aufgeschlagen und manches junge schöne Leben wird auf dem
Schaffotte ihrer Begierden hingemordet.-- -- Gedulde dich,
mein Kind, du wirst wieder der Welt übergeben werden, und --“
Ein weicher Arm, der sich um seinen Hals schlang,
unter drückte seine Worte. Der Reiter stand jetzt still.
Er befand sich vor einem alten Gebäude mit
zersprungenen Säulenschaften und von Sturm und Wetter abgefressenen
Capitälern. Die Fenster zerbrochen und verwittert und die
innern Räume, wo man früher Gold zählte, wog und discontierte, verlassen und öde.
Es war die „Atchafalaya Bank, zwei Häuser von der Canal
Bank entfernt, und zur Zeit, wo diese Zeilen niedergeschrieben
worden, verschwunden. Zwei stattliche vierstöckige Backsteinhäuser
ersetzen sie jetzt und in ihrem Innern sind die Waaren des
reichen Mr. James aufgespeichert. Wo jetzt geboten und gefeilscht
wird, hat noch vor wenigen Monden die Nemesis über New-Orleans
verfügt. Warum wurde das Atchafalaya Bankgebäude niedergerissen?
War es Spekulation oder -- Laune? Keines von Beiden.
Mit seinen Bewohnern, die im hintern Raume wohnten
mußte auch das Gebäude verschwinden. Bei dem Niederreißen
desselben fand ein Arbeiter unter dem Schutte ein drei Fuß
hohes eisernes Kreuz, in das die Insignien und Symbole der
Freimaurer eingegraben waren. Dieses Kreuz schmückt jetzt die
Grabstätte eines großen Dulders, eines edlen Menschenfreundes,
der, von seinen Ordensbrüdern tief betrauert, erst seit wenigen
Monden in geweihter Erde liegt.
Sein Antlitz ist der Sonne zugekehrt. --
Als sich der Reiter im Hofraum befand, stieg er vom Pferde
und nahte sich, mit seiner Bürde auf den Armen, vorsichtig einer
der kleinen Thüren, die durch einen Nebengang in das Hauptgebäude führten.
Der Mond war jetzt unter den Horizont gesunken und
tiefe Finsterniß umhüllte ihn.
„Ich muß sie aus dem Bette jagen,“ murmelte er vor sich
hin, indem er mit einem Ring in Form eines Kreuzes siebenmal an die Fensterscheiben
pickte. Dann horchte er aufmerksam, indem er sein linkes Ohr an die Spalten des
Fensters lehnte.
„Gott sei uns. Allen gnädig!“ hörte er bald darauf
eine Stimme aus beklommener Brust. „Das ist Hiram und sein Kind!“
Den Meisten, welche sich längere Zeit in New-Orleans
aufgehalten haben, wird bekannt sein, daß es bei eintretender
Dunkelheit Niemand mehr gestattet ist, einen Koffer oder irgend
ein Packet von auch nur geringem Umfange über die Straße
zu tragen, und daß nur der genaueste Ausweis vor den Händen
der Polizei und einem Nachtlager in der Calaboose sichert. Es
ist dies eine sehr weise Maßregel, da in keiner Stadt der Union
den Dieben mehr Gelegenheit im Rauben und Plündern gegeben
ist, als gerade hier.
Allerdings kommen deßungeachtet nur zu häufig Fälle
von derartigen gesetzwidrigen Handlungen vor, besonders im
westlichen Theile des zweiten und dritten Distrikts, da hier
gerade nicht immer die strengste Aufsicht geübt wird und die
Wachtleute in dieser Region gewöhnlich selbst unter Einer Decke
mit den Loafers und Rowdies stecken; jedoch mindert obiges
Verbot Einbruch und Diebstahl doch in Etwas.
Wie es aber in allen Zweigen der
Gesetzgebung zu geschehen pflegt, wo man mit Geschick und Schlauheit aufgefetzliche
Weise Gesetze zu umgehen weiß, so gilt dies um so mehr bei
unserer Nachtpolizei-Verordnung und man findet in gewissen
Schichten der Gesellschaft in New-Orleans Leute, die es sich
zu großem Verdienst anrechnen, mit der größtmöglichsten Impertinenz
den Wachtleuten eine Nase zu drehen, oder denselben
durch maßlose Keckheit zu imponieren.
Einer von diesen geübten Gesetzübertretern war ein
schlanker, hochgewachsener junger Mann, der eben die Royalstraße
heraufkommt und beim Umbiegen in die Orleansstraße,
in die er eiligst zu gelangen sucht, mit einem Koffer auf den
Schultern gerade einem Wachtmann in die Arme läuft.
„Wie geht's Jim?“ rief der junge Mann, der sich durch
dieses unangenehme Zusammentreffen nicht im geringsten irre
machen ließ, „'s sind fast zwei Jahre, daß ich dich nicht mehr
gesehen habe, bin eben von Californien angekommen -- will
meine Sachen die Nacht über nicht an Bord lassen -- man
darf hier nicht trauen -- 's ist ein verdammtes Nest, das New-Orleans!
das Loafergesindel wäre im Stande, mir meine sauer
erworbenen Dollars untern Kopf wegzuziehen, -- will's lieber
zu meinem Schwager tragen! -- Nun, du wirst mich
morgen doch gleich besuchen -- habe jetzt keine Zeit mehr, mich
länger hier aufzuhalten -- -- weißt ja meine Wohnung, neben Colonel Macpherson!“
Diese mit Geistesgegenwart gesprochenen Worte verfehlten
ihre Wirkung nicht. Der Wachtmann glaubte wirklich einen alten, von Californien
zurückgekehrten Bekannten getroffen zu haben, konnte sich auch im Momente
nicht gleich der Idendität der Person vergewissern. Die trauliche,
freundliche Ansprache, das „bei Colonel Macpherson kannst du mich finden“ setzte ihn
über allen Zweifel hinaus, daß nicht einmal die Idee in ihm
aufkam, er könnte hintergangen werden.
Der vorgebliche Freund aus Californien aber war,
nachdem er noch ein kräftiges „good bye Jim!“ zurückgerufen hatte,
gleich einem von einem Jagdhunde verfolgten Wild, ungeachtet
seiner schweren Last, die mit ihm nur so zu fliegen schien, die
Orleansstraße hinaufgerannt und verschwand in ein verwittertes Haus,
das von Außen eher einer Höhle für Bären und Wölfe, als einer
menschlichen Wohnung gleich sah.
Dieses an den meisten Stellen schadhafte Haus mit einem
großen Giebeldache stammte noch aus der Zeit, wo die ersten
Franzosen sich ansiedelten, und bildet den Anknüpfungspunkt
an mehrere Häuser oder Barracken im französischen Colonistenstyle,
die von hier die Länge der Straße sich hinabziehen.
Einen sonderbaren Eindruck rufen diese Wohnplätze in
jedem Fremden hervor, wenn er diese verwitterten und mit klebrigem Grün
uberzogenen Häuserreihen betrachtet und an die Zeit ihrer Entstehung denkt.
Nur hie und da sieht man in dieser Gegend ein weißes
Gesicht; denn nur die schwarze Farbe ist hier tonangebend.
Um einen Spottpreis sind hier ganze Häuser zu vermiethen,
und das „chambre garnie“ („meublirtes Zimmer“), das man
auf halbzerrissenen Zetteln vor dem Eingange lies't, ist hier
nicht so genau zu nehmen, da ein zweischläfriges Bett mit einer
blauen oder schwefelgelben Musquitobare die ganze Einrichtung
ausmacht. Waschgeräthe hat der Miether sich selbst alle Morgen
von seiner Hauswirthin -- denn die Vermiether sind durch
gängig Frauen oder vielmehr Wittwen -- zu holen.
Die Miether mussen jedoch unverheirathete Männer sein,
da diese Wittwen ihre Zimmer an keinen Verheiratheten oder gar an eine Familie abgeben.
Schon mancher Mann, der mit seiner lieben Ehehälfte in
diesen Stadttheil kam, um sich hier ein weniger kostspieliges
Ruheplätzchen auszusuchen, mußte unverrichteter Sache wieder
abziehen und sich oft noch gefallen lassen, daß man ihn mit
Schmähworten überhäufte und ihm die Thüre vor der Nase
zuschlug. „Seulement pour un garcon!“ heißt hier die Devise.
Doch es ist Zeit, daß wir zu dem Häuschen zurückkehren,
in das wir unsern Nachtvogel mit seinem Gepäcke schlüpfen sahen.
An dieses Häuschen, das mit seiner Frontseite frei an der
Orleansstraße stand, war zu beiden Seiten eine Umzäunung
angebracht, die aus plumpen Fence-Riegeln bestand, jedoch
von immergrünen Schlingpflanzen ganz überwuchert war und
den Vorübergehenden keinen Blick in den innern Raum gestat
tete. Der Mond, welcher eben mit all seiner wunderbaren
Klarheit aus einer schwarzen Wolke, die ihn bisher verborgen,
hervortrat, beleuchtete eine Scenerie von seltsamer Färbung
und Complexion.
Im Hofraume sah man ein Bild der größten Unordnung
und Nachlässigkeit. Waschkübel, Waschbretter, Besen, Kaffeekannen,
zerbrochene Stühle und Tische, die umgestürzte Wiege
eines Kindes u.s.w. -- Alles bunt durcheinander geworfen --
und über den ganzen Hofraum zerstreut.
Auf der Gallerie, die auf der Rückseite des Hauses sich
befand und in geschmackloser Breite sich ausdehnte, sind zwei
Gestalten bemerkbar, von denen die Eine dem jungen Manne,
den wir vorher eintreten sahen, angehört; die andere einer
Frau von ungefähr fünfzehn bis siebenzehn Jahren. Diese Frau,
von auffallender Schönheit und einer imponierenden Größe, ist
eben im Begriffe einen langen grünen Schleier, den sie über
den Kopf geworfen, unter dem vollen Kinne zusammenzuknüpfen,
um vor dem heranstreichenden Zugwinde sicher zu sein, Ein
langes weißes Hemd von Mousselin de Laines, das von dem
schönen Geschlechte in New-Orleans so sehr geliebt wird, wird
fast ganz von einem rubinrothen seidenen Shawl, dessen
Fransen den Boden streifen, verdeckt. In üppiger Fülle bedeckt
das rabenschwarze Haar ihren Nacken und drängt sich bei der
geringsten Bewegung an den vollen Busen hin, der, nur leicht
bedeckt, beständig auf und nieder wogt.
Ihre blendend weiße Gesichtsfarbe läßt bei oberflächlicher
Beobachtung auf eine weiße Abkunft schließen, welche jedoch
der feinere Kenner, der die dunkeln Wolken auf ihren Nageln
und die perlmutterartige Farbe in den Augenwinkeln sieht, bezweifeln muß.
Und in der That, Lucy Wilson -- der Name dieser
schönen Frau -- ist die Tochter eines Pflanzers am Grand Bayou Caillou,
einige Meilen vom Lake Quitman entfernt, die derselbe mit einer Lieblingsclavin
erzeugte, und gemäß Verfügung kurz vor seinem Tode freigegeben hatte.
Lucy war damals zehn Jahre alt.
Sie ging bald darauf nach Houma, einem kleinen Städtchen
am Bayou Petit Caillou, wo selbst sie sich in kurzer Zeit
mit einem freien Mulatten, Namens Jean Aime, verheirathete.
Beide beschlossen mit einander nach New-Orleans zu gehen,
um daselbst ein kleines Geschäft zu beginnen. Noch ehe sie aber
in New-Orleans angelangt waren, verliebte sich die leichtfertige
„Emil,“ begann Lucy, zu demselben gewendet, „du hast
mir doch versprochen, vor acht Uhr hier zu sein -- was hat dich so lange
abgehalten? Hast du vielleicht wieder einen dringenden Besuch in Algiers gemacht?“
Diese Worte wurden von ihr mit starker Stimme betont,
indem sie ihn dabei mit ihren blitzenden Augen scharf in's Gesicht sah und
ihre Mundwinkel höhnisch herabzog.
Eine sichtbare Verlegenheit malte sich in den Gesichtszügen
des jungen Mannes. Er schien sich mit Einemmale auf. Etwas
zu besinnen; denn er fuhr mit der Hand über die Stirne und
stampfte mit dem Fuße auf den Boden.
„Das ist noch das deutsche Element in dir, Emil,“
begann Lucy weiter, „weil ich zufällig nicht im besten Rufe stehe, muß
man sich deshalb Gewissensbisse machen. Gewissensbisse, Emil!
Wie hängt das mit deinem sonstigen Lebenswandel zusammen? -- -- so
seid ihr Deutschen aber Alle! Auf der einen Seite begeht ihr Fehltritt
auf Fehltritt und auf derandern fallt ihr in eine unausstehliche Schwermuth,
ohne deßhalb den festen Vorsatz zu fassen, besser zu werden. Es
scheint, als ob ihr blos deßhalb Sünden beginget, um stets
neuen Stoff zum Nachdenken und zur Selbstquälerei zu haben.
Dein Bruder war gerade so. Noch bevor ihn das große Unglück
betraf, das seinen Tod zur Folge hatte, war er so ausgelassen,
wie eine Marketenderin aus der Gascogne und - plötzlich -- --
bei einer Festgelegenheit auf unserm herrlichen Settlement, wo
es uns Allen darum zu thun war, nur fröhliche und lebens
lustige Gesichter um uns zu sehen, hing er den Kopf und ging
seinen unseligen Träumereien nach -- -- -- willst du dich
durchaus bessern, gut! geh' in dich, gieb deine unsaubere
Erwerbsquelle auf und arbeite mit den Niggern auf den
Plantagen hochmüthiger und boshafter Creolen. Da hast du
dann ein goldenes Leben -- -- eine unerschöpfliche Quelle von
Genüssen aller Art! du hast dann jeden Abend den schönen
Trost, den ganzen Tag im Schweiß deines Angesichts dein
Brod verdient und somit nach den Vorschriften der Bibel
gehandelt zu haben -- O wie beseligend!-
„Du sprichst so salbungsvoll wie ein Kirchenvater fiel
Emil gedankenlos ein.
