sie mit den Händen hätte greifen können.
    „Wie kommtdie Seemöve hierher, Tiberius? frug dieser den kleinen Neger, der in dergleichen Dingen besseren Bescheid wußte, als sein Herr.
    „Die hat die Georgia mitgebracht,“ versetzte Tiberius.
    „Die Seevögel*) hängen sich oft an den Mast und fahren bis vor die Stadt.“
    „Unglücksvogel!“ dachte sich der Ungar: „das Nest will noch nicht brennen.“ Dabei sah er nach der Gegend hin, wo die Mühle lag.
    Er zog seine Uhr hervor. Der Zeiger stand auf fünf Minuten nach Zwei. „Das ist nicht möglich,“ sagte er für sich hin und brachte das Gehäuse an sein Ohr.
    Die Uhr war stehen geblieben -- ungefähr um die Zeit, als er dem Italiener die Pechmaske über das Gesicht geworfen.
[LSZ - 1854.04.26]
    Hastig hatte der Ruderschlag den Kahn an's Ufer gejagt. Tiberius zog die Ruder lang und legte sie beide zunächst des
____________________


*) Die Seeleute vindiciren ein Unglück, wenn sich eine Seemöve im Bereiche des Süßwassers zeigt. Besonders gilt dies von der silver sprick. Dieselbe ist schneeweiß mit aufstehenden rosa angehauchten Federn an der Wurzel des Schnabels. Brütet sie, so läßt sie ein dem Pfau ähnliches Gekreisch vernehmen. Dies erweckt besonders zur Nachtzeit ein unheimliches Gefühl. Man trifft sie sehr häufig am Cap St.Henry auf Haiti, wo sie ihre Brutnester in eine Verschlingung von Coabore umgarnen.

 

- 180 -

Randes auf die Sitzbretter. Dann sprang er heraus, ergriff das Tau und bandes mit einem ächten Seemannsknoten an einen Pflock.
    Der Ungar stieg langsam aus dem Kahne und als er auf Algiers's Boden war, blieb er mit verschränkten Armen stehen und sah nach New-Orleans hinüber.
    Ueber die Golfstadt fuhr eben der letzte Silberstrahl des Mondes; denn dichte Rauchwolken, die der Wind in Schlangenkrümmungen durch das Luftmeer trieb, hatten ihn plötzlich verborgen.
    Die Augen des Ungarn flammten in teuflischer Verzückung, als er dies gewahr wurde.
    „Von Mitternacht kommt ein Rauch und ist kein Einsamer in seinen Gezelten -- -- heule Thor, schreie Stadt, ganz Philisterland ist feige!“ sprach er in pathetischem Tone, als befände er sich mitten in dem Collegium der Clubbisten von Neun und Neunzig und Hundert. --
    Der kleine Tiberius sah neugierig nach seinem Master auf, da derselbe diese Worte halblaut vor sich hin sagte. -- Sie verließen nun das Ufer und gingen raschen Schrittes weiter.
    Der Neger folgte dem Ungarn in einer geringen Entfernung nach, indem er öfter umsah.
    Das Feuer hatte sich mit rasender Schnelligkeit verbreitet und schien den ganzen Himmel in Brand zu setzen. Die Dynamik einer Troughbrise trieb Millionen von Funken in schwindelnde Höhe und wenn dieselben nach allen Seiten zerstoben und auseinanderfielen, so schien es, als verlöre der Himmel all' seine Sterne, oder peitschte sie hinab in den Schooß der wunderbaren Stadt.
    Als der Ungar New-Orleans wieder den Rücken kehrte, vernahm er den dumpfen Schall eines einstürzenden Gebäudes. --
*                         *
*
    Den nemlichen Tag brachte die Evening Edition eines englischen Blattes unter anderm folgenden Passus:
    „Es ist in der That schaudererregend und berechtigt fast zur Annahme, daß unsere Stadt unter dem Einflusse eines bösen Dämon stehe, der sich ein Vergnügen daraus macht, unser ohnehin so schwer geprüftes New-Orleans in einem anhaltenden Schrecken zu erhalten. So brannte gestern eine ganze Row von Gebäuden, meistens aus Brick-Häusern bestehend, nieder,

 

