Geheimnisse von New Orleans


Buch ---- Band I Zeitung Daten
Band I
  1. 01 Jan 1854
  2. 03 Jan 1854
  3. 04 Jan 1854
  4. 05 Jan 1854
  5. 06 Jan 1854
  6. 07 Jan 1854
  7. 08 Jan 1854
  8. 10 Jan 1854
  9. 11 Jan 1854
  10. 12 Jan 1854
  11. 13 Jan 1854
  12. 14 Jan 1854
  13. 15 Jan 1854
  14. 17 Jan 1854
  15. 18 Jan 1854
  16. 19 Jan 1854
  17. 20 Jan 1854
  18. 21 Jan 1854
  19. 22 Jan 1854
  20. 24 Jan 1854
  21. 25 Jan 1854
  22. 26 Jan 1854
  23. 27 Jan 1854
  24. 28 Jan 1854
  25. 29 Jan 1854
  26. 31 Jan 1854

 


[LSZ - 1854.01.01]

Memoranda für den geneigten Leser.


    Seitdem sich Eugen Sue's Marienblüthe vor dem Zauber der „wedding night“ mit einem Prinzen, scheu zurückzog, und lieber in einem Kloster ihr junges Leben endete, haben die Marienblumen allen Reiz verloren, und da dieselben notwendig im Garten der „Geheimnisse“ blühen müssen, so sind auch die Geheimnisse außer Mode. Marienblumen auszusäen, ist es um ein Jahrzehnt zu spät, um so mehr, da sie, wie jeder Blumenliebhaber weiß, nur zwei Jahre keimfähig sind.
     Alle nachfolgenden Geheimnisse waren daher mehr oder minder nur ein Plagiat der Gerolsteinischen, wenn in Ersteren auch manchmal die Prinzen, Vicomtes St. Remy's und Marquisen D’Harville's fehlten.
     Auf amerikanischem Boden eröffnete der berüchtigte Novellist Ned Buntline die Literatur der Geheimnisse, und tödtete dadurch vollends allen Zauber und jedwedes Interesse fur dieselben.
     Aus deutsch-amerikanischer Feder flossen die „Geheimnisse von St.Louis“ die in soferne von Bedeutung sind,als ihr Erscheinen mit dem damaligen Kampfe der Deutschen gegen die Uebergriffe des Jesuitenthums zusammentraf. H.Haffaureck's „Geheimnisse von Cincinnati“ sind ein Abglanz der Geheimnisse von Berlin und New-York, und enthalten für einen belesenen Mann leider zu viel Reminiszenzen.
     Trotz der vorausgestellten Prämissen hat der Verfasser sein Werk dennoch Geheimnisse genannt,weil demselben eine Thatsache zu Grunde liegt, die der jetzigen Generation unserer Stadt schwerlich bekannt sein wird, es müßte denn der Eine oder der Andere durch irgend einen Zufall eine Abschrift von Lacanal's „Erzählungen einer Ursuliner Novize in New-Orleans“ in die Hände bekommen haben. Zur Zeit, als Baron von Carondolet noch Gouverneur der Provinz war und die Gegend um Canal- und Esplanadstraße aus Plantagen bestand, wohnte auf einer derselben, an der Stelle, wo sich jetzt Talbots Sklavendepot befindet, eine ominöse Person, die vor dem damaligen Inquisitionshof in Louisiana gestellt, vor allerAugen plötzlich verschwand und schreckliche Spuren in der Stadt zurückließ.
    Der gesunde Menschenverstand lehnt sich zwar gegen alles Romanhafte und Geheimnisvolle auf, dochgeben uns oft außerordentliche Ereignisse den Schlüssel zum Unglaublichen, und das Unwahrscheinlichste wird wahr.
     So im beifolgenden Werke.

  New-Orleans, den 25. December 1853.

Der Verfasser.

 

Prolog.

     Keine Stadt auf dem alten und neuen Continente, St. Franzisco und Calcutta vielleicht ausgenommen, hat ein so großes Völkerpanorama aufzuweisen, als New-Orleans, die Königin des Südens, die Beherrscherin des majestätischen Golfes von Merico. Als Louisianas blühendste Stadt noch unter spanischer Jurisdiction stand, die sie auch unter französischer Oberherrlichkeit, unter Napoleon Bonapartes Scepter, beibehielt, hatte sie noch einen stabilen, bestimmt ausgeprägten Charakter, und das Castilische Idiom mit seinem tiefen Ernste und seiner stillen Genußsucht bildete im Gegensatz zur lärmen den Ungebundenheit und leichtsinnigen Nonchalance der Franzosen ein doch immer nur einfarbiges Gemälde. Erst seitdem der Amerikaner hier festen Fußgefaßt und mit ihm eine größere Energie im Handel und Gewerbe einzog, nach dem Jahre 1804, verschmolz der Charakter unserer Stadt in ein wüstes Chaos von Sitten, Sprachen und Gebräuchen; sie wurde zur eigentlichen Weltstadt, bekam eine durchaus cosmopolitische Physiognomie.
     New-Orleans ist die Quelle, aus der schon so viele Tausende ihren Reichthum geschöpft haben, aber auch der bittere Kelch des Leidens, des Elends und der Verzweiflung. New-Orleans ist jetzt die Prima Donna des Südens, das Freudenmädchen, das unersättlich in ihren Umarmungen, ihr Opfer nicht eher losläßt, als bis der letzte Blutstropfen vergeudet und das innerste Mark des Lebens aufgezehrt ist. New-Orleans ist die große Spielhölle, an deren Roulette- und Pharaotischen der aufgeregte Spieler Tag und Nacht um die Glücksgöttin buhlt, und von ihr zuletzt doch nur einen Dolchstoß empfängt. Hier ist das ungeheure Grab für die armen Einwanderer und Heimathlosen, die sich nicht zur rechten Zeit den Armen dieser Buhldirne entwinden. Hier rasseln Tag und Nacht die Ketten einer verfehmten Race, die hier keine Vertreter ihrer Menschenrechte hat, sondern sich dieselben erst aus dem Norden verschreiben muß. Nur selten verirrt sich einmal ein schwaches Echo der Rache stimmen im Haine von Abington in diese südliche Region. Noch sind unsern Nigritiern keine Engel erschienen, die ihnen die Geburt eines Toussaint Louverture verkündeten!

 

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      Aus den Palmettosümpfen steigen giftige Dünste und von großen, gewaltigen Lebenseichen hängt gleich den im Winde flatternden Haaren eines greisen Mannes, das bedeutungsvolle „spanische Moos“ herab, das bis Natchez hinauf und gen Westen bis zum Ursprunge des Red River die Region des gelben Fiebers bezeichnet.
    Wie viele Herzen haben hier schon ausgeschlagen! Wie viele Thränen wurden hier schon vergossen! Wie Viele blickten hoffnungslos und verzweifelnd um sich und fühlten sich einsam und verlassen in dem wüsten Toben und Getöse! New-Orleans ist der Baum mit der verbotenen Frucht; hier streckt die alte Schlange ihre dreispaltige Zunge bis an die Ufer des Golfes und beleckt seine schäumenden Wogen. Leben und Tod tanzen hier beständig mit einander und sinken sich gegenseitig in die Arme. Wer die Sünde noch nicht gesehen hat, wandere nur hierher!
*                *
*
„Grausame Narrethei! Mir träumt,
Daß ich ein Heiland sei,
Und daß ich trüge das große Kreuz
Geduldig und getreu.

Die arme Schönheit ist schwer bedrängt,
Ich aber mache sie frei
Von Schmach und Sünde, von Qual und Noth,
Von der Welt Unflätherei.“

(Romanzero.)
     Eine so schöne Nacht wie die heutige, hatte New-Orleans schon lange nicht mehr gesehen. Die Sichel des abnehmenden Mondes schwebte wie selig inmitten des unermeßlichen Sternenmeeres und hielt die ganze Stadt wie in einem goldenen Rahmen umschlossen. Wohl dem, der in dieser zauberischen Nacht über die Verandah seiner eigenen Behausung gelehnt, auf sein Gärtchen herabschauen konnte, um die Düfte der eben vom Monde aufgeküßten Blüthen seiner Magnolien einzuathmen oder der auf dem Stern seines eigenen Fahrzeuges stehend, inmitten des beleuchteten Mastenwaldes mit dem Sertanten den Sonnenwinkel eines Herzens erspäht hat, -- sie sind für diese Nacht zu beneiden; sie sind die Glücklichen, denen es vergönnt ist, der Königin des Südens die Sternenschleppe nachzutragen und ihr Antlitz in ihrer vollen Glorie zu schauen. Der ist ein schnöder Wucherer mit seinen Gefühlen, der mehr verlangt, als in seinem ganzen Leben nur Eine Nacht glücklich zu sein. Den Einen wird man, wenn seine Magnolien verwelkt, auch bald zu Grabe tragen, und der Andere mag in kurzer Zeit

 

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als Gespenst ein trügerisches Fahrzeug umkreisen und beim Anblick einer halbmast wehenden Flagge sein eigener Todesherold sein. Was thut's? Sie waren glücklich.
     Die heutige Nacht war auf viele Monate die letzte Gabe einer sparsamen Gottheit; sie stickte erst wieder ihre Sterne in den dunkelblauen Baldachin, um über Gräber zu leuchten und die verödeten Straßen mit bleichen Gestalten zu bemalen.
     Es war der 27. April 18 . .
     Die Magazinestraße herab trollte sich ein müdes Pony, das eine Gestalt im losen Sattel trug, deren lange Beine fast den Boden berührten und mit dem kurzen Oberkörper durchaus nicht im Einklange standen.
     Die Gestalt trug trotz des südlicheren Klima's die Kopfbedeckung eines Farmers aus dem nördlichen Missouri, nämlich eine aufgestülpte Pelzmütze mit herabhängenden Ohrläppchen, ein Büffelwams und darüber eine wollene Decke, lange fast bis an die Hüften reichende Sportsmen Stiefel und ein rothwollenes Hemde, dessen Ausschlagekragen an beiden Enden mit den plumpen Verzierungen einer Seemanns-Jacke geschmückt waren.
     Den Zügel ließ er nachlässig über den Nacken und die struppige Mähne des Pferdes hängen, das seinen Weg genau zu kennen schien.
     Eben bog er sich vor nach den nächsten Häuserreihen und zeigte so, vom Mondlichte beschienen, sein Antlitz. Plötzlich aber, als ängstigte ihn dies, wandte er sein Gesicht wieder in das Dunkel einer Decke und zog die Pelzmütze bis an die Brauen herab. Dann senkte er seinen Kopf und preßte einen Kuß auf zwei rosige Lippen und sprach murmelnd: „Diana Robert wird wohl schon zu Bette sein -- -- wir sind an Ort und Stelle, mein Kind -- an keinem Fenster kann ich ein Licht erblicken, wir müssen wohl wieder umkehren und die Nacht im Freien zubringen.“ „O laß uns durch den Gang reiten und an die Fenster pochen, Hiram,“ antwortete leise eine süßtönende Stimme. „Drei Nächte schon habe ich nicht geschlafen -- -- -- und ich bin so todtmüde“ setzte sie schluchzend hinzu. -- -- -- „Beruhige dich, mein Kind,“ versetzte die abgemagerte Gestalt, „zürne mir nicht wegen meiner allzugroßen Vorsicht -- bedenke, daß wir nur zu gut in dieser Stadt bekannt sind -- vor sechs Jahren konnten wir nur mit genauer Noth unsern Feinden entfliehen. -- Zwar scheint man uns jetzt vergessen zu haben; denn die Sünde hat wieder wie früher ihre üppigen Zelte

 

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aufgeschlagen und manches junge schöne Leben wird auf dem Schaffotte ihrer Begierden hingemordet.-- -- Gedulde dich, mein Kind, du wirst wieder der Welt übergeben werden, und --“
     Ein weicher Arm, der sich um seinen Hals schlang, unter drückte seine Worte. Der Reiter stand jetzt still.
     Er befand sich vor einem alten Gebäude mit zersprungenen Säulenschaften und von Sturm und Wetter abgefressenen Capitälern. Die Fenster zerbrochen und verwittert und die innern Räume, wo man früher Gold zählte, wog und discontierte, verlassen und öde.
   Es war die „Atchafalaya Bank, zwei Häuser von der Canal Bank entfernt, und zur Zeit, wo diese Zeilen niedergeschrieben worden, verschwunden. Zwei stattliche vierstöckige Backsteinhäuser ersetzen sie jetzt und in ihrem Innern sind die Waaren des reichen Mr. James aufgespeichert. Wo jetzt geboten und gefeilscht wird, hat noch vor wenigen Monden die Nemesis über New-Orleans verfügt. Warum wurde das Atchafalaya Bankgebäude niedergerissen? War es Spekulation oder -- Laune? Keines von Beiden.
   Mit seinen Bewohnern, die im hintern Raume wohnten mußte auch das Gebäude verschwinden. Bei dem Niederreißen desselben fand ein Arbeiter unter dem Schutte ein drei Fuß hohes eisernes Kreuz, in das die Insignien und Symbole der Freimaurer eingegraben waren. Dieses Kreuz schmückt jetzt die Grabstätte eines großen Dulders, eines edlen Menschenfreundes, der, von seinen Ordensbrüdern tief betrauert, erst seit wenigen Monden in geweihter Erde liegt.
   Sein Antlitz ist der Sonne zugekehrt. --
   Als sich der Reiter im Hofraum befand, stieg er vom Pferde und nahte sich, mit seiner Bürde auf den Armen, vorsichtig einer der kleinen Thüren, die durch einen Nebengang in das Hauptgebäude führten.
     Der Mond war jetzt unter den Horizont gesunken und tiefe Finsterniß umhüllte ihn.
     „Ich muß sie aus dem Bette jagen,“ murmelte er vor sich hin, indem er mit einem Ring in Form eines Kreuzes siebenmal an die Fensterscheiben pickte. Dann horchte er aufmerksam, indem er sein linkes Ohr an die Spalten des Fensters lehnte.
     „Gott sei uns. Allen gnädig!“ hörte er bald darauf eine Stimme aus beklommener Brust. „Das ist Hiram und sein Kind!

 

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     „Verhaltet Euch ruhig -- -- wir lassen ihn nicht ein!“ wisperte eine zweite.
     „Nein! Ich will ihm öffnen, sonst rächt er sich an uns!“
     In wenigen Secunden knarrte die Thüre und die in die Decke gemummte Gestalt trat herein, noch immer seine Bürde auf den Armen haltend.
     „Gott sei uns. Allen gnädig! Wie seht Ihr aus, Hiram? Ihr habt ja eine gelbe Maske vor Eurem Gesicht.-- -- Hiram, Hiram, Ihr führt nichts Gutes im Schilde. Ihr häuft wieder großen Jammer auf unsere Stadt! -- --“
     Statt aller Antwort schob die riesengroße, abgemagerte Gestalt die Decke von einem Kinde, und die schwarzen Bewohner der Stube flohen wie nächtliche Schatten vor der Herrlichkeit dieser strahlenden Sonne. --
   Draußen war die Nacht verschwunden; doch als der Sonnengott eine Rosse aus den Niederungen des Mississippi trieb, war ein goldenes Antlitz mit einem schwarzen Schleier verhängt.
     Durch die Straßen von New-Orleans aber eilte händeringend ein bleiches Weib und prophezeihte ein Unglück.
     Die Königin des Südens schauerte auf
[LSZ - 1854.01.03]
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Erster Band.

Erstes Kapitel.

Lucy Wilson.

     Den Meisten, welche sich längere Zeit in New-Orleans aufgehalten haben, wird bekannt sein, daß es bei eintretender Dunkelheit Niemand mehr gestattet ist, einen Koffer oder irgend ein Packet von auch nur geringem Umfange über die Straße zu tragen, und daß nur der genaueste Ausweis vor den Händen der Polizei und einem Nachtlager in der Calaboose sichert. Es ist dies eine sehr weise Maßregel, da in keiner Stadt der Union den Dieben mehr Gelegenheit im Rauben und Plündern gegeben ist, als gerade hier.
     Allerdings kommen deßungeachtet nur zu häufig Fälle von derartigen gesetzwidrigen Handlungen vor, besonders im westlichen Theile des zweiten und dritten Distrikts, da hier

 

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gerade nicht immer die strengste Aufsicht geübt wird und die Wachtleute in dieser Region gewöhnlich selbst unter Einer Decke mit den Loafers und Rowdies stecken; jedoch mindert obiges Verbot Einbruch und Diebstahl doch in Etwas.
     Wie es aber in allen Zweigen der Gesetzgebung zu geschehen pflegt, wo man mit Geschick und Schlauheit aufgefetzliche Weise Gesetze zu umgehen weiß, so gilt dies um so mehr bei unserer Nachtpolizei-Verordnung und man findet in gewissen Schichten der Gesellschaft in New-Orleans Leute, die es sich zu großem Verdienst anrechnen, mit der größtmöglichsten Impertinenz den Wachtleuten eine Nase zu drehen, oder denselben durch maßlose Keckheit zu imponieren.
     Einer von diesen geübten Gesetzübertretern war ein schlanker, hochgewachsener junger Mann, der eben die Royalstraße heraufkommt und beim Umbiegen in die Orleansstraße, in die er eiligst zu gelangen sucht, mit einem Koffer auf den Schultern gerade einem Wachtmann in die Arme läuft.
     „Wie geht's Jim?“ rief der junge Mann, der sich durch dieses unangenehme Zusammentreffen nicht im geringsten irre machen ließ, „'s sind fast zwei Jahre, daß ich dich nicht mehr gesehen habe, bin eben von Californien angekommen -- will meine Sachen die Nacht über nicht an Bord lassen -- man darf hier nicht trauen -- 's ist ein verdammtes Nest, das New-Orleans! das Loafergesindel wäre im Stande, mir meine sauer erworbenen Dollars untern Kopf wegzuziehen, -- will's lieber zu meinem Schwager tragen! -- Nun, du wirst mich morgen doch gleich besuchen -- habe jetzt keine Zeit mehr, mich länger hier aufzuhalten -- -- weißt ja meine Wohnung, neben Colonel Macpherson!“
     Diese mit Geistesgegenwart gesprochenen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Wachtmann glaubte wirklich einen alten, von Californien zurückgekehrten Bekannten getroffen zu haben, konnte sich auch im Momente nicht gleich der Idendität der Person vergewissern. Die trauliche, freundliche Ansprache, das „bei Colonel Macpherson kannst du mich finden“ setzte ihn über allen Zweifel hinaus, daß nicht einmal die Idee in ihm aufkam, er könnte hintergangen werden.
     Der vorgebliche Freund aus Californien aber war, nachdem er noch ein kräftiges „good bye Jim!“ zurückgerufen hatte, gleich einem von einem Jagdhunde verfolgten Wild, ungeachtet seiner schweren Last, die mit ihm nur so zu fliegen schien, die

 

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Orleansstraße hinaufgerannt und verschwand in ein verwittertes Haus, das von Außen eher einer Höhle für Bären und Wölfe, als einer menschlichen Wohnung gleich sah.
    Dieses an den meisten Stellen schadhafte Haus mit einem großen Giebeldache stammte noch aus der Zeit, wo die ersten Franzosen sich ansiedelten, und bildet den Anknüpfungspunkt an mehrere Häuser oder Barracken im französischen Colonistenstyle, die von hier die Länge der Straße sich hinabziehen.
    Einen sonderbaren Eindruck rufen diese Wohnplätze in jedem Fremden hervor, wenn er diese verwitterten und mit klebrigem Grün uberzogenen Häuserreihen betrachtet und an die Zeit ihrer Entstehung denkt.
    Nur hie und da sieht man in dieser Gegend ein weißes Gesicht; denn nur die schwarze Farbe ist hier tonangebend. Um einen Spottpreis sind hier ganze Häuser zu vermiethen, und das „chambre garnie“ („meublirtes Zimmer“), das man auf halbzerrissenen Zetteln vor dem Eingange lies't, ist hier nicht so genau zu nehmen, da ein zweischläfriges Bett mit einer blauen oder schwefelgelben Musquitobare die ganze Einrichtung ausmacht. Waschgeräthe hat der Miether sich selbst alle Morgen von seiner Hauswirthin -- denn die Vermiether sind durch gängig Frauen oder vielmehr Wittwen -- zu holen.
    Die Miether mussen jedoch unverheirathete Männer sein, da diese Wittwen ihre Zimmer an keinen Verheiratheten oder gar an eine Familie abgeben.
    Schon mancher Mann, der mit seiner lieben Ehehälfte in diesen Stadttheil kam, um sich hier ein weniger kostspieliges Ruheplätzchen auszusuchen, mußte unverrichteter Sache wieder abziehen und sich oft noch gefallen lassen, daß man ihn mit Schmähworten überhäufte und ihm die Thüre vor der Nase zuschlug. „Seulement pour un garcon!“ heißt hier die Devise.
    Doch es ist Zeit, daß wir zu dem Häuschen zurückkehren, in das wir unsern Nachtvogel mit seinem Gepäcke schlüpfen sahen.
    An dieses Häuschen, das mit seiner Frontseite frei an der Orleansstraße stand, war zu beiden Seiten eine Umzäunung angebracht, die aus plumpen Fence-Riegeln bestand, jedoch von immergrünen Schlingpflanzen ganz überwuchert war und den Vorübergehenden keinen Blick in den innern Raum gestat tete. Der Mond, welcher eben mit all seiner wunderbaren Klarheit aus einer schwarzen Wolke, die ihn bisher verborgen,

 

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hervortrat, beleuchtete eine Scenerie von seltsamer Färbung und Complexion.
    Im Hofraume sah man ein Bild der größten Unordnung und Nachlässigkeit. Waschkübel, Waschbretter, Besen, Kaffeekannen, zerbrochene Stühle und Tische, die umgestürzte Wiege eines Kindes u.s.w. -- Alles bunt durcheinander geworfen -- und über den ganzen Hofraum zerstreut.
    Auf der Gallerie, die auf der Rückseite des Hauses sich befand und in geschmackloser Breite sich ausdehnte, sind zwei Gestalten bemerkbar, von denen die Eine dem jungen Manne, den wir vorher eintreten sahen, angehört; die andere einer Frau von ungefähr fünfzehn bis siebenzehn Jahren. Diese Frau, von auffallender Schönheit und einer imponierenden Größe, ist eben im Begriffe einen langen grünen Schleier, den sie über den Kopf geworfen, unter dem vollen Kinne zusammenzuknüpfen, um vor dem heranstreichenden Zugwinde sicher zu sein, Ein langes weißes Hemd von Mousselin de Laines, das von dem schönen Geschlechte in New-Orleans so sehr geliebt wird, wird fast ganz von einem rubinrothen seidenen Shawl, dessen Fransen den Boden streifen, verdeckt. In üppiger Fülle bedeckt das rabenschwarze Haar ihren Nacken und drängt sich bei der geringsten Bewegung an den vollen Busen hin, der, nur leicht bedeckt, beständig auf und nieder wogt.
    Ihre blendend weiße Gesichtsfarbe läßt bei oberflächlicher Beobachtung auf eine weiße Abkunft schließen, welche jedoch der feinere Kenner, der die dunkeln Wolken auf ihren Nageln und die perlmutterartige Farbe in den Augenwinkeln sieht, bezweifeln muß.
    Und in der That, Lucy Wilson -- der Name dieser schönen Frau -- ist die Tochter eines Pflanzers am Grand Bayou Caillou, einige Meilen vom Lake Quitman entfernt, die derselbe mit einer Lieblingsclavin erzeugte, und gemäß Verfügung kurz vor seinem Tode freigegeben hatte.
    Lucy war damals zehn Jahre alt.
    Sie ging bald darauf nach Houma, einem kleinen Städtchen am Bayou Petit Caillou, wo selbst sie sich in kurzer Zeit mit einem freien Mulatten, Namens Jean Aime, verheirathete.
    Beide beschlossen mit einander nach New-Orleans zu gehen, um daselbst ein kleines Geschäft zu beginnen. Noch ehe sie aber in New-Orleans angelangt waren, verliebte sich die leichtfertige

 

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Lucy in einen Franzosen, und ließ bei ihrer Ankunft in der großen Seestadt den armen Jean in Stich, indem sie sich mit Ersterem aus dem Staube machte.
[LSZ - 1854.01.04]
    Im Jahre 1844 finden wir sie in der Esplanadestraße als Madame Wilson und als die Besitzerin eines bedeutenden Wohnhauses, dem die Amerikaner den Namen „Mulattoes Settlement“ beilegten, wozu wohl die gelben Mädchengesichter, die man beständig an den Fenstern erblickte, die Veranlassung gegeben haben mögen. Die Bel-Etage, welche nach Außen eine eiserne Verandah schmückte, ergänzte während der Winternächte im brillantesten Lichte, und man konnte von der Straße aus hinter den rothen Damastvorhängen die Schatten der Tänzer vorbeihuschen sehen. Madame Wilson gab damals die glänzendsten Bälle in der Stadt und bei ihr waren stets die besten Musiker engagiert.
    Nicht Allen war es jedoch erlaubt, den Ballsaal zu betreten und selbst die Bevorzugten mußten sich bei ihrem Eintritte genau untersuchen lassen, ob sie nicht etwa ein Bowie-Messer, einen Revolver oder sonst eine gefährliche Waffe versteckt bei sich führten. Im Betretungsfalle mußten dann die Waffen an die Frau des Hauses abgeliefert werden.
    Als im Jahre 1846 „Mulattoes' Settlement,“ bis dahin der besuchteste Ort der galanten Abenteurer in New-Orleans und der Sammelplatz der ausschweifendsten Don Juan's, abbrannte, bezog Madame Wilson das baufällige Haus in der Orleansstraße, das freilich mit dem stattlichen Mulattoes Settlement im schroffen Contraste steht.
    Was jetzt ihre Erwerbsquellen seien, wissen die Nachbarn selbst nicht zu sagen. Einige meinen, es wäre bei ihr das Depot jener alten und krüppelhaften Sclaven, die ihren Herren keinen Nutzen mehr bringen und daher von denselben mit einer Zugabe von oft hundert Dollars an beliebige Personen verschenkt werden, um der unangenehmen Sorge, sie weiters zu verpflogen, überhoben zu sein. Andere glauben, sie lebe vom Diebstahl kleiner Negerkinder, die sie auf eine höchst geschickte Weise sich eigen zu machen verstände. Gewöhnliche Menschen sprachen dann auch vom Verkauf ihrer Reize, und wie sie sich bald hier bald dort den Reichthum eines verliebten Thoren zu nutzen machte.
    Nun treffen wir sie heute mit dem jungen Manne auf der Galerie ihres Hauses zusammen.

 

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    „Emil,“ begann Lucy, zu demselben gewendet, „du hast mir doch versprochen, vor acht Uhr hier zu sein -- was hat dich so lange abgehalten? Hast du vielleicht wieder einen dringenden Besuch in Algiers gemacht?“
    Diese Worte wurden von ihr mit starker Stimme betont, indem sie ihn dabei mit ihren blitzenden Augen scharf in's Gesicht sah und ihre Mundwinkel höhnisch herabzog.
    Eine sichtbare Verlegenheit malte sich in den Gesichtszügen des jungen Mannes. Er schien sich mit Einemmale auf. Etwas zu besinnen; denn er fuhr mit der Hand über die Stirne und stampfte mit dem Fuße auf den Boden.
    „Das ist noch das deutsche Element in dir, Emil,“ begann Lucy weiter, „weil ich zufällig nicht im besten Rufe stehe, muß man sich deshalb Gewissensbisse machen. Gewissensbisse, Emil! Wie hängt das mit deinem sonstigen Lebenswandel zusammen? -- -- so seid ihr Deutschen aber Alle! Auf der einen Seite begeht ihr Fehltritt auf Fehltritt und auf derandern fallt ihr in eine unausstehliche Schwermuth, ohne deßhalb den festen Vorsatz zu fassen, besser zu werden. Es scheint, als ob ihr blos deßhalb Sünden beginget, um stets neuen Stoff zum Nachdenken und zur Selbstquälerei zu haben. Dein Bruder war gerade so. Noch bevor ihn das große Unglück betraf, das seinen Tod zur Folge hatte, war er so ausgelassen, wie eine Marketenderin aus der Gascogne und - plötzlich -- -- bei einer Festgelegenheit auf unserm herrlichen Settlement, wo es uns Allen darum zu thun war, nur fröhliche und lebens lustige Gesichter um uns zu sehen, hing er den Kopf und ging seinen unseligen Träumereien nach -- -- -- willst du dich durchaus bessern, gut! geh' in dich, gieb deine unsaubere Erwerbsquelle auf und arbeite mit den Niggern auf den Plantagen hochmüthiger und boshafter Creolen. Da hast du dann ein goldenes Leben -- -- eine unerschöpfliche Quelle von Genüssen aller Art! du hast dann jeden Abend den schönen Trost, den ganzen Tag im Schweiß deines Angesichts dein Brod verdient und somit nach den Vorschriften der Bibel gehandelt zu haben -- O wie beseligend!-
    „Du sprichst so salbungsvoll wie ein Kirchenvater fiel Emil gedankenlos ein.
    „Doch -- Emil,“ fuhr Lucy fort, „was du einmal sein willst, sei es ganz; die Halbheit hat mich stets angewidert, sei es in der Tugend oder im Laster. Wenn ich Richter wäre, würde ich nur die Halbheit bestrafen- consequente, systematische

 

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Bösewichter hätten von mir nie. Etwas zu befürchten! Die Halbheit ist das größte Verbrechen, das auch am schärfsten bestraft werden sollte -- -- -- ich möchte wohl deine Eltern kennen lernen, du sagtest mir ja einmal, daß sie über's Meer kommen würden?“
    „Laß mich mir meinen Eltern in Ruhe!“ entgegnete finster Emil. --
    Derselbe stand an einen Pfosten der Gallerie gelehnt und schien bald mit unstätem Blicke die schönen Formen Lucy's zu mustern, bald mit seinen Gedanken eine andere Welt zu durchschweifen.
    Lucy fiel es auf, daß Emil, der bei dergleichen Strafpredigten und ironischen Ausfällen gegen seine Person, stets in Feuer und Flammen gerieth, nun so consequent schwieg und alle Anspielungen ruhig über sich weggehen ließ. Ihr fiel es auf, daß er nicht wieder eine jener Scenen herbeiführte, wo man sich gegenseitig nur deshalb zu erbittern sucht, um die Wollust zu genießen, sich wieder auszusöhnen. Und das war es eben, was sie mit ihren herben Worten bezwecken wollte. Sie liebte die Erstase, sie liebte den Groll, der sich zuletzt in Schwüren und Küffen auflöst. Ihr war das gewöhnliche Tändeln und Kosen ein Abscheu; sie verschmähte die einzeln aufsteigende Rakete einer müssigen Schäferstunde -- nur im Aufrasseln einer vollen Feuergarbe konnte ihre ungestume Sinnlichkeit Befriedigung finden.-- Eben war sie im Begriff, ihrem stummen Freunde einen neuen Anstoß zu geben, um dessen Ruhe zu brechen, als derselbe seine bisherige Stellung verließ und mit den Worten: „Ich habe heute noch eine Pflicht zu erfüllen!“ eiligst davonrannte. --
    „Narr“ dachte Lucy bei sich, als sie ihn so pfeilgeschwind die Treppe hinabschießen sah. -- -- Er hat noch eine Pflicht zu erfüllen! -- -- gegen wen? gegen eine sentimentale Frau oder den blassen Schatten seiner Maitresse? -- -- Narr, sich um eine so schöne Nacht zu bestehlen und aus Pflichtgefühl lieber in officiellen Armen zu liegen! - - - Pah, ich interessiere mich auch zu viel für diesen deutschen Vagabunden -- -- er ist der Liebe eines Weibes gar nicht werth! -- -- --
    Sinnend stand sie einige Augenblicke, ihre wunderbaren Augen bald geschlossen, wie beim Götterspiel einer Schäferstunde, bald wieder weit geöffnet und Blitze schleudernd, wie eine erzürnte Mänade.

 

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    Peinigte sie verletzte Eitelkeit oder Eifersucht? Tobten in ihr die Höllenqualen eines übernatürlichen Sinnenrausches? Welchen Namen mögen wohl die Flammen haben, die aus ihren Augen emporschlagen?
    Lucy war kalt, schlau, berechnend und glatt wie eine Schlange, sie liebte das Gold, sie liebte Intriguen -- -- aber in manchen Momenten war sie stürmisch und ausgelassen, besonders wenn sie sich in den Kopf gesetzt hatte, ein Liebesmahl zu feiern.
    So war sie heute auf die Ankunft ihres Freundes vorbereitet, sie hatte ihn sogar aus gewissen Gründen vermocht, seine unentbehrlichsten Habseligkeiten während der Dunkelheit in ihre Behausung zu schleppen; sie hatte sich den ganzen Tag so sehr in die Freuden dieser Nacht hineingedacht, daß sie es jetzt unerträglich fand, einer albernen Laune oder eines moralischen Scrupels ihres Freundes halber auf dies Alles zu verzichten. Sie mußte sich zerstreuen. In’s Theater -- St.Charles? Varieties? In die französische Oper? Auf den Ball in der „Hamburger Mühle?“ Louisiana Ball? Fandango in Frenchmentreet? -- --
    Alle nur erdenklichen Vergnügungen passierten ihre Einbildungskraft -- doch sie konnte sich zu Nichts entschließen.
    Sollte sie sich diese Nacht belustigen, so mußte nothwendig Emil ihr Cavaliere servente ein. Selbst Mc.Donough hätte heute keinen Eintritt bei ihr gehabt und hätte er auch seine Worte mit Gold aufgewogen. Ein barocker Gedanke durch kreuzte mit Einemmale ihr Gehirn. Sie trat von der Gallerie in das Zimmer zurück, wo der Koffer Emils stand und versuchte ihn zu öffnen.
    Es gelang ihr nicht. Rücksichtslos und nur ihrer Laune nachgebend, ergriff sie ein Beil und hieb den Deckel desselben entzwei.
    Kleidungsstücke, Wäsche, Necessaires, lackierte Schuhe -- Alles wurde in Haft aus dem Koffer gerissen, auf den Teppich gestreut, besehen und wieder besehen.
    „So! das ist die richtige Garderobe für mich!“ rief sie wie närrisch aus, nachdem sie einen vollständigen Herrenanzug auf die Seite gelegt hatte. „In dieser Kleidung kennt man ihn in der ganzen Stadt; es kennt diesen Anzug seine Frau, es kennt ihn ein blasser Schatten! -- -- Warte, mein Emil, Lucy wird sich noch heute an dir rächen! -- -- dein Pflichtgefühl wird dir theuer zu stehen kommen! -- --

 

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    Rasch entkleidete sie sich, so daß in wenigen Minuten ein zweiter Emil vor dem Spiegel stand. Nur fehlten ihm die blonden Haare und die trostlosen deutschen Augen.
    „Irgendwo werde ich dich schon treffen“ sprach sie für sich hin, als sie ihr Haus verließ und als geputzter Dandy die Orleansstraße hinabging.
[LSZ - 1854.01.05]
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Zweites Capitel.

Die Verkleidung.