„Doch -- Emil,“ fuhr Lucy fort, „was du einmal sein
willst, sei es ganz; die Halbheit hat mich stets angewidert, sei es in der
Tugend oder im Laster. Wenn ich Richter wäre,
würde ich nur die Halbheit bestrafen- consequente, systematische
Bösewichter hätten von mir nie. Etwas zu befürchten! Die Halbheit ist das
größte Verbrechen, das auch am schärfsten bestraft werden sollte -- -- -- ich
möchte wohl deine Eltern kennen lernen, du sagtest mir ja einmal, daß sie
über's Meer kommen würden?“
„Laß mich mir meinen Eltern in Ruhe!“ entgegnete finster Emil. --
Derselbe stand an einen Pfosten der Gallerie gelehnt und
schien bald mit unstätem Blicke die schönen Formen Lucy's zu
mustern, bald mit seinen Gedanken eine andere Welt zu durchschweifen.
Lucy fiel es auf, daß Emil, der bei dergleichen
Strafpredigten und ironischen Ausfällen gegen seine Person, stets in
Feuer und Flammen gerieth, nun so consequent schwieg und
alle Anspielungen ruhig über sich weggehen ließ. Ihr fiel es
auf, daß er nicht wieder eine jener Scenen herbeiführte, wo
man sich gegenseitig nur deshalb zu erbittern sucht, um die
Wollust zu genießen, sich wieder auszusöhnen. Und das war
es eben, was sie mit ihren herben Worten bezwecken wollte.
Sie liebte die Erstase, sie liebte den Groll, der sich zuletzt in
Schwüren und Küffen auflöst. Ihr war das gewöhnliche
Tändeln und Kosen ein Abscheu; sie verschmähte die einzeln
aufsteigende Rakete einer müssigen Schäferstunde -- nur im
Aufrasseln einer vollen Feuergarbe konnte ihre ungestume
Sinnlichkeit Befriedigung finden.-- Eben war sie im Begriff,
ihrem stummen Freunde einen neuen Anstoß zu geben, um
dessen Ruhe zu brechen, als derselbe seine bisherige Stellung
verließ und mit den Worten: „Ich habe heute noch eine
Pflicht zu erfüllen!“ eiligst davonrannte. --
„Narr“ dachte Lucy bei sich, als sie ihn so pfeilgeschwind
die Treppe hinabschießen sah. -- -- Er hat noch eine Pflicht zu erfüllen! -- -- gegen wen?
gegen eine sentimentale Frau oder den blassen Schatten seiner Maitresse? -- -- Narr,
sich um eine so schöne Nacht zu bestehlen und aus Pflichtgefühl lieber in officiellen
Armen zu liegen! - - - Pah, ich interessiere mich auch zu viel für diesen deutschen
Vagabunden -- -- er ist der Liebe eines Weibes gar nicht werth! -- -- --
Sinnend stand sie einige Augenblicke, ihre wunderbaren
Augen bald geschlossen, wie beim Götterspiel einer Schäferstunde,
bald wieder weit geöffnet und Blitze schleudernd, wie eine erzürnte Mänade.
Peinigte sie verletzte Eitelkeit oder Eifersucht? Tobten in
ihr die Höllenqualen eines übernatürlichen Sinnenrausches? Welchen Namen mögen wohl
die Flammen haben, die aus ihren Augen emporschlagen?
Lucy war kalt, schlau, berechnend und glatt wie eine
Schlange, sie liebte das Gold, sie liebte Intriguen -- -- aber in manchen Momenten
war sie stürmisch und ausgelassen, besonders wenn sie sich in den Kopf gesetzt hatte,
ein Liebesmahl zu feiern.
So war sie heute auf die Ankunft ihres Freundes vorbereitet,
sie hatte ihn sogar aus gewissen Gründen vermocht, seine unentbehrlichsten
Habseligkeiten während der Dunkelheit in ihre Behausung zu schleppen; sie hatte
sich den ganzen Tag so sehr in die Freuden dieser Nacht
hineingedacht, daß sie es jetzt unerträglich fand, einer albernen
Laune oder eines moralischen Scrupels ihres Freundes halber
auf dies Alles zu verzichten. Sie mußte sich zerstreuen. In’s
Theater -- St.Charles? Varieties? In die französische Oper?
Auf den Ball in der „Hamburger Mühle?“ Louisiana Ball? Fandango in Frenchmentreet? -- --
Alle nur erdenklichen Vergnügungen passierten ihre
Einbildungskraft -- doch sie konnte sich zu Nichts entschließen.
Sollte sie sich diese Nacht belustigen, so mußte nothwendig
Emil ihr Cavaliere servente ein. Selbst Mc.Donough hätte heute keinen Eintritt bei
ihr gehabt und hätte er auch seine Worte mit Gold aufgewogen. Ein barocker Gedanke
durch kreuzte mit Einemmale ihr Gehirn. Sie trat von der Gallerie
in das Zimmer zurück, wo der Koffer Emils stand und versuchte ihn zu öffnen.
Es gelang ihr nicht. Rücksichtslos und nur ihrer Laune
nachgebend, ergriff sie ein Beil und hieb den Deckel desselben entzwei.
Kleidungsstücke, Wäsche, Necessaires, lackierte Schuhe --
Alles wurde in Haft aus dem Koffer gerissen, auf den Teppich gestreut, besehen und wieder besehen.
„So! das ist die richtige Garderobe für mich!“ rief sie
wie närrisch aus, nachdem sie einen vollständigen Herrenanzug
auf die Seite gelegt hatte. „In dieser Kleidung kennt man ihn in der ganzen Stadt;
es kennt diesen Anzug seine Frau, es kennt ihn ein blasser Schatten! -- -- Warte,
mein Emil, Lucy wird sich noch heute an dir rächen! -- -- dein Pflichtgefühl wird
dir theuer zu stehen kommen! -- --
„Wie geht's alter Bursche?“ begrüßte ihn inmitten seiner
Träumereien eine kräftige Stimme, die von einem jungen jovialen Manne kam, der ihm
auf eine etwas derbe Art die Hand drückte. „Warum sieht man dich so wenig mehr?“
fuhr er fort, „wo steckst du? Wo treibst du dich die langen lieben
Nächte herum? -- -- -- Erst gestern frug man bei Cassidy nach dir -- das kann ich
dir versichern, Cassidy hat doch noch immer die besten Austern in New-Orleans -- komm
mit -- vorher habe ich aber noch ein liebes schönes Kind abzuholen -- komm, komm,
du begleitet mich zu ihr.-- Wir nehmen sie mit hinauf in den Ladies's Salon und
lassen uns die Austern und den Londoner Porter trefflich schmecken -- -- da steck' dir
einmal eine von diesen Cigarren an -- bei Jingo, Laborde und
Caballero haben doch die besten Cigarren in New-Orleans -- ein verdammt schönes
Blatt -- das -- he!“
Emil nahm die Cigarre, zündete sie an der seines
geschwätzigen Freundes an, steckte sie aber an der angebrannten Stelle in den Mund.
Er machte sein Versehen gleich wieder gut, ohne daß es
sein Kamerad bemerkte, mit einer solchen Ruhe, als hätte er sich gar nicht die Lippen verbrannt.
„Ja und denke dir nur, die Eliza ist mir vorige Woche
mit dreihundert Dollars durchgebrannt. -- Ein schönes Sümmchen das -- he?
doch ich lasse mir darum kein graues Haar wachsen, die sind in zweimal
vierundzwanzig Stunden wieder verdient -- -- unser Einer ist nicht mehr so grun, daß
er sich die Woche hindurch um ein Lumpengeld von fünfzig Dollars abquält. -- -- Ist
das kein Lumpengeld für eine ganze, ganze Woche Arbeit! -- -- he? -- -- Ja und denke
dir nur, mein alter Bursche, wir haben jetzt ein paar köstliche Grünhörner gefischt,
das Eine ist erst vierzehn Tage in Amerika, d.h. in New-Orleans; denn New-Orleans
ist für unser Einen Amerika,-- ja und das eine Grünhorn ist ein ganz ausgezeichneter
junger Mann -- hat alle Taschen voll Gold! Es kann ohne mich gar nicht mehr leben -- es
meint, man dürfe von Glück sagen, gleich nach seiner Ankunft
in Amerika einen so guten Freund zu finden -- -- sag” alter Freund, ist das nicht
außerordentlich liebenswürdig und kindlich -- nein, es geht doch nichts über
Germania's Söhne-Herz und Poesie sind bei ihnen stets zu finden. -- --“
„Dumm genug das Grünhorn!“ warf Emil phlegmatisch hin.
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„Aber verdammt!“ fuhr der Andere fort, „ich glaube gar,
du schläft?“
„Ich fühle mich schon ein paar Tage nicht recht wohl.“
klagte Emil.
„Dir ist wohl eine Aorta im Herzkämmerchen
gesprungen,“alter Don Juan!
„Es ist merkwürdig, was du“ ... „sieh' sieh' „unterbrach
er sich plötzlich, indem er quer über die Straße eilte, „unser Büchsenspanner!“
Während sich die Beiden auf dem gegenüber liegenden
Banquet auf möglichst graciöse Weise bekomplimentierten,
benützte Emil schnell diese Gelegenheit, um die für ihn in diesem
Augenblicke lästige Kameradschaft loszuwerden.
Er bog schnell um die Ecke und mischte sich unter die
lärmende Mannschaft einer Feuerspritze, die eben die Straße
heraufgerasselt kam. Als er eine zweite und dritte Spritze
folgen sah und dieselben ihm den Weg über die Straße versperrten,
so schwang er sich über eine derselben, um damit
vielleicht zu gleicher Zeit zu zeigen, daß es auch einmal für ihn
eine Zeit gegeben habe, in der er einer Compagnie beigezählt war.
Seit seiner Bekanntschaft mit Lucy Wilson warf er die
rothe Jacke und den schwarzen Gurtel von sich; denn das Feuersignal weckte ihn
zu oft aus einen seligen Träumereien. Er zog es vor, den Adonis zu spielen,
und zudem hatte er genug zu thun, das wüthende Element in einem Innern zu
bekämpfen. Man vermißte ihn bei seiner Compagnie ungern, denn
er war einer der kecksten und verwegensten Bursche und die
allgemeine Bewunderung konnte ihm nicht versagt werden,
wenn er, flink wie eine Katze, auf den schmalsten Kanten der
Häuser, in ansehnlicher Höhe, den Schlauch in der Hand, auf
die gefährlichsten Punkte den Wasserstrahl schießen ließ.
Emil ging geradenwegs auf das Haus oder vielmehr auf
die alte Barracke Lucys zu. Er war kaum drei Schritte von
derselben entfernt, als er aus der Hofthür fachte eine Gestalt schlüpfen sah.
Das Blut, welches ihm bei diesem Anblicke nach dem Kopf
schoß, kehrte jedoch bald wieder zurück, nachdem er durch eine
leichte Schwenkung gegen die Mitte der Straße zu Lucy in
seiner eigenen Kleidung erkannt hatte.
Anfangs entschlossen, ihr zu folgen, besann er sich eines Andern,
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Nach einigem Nachdenken blieb ihm kein Zweifel mehr
übrig, daß sie ihn in dieser Verwandlung aufsuchte, um sich an
seiner Verlegenheit zu weiden oder ihm irgend einen Possen zu
spielen. War dies der Fall, so besuchte sie auch die Hamburger
Mühle, wo er sich regelmäßig, wenn er den Abend nicht bei ihr
zubrachte, um zehn Uhr einfand, um daselbst bis ein oder zwei
Uhr nach Mitternacht zu bleiben.
Ein ähnlicher Entschluß von seiner Seite lag nicht so ferne.
Auch er wollte eine so galante Metamorphose vornehmen und
sie in gedachter „Mühle“ erwarten, wo er sie vielleicht auch
gleich treffen konnte.
Ihre Kleider paßten ihm -- das wußte er; denn nach
flüchtigem Sinnen sah man ihn seine Hände um die eigne Taille
spannen, dann sich von Kopf bis zu den Füßen messen. Seine
nicht zu breite, doch gewölbte Brust wurde von ihm ebenfalls
in Betracht gezogen.
Wer ihn in solcher Attitude und mit solchen
Gestieulationen beobachtet hätte, hätte ihn sicher für einen jungen
Schauspieler gehalten, welcher Tags darauf seine erste Gastrolle zugeben
hat und sich den Abend zuvor betrinkt. Doch es bemerkte
ihn zufällig Niemand, wenn man einige Ratten ausnimmt, die
ihm über die glacierten Schuhe strichen.
Das Unternehmen war nach einer derartigen wohl
ausgefallenen Musterung leicht auszuführen. Nur eine Schwierigkeit lag
sich demselben in den Weg, nämlich wie er mit
Damenkleidern über die mit Schlingpflanzen und dornigem
Rosengestrippe durchwucherte mannshohe Umzäunung gelangen
sollte; da Lucy den Schlussel bei sich trug.
Hineinzukommen war leicht, das sah er ein. Aber nachdem
er sich umgekleidet, wieder herauszukommen, ohne sich Kleider,
Petticoat und anderes Anhängsel des schönen Geschlechts in
Fetzen zu zerreißen, schien für ihn eine bedeutende Schwierigkeit.
In die Zimmer des untern Stockwerks, um von da aus
dem Fenster zu steigen, konnte er nicht gelangen, da sie versperrt
waren und er auch den Platz dieser Schlüssel nicht wußte. Aus
dem obern Stockwerk sich herabzulassen, schien ihm zu gefährlich wegen der Nachtwache.
Was nun thun?
Nach langem Grübeln entschloß er sich endlich dennoch, da
er kein anderes Auskunftsmittel auffand, sich vom obern
Stockwerk herabzulassen und es zu riskieren, von der Nachtwache ergriffen zu werden.
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Beim Hinübergleiten über die Fence entfiel ihm sein Hut
und blieb an einem auf die Straße reichenden Zweig hängen.
In seinem Eifer schien er dies gar nicht zu bemerken.
Um bei Lucy's grauköpfigen Negern, die in einem Shanty,
das im Hofe aufgeschlagen war, wohnten, keinen unnöthigen
Alarm zu verursachen, so machte er sie mit seinem Vorhaben bekannt.