- 181 -

so wie auch der linke Flügel jenes großen Warehauses, das früher den Herren Albin und Mcpherson gehörte, und das in neuester Zeit die bekannte Parasina Brulard in so schlimmen Ruf brachte, ein Raub der Flammen wurde. Heute, zwischen zwei und drei Uhr nach Mitternacht brachte ein zweiter Feuer-Lärm die Bewohner des betreffenden Quartieres in die größte Aufregung. Das Feuer soll in der übelberüchtigten Stranger-Wirthschaft, „Hamburger Mühle“ genannt, ausgebrochen sein. Von Verlust von Menschenleben haben wir jedoch nichts vernommen.“
    Der Reporter eines französischen Journals war hierin et was genauer und verschmähte die fatalistische Auffassung des englischen Blattes.
    „Man mag denken, was man will, aber so viel ist gewiß, daß die so schnell aufeinanderfolgenden Feuersbrünste durchaus nicht durch bloße Unvorsichtigkeit oder sonst aus einem widrigen Zufalle entstehen. Man kann im Gegentheil annehmen, daß sie das Werk einer wohlorganisierten Brandstifterbande sind, die schon seit mehreren Jahren in unserer Stadt ihr verbrecherisches Wesen treibt. Möge doch endlich einmal die Polizeimannschaft ihre Pflichten getreu erfüllen und nicht so nachläßig im Aufspürung solcher Verbrecher sein.“
    Nachdem das Journal der beiden Feuersbrünste Erwähnung gethan, spricht es noch die Befürchtung aus, daß durch den Frühbrand wahrscheinlich mehrere Menschenleben verloren gegangen seien. Hierauf versprach es in einem getrennten Editorial, daß nächster Tage etwas ausführlicher hierüber berichtet werden sollte.
    Zum Schlusse fügt das französische Journal bei:
    „Wir können unser innigstes Bedauern unsern braven, wackern Feuercompagnien nicht versagen, deren Kräfte und Gesundheit auf eine so schändliche Weise mißbraucht und auf die Probe gestellt werden. Diese braven jungen Männer glauben sich für Erhaltung des Eigenthums unserer Bürger zu opfern, und wissen nicht, daß sie unter der strafwürdigen Controlle gewisser Leute stehen.“
    Ein deutsches Blatt im französischen Distrikt unserer Stadt, das schon wegen der Lage seiner Office einen gebildeteren und verfeinerteren Leserkreis besitzt, als sein Landsmann und daher mit der Wahrheit auch freier heraustreten darf, ging hierin noch etwas weiter.

 

- 182 -

    „Unter der Rubrik „Stadneuigkeiten“ las man:
    „Wir pflichten unserer werthen Collegin von der franzöischen Presse darin bei, daß sie die -- übrigens sehr verdächtige -- Zufallstheorie des amerikanischen Blattes hinsichtlich der sich in neuester Zeit so oft wiederholenden Feuersbrünste, mit der Behauptung zu bekämpfen sucht, die Brandunglücke seien die Erfolge eines verbrecherischen Complottes. Tadeln aber müssen wir, daß sie etwas verschweigt, was ihr offenbar schon auf der Zunge lag, nemlich, daß jene Brandstifter meistentheils nur die Werkzeuge von Personen sind, die es nicht ertragen können, daß ein Haus oder irgend eine Gebäulichkeit lange steht, wenn die Insurance den Werth derselben überschlägt. -- Die spanische Presse streift sehr nahe an unsere Meinung, nur scheint sie zu voreilig zu verfahren, wenn sie behanptet, daß derlei Unfälle und Verbrechen die Früchte unserer republikanischen Freiheiten seien. Der Macchiavelli der spanischen Presse versteckt sich doch beständig un die Falten des Purpurmantels Ihrer katholischen Majestät. Haben sie die Demonstrationen unserer Cubapatrioten noch nicht klüger gemacht?“ --
[LSZ - 1854.04.27]
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Paralipomena.

Pensacola Landing, New Canal.
>
Hauptquartier der Lesbischen Weiber.