    Lucy ahnte nicht, daß sie in dem Augenblicke, als sie die Hofthüre abschloß und ihr Haus verließ, von der Person, der dieses Faschingsspiel galt, gesehen und auch erkannt wurde.
    Im süßen Wahne, einen recht tollen Streich auszuführen, ging sie getrost ihres Weges.
    Emil war nämlich, nachdem er eilig Lucy verlassen und beinahe über die halbe Strecke seines vorgesteckten Zieles athemlos zurückgelegt hatte, wieder umgekehrt und der Orleansstraße zugeeilt.
    Er gehörte zu denjenigen Menschen, die einen Entschluß schnell fassen, ihn aber auch eben so schnell wieder bei Seite werfen. Hatte er auch vor noch wenigen Minuten für die gewissenhafte Erfüllung irgend einer Pflicht geglüht, so war er jetzt schon wieder abgekühlt und seine Gedanken zogen ihn wieder zu Lucy zurück.
    Er athmete tief auf. Dann ging er langsamen Schrittes den so rasch zurückgelegten Weg entlang.
    „Sie wird mich wohl auslachen!“ sprach er halblaut vor sich hin -- „daß sie doch in allen Zwischenfällen des Lebens den Sieg über mein Herz davontragen muß! -- -- Was wird meine arme Frau sagen, daß ich mein Versprechen so schlecht erfüllt? -- -- doch -- es kann ja ein Andermal geschehen. -- -- Hat sie ein halbes Jahr, ohne mich zu sehen, leben können, so wird ihr auch diesmal das Herz noch nicht brechen. Der Prinz von W* wird sie schon zu trösten wissen. --“
    So und auf ähnliche Weise suchte er sich zu entschuldigen, um seinen Gefühlen für Lucy Wilson den ungestörten Lauf zulassen.

 

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    „Wie geht's alter Bursche?“ begrüßte ihn inmitten seiner Träumereien eine kräftige Stimme, die von einem jungen jovialen Manne kam, der ihm auf eine etwas derbe Art die Hand drückte. „Warum sieht man dich so wenig mehr?“ fuhr er fort, „wo steckst du? Wo treibst du dich die langen lieben Nächte herum? -- -- -- Erst gestern frug man bei Cassidy nach dir -- das kann ich dir versichern, Cassidy hat doch noch immer die besten Austern in New-Orleans -- komm mit -- vorher habe ich aber noch ein liebes schönes Kind abzuholen -- komm, komm, du begleitet mich zu ihr.-- Wir nehmen sie mit hinauf in den Ladies's Salon und lassen uns die Austern und den Londoner Porter trefflich schmecken -- -- da steck' dir einmal eine von diesen Cigarren an -- bei Jingo, Laborde und Caballero haben doch die besten Cigarren in New-Orleans -- ein verdammt schönes Blatt -- das -- he!“
    Emil nahm die Cigarre, zündete sie an der seines geschwätzigen Freundes an, steckte sie aber an der angebrannten Stelle in den Mund.
    Er machte sein Versehen gleich wieder gut, ohne daß es sein Kamerad bemerkte, mit einer solchen Ruhe, als hätte er sich gar nicht die Lippen verbrannt.
    „Ja und denke dir nur, die Eliza ist mir vorige Woche mit dreihundert Dollars durchgebrannt. -- Ein schönes Sümmchen das -- he? doch ich lasse mir darum kein graues Haar wachsen, die sind in zweimal vierundzwanzig Stunden wieder verdient -- -- unser Einer ist nicht mehr so grun, daß er sich die Woche hindurch um ein Lumpengeld von fünfzig Dollars abquält. -- -- Ist das kein Lumpengeld für eine ganze, ganze Woche Arbeit! -- -- he? -- -- Ja und denke dir nur, mein alter Bursche, wir haben jetzt ein paar köstliche Grünhörner gefischt, das Eine ist erst vierzehn Tage in Amerika, d.h. in New-Orleans; denn New-Orleans ist für unser Einen Amerika,-- ja und das eine Grünhorn ist ein ganz ausgezeichneter junger Mann -- hat alle Taschen voll Gold! Es kann ohne mich gar nicht mehr leben -- es meint, man dürfe von Glück sagen, gleich nach seiner Ankunft in Amerika einen so guten Freund zu finden -- -- sag” alter Freund, ist das nicht außerordentlich liebenswürdig und kindlich -- nein, es geht doch nichts über Germania's Söhne-Herz und Poesie sind bei ihnen stets zu finden. -- --“
    „Dumm genug das Grünhorn!“ warf Emil phlegmatisch hin.

 

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    „Aber verdammt!“ fuhr der Andere fort, „ich glaube gar, du schläft?“
    „Ich fühle mich schon ein paar Tage nicht recht wohl.“ klagte Emil.
    „Dir ist wohl eine Aorta im Herzkämmerchen gesprungen,“alter Don Juan!
    „Es ist merkwürdig, was du“ ... „sieh' sieh' „unterbrach er sich plötzlich, indem er quer über die Straße eilte, „unser Büchsenspanner!“
    Während sich die Beiden auf dem gegenüber liegenden Banquet auf möglichst graciöse Weise bekomplimentierten, benützte Emil schnell diese Gelegenheit, um die für ihn in diesem Augenblicke lästige Kameradschaft loszuwerden.
    Er bog schnell um die Ecke und mischte sich unter die lärmende Mannschaft einer Feuerspritze, die eben die Straße heraufgerasselt kam. Als er eine zweite und dritte Spritze folgen sah und dieselben ihm den Weg über die Straße versperrten, so schwang er sich über eine derselben, um damit vielleicht zu gleicher Zeit zu zeigen, daß es auch einmal für ihn eine Zeit gegeben habe, in der er einer Compagnie beigezählt war.
    Seit seiner Bekanntschaft mit Lucy Wilson warf er die rothe Jacke und den schwarzen Gurtel von sich; denn das Feuersignal weckte ihn zu oft aus einen seligen Träumereien. Er zog es vor, den Adonis zu spielen, und zudem hatte er genug zu thun, das wüthende Element in einem Innern zu bekämpfen. Man vermißte ihn bei seiner Compagnie ungern, denn er war einer der kecksten und verwegensten Bursche und die allgemeine Bewunderung konnte ihm nicht versagt werden, wenn er, flink wie eine Katze, auf den schmalsten Kanten der Häuser, in ansehnlicher Höhe, den Schlauch in der Hand, auf die gefährlichsten Punkte den Wasserstrahl schießen ließ.
    Emil ging geradenwegs auf das Haus oder vielmehr auf die alte Barracke Lucys zu. Er war kaum drei Schritte von derselben entfernt, als er aus der Hofthür fachte eine Gestalt schlüpfen sah.
    Das Blut, welches ihm bei diesem Anblicke nach dem Kopf schoß, kehrte jedoch bald wieder zurück, nachdem er durch eine leichte Schwenkung gegen die Mitte der Straße zu Lucy in seiner eigenen Kleidung erkannt hatte.
    Anfangs entschlossen, ihr zu folgen, besann er sich eines Andern,

 

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    Nach einigem Nachdenken blieb ihm kein Zweifel mehr übrig, daß sie ihn in dieser Verwandlung aufsuchte, um sich an seiner Verlegenheit zu weiden oder ihm irgend einen Possen zu spielen. War dies der Fall, so besuchte sie auch die Hamburger Mühle, wo er sich regelmäßig, wenn er den Abend nicht bei ihr zubrachte, um zehn Uhr einfand, um daselbst bis ein oder zwei Uhr nach Mitternacht zu bleiben.
    Ein ähnlicher Entschluß von seiner Seite lag nicht so ferne. Auch er wollte eine so galante Metamorphose vornehmen und sie in gedachter „Mühle“ erwarten, wo er sie vielleicht auch gleich treffen konnte.
    Ihre Kleider paßten ihm -- das wußte er; denn nach flüchtigem Sinnen sah man ihn seine Hände um die eigne Taille spannen, dann sich von Kopf bis zu den Füßen messen. Seine nicht zu breite, doch gewölbte Brust wurde von ihm ebenfalls in Betracht gezogen.
    Wer ihn in solcher Attitude und mit solchen Gestieulationen beobachtet hätte, hätte ihn sicher für einen jungen Schauspieler gehalten, welcher Tags darauf seine erste Gastrolle zugeben hat und sich den Abend zuvor betrinkt. Doch es bemerkte ihn zufällig Niemand, wenn man einige Ratten ausnimmt, die ihm über die glacierten Schuhe strichen.
    Das Unternehmen war nach einer derartigen wohl ausgefallenen Musterung leicht auszuführen. Nur eine Schwierigkeit lag sich demselben in den Weg, nämlich wie er mit Damenkleidern über die mit Schlingpflanzen und dornigem Rosengestrippe durchwucherte mannshohe Umzäunung gelangen sollte; da Lucy den Schlussel bei sich trug.
    Hineinzukommen war leicht, das sah er ein. Aber nachdem er sich umgekleidet, wieder herauszukommen, ohne sich Kleider, Petticoat und anderes Anhängsel des schönen Geschlechts in Fetzen zu zerreißen, schien für ihn eine bedeutende Schwierigkeit.
    In die Zimmer des untern Stockwerks, um von da aus dem Fenster zu steigen, konnte er nicht gelangen, da sie versperrt waren und er auch den Platz dieser Schlüssel nicht wußte. Aus dem obern Stockwerk sich herabzulassen, schien ihm zu gefährlich wegen der Nachtwache.
    Was nun thun?
    Nach langem Grübeln entschloß er sich endlich dennoch, da er kein anderes Auskunftsmittel auffand, sich vom obern Stockwerk herabzulassen und es zu riskieren, von der Nachtwache ergriffen zu werden.

 

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    Beim Hinübergleiten über die Fence entfiel ihm sein Hut und blieb an einem auf die Straße reichenden Zweig hängen.
    In seinem Eifer schien er dies gar nicht zu bemerken.
    Um bei Lucy's grauköpfigen Negern, die in einem Shanty, das im Hofe aufgeschlagen war, wohnten, keinen unnöthigen Alarm zu verursachen, so machte er sie mit seinem Vorhaben bekannt.
    Die alten Niggers waren ganz entzückt über den Einfall ihres jungen Masters, besonders da er Jedem von ihnen einen spanischen Dollar in die Hand drückte. --
[LSZ - 1854.01.06]
    Als Emil seinen Koffer so erbarmungslos zerschlagen vorfand und den Inhalt desselben allenthalben auf den Boden gestreut sah, stand er betroffen einige Augenblicke still. Ueberrascht, wie er beim Anblicke der verkleideten Lucy war, hatte er nicht gleich daran gedacht, auf welche Weise sie sich feiner Kleidungsstücke bemächtigt haben konnte. Es verdroß ihn jetzt dieses tyrannische Verfahren mit seinem Eigenthum, das er hier unter Schutz und Dach gestellt hatte. Doch dauerte dieser Verdruß nicht lange und mit derselben Lebhaftigkeit, mit der er seinen Entschluß gefaßt, führte er denselben nun aus.
    Emil war schön. Vielleicht zu schön fur einen Mann. Selbst das klare, reine Antlitz Apollo's wäre bei dem Anblicke dieses idealen Körpers und vor der elastischen Biegung und Rundung solchen Gliederbaues vor Neid vergilbt. Phidias hätte beschämt seinen Meisel weggeworfen und die mediceische Venus hätte ihre Reize nicht mehr mit den Händen verdeckt, sondern wäre unserm Emil beim ersten Anblick um den Hals gefallen.
    Hätte ihn Lucy jetzt gesehen, wie er halbnackt vor dem Ankleidespiegel stand und den Oberkörper auf seinen elastischen vollen Hüften hin und herschwenkte, um seinen Arm in einen Aermel zu pressen, der ihm doch etwas zu eng für einen Männerarm schien, -- sie wäre halb rasend geworden, und Emil? Nun Emil hätte seinen Tyrsusstab anch nicht gesenkt und wenn Leda’s Schwan ein Weib gewesen wäre, so hätte diesmal statt Zeus Juno den Olymp verlassen und wäre auf die Erde gestiegen.
    Wahre Schönheit verdient immer unsere Bewunderung, mag sie von einem Weibe ausstrahlen oder von einem Manne. Einerlei! Mag es Laune oder Ironie von Mutter Natur sein, daß sie nur an diejenigen alle ihre Gaben verschwendet, die im

 

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gesellschaftlichen Leben für Entartete und Taugenichtse gelten und in sorgloser Unbefangenheit von einem Tag zum andern ihr Leben hindämmern. Wer hat jemals einen schönen Banquier, einen schönen Grocerieten, einen schönen „gemachten“ Staatsbürger, einen schönen Zeitungsredakteur u.s.w.gesehen? Gewiß noch Niemand.
    Das Laster muß auf unserer kalten Erde schöne Hüllen haben, um die Tugend zu beschämen. So hat der Himmel die schönen flimmernden Sterne, Sonne, Mond und die Kometen mit ihrem Hofstaate, um die leeren Räume seines Innern zu verbergen -- -- --.
    Emil hatte seine Toilette beendet.
    Ein strohfarbenes Atlaskleid mit gestreckter, eingeschnippter Taille und mit schwarzen Spitzen und Perthen besetzt, stand ihm ausnehmend schön. Seine blonden Haare waren in der Mitte gescheitelt und auf beiden Seiten glatt an die Stirne gekämmt, von wo sie sich dann um die Ohren herumwanden. Mit Lucy’s Schuhen wäre er beinahe in Conflikt gerathen, da sie ihm -- zu groß waren. Und dennoch hatte Lucy einen kleinen Fuß, aber der Fuß Emils war noch kleiner.
    Die Kopfbedeckung, die er sich gewählt, war dem übrigen Anzuge in seiner Eleganz vollkommen entsprechend. Er sah aus wie eine junge bildschöne Hofdame, die am Arm eines diensttbuenden Kammerherrn in die Gemächer ihrer Gebieterin geleitet wird.
    Wie sich aber überall die Prosa, die in Amerika zur Epidemie geworden ist, in die Hallen der Poesie eindrängt, so geschah es leider auch hier.
    Unten wartete bereits. Einer von jenen Rettern des Vaterlands, die der Deutsche sogemüthlich die „Nacht watsch“ nennt, ungeduldig auf unsern Freund.
    Er hatte ihn über die Umzäunung setzen sehen und einen Hut, der, wie wir wissen, an dem nach Außen streifenden Gestrippe hängen geblieben, gleich in Beschlag genommen. Da er hier Unrath zu wittern vermeinte -- denn die Watsch war, nebenbei gesagt, ganz versessen darauf, Lucy Wilson's Haus nicht außer Acht zu lassen -- so wartete er einige Zeit geduldig auf ein etwaiges Resultat dieses Voltigierens. Endlich wurde er ungeduldig und war eben im Begriffe an die Hofhüre, durch die man nur allein in das Inneregelangen konnte, zu pochen, als er eines der Fenster auf die Straße sich öffnen und eine Frauensgestalt an einem angeknüpften Seile sich

 

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herablassen sah. Noch ehe Emil den Boden mit seinen Füßen berührt, so fühlte er auch schon einen musculösen Arm um seine Taille, die übrigens nicht das Erstemal solche zarte Bekanntschaft gemacht. --
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Drittes Kapitel.

Die beiden Schwestern.

    Mehrere Wochen sind verstrichen. Der 8. Januar, nach dem vierten Juli der gefeiertste Tag in New-Orleans, konnte dießmal nicht mit dem gehörigen Pompe begangen werden, da ein beständiger, schon seit einem Monat währender Regen allen Vorbereitungen hiezu feindlich in den Weg trat. Ein beabsichtigtes Feuerwerk, das durch die Anordnung des Professor Muller die Freude und den Jubel des Tages beschließen sollte, mußte unterbleiben und nur die Kanonen proclamirten, trotz Regen und Wind, den unsterblichen Ruhm des geliebten Generals. In Jacksonbourgh waren alle Häuser illuminiert und die reichen Pflanzer, deren Besitzungen zwischen der Bayou Bienvenue und dem linken Ufer des Mississippi gelegen sind, verließen ihre stolzen Cottages und Villas und kamen nach Versailles, wo sie unter sich den in den Annalen des Sudens ewig denkwürdigen Tag feierten. In New-Orleans selbst konnte man außer dem Donner der Kanonen und den vielfach aufgepflanzten Sternenbannern wenig von der Feier dieses Tages bemerken. Nur die Jugend ließ Tausende von Fire-Crackers brillieren und schoß auf offener Straße ihre Gewehre und Pistolen ab und trieb ihren Muthwillen die ganze Nacht hindurch bis an den fruhen Morgen.
    Der heutige Tag aber wäre so recht zu einem Festtage geeignet gewesen; denn einen schönern und klarern Himmel hatte New-Orleans schon seit vielen Wochen nicht gesehen. Am französischen Markte herrschte wieder das tolle Treiben und Drängen. Wie in einem Ameisenhaufen wimmelte es hier von allen Nationen. Schwarze, gelbe, weiße, braune und rothe Gesichter -- alle Farben durch einander gewürfelt, wie auf einem bunten Mosaikboden. Und doch war es noch so früh am Tage; denn die Sonne stieg eben erst als den Niederungen empor und brach mit dem eigenthümlichen Violettglanze durch die dünnen Nebelstreifen, die den Horizont des östlichen Himmels durchzogen. Ein frischer Morgenwind

 

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säuselte voran und nicht lange, so erhob sich die Sonne mit all' ihrer königlichen Pracht, breitete ihren Purpurmantel aus und tauchte ihn in die gelbe Fluth des alten Stromes. Die Luft zitterte vor Freude. Die Menschen vergaßen gar leicht die vielen trüben und regnerischen Tage -- nichts als frohe und heitere Gesichter, so weit das Auge blicken konnte! Der erste Strahl der Sonne hatte im Ru allenthalben Leben hervor gezaubert. Wir wollen jetzt nur ein Bild festhalten, da es unmöglich ist, die ganze Stadt an diesem Frühmorgen zu durch wandern. Wir meinen den französischen Markt.
    Pomona hatte hier, ungeachtet des Wintermonats, ihr Füllhorn reichlich ausgeschüttet. Von der kleinen Hickorynuß bis zur behaarten Frucht der Kokuspalme, von den zierlichen Hesperiden bis zur stattlichen goldfarbenen Apfelsine, von den kurzen Baba's bis zu den traubenförmigen Büscheln des Pfangs oder der Banane ; Aepfel, Ananas, Citronen, Orangen -- alles in schönen Pyramiden aufgestellt und dazwischen sich schaukelnde Kränze und Guirlanden von der großen levantischen Feige. Zwischen duftenden Gemüsen aller Art prangten kostbare Blumen und verführten durch ihre Schönheit manchen Käufer, hier länger zu verweilen und sein Augenmerk von den Blumen ab auf die Gemüse zu lenken, für die listigerweise die Blumendecoration auch bestimmt war. Mehrere Reihen verschiedenartiger Caeteen standen wie trotzige Wachter um kleinere Blumentöpfe; eine riesenmäßige Cereus Grandiflorus stand noch traurig und verschlossen unter ihren Schwestern. Vielleicht träumte sie eben von ihrer zukünftigen Herrlichkeit die bezaubernde Königin der Nacht! --
    Verkäuferinnen allenthalben, sehr wenig Verkäufer. Breitschultrige Negerweiber mit ihrem orangefarbenen, hochroth oder grun carrirten Kopfputz; Mulatten- und Negermädchen mit ihrem tänzelnden Gange und frühreifen Blick; groteskherausgeputzte Französinnen, die ganz gegen den guten Ton mit den Vorigen schäkern, sich gegenseitig schimpfen oder Obst zuwerfen; Indianer, welche hier heilsame Kräuter feilbieten, deren Weiber in großen Körben auf dem Rücken so manches Entwendete verborgen halten und mit ihren Säuglingen an der Brust auf den steinernen Platten des Markthauses sitzen und nur halb die Blößen bedeckt, ihren Körper von Neugierigen mustern und begassen lassen müssen; deutsche Mädchen, die mit ihren Körbchen am Arme schüchtern durch das bunte Gedränge sich hindurch arbeiten und unbefriedigt das Markthaus

 

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wieder verlassen, weil sie das Material zu einer deutschen Küche nicht finden konnten; irische Weiber mit kupferfarbener Nase und geschwollenem Munde, die in die Wette mit beleibten und dickhalsigen Negressen schimpfen und toben; Kaffee-, Thee- und Chocoladetrinker, die sich während ihres Frühstücks zwanzigmal in den ihnen gegenüberliegenden Spiegeln besehen, dann fortrennen und ihre Stuhle wieder Anderen räumen u.s.w. -- das drehte sich Alles wie ein wildes Caroussel um den Kopf des Beschauers. --
[LSZ - 1854.01.07]
    Unter denen, die glücklich ihre Einkäufe vollendeten und nun auf dem Heimwege begriffen waren, befanden sich auch zwei elegant gekleidete Damen, denen in geringer Entfernung ein Negerjunge mit einem Korb am Arme und einem Netz in der einen Hand folgte. In dem Korbe befanden sich außer verschiedenen Küchengewächsen noch einige Apfelsinen und Bananen, wahrscheinlich zum Nachtische bestimmt. Durch das Netz sah man ein paar Buschel rothbäckiger Radieschen hindurch, die sich zwischen dem grünen, frischen Salat gar freundlich und einladend ausnahmen. Der Junge folgte trällernd und pfeifend den beiden Damen,die eiligen Schrittes die Levee entlang gingen, um hier auf die Rückkehr des Ferrybootes zu warten, das sie nach Algiers übersetzen sollte.
    Während das Boot am andern Ufer hielt, mußte der kleine Neger vor Einer der Damen ein kurzes Eramen ablegen.
    „Tiberius,“ begann die Jüngere mit schönen schwarzen Haaren und schwärmerischem Augenpaar von tiefer Bläue, „setze deinen Korb sammt Netz auf diesen Baumwollen allen und komm' näher.“ Der Neger that sogleich, was ihm befohlen wurde. Er näherte sich mit abgezogener Mutze den beiden Damen,
    „Sage mir Tiberius, hast du Herrn R* zu Hause angetroffen, als du das Billet abgabst?“
    „Ja, Madame!“
    „Kannst du dich wohl noch erinnern, mit was sich dieser Herr gerade beschäftigte und ob er zum Ausgehen gekleidet war?“
    „Ich weiß sonst nichts, Madame, als daß er in Hemd ärmeln auf dem Sopha ausgestreckt lag und in einem kleinen Buche blätterte -- -- dann saß eine große Lady am Fenster und weinte; denn ihre Augen waren noch ganz roth und sie wendete ihren Kopfab als ich hereintrat.“

 

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    Die beiden Damen sahen einander betroffen an. Dann frug die Nämliche wieder:
    „Hat der Herr Nichts weiter zu dir gesagt, als du weggingst?“
    Der Kleine schwieg einen Augenblick, dann sagte er endlich stotternd:
    „Massa hat zu mir beim Hinausgehen gesagt, ich möchte zu Haus nichts von der Lady sagen, die ich bei ihm gesehen. Ich hab's ihm auch versprechen mussen, daß ich nichts sagen will.“
    „Du hast also dein Wort gebrochen, kleiner Schurke!“ und dabei drohte sie ihm scherzhaft mit dem Finger.
    „Dann hatten sie mich nicht fragen sollen, Madame,“ erwiederte naiv Tiberius.
    „Nun, wenn du wieder hinkommst, und er fragt dich, ob du etwas ausgeplaudert, was sagst du dann?“
    „Dann -- sage ich -- ich habe von der Lady geschwiegen.“
    „Das ist nicht recht, Tiberius, du mußt stets die Wahrheit sagen!“
    „Also darf ich's Massa sagen?“
    Die Dame war auf diese Frage verlegen und um kurz abzubrechen, beorderte sie den Kleinen wieder an seinen Platz. Dann zur Andern gewendet, sagte sie feufzend und mit gedehnter, trauriger Stimme:
    „Also schon wieder bei ihm -- und er hat mir doch so heilig versprochen, sie nicht mehr sehen zu wollen! O ich Ungluckliche!“
    „Tröste dich, liebe Schwester,“ begann die Andere; „was ich dir immer vorausgesagt, ist eingetroffen. Glaube nicht, daß er jenes verruchte Weib je meiden wird, so lange sie sich noch in seiner Nähe befindet. Ich kenne ihn nur zu gut. Er mag dir es tausendmal versprechen und mit den heiligsten Schwuren bekräftigen -- kehrt er dir den Rucken, so hat er schon wieder Alles vergessen. Sieh -- meine theure Jenny, befolge endlich meinen wohlgemeinten Rath und laß uns wieder in die Heimath zurückkehren. Dein krankes Herz kann nur auf heimathlichem Boden wieder gesunden und du bist sicher -- vor Schande und Elend. Theure, gute Jenny, wir sind ja Beide Leidensgefährtinnen! Ich mit einem Manne, der mich so roh verließ und bereits seit zwei Jahren kein Wort von sich hören läßt -- unbekümmert, ob es mir wohl ergehe, oder ob ich zu Grunde gehe; du mit einem Manne, der dir beständig

 

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unter heißen Thränen Liebe vorheuchelt und dir Besserung verspricht und dann -- -- -- O -- wir sind. Beide unglückliche Geschöpfe!“
    „O, rede vom Fortgehen nicht, liebe Schwester! Wie soll ich's übers Herz bringen, meinen Mann zu verlassen? Mag er noch so böse sein, er bleibt doch immer mein Mann -- -- er liebt mich vielleicht doch -- nur ein Leichtsinn macht ihn so oft untreu. O, er wird noch in sich kehren und ein treuer, lieber Gatte werden! Man hat doch so viele Beispiele von dergleichen Männern. Weißt du noch die Geschichte vom Grafen A* -- mit dem war es eben so in dem ersten Jahre seiner Ehe war er wild, ungestüm, beging Schwachheiten auf Schwachheiten ... man sprach schon vom Scheiden und jetzt kann Keines ohne das Andere leben. Du hast es mir ja selbst aus dem Briefe von Deutschland vorgelesen . . wie, ist's nicht so?“
    Das Dampfboot war während des Gesprächs am dies seitigen Ufer wieder angelangt und die beiden Schwestern begaben sich mit dem kleinen Tiberius an Bord und befanden sich in einigen Minuten in Algiers, ihrem erst vor Kurzem gewählten Aufenthaltsorte. Wir begleiten sie in ihre Wohnung.
    Kaum hundert Schritte links von dem Landungsplatze, nicht weit vom Mississippi Ufer, steht getrennt von den übrigen Gebäuden ein niedliches Häuschen inmitten eines großen Gartens, den außer einigen pyramiden ähnlichen Lebensbäumen und schlanken Oleandern eine nicht unbedeutende Anzahl von Orangenbäumen schmücken, deren Aeste fast sämmtlich unter der Bürde ihrer goldenen Früchte seufzen. Diese letzteren bilden vom Eingange des Gartens bis zur Thüre des Wohnhauses einen schattigen Gang, gehen von da rechts und links auseinander und vereinigen sich wieder an der hintern Seite des Hauses. Zwischen den Orangenbäumen stehen üppige Rosenstöcke von dem schönsten Grün und den vollsten Blumen. Es gewährt einen höchst überraschenden Anblick, wenn man an diesem Garten vorbeistreift und sieht durch das zierliche Gelände. Kommt nun gar ein Fremder von den östlichen oder nordwestlichen Staaten, wo um diese Zeit. Alles vor Kälte starrt und im trägen Schnee begraben liegt, so fühlt er sich hier wie von einem Zauberstäbchen berührt und denktgewiß an eine wohlthätige Fee, die hier ihren Sitz aufgeschlagen haben mag. Er athmet mit Wohlluft den Vanillenduft der in ihrer schönsten Blüthe stehenden Theerose ein. Er sieht lüstern nach

 

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den hochrothen, violetten oder weißen Balsaminen, die in der englischen Sprache so sinnreich „lady's slippers“ genannt werden. Ihm entgeht auch die dunkelrothe Lychnide nicht, der bedeutungsvolle „bachelor's-button“, die Lieblingsblume der amerikanischen Frauen. Wo „lady's slippers“ und „bachelor's-button“ bei einander stehen, ist gewiß gut ruhen! Die größte Ordnung und Reinlichkeit herrscht in diesem Garten. Kein Gräschen oder Hälmchen, ja kaum ein dürres Blatt erblickt man auf den saubern festgerollten Gartenwegen. Guter Geschmack und Poesie haben es hier verschmäht, die Wege mit Backsteinen zu belegen, wie man es fast ohne Ausnahme in allen amerikanischen Gärten findet, was den schönsten Anlagen immer Etwas steifes und unerquickliches verleiht. An diesem Häuschen, dessen Außenseite mit silbergrauer Farbe übertüncht und mit hellgrünen Jalousien versehen ist, steht nach Norden hin eine große Tonne von dunkelgrüner Farbe und mit schweren eisernen Reifen versehen, in die eine Rinne, die um das ganze Häuschen läuft und von der nämlichen Farbe ist, das Regenwasser sendet, welches dann durch einen unten an der Tonne angebrachten Hahn abgelassen werden kann. Dieß ist, außer dem Mississippi, das einzige trinkbare Wasser in New-Orleans und Umgebung. Wir erwähnen hier Alles, was diesen Ort betrifft, nm so ausführlicher, als er in unsern Geheimniffen der Schauplatz so mancher Ereignisse sein wird.
    Die beiden Schwestern Jenny und Frida traten eben durch die geöffnete Gartenthüre in den schattigen Gang und begaben sich, nachdem sie dem kleinen Tiberius einige Aufträge und Anordnungen für Haus und Küche gegeben hatten, in das obere Stockwerk, in welches eine schmale, aber höchst zierlich gebaute Treppe führte, deren Stufen mit einem grün und rot durchwirkten Teppiche belegt waren, welchen ein Messingstäbchen an jeder einzelnen Stufe festhielt -- die herkömmliche Treppendecoration fashionabler Wohnungen. Seitenwände und Treppenhaus waren mit blaß-grüner Tapete überzogen. Oben angelangt wurden die Schwestern von einem smaragd-grünen Peroquet begrüßt, der in einem massiven, palastähnlichen Käfige frisch und munter von einem Ring durch den andern hüpfte und sich fortwährend schaukelte. „Estrella mia -- guerida alma, ho, ho, ho,-- -- Sennor Caballero, ho ho, ho! -- -- ho, ho, nix versteh'!“ kreischte er dann zuletzt und kollerte mit seiner Zunge, als wenn er lachen wollte.
[LSZ - 1854.01.08]

 

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    „Warte Papchen!“ riefen die Schwestern, indem sie an den Käfig des Vogels traten, fast zu gleicher Zeit und drohten ihm mit dem Finger. Der Schreihals mußte das wohl verstanden haben und eine böse Lection befürchten; denn er schmiegte seinen Kopf an das Gitter, duckte mit dem Körper nieder und schrie: Guten Morgen, meine schönen Damen! Wie befinden sich Jenny und Frida?“
    „So ist's recht, mein Papchen,“ plauderten nun beide mit dem Vogel, „du sollst nicht mehr spanisch sprechen!“ Während dessen steckte. Jede von ihnen den kleinen Finger durch das Messinggitter und ließen ihn an demselben kauen, was für Papchen keine geringe Belohnung war und den Damen selbst reizend vorkommen mußte.
    „Aber dem Papchen scheint ja die Sonne ins Gesicht,“ begann die blonde Frida wieder, „da will ich ihm den Shawl um den Käfig hängen -- so, so -- so ist's recht -- nun kannst du auch ein wenig schlafen, Papchen!“
    „Schlafen -- gut' Nacht!“ schrie der Peroquet. „Ho ho, ho -- -- Sennor Caballero, ho, ho, ho!“ rief er den Schwestern noch einmal nach, nachdem diese bereits in das Drawing-Room getreten waren.
    „Ist doch Emil nicht hier gewesen?“ begann mit beengtem Athem und ihre Schwester anblickend, Jenny -- „Papchen plaudert mir heute zu viel von Sennor.“
    „Wie kannst du auch nur denken?“ entgegnete Frida mit bestimmtem Tone, an den sie übrigens selbst nicht glaubte. „Was sollte er denn hier thun und -- -- zudem getraute er sich ja nicht einmal hierher, weil er mich hier weiß und meine Vorwürfe fürchtet; wenn wir nur dem Vogel das „Sennor“ einmal abgewöhnen könnten! Es erinnert mich immer an die alberne Sucht deines Mannes, den Spanier spielen zu wollen. doch -- schweigen wir hievon -- -- wie, Jenny? du weinst schon wieder? Aber Jenny, komm und küsse mich, aber weine nicht!“
    Die besorgte Frida trat, selbst mit einer Thräne im Auge, zn ihrer Schwester, die sich in einem Rocking-chair niedergelassen hatte, strich ihr das etwas aufgelöste Haar aus der reinen Stirne und drückte einen heißen Kuß auf dieselbe. „Du machst dir zu viel Kummer, liebe Schwester,“ fuhr sie fort, „komm' und setze dich an's Piano und singe mir das schöne Liedchen, das dir die kleine Elise gelernt hat; ich höre es gar zu gerne, obgleich ich sonst die englische Sprache nicht leiden mag. Dieß

 

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paßt aber so recht auf unsern beiderseitigen Gemüthszustand- und du singst es so schön!“ setzte sie schmeichelnd hinzu. Gute Schwester, thue es mir zu Gefallen, nicht wahr?“
    „Dir zu Liebe will ich es singen, obwohl ich lieber weinen möchte,“ sagte Jenny, indem sie sich mit liebreizender Geberde erhob und an’s offene Piano trat. Frida setzte sich zur Schwester, nachdem sie vorher ein kleines Tabouretchen herbeigerollt hatte.
    Dieselbe sang nun mit innigem Gefühl, mit der bezauberndsten Reinheit einer vollendeten Stimme :
Bring back the days, the sunny hours,
  Of girlhood's thougtless glee;
The placidstream,the opening flowers --
  Oh! bring them backto me,
The noontide walks, tho hallowod eve,
  The loved, the lost -- that brow
On which love sat like sunset’s leave --
  Oh! bring them to me now.
Where is my home -- my girlhood's home
  Of sweetnes? Has is fled!
Alas!'tis gone "The -- -- -- --
    Hier brach die unglückliche Sängerin in Thränen aus und stürzte sich an den Hals Frida's. Nachdem sie wieder etwas beruhigt war, bat sie die Schwester dies Lied zu vollenden. Nach einigem Sträuben nahm diese die unterbrochene Strophe wieder auf, indem sie mit ergreifender Stimme die letzte Zeile wiederholte:
Alas! 'tis gone! The joyous tone
  Of its loved cadence dead.
Bring me the happy scenes,which there
  Passed like a summer dream ---
The soft'ning tints of memory,
  Ere sorowing o'er me came.
O, let me dream I see it still,
  With bird and son and flower;
'T will serve to soothe a treasured will
  In this and trying hour.
Home of my youth -- farewell -- farewell
  Once I did hail your glee;
Painful as in the bosom’s swell ---
  Oh! bring it still to me!
    Nach Vollendung dieser Strophen sanken sich beide Schwestern in die Arme und küßten sich mit stürmischer Begeisterung. Sie hatten sich Beide so lieb und wenn Eine etwas Schönes leistete, so war es gewiß immer die Schwester, die den Lorbeerkranz um die Schläfe der andern wand. Eine labte sich dann an der Schönheit der Andern und wenn Frida das dunkle Auge der Schwester bewunderte, so konnte Jenny im Anschauen des hellen Augenpaares Frida's, aus dem ein

 

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ganzer Himmel voll Seligkeit strahlte, auf Augenblicke wohl ihre unglückliche Lage und das peinigende Grübeln uber den treulosen Gatten vergessen. Kurz -- Beide waren, wie man zu sagen pflegt, dann vollkommen in Einander vernarrt.
    Wer sie jetzt sah, vom grünen Schimmer des Lichts übergossen, den die herabgelassenen Transparent Rouleaur verursachten, auf deren Leinwand sich dustere Hochwälder mit einer türkischen Stadt im Vordergrunde zeigten, aus welcher die zahllosen Minarets der Moscheen hervorblickten, mußte unwillkührlich an jenes reizende Schwesterpaar in „Tausend und Eine Nacht“ denken, von dem einst Schehazarade im Bette ihrem Sultan erzählte.
    Auf einem runden Tische, der in der Mitte des Zimmers stand, lag ein aufgeschlagenes Album mit chrysolidengrunem Maroquin-Einbande und ließ eine sauber mit Aquarellfarben ausgeführte Landschaft aus Suddeutschland sehen, auf welcher sich ein auf einem hochgethurmten Felsen im Renaissancestyle gebautes Schloß zeigte, an dessen Fuß dustere Tannenwaldung prangte, die sich an ein kleines Flußchen hinzog, das sich durch ein liebliches Thal von fetten Wiesen und üppigen Kornfeldern schlängelte. Seitwärts einer kleinen Brucke sah man ein verwittertes steinernes Kreuz, an dem ein Kranz von bunten Feldblumen hing. Die ganze Landschaft war außerdem von einem zarten rosigen Duft durchwoben, der das Auge des Beschauers und Kenners stundenlang festbannen konnte. Ganz unten zur rechten Seite las man im tiefen Schatten einer Baumgruppe von geübter Hand geschrieben den Namen „Frida“, mit der Jahreszahl 1845.-- Neben diesem Album staken auf einem rothammtnen Kissen mehrere mit großem Fleiße ausgespannte Schmetterlinge, unter denen sich zwei in's schönste Lasurblau schillernde Argonauten gar prächtig ausnahmen. Daneben stand ein Gläschen mit Käfern, die im Alcohol ihren Tod fanden. Ebenso waren auf des Gläschens Stöpsel eine Menge angespießter kleiner Netzflugler und bunter Fliegen. In jedem, der dieser Thiere ansichtig wurde, mußte daher der Gedanke aufsteigen, die schönen Bewohnerinnen dieses Hauses wären emsige Entomologinnen. Dem war aber nicht so. Diese Insekten waren fur den Prinz Paul von Würtemberg bestimmt, der von Zeit zu Zeit, wenn er von seinen Ausflugen auf dem Felde der Flora und Fauna zurückkehrte, von New-Orleans nach Algiers hinüber kam, um sie aus den reizenden Händen der Sammlerinnen zu empfangen.