Die alten Niggers waren ganz entzückt über den Einfall
ihres jungen Masters, besonders da er Jedem von ihnen einen
spanischen Dollar in die Hand drückte. --
[LSZ - 1854.01.06]
Als Emil seinen Koffer so erbarmungslos zerschlagen
vorfand und den Inhalt desselben allenthalben auf den Boden
gestreut sah, stand er betroffen einige Augenblicke still. Ueberrascht,
wie er beim Anblicke der verkleideten Lucy war, hatte er
nicht gleich daran gedacht, auf welche Weise sie sich feiner
Kleidungsstücke bemächtigt haben konnte. Es verdroß ihn jetzt
dieses tyrannische Verfahren mit seinem Eigenthum, das er
hier unter Schutz und Dach gestellt hatte. Doch dauerte dieser
Verdruß nicht lange und mit derselben Lebhaftigkeit, mit der er
seinen Entschluß gefaßt, führte er denselben nun aus.
Emil war schön. Vielleicht zu schön fur einen Mann.
Selbst das klare, reine Antlitz Apollo's wäre bei dem Anblicke
dieses idealen Körpers und vor der elastischen Biegung und
Rundung solchen Gliederbaues vor Neid vergilbt. Phidias
hätte beschämt seinen Meisel weggeworfen und die mediceische
Venus hätte ihre Reize nicht mehr mit den Händen verdeckt,
sondern wäre unserm Emil beim ersten Anblick um den Hals
gefallen.
Hätte ihn Lucy jetzt gesehen, wie er halbnackt vor dem
Ankleidespiegel stand und den Oberkörper auf seinen elastischen
vollen Hüften hin und herschwenkte, um seinen Arm in einen
Aermel zu pressen, der ihm doch etwas zu eng für einen
Männerarm schien, -- sie wäre halb rasend geworden, und
Emil? Nun Emil hätte seinen Tyrsusstab anch nicht gesenkt
und wenn Leda’s Schwan ein Weib gewesen wäre, so hätte
diesmal statt Zeus Juno den Olymp verlassen und wäre auf die Erde gestiegen.
Wahre Schönheit verdient immer unsere Bewunderung,
mag sie von einem Weibe ausstrahlen oder von einem Manne.
Einerlei! Mag es Laune oder Ironie von Mutter Natur sein,
daß sie nur an diejenigen alle ihre Gaben verschwendet, die im
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gesellschaftlichen Leben für Entartete und Taugenichtse gelten
und in sorgloser Unbefangenheit von einem Tag zum andern
ihr Leben hindämmern. Wer hat jemals einen schönen Banquier,
einen schönen Grocerieten, einen schönen „gemachten“
Staatsbürger, einen schönen Zeitungsredakteur u.s.w.gesehen?
Gewiß noch Niemand.
Das Laster muß auf unserer kalten Erde schöne Hüllen
haben, um die Tugend zu beschämen. So hat der Himmel die
schönen flimmernden Sterne, Sonne, Mond und die Kometen
mit ihrem Hofstaate, um die leeren Räume seines Innern zu verbergen -- -- --.
Emil hatte seine Toilette beendet.
Ein strohfarbenes Atlaskleid mit gestreckter, eingeschnippter
Taille und mit schwarzen Spitzen und Perthen besetzt, stand
ihm ausnehmend schön. Seine blonden Haare waren in der
Mitte gescheitelt und auf beiden Seiten glatt an die Stirne
gekämmt, von wo sie sich dann um die Ohren herumwanden.
Mit Lucy’s Schuhen wäre er beinahe in Conflikt gerathen, da
sie ihm -- zu groß waren. Und dennoch hatte Lucy einen
kleinen Fuß, aber der Fuß Emils war noch kleiner.
Die Kopfbedeckung, die er sich gewählt, war dem übrigen
Anzuge in seiner Eleganz vollkommen entsprechend. Er sah
aus wie eine junge bildschöne Hofdame, die am Arm eines
diensttbuenden Kammerherrn in die Gemächer ihrer Gebieterin geleitet wird.
Wie sich aber überall die Prosa, die in Amerika zur
Epidemie geworden ist, in die Hallen der Poesie eindrängt, so geschah es leider auch hier.
Unten wartete bereits. Einer von jenen Rettern des
Vaterlands, die der Deutsche sogemüthlich die „Nacht watsch“
nennt, ungeduldig auf unsern Freund.
Er hatte ihn über die Umzäunung setzen sehen und einen
Hut, der, wie wir wissen, an dem nach Außen streifenden
Gestrippe hängen geblieben, gleich in Beschlag genommen. Da
er hier Unrath zu wittern vermeinte -- denn die Watsch
war, nebenbei gesagt, ganz versessen darauf, Lucy Wilson's
Haus nicht außer Acht zu lassen -- so wartete er einige Zeit
geduldig auf ein etwaiges Resultat dieses Voltigierens. Endlich
wurde er ungeduldig und war eben im Begriffe an die Hofhüre,
durch die man nur allein in das Inneregelangen konnte, zu
pochen, als er eines der Fenster auf die Straße sich öffnen
und eine Frauensgestalt an einem angeknüpften Seile sich
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herablassen sah. Noch ehe Emil den Boden mit seinen Füßen
berührt, so fühlte er auch schon einen musculösen Arm um
seine Taille, die übrigens nicht das Erstemal solche zarte
Bekanntschaft gemacht. --
____________________________
Drittes Kapitel.
Die beiden Schwestern.
Mehrere Wochen sind verstrichen. Der 8. Januar, nach
dem vierten Juli der gefeiertste Tag in New-Orleans, konnte
dießmal nicht mit dem gehörigen Pompe begangen werden, da
ein beständiger, schon seit einem Monat währender Regen allen
Vorbereitungen hiezu feindlich in den Weg trat. Ein beabsichtigtes
Feuerwerk, das durch die Anordnung des Professor
Muller die Freude und den Jubel des Tages beschließen sollte,
mußte unterbleiben und nur die Kanonen proclamirten, trotz
Regen und Wind, den unsterblichen Ruhm des geliebten
Generals. In Jacksonbourgh waren alle Häuser illuminiert und
die reichen Pflanzer, deren Besitzungen zwischen der Bayou
Bienvenue und dem linken Ufer des Mississippi gelegen sind,
verließen ihre stolzen Cottages und Villas und kamen nach
Versailles, wo sie unter sich den in den Annalen des Sudens
ewig denkwürdigen Tag feierten. In New-Orleans selbst
konnte man außer dem Donner der Kanonen und den vielfach
aufgepflanzten Sternenbannern wenig von der Feier dieses
Tages bemerken. Nur die Jugend ließ Tausende von
Fire-Crackers brillieren und schoß auf offener Straße ihre
Gewehre und Pistolen ab und trieb ihren Muthwillen die
ganze Nacht hindurch bis an den fruhen Morgen.
Der heutige Tag aber wäre so recht zu einem Festtage
geeignet gewesen; denn einen schönern und klarern Himmel
hatte New-Orleans schon seit vielen Wochen nicht gesehen.
Am französischen Markte herrschte wieder das tolle Treiben
und Drängen. Wie in einem Ameisenhaufen wimmelte es
hier von allen Nationen. Schwarze, gelbe, weiße, braune
und rothe Gesichter -- alle Farben durch einander gewürfelt,
wie auf einem bunten Mosaikboden. Und doch war es noch
so früh am Tage; denn die Sonne stieg eben erst als den
Niederungen empor und brach mit dem eigenthümlichen
Violettglanze durch die dünnen Nebelstreifen, die den Horizont
des östlichen Himmels durchzogen. Ein frischer Morgenwind
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säuselte voran und nicht lange, so erhob sich die Sonne mit all'
ihrer königlichen Pracht, breitete ihren Purpurmantel aus und
tauchte ihn in die gelbe Fluth des alten Stromes. Die Luft
zitterte vor Freude. Die Menschen vergaßen gar leicht die
vielen trüben und regnerischen Tage -- nichts als frohe und
heitere Gesichter, so weit das Auge blicken konnte! Der erste
Strahl der Sonne hatte im Ru allenthalben Leben hervor
gezaubert. Wir wollen jetzt nur ein Bild festhalten, da es
unmöglich ist, die ganze Stadt an diesem Frühmorgen zu durch
wandern. Wir meinen den französischen Markt.
Pomona hatte hier, ungeachtet des Wintermonats, ihr
Füllhorn reichlich ausgeschüttet. Von der kleinen Hickorynuß
bis zur behaarten Frucht der Kokuspalme, von den zierlichen
Hesperiden bis zur stattlichen goldfarbenen Apfelsine, von den
kurzen Baba's bis zu den traubenförmigen Büscheln des
Pfangs oder der Banane ; Aepfel, Ananas, Citronen,
Orangen -- alles in schönen Pyramiden aufgestellt und
dazwischen sich schaukelnde Kränze und Guirlanden von der
großen levantischen Feige. Zwischen duftenden Gemüsen aller
Art prangten kostbare Blumen und verführten durch ihre
Schönheit manchen Käufer, hier länger zu verweilen und sein
Augenmerk von den Blumen ab auf die Gemüse zu lenken, für
die listigerweise die Blumendecoration auch bestimmt war.
Mehrere Reihen verschiedenartiger Caeteen standen wie trotzige
Wachter um kleinere Blumentöpfe; eine riesenmäßige Cereus
Grandiflorus stand noch traurig und verschlossen unter ihren
Schwestern. Vielleicht träumte sie eben von ihrer zukünftigen
Herrlichkeit die bezaubernde Königin der Nacht! --
Verkäuferinnen allenthalben, sehr wenig Verkäufer.
Breitschultrige Negerweiber mit ihrem orangefarbenen, hochroth
oder grun carrirten Kopfputz; Mulatten- und Negermädchen
mit ihrem tänzelnden Gange und frühreifen Blick;
groteskherausgeputzte Französinnen, die ganz gegen den guten Ton
mit den Vorigen schäkern, sich gegenseitig schimpfen oder Obst
zuwerfen; Indianer, welche hier heilsame Kräuter feilbieten,
deren Weiber in großen Körben auf dem Rücken so manches
Entwendete verborgen halten und mit ihren Säuglingen an
der Brust auf den steinernen Platten des Markthauses sitzen
und nur halb die Blößen bedeckt, ihren Körper von Neugierigen
mustern und begassen lassen müssen; deutsche Mädchen, die
mit ihren Körbchen am Arme schüchtern durch das bunte
Gedränge sich hindurch arbeiten und unbefriedigt das Markthaus
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wieder verlassen, weil sie das Material zu einer deutschen
Küche nicht finden konnten; irische Weiber mit kupferfarbener
Nase und geschwollenem Munde, die in die Wette mit beleibten
und dickhalsigen Negressen schimpfen und toben; Kaffee-,
Thee- und Chocoladetrinker, die sich während ihres Frühstücks
zwanzigmal in den ihnen gegenüberliegenden Spiegeln besehen,
dann fortrennen und ihre Stuhle wieder Anderen räumen
u.s.w. -- das drehte sich Alles wie ein wildes Caroussel um den Kopf des Beschauers. --
[LSZ - 1854.01.07]
Unter denen, die glücklich ihre Einkäufe vollendeten und
nun auf dem Heimwege begriffen waren, befanden sich auch
zwei elegant gekleidete Damen, denen in geringer Entfernung
ein Negerjunge mit einem Korb am Arme und einem Netz in
der einen Hand folgte. In dem Korbe befanden sich außer
verschiedenen Küchengewächsen noch einige Apfelsinen und
Bananen, wahrscheinlich zum Nachtische bestimmt. Durch
das Netz sah man ein paar Buschel rothbäckiger Radieschen
hindurch, die sich zwischen dem grünen, frischen Salat gar
freundlich und einladend ausnahmen. Der Junge folgte
trällernd und pfeifend den beiden Damen,die eiligen Schrittes
die Levee entlang gingen, um hier auf die Rückkehr des
Ferrybootes zu warten, das sie nach Algiers übersetzen sollte.
Während das Boot am andern Ufer hielt, mußte der kleine
Neger vor Einer der Damen ein kurzes Eramen ablegen.
„Tiberius,“ begann die Jüngere mit schönen schwarzen
Haaren und schwärmerischem Augenpaar von tiefer Bläue,
„setze deinen Korb sammt Netz auf diesen Baumwollen allen
und komm' näher.“ Der Neger that sogleich, was ihm befohlen
wurde. Er näherte sich mit abgezogener Mutze den beiden Damen,
„Sage mir Tiberius, hast du Herrn R* zu Hause
angetroffen, als du das Billet abgabst?“
„Ja, Madame!“
„Kannst du dich wohl noch erinnern, mit was sich dieser
Herr gerade beschäftigte und ob er zum Ausgehen gekleidet war?“
„Ich weiß sonst nichts, Madame, als daß er in Hemd
ärmeln auf dem Sopha ausgestreckt lag und in einem kleinen Buche blätterte -- -- dann
saß eine große Lady am Fenster und weinte; denn ihre Augen waren noch ganz
roth und sie wendete ihren Kopfab als ich hereintrat.“
- 23 -
Die beiden Damen sahen einander betroffen an. Dann
frug die Nämliche wieder:
„Hat der Herr Nichts weiter zu dir gesagt, als du weggingst?“
Der Kleine schwieg einen Augenblick, dann sagte er endlich stotternd:
„Massa hat zu mir beim Hinausgehen gesagt, ich möchte
zu Haus nichts von der Lady sagen, die ich bei ihm gesehen.
Ich hab's ihm auch versprechen mussen, daß ich nichts sagen will.“
„Du hast also dein Wort gebrochen, kleiner Schurke!“
und dabei drohte sie ihm scherzhaft mit dem Finger.
„Dann hatten sie mich nicht fragen sollen, Madame,“ erwiederte naiv Tiberius.
„Nun, wenn du wieder hinkommst, und er fragt dich, ob
du etwas ausgeplaudert, was sagst du dann?“
„Dann -- sage ich -- ich habe von der Lady geschwiegen.“
„Das ist nicht recht, Tiberius, du mußt stets die Wahrheit sagen!“
„Also darf ich's Massa sagen?“
Die Dame war auf diese Frage verlegen und um kurz
abzubrechen, beorderte sie den Kleinen wieder an seinen Platz. Dann zur Andern
gewendet, sagte sie feufzend und mit gedehnter, trauriger Stimme:
„Also schon wieder bei ihm -- und er hat mir doch so
heilig versprochen, sie nicht mehr sehen zu wollen! O ich Ungluckliche!“
„Tröste dich, liebe Schwester,“ begann die Andere; „was
ich dir immer vorausgesagt, ist eingetroffen. Glaube nicht, daß er jenes verruchte
Weib je meiden wird, so lange sie sich noch in seiner Nähe befindet. Ich kenne ihn
nur zu gut. Er mag dir es tausendmal versprechen und mit den heiligsten
Schwuren bekräftigen -- kehrt er dir den Rucken, so hat er schon wieder Alles
vergessen. Sieh -- meine theure Jenny, befolge endlich meinen wohlgemeinten Rath
und laß uns wieder in die Heimath zurückkehren. Dein krankes Herz kann nur auf
heimathlichem Boden wieder gesunden und du bist sicher -- vor Schande und Elend.