„Sir! In einem von den lesbischen Weibern am 18. März l. J. abgehaltenen Graal wurde beschlossen, den Verfasser der „Geheimnisse von New-Orleans“ in einem Schreiben zu ersuchen, sein den verehrten Leserinnen im siebenten Capitel des zweiten Bandes gegebenes Versprechen, unsere Zusammenkunfte zu publiciren, und deren innerstes Wesen zu enthulen, zu annullieren, da wir sonst in die Gefahr kämen, von rohen Bedrängern heimgesucht und von dem neugierigen Proletariat der Moral gestört zu werden. Da wir aber wissen, welche heilige Verpflichtung ein Autor gegen einen so geachteten und gebildeten Leserkreis hat, und da wir nicht so verwegen sind, von Ihnen eine zu gespannte Delicatesse zu verlangen, so unternehmen wir es zur Zufriedenstellung des Publikums selbst,

 

- 183 -

mit Auslassung der gefährlichen Stellen einige Punkte zu berühren. Genehmigen Sie folgende Auseinandersetzung:
    Es giebt sehr viele Mädchen in New Orleans, die um keinen Preis dazu bewogen werden können, einen Mann zunehmen, sollte derselbe auch ein Adonis an Schönheit und ein Crösus an Schätzen sein. Diese Mädchen besitzen einen solchen Widerwillen gegen Alles, was Mann heißt, daß sie schon bei der geringsten Beruhrung in Ohnmacht fallen. Andere wieder überlassen sich in diesem Falle den gerechtesten Wuthausbrüchen. Ihr Benehmen wird sich naturlich ganz nach ihrem Temperamente richten und sie können keine Schranken bei einer etwaigen Verletzung ihrer Würde. Daß wir in Clubbs von mehreren Mitgliedern zusammenwohnen, ist nur in so fern richtig, als wir einige Nächte lang unsere Zusammenkunfte in abgesonderten Partieen halten; sonst leben wir je zwei, fuhren so unsern Haushalt, gerade so wie es bei der Majorität Ihres Geschlechtes Mann und Frau zu machen belieben. Vor der Weltgelten wir, wenn Eines von uns sich eine Lebensgefährtin erwählt hat, als gute Bekanntinnen, Freundinnen, Milchschwestern oder auch als geistige Verehrerinnen gegenseitiger Vorzüge.
    Die Mehrzahl von uns ist deutscher Abkunft, sie selbst aber sind auf dem Boden Louisiana's zur Welt gekommen. Diese deutschen Creolen-Mädchen sind unter uns sehr geachtet, weil sie das im höchsten Grade besitzen, das uns Allen den eigenthümlichen Typus aufdrückt. Sie glühen besonders für die Reize schöner, junger verheiratheter Frauen, weil sie an denselben ein befriedigendes Substitut für ihre mangelhafte Potenz finden.
    Würde eine derartige Melange von Folge sein, so müßten Kinder entstehen, die an Schönheit und Erhabenheit selbst die Götter beschämten. Das sind wir fest überzeugt und diese Voraussetzung bildet daher einen Hauptbestandtheil der Tradition unseres heiligen Graals. König Artus von der Tafelrunde ist unser Ahnherr und der Großmeister unserer Alliançe. Sir Walther Raleigh unddie Brüder Cabot nehmen den nächsten Grad unserer Verehrung und Anbetung ein, weil sie es sind, die uns auf die neue Welt verpflanzt und in das mysteriöse Palmettoboudoir Louisiana's Eingang verschafft haben.
    Sir! Sie sind der Erste und der Einzige, der es gewagt, unserer so räthelhaften Eristenz in New-Orleans Erwähnung zu thun und dies in einem Werke, dessen Seele Frauen

 

- 184 -

von Geist und Herz um so entzückter in sich aufnehmen, als sie Alles das berührt finden, über was sie sich selbst bis jetzt keine genaue Rechenschaft geben konnten, weil sie noch nicht wußten, daß die Mehrzahl der Männer unwürdig ist, ihnen das Strumpfband zu lösen.
    Sir! Mögen Sie in Ihren Enthüllungen betreffs unserer zeitweiligen Zusammenkünfte nicht weiter gehen und wir werden Ihre edle Delikatesse damit zu ehren suchen, daß wir Ihnen den Kelch des heiligen Graalkredenzen und Sie neben König Artus an die Tafel setzen. Sehen Sie in Zukunft im Blute, mit dem der Kelch gefüllt ist, die Leidensgeschichte eines entgötterten Geschlechtes. --
Lesbia.“

New-Orleans im April 1854.

(Ende des dritten Bandes.)


27 April 1854







Restauriert und bearbeitet aus Buch und Zeitung von

Peter R K Wagner - 2019