 

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Da der Burger Paul jedoch seit längerer Zeit keinen Besuch mehr gemacht, so war die Sammlung schon bedeutend angewachsen. --
    Die Sonne rückte immer höher und höher am östlichen Himmel herauf und lag jetzt mit ihrer vollen Wärme auf dem Häuschen. Draußen im Garten zirpten und schnarrten hunderte von Heuschrecken und Cicaden. Dieses in Verbindung mit dem unisonen Gesumme einiger Fliegen am Fenster, die sich hinter die Vorhänge verirrt und nun keinen Ausweg mehr fanden, mußte auf die beiden Schwestern, die den weiten Gang bis zum französischen Markte hin und her gemacht hatten und sich am Piano gerade nicht zum Besten erholen konnten, nur einschläfernd wirken. Frida mit dem Kopfe im Schooße ihrer Schwester und Jenny ihre Lippen auf den vollen Nacken Frida's gedruckt - so waren sie eingeschlafen. Ein wiederholtes Pochen an der Thure weckte sie jedoch sehr bald aus ihrem Schlummer.
    Erschrocken fuhren sie auseinander.
[LSZ - 1854.01.10]
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Viertes Capitel.

Eine

Nacht nach den Flitterwochen.

    Ehe wir die Person, die an die Thüre des Drawingrooms pochte und dadurch die beiden Schwestern aus ihrem süßen Schlummer weckte, eintreten lassen, mussen wir dem geistigen Auge des Lesers eine hausliche Seene vorfuhren, welche die vergangene Nacht Algiers gegenuber, in New-Orleans in einer der entferntesten Straßen spielte. Wir versetzen ihn in jenen Stadttheil, der sonderbarer Weise der Aufenthaltsort und die Pflanzschule tausender von Ziegen ist, die hier ungestört herumwandeln und an den Straßenrinnen und zerstreuten grünen Plätzen ihr nuchternes Mahl halten. Dieser Stadttheil, der der Esmeralda geweiht zu sein scheint, versorgt die ganze Stadt mit der so beliebten Milch dieser Thiere. Unter der Anfuhrung einer Donna oder eines kleinen Mädchens ziehen sie vor die Häuser der betreffenden Kunden, wobei Jedem seine bestimmte Ration in das für diesen Gebrauch herkömmliche Geschirr gemolken wird. Durch ein solches Verfahren empfangen

 

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die Kunden ihre Milch rein und unverfälscht und brauchen nicht zu fürchten, für ihr Geld hintergangen zu werden. Dieses Ziegenrevier liegt in der ersten Munizipalität und erstreckt sich von der Claibornestraße westwärts bis an die zwei äußersten, mit derselben parallellaufenden Straßen, die von der Bienville- und Contistraße begrenzt werden.
    Es war eine jener wunderschönen Nächte, wie man sie gewöhnlich nur in den Wendekreisen antrifft, wo der Mond in seiner vollen, majestätischen Klarheit am Himmel prangt und so die Nacht fast zum Tage macht und seine stillen Begleiter, die Sterne, in ruhig planetarischem Lichte unendliche Sehnsucht in’s Herz zaubern. Ein laues Lüftchen, das vom Golfe her wehte und die Jahreszeit ganz vergessen ließ, spielte in den Baumreihen, die die Claibornestraße sich hinabziehen und strich über die Mauern der nahe gelegenen Kirchhöfe und küßte die Gipfel der in denselben stehenden Lila"s und Cypressen. Es war eine jener Nächte, wo das liebende Herz sich so glücklich fühlt, die beengten Wohnungen verläßt und hinausflüchtet unter das große reine Himmelsgewölbe, um hier, fern von allem Tand und Flitter, seine Regungen zu bekämpfen und der unentweihten Natur seine geheimen Wünsche zu offenbaren. Der Mauer eines der Kirchhöfe entlang ging langsamen Schrittes eine Frauengestalt von mittelmäßiger Größe und schlankem Wuchse, die vom vollen Glanze des Mondes beschienen, einen bezaubernden Anblick darbot. Unter dem schneeweißen Bonnet, dessen beide Enden von dem sanften Windhauche auf und nieder geschaukelt wurden, sah man ein feingeschnittenes Gesicht von den schönsten Verhältnissen, das verbunden mit einer reinen Blässe lebhaft an die Cameen des Alterthums erinnerte. Das dunkelblonde Haar, a la fleur de Marie gescheitelt, glich die mäßige Magerkeit des Gesichtes etwas aus, indem es zwei Zoll tief unter das Auge herabsinkend einen schönen Rahmen bildete und so dasselbe voller erscheinen ließ, als es in der That war. In der einen Hand hielt sie einen einfachen Palmettofächer und bedeckte sich von Zeit zu Zeit das Antlitz damit, um den Vorübergehenden die Thräne, die in ihrem großen hellblauen Auge schwamm, zu verbergen. Um ihre Schulter hing nachlässig eine grauseidene Mantilla, die sie mechanisch mit der linken Hand zusammenhielt, um sie vor dem Herabsinken zu bewahren.
    Einige Schritte vor ihr ging ein Mann, der hie und da einige Worte in den Bart murmelte und in langen Zügen die

 

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bläulichgelben Wolken einer Habana in die laue Nacht hinaus bließ. Ein kleiner Panama-Strohhut mit einem schwarzseidenen Bande saß ihm tief im Nacken und ließ so eine hohe Stirne frei sehen, über die er öfter mit der Hand fuhr und damit eben keine geringe Eitelkeit beurkundete. Ein locker um den Hals kragen geschlungenes Band nebst einem leichten braunen Rock und weiten Beinkleidern von demselben Stoffe, machten seine ganze Garderobe aus. Ein volles, gebräuntes Gesicht mit einem kurzen schwarzen Schnurr- und Knebelbarte, das offene Hemd, das fast zur Hälfte die nackte Brust sehen ließ, lange, vielleicht mit Absicht unordentlich gehaltene Haare, gaben ihm ein freies und ungebundenes Aussehen. Mit sichtbarem Wohl gefallen besah er jedesmal eine Hand, wenn er die Cigarre aus dem Munde nahm oder sie in denselben steckte oder wenn er die Asche mit dem Zeigefinger abstieß.
    In dieser Entfernung waren die Beiden vielleicht schon eine Viertelstunde gegangen, ohne auch nur Ein Wort mit einander zu wechseln. Daß sie sich gegenseitig kennen und nicht gleichgültig sein mußten, war unverkennbar. Es waren jedenfalls ein paar Liebende, die aus irgend welchem Grunde auf Einander schmollten. Die Thräne im Auge der Dame ließ auf einen vorhergegangenen Verdruß schließen, zu welcher Annahme das affektierte Benehmen des jungen Mannes nur noch mehr berechtigte. Die Zweifel, daß sie zusammen gehörten, wurden indeß alsobald gehoben, indem der junge Mann plötzlich stehen blieb und die Dame bis zu sich herankommen ließ.
    „Aber Claudine,“ begann er im mürrischen Tone, „du gehst so langsam, daß wir sicher noch eine Stunde nöthig haben, um nach Hause zu kommen. Ich sollte schon längst wieder an meiner Arbeit sitzen, da sie bis morgen Mittags vollendet sein muß und zudem habe ich es den beiden Damen in Algiers auf das Bestimmteste versprochen -- ich sehe schon, ich muß dir wieder meinen Arm geben, sonst kommen wir nicht von der Stelle.“ Bei diesen Worten zog er seine Uhr hervor, besah sie und steckte sie dann unwillig wieder ein.
    Schweigend hing sich die junge Dame an den Arm ihres Begleiters, der, ohne Rücksicht auf die kleinen Schritte derselben zu nehmen, rasch vorwärts ging.
    So gingen sie einige hundert Schritte, bis sie an den Block gelangten, in dem ihre Wohnung gelegen war. Das Haus, das noch eine Familie irischer Abkunft bewohnte, lag ganz hinten in einem Hofe, dessen Eingang durch ein großes Thor

 

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von Latten geschlossen war. An der Inseite des Thores befand sich eine armsdicke Stange, die gewöhnlich um eilf Uhr vor dasselbe gelegt wurde, um das Aufmachen zu verhindern. Man mußte im Hause ihre Abwesenheit nicht bemerkt haben und sie schon schlafend vermuthen; denn sie fanden das Thor gesperrt. Nachdem der junge Mann einige Male mit den Füßen daran gestoßen und mit den Händen an demselben gerüttelt hatte, fingen mehre Hunde an zu bellen und liefen auf das Thor zu. Sie wurden jedoch gleich beruhigt, als sie die Ankömmlinge erkannten. In der Stube des Vermiethers, der zugleich mit im Hause wohnte und, nebenbei erwähnt, ein Hagestolz war, wurde bald Licht bemerkt und nicht lange so traten sie ein, gingen über den Hof und befanden sich gar bald in ihrer Behausung. Auf der Treppe kam ihnen ein kleines Mädchen entgegen, das während der Abwesenheit ihrer Herrschaft eingeschlafen war und sich nun entschuldigte, noch keine Lampe angezundet zu haben, indem es die Schwefelhölzchen verlegt hätte. Bald fand sich jedoch das Nöthige vor und das junge Ehepaar setzte sich an den schon vor drei Stunden gedeckten Tisch, auf dem bereits die Theemaschine stand, unter der eine Spiritusflamme in kurzer Zeit das Wasser zum Sieden brachte. In einem silbernen Körbchen lagen noch einige Schnittchen Kuchen, den die Hausfrau gestern selbst gebacken hatte -- und darüber her das Strickzeug der jungen Frau.
    „Claudine, entferne das Strickzeug aus dem Körbchen; es gehört nicht hieher. Ich habe dir schon oft gesagt, daß ich dergleichen Unordnung nicht ausstehen kann,“ unterbrach der junge Mann das Stillschweigen.
    „Albert“ -- erwiederte die junge Frau, „sei doch nicht so zanksüchtig und mische dich nicht in so geringfügige Dinge. Du hast dir heute wieder einmal vorgenommen, recht unartig gegen mich zu sein; so vorhin beim Spazierengehen. Wenn du dich wieder so benimmt, werde ich nie mehr mit dir ausgehen -- merke dir das!“ Dabei suchte sie eine strafende Miene anzunehmen, die ihr übrigens allerliebst stand.
    „Du sprichst gerade so,“ entgegnete Albert, indem er sich zum Lächeln zwang, „als wenn ich dich zum Ausgeben beredet hätte. Warst es nicht vielmehr du, die mir keine Ruhe ließ, bis ich alle Arbeit bei Seite warf, nur um deinem zudringlichen Wunsche nachzukommen. Sieh, wie schlau du bist! Du möchtest wohl jetzt die Sache verdrehen.“
    Die jugendliche Frau, die wirklich schön zu nennen war -

 

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denn nie sah man einen schönern und lieblichern Mund, nie kleinere und glänzendere Zähne, nie eine niedlichere, weißere und wahrhaft aristokratische Hand -- schwieg auf einige Augenblicke, dann erwiederte sie im schwermüthigen Tone, indem sie dabei ihrem Gatten liebevoll ins Gesicht sah:
[LSZ - 1854.01.11]
    „Ich begreife dich seit einigen Tagen gar nicht mehr, mein guter Albert; so kalt, so abstoßend, immer das ironische Lächeln um den Mnnd, keine herzliche Begegnung mehr, nicht die geringsten Aufmerksamkeiten, mit denen du mich früher über schüttetest -- Alles ist verschwunden: Gebe Gott, daß es nur ein vorübergehender Gemüthszustand ist, sonst müßte ich wirklich verzweifeln! Wenn ich dich um eine kleine Gefälligkeit ersuche, wirst du gleich ärgerlich und verdrießlich. Gingst du früher aus, so gabst du mir vorerst einen Kuß; kamst du wieder nach Hause, so überhäuftest du mich mit Zärtlichkeiten und konntest dich nicht satt genug küssen. Und jetzt -- jetzt sagtst du mir kaum Adieu und bleibt oft bis spät in die Nacht und ärgerst dich dann, wenn du mich noch außer dem Bette findest.“
    „Du weißt es ja,“ bemerkte leicht hingeworfen ihr Gatte, indem er dabei aufstand und sich vom Kaminsimse eine Cigarre holte, „die Ehe ist das Grab der Liebe. Ich werde dir morgen eigens meine Lieblinge Saphir und Oettinger aus der Leih-Bibliothek von Schwarz mitbringen und dir ein Capitel über dieses Thema vortragen. Bist du's zufrieden, Claudinchen?“
    Das war freilich mehr, als das gute, bis jetzt ihrem Gatten wirklich treu ergebene Weib ertragen konnte. --
    Solche Phrasen, wie die eben erwähnte, lassen sich leicht, ohne zu verletzen, im Verlaufe eines auf delicate Manier geführten Gesprächs bei vollkommen harmonischer Stimmung anwenden; wenn sie aber so ohne alle Vorbereitung plötzlich herausgepoltert werden und noch dazu in einen Momente, wo es darauf ankam, die Disharmonie der beiderseitigen Gefühle ruhig und auf eine zarte Art und Weise zu zersetzen, muß ein empfängliches Gemüth auf's härteste betroffen werden und kann sich der Erinnerung an dergleichen oft das ganze Leben hindurch nicht mehr erwehren. Allerdings war es nicht so ernstlich gemeint, doch zeigte es immer viel Ungeschlissenheit und Rohheit an, die sich ihr Gatte hatte zu Schulden kommen lassen. Ja, es zeigte, wenn wir annehmen, daß es nicht mit Absicht geschah, von einer gänzlichen Unkenntniß des weiblichen Herzens. -- Wir werden später sehen, welche ungeheure Folgen diese eben ausgesprochene „Wahrheit“ aus das häusliche

 

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Leben dieser Eheleute hatte. In kritischen Momenten verletzt oft nichts so sehr, als die Wahrheit und hat schon größeres Unglück angerichtet als die Lüge. Man kann sich leicht in die Lage dieser Frau hineindenken, die, bekümmert um die Fahrlässigkeit ihres Gatten, sich in Gedanken mit der Hoffnung schmeichelt, dieses Benehmen sei nur vorübergehend und die frühere Innigkeit und Herzlichkeit könne sich wieder einfinden -- nun plötzlich mit kalten Worten das Räthsel der Ehe und Liebe gelöst sieht. Ein giftiger Pfeil, von einem Indianer abgeschossen, kann nicht tödtlicher verwunden.
    Albert war sonst ein fleißiger, überaus thätiger Mann, der in pecuniärer Hinsicht seinen Pflichten als Gatte getreulich nachkam und man konnte ihn oft ganze Nächte über seinen architektonischen und andern Zeichnungen sitzen sehen. Das war aber auch Alles. In früher Jugend verdorben, Roué bis zum Extrem, war er, nachdem die Zauber der Flitterwochen vorbeigerauscht waren, wieder in das alte Phlegma zurückgefunken, aus dem ihn nur eine neue Schönheit zu reißen im Stande gewesen wäre. Vielleicht trug er schon ein anderes Bild in seinem Herzen und spielte so die quälende und abmattende Rolle eines geistigen Ehebrechers. Obwohl von ehrlichem Charakter, kräftig und geübt im Ausführen seiner Pläne, war er in erotischer Beziehung einer jener Proteuse, die unsere Zeit in den verweichlichten Classen der Aristokratie Europa's myriadenweise erzeugt. Sein Fleiß und seine eiserne Ausdauer in Geschäftssachen retteten ihn bis jetzt vor jenem moralischen Abgrunde, in den müssige Roués unaufhaltsam stürzen. Seine rastlose Thätigkeit, die von einer unzerstörbaren Gesundheit unterstützt wurde, schützte ihn vor Geldverlegenheiten, daher er bis jetzt noch nie Gelegenheit hatte, irgend eine unehrliche Handlung zu begehen. Wir werden ihn bald in einer von seinen jetzigen Verhältnissen ganz verschiedenen Lage finden, die ihn kaum mehr erkennen läßt.
    Etwas muß hier noch erwähnt werden, was der Liebe dieses Mannes, der in gesellschaftlicher Beziehung oft zu große Prätentionen an das zarte Geschlecht stellte, früher oder später dennoch den Todesstoß versetzt hätte, wenn er auch jetzt noch mit der nämlichen Glut und Hingebung seine Gattin geliebt hätte. Albert war nämlich deutscher Abkunft und Claudine -- Französin. Bei einem Manne, wie Albert, konnte nur eine geistreiche Unterhaltung die vollkommene Erkaltung der Liebe verhüten und diese konnte er eben, obwohl er trefflich französisch

 

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sprach, mit Claudinen nicht führen, so wie ihm fast immer die geistreichsten Bemerkungen derselben entgingen. Ist der erste Sinnenrausch vorüber und die Liebe kann nicht in der Mutter sprache sprechen, so ist der Anstoß zum Sinken des Wärme leiters gegeben. Man stellt umsonst gegenseitige Betrachtungen von dem Werth des geliebten Gegenstandes an, weil das fremde Idiom denselben nicht ganz erkennen läßt und das Mißtrauen oder die Gleichgültigkeit fressen sich immer tiefer in’s Herz. Man lernt seine beiderseitigen Vorzüge entweder wenig oder gar nicht kennen, kurz man bleibt sich auch in der Ehe fremd.
    Es ist ein außerordentlich seltener Fall, wenn Gatten, die nicht ein und dieselbe Sprache sprechen, glücklich sind. Sie spielen gewöhnlich nichts weiter als officielle Automaten, durch einen beliebigen Contrakt an einander gefesselt und die Kinder solcher Eltern werden immer Sonderlinge, zum wenigsten Ueberläufer ihres nationalen Selbstgefühls.
    Doch genug des Philosophirens; wir wollen lieber den romantischen Faden wieder aufnehmen.
    Bleich wie eine Marmorstatue erhob sich Claudine von ihrem Sitze und ließ sich auf eine in einer Ecke stehende Caufeue nieder. Sie war auf's höchste empört. An die Stelle der Wehmuth war eine totale Verachtung getreten, die sich in ihren Mienen nur zu deutlich abmalte. Sie sah im Geiste zurück auf ihre Vergangenheit und mußte sich gestehen, daß sie dieser Mann nie recht geliebt, daß es ihm bei seinen Bewerbungen nur darum zu thun war, die junge duftende Blume zu pflücken,um sie dann ohne Schonung verwelken zu lassen. Sie war sich jetzt der Wahrheit seiner eben ausgesprochenen Worte versichert und zu ihrer Verachtung trat noch der Stolz hinzu, den sie früher nie gekannt, da sie sich ja einem Manne an die Brust geworfen hatte, von dem sie glauben mußte, er liebte sie.
    Albert, der sich jetzt ebenfalls vom Stuhle erhob, um an seine gewohnte Arbeit zu gehen, bemerkte, als er zufällig dem Blicke seiner Gattin begegnete, mit Entsetzen das stolze Auge und die kalte Verachtung, die sich in ihren Mienen aussprach. Er, der geschmeidige, aalglatte Liebhaber, der sonst tausenderlei Mittel in Bereitschaft hatte, die Erzürnte zu besänftigen und sie wieder in seine Arme zu schließen, getraute sich jetzt nicht, auch nur Ein Wort an sie zu richten. Er ging in das neben anstoßende Zimmer, woselbst er dem Mädchen befahl, die große Krystall-Lampe vorzurichten und noch ein kleines Kaminfeuer

 

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zurecht zu machen, da es jetzt mit. Einemmale anfing kühler zu werden, indem die lauen Lüfte des Golfes vor dem Nordwinde gewichen waren. Dann befahl er der Kleinen, ihm noch ein paar Gläser Grog zu bereiten und sie ihm auf sein Zimmer zu bringen. Mit diesem Getränke hoffte er seine verdrießliche Stimmung zu verscheuchen, um sich zum Zeichnen in eine behagliche Lage zu versetzen. Er hatte sich jedoch hierin mächtig geirrt. Die Spirituosa lenkten eine Phantasie gerade auf das, wovon er sie abgewandt wissen wollte und malten ihm mit grellen Farben die Unannehmlichkeiten vor, die aus seinem rucksichts losen Benehmen entspringen möchten. Zudem fühlte er einen peinlichen Reiz in seinen Gliedern und die Wollust mit all ihrem Zauber und ihrer Magie trat nun als Rächerin auf. Wie von den wallenden Dünsten des Olibanum umflossen, so umflorte jetzt die Sinnlichkeit seine Augen. Er ließ seinen Stift sinken, den er schon mehrmals in die Hand genommen, um seine Zeichnung zu vollenden und brütete mit auf die Brust herab gesunkenem Kopfe über -- die Schönheit seiner Frau.
[LSZ - 1854.01.12]
    Noch nie war sie ihm schöner vorgekommen, niemals selbst in der Brautnacht nicht, hatten ihre jungfräulichen Reize ihm größere Glut in die Adern gejagt, als jetzt sein Weib. Er liebte in physischen Genussen die Abwechslung. Bisher hatte er eine liebetrunkene Venus in seinen Armen gehalten, nun wollte er auch einmal den kalten Marmor umarmen. Sein Weib kam ihm mit dem stolzen Blicke und der kalten Verachtung jetzt schöner vor, als früher mit den schmachtendsten Augen und den brennendsten Lippen. Es flinkerte ihm vor den Augen und sein Kopf schien bei dem Gedanken an eine Schäfer stunde zu zerbersten. Er drückte ihn mit Macht an die scharfe Kante des Tisches, als wenn er das Blut aus demselben zurücktreiben wollte, ließ seine Lippen schlaff hängen und erging sich in einem wuten Chaos von Bildern aller Art. Er fühlte, das er diesen Zustand nicht länger mehr ertragen würde. Er mußte einen raschen Entschlußfassen. Er warf sich schon im Geiste zu den Füßen einer stolzen Claudine und beschwor sie, ihm zu verzeihen und ihm ihre Liebe wieder zu schenken. -- -- -- Da stand er plötzlich rasch auf und schlug sich mit geballter Faust vor die Stirne, dabei in ein satanisches Lachen aus brechend: „Ich Neuling,“ begann er mit sich zu reden, „der ich noch bin! Ich male mir da die schönsten, üppigsten Bilder vor, quäle mich mit den hochfliegendsten Gedanken herum,

 

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welchen Göttergenuß ich hätte, wenn ich sie heute Nacht noch in meine Arme schließen könnte, und bedenke nicht, daß, wenn sie mir diese Gunst je gewähren sollte, sie mir vorerst verzeihen muß und ich dann wieder den nämlichen freundlichen Blick und die alltäglichen brennenden Wangen vor mir habe. O sei doch die Natur verflucht mit ihren ewigen Widersprüchen und Gaukeleien! Zuerst zeigt sie mir die aus Alabaster gemeißelte Göttin mit dem strengen kalten Blick und den stolzen Zügen, zeigt mir die ernste Minerva, die sich in der Umarmung doch wieder in die Betteljungfer Venus verwandelt. Daß man das Geschöpf, das man Weib nennt, nicht in allen seinen Phasen genießen kann! Diese Betrügerin Natur, die uns ihre schönsten Gaben nur in der Phantasie verleiht und nie in der nackten Wirklichkeit! Ja, wir sind mit unserer kräftigen Sinnlichkeit nur geboren, um beständig über Liebe zu schwärmen -- sonst ist es Nichts! Nicht einmal einen gemeinen Genuß, wie wir ihn doch bei jeder wohlbesetzten Tafel haben, läßt die Liebe zu. Es ist zum toll werden!“
    In dieser Weise raisonnierte er noch einige Zeit fort und begann dann scheinbar beruhigt seine Arbeit. Es wollte ihm aber nichts gelingen. Statt den Winkel zu nehmen griff er nach dem Zirkel, und wenn er eine Ordinata ziehen sollte, beschrieb er einen Kreis. Ja, er nahm in der Zerstreuung eine alte schon längst abgethane Modellzeichnung wieder vor und calculierte an der Construktion der Radzähne, die er vor einigen Monaten für eine Maschine, deren Modelle sich bereits in der Eisengießerei befanden, auszurechnen hatte. Aergerlich warf er Alles bei Seite, sank auf den Stuhl zuruck und stierte gedankenlos die Thüre an, die nur leise angelehnt ihn von seinem und seiner Gattin Schlafgemache trennte.
    So mochte er träumend einige Zeit gesessen haben, als er die Thüre des Schlafgemaches, die auf einen Gang hinaus und von da wieder in ein anderes Zimmer führt, von außen verschließen zu hören glaubte. Er horchte auf. Das Licht war aus dem Schlafgemache verschwunden. Zu gleicher Zeit hörte er die Thüre des äußern Zimmers öffnen und schnell darauf wieder geräuschlos verschließen. Er nahm die große Krystall-Lampe in die Hand und öffnete die angelehnte Thüre. Alles war verschwunden. Weder das Dienstmädchen noch eine Gattin befanden sich mehr da. Als er sich umsah, bemerkte er, daß ein Kissen im Bette fehlte. Ebenso war das Plumeau, mit dem sich eine Frau zuzudecken pflegte, nicht zu sehen. Sie

 

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mußte demnach für diese Nacht ihre Schlafstätte im äußern Zimmer aufgeschlagen haben. Er setzte die Lampe auf den Tisch und ging an das Fenster, welches er öffnete um frische Luft zu schöpfen und die brennenden Fibern seiner Stirne zn kühlen. Er war noch unschlüssig, ob er seine Frau heute noch sprechen sollte oder nicht. Nach langem Sinnen entschloß er sich endlich zu Letzterem.
    Ehe er schlafen ging -- und Mitternacht war schon längst vorüber -- langte er sich von seiner Bücher-Etagère noch den Lord Byron herab, seinen treuen aber gefährlichsten Begleiter seit seiner Verheirathung. Er schlug seinen Lieblingscanto im Don Juan auf und fütterte Herz und Kopfmit der blendenden Fata Morgana dieses Dichters:
„Wem kann der Gatten Liebeln Lustgewähren,
Da Sünde nicht im Gattenkuß zu lesen?
Konnt' ein Petrarc" alsWeib die Laura lieben --
Er hätt' im Leben kein Sonett geschrieben! --“
    Sehen wir uns nach Claudinen um, so finden wir sie eben beschäftigt ein Billet zu siegeln, das das Mädchen morgen in aller Frühe auf ihrem Gange nach dem Markte zu besorgen hatte. Aus folgenden lakonischen Zeilen mag der Leser den von ihr gefaßten Entschluß errathen und daraus schon Manches für die Zukunft beider Gatten entnehmen:
    „Madame
        la baronne Alma de St. Marie Eglise
          New-Orleans, Rue de Bourbon No. 135.
            Liebe Tante!
    Ich möchte Sie gerne in einer wichtigen Angelegenheit so bald als möglich sprechen. Verfügen Sie gütigt über die Stunde, zu der ich sie besuchen kann. Machen Sie sich auf etwas Außerordentliches gefaßt und stählen Sie einstweilen bis zum Augenblicke unserer Zusammenkunft ihren Muth. Es giebt Fälle im menschlichen Leben, auf die man sich nicht genug vorbereiten kann. Jedenfalls glaube ich, daß Sie mit Ihrer gewohnten Herzlichkeit und Gute auch dießmal wieder ein rettender Genius sein werden. Mit Hochachtung kußt Ihnen die Hand Ihre
                                      Claudine R...n,
                                          mée de Lesuire.“


    Die Person, an die diese Zeilen gerichtet sind, ist eine alte

 

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ehrwürdige Dame, die außer einigen kleinen Fehlern ihres Geschlechtes noch die große Schwachheit besaß, sich auf ihre aristokratische Abkunft etwas einzubilden. Wer nur im Geringsten gegen ihre adeligen Prätenstionen verstieß, verlor augenblicklich ihre Gunst. Sie war sonst gerade nicht reich zu nennen, obwohl sie drei Häuser in der Bourbonstraße besaß und eine Volante nebst zwei Pferden hielt. Eine Mulattin, die ihr erst neulich durch Erbschaft zufiel, machte das halbe Dutzend ihrer Sclaven voll. Sie gehörte zu derjenigen französischen Clique in New-Orleans, die mit ihrem Geburtsadel, den sie seit der Emigrationsperiode hieher versetzte, auch in Amerika noch glänzen möchte. Diese nicht geringe Clique der französischen Aristokratie, die selbst die Reicheren unter den Amerikanern von ihren Circeln ausschließt, weil sie dieselben nicht als eben bürtig betrachtet, spielt in New-Orleans im Kleinen die nämliche Rolle, als die Südcarolina im Großen in den Ver.Staaten spielt. Den Sommer eilen viele von ihnen nach Paris -- wenigstens war dies bis zum Jahre 1848 der Fall -- um dort wieder einige Monate die volle Anerkennung ihrer alten Herrlichkeit genießen zu können. Kehren sie dann gegen Ende des Herbstes nach New-Orleans zurück, so geben ihre Erlebnisse in der großen Hauptstadt genug Stoff für die Soiréen und Theedanfant's der Wintersaison. Ein wahrhaft aristokratisches Vergnügen, dieses Wanderleben nach den Salons verschiedener Hemisphären! --
    Als am Morgen die Sonne aus den dunklen Schatten der Niederungen stieg, erhob sich Claudine mit einer Erfahrung reicher vom Bette, aber auch ärmer als je an Liebe, an Wünschen und Hoffnungen.
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Fünftes Capitel.

Ein willkommener Gast.