Theure, gute Jenny, wir sind ja Beide Leidensgefährtinnen! Ich mit einem Manne,
der mich so roh verließ und bereits seit zwei Jahren kein Wort von sich
hören läßt -- unbekümmert, ob es mir wohl ergehe, oder ob ich zu Grunde gehe;
du mit einem Manne, der dir beständig
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unter heißen Thränen Liebe vorheuchelt und dir Besserung
verspricht und dann -- -- -- O -- wir sind. Beide unglückliche Geschöpfe!“
„O, rede vom Fortgehen nicht, liebe Schwester! Wie soll
ich's übers Herz bringen, meinen Mann zu verlassen? Mag er noch so böse sein,
er bleibt doch immer mein Mann -- -- er liebt mich vielleicht doch -- nur ein
Leichtsinn macht ihn so oft untreu. O, er wird noch in sich kehren und ein treuer,
lieber Gatte werden! Man hat doch so viele Beispiele von dergleichen Männern.
Weißt du noch die Geschichte vom Grafen A* -- mit dem war es eben so in dem
ersten Jahre seiner Ehe war er wild, ungestüm, beging Schwachheiten
auf Schwachheiten ... man sprach schon vom Scheiden und jetzt kann Keines ohne
das Andere leben. Du hast es mir ja selbst aus dem Briefe von Deutschland
vorgelesen . . wie, ist's nicht so?“
Das Dampfboot war während des Gesprächs am dies seitigen
Ufer wieder angelangt und die beiden Schwestern begaben sich mit dem kleinen
Tiberius an Bord und befanden sich in einigen Minuten in Algiers, ihrem erst
vor Kurzem gewählten Aufenthaltsorte. Wir begleiten sie in ihre Wohnung.
Kaum hundert Schritte links von dem Landungsplatze,
nicht weit vom Mississippi Ufer, steht getrennt von den übrigen
Gebäuden ein niedliches Häuschen inmitten eines großen Gartens, den außer
einigen pyramiden ähnlichen Lebensbäumen und schlanken Oleandern eine nicht
unbedeutende Anzahl von Orangenbäumen schmücken, deren Aeste fast sämmtlich unter
der Bürde ihrer goldenen Früchte seufzen. Diese letzteren bilden vom Eingange
des Gartens bis zur Thüre des Wohnhauses einen schattigen Gang, gehen von da
rechts und links auseinander und vereinigen sich wieder an der hintern Seite des
Hauses. Zwischen den Orangenbäumen stehen üppige Rosenstöcke von dem schönsten
Grün und den vollsten Blumen. Es gewährt einen höchst überraschenden Anblick,
wenn man an diesem Garten vorbeistreift und sieht durch das zierliche Gelände. Kommt
nun gar ein Fremder von den östlichen oder nordwestlichen Staaten, wo um diese
Zeit. Alles vor Kälte starrt und im trägen Schnee begraben liegt, so fühlt er sich
hier wie von einem Zauberstäbchen berührt und denktgewiß an eine wohlthätige Fee,
die hier ihren Sitz aufgeschlagen haben mag. Er athmet mit Wohlluft den
Vanillenduft der in ihrer schönsten Blüthe stehenden Theerose ein. Er sieht lüstern nach
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den hochrothen, violetten oder weißen Balsaminen, die in der
englischen Sprache so sinnreich „lady's slippers“ genannt werden. Ihm
entgeht auch die dunkelrothe Lychnide nicht, der bedeutungsvolle
„bachelor's-button“, die Lieblingsblume der amerikanischen Frauen.
Wo „lady's slippers“ und „bachelor's-button“ bei einander stehen, ist gewiß
gut ruhen! Die größte Ordnung und Reinlichkeit herrscht in diesem Garten. Kein
Gräschen oder Hälmchen, ja kaum ein dürres Blatt erblickt man auf den saubern
festgerollten Gartenwegen. Guter Geschmack und Poesie haben es hier verschmäht,
die Wege mit Backsteinen zu belegen, wie man es fast ohne Ausnahme in
allen amerikanischen Gärten findet, was den schönsten Anlagen immer Etwas steifes
und unerquickliches verleiht. An diesem Häuschen, dessen Außenseite mit silbergrauer
Farbe übertüncht und mit hellgrünen Jalousien versehen ist, steht nach Norden
hin eine große Tonne von dunkelgrüner Farbe und mit schweren
eisernen Reifen versehen, in die eine Rinne, die um das ganze
Häuschen läuft und von der nämlichen Farbe ist, das Regenwasser sendet,
welches dann durch einen unten an der Tonne angebrachten Hahn abgelassen werden
kann. Dieß ist, außer dem Mississippi, das einzige trinkbare Wasser in New-Orleans
und Umgebung. Wir erwähnen hier Alles, was diesen Ort betrifft, nm so ausführlicher,
als er in unsern Geheimniffen der Schauplatz so mancher Ereignisse sein wird.
Die beiden Schwestern Jenny und Frida traten
eben durch die geöffnete Gartenthüre in den schattigen Gang
und begaben sich, nachdem sie dem kleinen Tiberius einige
Aufträge und Anordnungen für Haus und Küche gegeben
hatten, in das obere Stockwerk, in welches eine schmale, aber
höchst zierlich gebaute Treppe führte, deren Stufen mit einem
grün und rot durchwirkten Teppiche belegt waren, welchen
ein Messingstäbchen an jeder einzelnen Stufe festhielt -- die
herkömmliche Treppendecoration fashionabler Wohnungen.
Seitenwände und Treppenhaus waren mit blaß-grüner Tapete
überzogen. Oben angelangt wurden die Schwestern von einem
smaragd-grünen Peroquet begrüßt, der in einem massiven,
palastähnlichen Käfige frisch und munter von einem Ring durch
den andern hüpfte und sich fortwährend schaukelte. „Estrella
mia -- guerida alma, ho, ho, ho,-- -- Sennor Caballero, ho
ho, ho! -- -- ho, ho, nix versteh'!“ kreischte er dann zuletzt
und kollerte mit seiner Zunge, als wenn er lachen wollte.
[LSZ - 1854.01.08]
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„Warte Papchen!“ riefen die Schwestern, indem sie an
den Käfig des Vogels traten, fast zu gleicher Zeit und drohten
ihm mit dem Finger. Der Schreihals mußte das wohl
verstanden haben und eine böse Lection befürchten; denn er
schmiegte seinen Kopf an das Gitter, duckte mit dem Körper
nieder und schrie: Guten Morgen, meine schönen Damen!
Wie befinden sich Jenny und Frida?“
„So ist's recht, mein Papchen,“ plauderten nun beide mit
dem Vogel, „du sollst nicht mehr spanisch sprechen!“ Während dessen steckte. Jede
von ihnen den kleinen Finger durch das Messinggitter und ließen ihn an demselben
kauen, was für Papchen keine geringe Belohnung war und den Damen selbst reizend vorkommen mußte.
„Aber dem Papchen scheint ja die Sonne ins Gesicht,“
begann die blonde Frida wieder, „da will ich ihm den Shawl um den Käfig hängen -- so,
so -- so ist's recht -- nun kannst du auch ein wenig schlafen, Papchen!“
„Schlafen -- gut' Nacht!“ schrie der Peroquet. „Ho ho,
ho -- -- Sennor Caballero, ho, ho, ho!“ rief er den Schwestern noch einmal nach,
nachdem diese bereits in das Drawing-Room getreten waren.
„Ist doch Emil nicht hier gewesen?“ begann mit beengtem
Athem und ihre Schwester anblickend, Jenny -- „Papchen plaudert mir heute zu viel von Sennor.“
„Wie kannst du auch nur denken?“ entgegnete Frida mit
bestimmtem Tone, an den sie übrigens selbst nicht glaubte. „Was sollte er denn
hier thun und -- -- zudem getraute er sich ja nicht einmal hierher, weil er mich hier weiß und meine
Vorwürfe fürchtet; wenn wir nur dem Vogel das „Sennor“ einmal abgewöhnen könnten!
Es erinnert mich immer an die alberne Sucht deines Mannes, den Spanier spielen zu
wollen. doch -- schweigen wir hievon -- -- wie, Jenny? du weinst
schon wieder? Aber Jenny, komm und küsse mich, aber weine nicht!“
Die besorgte Frida trat, selbst mit einer Thräne im Auge,
zn ihrer Schwester, die sich in einem Rocking-chair niedergelassen
hatte, strich ihr das etwas aufgelöste Haar aus der reinen
Stirne und drückte einen heißen Kuß auf dieselbe. „Du machst
dir zu viel Kummer, liebe Schwester,“ fuhr sie fort, „komm'
und setze dich an's Piano und singe mir das schöne Liedchen,
das dir die kleine Elise gelernt hat; ich höre es gar zu gerne,
obgleich ich sonst die englische Sprache nicht leiden mag. Dieß
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paßt aber so recht auf unsern beiderseitigen Gemüthszustand-
und du singst es so schön!“ setzte sie schmeichelnd hinzu. Gute
Schwester, thue es mir zu Gefallen, nicht wahr?“
„Dir zu Liebe will ich es singen, obwohl ich lieber weinen
möchte,“ sagte Jenny, indem sie sich mit liebreizender Geberde
erhob und an’s offene Piano trat. Frida setzte sich zur
Schwester, nachdem sie vorher ein kleines Tabouretchen herbeigerollt hatte.
Dieselbe sang nun mit innigem Gefühl, mit der bezauberndsten
Reinheit einer vollendeten Stimme :
Bring back the days, the sunny hours,
Of girlhood's thougtless glee;
The placidstream,the opening flowers --
Oh! bring them backto me,
The noontide walks, tho hallowod eve,
The loved, the lost -- that brow
On which love sat like sunset’s leave --
Oh! bring them to me now.
Where is my home -- my girlhood's home
Of sweetnes? Has is fled!
Alas!'tis gone "The -- -- -- --
Hier brach die unglückliche Sängerin in Thränen aus und
stürzte sich an den Hals Frida's. Nachdem sie wieder etwas
beruhigt war, bat sie die Schwester dies Lied zu vollenden.
Nach einigem Sträuben nahm diese die unterbrochene Strophe
wieder auf, indem sie mit ergreifender Stimme die letzte Zeile
wiederholte:
Alas! 'tis gone! The joyous tone
Of its loved cadence dead.
Bring me the happy scenes,which there
Passed like a summer dream ---
The soft'ning tints of memory,
Ere sorowing o'er me came.
O, let me dream I see it still,
With bird and son and flower;
'T will serve to soothe a treasured will
In this and trying hour.
Home of my youth -- farewell -- farewell
Once I did hail your glee;
Painful as in the bosom’s swell ---
Oh! bring it still to me!
Nach Vollendung dieser Strophen sanken sich beide
Schwestern in die Arme und küßten sich mit stürmischer Begeisterung. Sie hatten
sich Beide so lieb und wenn Eine etwas Schönes leistete, so war es gewiß immer
die Schwester, die den Lorbeerkranz um die Schläfe der andern wand. Eine
labte sich dann an der Schönheit der Andern und wenn Frida
das dunkle Auge der Schwester bewunderte, so konnte Jenny
im Anschauen des hellen Augenpaares Frida's, aus dem ein
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ganzer Himmel voll Seligkeit strahlte, auf Augenblicke wohl
ihre unglückliche Lage und das peinigende Grübeln uber den
treulosen Gatten vergessen. Kurz -- Beide waren, wie man
zu sagen pflegt, dann vollkommen in Einander vernarrt.
Wer sie jetzt sah, vom grünen Schimmer des Lichts
übergossen, den die herabgelassenen Transparent Rouleaur verursachten, auf
deren Leinwand sich dustere Hochwälder mit einer türkischen Stadt im Vordergrunde
zeigten, aus welcher die zahllosen Minarets der Moscheen hervorblickten, mußte
unwillkührlich an jenes reizende Schwesterpaar in „Tausend und Eine Nacht“ denken,
von dem einst Schehazarade im Bette ihrem Sultan erzählte.
Auf einem runden Tische, der in der Mitte des Zimmers
stand, lag ein aufgeschlagenes Album mit chrysolidengrunem
Maroquin-Einbande und ließ eine sauber mit Aquarellfarben
ausgeführte Landschaft aus Suddeutschland sehen, auf welcher
sich ein auf einem hochgethurmten Felsen im Renaissancestyle
gebautes Schloß zeigte, an dessen Fuß dustere Tannenwaldung
prangte, die sich an ein kleines Flußchen hinzog, das sich durch
ein liebliches Thal von fetten Wiesen und üppigen Kornfeldern
schlängelte. Seitwärts einer kleinen Brucke sah man ein
verwittertes steinernes Kreuz, an dem ein Kranz von bunten
Feldblumen hing. Die ganze Landschaft war außerdem von
einem zarten rosigen Duft durchwoben, der das Auge des
Beschauers und Kenners stundenlang festbannen konnte. Ganz
unten zur rechten Seite las man im tiefen Schatten einer
Baumgruppe von geübter Hand geschrieben den Namen
„Frida“, mit der Jahreszahl 1845.-- Neben diesem Album
staken auf einem rothammtnen Kissen mehrere mit großem
Fleiße ausgespannte Schmetterlinge, unter denen sich zwei
in's schönste Lasurblau schillernde Argonauten gar prächtig
ausnahmen. Daneben stand ein Gläschen mit Käfern, die im
Alcohol ihren Tod fanden. Ebenso waren auf des Gläschens
Stöpsel eine Menge angespießter kleiner Netzflugler und bunter
Fliegen. In jedem, der dieser Thiere ansichtig wurde, mußte
daher der Gedanke aufsteigen, die schönen Bewohnerinnen
dieses Hauses wären emsige Entomologinnen. Dem war aber
nicht so. Diese Insekten waren fur den Prinz Paul von
Würtemberg bestimmt, der von Zeit zu Zeit, wenn er
von seinen Ausflugen auf dem Felde der Flora und Fauna
zurückkehrte, von New-Orleans nach Algiers hinüber kam, um
sie aus den reizenden Händen der Sammlerinnen zu empfangen.
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Da der Burger Paul jedoch seit längerer Zeit keinen Besuch
mehr gemacht, so war die Sammlung schon bedeutend angewachsen. --
Die Sonne rückte immer höher und höher am östlichen
Himmel herauf und lag jetzt mit ihrer vollen Wärme auf dem Häuschen. Draußen
im Garten zirpten und schnarrten hunderte von Heuschrecken und Cicaden. Dieses
in Verbindung mit dem unisonen Gesumme einiger Fliegen am Fenster, die
sich hinter die Vorhänge verirrt und nun keinen Ausweg mehr
fanden, mußte auf die beiden Schwestern, die den weiten
Gang bis zum französischen Markte hin und her gemacht
hatten und sich am Piano gerade nicht zum Besten erholen
konnten, nur einschläfernd wirken. Frida mit dem Kopfe im
Schooße ihrer Schwester und Jenny ihre Lippen auf den vollen
Nacken Frida's gedruckt - so waren sie eingeschlafen. Ein
wiederholtes Pochen an der Thure weckte sie jedoch sehr bald
aus ihrem Schlummer.
Erschrocken fuhren sie auseinander.
[LSZ - 1854.01.10]
____________________________
Viertes Capitel.
Eine
Nacht nach den Flitterwochen.
Ehe wir die Person, die an die Thüre des Drawingrooms
pochte und dadurch die beiden Schwestern aus ihrem süßen
Schlummer weckte, eintreten lassen, mussen wir dem geistigen
Auge des Lesers eine hausliche Seene vorfuhren, welche die
vergangene Nacht Algiers gegenuber, in New-Orleans in einer
der entferntesten Straßen spielte. Wir versetzen ihn in jenen
Stadttheil, der sonderbarer Weise der Aufenthaltsort und die
Pflanzschule tausender von Ziegen ist, die hier ungestört herumwandeln
und an den Straßenrinnen und zerstreuten grünen
Plätzen ihr nuchternes Mahl halten. Dieser Stadttheil, der
der Esmeralda geweiht zu sein scheint, versorgt die ganze
Stadt mit der so beliebten Milch dieser Thiere. Unter der
Anfuhrung einer Donna oder eines kleinen Mädchens ziehen
sie vor die Häuser der betreffenden Kunden, wobei Jedem seine
bestimmte Ration in das für diesen Gebrauch herkömmliche
Geschirr gemolken wird. Durch ein solches Verfahren empfangen
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die Kunden ihre Milch rein und unverfälscht und brauchen nicht zu fürchten,
für ihr Geld hintergangen zu werden. Dieses Ziegenrevier liegt in der ersten
Munizipalität und erstreckt sich von der Claibornestraße westwärts bis an die
zwei äußersten, mit derselben parallellaufenden Straßen, die von der Bienville-
und Contistraße begrenzt werden.
Es war eine jener wunderschönen Nächte, wie man sie
gewöhnlich nur in den Wendekreisen antrifft, wo der Mond in
seiner vollen, majestätischen Klarheit am Himmel prangt und
so die Nacht fast zum Tage macht und seine stillen Begleiter,
die Sterne, in ruhig planetarischem Lichte unendliche Sehnsucht
in’s Herz zaubern. Ein laues Lüftchen, das vom Golfe her wehte
und die Jahreszeit ganz vergessen ließ, spielte in den
Baumreihen, die die Claibornestraße sich hinabziehen und strich
über die Mauern der nahe gelegenen Kirchhöfe und küßte die
Gipfel der in denselben stehenden Lila"s und Cypressen. Es
war eine jener Nächte, wo das liebende Herz sich so glücklich
fühlt, die beengten Wohnungen verläßt und hinausflüchtet
unter das große reine Himmelsgewölbe, um hier, fern von
allem Tand und Flitter, seine Regungen zu bekämpfen und der
unentweihten Natur seine geheimen Wünsche zu offenbaren.
Der Mauer eines der Kirchhöfe entlang ging langsamen
Schrittes eine Frauengestalt von mittelmäßiger Größe und
schlankem Wuchse, die vom vollen Glanze des Mondes beschienen,
einen bezaubernden Anblick darbot. Unter dem schneeweißen Bonnet,
dessen beide Enden von dem sanften Windhauche auf und nieder geschaukelt wurden,
sah man ein feingeschnittenes Gesicht von den schönsten Verhältnissen, das
verbunden mit einer reinen Blässe lebhaft an die Cameen des
Alterthums erinnerte. Das dunkelblonde Haar, a la fleur de
Marie gescheitelt, glich die mäßige Magerkeit des Gesichtes
etwas aus, indem es zwei Zoll tief unter das Auge herabsinkend
einen schönen Rahmen bildete und so dasselbe voller erscheinen
ließ, als es in der That war. In der einen Hand hielt sie einen
einfachen Palmettofächer und bedeckte sich von Zeit zu Zeit das
Antlitz damit, um den Vorübergehenden die Thräne, die in
ihrem großen hellblauen Auge schwamm, zu verbergen. Um
ihre Schulter hing nachlässig eine grauseidene Mantilla, die sie
mechanisch mit der linken Hand zusammenhielt, um sie vor dem Herabsinken zu bewahren.
Einige Schritte vor ihr ging ein Mann, der hie und da
einige Worte in den Bart murmelte und in langen Zügen die
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bläulichgelben Wolken einer Habana in die laue Nacht hinaus
bließ. Ein kleiner Panama-Strohhut mit einem schwarzseidenen
Bande saß ihm tief im Nacken und ließ so eine hohe Stirne
frei sehen, über die er öfter mit der Hand fuhr und damit eben
keine geringe Eitelkeit beurkundete. Ein locker um den Hals
kragen geschlungenes Band nebst einem leichten braunen Rock
und weiten Beinkleidern von demselben Stoffe, machten seine
ganze Garderobe aus. Ein volles, gebräuntes Gesicht mit
einem kurzen schwarzen Schnurr- und Knebelbarte, das offene
Hemd, das fast zur Hälfte die nackte Brust sehen ließ, lange,
vielleicht mit Absicht unordentlich gehaltene Haare, gaben ihm
ein freies und ungebundenes Aussehen. Mit sichtbarem Wohl
gefallen besah er jedesmal eine Hand, wenn er die Cigarre
aus dem Munde nahm oder sie in denselben steckte oder wenn
er die Asche mit dem Zeigefinger abstieß.
In dieser Entfernung waren die Beiden vielleicht schon
eine Viertelstunde gegangen, ohne auch nur Ein Wort mit
einander zu wechseln. Daß sie sich gegenseitig kennen und nicht
gleichgültig sein mußten, war unverkennbar. Es waren
jedenfalls ein paar Liebende, die aus irgend welchem Grunde
auf Einander schmollten. Die Thräne im Auge der Dame ließ
auf einen vorhergegangenen Verdruß schließen, zu welcher
Annahme das affektierte Benehmen des jungen Mannes nur
noch mehr berechtigte. Die Zweifel, daß sie zusammen gehörten,
wurden indeß alsobald gehoben, indem der junge Mann plötzlich
stehen blieb und die Dame bis zu sich herankommen ließ.
„Aber Claudine,“ begann er im mürrischen Tone, „du
gehst so langsam, daß wir sicher noch eine Stunde nöthig haben,
um nach Hause zu kommen. Ich sollte schon längst wieder an
meiner Arbeit sitzen, da sie bis morgen Mittags vollendet sein
muß und zudem habe ich es den beiden Damen in Algiers auf
das Bestimmteste versprochen -- ich sehe schon, ich muß dir
wieder meinen Arm geben, sonst kommen wir nicht von der
Stelle.“ Bei diesen Worten zog er seine Uhr hervor, besah sie
und steckte sie dann unwillig wieder ein.
Schweigend hing sich die junge Dame an den Arm ihres
Begleiters, der, ohne Rücksicht auf die kleinen Schritte derselben
zu nehmen, rasch vorwärts ging.
So gingen sie einige hundert Schritte, bis sie an den Block
gelangten, in dem ihre Wohnung gelegen war. Das Haus,
das noch eine Familie irischer Abkunft bewohnte, lag ganz
hinten in einem Hofe, dessen Eingang durch ein großes Thor
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von Latten geschlossen war. An der Inseite des Thores befand
sich eine armsdicke Stange, die gewöhnlich um eilf Uhr vor
dasselbe gelegt wurde, um das Aufmachen zu verhindern.
Man mußte im Hause ihre Abwesenheit nicht bemerkt haben
und sie schon schlafend vermuthen; denn sie fanden das Thor
gesperrt. Nachdem der junge Mann einige Male mit den
Füßen daran gestoßen und mit den Händen an demselben
gerüttelt hatte, fingen mehre Hunde an zu bellen und liefen
auf das Thor zu. Sie wurden jedoch gleich beruhigt, als sie
die Ankömmlinge erkannten. In der Stube des Vermiethers,
der zugleich mit im Hause wohnte und, nebenbei erwähnt, ein
Hagestolz war, wurde bald Licht bemerkt und nicht lange so
traten sie ein, gingen über den Hof und befanden sich gar bald
in ihrer Behausung. Auf der Treppe kam ihnen ein kleines
Mädchen entgegen, das während der Abwesenheit ihrer Herrschaft
eingeschlafen war und sich nun entschuldigte, noch keine
Lampe angezundet zu haben, indem es die Schwefelhölzchen
verlegt hätte. Bald fand sich jedoch das Nöthige vor und das
junge Ehepaar setzte sich an den schon vor drei Stunden
gedeckten Tisch, auf dem bereits die Theemaschine stand, unter
der eine Spiritusflamme in kurzer Zeit das Wasser zum Sieden
brachte. In einem silbernen Körbchen lagen noch einige
Schnittchen Kuchen, den die Hausfrau gestern selbst gebacken
hatte -- und darüber her das Strickzeug der jungen Frau.
„Claudine, entferne das Strickzeug aus dem Körbchen;
es gehört nicht hieher. Ich habe dir schon oft gesagt, daß ich
dergleichen Unordnung nicht ausstehen kann,“ unterbrach der junge Mann das Stillschweigen.
„Albert“ -- erwiederte die junge Frau, „sei doch nicht so
zanksüchtig und mische dich nicht in so geringfügige Dinge. Du
hast dir heute wieder einmal vorgenommen, recht unartig gegen
mich zu sein; so vorhin beim Spazierengehen. Wenn du dich
wieder so benimmt, werde ich nie mehr mit dir ausgehen --
merke dir das!“ Dabei suchte sie eine strafende Miene
anzunehmen, die ihr übrigens allerliebst stand.
„Du sprichst gerade so,“ entgegnete Albert, indem er sich
zum Lächeln zwang, „als wenn ich dich zum Ausgeben beredet
hätte. Warst es nicht vielmehr du, die mir keine Ruhe ließ,
bis ich alle Arbeit bei Seite warf, nur um deinem zudringlichen
Wunsche nachzukommen. Sieh, wie schlau du bist! Du möchtest
wohl jetzt die Sache verdrehen.“
Die jugendliche Frau, die wirklich schön zu nennen war -
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denn nie sah man einen schönern und lieblichern Mund, nie
kleinere und glänzendere Zähne, nie eine niedlichere, weißere
und wahrhaft aristokratische Hand -- schwieg auf einige
Augenblicke, dann erwiederte sie im schwermüthigen Tone, indem
sie dabei ihrem Gatten liebevoll ins Gesicht sah:
[LSZ - 1854.01.11]
„Ich begreife dich seit einigen Tagen gar nicht mehr, mein
guter Albert; so kalt, so abstoßend, immer das ironische Lächeln
um den Mnnd, keine herzliche Begegnung mehr, nicht die
geringsten Aufmerksamkeiten, mit denen du mich früher über
schüttetest -- Alles ist verschwunden: Gebe Gott, daß es nur
ein vorübergehender Gemüthszustand ist, sonst müßte ich
wirklich verzweifeln! Wenn ich dich um eine kleine Gefälligkeit
ersuche, wirst du gleich ärgerlich und verdrießlich. Gingst du
früher aus, so gabst du mir vorerst einen Kuß; kamst du wieder
nach Hause, so überhäuftest du mich mit Zärtlichkeiten und
konntest dich nicht satt genug küssen. Und jetzt -- jetzt sagtst du
mir kaum Adieu und bleibt oft bis spät in die Nacht und
ärgerst dich dann, wenn du mich noch außer dem Bette findest.“
„Du weißt es ja,“ bemerkte leicht hingeworfen ihr Gatte,
indem er dabei aufstand und sich vom Kaminsimse eine Cigarre
holte, „die Ehe ist das Grab der Liebe. Ich werde dir morgen
eigens meine Lieblinge Saphir und Oettinger aus der Leih-Bibliothek von
Schwarz mitbringen und dir ein Capitel über
dieses Thema vortragen. Bist du's zufrieden, Claudinchen?“
Das war freilich mehr, als das gute, bis jetzt ihrem
Gatten wirklich treu ergebene Weib ertragen konnte. --
Solche Phrasen, wie die eben erwähnte, lassen sich leicht,
ohne zu verletzen, im Verlaufe eines auf delicate Manier
geführten Gesprächs bei vollkommen harmonischer Stimmung
anwenden; wenn sie aber so ohne alle Vorbereitung plötzlich
herausgepoltert werden und noch dazu in einen Momente,
wo es darauf ankam, die Disharmonie der beiderseitigen
Gefühle ruhig und auf eine zarte Art und Weise zu zersetzen,
muß ein empfängliches Gemüth auf's härteste betroffen werden
und kann sich der Erinnerung an dergleichen oft das ganze
Leben hindurch nicht mehr erwehren. Allerdings war es nicht
so ernstlich gemeint, doch zeigte es immer viel Ungeschlissenheit
und Rohheit an, die sich ihr Gatte hatte zu Schulden kommen
lassen. Ja, es zeigte, wenn wir annehmen, daß es nicht mit
Absicht geschah, von einer gänzlichen Unkenntniß des weiblichen
Herzens. -- Wir werden später sehen, welche ungeheure
Folgen diese eben ausgesprochene „Wahrheit“ aus das häusliche
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Leben dieser Eheleute hatte. In kritischen Momenten
verletzt oft nichts so sehr, als die Wahrheit und hat schon
größeres Unglück angerichtet als die Lüge. Man kann sich
leicht in die Lage dieser Frau hineindenken, die, bekümmert um
die Fahrlässigkeit ihres Gatten, sich in Gedanken mit der
Hoffnung schmeichelt, dieses Benehmen sei nur vorübergehend
und die frühere Innigkeit und Herzlichkeit könne sich wieder
einfinden -- nun plötzlich mit kalten Worten das Räthsel der
Ehe und Liebe gelöst sieht. Ein giftiger Pfeil, von einem
Indianer abgeschossen, kann nicht tödtlicher verwunden.