    Jenny und Frida konnten sich kaum vor dem Spiegel ihre Haare wieder in einige Ordnung bringen, und standen noch mit brennend rothen Wangen vor demselben, als es zum wiederholten Male und stärker an die Thüre pochte.
    „Aber sage mir doch, Schwester,“ sagte leise zu Jenny gewandt Frida, „wo mag wohl Tiberius stecken, daß die Leute so ungehindert eintreten können, ohne vorher angemeldet zu sein? Wir hätten in die größte Verlegenheit kommen können, wenn man uns so am hellen lichten Tage eingeschlafen gefunden

 

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hätte. Man müßte uns wahrlich für Müssiggängerinnen halten. Doch höre! ich glaube, die Person steigt wieder die Treppe hinab und wir können sie jetzt ganz gut den schattigen Gang hinabgehen sehen.“
    Beide traten an das Fenster und lüfteten gerade so viel von den Gardinen, als sie zum Hinaussehen nöthig hatten. Auf der Treppe hörte man die durch die Teppiche gedämpften Tritte eines männlichen Fußes und bald darauf trat ein Mann aus der Thüre der Frontseite des Häuschens und blieb außen auf dem steinernen Treppenabsatze stehen, indem er dabei öfters in den Hausgang zurücksah und manchmal einen Tritt vorwärts that, als ob er lauschen wollte, ob sich denn im Hause gar nichts rühre.
    „Wer mag das wohl sein?“ frugen sich die Schwestern, indem sie sich bemühten, das Gesicht des untenstehenden Mannes zu erforschen.
    „Es ist doch nicht Albert, der junge Architect?“ fuhr Frida fort.
    „Wo denkst du hin? Sieh' jetzt dreht er sich um -- einen großen, rothen Bart hat er, daß man das Gesicht kaum sehen kann und das sollte Albert sein? Du bist einmal wieder rechtverwirrt, liebes Schwesterchen.“
[LSZ - 1854.01.13]
    „Den rothen Bart konnte man ja noch gar nicht sehen und du mußt mir doch zugestehen, daß er von hinten gesehen genau dem Architecten ähnelt; ganz diese freie und ungebundene Tournure, die nämliche Größe, ja sieh' -- sogar den nämlichen Rock, --“
    „Ja wohl, auch die nämlichen rothen Haare,“ bemerkte ironisch Jenny, „sieh' nur, wie sie unter einem grauen Hute hervorquellen. Das ist ein garstiger Mensch! Wie froh bin ich, daß wir ihn verschlafen haben -- wer weiß, was es mit diesem Menschen für eine Bewandtniß hat.“
    „Seitdem uns der junge Hagen voriges Jahr unsere Gastfreundschaft so schlecht vergolten, habe ich gar kein Vertrauen mehr auf dergleichen Menschen, die so Knall und Fall sich anmelden und sich in kurzer Zeit zu Hausfreunden machen. Es ist hier nicht so wie in Deutschland.“
    „Wir reden aber auch wie Kinder, liebes Schwesterchen. Ist es denn schon ausgemacht, daß dieser Mann zum Hausfreund avancieren will? Er kommt vielleicht wegen einer ganz geringfügigen Sache. Sieh', er steht noch immer unten -- sieh', sieh', jetzt geht er endlich einmal vom Fleck -- -- um's

 

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Himmelswillen, Schwester, jetzt hat er uns gesehen! -- -- --“
    Die Schwestern traten, sich Einander bei den Händen fassend, vom Fenster zurück und blieben mit erhobenen Zehen in der Mitte des Zimmers stehen, nach der Thüre zu horchend, ob sie wohl Tritte von der Treppe herauf vernehmen würden. Ihre Besorgniß war nur zu wahr. Eiliger alser hinabgegangen kam der Mann die Treppe herauf und in wenigen Augenblicken mußte er sich an der Thüre des Drawingrooms befinden. Er hatte sie jedenfalls gesehen und auch erkannt, wie die blonde Frida meinte; denn sie war jetzt fest überzeugt, daß es irgend ein naher oder guter Bekannter sein mußte, da man von einem ganz fremden Menschen doch so viel Lebensart erwarten könnte, daß er die Ungelegenheit seines Besuches eingesehen und sich entfernt haben würde. Nur ein naher Verwandter oder Bekannter könnte sich, nachdem er sie erblickt, erlauben, gleich die Treppe heraufzueilen. Das könnte von einer gleichgültigen Person nimmermehr entschuldigt werden.
    Der Unbekannte war noch nicht an der obersten Stufe angelangt, als der im obern Gange sich befindende Peroquet, der bis jetzt gleichsam aus Sympathie mit den Schwestern ein kleines Schläfchen gehalten hatte, aus allen Kräften anfing zu kreischen und eine lange Suade von allen ihm bisher eingelernten Worten und Redensarten loszulassen, auch mitunter das bekannte Sennor und die Namen seiner Gebieterinnen einzuschalten.
    „Na, da bin ich doch am rechten Platze!“ sprach zu sich der Unbekannte, nachdem er aus dem Munde des Peroquet die Namen Frida und Jenny mehr als zwanzigmal gehört hatte. „Die lieben Cousinen wohnen also doch hier -- nun sie werden mich wohl nicht gleich erkennen. Die lange Seereise, der große Bart, das gebräunte Gesicht -- dies trägt. Alles viel zum Unkenntlich ein bei.“ Er trat an den Käfig des Vogels und begann mit demselben zu plaudern und zu kosten. Dies that er aber nicht des Vogels halber oder um sich ein kleines Vergnügen zu machen, sondern lediglich nur deshalb, um sich während dieser Zeit zu besinnen, auf welche Art und Weise er seinen Cousinen entgegen kommen und ob er sich gleich zu erkennen geben sollte oder nicht. Als er den Shawl, der noch immer über dem Käfige hing, genauer betrachtete, fand er, daß es der nämliche sei, den er vergangenes Jahr für Frida gekauft hatte. Nun waren alle Zweifel gehoben. Die Cousinen mußten sich im nächsten Zimmer befinden, an dessen einem

 

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Fenster er sie vorher ja erblickt hatte. Zudem schrie der Vogel noch unermüdlich ein Frida und Jenny -- es konnte von keinem bloßen Vermuthen mehr die Rede sein.
    Unterdessen beriethen sich die Schwestern, wie sie dem ihnen noch Unbekannten entgegenkommen sollten, da durch die Nachlässigkeit des kleinen Tiberius derselbe nun im Drawingroom statt in dem im untern Stockwerke sich befindlichen Parlor empfangen werden mußte.
    Es war unter den obwaltenden Umständen schwer, die gehörige Schicklichkeitslinie zu beobachten, zumal hier einige nothwendige weibliche Attribute zerstreut herumlagen und nun in aller Haft und Eile weggeräumt werden sollten; denn der Unbekannte konnte jetzt alle Augenblicke eintreten. --
    Nach Verlauf einiger Minuten hingen die Schwestern küssend und mit Fragen stürmend an dem Halse ihres Vetters, der, wie sich leicht denken läßt, die Zudringlichkeiten seiner schönen Cousinen sehr liebenswürdig fand und nicht im geringsten abgeneigt war, die ihm zufliegenden Küsse herzhaft und doppelt zurückzugeben.
    Nachdem die stürmischen Momente des ersten Empfanges vorüber waren, kam man auf die häuslichen Angelegenheiten zu sprechen, die von den Schwestern auf eine zarte und schonende Weise dem erstaunten Vetter auseinandergesetzt wurden. In kurzer Zeit war er in die betrübenden Verhältnisse der beiden jungen Frauen eingeweiht und man kam schließlich überein, daß der erwünschte Gast während seines Aufenthaltes in New-Orleans im Hause seiner Cousinen verbleiben und die trüben und heitern Stunden mit ihnen theilen sollte.
    „Nun will ich einmal in die Küche hinabsehen und dem nachlässigen Tiberius eine kleine Strafpredigt halten,“ sagte die geschäftige Frida, nachdem die Aufregung, die die Ankunft des Vetters und die ihm gemachten Enthüllungen -- die wir dem Leser jetzt noch verheimlichen müssen -- bei ihr hervor gebracht hatten, vorüber war und einer stillen Ueberlegung Platz gemacht hatte. „Zudem mag es schon nahe an Mittag sein und unser werther Cousin wird Appetit verspüren.“
    „Wie kannst du glauben, liebe Cousine, daß ich in Gegenwart so liebenswürdiger Damen an's Essen denke; das wäre sicher ein frevelhafter Gedanke,“ bemerkte der galante Vetter Karl, indem er Frida's Hände mit den einigen festhielt, sie so am Weggehen zu hindern. „Zudem ist es mir jetzt gar nicht um's Essen zu thun.“

 

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    „Alles zu seiner Zeit, mein lieber Cousin, ich möchte doch sehen, wie es dir anstände, wenn wir dich ein paar Tage hungern ließen. Du würdest, glaube ich, zum längsten in unserer Nähe verweilt haben -- doch ist es ja nicht einmal dein Ernst. Ihr Männer wollt uns Frauen stets als ätherische Wesen erscheinen, die schon allein von einem schönen Gesichte und von Poesie leben könnten und bedenkt dabei nicht, daß wir uns hiedurch verletzt fühlen müssen.“ Nach diesen Worten entwandt sie sich geschickt den Händen ihres Vetters und sprang mehr als sie ging die Treppe hinab und in die Küche, wo sie außer Tiberius Alles in größter Ordnung vorfand. Der schwarze Koch mußte sich noch nicht lange entfernt haben, denn ein am Boden liegendes Hühnchen, dem der Kopf abgeschnitten, ließ noch eine letzten Lebensgeister bemerken, indem es mit den Flügeln noch einige Male an die Dielen schlug.
    Die jungen Bewohnerinnen des Häuschens hatten außer dem zehnjährigen Tiberius keine Domestiken mehr. Alles ging durch ihre eigenen Hände und abwechselnd oder zusammen wirkend, wie es sich gerade schickte, übernahmen sie bald diese bald jene Verrichtung. Die Jüngere von ihnen, Jenny, die das achtzehnte Jahr noch nicht überschritten hatte und ein Jahr weniger zählte als Frida, war dieses Selbstwirken und Schaffen um so weniger gewöhnt, als sie ihr Gatte hierin sehr verwöhnt hatte, der ihr außer Tiberius, der sein eigen war, noch zwei gemiethete Mulattinnen zur Verfügung gestellt hatte. Seit der unglücklichen Trennung von demselben unterzog sie sich mit ihrer Schwester mit verständiger Hingebung allen jenen kleinen Sorgen und Mühseligkeiten, wie sie jede auch noch so kleine Haushaltung aufzuweisen hat. Sie waren vernünftig genug, die Nothwendigkeit eines schwesterlichen Zusammenwirkens einzusehen, um so mehr, als sie ein widriges Geschick an Männer geknüpft hatte, von denen der Eine gänzlich verschwunden, der Andere in ihrer Nähe sein tolles Wesen mit Buhldirnen und Bajaderen trieb.
    Da der eben Angekommene uns im Verlaufe des Romanes noch öfter zu Gesichte kommen wird, so wird es nicht unerwünscht sein, ihn mit wenigen Strichen gleich von vorneherein zu zeichnen, auch seinem Aeußern einige Aufmerksamkeit zu widmen. Schon seit seiner frühesten Jugendjahre an die Mißverhältnisse des materiellen Lebens gewöhnt und im Kampf um eine freie Existenz zum Manne herangereift, hatte er die Wechselfälle des menschlichen Lebens ertragen gelernt und sich

 

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jenen stoischen Humor zu eigen gemacht, wie man ihn hie und da bei Männern findet, denen eine kräftige, lebensvolle Constitution die im Unglücke gemachten Erfahrungen nicht als hemmende Last mit sich herumtragen, sondern sie als Fundgrube für künftiges Wirken und Handeln benützen läßt. Setzen wir hinzu, daß ihm bei Betrachtung seiner Verhältnisse und des bisher erlittenen Ungemachs jene Reflectionsgabe, die beständig mit sich tändelt oder schwärmt, vollkommen abging, so müssen wir ihn für einen glücklichen Menschen halten, wenn uns auch später seine mitgetheilten Erlebnisse in einem trüben Lichte erscheinen sollten. Eine unbändige Reiselust, ein beständiges Wandern war ihm so zu sagen angeboren. Er war ein natürlicher Abenteurer, d.h. er war Abenteurer aus Bedürfniß und Instinkt und nicht durch eine erkünstelte und geschraubte Weltanschauung dazu getrieben.
    Er glich so der Wandertaube oder dem räthselhaften Flamingo, denen ihre Wanderfreiheit zur Nothwendigkeit, zum Gesetze wird und die auf ihren Zügen Niemanden verletzen, wohl aber von beutelustigen Jägern viel erdulden müssen. Die Reiselust des geldgierigen Amerikaners ähnelt oft nur zu sehr den Trip Wandervögeln am Mississippi und Ohio, den Aasgeiern, die sich auf irgend einen todten Körper, den die Wellen hinabführen, setzen, und wenn sie ihren Heißhunger gestillt, mit dickem Wanst wieder ihren Trip zurückmachen, wo sie dann einige Zeit ausruhen und mit offenen Augen schlafen, gleichsam als wenn ihnen auch während des Schlafes keine Beute entgehen sollte. Das ist der Unterschied zwischen einem ächten Vollblut-Amerikaner und unserm deutschen Gast, zwischen einem Aasgeier und einer Wandertaube, zwischen der nackten Wirklichkeit und Poesie. Zum Ruhme der Amerikaner sei übrigens noch gesagt, daß sie Raubvögel avee gourmandize sind, und daß sie sich auf keinen Leichnam setzen, sondern auf frische, üppige Körper; wie wir sie des ungeachtet in die Kategorie der Aasgeier versetzen können, überlassen wir der tiefen Reflectionsgabe des geneigten Lesers, dessen Geduld wir mit dieser Aasgeier-Parallele nicht länger mehr auf die Probe stellen wollen.
[LSZ - 1854.01.14]
    Als Hauptagent eines bedeutenden Sclavenmarktes im Süden mochte er bisher einen deutschen Landsleuten im zweideutigen Lichte erschienen sein. Wenn wir aber bedenken, daß ihm diese einträgliche Stelle zu einer Zeit zukam, wo er sich in größter Geldverlegenheit befand, so wird es gewiß

 

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keinen Schatten auf seinen Charakter werfen. Als damals die ersten Unannehmlichkeiten eines materiellen Mißbehagens in etwas gehoben waren, so konnte man ihm auch nicht zumuthen, daß er plötzlich die Agentur verlassen sollte, um eines kindischen moralischen Scrupels halber sich wiederholten Verlegenheiten auszusetzen. Ja er gefiel sich in manchen Momenten in dieser, wie er sich selbst ausdrückte, wildromantischen Carriére. Er wurde deshalb von seinen Cousinen öfter geneckt und da gab es dann mitunter allerliebste politische und philanthropische Scharmützel und Gefechte, wobei sich am Ende Karl stets freiwillig besiegen ließ. So entspann sich denn unter Anderm, während Frida in der Küche beschäftigt war, zwischen ihm und Jenny folgendes kurze Gespräch, das sehr bald durch die Ankunft eines uns bereits im vorhergehenden Capitel interessant gewordenen Mannes unterbrochen wurde.
    „Wie schön wäre es, lieber Cousin,“ sagte Jenny, die sich an ihren Stickrahmengesetzt hatte und emsig an der Vollendung einer antiken Vose, in der eine Agave prangte, arbeitete, „wenn du dir in New-Orleans eine bleibende Stellung verschaffen könntest, so ungefähr, wie unser junge Architect aus Sachsen. Du würdest uns dann des Tages ein paar Mal besuchen, uns durch dein glückliches Temperament etwas aufheitern und so manche herben Stunden versüßen. Ein wie viel schöneres Dasein wäre es für uns Alle, wenn du stets in unserer Mitte verweiltest. So ist dein Leben beständig den Unglücksfällen auf den Dampfbooten ausgesetzt und wir schweben stets in Angst dich auf immer zu verlieren. Zudem, lieber Cousin, ist es ein so häßliches Geschäft. Reisender Agent in Wollköpfen! Bedenke, dieß paßt durchaus nicht zu deinem Charakter und gefühlvollen Herzen. Wenn ich dich nicht so genau kennte, ich müßte an dir irre werden.
    „Du bist eine kleine Egoistin, Cousinchen,“ erwiederte Karl, „blos um immer in deiner Nähe zu verweilen, soll ich mein einträgliches Geschäft aufgeben und meiner Reiselust entsagen, ja meine Gesundheit aufs Spiel setzen; denn das Reisen ist mir zur zweiten Natur geworden. So ruhig dahin zuleben, wie du es wünschtest, wäre ich nimmer im Stande; doch gesetzt auch -- ich könnte mich dazu entschließen, was sollte ich hier ergreifen? Rathe mir -- -- soll ich vielleicht Cigarren drehen, wie Freund Schlicht in Valparaiso oder gar Barkeeper werden?“ setzte er lächelnd hinzu. „Nein, diese träge Geschäfttigkeit würde mich in kurzer Zeit aufreiben. Was meine jetzige

 

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Stellung betrifft, so ist sie mir, das Reisen ausgenommen, sehr zuwider und ich würde sie sehr gern mit einer anderen vertauschen, wenn ich Aussicht auf gleichen Gelderwerb hätte. Wir sind einmal in Amerika, meine Liebe, und da darf man das Geld nicht so gering anschlagen. Zudem weißt du ja, daß ich das Geld nicht des Geldes halber liebe, sondern nur um mir für zukünftige Tage eine freie Eristenz zu verschaffen.“
    „O über den Jesuiten!“ rief Jenny scherzend aus, „bei dir heiligt der Zweck das Mittel. Wenn das Frida gehört hätte! Sie würde dir ewig feind sein.“
    Statt ihr zu erwiedern blickte sie Karl mit seinen großen blauen Augen treuherzig an und drückte ihr herzlich die Hand. Die lebhafte Cousine erwiederte leise diesen Druck, indem sie dabei flüsterte: „Lese ich recht in deinen Augen, so kann ich mich der süßen Hoffnung hingeben, daß du nach New-Orleans gekommen bist, um auf immer unter uns zu verbleiben.“
    „Du bist eine Wahrsagerin, Jenny; deine Prophetie ist allerdings richtig und wahr.“
    „Nun seht mir doch den bösen Menschen, wie er vorhin noch gesprochen hat!“ sagte leicht erröthend die junge reizende Frau. „Man sollte meinen, er gäbe die Gunst seiner Freundinnen mit Leichtigkeit für eine Sonderlingslaune hin.“
    Karl und Jenny liebten sich wie Geschwister. Das schuldlose Auge, das mit Vergnügen an ihrem Vetter haftete, trübte sich, wenn er vom Fortgehen sprach. Karl war sonst kein schöner Mann, ja er war eher häßlich zu nennen. Eine unproportionierte Stumpfnase und ein eben nicht kleiner Mund verunstalteten ein kräftiges und blühendes Gesicht, das von einem starken rothen Barte beschattet wurde. Wer aber in seine Augen hineinfah, mußte ihn liebgewinnen und ein längeres Beisammensein ließ gar leicht die eben berührten Unschönheiten vergessen. Zudem besaß er eine geschmeidige und bewegliche Tournure, ein Vorzug, der den Männern bei Frauen schon größere Siege gewinnen ließ, als das schönste regelmäßigte Gesicht.
    Karl hatte bei sich im Stillen schon längst einen Plan für die Zukunft gefaßt. Seine Stelle als Agent wollte er aus ganz natürlichen Ursachen nicht aufgeben, doch wollte er vor läufig das Reisen unterlassen und den untergeordneten Rang eines „Second Agent“ in New-Orleans, eine Branche, die ihm zu jeder Zeit offen stand, adoptieren. Es war dabei freilich weniger Geld zu machen, doch blieb ihm die schöne Aussicht,

 

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sich von nun an im Kreise geliebter und liebender Personen von seinem widerlichen Geschäfte erholen zu können.
    Die Ankunft des Architekten, der eben mit Frida eintrat, störte ein weiteres inniges Gespräch. Das Entgegenkommen Karls war höchst liebenswürdig, ja noch mehr, treuherzig zu nennen, während Albert mit frostigen Mienen seinen Freund begrüßte. Der Architect entschuldigte sich bei den Damen, daß es unmöglich gewesen, zur versprochenen Stunde die Planzeichnung vollenden zu können, indem ihm plötzliches Unwohlwerden daran verhinderte. Die Unterhaltung spann sich ohne Wärme und einsilbig an und Albert empfahl sich, ungeachtet Karl und die Schwestern in ihn drangen, die Mittagszeit bei ihnen zuzubringen, gar bald. Sein sonst stark gebräuntes Gesicht sah heute bleich und zerstört aus und ein feiner Beobachter hätte auf demselben etwas Anderes lesen können, als bloßes Unwohlsein. --
    Albert hatte sich nach der uns bereits bekannten Katastrophe mit seiner Frau, erst gegen Morgen zu Bette gelegt und erwartete mit Ungeduld den vollen Anbruch des Tages. Claudine erschien heute nicht zur gewöhnlichen Stunde und er mußte nun allein sein Frühstück zu sich nehmen. Auf das Befragen, warum sie nicht erschiene, erwiederte ihm das Mädchen, daß die Mitreß unwohl sei und wohl den ganzen Tag im Bette zubringen dürfte. Albert, anfangs entschlossen sich zu seiner Frau zu begeben, unterließ es nach einiger Ueberlegung. Es hielt ihn ein verkehrter Stolz ab, den ersten Anstoß zu einer etwaigen Versöhnung wieder zu geben. Er blieb auf seinem Zimmer und beschäftigte sich mit gleichgültigen Dingen. Obwohl er es bereits aufgegeben hatte, sein den Damen in Algiers gegebenes Versprechen zu halten, da der Plan noch immer unvollendet dalag, so wollte er doch einen Besuch bei denselben nicht unterlassen, und hatte gar die Absicht sich den ganzen Tag bei denselben aufzuhalten, um so an Claudinen eine kleine Rache wegen ihres Nichterscheinens beim Frühstücke auszuüben. Die Anwesenheit und unerwartete Ankunft Karls hatte ihm nun einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es verdroß den eitlen Menschen, daß die Aufmerksamkeiten der beiden Schwestern nun zwischen ihm und Vetter Karln getheilt sein sollten. Dazu kam noch, daß er von der großen Anhänglichkeit Jenny's an ihren Vetter wußte nnd als er beim Eintreten in das Haus der gerade von der Küche heraufkommenden Frida begegnete und von ihr erfuhr, daß ihr Cousin angekommen

 

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und sich mit Jenny oben befände, bemächtigte sich seiner eine nicht geringe Eifersucht. -
    Ohne daß es Jenny wußte, war der Architect für sie, die ein so mißliches Geschick schon bei Lebzeiten ihres Mannes zur Wittwe verdammt hatte, zärtlicher eingenommen, als es für Beider Ruhe günstig war. Für ihn hatte die junge und schöne Wittwe unendlichen Reiz und er hatte sich bereits seit mehreren Wochen in ein innigeres Verhältniß hineingeträumt. Seine ungestüme Phantasie malte ihm gleich. Alles schwarz vor und sah den Cousin als gefährlichen Nebenbuhler neben sich auftauchen. So sehen wir ihn denn nach den herkömmlichen Höflichkeitsformeln das Haus der beiden Schwestern verlassen und zwecklos in den Straßen von New-Orleans herumschlendern. Zum Glücke für ihn wurde nicht weiters von seinem schnellen Weggehen gesprochen, da man ja nach seiner eigenen Aussage den Grund in einem Unwohlsein zu suchen hatte. Selbst Jenny konnte nichts Anderes in seinem frostigen Benehmen erblicken.
    Der noch übrige Theil des Tages verging Allen wie ein schöner Traum. Unter Musik und Gesang, unter Scherzen, Küssen und Tändeln, war, ohne daß man es gewahrte, der Abend hereingebrochen und man mußte sich einstimmig gestehen, daß man schon lange keine so ungetrübten Stunden in so schöner und reiner Harmonie genossen habe. Durch ein gen Westen gelegenes Fenster sah man die Sonne bereits über die Hälfte unter den Horizont herabgesunken und über ihr schwebten, vom rosigen Scheine der Scheidenden übergossen, die gekrausten Schäfchen und gingen mit ihr zu Bette. Die lauen Abendlüfte kosten mit dem dunklen Laube der Orangen und Magnolien und bewegten die Gardinen an den offenstehenden Fenstern. Das Geschrei und die Fröhlichkeit des Peroquet verstummte und statt der Singvögel durchschnitten große Nachtschwärmer die lauen Lüfte und stießen mit ihren Köpfen an die Mauer des Häuschens und fuhren dann erzürnt im Zickzack durch die Gipfel der hochstehenden Lebensbäume oder Lila's. Im Osten stieg der Mond herauf und hing wie eine große Feuerkugel über dem Hauptmaste eines majestätischen Kauffahrers, Hunderte von kleinen Kähnen und Segelbooten durchfurchten den Mississippi und freuten sich des schönen Abends. Drinnen im Häuschen aber rückte man näher an einander und gab sich stillschweigend unter Händedruck und Küffen den Abendsegen.
[LSZ - 1854.01.15]
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Sechstes Capitel.

Don Juan im Feuer

Beim Cid! man muß sie sehn im weißen
Nachtkleid, die prächtige Gestalt!
Man muß es sehn, dies Schlagen, Beißen,
Wenn unter Küssen, grimmigen, heißen,
Sie wüthend fremde Worte lallt!
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Auf, Page, folge meinen Pfaden!
Hinaus mit Tambouringeklirr!
Heut' Abend will ich serenaden,
Daß fluchen sollen die Alcaden
Bis an den Guadalquivir!
            (Alfred de Musset.)

    Darin stimmen Alle überein, daß es nur Ein New-Orleans auf der Welt giebt. London ist zu rauchig, Paris zu abgedroschen, New-York zu yankeedoodelich, Boston und Philadelphia zu muckerisch und Cincinnati, die Königin des Westens, consumiert zu viel Schweinefleisch.
    „New-Orleans ist mit Negerschädeln gepflastert“ äußert ein amerikanischer Schriftsteller. Er hätte besser gesagt, New-Orleans ist mit schönen Frauen gepflastert; obwohl auch das Erstere nicht in Abrede zu stellen ist.
    In dem Frauenkranz, der sich um die Schläfe der Beherrscherin des Golfes windet, sind alle Blumen zu finden; neben den flammenden Tuberrosen und Kaiserkronen strahlt die kokette Camelia, die uns in den Winternächten schonungslos vor ihrer Thüre stehen läßt; die weiche, sanfte Magnolia, die uns nicht mehr gestattet, als das liebekranke Haupt in ihren Schooß zu legen; der „Bachelor"s Button“, der für die Ehemänner so gefährlich ist und das Immergrün „Adelaide d'Orleans“, bei dessem Anblick sogar ein Wholesale Grocer von Liebe entbrannt werden kann.
    Aber zwei Blumen fehlen dieser bunten Flora. Sie sind hier nur selten anzutreffen. Die sich nach ihnen sehnen, ziehen nach den Ufern des weinrebenbegränzten Ohio. Sie heißen Maßliebchen und Männertreu. -- --
    Wo giebt es mehr Troubadours und Paladine, als in New-Orleans? Nur Madrid, Sevilla und Barcelona haben das Recht, als Rivalinnen aufzutreten.
    Unter den Liebesrittern, die jederzeit bereit sind, für die Dame ihres Herzens eine Lanze zu brechen, finden sich auch viele Deutsche. Nur Schade, daß deutsche Ungeschicklichkeit und unbeholfene Zimperlichkeit oft die zarten Fäden wieder zerreißt, die das Klimpern der Mandoline angesponnen. --

 

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    Unser Büchsenspanner, dessen oberflächliche Bekanntschaft die schönen Leserinnen bereits gemacht haben, war ein solcher Unglücksvogel.
    Seitdem Eliza seinem Freunde mit dreihundert Dollars durchgebrannt und die Shellroad Mary auf seine Rechnung an. Einem Abend bei Cassidy vier Dutzend Austern verschlungen und fünf Flaschen Londoner Porter den Hals gebrochen, zog er es sich zu Gemüthe und unterließ es, mit Tambourin-Girls und Bajaderen herum zu „schwimeln“; da er nicht einsah, von welchem Nutzen es sein könnte, auf solche Weise sein Geld durchzubringen.
    Von nun an trank er seinen Cock-Tail ganz allein, aus genommen, wenn ihn einer seiner Bekannten mit an die Bare zog.
    Da er aber einen unwiderstehlichen Drang in sich fühlte, dem schönen Geschlechte eine Huldigungen darzubringen und da er öfter gesehen, daß die Caballeros und Messieurs von New-Orleans mit der Guitarre oder Mandoline unter dem Fenster ihrer Angebeteten stehen, um derselben ein Ständchen zu bringen, so wollte auch er einmal sein Glück auf diesem Wege versuchen; da er sehr gut einsah, daß ihm dieses von Nutzen sein könne, und er dabei sein Geld spare.
    Eine Guitarre hatte er; ebenso war er Dichter; ebenso hatte er in Tübingen Aesthetik gehört -- denn die Büchsen spannerei trieb er erst in Amerika. Er war von Haus aus ein bemoostes Haupt oder besser ein zum Staatsdienst unbrauchbarer Student.
    Er zählte jetzt ungefähr 32Jahre und obwohl er behauptet, in Deuschland sehr schlank gewesen zu sein, so ist ihm hierin doch nicht recht zu trauen, da er seine Beleibtheit unmöglich in New-Orleans, das er seit seiner Ankunft in der neuen Welt nie verlassen, erlangt haben kann. Mit obiger Behauptung hatte er es schon oft versucht, die Leichtgläubigkeit der Frauen zu benützen, wenn ihn diese auf die Dislocation seines Wuchses aufmerksam machten. --
    Das Schönste an dem Büchsenspanner waren seine Zähne und er hielt sich in der That für sehr schön, wenn er vor dem Spiegel stand und seine Korallenlippen zum süßen, schmachtenden Lächeln einstudierte.
    In manchen Augenblicken war er jedoch in einigem Zweifel wegen seiner Holdseligkeit und dann tröstete er sich immer damit, daß er für sich hin brummte; „nun, wenn ich

 

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auch nicht schön bin, so bin ich doch wenigstens interessant und wie viele Beispiele hat man nicht, daß die schönsten gefeiertsten Frauen häßlichen interessanten Männern vor schönen und un interessanten den Vorzug gegeben haben.“ Daß aber oft die Schönheit interessant macht und daß es auch schöne interessante Männer giebt, schien er dann in seiner Selbstbespiegelung gar nicht zu bedenken. --
    Seine grauen Augen waren nicht so klein, als dies bei oberflächlicher Beobachtung schien. Sie waren nur von dem überhängenden Fette an den Lidern zusammengedrückt. Matt und glanzlos, wenn er nüchtern war, glitzerten seine Augen ferne, wenn er einige Brandy Cock-Tails zu sich genommen. In einem solchen Angenblicke war er dann zu Allem fähig d.h. zu was ein gutmüthiger Mann, wie der Büchsenspanner, über haupt fähig sein kann.
    Er machte Spectakel, war leicht gereizt, renommierte und schwadronierte, wollte Jedermann, der ihn beleidigt, gleich zu Leibe, ohne natürlich seinem Beleidiger im Geringsten Etwas zu Leide zu thun. Es blieb beim Drohen und Toben und sein Schwert ließ er dabei unangetastet in der Scheide stecken. --
    Unrecht hätte man ihm gethan, wenn man eine Beleibt heit außerordentlichen Mahlzeiten zugeschrieben. Er aß im Gegentheil sehr wenig, wie überhaupt Alle, denen das übermäßige Trinken zur zweiten Natur geworden ist, zu thun pflegen. --
    Verliebt war er bis über die Ohren und schon der Anblick einer Schürze und einer wenn auch bestrumpften Wade konnte ihn außer Fassung bringen. Deshalb lag er auch am liebsten mit halbem Leibe aus dem Fenster, wenn es regnete und die schmutzigen Straßen das zarte Geschlecht zwangen, ihre Kleider in die Höhe zu lüpfen. Dann zwinkerte er vergnügt und über selig mit den Augen und wünschte die Sonne hinter alle Berge.
    Obwohl er sich für einen Weltmann „comme il faut“ hielt und seinen Freunden ein Urtheil über Theater und Musik oft auf sehr handgreifliche Weise aufdrang, so hatte er das Theater seit seinem siebenjährigen Aufenhalt in New Orleans doch nur ein Einzigesmal besucht und sogar bei dieser Gelegenheit wartete er nicht das Aufziehen des Vorhanges ab, sondern lümmelte so lange auf der Bare im Büffet herum, bis seine Freunde sich genöthigt sahen, das „alte Haus“ in einem Cab fortzubringen.

 

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    Tags darauf konnte er das gegebene Stück nicht scharf genug tadeln, und erging sich in schwulstigen Phrasen über die mehr als geringen Leistungen französischer Schauspieler. --
    In Toulousestreet wohnte seit mehreren Monaten Orleana, das schönste deutsche Creolenmädchen *), das noch je in Louisiana das Licht der Welt erblickt.
    Ihre Eltern, die Beide in New-Orleans geboren, wurden an Einem Tage vom gelben Fieber dahingerasst und hinterließen ihr außer einem blühenden Geschäfte, das Orleana jedoch sehr bald in andere Hände übergab, mehrere werthvolle Grundstücke, im regsten Theile der Stadt gelegen.
    Schon zwei Monate nach dem Tode ihrer Eltern setzte Orleana sämmtliche Grundstücke mit bedeutendem Gewinn in baares Geld um, kaufte sich nach ihrem eigenen Geschmacke ein Haus in Toulousestreet und lebte von den nicht geringen Interessen des noch übrig gebliebenen Capitals. --
    Wenn es wahr ist, daß man aus der Lectüre den mehr oder minder hohen Grad unserer Bildung ersehen kann, so muß Orleana eine gute Erziehung genossen haben; denn auf ihrem Kaminsimse sieht man die Poesien der Mistreß Hemans und die Memoiren von St. Helena von Las Casas und in ihrem Schooße liegen die „Propyläen“ von Göthe. -- Ein vortrefflicher Wiener Flügel und eine über demselben hängende Guitarre zeugen für musikalischen Sinn. --
    Orleana lebte ein stilles, keusches Leben und besorgte ihren kleinen Haushalt mit Hülfe einer alten Sclavin, die sie von ihren Eltern ererbt. Ihr Herz war noch frei und kein Mann konnte sich rühmen, von ihr nur die geringste Bevor zugung oder Begünstigung erhalten zu haben.
    Sie hatte mehrere reiche Verwandte in der Stadt, deren Besuch ihr stets lästig war, da er nur darauf abzielte, sie zu einer vortheilhaften Heirath zu überreden. Besonders waren es die Söhne zweier angesehener Kaufleute, die sich berechtigt glaubten, auf ihre Hand Ansprüche machen zu dürfen. Sie
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   *)    Es ist ein großer Irrthum, den sogar Washington Irving begeht, daß man
die Bezeichnung „Creolen“ nur auf französisches Blut überträgt. Wenn man
die ursprünliche Bedeutung dieses Wortes in Betracht zieht, das einen „hier
Erzeugten“ bedeutet, so wird es paradox klingen, wenn man auch von spanischen,
deutschen und Indianer-Creolen spricht. Die Benennung „Creolen“ nur auf die
Abkömmlinge einer vergangenen fanzösischen Colonistengeneration überzutragen,
wie es übrigens gewöhnlich geschieht, zeigt von leichter Kenntniß unserer
Racenverhältnisse, Ein Kind von deutschen Eltern in Louisiana geboren, ist ein
Creole. Ebenso ist ein Creole ein Kind, das aus der Vermischung eines Weißen
mit einer Indianerin entstanden -- aber nicht umgekehrt; da nur die weiße
Farbe des Erzeugers das Kind zum Creolen stempelt.

 

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wußte aber die zudringlichen Bewerber immer in gehöriger Entfernung zu halten.
    Orleana war reich, jung und schön; lauter Vorzüge, die man zu schätzen verstand. --
[LSZ - 1854.01.17]
    Von Orleana hatte auch der Büchsenspanner gehört und da sie, wie er sich ausdrückte, eine Landsmännin von ihm sei, so glaubte er um so mehr das Recht zu haben, für sie zu schwärmen und um ihre Liebe zu buhlen.
    „Denn“ sagte er zu sich: „gesetzt auch den Fall, ich wäre nicht schön, so bin ich doch wenigstens interessant und zudem noch ein Landsmann -- was mehr, um mir ihr Herz zu gewinnen?“
    Heute war er nun fest entschlossen, der schönen reichen Landsmännin ein Ständchen zu bringen. Zuvor mußte er sich aber in eine erhöhte Stimmung versetzen, da ein Lied, das austrockner Kehle kommt, nach seinem Dafürhalten durchaus nicht zum Herzen dringt.
    Aber mit welchem Liede follte er seine Landsmännin über raschen; welches möchte wohl auf sie den meisten Eindruck machen?
    An Liedern fehlte es ihm nicht, d.h. nicht an gedruckten und geschriebenen; denn er besaß einen ganzen Berg von Burschenliedern, worunter auch mehrere feurige Commercelieder sich defanden. Er durchstöberte einen ganzen Schatz, bestimmte bald dies bald jenes für die Serenade, verwarf die erst gebilligten dann wieder, bis er endlich nach einer Stunde Abmühen und Schwitzen das Rechte gefunden zu haben glaubte. „Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein!“ das muß einen nie gefühlten Zauber auf ihr noch unschuldiges Herz ausüben, rief er sich zu und pfiff sich zum Versuch gleich mehre Male hinter einander die Melodie vor. „Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein“: wie gefühlvoll und sinnig -- gehörig vorgetragen und noch dazu mit Begleitung der Guitarre, muß es einen unverwüstbaren Eindruck auf jedes noch unverdorbene Gemüth ausüben --“.
    So philosophierte er noch lange fort und nahm von Zeit zu Zeit einen tüchtigen Schluck aus einer Korbflasche. Als er seine Guitarre stimmen wollte, bemerkte er zu seinem nicht geringen Entsetzen, daß zwei Saiten an derselben gesprungen waren und O Grauen über Grauen, der Resonnanzboden hatte einen großen Riß.