Albert war sonst ein fleißiger, überaus thätiger Mann,
der in pecuniärer Hinsicht seinen Pflichten als Gatte getreulich
nachkam und man konnte ihn oft ganze Nächte über seinen
architektonischen und andern Zeichnungen sitzen sehen. Das
war aber auch Alles. In früher Jugend verdorben, Roué
bis zum Extrem, war er, nachdem die Zauber der Flitterwochen
vorbeigerauscht waren, wieder in das alte Phlegma zurückgefunken,
aus dem ihn nur eine neue Schönheit zu reißen im
Stande gewesen wäre. Vielleicht trug er schon ein anderes
Bild in seinem Herzen und spielte so die quälende und abmattende
Rolle eines geistigen Ehebrechers. Obwohl von ehrlichem
Charakter, kräftig und geübt im Ausführen seiner Pläne, war
er in erotischer Beziehung einer jener Proteuse, die unsere Zeit
in den verweichlichten Classen der Aristokratie Europa's
myriadenweise erzeugt. Sein Fleiß und seine eiserne Ausdauer
in Geschäftssachen retteten ihn bis jetzt vor jenem
moralischen Abgrunde, in den müssige Roués unaufhaltsam
stürzen. Seine rastlose Thätigkeit, die von einer unzerstörbaren
Gesundheit unterstützt wurde, schützte ihn vor Geldverlegenheiten,
daher er bis jetzt noch nie Gelegenheit hatte, irgend eine
unehrliche Handlung zu begehen. Wir werden ihn bald in
einer von seinen jetzigen Verhältnissen ganz verschiedenen Lage
finden, die ihn kaum mehr erkennen läßt.
Etwas muß hier noch erwähnt werden, was der Liebe
dieses Mannes, der in gesellschaftlicher Beziehung oft zu große
Prätentionen an das zarte Geschlecht stellte, früher oder später
dennoch den Todesstoß versetzt hätte, wenn er auch jetzt noch
mit der nämlichen Glut und Hingebung seine Gattin geliebt
hätte. Albert war nämlich deutscher Abkunft und Claudine --
Französin. Bei einem Manne, wie Albert, konnte nur eine
geistreiche Unterhaltung die vollkommene Erkaltung der Liebe
verhüten und diese konnte er eben, obwohl er trefflich französisch
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sprach, mit Claudinen nicht führen, so wie ihm fast immer die
geistreichsten Bemerkungen derselben entgingen. Ist der erste
Sinnenrausch vorüber und die Liebe kann nicht in der Mutter
sprache sprechen, so ist der Anstoß zum Sinken des Wärme
leiters gegeben. Man stellt umsonst gegenseitige Betrachtungen
von dem Werth des geliebten Gegenstandes an, weil das
fremde Idiom denselben nicht ganz erkennen läßt und das
Mißtrauen oder die Gleichgültigkeit fressen sich immer tiefer
in’s Herz. Man lernt seine beiderseitigen Vorzüge entweder
wenig oder gar nicht kennen, kurz man bleibt sich auch in der Ehe fremd.
Es ist ein außerordentlich seltener Fall, wenn Gatten, die
nicht ein und dieselbe Sprache sprechen, glücklich sind. Sie spielen gewöhnlich
nichts weiter als officielle Automaten, durch einen beliebigen Contrakt an
einander gefesselt und die Kinder solcher Eltern werden immer Sonderlinge,
zum wenigsten Ueberläufer ihres nationalen Selbstgefühls.
Doch genug des Philosophirens; wir wollen lieber den
romantischen Faden wieder aufnehmen.
Bleich wie eine Marmorstatue erhob sich Claudine von
ihrem Sitze und ließ sich auf eine in einer Ecke stehende Caufeue
nieder. Sie war auf's höchste empört. An die Stelle der
Wehmuth war eine totale Verachtung getreten, die sich in
ihren Mienen nur zu deutlich abmalte. Sie sah im Geiste
zurück auf ihre Vergangenheit und mußte sich gestehen, daß sie
dieser Mann nie recht geliebt, daß es ihm bei seinen Bewerbungen
nur darum zu thun war, die junge duftende Blume zu
pflücken,um sie dann ohne Schonung verwelken zu lassen. Sie
war sich jetzt der Wahrheit seiner eben ausgesprochenen Worte
versichert und zu ihrer Verachtung trat noch der Stolz hinzu,
den sie früher nie gekannt, da sie sich ja einem Manne an die
Brust geworfen hatte, von dem sie glauben mußte, er liebte sie.
Albert, der sich jetzt ebenfalls vom Stuhle erhob, um an
seine gewohnte Arbeit zu gehen, bemerkte, als er zufällig dem
Blicke seiner Gattin begegnete, mit Entsetzen das stolze Auge
und die kalte Verachtung, die sich in ihren Mienen aussprach.
Er, der geschmeidige, aalglatte Liebhaber, der sonst tausenderlei
Mittel in Bereitschaft hatte, die Erzürnte zu besänftigen und
sie wieder in seine Arme zu schließen, getraute sich jetzt nicht,
auch nur Ein Wort an sie zu richten. Er ging in das neben
anstoßende Zimmer, woselbst er dem Mädchen befahl, die große
Krystall-Lampe vorzurichten und noch ein kleines Kaminfeuer
- 36 -
zurecht zu machen, da es jetzt mit. Einemmale anfing kühler zu
werden, indem die lauen Lüfte des Golfes vor dem Nordwinde
gewichen waren. Dann befahl er der Kleinen, ihm noch ein
paar Gläser Grog zu bereiten und sie ihm auf sein Zimmer zu
bringen. Mit diesem Getränke hoffte er seine verdrießliche
Stimmung zu verscheuchen, um sich zum Zeichnen in eine
behagliche Lage zu versetzen. Er hatte sich jedoch hierin mächtig
geirrt. Die Spirituosa lenkten eine Phantasie gerade auf das,
wovon er sie abgewandt wissen wollte und malten ihm mit grellen
Farben die Unannehmlichkeiten vor, die aus seinem rucksichts
losen Benehmen entspringen möchten. Zudem fühlte er einen
peinlichen Reiz in seinen Gliedern und die Wollust mit all ihrem
Zauber und ihrer Magie trat nun als Rächerin auf. Wie von
den wallenden Dünsten des Olibanum umflossen, so umflorte
jetzt die Sinnlichkeit seine Augen. Er ließ seinen Stift sinken,
den er schon mehrmals in die Hand genommen, um seine
Zeichnung zu vollenden und brütete mit auf die Brust herab
gesunkenem Kopfe über --
die Schönheit seiner Frau.
[LSZ - 1854.01.12]
Noch nie war sie ihm schöner vorgekommen, niemals
selbst in der Brautnacht nicht, hatten ihre jungfräulichen Reize
ihm größere Glut in die Adern gejagt, als jetzt sein Weib.
Er liebte in physischen Genussen die Abwechslung. Bisher
hatte er eine liebetrunkene Venus in seinen Armen gehalten,
nun wollte er auch einmal den kalten Marmor umarmen.
Sein Weib kam ihm mit dem stolzen Blicke und der kalten
Verachtung jetzt schöner vor, als früher mit den schmachtendsten
Augen und den brennendsten Lippen. Es flinkerte ihm vor den
Augen und sein Kopf schien bei dem Gedanken an eine Schäfer
stunde zu zerbersten. Er drückte ihn mit Macht an die scharfe
Kante des Tisches, als wenn er das Blut aus demselben
zurücktreiben wollte, ließ seine Lippen schlaff hängen und erging
sich in einem wuten Chaos von Bildern aller Art. Er fühlte,
das er diesen Zustand nicht länger mehr ertragen würde. Er
mußte einen raschen Entschlußfassen. Er warf sich schon im
Geiste zu den Füßen einer stolzen Claudine und beschwor sie,
ihm zu verzeihen und ihm ihre Liebe wieder zu schenken. -- -- --
Da stand er plötzlich rasch auf und schlug sich mit geballter
Faust vor die Stirne, dabei in ein satanisches Lachen aus
brechend: „Ich Neuling,“ begann er mit sich zu reden, „der
ich noch bin! Ich male mir da die schönsten, üppigsten Bilder
vor, quäle mich mit den hochfliegendsten Gedanken herum,
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welchen Göttergenuß ich hätte, wenn ich sie heute Nacht noch
in meine Arme schließen könnte, und bedenke nicht, daß, wenn
sie mir diese Gunst je gewähren sollte, sie mir vorerst verzeihen
muß und ich dann wieder den nämlichen freundlichen Blick und
die alltäglichen brennenden Wangen vor mir habe. O sei doch
die Natur verflucht mit ihren ewigen Widersprüchen und
Gaukeleien! Zuerst zeigt sie mir die aus Alabaster gemeißelte
Göttin mit dem strengen kalten Blick und den stolzen Zügen,
zeigt mir die ernste Minerva, die sich in der Umarmung doch
wieder in die Betteljungfer Venus verwandelt. Daß man das
Geschöpf, das man Weib nennt, nicht in allen seinen Phasen
genießen kann! Diese Betrügerin Natur, die uns ihre schönsten
Gaben nur in der Phantasie verleiht und nie in der nackten
Wirklichkeit! Ja, wir sind mit unserer kräftigen Sinnlichkeit
nur geboren, um beständig über Liebe zu schwärmen -- sonst
ist es Nichts! Nicht einmal einen gemeinen Genuß, wie wir
ihn doch bei jeder wohlbesetzten Tafel haben, läßt die Liebe zu.
Es ist zum toll werden!“
In dieser Weise raisonnierte er noch einige Zeit fort und
begann dann scheinbar beruhigt seine Arbeit. Es wollte ihm
aber nichts gelingen. Statt den Winkel zu nehmen griff er
nach dem Zirkel, und wenn er eine Ordinata ziehen sollte,
beschrieb er einen Kreis. Ja, er nahm in der Zerstreuung eine
alte schon längst abgethane Modellzeichnung wieder vor und
calculierte an der Construktion der Radzähne, die er vor einigen
Monaten für eine Maschine, deren Modelle sich bereits in der
Eisengießerei befanden, auszurechnen hatte. Aergerlich warf
er Alles bei Seite, sank auf den Stuhl zuruck und stierte
gedankenlos die Thüre an, die nur leise angelehnt ihn von
seinem und seiner Gattin Schlafgemache trennte.
So mochte er träumend einige Zeit gesessen haben, als er
die Thüre des Schlafgemaches, die auf einen Gang hinaus und
von da wieder in ein anderes Zimmer führt, von außen
verschließen zu hören glaubte. Er horchte auf. Das Licht war
aus dem Schlafgemache verschwunden. Zu gleicher Zeit hörte
er die Thüre des äußern Zimmers öffnen und schnell darauf
wieder geräuschlos verschließen. Er nahm die große Krystall-Lampe
in die Hand und öffnete die angelehnte Thüre. Alles
war verschwunden. Weder das Dienstmädchen noch eine
Gattin befanden sich mehr da. Als er sich umsah, bemerkte er,
daß ein Kissen im Bette fehlte. Ebenso war das Plumeau,
mit dem sich eine Frau zuzudecken pflegte, nicht zu sehen. Sie
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mußte demnach für diese Nacht ihre Schlafstätte im äußern
Zimmer aufgeschlagen haben. Er setzte die Lampe auf den
Tisch und ging an das Fenster, welches er öffnete um frische
Luft zu schöpfen und die brennenden Fibern seiner Stirne zn
kühlen. Er war noch unschlüssig, ob er seine Frau heute noch
sprechen sollte oder nicht. Nach langem Sinnen entschloß er
sich endlich zu Letzterem.
Ehe er schlafen ging -- und Mitternacht war schon längst
vorüber -- langte er sich von seiner Bücher-Etagère noch den
Lord Byron herab, seinen treuen aber gefährlichsten Begleiter
seit seiner Verheirathung. Er schlug seinen Lieblingscanto im
Don Juan auf und fütterte Herz und Kopfmit der blendenden
Fata Morgana dieses Dichters:
„Wem kann der Gatten Liebeln Lustgewähren,
Da Sünde nicht im Gattenkuß zu lesen?
Konnt' ein Petrarc" alsWeib die Laura lieben --
Er hätt' im Leben kein Sonett geschrieben! --“
Sehen wir uns nach Claudinen um, so finden wir sie eben
beschäftigt ein Billet zu siegeln, das das Mädchen morgen in aller Frühe auf ihrem
Gange nach dem Markte zu besorgen hatte. Aus folgenden lakonischen Zeilen mag der
Leser den von ihr gefaßten Entschluß errathen und daraus schon Manches
für die Zukunft beider Gatten entnehmen:
„Madame
la baronne Alma de St. Marie Eglise
New-Orleans, Rue de Bourbon No. 135.
Liebe Tante!
Ich möchte Sie gerne in einer wichtigen Angelegenheit so
bald als möglich sprechen. Verfügen Sie gütigt über die
Stunde, zu der ich sie besuchen kann. Machen Sie sich auf
etwas Außerordentliches gefaßt und stählen Sie einstweilen
bis zum Augenblicke unserer Zusammenkunft ihren Muth. Es
giebt Fälle im menschlichen Leben, auf die man sich nicht genug
vorbereiten kann. Jedenfalls glaube ich, daß Sie mit Ihrer
gewohnten Herzlichkeit und Gute auch dießmal wieder ein
rettender Genius sein werden. Mit Hochachtung kußt Ihnen
die Hand Ihre
Claudine R...n,
mée de Lesuire.“
Die Person, an die diese Zeilen gerichtet sind, ist eine alte
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ehrwürdige Dame, die außer einigen kleinen Fehlern ihres Geschlechtes noch die große Schwachheit
besaß, sich auf ihre aristokratische Abkunft etwas einzubilden. Wer nur im Geringsten
gegen ihre adeligen Prätenstionen verstieß, verlor augenblicklich ihre Gunst. Sie war sonst
gerade nicht reich zu nennen, obwohl sie drei Häuser in der Bourbonstraße besaß und eine Volante nebst zwei
Pferden hielt. Eine Mulattin, die ihr erst neulich durch Erbschaft zufiel, machte das halbe Dutzend ihrer
Sclaven voll. Sie gehörte zu derjenigen französischen Clique in New-Orleans, die mit ihrem Geburtsadel, den sie
seit der Emigrationsperiode hieher versetzte, auch in Amerika noch glänzen möchte. Diese nicht geringe
Clique der französischen Aristokratie, die selbst die Reicheren unter den Amerikanern von ihren Circeln
ausschließt, weil sie dieselben nicht als eben bürtig betrachtet, spielt in New-Orleans im Kleinen die
nämliche Rolle, als die Südcarolina im Großen in den Ver.Staaten spielt. Den Sommer eilen viele von ihnen nach
Paris -- wenigstens war dies bis zum Jahre 1848 der Fall -- um dort wieder einige Monate die volle Anerkennung ihrer
alten Herrlichkeit genießen zu können. Kehren sie dann gegen Ende des Herbstes nach New-Orleans zurück, so
geben ihre Erlebnisse in der großen Hauptstadt genug Stoff für die Soiréen und Theedanfant's der Wintersaison.
Ein wahrhaft aristokratisches Vergnügen, dieses Wanderleben nach den Salons verschiedener Hemisphären! --
Als am Morgen die Sonne aus den dunklen Schatten der Niederungen stieg, erhob sich
Claudine mit einer Erfahrung reicher vom Bette, aber auch ärmer als je an Liebe, an Wünschen und Hoffnungen.
____________________________
Fünftes Capitel.
Ein willkommener Gast.
Jenny und Frida konnten sich kaum vor dem Spiegel ihre Haare wieder
in einige Ordnung bringen, und standen noch mit brennend rothen Wangen vor demselben, als es zum
wiederholten Male und stärker an die Thüre pochte.
„Aber sage mir doch, Schwester,“ sagte leise zu Jenny gewandt Frida,
„wo mag wohl Tiberius stecken, daß die Leute so ungehindert eintreten können, ohne vorher angemeldet zu
sein? Wir hätten in die größte Verlegenheit kommen können, wenn man uns so am hellen lichten Tage
eingeschlafen gefunden
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hätte. Man müßte uns wahrlich für Müssiggängerinnen halten. Doch höre! ich glaube, die
Person steigt wieder die Treppe hinab und wir können sie jetzt ganz gut den schattigen Gang
hinabgehen sehen.“
Beide traten an das Fenster und lüfteten gerade so viel
von den Gardinen, als sie zum Hinaussehen nöthig hatten. Auf der Treppe hörte man die
durch die Teppiche gedämpften Tritte eines männlichen Fußes und bald darauf trat ein
Mann aus der Thüre der Frontseite des Häuschens und blieb außen auf dem steinernen Treppenabsatze
stehen, indem er dabei öfters in den Hausgang zurücksah und manchmal einen
Tritt vorwärts that, als ob er lauschen wollte, ob sich denn im Hause gar nichts rühre.
„Wer mag das wohl sein?“ frugen sich die Schwestern,
indem sie sich bemühten, das Gesicht des untenstehenden Mannes zu erforschen.
„Es ist doch nicht Albert, der junge Architect?“ fuhr Frida fort.
„Wo denkst du hin? Sieh' jetzt dreht er sich um -- einen
großen, rothen Bart hat er, daß man das Gesicht kaum sehen kann und das sollte Albert sein?
Du bist einmal wieder rechtverwirrt, liebes Schwesterchen.“
[LSZ - 1854.01.13]
„Den rothen Bart konnte man ja noch gar nicht sehen und du mußt mir
doch zugestehen, daß er von hinten gesehen genau dem Architecten ähnelt; ganz diese freie und
ungebundene Tournure, die nämliche Größe, ja sieh' -- sogar den nämlichen Rock, --“
„Ja wohl, auch die nämlichen rothen Haare,“ bemerkte ironisch Jenny,
„sieh' nur, wie sie unter einem grauen Hute hervorquellen. Das ist ein garstiger Mensch! Wie froh bin
ich, daß wir ihn verschlafen haben -- wer weiß, was es mit diesem Menschen für eine Bewandtniß hat.“
„Seitdem uns der junge Hagen voriges Jahr unsere Gastfreundschaft so schlecht
vergolten, habe ich gar kein Vertrauen mehr auf dergleichen Menschen, die so Knall und Fall
sich anmelden und sich in kurzer Zeit zu Hausfreunden machen. Es ist hier nicht so wie in Deutschland.“
„Wir reden aber auch wie Kinder, liebes Schwesterchen. Ist es denn schon ausgemacht,
daß dieser Mann zum Hausfreund avancieren will? Er kommt vielleicht wegen einer ganz geringfügigen Sache.
Sieh', er steht noch immer unten -- sieh', sieh', jetzt geht er endlich einmal vom Fleck -- -- um's
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Himmelswillen, Schwester, jetzt hat er uns gesehen! -- -- --“
Die Schwestern traten, sich Einander bei den Händen fassend,
vom Fenster zurück und blieben mit erhobenen Zehen in der Mitte des Zimmers stehen,
nach der Thüre zu horchend, ob sie wohl Tritte von der Treppe herauf vernehmen würden.
Ihre Besorgniß war nur zu wahr. Eiliger alser hinabgegangen kam der Mann die Treppe
herauf und in wenigen Augenblicken mußte er sich an der Thüre des Drawingrooms befinden.
Er hatte sie jedenfalls gesehen und auch erkannt, wie die blonde Frida meinte; denn sie
war jetzt fest überzeugt, daß es irgend ein naher oder guter Bekannter sein mußte, da man
von einem ganz fremden Menschen doch so viel Lebensart erwarten könnte, daß er die
Ungelegenheit seines Besuches eingesehen und sich entfernt haben würde. Nur ein naher
Verwandter oder Bekannter könnte sich, nachdem er sie erblickt, erlauben, gleich die Treppe
heraufzueilen. Das könnte von einer gleichgültigen Person nimmermehr entschuldigt werden.
Der Unbekannte war noch nicht an der obersten Stufe angelangt, als
der im obern Gange sich befindende Peroquet, der bis jetzt gleichsam aus Sympathie mit den
Schwestern ein kleines Schläfchen gehalten hatte, aus allen Kräften anfing zu kreischen und
eine lange Suade von allen ihm bisher eingelernten Worten und Redensarten loszulassen, auch
mitunter das bekannte Sennor und die Namen seiner Gebieterinnen einzuschalten.
„Na, da bin ich doch am rechten Platze!“ sprach zu sich der Unbekannte,
nachdem er aus dem Munde des Peroquet die Namen Frida und Jenny mehr als zwanzigmal gehört
hatte. „Die lieben Cousinen wohnen also doch hier -- nun sie werden mich wohl nicht gleich
erkennen. Die lange Seereise, der große Bart, das gebräunte Gesicht -- dies trägt. Alles viel
zum Unkenntlich ein bei.“ Er trat an den Käfig des Vogels und begann mit demselben zu plaudern
und zu kosten. Dies that er aber nicht des Vogels halber oder um sich ein kleines Vergnügen zu
machen, sondern lediglich nur deshalb, um sich während dieser Zeit zu besinnen, auf welche Art
und Weise er seinen Cousinen entgegen kommen und ob er sich gleich zu erkennen geben sollte oder
nicht. Als er den Shawl, der noch immer über dem Käfige hing, genauer betrachtete, fand er,
daß es der nämliche sei, den er vergangenes Jahr für Frida gekauft hatte. Nun waren alle Zweifel
gehoben. Die Cousinen mußten sich im nächsten Zimmer befinden, an dessen einem
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Fenster er sie vorher ja erblickt hatte. Zudem schrie der Vogel noch unermüdlich ein
Frida und Jenny -- es konnte von keinem bloßen Vermuthen mehr die Rede sein.
Unterdessen beriethen sich die Schwestern, wie sie dem
ihnen noch Unbekannten entgegenkommen sollten, da durch die Nachlässigkeit des kleinen
Tiberius derselbe nun im Drawingroom statt in dem im untern Stockwerke sich befindlichen
Parlor empfangen werden mußte.
Es war unter den obwaltenden Umständen schwer, die gehörige
Schicklichkeitslinie zu beobachten, zumal hier einige nothwendige weibliche Attribute
zerstreut herumlagen und nun in aller Haft und Eile weggeräumt werden sollten; denn der
Unbekannte konnte jetzt alle Augenblicke eintreten. --
Nach Verlauf einiger Minuten hingen die Schwestern küssend und
mit Fragen stürmend an dem Halse ihres Vetters, der, wie sich leicht denken läßt, die
Zudringlichkeiten seiner schönen Cousinen sehr liebenswürdig fand und nicht im geringsten
abgeneigt war, die ihm zufliegenden Küsse herzhaft und doppelt zurückzugeben.
Nachdem die stürmischen Momente des ersten Empfanges vorüber waren,
kam man auf die häuslichen Angelegenheiten zu sprechen, die von den Schwestern auf eine zarte
und schonende Weise dem erstaunten Vetter auseinandergesetzt wurden. In kurzer Zeit war er in
die betrübenden Verhältnisse der beiden jungen Frauen eingeweiht und man kam schließlich
überein, daß der erwünschte Gast während seines Aufenthaltes in New-Orleans im Hause seiner
Cousinen verbleiben und die trüben und heitern Stunden mit ihnen theilen sollte.
„Nun will ich einmal in die Küche hinabsehen und dem nachlässigen
Tiberius eine kleine Strafpredigt halten,“ sagte die geschäftige Frida, nachdem die Aufregung,
die die Ankunft des Vetters und die ihm gemachten Enthüllungen -- die wir dem Leser jetzt noch
verheimlichen müssen -- bei ihr hervor gebracht hatten, vorüber war und einer stillen Ueberlegung
Platz gemacht hatte. „Zudem mag es schon nahe an Mittag sein und unser werther Cousin wird Appetit verspüren.“
„Wie kannst du glauben, liebe Cousine, daß ich in Gegenwart so
liebenswürdiger Damen an's Essen denke; das wäre sicher ein frevelhafter Gedanke,“ bemerkte der
galante Vetter Karl, indem er Frida's Hände mit den einigen festhielt, sie so am Weggehen zu hindern.
„Zudem ist es mir jetzt gar nicht um's Essen zu thun.“
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„Alles zu seiner Zeit, mein lieber Cousin, ich möchte doch
sehen, wie es dir anstände, wenn wir dich ein paar Tage
hungern ließen. Du würdest, glaube ich, zum längsten in
unserer Nähe verweilt haben -- doch ist es ja nicht einmal
dein Ernst. Ihr Männer wollt uns Frauen stets als
ätherische Wesen erscheinen, die schon allein von einem schönen
Gesichte und von Poesie leben könnten und bedenkt dabei nicht,
daß wir uns hiedurch verletzt fühlen müssen.“ Nach diesen
Worten entwandt sie sich geschickt den Händen ihres Vetters und
sprang mehr als sie ging die Treppe hinab und in die Küche,
wo sie außer Tiberius Alles in größter Ordnung vorfand.
Der schwarze Koch mußte sich noch nicht lange entfernt haben,
denn ein am Boden liegendes Hühnchen, dem der Kopf abgeschnitten,
ließ noch eine letzten Lebensgeister bemerken, indem
es mit den Flügeln noch einige Male an die Dielen schlug.
Die jungen Bewohnerinnen des Häuschens hatten außer
dem zehnjährigen Tiberius keine Domestiken mehr. Alles ging
durch ihre eigenen Hände und abwechselnd oder zusammen
wirkend, wie es sich gerade schickte, übernahmen sie bald diese
bald jene Verrichtung. Die Jüngere von ihnen, Jenny, die
das achtzehnte Jahr noch nicht überschritten hatte und ein
Jahr weniger zählte als Frida, war dieses Selbstwirken und
Schaffen um so weniger gewöhnt, als sie ihr Gatte hierin sehr
verwöhnt hatte, der ihr außer Tiberius, der sein eigen war,
noch zwei gemiethete Mulattinnen zur Verfügung gestellt hatte.
Seit der unglücklichen Trennung von demselben unterzog sie
sich mit ihrer Schwester mit verständiger Hingebung allen
jenen kleinen Sorgen und Mühseligkeiten, wie sie jede auch
noch so kleine Haushaltung aufzuweisen hat. Sie waren
vernünftig genug, die Nothwendigkeit eines schwesterlichen
Zusammenwirkens einzusehen, um so mehr, als sie ein widriges
Geschick an Männer geknüpft hatte, von denen der Eine gänzlich
verschwunden, der Andere in ihrer Nähe sein tolles Wesen mit
Buhldirnen und Bajaderen trieb.
Da der eben Angekommene uns im Verlaufe des Romanes
noch öfter zu Gesichte kommen wird, so wird es nicht unerwünscht
sein, ihn mit wenigen Strichen gleich von vorneherein zu
zeichnen, auch seinem Aeußern einige Aufmerksamkeit zu
widmen. Schon seit seiner frühesten Jugendjahre an die Mißverhältnisse
des materiellen Lebens gewöhnt und im Kampf um eine freie Existenz zum Manne herangereift,
hatte er die Wechselfälle des menschlichen Lebens ertragen gelernt und sich
- 44 -
jenen stoischen Humor zu eigen gemacht, wie man ihn hie und
da bei Männern findet, denen eine kräftige, lebensvolle Constitution
die im Unglücke gemachten Erfahrungen nicht als
hemmende Last mit sich herumtragen, sondern sie als Fundgrube
für künftiges Wirken und Handeln benützen läßt. Setzen wir
hinzu, daß ihm bei Betrachtung seiner Verhältnisse und des
bisher erlittenen Ungemachs jene Reflectionsgabe, die beständig
mit sich tändelt oder schwärmt, vollkommen abging, so müssen
wir ihn für einen glücklichen Menschen halten, wenn uns auch
später seine mitgetheilten Erlebnisse in einem trüben Lichte
erscheinen sollten. Eine unbändige Reiselust, ein beständiges
Wandern war ihm so zu sagen angeboren. Er war ein natürlicher
Abenteurer, d.h. er war Abenteurer aus Bedürfniß
und Instinkt und nicht durch eine erkünstelte und geschraubte
Weltanschauung dazu getrieben.