 

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    Dieser Riß entstand dadurch, daß er die letzte Nacht, als er in etwas begeistertem Zustande nach Hause kam, eine Ratte mit seiner Guitarre erschlug.
    Hätte der Büchsenspanner nur etwas weniger in seine Korbflasche gesehen, so würde er zu dem Schluß gekommen sein, daß für diese Nacht keine Rede davon sein könnte, Orleana ein Ständchen zu bringen.--
    Wir haben schon früher bemerkt, daß der Büchsenspannerauch Dichter war; nur beging er oft die unverzeihliche Ungeschicklichkeit, seinem Hippogryphen keine Kanthare anzulegen.
    So raisonnierte er auf folgende Weise:
    „Da es, um für seine Schöne zu schwärmen, von nicht geringem poetischen Werthe ist, statt eines fröhlichen Herzens ein zersprungenes zu haben oder auch einen Riß mitten durch das Herz,was das Nämliche ist, und da unsere gefeiertsten Sänger und Paladine in hundert und abermal hundert Liedern die „zersprungenen Herzensaiten“ erwähnen, so ist es nur ein schönes Symbol meiner Liebesleiden, wenn ich meiner Landsmännin mit einer zerbrochenen Guitarre ein Ständchen bringe.“
    Jetzt erfolgte wieder ein Schluck aus der Korbflasche.
    War er bisher dichterischer Pedant, so wurde er nun ein frivoler Abbé Chaulieu. -
    Was doch diese verschluckten Geister für eine Wirkung hervorbringen können! Den Dummsten machen sie witzig und das Phlegma wird genial.
    Der Büchsenspanner stand fix und fertig, seine Guitarre unter dem Arm, einen Heckerhut phantastisch aufs linke Ohr gesetzt und aufgestülpt.
    „Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein!“ pfiff er vor sich hin, als er aus der Thüre auf die Straße trat.
    Die Straßen waren schon still.
    Die frische Nachtluft wirkte so belebend auf ihn, daß es ihm vorkam, als hätte er Flügel an den Füßen; ja es schien ihm, daß selbst die Gaslichter, die Häuser -- Alles mit ihm der Toulousestreet zueilten.
    Vom Pfeifen ging er zum Declamieren über und man muß wirklich gestehen, daß er sich hierin selbst übertraf.
    „Schöne Frauen von New-Orleans“ so ließ er seiner Phantasie freien Lauf „ich liebe Euch wegen des schelmischen Blicks, mit dem ihr so oft kokettiert -- -- ich -- -- ich liebe Euch wegen Eurer naiven Sünden -- -- ich liebe Eure

 

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Kinder, die Repräsentanten uneigennütziger Liebe und Sinnlichkeit,- - ich liebe Euch wegen der Prickelhitze auf Euren sammtnen Schultern, die Euch der glühende Helios wund geküßt -- -- ich liebe Euch wegen des Puders, der meinen Flaus weiß färbt -- -- -- ich liebe Euch wegen der Eau de Cologne in Euren Hemden und Strümpfen -- -- schönste -- -- schönste Blumen im Palmettoboudoir von Louisiana, ich liebe Euch mit aller Glut eines Botanikers; denn die verwelkten Stiele und Blätter in meinem Herbarium sind das Evangelium meiner transatlantischen Liebe. -- --“
    „Toulouse Street? Hm,Hm -- -- das muß Toulousestreet sein!“ Wankend sah er sich nach Jemanden um, den er befragen könnte.
    „Damn'd! da bin ich schon zu weit die Straße heruntergegangen -- -- doch -- halt! hier -- hier ist die „Rheinpfalz, hier die „Stadt Mannheim“ und hier „Victor's Restaurat“ --- nun das ist einmal jetzt schur, daß ich zu weit heruntergekommen bin -- und wo wohnt meine Landsmännin -- -- -- so-so, die haben noch Licht bei Victor's -- da muß ich noch einen „kleinen“ mit auf den Wegzurücknehmen.
    Der Büchsenspanner pochte zwei-drei-viermal an die Thüre des Restaurats, aber umsonst. Man öffnete ihm nicht.
    „Den Kerl will ich bankerott machen -- -- warte Hallunke -- -- verdammt will ich sein, wenn ich noch einmal ein Souper bei dir nehme, drohte er mit geballter Faust den verschlossenen Thüren.
    Bei dem Büchsenspanner trat nun das Stadium ein, wo ein Betrunkener anfängt, brutal zu werden.
    Seine Einbildungskraft flog nun auf das Extrem über.
    Er erging sich nicht mehr in Vergötterungen von schönen Frauen, sondern schimpfte wie ein Rohrsperling
    Als er an der Office der „Deutschen Gesellschaft“ vorüderkam, schlug er seine Guitarre an die Thüre und brüllte:
    „Nun, wenn ihr was wißt, "da drinnen -- ihr deutsche Gesellschaft -- -- wo ist denn das Haus meiner Landsmännin? -- -- ihr, ihr seid mir die rechte Sippschaft -- -- ihr, ihr? Ihr möchtet wohl ein paar Dollars vorausbezahlt haben und dann würdet ihr mich doch nicht hinführen.-- -- Sieht das Nest nicht aus! So schmutzig, so infam und schmierig, daß sich ein anständiger Mensch schämt nur vorbeizugehen -- -- -- he, he, deutsche Gesellschaft -- heraus -- -- -- wo wohnt meine

 

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Landsmännin?„ -- -- -- O, so, ihr seid ja nie zu Haus -- -- -- adieu, -- -- --“
    Bald stolpernd und in die Höhe springend, wenn er anstieß, bald mit einer Guitarre in der Luft herumfuchtelnd, ging es einige Squares weiter.
    Hätten jetzt nicht die Töne eines Piano an sein Ohr geklungen, er wäre wieder bei Orleana's Haus vorübergegangen.
    „Halt, halt -- hier -- wie meine Landmännin schön spielen kann,“ warf er, gerade nicht sehr leise, vor sich hin, nachdem er sich Haus, Thüren, Balkon u.s.w. genug besehen hatte.
    Dann rief er mehrere Male mit dem höchsten Pathos den Namen seiner Landsmännin und zuletzt so laut und durch dringend, daß es kein Wunder war, wenn Orleana plötzlich zu spielen aufhörte und ihre Sklavin weckte.
    Eben wollte er „Es zogen drei Bursche ..“ beginnen, als er, von tüchtigen Faustschlägen getroffen, beinahe hingestürzt wäre, hätte ihn nicht die naheliegende Mauer, an der er seinen Kopf heftig anstieß, in aufrechter Stellung erhalten.
    „Ich schlage dich todt, Hallunke, wenn du nicht gleich diesen Ort verläßt oder je wieder hieher zurückkehrt,“ donnerte ihm eine Stimme in französischer Sprache entgegen.
    Da aber der Büchsenspanner trotz seines siebenjährigen Aufenthalts in New-Orleans kein Wort französisch verstand, er aber ungefähr ahnen mochte, weshalb ihm so mitgespielt wurde, so schleppte er sich, so gut er es im Stande war, von diesem Orte weg, um in selber Nacht nicht mehr nach Hause zu kommen, sondern in der Calaboose zu übernachten. --
    Als er Tags darauf die ihm vom Recorder aufgelegte Geldbuße bis auf den letzten Cent entrichtet hatte und nun verdutzt nach Hause wanderte, verschwor er sich hoch und theuer, die ihm zugefügte Unbill zu rächen und einem Nebenbuhler die Lust zu vertreiben, ihn wieder beim Ständchen-Bringen zu stören. -- Seine Glut für Orleana aber war durch dieses Hinderniß nur noch mehr angefacht. --
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Siebentes Capitel.

Parasina Brulard-Hotchkiss.

    Wir geleiten jetzt den Leser in die dritte Municipalität, wo er gewisse Verbrechen begehen sehen wird, welche in und

 

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um New-Orleans zwar ziemlich häufig vorkommen mögen, nichts desto weniger aber schaudererregend und entehrend sind. Robber's Roost und ähnliche Schlupfwinkel und Höhlen des Lasters in St.Louis sind Feentempel gegen die Behausung der berüchtigten Negresse Parasina Abigail Brulard oder Hotchkiß -- wie sie die Amerikaner nennen -- im östlichen Theile der dritten Municipalität.
[LSZ - 1854.01.18]
    Wem das schändliche unsittliche Treiben der Farbigen in New-Orleans kein Geheimniß mehr ist, der wird auch nicht so sehr schaudern, wenn wir ihn an einen Ort führen, wo die unnatürlichsten Sünden als ganz gewöhnliche Beschäftigungen betrieben werden und das Laster in seiner vollen Glorie und Herrlichkeit auftritt. Es wird ihn nicht wundern, wenn er die ungezügelte Frivolität afrikanischer Schönen die Grenzen des Anstandes, wie sie Civilisation und unentweihte Natur vorzeichnen, so keck überspringen und sie vom glühenden Strome eines tobenden Sinnlichkeitsvulkanes überfluthet sieht. Für die jenigen aber, denen im Süden nur die goldenen Früchtem der Orangenbäume und die hellstrahlenden Blumen der keuschen Magnolien entgegenlächeln und die kein anderes Grauen kennen, als den aufgesperrten Rachen eines Alligator oder den giftigen Biß einer Congo -- für die mögen die Farben von dem Gemälde, das wir jetzt entwerfen, allerdings zu stark aufgetragen sein. Sie werden an der Wahrheit des Geschilderten hartnäckig zweifeln und uns anklagen, die Hoheit des menschlichen Geistes verlästert und seine Würde in den Staub getreten zu haben.
    Diese unschuldigen Kinder des Paradieses ersuchen wir, dieses und das folgende Capitel zu überschlagen und zu warten, bis wir das neunte beginnen. -- Wir haben uns lange besonnen, ob es nicht zu gewagt sei, diesem Capitel einen Raum in unserm Roman zu gestatten, da noch sehr Viele das „verschleierte Bild“ anbeten, ohne auch den Muth zu haben, es zu lüften. Unsere Zeit ist aber schon längst zu der Philosophie gekommen, daß mit dem Verschleiert ein nichts mehr gewonnen wird und daß das Erkennen bei weitem nicht so gefährlich ist, als es uns einst eine düstere Religionsanschauung vorgelogen hat. Wenn wir auch unter dem Schleier zu wilden Bestien entartete Menschen finden, so ist es noch immer besser, wenn wir sie in ihrer ganzen Häßlichkeit sehen, als daß wir nur ihr Geheul und Grinsen hören und uns vor Angst hinter die zweideutige Schürze einer Amme verkriechen. „Das Laster in

 

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seiner Nacktheit gemalt, führt zur Menschenkenntniß; bloße Anspielung und zarte Verhüllung zur Confusion. --
    Im östlichen Theile der dritten Municipalität steht ein großes Gebäude von Backsteinen aufgeführt, in der Form eines länglichen Parallelogrammes. Die vielen großen Thore, die an der Frontseite des Hauses, welches gegen Süden liegt,angebracht sind, findet man beständig verschlossen und der Muthwille hat sie dergestalt beschmutzt und mit den verschiedensten Carricaturen und Inschriften bekleidet, daß die ursprünglich grüne Farbe derselben nur noch an wenigen Stellen zu erkennen ist. Dieses Gebäude, in dessen erstem Stock nirgends ein Fenster zu finden ist, hatte noch vor einigen Jahren zu einer Tabacksniederlage gedient, und kam im Jahre 1847 durch eine Versteigerung an die jetzige Eigenthümerin, die freie Negresse Parasina Brulard. Dieses Gebäude wurde damals für sie um den enormen Preis von fünfzehn tausend Dollars erstanden. Wenn man bedenkt, daß der ganze erste Stock nur in einem einzigen Raume bestand, in welchemman nur die aufstrebenden nackten Balken ohne jede andere Decoration bemerkte; wenn man bedenkt, daß die große Anzahl von Zimmern im zweiten Stocke nur aus Bretterverschlägen von der nachlässigsten Construktion, ohne alle weitere Wohnlichkeit und Bequemlichkeit, bestanden, so muß man wirklichstaunen, daß sich Jemand beifallen ließ, dieses Gebäude für einen andern Zweck als für ein Depot zu kaufen. Man glaubte Anfangs, Madame Brulard würde den untern Stock, vermiethen oder auf irgend eine andere Weise mit der Benützung desselben spekulativ zu Werke gehen. Nun war aber schon ein ganzes Jahr verstrichen und das Haus stand immer noch öde und still da. Nirgends das geschäftige Treiben, wie vorher, keine Drays, keine Clerks, keine Commissionaire -- nichts von alledem war vor und in dem Hause zu bemerken. Die Thüren blieben jetzt wie zuvor geschlossen. Die Leute konnten denken, was sie wollten, und die schwarze Dame hatte ebenfalls das Recht, über ihr Eigenthum zu verfügen wie sie wollte. Einen ziemlich geräumigen Hof an der hintern Seite des Gebäudes schloß eine dreizehn Fuß hohe Mauer ein, in der eine kleine Thüre angebracht war, zu der wieder eine drei Fuß hohe Treppe führte. Das war der einzige sichtbare Eingang, da die Thore der Frontseite, wie bereits erwähnt, nie geöffnet wurden. Wir wollen uns jedoch nicht länger bei der

 

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äußern Beschreibung dieses Ortes aufhalten, sondern gleich einen Blick in das Innere werfen.
    Die große Flur im Erdgeschosse, welche die ganze Länge und Breite des Gebäudes einnahm, und deren Uebersicht durch keine Partitionen oder Abtheilungen gestört wurde, war von Madame Brulard in Einen Schlafsaal verwandelt, auf dessen mit Strohmatten bedeckten Dielen hunderte von Matratzen herumlagen. Einen auffallenden Contrast zu der mehr als cynischen Einfachheit dieses ungeheuren Schlafsaales, desen nackte Wände nicht einmal übertüncht waren und desen Plafond die rohen Balken und Latten sehen ließ, bildeten mehrere an 6“ hohe Ankleidespiegel, die immer je zwei zu zwei so gestellt waren, daß die sich Ankleidende gerade so gut von vorne als von hinten sehen konnte. Diese Spiegel hingen jeder zwischen zwei Gueridons, in deren Vertiefungen das Material zur Beleuchtung des Schlafsaales sich befand, was hier unumgänglich nothwendig war, da die Dunkelheit des Ortes sonst kaum die Umrisse des Körpers deutlich sehen ließ; diese Gueridons vertraten hier die Stelle der beiden Säulen, zwischen denen solche Spiegel gewöhnlich angebracht sind und hatten den Vortheil voraus, daß das von denselben ausströmende Licht keinen störenden Refler für die Toilette machende Person hervorbrachte.
    Es war an einem Sonntag Morgen. Im Schlafsaale herrschte bange, unheimliche Ruhe, nur hie und da unterbrochen durch das Geflüster einiger Mädchen, die, halb von ihrem einfachen Nachtlager erhoben, leise mit Einander Worte wechselten. Die Meisten waren noch in tiefem Schlummer versunken oder wälzten sich träge auf den bunt gewürfelten Decken.
    Zwei von ihnen mußten eben eingetreten sein; denn der vollständige Anzug und das mißmuthige Gesicht ließen schließen, daß sie die Nacht außer dem Hause zugebracht. Wieder andere hatte die Ungeduld aus den Betten getrieben, und standen im tiefsten Negligée vor den Spiegeln, um ihre Haare in Ordnung zu bringen. Es waren lauter junge Mädchen von 8 - 12 Jahren : Negerinnen, Mulattinnen, Mestizen, Quadroons -- kurz, alle Schattierungen farbigen Blutes. Wer so, ohne den Grund ihres Beisammenseins zu kennen, in dieser Stunde hereingetreten wäre, möchte an seinem wachen Zustande gezweifelt und geglaubt haben, irgend ein Gaukelwerk hätte ihm die Sinne verwirrt und er stände unter dem Zauberstabe irgend eines böswilligen Schwarzkünstlers. Hätte er alsdanu

 

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gelauscht und die leisen Gespräche der Erwachten vernehmen können, so hätte er zu seinem Entsetzen gesehen, daß hier von keiner Zauberei oder einem berauschenden Traumbild die Rede sei, sondern daß dies Alles wahr und wirklich sich zutrage. Er wäre zur gräßlichen Erkenntniß gekommen, daß er in eine scheußliche Höhle des Lasters getreten und daß die Leiber dieser schönen Mädchen verkauft und vermiethet seien. Er hätte die Besitzerin dieser Mädchen in seiner ersten Aufwallung erdrosseln können, ohne zu ahnen, daß er dann nicht mehr lebend diesen Schlupfwinkel des Lasters verlassen hätte. --
    Die beiden eben Angekommenen setzten sich, nachdem sie ihre Kleider abgelegt und ihre langen Hemden übergeworfen hatten, auf Eines der leeren Betten. In das Namensverzeichniß ihrer Gebieterin waren sie als Pharis und Elma eingeschrieben. Sie waren von mittelmäßigem Wuchse und ihre langen pechschwarzen Haarflechten schlangen sich um ihre vollen braunen Schultern. Die tiefschwarzen Augen, die dunkelrothen Lippen, die glänzend weißen Zähne, die bei jedem Worte, das sie mit Einander sprechen, sichtbar werden -- die runden schwelenden Formen ihres Körpers, von Lebenswärme durchdrungen und noch nicht durch den giftigen Hauch einer habituellen Prostitution erschlafft: das waren lauter Eigenschaften, die Parasina Brulard gut zu benützen verstand. War sie einmal bei guter Laune, so nannte sie diese Beiden ihre lieben „gold-chickens“, ein Schmeichelwort, dem sie eben nicht gewogen waren. Bei den übrigen Mädchen standen sie im großen Ansehen und die größten Mißhandlungen hatten die jenigen zu befürchten, welche Pharis und Elma beleidigten.
    „Pharis,“ sagte Elma, doch so leise, daß es die Andern nicht vernehmen konnten, „glaubst du denn wirklich, daß wir dem jungen Gentleman trauen dürfen?“
    „Was kann er mit uns vorhaben, Elma?“ erwiederte in einem bekümmerten Tone Pharis. „Wenn er auch ein Versprechen nicht hält, das er uns gegeben hat, so können wir doch in keine schlechtere Lage gerathen, als wir uns jetzt befinden. Ich gehe auf einen Vorschlag willig ein, mag dann geschehen, was auch will.“
    „Aber bedenke doch, welchen Qualen wir uns aussetzen, wenn wir wieder zurückgebracht werden sollten! Madame wird nicht eher ruhen, bis sie unserer wieder habhaft ist und ihre Verbindungen mit den großen reichen Gentlemen werden es ihr leicht machen. Ich kenne die Gesetze nicht, aber Celia, die vor einigen

 

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Wochen von einer Plantage zu uns kam, hat mir erzählt, daß ihr Bruder, der vor der Grausamkeit eines Massa nach Boston floh, wieder zurückgeliefert wurde und die fürchterlichsten Schmerzen hat ausstehen müssen. Das habe ich noch nicht vergessen!“
    Pharis schien einige Augenblicke nachzudenken, dann er wiederte sie in einem zuverlässigen Tone:
    „Man wird uns zwingen können, Elma, wieder in die Sklaverei zurückzukehren, aber man wird uns nicht nöthigen können, wiederholt ein so schändliches Leben führen zu müssen. Wir werden Madame anklagen und wir werden Recht bekommen!“
    „Anklagen? -- -- Recht bekommen? Weißt du denn nicht,“ fuhr Elma bitter fort, „daß Wir kein Recht haben und nicht klagen dürfen?“
    „Warum denn nicht? Für was sind denn die Gerichte, die Advocaten und alle diese weißen Gentlemen? Wenn ich Unrecht erduldet habe, soll ich nicht auch klagen dürfen? Macht die Farbe da auch einen Unterschied?“
[LSZ - 1854.01.19]
    Ein starkes Pochen, das vom obern Stockwerke zu kommen schien, unterbrach sie in ihrem Gespräche und alle Mädchen, bei achtzig an der Zahl, die noch auf ihren Matratzen ausgestreckt lagen, sprangen wie auf ein Commandowort auf, kleideten sich in ihre langen weißen Hemden und schlüpften in ihre Schuhe. Dann ging es an ein Waschen und Coiffuren vor den Spiegeln und in einem Nu standen sie fix und fertig da und stellten sich in gerader Linie in zwei Reihen den Schlafsaal entlang auf
    Dieses Manöver hatte seine bestimmte Bedeutung, wie man gleich sehen wird.
    Pharis und Elma hatten sich nebeneinander in die vordere Reihe gestellt.
    „Madame“ flüsterte die Erstere „wird heute kein Sünden geld von mir erhalten; der junge Gentleman versprach mir es erst bis nächsten Samstag auszubezahlen. Ich hoffe, Madame wird deshalb nicht erzürnt sein.“
    „Ich weiß es nicht,“ bemerkte Elma etwas lauter, „wie Madame gerade aufgelegt ist. Frage nur Hyderilla, die wird dir sagen, wie in einem ähnlichen Falle mit ihr verfahren wurde.“
    „Was sprecht ihr von mir?“ rief ein Mädchen von ungefähr acht Jahren mit einer hellen Kinderstimme.

 

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    „Elma meint, du wärest von Madame hart bestraft worden, als du dem reichen Pflanzersohn eine ganze Nacht creditiertest.“
    „Ja, das bin ich!“ rief lebhaft die kaum erst den Kinder schuhen entwachsene Mestize. „Von nun an laß ich mich aber immer vorausbezahlen. Ich könnte diese Strafe nicht zum zweiten Male mehr ausstehen. O, wie das brannte und stach -- -- und schreien konnte ich auch nicht, da man mir den Mund verband. Ihr wißt es doch Alle, wie ich damals geschunden wurde.“
    „Die arme Hyderilla!“ bemerkte theilnehmend eine Andere. „Sie hätte daran sterben können.“
    Madame Brulard mit einer Geldbörse in der linken Hand und einem Pocket-book unter dem rechten Arm trat herein. Ihr zur Seite ging ein schmächtiges Männchen.
    Die Persönlichkeit dieses Weibes mußte Jeden, der sie so zum Erstenmale sah, aufs höchste überraschen. Es wäre eine vergebliche Mühe, ein tantalisches Haschen nach treffenden Worten, die volle Gewalt zu schildern, die Parasina schon bei ihrem bloßen Erscheinen auf ihre armen Schlachtopfer ausübte. Der Anblick des Venerabile, vom Priester einer gläubigen Menge prostituiert, hätte keine tiefere Stille hervorzaubern können. Ganz deutlich konnte man das Athmen der schwarzen und braunen Leiber vernehmen. Ihre Blicke flogen scheu und ängstlich umher und wagten kaum auf der Gebieterin zu haften. Wer sich in seiner Phantasie je so hoch verstiegen hat, das Bild der babylonischen Hure auszumalen und in der Erinnerung festzuhalten, würde hier ihre Doppelgängerin gefunden haben.
    Madame Brulard war eine stämmige, an sechs Fuß hohe Gestalt, deren volle und saftige Formen durch die nachlässige Verhüllung ihres Körpers strotzend hervortraten. Ihre Hautfarbe, deren Glanz und Schwärze mit Sammet und Ebenholz wetteiferten, wäre sehr treffend mit dem dunklen Harze zu vergleichen, das von den glühenden Strahlen der tropischen Sonne übergoldet wird. Die großen schwarzen Augen, welche, wie die Secundenzeiger auf dem weißen Grunde einer Uhr, die trägen Minuten hinter sich lassen und beständig vorausflackern, werden von langgefranzten Wimpern überschattet, in denen der kecke Sohn der Cythere seinen Sitz aufgeschlagen hat. Aus dem halboffenen feuchten Munde von heller Purpurröthe, glitzert das Email ihrer untadelhaften Zähne. Ihre Brüste

 

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heben sich und wogen wie der Ocean in einer schwülen Gewitternacht. Um ihren Kopf windet sich eine Art Turban von carmoisinrother Seide mit feinen, schwarzen Streifen durch zogen. Die Ohren zieren goldene Ringe, die bis auf die halb entblößten Schultern herabfallen. Das schon mehrmals erwähnte „lange Hemd“ von der Reinheit des frischgefallenen Schnee's ist um die Taille mit einer grünseidenen golddurch wirkten Schnur eingebauscht, deren Quasten bis unter das Knie herabsinken. Ihre Füße bedecken Moccasins mit hellblauen Schleifen und Perthen geziert. Am kleinen Finger funkelt ein Diamant.
    Ihr Begleiter, der wahrscheinlich die Nacht bei ihr zugebracht, war so klein, daß er Madame Brulard kaum an den Busen reichte. Er war in einen langen schwarzen Rock gekleidet, bis an den Hals zugeknöpft und trug einen schwarzen nach oben schmäler zulaufenden Strohhut. Seine ganze Haltung, die, schlaffen Gesichtszüge, der unstete, unsaubere Blick, der beständig die Mädchenreihen musterte, beurkundeten einen physisch zu Grunde gerichteten Mann. Sein Kopf war sehr klein, die Augen tief in den Höhlen versteckt und die Wangen dunfig aufgetrieben. Sein Gesicht hatte jene zweideutige Carnation, die zwischen der eines gelben Fieber-Reconvaleseenten und ausschweifenden Wüstlings getheilt war. Seine Hände waren klein und von untadelhafter Weiße und Zartheit -- wohl das Schönste an der sonst so jämmerlichen Gestalt.
    „Belvidere, Deidamia, Celestiella, Wales, Adelaide, Springer, Hannah, Gizard, Jane, Eliza, Diana, Adeline, Lydia, Penelope, Harry und Semiramis haben noch die Rückstände von der vorigen Woche zu berichtigen!“ ertönte die männliche Stimme der Madame Brulard, indem sie dabei eine officielle Miene annahm, die ihr jedoch -- nebenbei gesagt -- sehr schlecht stand.
    Die bei ihren Namen. Aufgerufenen übergaben ihr je nach ihrem Verdienste größere oder kleinere Summen Geldes, das flink in die aufgehaltene Börse Parasina’s glitt.
    Pharis stand zitternd neben Elma; denn die Gesichtszüge ihrer schwarzen Gebieterin schienen ihr heute keine Schonung zu versprechen. Sie dachte an die von Hyderilla überstandenen Leiden und mochte wohl ein Gleiches ahnen. Elma tändelte mit ihren schwarzen Haarflechten und schien den kleinen Herrn gar nicht zu bemerken, der vor ihr stand und sie mit seinen gierigen Blicken zu verschlingen drohte.

 

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    Die Mädchen hatten sich diesmal sämmtlich sehr besorgt um Parasina's Geldbeutel gezeigt; denn halbe und ganze Eagles wanderten in Menge zum großen Sündenfond. Es waren noch zwei übrig, deren Erwerb Madame Brulard einzucassiren hatte. Es waren Elma und Pharis, die am äußersten Ende der Reihe standen.
    „Nun meine gold-chickens,“ begann sie mit widerlicher Freundlichkeit, indem sie dabei ihre beiden Reihen Zähne zeigte, „macht euch eures Namens würdig -- ein Hurrah für meine California Diggins!“ -- Der kleine Herr belachte pflichtgemäß den schlechten Witz der baechantischen Mänade und grinste dabei mit filzigem Behagen die beiden Mädchen an. Pharis und Elma senkten ihre Blicke. Die Letztere entsprach den Forderungen.
    „Nun Du zauderst, Pharis?“ herrschte Parasina, „heraus mitder Sprache! Ich hoffe nicht, daß du eine so schlechte K.... bist, wie Hyderilla .. es würde dir noch viel übler ergehen ..“ Während sie so sprach, fuhr sie mit ihren Händen über den zitternden Körper Pharis’s, um -- nach Geld zu fühlen. Als sie sich in ihren Erwartungen getäuscht fand, gab sie mehreren Mädchen Befehl, genau das Bett der Schuldigen zu untersuchen. Sie selbst beeilte sich, dem armen Kinde das Hemd über den Kopf zu streifen und an Stellen zu suchen, wobei sich Pharis die Augen mit beiden Händen zuhielt. Nachdem auch dieses fruchtlos abgelaufen, wurden der armen Pharis mit ihrem eigenen Hemde die Hände auf den Rücken gebunden und ihr befohlen, in Begleitung von Madame und dem kleinen Manne sich in's obere Stockwerk zu begeben.
    „Monsieur Dubrueil,“ begann Parasina zu dem kleinen Manne gewendet, indem sie jedes Wort nach dem bekannten Neger-Französisch falsch betonte, „wollen Sie nicht die Erecution an dieser Betrügerin selbst vornehmen? Treten Sie mit ihr in diese Kammer; hier ist Alles in Bereitschaft: Zangen, Nägel, Hammer, Bürsten und Stricke -- und wenn dies nicht zureichen sollte, so finden Sie hinter der Tapete jenes Kamines ein Universalmittel comme il faut. Ich verlasse Sie jetzt, um meine Kasse in Ordnung zu bringen. A revoir, Monsieur Dubrueil!“
    „Madame!“ rief Dubrueil dem Weibe, das eben in ein nahegelegenes Zimmer verschwinden wollte, nach, nachdem er vorher einen flüchtigen Blick auf seine Uhr geworfen hatte,

 

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„’s ist bereits acht Uhr -- um neun Uhr soll ich predigen! Will's lieber mit dem Abstrafen auf Abend verschieben.“
    Parasina brach bei diesen Worten Dubrueil's in ein schallendes Gelächter aus und hielt sich mit beiden Händen ihre Hüften. „Sie wollen heute noch predigen, Monsieur -- bitte, sagen Sie mir über welches Thema?“
    „Ueber das sechste Gebot!“ antwortete der Kleine, indem er seine Augen salbungsvoll nach Oben richtete.
    „Wird heute schlecht von Statten gehen,“ bemerkte Parasina, in Einem fort lachend.
    „Fürchten Sie nichts Madame! Der heilige Geist wird mir vorher in Gestalt eines Glases guten Cognac's erscheinen und mich begeistern. Jung gewohnt, als gethan. A revoir, Madame Brulard!“
    „Adieu, mein Herr Dubrueil! Die Betrügerin bleibt bis zu Ihrer Wiederkunft in der Kammer eingesperrt ... verlassen Sie sich darauf!“ --
    Dubrueil verließ das Haus der Negresse und eilte mit niedergeschlagenen Augen seiner Wohnung zu, von Zeit zu Zeit die Grüße der vorübergehenden geputzten Kirchengänger erwiedernd.
[LSZ - 1854.01.20]
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Achtes Capitel.

Ein Intermezzo.

und

Weitere Ereignisse bei Madame Brulard.

    Der Katholicismus hatte einst auch sein classisches Zeitalter, wie es die Mythologie unter den Griechen gehabt hat. Was waren die Kreuzzüge wohl anders, als eine Iliade? Ein poesiereiches, blühendes Leben verband die christlichen Völker und ihre Märtyrer und Heiligen waren damals noch keine Heuchler und Charlatane. Die unbefleckte Jungfrau war das Ideal der Frauen und der schwärmerischen Jünglinge und am Kreuzes stamme des Erlösers verblutete so manche gläubige Seele. Eine Wallfahrt nach Loretto war noch keine Gaukelei, kein formelles Possenspiel, keine unlautere Speculation für den Danaiden-Geldbeutel der Pfaffen. Verzückte Heilige glaubten wirklich an ihre Visionen und spielten so

 

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unschuldigen Betrug. Die liebliche Wahlverwandtschaft zwischen Abälard und Heloise konnte nur diesem Zeitalter entkeimen. Ein Raphael von Urbino konnte nur unter den wärmenden Sonnenstrahlen des Katholicismus eine reizenden Engelsköpfe und Madonnenbilder erschaffen. Der große Dante Alighieri konnte mit seiner Geliebten „höher und höher“ in den Himmel schweben; denn seine göttliche Komödie war von einem gläubigen Herzen dictirt *).
    Mit Boccaccio's „Decamerone“ schlich sich schon der kalte Scepticismus ein und der Dichter wurde zum grübelnden Scholastiker. Von dieser Zeit an hörte auch das Classische des Katholicismus nicht nur, sondern des ganzen Christenthums auf und mit dem Aufhören der Classicität hätte moralischerweise die ganze Posse von rechtgläubigem Christenthume enden sollen. Die Geschichte der Menschheit hätte sich dann wenigstens nicht die Schmach einer dreihundertjährigen Heuchelei aufgebürdet. Der Verstand benutzte das Christenthum nur noch zur Ausbeute und zu schändlichen Zwecken. Mit Ignaz Loyola stürzten sich die dämonischen Gewalten in die durch den unbewußten Glauben geheiligten Kirchen und vertrieben Ruhe und Friede aus der gläubigen Brust. Der geheiligte Schooß der alleinseligmachenden Kirche -- zur Zeit der classischen Periode des Katholicismus ein wahres und aufrichtiges Epitheton -- wurde zum Schindanger und zur Galgenstätte, auf welchen sich schwarzes Gezücht und schmutzige Stymphaliden herumtummelten. Moder- und Leichengeruch wurden das substituierte Parfum für Myrrhen und Weihrauch. **)
    Wie der Leser diese vorausgeschickten Raisonnements in Einklang mit diesem Capitel bringen wird, wie er überhaupt nur einen Funken von Dialektik und Logik in dem Gesagten finden mag -- das sind lauter Dinge, auf die ein Leser von „Geheimnissen“ vorbereitet sein muß. --
    Die alte französische Kirche an der Rampartstraße war heute gedrängt voll Menschen. Viele, die der enge Raum derselben nicht mehr fassen konnte, standen außerhalb auf den Stufen oder im Portale, um von hier mit erhobenen Zehen und vorgestreckten Köpfen der donnernden Rede des berühmten Predigers zu lauschen. An hundert Cabs, Volanten und


*) Arabeske zu einer in diesem Capitel erwähnten Predigt, deren Inhalt wir den Lesern jedoch nicht mit heilen, wenn wir uns auch durch die Unterlassung der Zeitungsetikette: „audiatur et altera pars“ eine Rüge zuziehen.
*) Zweite Controvers -- Arabeske zu genannter Predigt

 

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Buggies rollten heran und mußten wieder umkehren, da es den Darinsitzenden unmöglich gewesen wäre, sich durch die -- außenstehende Menge in die Kirche hineinzudrängen.
    Unter denjenigen, die einen bequemen und vortheilhaften Sitz in der Nähe der Kanzel einnahmen, saßen auch zwei in tiefe Trauer gekleidete Damen, von denen die Jüngere mit der gespanntesten Aufmerksamkeit die albungsvollen Worte des Predigers verfolgte und manchmal, wenn sie gerade ein Blick traf, tief erröthend zu Boden sah. Die ältere Dame saß steif und mit gegen den Altar gewendetem Gesichte auf einem gepolsterten Stuhle. Mit beiden Händen hielt sie das große schwarzsammetne Gebetbuch, das mit einem goldenen und mit Edelsteinen besetzten Schlosse versehen war. Von Zeit zu Zeit sah sie unwillig um, wenn sie nämlich der Lärm und das Gewoge an der Thüre in ihrer Andacht störte. An ihrem langen vollen Halse und den elliptisch geformten kleinen Ohren erkannte man leicht ihre schottische Abkunft.
    In den Gesichtszügen des Predigers prägte sich jener eigenthümliche Enthusiasmus aus, der wegen seiner forcierten Ercentricität den Menschenkenner zweifeln ließ, ob dieser Mann, der hier das Wort Gottes verkündet und strafend seinen Finger emporhebt, auch wirklich ein unbeflecktes Herz und einen reinen kindlichen Glauben in sich trage. -- So wenigstens dachte bei sich eben ein Mann, der hart an der Kanzel stehend, öfter zu demselben mit verhaltenem Grolle hinaufblickt und dann wieder auf Augenblicke die Andacht der Zuhörer zu mustern schien. Er war nicht hieher gekommen, um das Wort Gottes zu vernehmen oder sich von den phantastischen Auslegungen des Evangeliums erquicken zu lassen -- ihn trieb nur die Neugierde, den berühmten Prediger zu sehen und zu hören, in die ihm sonst verhaßten Räume. Zudem befand sich ja auch die engelschöne Miß Dudley Evans mit ihrer Mutter hier, der Abgott der katholischen Geistlichkeit in New-Orleans und der leidenschaftlich verehrte Gegenstand seiner Liebe.
    Wer ein für Kunst und Poesie empfängliches Gemüth besitzt, wird gewiß nie den Eindruck vergessen, den eine Madonna Raphael’s auf ihn gemacht hat. Miß Dudley Evans war ein solches Madonnenbild, mit allem Zauber einer frischen sich eben entfaltenden Rosenknospe und umflossen vom Heiligenscheine der Unschuld. Schon als kleines Kind in den gefährlichen Zauberkreis des katholischen Irrgartens hineingezogen, beseelte sie eine schwärmerische Liebe zur Mutter Gottes und ein unbegrenzter

 

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Gehorsam gegen die Priester, der zwar nicht für das Kind, wohl aber für die Jungfrau sehr gefährlich war. Von ihrer Mutter sehr oft zu strengen Bußübungen und Kasteiungen angehalten, hatte ihr Blick einen leidenden und schmerzlichen Ausdruck angenommen, der im Contraste zur rosigen Frische ihres Gesichtes einen unendlichen Reiz auf alle die ausübte, die sich in ihrer nächsten Umgebung befanden. Miß Dudley war das vollendetste Bild einer Heiligen und hätte sie einige hundert Jahre früher gelebt, so wäre sie gewiß wegen ihrer Frömmigkeit, noch mehr aber wegen ihrer unaussprechlichen Schönheit von irgend einem verliebten Pabste canonisiert worden. Sogar der blasierte König Salomo, der wollüstige Sänger des hohen Liedes, hätte bei ihrem Anblicke trotz seiner Weisheit wiederholt eine Sünde begangen und mit seiner lebensmüden Phrase: „alles ist eitel!“ noch einige Zeit zurückgehalten.
    Der Verkündiger des göttlichen -- doch nein, des entgöttlichten Wortes stand auf einem Schemel, da er wegen seines kleinen Körperbaues sonst kaum bis an den Rand der Kanzel gelangt hätte. In seinem Eifer bog er sich manchmal mit halbem Leibe über dieselbe heraus, als wollte er sich alle Augenblicke auf die Menge hinabstürzen. Seine kleinen Hände ballten sich krampfhaft zusammen, seine Augen rollten wie Feuerräder in ihren tiefen Höhlen herum, bald hob sich sein Körper, bald sank er wieder so weit unter den Horizont der Kanzel hinab, daß man nicht das Geringste mehr von ihm erblicken konnte; jetzt fährt er mit seinen beiden Armen in die Höhe und läßt entzückt seinen Blick nach Oben schweifen, jetzt ist er wieder ganz ruhig und kreuzt die Hände auf die Brust, dämpft den schrillenden Ton einer Stimme und senkt die Augen zu Boden; da fährt er auf einmal wieder wie besessen in die Höhe und geberdet sich wie der alte Ahriman oder wie ein wüthender Roland -das Alles im Verlauf einiger Minuten! Und was begeistert diesen heiligen Mann? Was Jeden von uns unter Umständen auch begeistern würde und zum Garrick auf der Kanzel machen könnte: ein derber Schluck Cognac.
    Wir lassen ihn füglich weiter predigen und wollen auch die Andacht der Zuhörer nicht stören. Wir bemerken nur noch so viel, daß die Predigt zwei volle Stunden dauerte und daß der begeisterte Kanzelredner mit einem kräftigen „Anathema sit“ gegen alle Ketzer schloß. --

 

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    Am Abend desselben Tages fuhr Herr Dubrueil, nachdem er in der Nähe der Pontalba-Gebäude in ein Cab gestiegen war, der dritten Municipalität zu.
    Der Zeiger auf der Cathedrale wies auf acht Uhr.
    Am sternbesäeten Himmel schwamm munter und selig die silberne Sichel des abnehmenden Mondes.
    Herr Dubrueil war heute in einen langen, braunen Paletot gekleidet und trug eine graue Mütze, die er bis über die Ohren herabgezogen hatte. Manchmal sah er zum Wagen hinaus und legte sich dann wieder ärgerlich zurück, indem er seine Füße auf den Sitz stellte und sie bis an die Brust heraufzog. „Der verdammte Mond aber auch!“ murmelte er dann in dieser zusammengekauerten Stellung. „Dieser Schurke scheint immer zur ungelegenen Zeit ... ein aufdringlicher Geselle! .... ein lästiger Beobachter .... sacre nom de Dieu ... ich kehre wieder um! ... He Boy, Garçon, boy he!“ rief er plötzlich dem jungen Kutscher zu, indem er das Schiebfenster zurück schob und sich halb aus dem Wagen herausbog: „Fahr” wieder zurück nach den Pontalba's!“
    „What do you talk about? d'mned my bloody soul be d..... back again?“ raisonnierte der whiskeyduftende Irländer, seine Pferde nur noch schneller antreibend.
    „Sacre nom de Dieu!“ fluchte der Andere wieder „he, he Garçon, boy, boy ... attendez un-peu! ... je vous donnerais deur Louis!... he, he, he Garçon ... sacre nom de Dieu ... ich will aussteigen!“
    Der Kutscher aber schien auf das wüthende Fluchen des kleinen Herrn gar nicht zu achten, sondern fuhr fort, seine Pferde anzutreiben, bis er an dem ihm zuerst von Herrn Dubrueil bezeichneten Orte ankam.
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    Das Cab hielt jetzt still.
    „Hier wohnt die Putzmacherin Boncoeur, Gentleman!“ sagte nun höflicher der unerbittliche Patrick, indem er auf ein zweistöckiges Framehaus zeigte, desen Fenster sämmtlich erhellt waren, „und gerade hier gegenüber wohnt Madame Brulard -- oder Hotchkiß, wie Sie wollen .. Soll ich Sie vielleicht noch bis vor die kleine Thüre in der Mauer fahren,“ bemerkte er schelmisch lächelnd weiter: „Hat verdammt schöne Mädchen diese Madame Brulard: He Gentleman, wie wär's, wenn Sie so großmüthig wären, mich mit einem solchen schwarzen oder braunen Engel zu treaten .. oh, und ein kleines Mestizchen ist drin, anyhow das schönste Kind im ganzen

 

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Parish von New-Orleans ... und die Semiramis erst! Die ist so schwarz, wie das Kind der Mutter Gottes in Altötting .. in ganz Irland hab' ich kein so schönes schwarzes Fleisch gesehen ... beim heil. Patrick, Gentleman, wenn ich die Semiramis kaufen könnte, ich gäbe meinen heiligen Namenspatron dafür ...“
    Herr Dubrueil biß sich vor Aerger in die Lippen; denn der irische Kutscher sprach diese Worte so laut, daß die Bewohnerinnen des Häuschens, in dem die Putzmacherin wohnte, ihre Fenster öffneten, um nach den saubern Vögeln zu sehen, die hier so laut und offen ihre Wünsche aussprachen. Um allen Unannehmlichkeiten und compromittierenden Tete a Tetes vorzubeugen, warf er dem geschwätzigen Irländer seine Geldbörse hin und verschwand in einer nahegelegenen Alley.
    Der erfreute Kutscher schlang die Zügel seiner Pferde um einen alten, einzeln dastehenden Fenceriegel und huschte mit der vollen Börse in das eben erwähnte Haus, dessen Bewohnerinnen ihn mit schallendem Gelächter aufnahmen und die Thüre hinter ihm zuschlugen.
    Wir lassen ihn in der Gesellschaft dieser, wie es scheint, ihm nicht ganz fremden Göttinnen und sehen uns wieder nach Monsieur Dubrueil um, der auf diese Weise freiwillig seine ganze Börse mit wenigstens fünfzig Dollars Inhalt eingebüßt hatte.
    Der kleine Mann hatte sich in einer an die Alley an stoßenden Lumberyard zwischen den aufgeschichteten Brettern versteckt und wollte hier abwarten, bis der vermaledeite Irish man mit einem Cab den Platz verlassen würde. Er horchte, aufmerksam nach jener Richtung hin, wo dasselbe stand, und hörte immer noch das ungeduldige Stampfen und Scharren der Pferde. Er wäre jetzt gerne aus seinem Schlupfwinkel zu Madame Brulard hinübergeeilt, aber er fürchtete, man möchte ihm aufpassen und einen Possen spielen. Zudem war es für den in der ganzen Stadt allgemein geachteten und beliebten Prediger ein zu großes Wagniß, an einem so verdächtigen Orte mit mehreren Personen zusammen zu kommen und bei dieser Gelegenheit erkannt zu werden. Der Versuch, die Alley entlang zu entwischen, um auf einem Umwege zu Madame Brulard's Haus zu gelangen, war ihm gleich Anfangs mißglückt. Der Ausgang derselben war nämlich durch eine querüberlaufende Bretterumzäunung versperrt und als er des ungeachtet versuchte, hinüber zu steigen, um so zu einem Ziele zu gelangen,

 

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fingen mehrere Hunde an zu bellen, worauf er sich wieder zum Rückzuge genöthigt sah.
    So mochte er wohl eine ganze Stunde in banger Erwartung zugebracht haben, als er wiederholtes „good bye, good bye!“ vernahm und gleich darauf einen Wagen die Straße hinabrasseln hörte. Zugleich schallte durch die schweigende Nacht die wilde Musik eines tollen, bacchantischen Tanzes und als er, ängstlich umblickend, auf die andere Seite der Straße hinüberschlich, bemerkte er zu einem höchsten Erstaunen, daß diese Töne aus dem Hause Parasina's kamen.
    „Was mag es da drinnen geben?“ schmunzelte er: „Sie hat mir doch heute früh kein Wort davon gesagt ... und was mag mit Pharis sein? Ein Tanzen und ein Wüthen, daß man ganz taub davon werden könnte ... ist wohl wieder der reiche Schelm von Buenos Ayres angekommen, dieser Wind beutel und Gaucho. Ich kann diese Südamerikaner nicht ausstehen ... ein freches elendes Volk das!“
    Wie ein Kater, der zur Zeit der Liebesperiode nach der schnurrenden Kätzin schleicht und leise auftappt, dann auf Einmal wieder große Sprünge macht, so schlich sich Herr Dubrueil dem Gebäude entlang hin und sprang mit einem Satze die Stufen hinauf, die zur kleinen Thüre in der Mauer führten. Rasch, doch leise drehte er den Schlüssel um und schloß ebenso sachte die Thüre wieder zu. Er blieb nicht einmal im Gange stehen, der rechts in den großen Schlafsaal und links die Treppe hinauf zu Madame Brulard's Gemächern und zu der Kammer führte, in der sich Pharis seit sieben Uhr Morgens eingesperrt befand. Ihn kümmerte jetzt wenig der rasche Flug der tanzenden Paare, noch die rauschenden Töne des üppigen Saraband. Der Schlüssel zur bewußten Kammer, den er in einer Seitentasche trug, ließ ihn nicht ruhen -- rasch eilte er die schmale, baufällige Treppe hinauf und öffnete die Thüre.
    Pharis stand nackt und mit auf den Rücken gebundenen Händen, gerade wie er sie verlassen hatte, neben einem offen stehenden Fenster und neigte den Kopf dreimal, als Dubrueil eintrat.
    Es war kein Licht in der Kammer.
    Der Mond lag wie der Geist einer abgeschiedenen Seele auf dem Schieferdache der großen Sündeneaserne und erhellte mit einem keuschen Scheine das unglückliche Mädchen. Als

 

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sich Herr Dubrueil ihr näherte, schloß sie die Augen und stammelte ein rührendes Gnade! Gnade! .....


    Als es draußen vom Thurme der katholischen Kirche zehn Uhr schlug, war das scheußliche Verbrechen bereits begangen und der Mond beschien eine himmelschreien die Sünde.
    Der Genius der Menschheit aber weinte und verhüllte trauernd sein Antlitz. --
    Wir finden Herrn Dubrueil indem nunzum Tanzsaale um gewandelten Schlafsaal im untern Stocke wieder. Die Ursache dieser außerordentlichen Festlichkeit und berauschenden Lustbarkeit war Parasina’s Geburtstag: der ein und dreißigste Januar.
    Der ungeheure Schlafsaal, auf dessen Dielen heute früh noch hunderte von Matrazen herumlagen, war während des Tages mit räthfelhafter Schnelligkeit und außerordentlichem Aufwande von goldenen Spiegeln, seidenen Vorhängen, Odalisken-Stübchen, Schmachtsophas, T* Stühlen, mit Sammet ausgepolsterten Hängematten, „contre deur,“ „Joli-jolies“ in einen feenhaften Tummelplatz verzaubert, auf dem Terpsichore mit losgebundenem Gürtel, Venus vulgativa, der weinduftende Bacchus, unfläthige Faunen und Satyre in der modernen Gestalt blasierter Flaneurs und fashionabler Calomelritter mit Einander fraternisierten.
    Dubrueil war ausgelassen lustig. Als Virtuose auf der Guitarre und dem Tambourin, mit einem ausgezeichneten Tenor begabt, wurde ihm in den Zwischenakten öfter Gelegenheit, seine Talente glänzen zu lassen und verdiente mit Recht den ihm von seiner Coterie ertheilten Namen eines „Troubadour.“
    Unter anderm forderte ihn Parasina auf, ein Vaudeville zu singen, dessen französischen mit amerikanischen Idiotismen untermischten Tert wir hier deutsch folgen lassen. Elma be gleitete den Gesang nach einem kurzen Vorspiele auf der Guitarre und ein rundes, frisches Negermädchen warf rasselnd und trommelnd das Tambourin:
„New-Orleans, auf deinen Porchen
Sitzen Ladies kreideweiß,
Nicht verlegen um die Schminke!
Calomel vertreibt den Schweiß.

Schlanke Neger stehn Parade,
Fächer in den fetten Händen;
Hier in jener Straße sind
Alle Häuser zu verrenten.

 

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Sommer ist ja vor der Thüre
Und die Hitze macht verlegen,
Nur das alte Laster schleicht
Träge noch auf staub’gen Wegen.

Statt der schönen Blumen blüht
Kautabak in allen Gärten
Und die schönste Lady nimmt
Kautabak sich zum Gefährten.

Will sie den Geliebten küssen,
Küßt sie doch nur Kautabak --
Whiskey dann und Julepp träufeln
Ab vom schwarzen Yankeefrack.

Eis und Soda sind die Thränen,
Die man auf die Todten weint
Und das Port-Monnaie die Liebe,
Die ein Yankee-Paar vereint.

An der Bare nur die Freundschaft,
Händedruck und Bruderkuß
Schwinden mit dem Treaten wieder --
Wie ja. Alles enden muß!

Schönste Stadt! Auf deinen Gräbern
Will ich mir ein Häuschen bauen,
Still in lauen Sommernächten
Deiner Straßen Oede schau'n.

Will die Wagen alle zählen,
Die den lieben Todten folgen --
Müde dann, von Bar zur Bare
All' mein bischen Geld verstrolchen;

Bis man mich aus meinem Häuschen
Selbst nach jenen Gräbern bringt,
Wo man' muß so stille
Und nur modrig Wasser trinkt:

Wo an einer großen Bahre
Der Verwesung Keeper steht
Und wer einmal hingetreten --
Nicht mehr aus der Bare geht.“
    Die Bacchanalien und wüsten Orgien dauerten bis an den frühen Morgen. Vereinzelt, in einander verschlungen und zusammengeknäuelt lagen Tänzer und Tänzerinnen, von feurigen moussierenden Weinen benebelt, auf den Teppichen und Ottomanen herum; ja, selbst Madame Brulard vergaß bei dem allgemeinen Durch- und Uebereinander ihre Würde und schnarchte, in unanständiger Stellung auf dem Boden ausgestreckt, wie eine unheilverkündende Lokomotive.
[LSZ - 1854.01.22]
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Neuntes Capitel.

Das wandelnde Kreuz.

    Die Negerkanone, die während der Wintermonate um acht Uhr abgefeuert wird und die Straßen von New-Orleans von dieser Zeit an zum Monopol der weißen Race macht, hatte bereits alle Sclaven, die keinen Ausweis von ihrem Master wegen ihres längeren Ausbleibens in ihrer Tasche trugen, nach Hause beordert. Nur hie und da sah man noch Einzelne

 

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in raschen Sprungen durch die Straßen eilen, um ihre allen fallsige Verspätung durch ein keuchendes Ankommen bei ihren Herrn vergessen zu machen.
    Ein trostloser und trauriger Tag war diesem Abend vorhergegangen.
    Unaufhörliche Regengüsse hatten in wenigen Minuten die Straßen und Banquets des untern Theiles der Stadt vollkommen unter Wasser gesetzt. Als gegen Abend die Wolken sich zertheilten und das Wasser abgelaufen war, wimmelte es in den Barrooms und vor den Cigarrenläden in der nächsten Umgebung von St.Charles Hotel von spekulierenden Faullenzern, Ladendienern, Clerks bei Cottonbrokers und Geldwechslern, angekommenen Fremden und den notorischen Dandies von New-Orleans.
    Das St.Charles Hotel trug damals noch auf seiner majestätischen Kuppel den zierlichen Monopteros, der diesem Gebäude ein höchst überraschendes Aeußere verlieh. Hier ist der Mittelpunkt des spekulierenden und politischen Treibens des amerikanischen Theiles unserer Bevölkerung. Hier werden Pläne zum Bauen von Eisenbahnen oder Anlegen von Canälen ausgesponnen und oft schon nach einigen Gläsern Cock-Tails und Brandies ganz artige Aktiengesellschaften geschlossen, deren Quelle, an der Bare vor gefüllten Gläsern sanctioniert, gewöhnlich mit dem Trockenwerden der Kehle auch wieder versiegt. Die Nachbarschaft des gegenüberliegenden Verandah Hotels trägt auch viel dazu bei, daß, wenn sonst die ganze Stadt zur Ruhe gegangen zu sein scheint, hier doch immer noch lebhaftes Treiben und Drängen zu finden sind. Ja, man findet bereits nach acht Uhr Abends die nächstgelegenen Straßen, besonders Camp-, Magazine- und Carondoletstreet fast ganz menschenleer, indem sich Alles was gesunde Beine hat und dem Getöse freund ist, auf das eben besprochene Terrain concentriert. Einem Dandy, mag er nun Loafer oder von der „upper ten“ sein, schmeckt eine Cigarre nur gut, wenn er an einer der Säulen des St.Charles Hotel gelehnt, auf die wogende Menschenmenge herabblickt und hie und da einem sorglos auf seinem Bocke sich hinflegelnden Cabtreiber den noch glimmenden Stumpen ins Gesicht werfen kann. --
    Für den Romantiker ist hier nichts zu finden und er muß seine Schritte zu jenen Plätzen im französischen Distrikt lenken, wo man „Domino à la poudre“ spielt und den Farbenunterschied nicht so genau nimmt. -- Wir aber wenden uns nach der uahegelegenen Magazinestraße.

 

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    Nicht nur jedes Gebäude von irgend einer Bedeutsamkeit, sondern auch jede baufällige Barracke nimmt bei einbrechender Dunkelheit und dem Flimmern des Gaslichtes eine eigene Physiognomie an, die von der bei Tage beobachteten ganz verschieden ist. Besonders ist dies der Fall, wenn sich irgend eine dunkle Begebenheit oder historische Reminiscenz daran knüpft.
    Unter allen Gebäuden von New-Orleans, das alte Kloster der Ursulinerinnen und die bekannte Residenz der freien Negresse Parasina Abigail Brulard ausgenommen, erschien wohl keines in der Nacht von so ominösem und geheimnißvollem Aeußern, als das der Atchafalaya Bank, gegenüber der Bank's Arkade,
    Jeder, der sich nur einigermaßen um die commerziellen Verhältnisse von New-Orleans bekümmert hat, kennt die Geschichte der Entstehung dieses Gebäudes, sowie auch das Wirken des damaligen Bankdirektoriums.
    Zur Zeit, als wir dem Leser dieses Gebäude vorführen, war es schon lange verödet und verlassen und der Wind fegte durch die zerbrochenen Scheiben und war Musik für die hier sich sicher fühlenden Ratten und Mäuse.
    Die Säulen, mit deneu eine Frontseite geschmückt war, waren von Sturm und Regen zerrissen und abgefegt und ihre Capitäler so zerbröckelt und abgetragen, daß es sogar für einen Architecten schwierig war, ihre Ordnung zu bestimmen.
    In das Giebelfeld hatte launisches Unwetter tiefe Furchen gezogen, die, vor kurzer Zeit noch gestaltlos, plötzlich nach einer stürmischen Nacht die Form eines Kreuzes angenommen hatten.
    Zur rechten Seite des Haupteinganges führte eine Treppe in den obern Stock und von da wieder auf entgegengesetzter Seite eine schmalere ohne Geländer in mehre Dachstuben. Diese Stuben waren, als die Bank noch wirksam war, von dem untern Stockwerke gewöhnlich durch eine Fallthüre abgeschlossen und öffneten sich nur dem Schlüssel der betreffenden Bankbeamten.
    Diese Fallthüre ist jetzt geöffnet und eine schwere eiserne Stange dagegengestemmt, um das Zuklappen derselben zu verhindern. Mehrere Stufen an dieser Treppe sind sehr schadhaft und durch querüberliegende Stuhlbeine sicher gemacht.
    Noch ehe man bis zur Hälfte diese Treppe erstiegen, streift man an ein Fenster vorüber, durch das die Hinterge bäude, die den schmutzigen Hofraum einschließen, bequem

 

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gesehen werden können. In diesen wohnt schon seit mehreren Monden eine Negerfamilie, die aus einem bereits grauköpfigen Mann, zwei Frauen und mehreren Kindern von sechs bis zwölf Jahren besteht. Eine Hütte, "an der noch eine lange Kette befestigt ist, deren Ringe aber halb im Schmutze vergraben sind, zeigt an, daß man es früher für nöthig erachtet, einen nächtlichen Beschützer zu haben. --
    Daß die Gebäulichkeiten im Hofe von einer Negerfamilie bewohnt waren, wußte wohl Jeder, der nur einigermaßen Ortskenntnisse von New-Orleans besitzt, wenn man auch nicht von der eigentlichen Ursache ihres Hier wohnens unterrichtet war. Anders verhielt es sich mit den Stuben im obersten Stockwerk. Daß diese bewohnt waren, ahnte wohl Niemand.--
    Ueber die beiden Fenster, welche diese Dachgemächer enthalten, zieht sich eine dunkelblaue Sammettapete, welche sie gänzlich verdeckt, so daß kein Lichtstrahl hereindringen kann und es also auch während des Tages einer künstlichen Beleuchtung bedarf. Die ursprünglich rohen Wände sind mit dem nämlichen Stoffe,der auf seinem Grunde zahllose Sterne zeigt, bekleidet.
    Der Fußboden dieser Gemächer, welche durch zwei spanische Wände mit verhängten Thüren von Einander getrennt sind, ist mit den kostbarsten Teppichen belegt.
    Polster, Ottomanen und Causeusen, eine mit rosarothem Sammet ausgeschlagene Hängematte, ein Divan von ziemlicher Breite, der von den feinsten Vorhängen ringsum eingeschlossen ist, ein Spiegel von drei Amoretten getragen, silberne zwölf armige Leuchter im Roccoco Geschmacke, nebst vielen andern Lurusgegenständen, zieren. Eine von diesen Stuben.
    Unbegreiflich bleibt es, wie diese Gegenstände an diesen Ort gelangen konnten, ohne von der Nachbarschaft bemerkt worden zu sein. Denn gewiß ist es, wie wir schon bemerkten, daß Niemand auch nur die geringste Ahnung davon hatte, daß in dem Hauptgebäude Menschen wohnten, geschweige, daß man vermuthen konnte, daß Pracht und Bequemlichkeit im obersten Stockwerk ihren Sitz aufgeschlagen.
    Wo man nur Ratten und Fledermäuse vermuthete, strahlte in feenhafter Beleuchtung sybaritische Herrlichkeit.
    Auf den weichen Kissen des Divans ruhen in halbaufge, richteter Stellung zwei Personen.
    Die eine ist ein junger Mann, kaum fünf und zwanzig Jahre alt, mit schönen langen blonden Haaren und großen himmelblauen Augen, die von langen an den Spitzen eingebogenen

 

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Wimpern halbverschleiert sind. Er hat seine glühende Wange an einen vollen Nacken geschmiegt und kämmt mit den Fingern einer rechten Hand einen üppigen Wald raben-schwarzer Haare.
    Bis auf ein kurzes Oberkleid von weißer Seide und einen silbernen Gürtel, der aus unzähligen feinen Ringen zusammengesetzt ist, ist er ohne Bekleidung.
    Ihm zur Seite, den rechten Arm um seinen Leib geschlungen, liegt eine Frauensgestalt, die schwelenden Formen mit rubinrother Seide verhüllt. Sie sieht in seine blauen Augen mit solcher Glut und solch innigem Verlangen, als wollte sie in ihnen wohnen und sie nie mehr verlassen.
    „Also schon sechs Wochen sind seit der Zeit verflossen, als ich mich in toller Laune in deine Kleider warf? Und doch ist's mir, als wären erst wenige Stunden dahingeschwunden --“ knüpfte. Sie wieder ein Gespräch an, das durch Liebkosungen einige Minuten unterbrochen war.
    „Wir werden heute noch darüber Aufschluß erhalten“, erwiederte der junge Mann, „er hat es uns auf heute noch versprochen.“
    „Wenn er zurückkommt, müssen wir ihn gleich darum bitten,“ fuhr sie fort.
    „Wer hätte das gedacht! -- -- -- Als ich mich vom Fenster herabließ und von einem Arme umschlungen war -- --“
    „Sei ruhig mein Herz -- ich glaube, er kommt schon die Treppe herauf -- -- es ist doch noch nicht seine Zeit -- --“
    Sie hielten sich Beide umschlungen und horchten. -- -- --
    Sie täuschten sich nicht.
    Die morschen Stufen der schmalen Treppe stöhnten und aus den verlassenen feuchten Räumen des untern Stockwerks trat der Ersehnte durch die Oeffnung der Fallthüre in die Wärme des üppigen Gemaches.
    Beide erhoben sich von ihrem Lager. Ehrfurcht und Liebe sprachen aus ihren Mienen.
    „Venus Urania beschütze Euch!“ bewillkommte sie der Eintretende, indem er auf. Beide zutrat und sie auf die Stirne küßte.
    Es war eine abgemagerte langgezogene Figur, den Ober körper etwas vorgebückt und die schneeweißen Haare unter einer Pelzmütze verborgen, die er bis an die Brauen herabgezogen hatte.
    Sein Antlitz war ein Bild unsäglichen Kummers und

 

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Leidens und trotz der Herzensgüte, die aus seinen Mienen sprach, beim ersten Anblick schaudererregend und abschreckend.
[LSZ - 1854.01.24]
    Vier Menschenalter waren schon über seinen Scheitel hinweggezogen, und noch immer trug er sich mit einer Hoffnung auf der Erde herum, die ihn vielleicht zum Grabe geleiten sollte.
    Seine ungeheuern Reichthümer datieren sich schon vom Jahre 1785. Vom See Ithaska bis zu den donnernden Wogen des Golfes, vom atlantischen Ocean bis zum stillen Weltmeere, allenthalben ist er herumgeschweift und kam als Heiland wieder in seine Geburtsstadt zurück.
    Er hatte die Goldadern Californiens und Australiens geöffnenge, lange Jahre vorher, ehe die Argonauten sich einschafen, um dort das goldene Vließ zu erbeuten.
    Jetzt steht er hier in einfacher Kleidung, über ein Jahr hundert hat an seine Schläfe gepocht -- und noch hat er die Erfüllung seiner Wünsche,die ihn von seiner frühesten Jugend an begleiteten, nicht aufgegeben.
    Er versucht jetzt den letzten Wurf und wenn ihm dieser mißlingt, werden ihn wohl eine weißen Haare in die Grube ziehen. -- --
    Lucy und Emil verbeugten sich unwillkührlich, als er sich zwischen ihnen niederließ. Der Alte begann:
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Zehntes Capitel.

Mantis religiosa.


    „Wundert Euch nicht darüber, daß alle Ereignisse, die seit mehreren Wochen zwischen Euch vorfielen, aus Eurem Gedächtnisse verschwunden sind. -- -- Wenn Ihr mir als den Urheber dieser Vergessenheit zürnen wolltet, so könnte ich Euch dies nicht verargen. Verhältnisse, die Euch unzertrennlich schienen, wurden durch mich zerschnitten und Ihr dadurch aus jener lügnerischen Lebenssphäre gerissen, die doch nur in Bälde Euer innerstes Seelenmark aufgezehrt hätte. -- --“
    Emil und Lucy’s Blicke hingen wie festgebannt an seinen Lippen.
    Der Alte fuhr fort:
    „Was seit jenem Abend und in jener Nacht, wo eine doppelte Verkleidung zu einer von Euch nie vorausgesehenen Entwicklung führte, vorgefallen ist, findet Ihr in diesen Papieren,

 

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    die ich Euch hier übergebe“ -- hier überreichte der Alte Emil ein rothammtenes Futteral, in das mehrere Papierrollen gesteckt waren -- „und die sich Euren Blicken nur erst nach meiner Entfernung von hier eröffnen dürfen. Ihr selbst werdet dann diese Räume verlassen und nie wieder hier zurückkehren. -- -- Die Hälfte meiner Reichthümer, immer noch genug, um den Hofstaat eines orientalischen Fürsten zu ernähren, werde ich Euch zurücklassen. Ihr werdet mit diesen Schätzen wieder unter die Gemeinheit und Niederträchtigkeit der Menschen zurückkehren; aber nicht mehr aus Noth gezwungen sein, durch irgend eine zweideutige Handlung die strahlende Schön heit Eures Leibes zu verfinstern. -- --“
    „Aber in jener Nacht, wo ich mich herabließ und -- --“ Emil sprach es nicht aus, denn Lucy warf ihm einen abwehren den Blick zu.
    „Als du in jener Nacht von den rohen Händen des Gesetzes ergrissen wurdest, da war ich in der Nähe; ich konnte es nicht dulden, daß durch die plumpe Hand eines Polizisten die Schönheit, die nur durch Mißverhältnisse abgehalten wurde, überall ihren erwärmenden Strahl auszugießen, verknittert werde“ -- fiel der Alte begeistert ein; dann tief aufathmend sprach er:
    „Nach Durchlesung dieser Papiere werden alle Umstände, die Eurer Vergessenheit anheimgefallen sind, wieder klar vor Eure Einbildungskraft treten und“ (indem er sich an Emil wandte) „du wirst die Namen Jenny, Frida, Albert und Karl wieder als Bekannte vorfinden.“
    Bei dem Nennen dieser Namen strich sich Emil mit der flachen Hand über die Stirne, als erwachte er aus einem schweren Traume. Es war ihm mit Einemmale, als sei dies bisher Vorgefallene nur Alles Blend- und Zauberwerk -- -- als habe er erst aus tiefem Schlafe zu erwachen
    Der Alte bemerkte dies.
    Er ergriff Emil’s rechte Hand und fast in ihm in überzeugendem und allen Zweifel verscheuchendsil" Tone:
    „Du irrst Dich, wenn Du hier zu träumen wir sonst oder gar glaubt, in die Hände eines Cagliostro oder irgend eines Schwarzkünstlers gefallen zu sein. Ich glaube, die Zeiten sind vorüber, wo man noch an dergleichen Blend- und Herenwerk glaubte. Ein aufgeklärtes Jahrhundert hat all' diesen finstern Wust von sich geworfen und übt seine Verstandeskräfte nur an den Gesetzen und den Erscheinungen der Natur. Auch hat man

 

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nicht nöthig, Vergessenheit aus Lethe's Fluthen zu trinken; wir haben das Mittel, das uns in selige Träume der Vergessenheit wiegt, ganz in unserer Nähe. Es ist nicht Opium, das die Nerven schwächt und die Denkungskraft des Menschen betäubt und im Uebermaße genossen, den Tod im Geleite hat; es ist nicht Olibanum, dessen wallende Dünste nur für Augen blicke herben Kummer vergessen machen, und die glühendsten Bilder der Ueppigkeit den gereizten Sinnen vorführen und so der Aqua Tossana ähnlich den Organismus vergiften. -- Es ist eine unscheinbare Pflanze an den Euch und der ganzen civilisierten Welt noch unbekannten Quellen des Red River: *)
    „Es ist die Mantis religiosa. -- -- --“
    „Schon zwanzig Jahre vor der ersten Expedition unter dem ersten französischen Consul sind mir die Quellen des rothen Flusses bekannt gewesen und ihre Entdeckung wäre von mir sicherlich der wissenschaftlichen Welt bekannt gemacht worden, hätte ich nicht in der Mesa, die diese Quellen wie ein gähnendes Grab umgiebt, dies Pflänzchen gefunden, das bisher nur von Büffeln, Panthern und Jaguaren berührt wurde und diese kostbarste, aber auch zugleich fürchterlichste Gabe der Natur enthält.-- --“
    Der Alte ließ Emil’s rechte Hand, die er bisher festgehalten, los und stieg durch die Oeffnung der Fallthüre rasch die baufällige Treppe hinab.
    In wenigen Secunden stand er wieder vor Emil und Lucy.
    Sie sahen Einander erstaunt und beängstigend an. Es war ihnen, als befänden sie sich vor einem Wesen höherer Art, das ihre Schicksale zu leiten vermöge.
    Der Alte zog eine große goldene Kapsel hervor, öffnete sie und hielt sie den Erstaunten hin.
    Sie erblickten sie gefüllt mit zahllosen kleinen Körnchen, deren jedes an Keimtheile bei genauer Besichtigung ein winziges dunkles Pl Ven enthielt.
    „Dashera wohl die Samenkörnchen der Mantis religiosa?“ frug mit untederückter Stimme Lucy, dabei ängstlich dem Alten in's Gesicht, schend.
    „Der Mantis religiosa?“ schien Emil ebenfalls fragen zu wollen; aber seine Lippen blieben geschlossen und er verschloß die Frage in sein Inneres. --
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*) Zur Zeit, als diese “wurden, hatte Capt. Marcy seine Entdeckungsreise
zum Aufsuchen der Quellen des Red River noch nicht unternommen.
Sie sind bis jetzt noch nicht bekannt. Alle Berichte hierüber, sowohl die von
A. von Humboldt bis weiter zurück, die des Lieut. Pike und Colonel Long aus den Jahren
1805, 1806 und 1812 sind durchgängig unbrauchbar. --

 

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    „Ja“ -- unterbrach der Alte sein Stillschweigen, „aus diesen Körnchen entsteigt die verhängnißvolle rosarothe Blüthe der Mantis Religiosa, deren Dufte Euch in’s Reich der Vergessenheit hinüberfuhrten. An mir selbst habe ich in jungern Jahren ihre Wirkung erprobt, aber jetzt, jetzt bin ich zu alt; sie verschwenden umsonst ihre Düfte für mich -- ja, alle meine Rückerinnerungen steigen jetzt um so unerbittlicher aus der Tiefe meines Gehirns hervor, dessen Kammern ich so oft verschloß. -- --“
    Eine Thräne perlte ihm bei diesen Worten aus den Augen. Mit gezwungener Stimme fuhr er dann fort:
    „Aber nicht nur besitzt diese Pflanze jene schmerzenstillende Eigenschaft, sondern sie trägt auch den Keim des Verderbens -- einer -- -- -- schrecklichen Seuche in sich. --“
    „Des gelben Fiebers?“ warfen unwillkührlich Emil und Lucy zugleich ein.
    „Ja! ich gebrauche sie als Rachemittel!“ erhob der Alte seine Stimme mit einer Feierlichkeit und einem Pathos, das Beide schaudern machte.
    „An Euch liegt es, einer weitern Verheerung vorzubeugen. Ich verlasse Euch noch heute und habt Ihr die Feuerprobe bestanden und bei Benützung der Reichthümer, die ich Euch hinterlasse, Eurer Schönheit keinen Mackel hinzugefügt, so werde ich Euch, wenn ich wieder hier erscheine, in einen Wir kungskreis einführen, der Euch bei der Nachwelt unsterblich machen wird. Denn wißt, es giebt hier Ketten zu zerbrechen -- -- und nur die Schönheit hat das Recht, sie zu zerbrechen und sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen, die, schon längst von mir ersehnt, endlich zur Reife gelangt ist. Nicht Eigennutz, Eitelkeit und schnöder Gewinn sollen einst die Beweggründe sein, um unsern Boden von einer Schandthat, die er an einem Theil der Menschheit verübt, zu befreien. Ihr sollt die Repräsentanten einer an brechen den Morgenröthe sein! -- --“
    Durch die Augensterne Lucy's und Emil’s flog es wie leuchtender Wetterschein und sie, die sich noch vor wenigen Wochen um die kleinlichen Interessen und Zwischenfälle des gewöhnlichen Lebens abgequält, flammten nun für ihre hohe Aufgabe, die sie an einem Theil der Menschheit zu erfüllen hatten. -- -- --
    Noch diese Nacht verließ sie der Alte.

 

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    Emil entrollte die Blätter, die ihnen derselbe hinterlassen und Lucy, an ihn geschmiegt, horchte mit gespannter Aufmerksamkeit der Enträthselung ihrer jüngsten Vergangenheit.
[LSZ - 1854.01.25]
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Eilftes Capitel.

Die Negerfamilie.


    Fast zur nemlichen Zeit, als der Alte sich zwischen Emil und Lucy niedergelassen hatte, um sie mit einer geheimnißvollen Pflanze bekannt zu machen, waren die Glieder einer Neger familie, die, wie unsere Leser sich aus einem früheren Capitel erinnern werden, im Hofraume der Atchafalaya Bank wohnten, in einem Gespräche begriffen, das wir um so mehr erwähnen müssen, als dadurch manches Dunkle an das Tageslicht gezogen und ein Ariadnefaden durch das Labyrinth späterer Vorkommnisse und Mißverhältnisse angesponnen wird.
    Um den Feuerplatz einer geräumigen Küche hatte sich, ein junges Mädchen von eilf Jahren ausgenommen, das, sinnend in einer Ecke, ihren rechten Arm auf eine Stuhllehne stützte, die ganze Familie gelagert.
    Das Haupt der Familie, ein grauköpfiger Neger, hatte sich in einem Lehnstuhl niedergelassen und wärmte seine Füße. Neben ihm zu beiden Seiten sitzen zwei Frauen in den mittleren Jahren und verzehren noch die Ueberreste eines frugalen Abendmahles. Eine andere Frau, in Jahren schon weiter vorgeschritten, hatte die Wollköpfe zweier Kinder unter sieben Jahren in ihrem Schooße, die ruhig schlummerten.
    Sie sind sämmtlich einfach aber reinlich gekleidet. Die Frauen mit hellcarrirten Tüchern um den Kopf und schneeweißen langen Kleidern ohne Taille, die zu ihrer rabenschwarzen Hautfarbe in wildschönem Contraste stehen.
    „Dank dem edlen Fremdling“ begann der Graukopf, nachdem er seine kurze Tonpfeife angezündet hatte, „der uns Alle aus den Händen unters Masters befreit hat. Was wäre aus uns Allen geworden? Du, Sarah, wärest wahrscheinlich zu Derbigny und Breton auf die Plantage gekommen, da du eine gute Wäscherin und Näherin bist. Dich, Abigail“ und dabei wandte er sich an die andere junge Frau, „hätte man in das St.Charles Hotel gebracht, wo du Tag und Nacht hättest

 

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arbeiten müssen. Die kleinen Kinder hätte der alte Master mit nach Mobile geschleppt, und so wären wir Alle von Einander getrennt worden. Und wie hat man Euch Sarah und Abigail im Auctionslocale behandelt? Ich habe doch viel schon erlebt und gesehen beiderlei Gelegenheiten, aber eine solche Behandlung, wie man sie an Euch Beiden ausübte, erlaubt man sich selbst bei Talbots nicht an den -- Niggern,“ setzte er bitter hinzu. -- -- -- „Mir alten abgeschliffenen Kerl schoß das Blut zu Kopf, als man Euch so frech entkleidete und Euch von Oben bis Unten betastete und Ihr mußtet Euch dies nicht nur Einmal, sondern fünf bis sechs Mal gefallen lassen. Jeder, der nur Miene machte, für Euch ein paar tausend Dollars zu verausgaben, begriff und betastete Euch. Und wie Viele kamen, die vielleicht keinen Cent in der Tasche hatten, und aus bloßer Neugierde Euch die Kleider vom Leibe zogen -- -- -- wäre ich noch zehn Jahre jünger, ich wüßte, zu was ich mich noch entschließen könnte -- -- so aber bin ich ein alter überall her umgezogener und abgequälter Nigger, der keinen Zahn mehr im Maule hat-- ha, ha,- die Hälfte habe ich so verloren, die Hälfte haben sie mir ausgeschlagen -- das macht aber Alles nichts, ich war, bin und bleibe ein Nigger oder ein Vieh! ha! ha! ha! -- -- --“
    In diesem Tone raisonnirte der Graukopf fort, indem ihm die Pfeife zu wiederholten Malen ausging.
    Cato -- so hieß nemlich das grauköpfige Haupt unserer Negerfamilie -- war bereits fünf und sechszig Jahre alt und daß er noch sehr rüstig sein mußte und zu manchem einträglilichen Geschäft zu gebrauchen war, geht schon daraus hervor, daß man ihn noch vor zwei Jahren mit sechshundert Dollars unter den Hammer des Auctionators brachte. Er war bereits schon das Eigenthum von wenigstens. Ein Dutzend Herren, die ihn immer wieder mit vielem Gewinn an die Meistbietenden verschacherten. Er war ein eben so guter Schmied als trefflicher Zimmermann; er verstand es, einen Gemüsegarten zu bebauen, ja selbst in den Treibhäusern eine nicht geringe Tournure an den Tag zu legen. Er verfertigte so gut wie irgend ein Schneider Hosen, Jackets und war auf den Plantagen wegen seiner Gewandtheit während der Baumwollenernte sehr geliebt oder vielmehr benützt. Es gab eine Zeit für Cato, wo er das Vergnügen genoß, daß ein „schwarzes Stück Menschenfleisch“ für 2500 Dollars losgeschlagen wurde! Somit war unser Cato trotz seines Sclavenjoches ein sehr reicher Mann; reicher doch

 

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gewiß, wie mancher weiße Gentleman, aus dessem Leibchen man vielleicht keine fünf Dollars lösen könnte. Cato gehörte zu den jenigen Sklaven, die äußerstthätig sind,- auf den leisesten Wink gehorchen, vor ihrem Master schweifwedeln wie bestrafte Hunde -- aber wenn die Zeit der Ruhe kommt und die nächtlichen Schatten über die Augenlider ziehen -- die Zähne zusammenbeißen, auf Mittel und Auswege sinnen, um zu entfliehen oder ihren Herren im Geheimen einen Schaden oder auch nur einen Possen zuzufügen.
    Fünf und sechszig Jahre lang hatte er so geschweifwedelt und die Zähne zusammengebissen, er hatte sich abgequält und abgearbeitet; mit Tausenden hatte er die Säckel seiner Herren gefüllt, aber um sich loszukaufen, war er eine zu theure Waare. Wie wäre es ihm auch möglich gewesen, trotz all seiner Sparsamkeit zwei -- dreitausend Dollars zu erübrigen?
    Die Ersparnisse von fünf und zwanzig Jahren, 800 Dollars, die er einst seinem Master anbot, um die Freiheit zu erkaufen, wurden von demselben zwar angenommen, aber nicht um ihm dafür Freipapiere einzuhändigen, sondern sie für eine bessere, elegantere Umzäunung der Cottage zu verwenden.
    „Ich will dir die 800 Dollars aufbewahren, Cato“ sprach damals sein Herr zu ihm und hast du dir noch 800 Dollars dazu erspart, so kannst du laufen, wohin du willst.“ Cato war ein Nigger; er mußte sich ducken, er durfte nur die Zähne zusammenbeißen -- -- --.
    Cato war jetzt frei! Ein Mann,den er nie gesehen, über bietet bei einer Auction 500 Dollars mit 1000 Dollars und kauft ihn jammt seiner Familie und macht sie dann frei. Er versieht sie mit Geld und verwendet sich noch auf andere edle Weise für ihr weiteres Unterkommen.
    Ein 65 jähriges Joch hatte ihn aber so niedergedrückt und ihn dem wirklichen Bewußtsein seiner jetzigen Freiheit so unzugänglich gemacht, daß er sich noch immer für einen Sclaven hält und bei Gelegenheiten murrt und raisonniert, wo es für ihn, den Freien, gar nichts zu murren und zu raisonniren giebt. Begeht er irgend eine Ungeschicklichkeit, zerbricht er ein Glas oder Kochgeschirr, so fährt er erschreckt zusammen und faltet beide Hände, als erwarte er eine Peitsche.
    Will er Brandy trinken, so versteckt er die Flasche vorsichtig in irgend einen Winkel des Hofes, schleicht bei Nacht heimlich aus der Stube und nimmt einen tüchtigen Zug mit auf den Rückweg zu seinem Lager, wo er dann kaum zu athmen

 

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sich getraut, aus Furcht, der Geruch des Getränkes könnte ihn verrathen. So sind dem Armen seine Ketten zwar abgestreift, aber ihn schmerzen noch die Male, die sie ihm eingedrückt. --
    Die zwei jüngern Frauen, die um den Feuerplatz sitzen, sind die Weiber seiner zwei Söhne, die die Seuche vor vielen Jahren dahingerasst. Die beiden schlummernden Kinder sind seine Enkel und die ältere Frau ist das Weib oder vielmehr die Concubine eines freien Negers, der in einer der nördlichen Staaten der Union ein Cigarrengeschäft besitzt, zur Zeit aber, wo wir sie hier treffen, sich in New-Orleans befindet.
    Das junge Mädchen oder vielmehr „woman“ - denn jede Negerin, die über 11 Jahre zählt, ist nach den Begriffen der Amerikaner schon kein Mädchen mehr, -- welches sich in einer Ecke der Küche auf eine Stuhllehne stützt, ist von gelblicher Gesichtsfarbe, im Staate New-Hampshire freigeboren und an Kindes statt von dem Cigarrenhändler angenommen. --
    „Mein Mann bleibt lange aus“, bemerkte die ältere von den Frauen -- „Vater wird seine Geschäfte noch nicht beendet haben und da wir die nächste Woche wieder nach dem Norden abreisen wollen, so wird er wohl seine Zeit benützen“ -- fiel das junge Mädchen ein.
    „Ihr habt wohl viel Geld von dem Alten erhalten?“ - fuhr die Erstere dann in scheinbar gleichgültigem Tone wieder fort, zu den beiden jüngeren Frauen gewendet.
    „Vorläufig hat er uns nur tausend Dollars gegeben und die Miethe unserer Wohnung auf ein halbes Jahr an den Eignern dieses Gebäudes vorausbezahlt,“ erwiederte Abigail treuherzig und mit freudestrahlenden Augen.
    Das Mädchen,das sich bisher noch immer auf die Stuhl lehne gestützt, verließ diese und trat mit neugierigen Mienen zu den sich um den Feuerplatz gelagerten Personen vor.
    „Nach Verlauf eines halben Jahres“ fuhr Abigail dann wieder fort „werden wir ein Haus in der Rue d'amour im dritten Distrikt beziehen, das man uns zum Geschenk machen will.“
    „So wollt Ihr also nicht mit uns nach dem Norden?“ frug das junge Mädchen.
    „Wer hat dir gesagt, daß wir mit Euch nach dem Norden ziehen wollen?“ entgegnete Sarah.
    „Cato hat es gestern meinem Mann versprochen“, erwiederte ärgerlich die Frau des Cigarrenhändlers. „Er wollte mit meinem Sulla in Partnership treten -- --“

 

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    „Hast du das gesagt, Cato?“ frug Abigail den Graukopf erstaunt?
    „Ja, ich hab's ihm versprochen,“ erwiederte der Gefragte; „aber macht, was Ihr wollt.“ Dabei sah er furchtsam auf die beiden neben ihm sitzenden Frauen, als befürchte er eine Bestrafung. --
    „Ich begreife dich nicht, Cato, wie du dies versprechen konntest; du weißt ja, was unser Wohlthäter noch weiteres für uns zu thun im Sinne hat“ warf Sarah ein.
    Die Frau des Cigarrenhändlers und ihre Adoptivtochter warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu.
    In dem nemlichen Augenblicke öffnete sich die Thüre und ein langer, schlankgewachsener Neger in feinster Kleidung, begrüßte sie, indem er seinen Hut abzog und ihn graziös in der einen Hand hielt.
[LSZ - 1854.01.26]
    „Gute Geschäfte gemacht!“ rief er aus. Habe 20.000 Stück Habanas von den feinsten Brands gekauft; das Tausend zu nur 18 Dollars -- die Herren im Shakespeare Hotel werden sie mir theuer bezahlen, wenn wir nach New-York zurückkommen -- -- -- nun Cato, seid Ihr auf übermorgen gefaßt und vor bereitet?
    Der Steamer geht um 4 Uhr ab.-- -- Es ist schon. Alles besorgt! --“
    „Die Leute bleiben hier, Sulla,“ sagte die Frau des Cigarrenhändlers, „Cato war etwas zu voreilig im Versprechen.“ --
    „Ich habe aber schon. Alles besorgt und in Richtigkeit gebracht, die Passage für Euch. Alle bezahlt und mehrere Einkäufe gemacht -- wenn Ihr Euch wieder anders besonnen habt, so ist es Eure Schuld, wenn ihr mir jetzt meine Auslagen zu vergüten habt, ohne einen Nutzen davon zu haben -- da, da, hier sind die Passage-Tickets, der Capitain wird sie nicht mehr zurücknehmen!“
    Er reichte ihnen die Reise scheine hin und stellte sich dann neben seine Frau, die ihn mit dem Arme leise, doch von den Andern unbemerkt, anstieß. --
    „Das macht zusammen 80 Dollars, wir wollen sie Euch gleich zurückerstatten, entgegnete Abigail, indem sie sich erhob und die Küche verließ.“ --
    „Wo geht Abigail hin?“ frug Sulla Sarah.
    „Sie geht ins Schlafzimmer, um Euch das Geld zu holen, das Ihr für uns verausgabt habt,“ erwiederte dieselbe unvorsichtig, dann setzte sie hinzu:

 

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    „Wenn Ihr sonst noch eine Vergütung wollt, so sagt es, sie soll Euch werden. Ihr dürft deßhalb nicht ungelegen sein; Ihr bleibt bis zu Eurer Abreise bei uns und wir scheiden als gute Freunde.“
    Abigail trat ein mit dem Gelde in der Hand. Es bestand aus acht Goldstücken von der neuesten Münzung. --
    Die Frau des Cigarrenhändlers sah auf ihren Mann und dann auf ihre Adoptivtochter. --
    „Das ist genug!“ sagte Sulla, als ihm Abigail die Gold stücke hinreichte: „ich verlange weiters keine Vergütung von Euch, obwohl ich noch an zwanzig Dollars nebst einigen Schillingen für jetzt unnöthige Provisions ausgegeben habe; da Ihr Euch aber gestern weigertet, von mir Kostgeld anzunehmen, so will ich auch nichts mehr verlangen. Es thut mir nur leid, daß ihr nicht mit uns nach dem Norden zieht und gezwungen seid, hier zu bleiben -- -- aber sagt mir doch, wie kommt der Alte dazu, Euch zu kaufen, freizugeben und dann Euch noch so viel Geld zu verabreichen?“
    Wir wissen es selbst nicht, antworteten die beiden Frauen fast zu gleicher Zeit. Er ist uns so unbekannt wie Euch und wird uns vielleicht noch lange unbekannt bleiben, da wir ihn heute zum Letztenmale sehen.
    „Wie so?“ frug die Frau des Cigarrenmachers gespannt, dann fuhr sie fort: „Ich wäre doch begierig, diesen wunderlichen Mann zu sehen, der so über und über voll Gold ist; wenn er so freigebig ist, ist er es wohl nicht nur für Euch -- ?“
    „Ihr könnt ihn heute noch zu sehen bekommen, wenn Ihr aufbleiben wollt!“ bemerkte Sarah.
    „Wenn er nicht zu lange auf sich warten läßt, möchte ich ihn wohl auch kennen lernen“; sagte Sulla.
    „Wenn er nicht so lange auf sich warten läßt?“ wiederholte seine Frau, „bist du denn so müde?“
    „Ja, ich will mich bald zur Ruhe legen; ihr könnt ja so lange aufbleiben, bis Ihr Eure Neugierde befriedigt habt.“
    „Wollt Ihr vielleicht gleich zu Bette?“ frug ihn die aufmerksame Abigail. „Nehmt dann dies Licht mit. Ihr braucht unsere Thüre im Schlafzimmer nur zuzulehnen; wir werden sie selbst abschließen, wenn wir schlafen gehen.“
    Sulla bemühte sich zu gähnen und nachdem er seiner Adoptivtochter durch einen Blick bedeutet, ihm nach einiger Zeit zu folgen, verließ er mit dem Lichte in der Hand die Küche. --

 

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    Als Sulla sich entfernt hatte, fing Eines der beiden Wollköpfe, die bisher ruhig fortgeschlummert hatten, laut zu schreien an und sich erschreckt umzusehen. Das andere Kind, ein Mädchen von 5 Jahren, wurde dadurch aus dem Schlafe geweckt und rieb sich die schläfrigen Augen.--
    „Tom hat mich aufgeweckt und ich habe so gut geschlafen!“ rief es aus.
    „Tom hat wohl böse geträumt,“ sagte Sarah, indem sie auf den Kleinen zueilte.
    Während sich nun die drei Frauen mit den beiden Kindern unterhielten, verließ die Adoptivtochter Sulla's ebenfalls die Küche und begab sich zu ihrem Vater.
    Die Frau des Cigarrenhändlers schien nicht darauf zu achten. Ebenso wenig die beiden andern Frauen. --
    Sehen wir uns nach Cato um.
    Derselbe hatte sich gleich nach dem Erscheinen des Cigar renhändlers von dem Feuerplatze zurückgezogen und unter einem langen Tisch, auf dem mehrere Kuchengeräthe standen, mit ein Paar Decken und einem alten Polster sein Nachtlager zurecht gemacht.
    Die beiden Frauen hatten es schon oft, aber immer vergebens, versucht, ihn dahin zu bestimmen, in einem bequemen Bette zu schlafen, das für ihn neben ihrem Schlafzimmer aufgeschlagen und von ihm nur ein Einziges mal bestiegen worden war. In jener Nacht schloß Cato kein Auge, immer in Furcht schwebend, er könne dasselbe verderben oder durch irgend eine Bewegung in Gefahr bringen.
    Seitdem bestieg er nie mehr ein Bett, sondern machte sich dasselbe jeden Abend selbst auf dem Boden zurecht.
    So oft ihn die Frauen darüber zur Rede stellten, gab er jedesmal zur Antwort: „für einen so alten Nigger wie ich bin, sind ein paar Decken genug,“ und man mußte ihn nachgerade in seiner Hallucination gewähren lassen.
    Wenn Alles noch in tiefem Schlafe lag, war er schon auf den Beinen und scheuerte die Küche, legte Feuer an und reinigte den Hof und wenn die Negerkanone abgefeuert wurde, schrak er jedesmal bis in sein Innerstes zusammen und schien nachzudenken, ob er auch wirklich schon zu Hause bei seinem Master sei.
    So hatte der Arme auch jetzt noch Tag und Nacht keine Ruhe und es entsteht die ernste Frage, ob er nicht glücklicher gewesen, wenn er nie freigegeben worden wäre? -- -- --

 

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Zwölftes Capitel.

Sulla.


    Der vorgebliche Cigarrenhändler, dieses echte Prototyp eines fashionablen Negers aus den Neu-Englandstaaten, zählte ungefähr fünf und zwanzig Jahre. Trotz seiner Jugend hatte er bereits die ganze Scala der Leiden und Trübsale, wie sie einen Mann in seinen Jahren treffen können, durchlaufen. Er war dadurch nicht besser, sondern schlechter geworden.
    Er ist übrigens ein Mann von der schönsten Gesichtsbildung und einem freimüthigen Aeußern, hat ein brennendes Auge und tadellose Lippen, die man so selten bei seinem Stamme findet; eine unmerklich gebogene seine Nase und eine hohe -- intelligente Stirne könnte man sagen, wenn die schwarze Farbe unserm Vorurtheile die Intelligenz nicht verdeckte.
    Auf die Gefahr hin, die Monopolisten der kaukasischen Race zu erzürnen, ist sogar sein in wilden Flocken aufgethürmtes Haar schön zu nennen, allerwenigstens steht es ihm besser, als Herrn Alexander Dumas, der bekanntlich wegen sothanen Haargekräusels in einem Billardsalon in New-Orleans die Bekanntschaft einiger zu derben Sklavenzüchter-Fäuste machen mußte. -- --
    Es ist ein bedeutender Unterschied zwischen einem freien Neger, der in den südlichen Staaten seßhaft ist und einem freien Neger aus den freien Staaten. Ein solcher Freier in der südlichen Region wird sicher immer von dem Neuengland-Neger dominiert, wenn sie irgendwo zusammentreffen. Diese Gewalt übte in hohem Grade Sulla auf eine südlichen oder vielmehr im Süden wohnenden Landsleute aus. Verließ er sie, so sahen sie immer zu spät ein, daß sie von ihm gebrandschatzt waren und verfluchten dann den damn’d Yankee Nigger bis in den tiefsten Winkel der Hölle, ja sogar bis in die Calaboose.
    Es war schon das dritte Mal, daß Sulla New-Orleans besuchte und jedesmal gerierte er sich als der Besitzer eines nicht unbedeutenden Cigarrengeschäftes im Osten, eine Consequenz, die ihm reichliche Zinsen trug.
    Sulla war zu klug und erfahren, als daß er nicht das Gefährliche eines Wechselns seines einmal den Leuten vorgelogenen Metiers eingesehen hätte.

 

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    Reiner Zufall war es übrigens, daß er mit der uns aus dem vorigen Kapitel bekannten Negerfamilie zusammentraf. Er hatte sich, durch die tölpelhafte Redseligkeit Cato's aufgemuntert, ohne weiteres mit der Familie bekannt gemacht, hatte sie einige Male besucht, bis sie ihm und seinem angeblichen Weib und seiner angenommenen Tochter ihre Wohnung bis zu einer Abreise auf höchst freundschaftliche Weise anboten.
    Intriguen, die er anfangs mit Beihülfe eines Weibes und Kindes angesponnen, ließ er fallen, da ihm die Unerfahrenheit und Gutmüthigkeit der erst freigewordenen Familie dieselben als überflüssig erscheinen ließen.
    Zu ihrem Gelde, das er übrigens in seiner Einbildungs kraft weit überschätzte, mußte er gelangen. Das war bei ihm fester Entschluß. Er war in seinen Gedanken schon auf's Aeußerste vorbereitet, falls sich ihm nicht vorauszusehende Hindernisse in den Weg stellen sollten.
[LSZ - 1854.01.27]
    Es genügte ihm zu wissen, daß sie im Besitze einer großen Summe seien. Das Uebrige mußte sich ohnehin finden.
    Die Familie mit sich nach dem Osten zu nehmen, daran dachte er nicht im Entferntesten. Es war nur ein Mittel, von derselben Geld zu erschwindeln, um seine momentanen Verlegenheiten zu beseitigen. Er beschwätzte Cato in Abwesenheit der beiden Frauen so lange, bis derselbe ihm das Versprechen gab, mitzuziehen und -- wie er sich ausdrückte -- mit ihm in Partnership zu treten. Er wußte nur zu gut, daß die Frauen nicht darauf eingehen würden; daher überraschte er sie mit dem Vorzeigen gefälschter Passage scheine und mit der ärgerlichen Bemerkung, daß er bereits schon so viel Geld mit anderweitigen Vorkehrungen verausgabt hätte. Die Frauen ließen sich, wie er voraus berechnet, durch dieses Manöver leicht übertölpeln ; dachten auch nicht daran, daß die Scheine falsch sein könnten und bezahlten ihm die achtzig Dollars.
    Mit dieser Summe wollte er sich im Nothfalle die Mittel und Wege verschaffen, zu entkommen; denn da er gänzlich von Geld entblößt war, so mußte er erst solche Vorsichtsmaß regeln ergreifen - zudem lag ja ein Mißlingen seines Vorhabens nicht außer dem Bereiche der Wahrscheinlichkeit. --
    An Sulla's Herkunft knüpft sich eine wahrhaft dämonische und schaudererregende Geschichte.
    Wir wollen die hauptsächlichten Data seiner Vergangen heit hier kurz zusammenfassen, um auf diese Weise auch mit einer vorgeblichen Frau und Adoptivtochter bekannt zu werden.

 

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    Sulas Eltern, die sieben englische Meilen westlich von Montreal in Canada, in dem kleinen Dorfe Marytown, wohnten, besaßen daselbst eine Schenkwirthschaft oder sogenannte „traders inn“. Das Aushängeschild zeigte im schwarzen Felde eine weiße Rose und darunter stand mit großen goldenen Buchstaben die bekannte Devise:„hony soit, qui mal y pense!“ Wie die Eigner dieser Schenke zu genannter Devise kamen oder in welchem Verhältnisse dieselbe zur weißen Rose stand, wäre schwer zu ermitteln gewesen. Ein Witzkopf meinte, es hieße so viel, als: „da wir in unserm Schilde eine weiße Rose führen, wir, die Besitzer der Schenke aber Schwarze sind, so denket nichts schlechtes dabei.“ Dies war allerdings eine sehr trockene Auslegung, wozu man gerade keine Sphynx nothwendig gehabt hätte. Sei dem nun, wie es wolle, die Schenke hieß „zur weißen Rose“ und die Eigenthümer der weißen Rose machten glänzende Geschäfte. Jeder Fremde, der Montreal besuchte, mußte auch einmal „zur weißen Rose“ gewesen sein, ja noch mehr, er mußte da einmal übernachtet haben.
    Wenn wir übrigens hier von „übernachten“ reden, so ist damit noch nicht gemeint, daß man da auch geschlafen haben müsse.
    Die Dornen, welche der Maler an der weißen Rose im Schilde aus einer unverzeihlichen Nachlässigkeit weggelassen hatte, schienen, um so mehr im Innern der Schenke vorhanden zu sein.
    Für den Insektensammler war hier alles Andere eher zu finden, als der Schlaf.
    Deßungeachtet war nie Platz genug für Fremde und man mußte sich oft damit behelfen, daß man dieselben in das wenigstens 10 Fuß breite Ehebett der Wirthsleute steckte, wo letztere natürlich auch nicht fehlten.
    Victoria, die Frau des Gastgebers, war übrigens ehrbar genug, die überzähligen Gäste sich nicht neben sich legen zulassen, sondern stets ihren dicken Sullivan als unübersteigliche Barrikade vorzuschieben.
    Sullivan hatte, obwohl er schon längst die fünfziger Jahre überschritten, einen wohlgenährten Bauch, kleine funkelnde Augen und an seinen Wangen war das Fett eben auch nicht gespart. Sein Gang war gravitätisch und sein Dienstpersonal - das meistens aus Franzosen bestand -- verstand er in ausgezeichneter Ordnung zu erhalten. Mancher Britte, der von Alt-England herüber kam, vergaß hier seinen Spleen, wenn er

 

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Sullivan erzählen hörte, daß er von einem Fürsten abstamme, der einst über zwanzig Negerreiche geherrscht und an der Elfen beinküste Städte gegründet und Forts erbaut habe, zu einer Zeit,wo noch kein Engländer daran gedacht, daß es eine solche gäbe, geschweige, daß schon Schiffe aus dem Baltimorer Hafen dorthin abgesegelt wären.
    Bei dieser Gelegenheit wies er dann auch einen langen Dolch vor, auf dessen Klinge sich in der Mitte mehrere eirunde Löcher zeigten, die den Zweck hatten, sich mit dem klebrigen Safte einer giftigen Frucht zu füllen, die nur an der Elfenbeinküste anzutreffen sei.
    Dieser Dolch war ebenfalls das Erbstück eines Negerfürsten und nach seinem Vorgeben schon über fünfhundert Jahre alt. Derselbe war übrigens ein kostbares Instrument, nicht nur in praktischer Beziehung, sondern auch was den Werth des Metalls, aus dem der Griff bestand, anbelangte. -- Ein Engländer, der ein großer Freund von Curiositäten war, wollte ihm einmal 500 Pfd. Sterl. für diese Waffe geben, was er aber verweigerte anzunehmen. Es bot sich ihm aber bald die Gelegenheit dar, dies zu bereuen. --
    Victoria nemlich, die, nebenbei gesagt, fünf und zwanzig Jahre jünger war als ihr Sullivan, überraschte ihn eines Tages mit der unverhofften Kunde, daß sie sich Mutter fühle. In ihrem Eifer ging sie sogar so weit, daß sie die Namen, welche ihr zukünftiges Kind haben sollte, voraus bestimmte, Ein Junge sollte Sulla und falls es der Vorsehung gefiele, ein Mädchen das Tageslicht erblicken zu lassen, so sollte dasselbe nach seiner Mutter Victoria heißen.
    Ueber die Benennung der etwaigen Kinder hatte Sullivan durchaus nichts einzuwenden, aber daß seine Victoria sich Mutter fühlte, wollte ihm nicht recht einleuchten.
    Er schien scheinbar darüber erfreut und verbarg seinen Argwohn.
    Von dieser Zeit an hatte er aber ein scharfes Auge auf seine Stammgäste und auf alle Bekannte, die periodisch von einem Monat über den andern in seiner Schenke einkehrten.
    Wenn er bisher den Zuwachs seiner Gäste und somit seines Geldes seiner Liebenswürdigkeit und guten Bewirthung zu verdanken glaubte, so sah er jetzt nur zu gut ein, daß seine Gäste und all die reichen Fremden, die der Weg hieher führte, durchaus nicht von der weißen Rose herbeigezogen wurden, sondern daß der Magnet eine schwarze war.

 

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    Unter Allen, die sein scharfes Auge beobachtete, fiel ihm besonders ein junger Mulatte auf, der lange Zeit im Dienste des Gouverneurs gestanden hatte und von sehr einnehmendem Aleußern war. Derselbe hofierte Victoria bei jeder Gelegenheit und schien sogar einen gewissen Einfluß auf seine häuslichen Angelegenheiten auszuüben, der ihm bisher unbemerkt blieb. -- Ja, es däuchte Sullivan, daß er seine Einnahme mit einem Dritten zu theilen habe.
    Weder Victoria, noch ihr Liebhaber ahnten, welches Ungewitter sich über ihren Köpfen zusammenzog. --
    Dasselbe sollte sich bald entladen. --
    Sullivan besaß neben seiner Schenke bei Marytown in einer Entfernung von ungefähr einer halben Meile eine aufs Vollkommenste eingerichtete Sommerwirthschaft, in der treffliches Ale und echter Porter aus Perkins Brauerei die trockenen Kehlen der Gäste tränkte,
    Es war ein schöner milder Abend im Indianersommer, als die Einwohner von Marytown in großen Schaaren hinauszogen, um sich an den Produktionen einer deutschen Musikbande aus Montreal, die Sullivan für den heutigen Abend engagiert hatte, zu erfreuen und sich bei Ale und Londoner Porter gütlich zu thun.
    Sullivan, der, ungeachtet seiner vielen Domestiken, vollauf zu thun hatte, um den Wünschen seiner Gäste nachzukommen, bemerkte mit. Einemmale die Abwesenheit seiner Frau, was ihm um so mehr auffiel, als sie bei derlei Gelegenheiten die größte Emsigkeit und Thätigkeit an den Tag legte,
    Sein schon lange genährter Argwohn bekam hiedurch nur neue Nahrung, und steigerte sich in solchem Grade, daß er Alles bei Seite warf und Nachforschungen nach seiner Victoria anstellte,
    Nachdem er das ganze Local durchstöbert und die umliegenden Gebüsche und hie und da zerstreut liegenden Bosquets ohne Erfolg besichtigt hatte, schlug er den Rückweg nach der „weißen Rose“ ein, und zwar in solcher Haft, daß er dieselbe bereits nach 5 Minuten erreicht hatte. --
    In die Schenkstube eingetreten, fand er nur zwei ihm übrigens ganz fremde Personen vor, die tüchtig darauf loszechten und aus Maiskolben große Wolken schlechten Tabacks ausdampften. Da sie den Eintretenden nicht zu bemerken schienen, so unterließ er auch, sie zu grüßen und eilte instinktmäßig

 

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der Kellerthüre zu, aus deren Oeffnung ihm der matte Schein einer Oellampe entgegenleuchtete. -
    Fast wäre er blindlings die steile Treppe hinabgestürzt, als er seine Frau bemerkte, wie sie eben dem jungen Mulatten um den Hals fiel und ihn beschwor, doch in ihr Vorhaben ein zugehen, bevor es zu spät wäre.
    Er hielt sich jedoch noch zur rechten Zeit, obwohl seine Füße zitterten und seine Beine schwankten. Als er aber vernahm, um was es sich hier handelte, so fuhr ein kalter Strom durch seinen Körper und an die Stelle der Gereiztheit und peinlichsten Gespanntheit trat ruhige Ueberlegung und Muth.
    „Wir haben auf heute Nacht keine Gäste in unserer Schlafstube“ hörte er sie sagen. „Es wird mir nicht schwer werden, ihm mit seinem Dolche den Garaus zu machen, wenn er schläft. Er kommt ohne dem betrunken nach Hause und da hab' ich um so leichteres Spiel -- du hast dann weiter Nichts zu thun, als in der Nebenkammer zu warten und mir dann zu helfen, ihn bei Seite zu schaffen. -- -- Da morgen der Tag ist,wo er auf eine Woche nach Montreal fährt, um dort Einkäufe zu machen, so wird man ihn nicht vermissen und das Andere wird sich schon finden -- -- -- denk' an dein Kind!“ fügte sie schließlich hinzu, indem sie einen Finger emporhob. --
    Welchen Entschluß Sullivan bei Anhörung dieser Worte gefaßt hatte, kann sich Jeder leicht denken. Eben wollte er wieder so sachte als er angekommen, zurückschleichen, als er an der Thüre ausglitschte und kopfüber in den Keller hineinfiel. -- --
[LSZ - 1854.01.28]
    Den nächsten Tag zog man den Körper Sullivans und den des jungen Mulatten, Beide von mehreren Dolchstichen durchbohrt, aus dem Keller hervor.
    Victoria zur „weißen Rose“ war spurlos verschwunden. --
    Zwei Monate nach diesem Vorfalle ereignete sich in Knoxville, einem Grenzstädtchen auf amerikanischem Gebiete eine Scene, bei deren Beschreibung die Feder die Tarantola zu tanzen anfängt, als wäre sie von jener giftigen Spinne gebissen worden. Die Feder selbst lehnt sich gegen die Hand auf und lähmt sie. Sie wird zum gezückten Dolch und verwundet den, der sie hält.
    Es fielen nämlich im genannten Städtchen zwei rasch auf Einander folgende Mordthaten vor, deren raffinierte Nebenumstände die Volkswuth auf eine solche Höhe trieben, daß sie die vermeintliche Verbrecherin, ein hochschwangeres Negerweib,

 

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dem gesetzlichen Justizgange entzogen, um an ihr eigenhändig die Todesstrafe zu vollziehen.
    Zu diesem Zwecke wurde sie, mit Stricken um Hals und Leib, auf eine barbarische Weise durch die Straßen Knoxville's geschleppt, um außerhalb der Stadt an einen Baum gehängt zu werden.
    Die Haupturheber dieser furchtbaren Volksjustiz waren zwei Canadier und ein junger Pflanzersohn aus Louisiana; der Letztere der Träger eines berühmten historischen Namens und der Sohn eines Volksrepräsentanten und Calhounisten von der wüthendsten Race.
    Als das Opfer ihrer unmenschlichen Barbarei, mit der Schlinge um den Hals, hinaufgezogen werden sollte, empörte sich denn doch das Gefühl des erst noch vor Kurzem wüthenden Volkshaufens und schon schien man Miene zu machen, dieselbe aus den Händen ihrer Henker zu befreien -- da stürzt sich der genannte Pflanzersohn auf das arme Negerweib und schnellt sie in die Höhe.
    Die Ungeschicklichkeit, mit der dieses schreckliche Manöver ausgeführt wurde, verhinderte jedoch, daß die Schlinge knapp faßte, das Opfer somit unter fürchterlichen Zuckungen am schwankenden Aste baumelte.
    Da machte der Pflanzersohn zum zweitenmale den Henker, steigt auf den Baum, stemmt sich mit den Knieen gegen die Schultern der nur halb Gehängten und bricht ihr mit kräftigen Fäusten das Genick. --
    In dem nämlichen Augenblicke entwindet sich dem Schooße der Gehängten ein lebendes Wesen und fällt mitten unter den entsetzten Pöbelhaufen.
    So war der Henker die Hebamme eines armen Negerkind es! Das Kind war -- Sulla. -- -- -- -- -- -- -- Victoria aber büßte ein Verbrechen, das sie nicht begangen, mit dem Tode, während sie für eine Greuelthat, im Keller ihrer Schenke bei Marytown verübt, ungestraft davon kam. --
    Die nun folgenden complicierten Zufälle im Leben Sulla's wollen wir jetzt nicht weiter berühren, da es uns zum Abschluß drängt und wir den Faden unseres Romanes wieder aufzugreifen haben. --
    Es sei vorläufig nur so viel erwähnt, daß Sulla, nachdemer den Kinderschuhen entwachsen, einer der berüchtigten und gefürchteten Gambler in den Five Points wurde und bald

 

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großen, bald geringen Schwindeleien sich ergeben und so bisher sein Leben gefristet hatte. --
    Die Bekanntschaft einer Negresse, die er auf einer Reise nach Buffalo kennen lernte, übte auf ihn einen so gefährlichen Einfluß aus, daß er bereits in einem Alter von ein und zwanzig Jahren jedem Verbrechen sich gewachsen fühlte, wenn es nur darauf abzielte, ihm Geld zu verschaffen.
    Ein noch blutjunges Mulattenmädchen, das als Kind von 6 Jahren ihren Eltern entlaufen, war ihre unzertrennliche Gefährtin und Helfershelferin und mit einem Scharfsinn begabt, der wirklich seines gleichen sucht. --
    So sehen wir nun Sulla bemüht, die Gutmüthigkeit und Gefälligkeit Cato's und der beiden Frauen auf eine schändliche Weise zu mißbrauchen. --
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Dreizehntes Capitel.

Das Manuscript.


  Mit zitternden Händen hatte Emil die Blätter entrollt. Mit leiser, doch verständlicher Stimme begann er zu lesen:
    „Wenn dem Schiffer auf hoher See die Trugbilder der Fata Morgana begegnen, so läßt er seine Hände von den Speichen des Steuerrades gleiten und sieht entsetzt auf die unbekannten Gestalten,die sich immer mehr und mehr einem Fahrzeuge zu nähern scheinen. Schon sieht er im Geiste seine Segel zersetzt, die Masten zersplittert und sein Schiff in die Tiefe der Meere versenkt - da zerrinnt plötzlich der Nebel vor seinen Augen, eine günstige Brite bläht seine Segel und er steuert wieder mit frohem und gestärkstem Muthe einem ersehnten Ziele zu. Vergessen ist die gespenstische Fata Morgana; für ihn giebt es keine beängstigende Ahnung mehr -- -- er fragt nicht woher und warum? Wie Anders bei Euch? -- -- Ihr, die Ihr bisher Euer Schifflein im Rinnsteine des gewöhnlichen Lebens dahi triebt und statt der Fata Morgana nur die Schreckbilder des Elends und der Verzweiflung erblickt habt -- -- Ihr hattet keine Ursache, vor einer unbekannten Gefahr zu schaudern, und sah Euch je einmal der Tod ins Angesicht, so habt Ihr ihn hinweg gespottet mit Wein und mit Küssen. --“

 

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    Mit flammenden Augen hing Lucy an Emil’s Gesichtszügen, die ihr noch nie schöner geschienen, als in diesem Augenblicke.
    Emil schlang seine Arme fester um Lucy und fuhr fort: „-- -- Aber von dem Augenblicke an, wo Ihr Euch so plötzlich aus der Sphäre Eures frühern Lebens und Treibens herausgerissen saht, ohne Euch des Zusammenhanges der vorgefallenen Ereignisse bewußt zu sein, mußte Euch wohl schon oft die Frage auf den Lippen geschwebt haben: Woher und Warum? Ihr kennt bereits die geheime Kraft der Mantis religiosa, uber sie habe ich Euch nicht mehr aufzuklären; aber Ihr werdet bei Durchlesung dieser Blätter das Gedächtniß wieder zurück erhalten, was Euch jene geraubt. Ihr werdet längst vergessene Bilder wie in weiter Entfernung wieder auftauchen und Eure Phantasie umgaukeln sehen. Aber hütet Euch, alte Verhältnisse wieder aufzusuchen oder sie auch nur in Gedanken heraufzubeschwören. Sie würden Euch nur abhalten von dem hohen Ziele, das ich Euch vorbereitet und dem ihr mit heiligem Eifer nachzustreben habt. Ueberlaßt in Zukunft die kleinlichen Sorgen der Pflicht, wie sie Euch Gesetz und Uebereinkunft vorschreiben, weniger von der Natur begabten Seelen. Da die Armuth die Verstümmlerin alles Erhabenen ist und den Menschen in den Abgrund des Schmutzes und Lasters hinabzieht; der Reichthum aber, wenn er nach und nach erworben und mit unsäglichem Selbsteigenem Abmühen und Abquälen sich in’s Tausendfache vermehrt und vergrößert, nur abstumpft und für Alles höhere Streben untauglich macht, so hinterlasse Ich Euch all' die Millionen, die Ihr in unterm Raume Eures gegenwärtigen Wohnsitzes vorfinden werdet, um verdient und ohne daß Euch die Schweiß tropfen, die Sinnen, Arbeiten und Speculiren auspressen, die Schönheit und Anmuth Eures Antlitzes verzerrt haben. Nur die Schönheit, vermählt mit den Schätzen dieser Erde, hat das Recht, für eine hohe Idee in die Schranken zu treten und sie durchzukämpfen; denn die Häßlichkeit wenn sie reich, und die Schönheit, wenn sie arm -- werden in ihren Handlungen und Unternehmungen nur von unedlen Motiven geleitet. -- --“
    Wie der verirrte Wanderer, der in der Dunkelheit der Nacht plötzlich in der Ferne ein Licht erblickt, aufjauchzt und

 

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dem blinkenden Hoffnungsterne raschen Schrittes entgegeneiler -- so sahen sich Emil und Lucy, als sie das Dunkel, das sie bisher umschwebt, von einem so hellen Strahle erleuchtet sahen, entzückt und vergöttert in die begeisterten Augen.-- Sie begriffen nur zu gut die gigantische Wahrheit dieses erhabenen Satzes. -- -- Noch vor wenigen Minuten hatte der Alte selbst in ähnlicher Weise zu ihnen gesprochen -- sie hatten ihn verstanden, aber nicht begriffen!
    „Wenn Ihr die Feuerprobe bestanden und Eurer Schönheit keinen Mackel hinzugefügt, so werde ich Euch, wenn ich später wiederkomme, in einen Wirkungskreis einführen, der Euch bei der Nachwelt unsterblich machen wird“: wiederholte Emil die Worte, die der Alte selbst zu Ihnen gesprochen, in feierlichem Tone.
    „Denn es giebt hier Ketten zu zerbrechen und den Süden von seiner Schandthat zu befreien“: wiederholte in heiliger Begeisterung Lucy. -- -- --
    Emil aber übergab Lucy das Manuscript des Alten, mit der Bitte, weiter zu fahren.
    Nachdem dieselbe ihre dunklen Haarflechten aus der Stirne gestrichen, begann sie zu lesen. -- -- --
    Als Lucy den noch folgenden Theil des Manuscripts vollendet hatte, war die Zeit bereits bis nach Mitternacht vorgerückt.
    In dem, was Emil aus Lucy’s Munde durch das Manuscript erfuhr, waren die eigentlichen Verkettungen und Begebenheiten, die die Zeit von jener Nacht an bis zu ihrem Dasein in der Atchafalaya Bank ausfüllten, klar und bündig auseinandergesetzt und die mantis religiosa hatte von diesem Augenblicke an ihre Kraft an ihnen verloren. In der letzten Zeile stand der Name Hiram. Emil und Lucy starrten diesen Namen sprachlos an; er erschien ihnen wie eine Hieroglyphe und doch war es ihnen wieder, als hätten sie schon einmal diesen Namen vernommen.
[LSZ - 1854.01.29]
    *    *    *    
(Nach dem Manuscript des Alten bearbeitet.)

1. Folgen der Faschingsnacht.

    Noch ehe Emil mit den Füßen den Boden berührt hatte, hatte ihn der Sergeant der Nachtwache mit kräftigen Armen gefaßt und ihm befohlen, ihn ohne Umstände zu begleiten.
    „Man kennt Euch, Sennor, und was Ihr diesmal wieder mit Eurer Verkleidung im Schilde führtet, werdet Ihr morgen

 

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früh die Güte haben, unserm ehrenwerthen Recorder etwas näher auseinander zu setzen“, sprach zu ihm im höflichen Tone, der so sehr von seinen kräftigen Fäusten abstach, Luis Montes, der Sergeant der Nachtwache im zweiten District.
    „Man kennt Euch auch, Mister Luis, und ich habe gerade so gut das Recht, Euch zu ersuchen, mich zu begleiten“, entgegnete ihm Emil trotzig. -- -- „Wenn Ihr mich nicht loslaßt“, fuhr er dann in gesteigertem Tone fort, „so weiß es morgen die ganze Stadt, daß Mister Luis, der allmächtige und gestrenge Sergeant der Nachtwache im zweiten District aus Eifersucht einen jungen Mann, der sich den Spaß erlaubt, sich in die Kleider seiner Freundin zu werfen, in das Stadtprivy *) abgeführt hat. -- --“
    Mister Luis, welcher den Trotzkopf Emil"s kannte und einen persönlichen Conflict befürchtete, griff behutsam unter seinen Rock nach der Maritze **), um im Nothfalle sogleich einige Privates ***) herbeizuziehen.
    Emil bemerkte dies. Mit unglaublicher Behendigkeit entriß er seinen rechten Arm den Fäusten des Sergeanten, um ihn zu hindern, die Maritze zu drehen -- da fällt Mister Luis vor den erstaunten Blicken Emil’s plötzlich zu Boden, als wäre er vom Blitze erschlagen. Zu gleicher Zeit sah Emil eine alte, langgezogene, abgemagerte Gestalt vor sich, die ihm bedeutete, den zu Boden Gefallenen in die nächste Alley zu schleppen und ihn daselbst seinem Schicksale zu überlassen. --
    Mechanisch vollzog Emil den gebietenden Wink des Unbekannten.
    Dann, als er sich von seinem ersten Schrecken erholt, erbat er sich von dem unbekannten Retter über die eben vorgefallene Scene Aufschluß. - Statt aller Antwort nahm ihn jener bei der Hand und zog ihn mit sich fort. Emil fing es jetzt an unheimlich zu werden-denn der Unbekannte hieß ihn, nachdem sie einige Schritte gegangen, seinen Arm in den Seinigen legen, nachdem er ihm vorher selbst mit dem Schleier das Gesicht verhüllt. Emil, der bisher vergessen zu haben schien, daß er in Frauenkleidern stecke, kam mit Einemmale wieder auf seine
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*)      Calaboose.
**)   Ein Instrument, das einen schnarrenden Ton von sich giebt, und das von den Wachleuten nur im Nothfalle gebraucht wird, um Hülfe herbeizuführen. Auch gebrauchen sie es jetzt als Signal bei Feuersbrünsten
***)  Die Gemeinen der Nachtwache.

 

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Verwandlung zurück. Es erschien ihm jetzt das Benehmen des Unbekannten ganz klar, das gar nicht so absonderlich sei, da ihn derselbe natürlich nur für eine Dame gehalten haben könne. Er hätte jetzt beidem Gedanken, daß dieser Alte für ein cavaliermäßiges Benehmen irgend eine Begünstigung von ihm verlangen könnte, laut aufgelacht, hätte ihn nicht zu gleicher Zeit der Blick dieses Unbekannten getroffen, der ihm mit bitterm Ernte in's Gesicht sah.
    „Ich weiß wohl, was diesen Augenblick in Euch vorgeht“, unterbrach derselbe sein Stillschweigen. Wenn Ihr glaubt, daß ich Euch für eine Dame halte, so seid Ihr in einem großen Irrthum befangen und ich rathe Euch daher, Eurer ausschweifenden Phantasie Ketten anzulegen. Ich kannte Euch trotz der Verkleidung so gut als Sennor Luis, der nun todt in jener Alley liegt.“ -- --
    „Todt?“ wiederholte Emil, vor Schrecken bleich. „Wie kommt Ihr dazu, ihn zu tödten -- --?“
    „Ja, Sennor Luis Montes ist todt“ unterbrach ihn jener ernst „und ich sage Euch, junger Mann, daß er den Tod verdient hat.“
    Der Alte sprach dies im ernsten, scharfen Tone, dabei trotz der Verhüllung durch den Schleier die Gesichtszüge Emil's musternd.
    „Aber todt -- todt! unmöglich -- -- also wirklich todt? aber bedenkt, wenn man ihn in der Nähe von Madame Wilson’s Haus findet, wenn man mich gesehen -- Euch gesehen -- -- doch Euch kennt man nicht -- -- mich aber -- -- aber was führt Euch dazu? -- -- --“
    So phantasierte Emil, ohne seinen Worten jene Bestimmt heit verleihen zu können, die man ihm in den schwierigsten Fällen des Lebens nie absprechen konnte.
    Eine unaussprechliche Angst bemächtigte sich jetzt seiner. Er versuchte es vergebens, sich zu fassen und den Vorfall als ein gewöhnliches Faktum darzustellen -- -- aber umsonst -- Grauen und Entsetzen behielten diesmal die Oberhand über den absprechenden Leichtsinn.
    Lange ging er wieder neben dem Alten her, immer noch seinen Arm in den Seinen gelegt und kein Wort entglitt einen Lippen. - -
    Er bemerkte nicht einmal, daß sie bereits die Levee entlang der dritten Municipalität zugingen und ihnen zur Rechten Masten und Takelwerk stöhnten und krachten und die Strandwächter

 

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am Mississippi ihre dunkelrothe Glut in den schwarzen Knäuel der Wolken fanden, die schwer und träge über ihren Köpfen dahinzogen. --
    Ein in kurzen Zwischenräumen wiederkehrender Stoßwind rüttelte so heftig an den Laternen, daß die Gasflammen nur einen unsichern Schein verbreiten konnten -- und ermahnten, genau auf seiner Hut zu sein.
    Von den Barroom's strömte wüthender Gesang und rück sichtsloses Geschrei der Shoreboy's und Matrosen, welche letztere vielleicht erst gestern den Gefahren auf der See entronnen, hier in voller Anbetung des Amerikanischen Halbgottes „old irish whiskey“ schwelgten und dann und wann den an wesenden Tambourinmädchen, die mit Gesang und Spiel die Saufgelage nur noch erhöhten, gar bedeutungsvolle Blicke zuwarfen. Mancher Picayune flog dabei auf das Tambourin oder in die aufgehaltene Schürze.
    Die Wachtleute schlugen geschäftig ihre mit Eisen beschlagenen Stöcke auf die Banquets, worauf stets aus allen Theilen der Stadt ein hunderfältiges Echo erfolgte.
    Der Alte blieb jetzt stehen und ließ seinen Arm von dem Emil’s gleiten.
    „Jetzt sind wir an der „Hamburger Mühle“ sagte er: „Wollt” Ihr mir und Euch die Gefälligkeit erzeigen, Lucy Wilson herauszurufen -- -- doch -- warten wir noch ein wenig, sie ist eben im Tanze begriffen. -- --“
    „„Hier, tretet auf diesen Treppenabsatz und seht durch die Spalte des Vorhanges -- so könnt ihr sie sehen-betrachtet sie Euch genau -- Ihr seht sie zum Letztenmale in ihrem Leichtsinne!“
    Emil trat auf die Stufen und sah durch die Spalte des zerknitterten Vorhanges.
    Er sah Lucy in ihrer Verkleidung, wie sie eben mit einem jungen Creolenmädchen mit üppigen Geberden, vom Saraband*) ergrissen, dahinfliegt.-- -- -- --
    Der Saraband war zu Ende.
    Der Alte gab Emil einen Wink, in den Tanzsaal zu treten, um mit Lucy zurückzukommen. -
    Als Emil durch die erschöpften Tänzer und Tänzerinnen drang, streifte Lucy -- wie wir wissen als Gentleman verkleidet, -- mit der jungen Creolin Hand in Hand, an Emil

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*) Eine ausschweifende Variation des Fandango; ursprünglich ein beliebter Tanz der Türken.

 

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vorüber. Ein Blick auf ihn machte sie anfangs bestürzt und starr ihn anblickend; dann fiel sie ihm wie närrisch um den Hals, schob dessen Hut und Schleier zurück, bewunderte seinen Scheitel, seine Haartour, fing dann an zu lachen, ihn zu wiederholten Malen zu küssen, ohne auf die Anwesenden zu achten die, durch dieses sonderbare Schauspiel angezogen, bald einen Kreis um sie schlossen.
    „Hab' ich dir nicht gesagt, daß dieser junge, schöne Gentleman Madame Wilson ist?“ sagte ein junger französischer Steuermann zu einer blonden, kleinen dicken Elsässerin, die halb trunken vom rasenden Tanze, an seinem Arme hing.
    „Sie ist immer noch die lustige Madame Wilson vom Mulattoe's Settlement“ fuhr er dann fort. „Verdammt will ich sein, wenn es im ganzen Parish von New-Orleans ein so schönes Weib giebt -- -- sieh' sieh' nur, mein süßes Herz -- diese prächtigen schwarzen funkelnden Augen -- verdammt, man könnte ganz verrückt werden, wenn man sie so sieht -- -- sieh' sieh' nur, wie gut ihr die Hosen stehen. -- --“
    Zum großen Glücke hatte die dicke kleine Elsässerin einen so schweren Kopf vom Tanzen und vielleicht auch vom Trinken -- daß diese ungalanten Worte ihres Beau's von ihr ungehört blieben.
    Lucy's ungestümes Benehmen verletzte Emil in eine nicht geringe Verlegenheit. Wie sollte es ihm jetzt möglich werden, Lucy zu bestimmen, den Saal zu verlassen, um dem Befehl des Unbekannten Folge zu leisten. Befehl? Wohl; für ihn war es ein Befehl; denn derselbe hatte ihm gegenüber eine so gebieterische Miene angenommen, daß er wirklich glaubte, er müsse unbedingt seinen Befehlen Folge leisten. Eine unerklärliche Ahnung sagte ihm, daß er bereits nicht mehr sich selbst angehöre und einen Herrn über sich habe, der seine zukünftigen Schritte und Handlungen leite.
    Emil war manchmal Phantast bis zum Ertrem und Phantasten gebiert der Aberglaube. Schon das plötzliche Erscheinen des Alten, in einem Augenblicke, wo es zwischen ihm und dem Sergeanten zu ernstlichen Auftritten gekommen wäre, hatte ihn demselben unterthänig gemacht.
    Was nun thun? die Ballgäste drängten sich immer dichter und dichter um die Beiden und schienen mit der größten Gespanntheit auf die Entwicklung dieser wunderlichen Scene zu warten. Hätte er auch Lucy am Arme gefaßt, um sie zur Thüre hinauszuziehen; es wäre ihm sicher nicht gelungen und wenn

 

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es ihm auch gelungen, der ganze Schwarm der Neugierigen und Betrunkenen wäre ihnen nachgeeilt und der Alte? -- -- -- diese Gedanken durchkreuzten eben Emil’s Gehirn, als die Thüre aufging und ein alter Mann auf der Schwelle stehen blieb und durch das Gesumse, Gelächter und Geschrei eine ehrfurchtgebietende Stimme ertönen ließ. Bei dem Tone dieser gewaltigen Stimme fuhren die Ballgäste entsetzt auseinander, wendeten sich von Emil und Lucy und starrten den unheimlichen Gast an. Derselbe rief in die Menge: „Lucy Wilson! ich habe ein Wort mit Euch zu sprechen!“ --
    Noch ehe sich die erhitzten Gemüther von ihrem Erstaunen erholen konnten, waren Emil und Lucy aus dem Ball alle verschwunden. --
[LSZ - 1854.01.31]

2. Eine andere Wohnung und das Billet.


    In der Rue d'Amour, im dritten District, steht neben verwitterten Bretterhütten ein niedliches freundliches Häuschen inmitten eines von Oleandern, Magnolia's und Lila's beschatteten Gärtchens. -- Das Häuschen ist zweistöckig, hat eine mattgelbe Farbe und hellgrüne Jalousien. Aus dem mit Schiefer bedecktem Dache erhebt sich in der Mitte ein Belvédèr, auf dem zwei Bänkchen angebracht sind, von wo aus man in klarer Nacht in ungestörtem Frieden das Kreuz des Südens flimmern sieht.
    In einer der untern Stuben sitzt noch spät in der Nacht ein junger Mann vor dem Kamine, gerade beschäftigt, zu wiederholten Malen ein Billet durchzulesen. Seine schönen Gesichtszüge waren vom Scheine eines starken Steinkohlenfeuers scharf gezeichnet und gaben ihm und seiner nächsten Umgebung das Ansehen eines Rembrandt'schen Gemäldes.
    Zwei Wachskerzen, die auf einem runden Tische mit weißer Marmorplatte, zu beiden Seiten eines Tintenfasses stehen, waren ausgeblasen und an den Dochten flimmten noch hie und da leichte Sternchen auf und ab. Ein wirrer, großer Feuerschein schwankte am Plafond, so wie das Feuer im Kamine stärker ausslackerte und zog sich wieder zusammen, wenn die Flamme einwärts fchlug und die innern Schichten der Steinkohlen beleckte.
    Die Stellen in der Stube, die außerhalb der Peripherie des Kaminfeuers sich befinden, sind in ein magisches Dunkel gehüllt.

 

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    Der junge Mann ist nicht allein.
    Unter den feinen Muskitovorhängen eines zweischläfrigen Bettes kniet ein junges Weib, das mit einem Pfauenfächer die Muskitoes aus dem Bette treibt und behutsam die Vorhänge wieder schließt, wenn sie glaubt, dieselben verjagt zu haben. --
    Geschmeidig und gelenk wie eine Tigerkatze und rasch wie ein Panther in den Rohrbrüchen von Louisiana oder Arkansas, hatte sie wahre Liebe plötzlich so zahm gemacht wie ein Ljana, das freudig und geduldig die Last seines Herrn trägt.
    Der junge Mann war bezaubert von dem Feuer des jungen Weibes und ließ sich gerne von den Tatzen dieses weiblichen Panthers zerfetzen.
    Es war die erste Liebe Emil’s,
    Die erste Nacht verbrachten sie wie Bräutigam und Braut.
    Der junge Mann ward nachdenkend und schauderte über seinen glücklichen Besitz. Heute war es die dritte Nacht, die er mit ihr hier verbringen sollte.
    Das junge Weib kniete noch immer unter den Vorhängen und sah mit trunkenen Blicken auf die Stelle am Kamin.
    Der junge Mann hatte das Billet, das er zu wiederholten Malen durchlesen, auf den Mantel des Kamins gelegt und stützte seinen schönen Kopf nachdenkend in die flache Hand.
    Das junge Weib betrachtete aufmerksam jede seiner Bewegungen.
    „Ich hoffe, meine Antwort auf diese Zeilen wird mich auf immer von meiner Frau scheiden und Jenny bewegen, in Zukunft sich nicht mehr um mich zu bekümmern“, murmelte der junge Mann vor sich hin.
    „Ich glaube es jetzt selbst“ fuhr er dann fort, „daß ich nie Liebe für Jenny gefühlt und zudem hindert mich dieses Verhältniß auch, den Pflichten nachzukommen, die mir der Alte auferlegt; denn was mir meine Lucy erlaubt, würde mir Jenny nie gestatten und so käme es doch immer wieder zu jenen kleinen Zwistigkeiten und albernen Zänkereien, die mich ihr zuletzt doch entfremden würden. -- -- Daß sie meine jetzige Wohnung ausfindig machte, wundert mich nicht so sehr; denn der kleine Tiberius ist gewiß die ganze Stadt auf und abgerannt -- -- und dies Billet -- -- hm! hm! Vergebung, Alles soll vergessen sein -- zurückkehren an den häuslichen Heerd, hm! hm! -- -- das sind lauter Köder, durch die ich mich jetzt nichtmehr fangen lasse. -- -- Sentimentales Gerede -- -- nun, wenn ihr Tiberius von der Anwesenheit Lucy’s trotz seinem

 

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Versprechen, es nicht zu thun, erzählt hat, -- -- so ist wohl jede Antwort unnöthig und Frida -- die wird ihr ohnedem zu einer abermaligen Verbindung nicht zureden. -- -- Dann erinnere ich mich, daß Tiberius Lucy weinen sah -- -- O hätte nur Tiberius Alles haarklein erzählt,was er gesehen -- -- ich hätt' es ihm nicht verbieten sollen -- -- -- -- und wie ist Lucy so umgewandelt, wie sie mich liebt, nein, mehr als das, wie die rasend in mich verl--“ verliebt ist, wollte er sagen -- „nein, das ist ein gemeines Wort, gebraucht, verbraucht und abgenützt -- -- und wem, wem ich es verdanke? wem anders, als dem räthselhaften Unbekannten. -- --“
    Plötzlich horchte Emil auf.
    Lucy schlug eben mit ihrer Zunge an die Zähne und zischte mit dem ihrer Race eigenthümlichen Ton, wenn sie - die Liebe quält.
    Emil wandte sein Gesicht von der Steinkohlengluth, in die er bisher geflüstert und tauchte seinen Blick in das magische Dunkel der Bettvorhänge.“
    „Emil, mein Geliebter, begann Lucy, indem sie ihre Rechte auf's Herz legte und den Zeigefinger der linken Hand einwärts bog: „„Betrachte den Gang des Zeigers auf der Sonnenuhr meiner Liebe, wie rasch er vorwärts drängt und dich mahnt, die dunklen Schatten der Nacht nicht umsonst schwinden zulassen.““
    Emil zuckte bei diesen Worten finnestrunken zusammen. Es war dies bereits das dritte Mal, daß ihn Lucy so anredete; es lag für ihn etwas Ueberirdisches in dieser wunderlichen Ansprache.
    „Emit, mein Geliebter, blicke nicht so trüb' in die dunkle Glut und laß mir die Wolken von deiner Stirne verscheuchen... hörst du nicht die rauschende Musik in meinem Herzen... komm”, lege deinen schönen Kopf an mein Herz und horche, wie da drinnen der Liebesgott die Zaranda*) spielt …. hörst du's? jetzt klatschen sie in die Hände -- -- die Zaranda verstummt und die Liebe hat wieder einen neuen Triumph gefeiert ... und du säumst mein Geliebter?“
    Was bei diesen Worten in Emilvorging, als er seufzte: „lasse mich hier noch ein wenig stehen, michfriert“ bleibt ein Räthsel, das nur die Liebe zu lösen im Stande ist.
    „Emil, mein Geliebter, wie kannst du dich an die todte
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*) Ein kleines Saiten-Instrument, anf dem Cupido spielt, wenn er sich seines Siegesgewiß ist.

 

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Glut setzen, wenn dich friert?... Weißt du nicht, daß das Herz deiner Lucy mehr erwärmt?... Wenn die Sonne wieder durch die Lila"s und Cypressen bricht, ist jene Glut erloschen, aber die Glut meines Herzens nicht....“ Ebenso räthfelhaft erwiederte Emil: „Es ist noch zu früh, daß ich mich dir an's Herz lege, meine Lucy, singe mir lieber eines jener Lieder, die du als Kind auf der Plantage so oft singen hörtest -- -- singe mir ein Negerlied!“
    „Erlasse mir jene Melodieen;“ seufzte Lucy.
    Emil nahte sich jetzt Lucy und schlang seinen Arm um sie. -- -- -- -- -- --
    Draußen flimmerte das Kreuz des Südens ruhig am tiefblauen Sternenhimmel. --
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3. Ein Schlüssel zur Rückerinnerung.


    Emil und Lucy hatten bereits schon mehrere Tage in ihrem schönen Häuschen verlebt, ohne daß sie der Alte je besucht hätte. Sie hatten ihn in ihrem stillen Glücke nicht vergessen -- sehnsüchtig erwarteten sie ihn jede Stunde.
    Da, als Lucy eben ihre jüngst gepflanzten Orangenbäumchen begießt, fällt ein Brief zu ihren Füßen nieder. Sie wendet sich um, kann aber Niemand erblicken. Ohne denselben zu erbrechen oder auch nur die Adresse zu lesen, eilt sie in’s Häuschen und übergiebt ihn Emil, der sinnend vor einem Buche saß, das aufgeschlagen auf einem Pulte lag. Emil öffnet den Brief, Die Hand ist ihm unbekannt, um so eher erkennt er aus dem Inhalte desselben desen Urheber.
    Der Brief lautete:
      „Die beiden alten Neger Lucy's haben gestern ihre Freipapiere erhalten und zugleich ihr Haus in der Orleans straße bezogen, das jetzt ihr Eigenthum ist. Niemand soll von nun an sagen, daß Lucy Wilson Sclaven halte oder daß dieselben ihre Ketten mit in den Sarg nehmen. Sie sollen die wenigen Jahre, die sie noch zu leben haben, frei und ohne Nahrungssorgen dahinbringen, um nicht später als abgenützte Waare bei Seite geschafft zu werden, wie man es mit den zum Arbeiten untauglichen Maulthieren macht. -- Lucy und Emil werden dieser Tage ihr Häuschen verlassen und mit mir einen anderen Wohnort beziehen, wo ihnen auf einige Zeit jede Rückerinnerung an ihr vergangenes

 

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Leben und mit sie noch zuwerten ängstigenden Verhältnisse schwinden wird. Denn für den hohen Zweck, auf den ich sie vorbereite, halte ich ein solches Mittel für unumgänglich nothwendig. -- -- Späterhin, wenn sie diese Pause überstanden haben, wird ihnen die Erinnerung an ihre Vergangenheit nicht mehr hindernd in den Weg treten. Dafur sorgt eine heilsame Gabe der Natur. "
    Der Sinn der letzten Worte schien Emil und Lucy ein unauflösbares Räthsel. Daß sie das ihnen lieb gewordene Häuschen verlassen sollten, beunruhigte sie, doch fügten sich in die Wünsche des Alten. -- -- Nach Verlauf von zwei Tagen, in einer dunklen Nacht, erschien der Alte in eigener Person vor ihnen, und fuhrte sie, nachden sie noch vorher einen von ihm selbst vorbereiteten Abschiedstrank zu sich, genommen, sicher und vorsichtig in die hochstgelegenen Semächer der Atchafalaya Bank, wo wir sie im neunten Capitel unseres Romanes so unerwartet wieder getroffen haben. -- --
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    Als Emil das Manuscript des Alten zusammenrollen wollte, entfiel demselben ein Streiten feinsten Pergaments, das ihnen den Ort, wo derselbe seine Schätze aufwahrt, genau bezeichnet. -- -- Wie ihnen der Alte befohlen, hatten sie noch in der nemlichen Nacht die Atchafalaza Bank sammt den Schätzen verlassen, um sich anderswo einen Autenthalt nach ihren eigen Gutdunken zu wählen. -- --

(Ende des ersten Bandes)

 



31 Januar 1854




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Peter R K Wagner - 2019