Er glich so der Wandertaube oder dem räthselhaften
Flamingo, denen ihre Wanderfreiheit zur Nothwendigkeit, zum
Gesetze wird und die auf ihren Zügen Niemanden verletzen,
wohl aber von beutelustigen Jägern viel erdulden müssen. Die
Reiselust des geldgierigen Amerikaners ähnelt oft nur zu sehr
den Trip Wandervögeln am Mississippi und Ohio, den Aasgeiern,
die sich auf irgend einen todten Körper, den die Wellen
hinabführen, setzen, und wenn sie ihren Heißhunger gestillt,
mit dickem Wanst wieder ihren Trip zurückmachen, wo sie
dann einige Zeit ausruhen und mit offenen Augen schlafen,
gleichsam als wenn ihnen auch während des Schlafes keine
Beute entgehen sollte. Das ist der Unterschied zwischen einem
ächten Vollblut-Amerikaner und unserm deutschen Gast,
zwischen einem Aasgeier und einer Wandertaube, zwischen der
nackten Wirklichkeit und Poesie. Zum Ruhme der Amerikaner
sei übrigens noch gesagt, daß sie Raubvögel avee gourmandize
sind, und daß sie sich auf keinen Leichnam setzen, sondern auf
frische, üppige Körper; wie wir sie des ungeachtet in die
Kategorie der Aasgeier versetzen können, überlassen wir der
tiefen Reflectionsgabe des geneigten Lesers, dessen Geduld wir
mit dieser Aasgeier-Parallele nicht länger mehr auf die Probe stellen wollen.
[LSZ - 1854.01.14]
Als Hauptagent eines bedeutenden Sclavenmarktes im
Süden mochte er bisher einen deutschen Landsleuten im
zweideutigen Lichte erschienen sein. Wenn wir aber bedenken,
daß ihm diese einträgliche Stelle zu einer Zeit zukam, wo er
sich in größter Geldverlegenheit befand, so wird es gewiß
- 45 -
keinen Schatten auf seinen Charakter werfen. Als damals die
ersten Unannehmlichkeiten eines materiellen Mißbehagens in
etwas gehoben waren, so konnte man ihm auch nicht zumuthen,
daß er plötzlich die Agentur verlassen sollte, um eines kindischen
moralischen Scrupels halber sich wiederholten Verlegenheiten
auszusetzen. Ja er gefiel sich in manchen Momenten in dieser,
wie er sich selbst ausdrückte, wildromantischen Carriére. Er
wurde deshalb von seinen Cousinen öfter geneckt und da gab
es dann mitunter allerliebste politische und philanthropische
Scharmützel und Gefechte, wobei sich am Ende Karl stets
freiwillig besiegen ließ. So entspann sich denn unter Anderm,
während Frida in der Küche beschäftigt war, zwischen ihm und
Jenny folgendes kurze Gespräch, das sehr bald durch die
Ankunft eines uns bereits im vorhergehenden Capitel
interessant gewordenen Mannes unterbrochen wurde.
„Wie schön wäre es, lieber Cousin,“ sagte Jenny, die sich
an ihren Stickrahmengesetzt hatte und emsig an der Vollendung
einer antiken Vose, in der eine Agave prangte, arbeitete,
„wenn du dir in New-Orleans eine bleibende Stellung verschaffen
könntest, so ungefähr, wie unser junge Architect aus
Sachsen. Du würdest uns dann des Tages ein paar Mal
besuchen, uns durch dein glückliches Temperament etwas aufheitern
und so manche herben Stunden versüßen. Ein wie
viel schöneres Dasein wäre es für uns Alle, wenn du stets in
unserer Mitte verweiltest. So ist dein Leben beständig den
Unglücksfällen auf den Dampfbooten ausgesetzt und wir
schweben stets in Angst dich auf immer zu verlieren. Zudem,
lieber Cousin, ist es ein so häßliches Geschäft. Reisender Agent
in Wollköpfen! Bedenke, dieß paßt durchaus nicht zu deinem
Charakter und gefühlvollen Herzen. Wenn ich dich nicht so
genau kennte, ich müßte an dir irre werden.
„Du bist eine kleine Egoistin, Cousinchen,“ erwiederte
Karl, „blos um immer in deiner Nähe zu verweilen, soll ich
mein einträgliches Geschäft aufgeben und meiner Reiselust
entsagen, ja meine Gesundheit aufs Spiel setzen; denn das
Reisen ist mir zur zweiten Natur geworden. So ruhig dahin
zuleben, wie du es wünschtest, wäre ich nimmer im Stande;
doch gesetzt auch -- ich könnte mich dazu entschließen, was sollte
ich hier ergreifen? Rathe mir -- -- soll ich vielleicht Cigarren
drehen, wie Freund Schlicht in Valparaiso oder gar Barkeeper
werden?“ setzte er lächelnd hinzu. „Nein, diese träge Geschäfttigkeit
würde mich in kurzer Zeit aufreiben. Was meine jetzige
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Stellung betrifft, so ist sie mir, das Reisen ausgenommen, sehr
zuwider und ich würde sie sehr gern mit einer anderen vertauschen,
wenn ich Aussicht auf gleichen Gelderwerb hätte. Wir
sind einmal in Amerika, meine Liebe, und da darf man das
Geld nicht so gering anschlagen. Zudem weißt du ja, daß ich
das Geld nicht des Geldes halber liebe, sondern nur um mir
für zukünftige Tage eine freie Eristenz zu verschaffen.“
„O über den Jesuiten!“ rief Jenny scherzend aus, „bei
dir heiligt der Zweck das Mittel. Wenn das Frida gehört hätte! Sie würde dir ewig feind sein.“
Statt ihr zu erwiedern blickte sie Karl mit seinen großen
blauen Augen treuherzig an und drückte ihr herzlich die Hand.
Die lebhafte Cousine erwiederte leise diesen Druck, indem sie
dabei flüsterte: „Lese ich recht in deinen Augen, so kann ich
mich der süßen Hoffnung hingeben, daß du nach New-Orleans
gekommen bist, um auf immer unter uns zu verbleiben.“
„Du bist eine Wahrsagerin, Jenny; deine Prophetie ist
allerdings richtig und wahr.“
„Nun seht mir doch den bösen Menschen, wie er vorhin
noch gesprochen hat!“ sagte leicht erröthend die junge reizende
Frau. „Man sollte meinen, er gäbe die Gunst seiner Freundinnen mit Leichtigkeit
für eine Sonderlingslaune hin.“
Karl und Jenny liebten sich wie Geschwister. Das
schuldlose Auge, das mit Vergnügen an ihrem Vetter haftete,
trübte sich, wenn er vom Fortgehen sprach. Karl war sonst
kein schöner Mann, ja er war eher häßlich zu nennen. Eine
unproportionierte Stumpfnase und ein eben nicht kleiner Mund
verunstalteten ein kräftiges und blühendes Gesicht, das von
einem starken rothen Barte beschattet wurde. Wer aber in
seine Augen hineinfah, mußte ihn liebgewinnen und ein längeres
Beisammensein ließ gar leicht die eben berührten Unschönheiten
vergessen. Zudem besaß er eine geschmeidige und bewegliche
Tournure, ein Vorzug, der den Männern bei Frauen schon
größere Siege gewinnen ließ, als das schönste regelmäßigte Gesicht.
Karl hatte bei sich im Stillen schon längst einen Plan für
die Zukunft gefaßt. Seine Stelle als Agent wollte er aus
ganz natürlichen Ursachen nicht aufgeben, doch wollte er vor
läufig das Reisen unterlassen und den untergeordneten Rang
eines „Second Agent“ in New-Orleans, eine Branche, die
ihm zu jeder Zeit offen stand, adoptieren. Es war dabei freilich
weniger Geld zu machen, doch blieb ihm die schöne Aussicht,
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sich von nun an im Kreise geliebter und liebender Personen
von seinem widerlichen Geschäfte erholen zu können.
Die Ankunft des Architekten, der eben mit Frida eintrat,
störte ein weiteres inniges Gespräch. Das Entgegenkommen
Karls war höchst liebenswürdig, ja noch mehr, treuherzig zu
nennen, während Albert mit frostigen Mienen seinen Freund
begrüßte. Der Architect entschuldigte sich bei den Damen, daß
es unmöglich gewesen, zur versprochenen Stunde die Planzeichnung
vollenden zu können, indem ihm plötzliches Unwohlwerden
daran verhinderte. Die Unterhaltung spann sich ohne Wärme
und einsilbig an und Albert empfahl sich, ungeachtet Karl und
die Schwestern in ihn drangen, die Mittagszeit bei ihnen
zuzubringen, gar bald. Sein sonst stark gebräuntes Gesicht
sah heute bleich und zerstört aus und ein feiner Beobachter
hätte auf demselben etwas Anderes lesen können, als bloßes Unwohlsein. --
Albert hatte sich nach der uns bereits bekannten
Katastrophe mit seiner Frau, erst gegen Morgen zu Bette gelegt
und erwartete mit Ungeduld den vollen Anbruch des Tages.
Claudine erschien heute nicht zur gewöhnlichen Stunde und
er mußte nun allein sein Frühstück zu sich nehmen. Auf das
Befragen, warum sie nicht erschiene, erwiederte ihm das Mädchen,
daß die Mitreß unwohl sei und wohl den ganzen Tag
im Bette zubringen dürfte. Albert, anfangs entschlossen sich zu
seiner Frau zu begeben, unterließ es nach einiger Ueberlegung.
Es hielt ihn ein verkehrter Stolz ab, den ersten Anstoß zu
einer etwaigen Versöhnung wieder zu geben. Er blieb auf
seinem Zimmer und beschäftigte sich mit gleichgültigen Dingen.
Obwohl er es bereits aufgegeben hatte, sein den Damen in
Algiers gegebenes Versprechen zu halten, da der Plan noch
immer unvollendet dalag, so wollte er doch einen Besuch bei
denselben nicht unterlassen, und hatte gar die Absicht sich den
ganzen Tag bei denselben aufzuhalten, um so an Claudinen
eine kleine Rache wegen ihres Nichterscheinens beim Frühstücke
auszuüben. Die Anwesenheit und unerwartete Ankunft Karls
hatte ihm nun einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es
verdroß den eitlen Menschen, daß die Aufmerksamkeiten der
beiden Schwestern nun zwischen ihm und Vetter Karln getheilt
sein sollten. Dazu kam noch, daß er von der großen Anhänglichkeit
Jenny's an ihren Vetter wußte nnd als er beim Eintreten in das Haus
der gerade von der Küche heraufkommenden Frida begegnete und von ihr erfuhr, daß ihr Cousin angekommen
- 48 -
und sich mit Jenny oben befände, bemächtigte sich seiner eine nicht geringe Eifersucht. -
Ohne daß es Jenny wußte, war der Architect für sie, die ein so mißliches
Geschick schon bei Lebzeiten ihres Mannes zur Wittwe verdammt hatte, zärtlicher eingenommen,
als es für Beider Ruhe günstig war. Für ihn hatte die junge und schöne Wittwe unendlichen
Reiz und er hatte sich bereits seit mehreren Wochen in ein innigeres Verhältniß hineingeträumt.
Seine ungestüme Phantasie malte ihm gleich. Alles schwarz vor und sah den Cousin als gefährlichen
Nebenbuhler neben sich auftauchen. So sehen wir ihn denn nach den herkömmlichen
Höflichkeitsformeln das Haus der beiden Schwestern verlassen und zwecklos in den Straßen von
New-Orleans herumschlendern. Zum Glücke für ihn wurde nicht weiters von seinem
schnellen Weggehen gesprochen, da man ja nach seiner eigenen Aussage den Grund in einem Unwohlsein
zu suchen hatte. Selbst Jenny konnte nichts Anderes in seinem frostigen Benehmen erblicken.
Der noch übrige Theil des Tages verging Allen wie ein
schöner Traum. Unter Musik und Gesang, unter Scherzen,
Küssen und Tändeln, war, ohne daß man es gewahrte, der
Abend hereingebrochen und man mußte sich einstimmig gestehen,
daß man schon lange keine so ungetrübten Stunden in so schöner
und reiner Harmonie genossen habe. Durch ein gen Westen
gelegenes Fenster sah man die Sonne bereits über die Hälfte
unter den Horizont herabgesunken und über ihr schwebten,
vom rosigen Scheine der Scheidenden übergossen, die gekrausten
Schäfchen und gingen mit ihr zu Bette. Die lauen Abendlüfte
kosten mit dem dunklen Laube der Orangen und Magnolien
und bewegten die Gardinen an den offenstehenden Fenstern.
Das Geschrei und die Fröhlichkeit des Peroquet verstummte
und statt der Singvögel durchschnitten große Nachtschwärmer
die lauen Lüfte und stießen mit ihren Köpfen an die Mauer
des Häuschens und fuhren dann erzürnt im Zickzack durch die
Gipfel der hochstehenden Lebensbäume oder Lila's. Im Osten
stieg der Mond herauf und hing wie eine große Feuerkugel
über dem Hauptmaste eines majestätischen Kauffahrers, Hunderte
von kleinen Kähnen und Segelbooten durchfurchten den
Mississippi und freuten sich des schönen Abends. Drinnen im
Häuschen aber rückte man näher an einander und gab sich
stillschweigend unter Händedruck und Küffen den Abendsegen.
[LSZ - 1854.01.15]
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Sechstes Capitel.
Don Juan im Feuer
Beim Cid! man muß sie sehn im weißen
Nachtkleid, die prächtige Gestalt!
Man muß es sehn, dies Schlagen, Beißen,
Wenn unter Küssen, grimmigen, heißen,
Sie wüthend fremde Worte lallt!
-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
Auf, Page, folge meinen Pfaden!
Hinaus mit Tambouringeklirr!
Heut' Abend will ich serenaden,
Daß fluchen sollen die Alcaden
Bis an den Guadalquivir!
(Alfred de Musset.)
Darin stimmen Alle überein, daß es nur Ein New-Orleans auf der
Welt giebt. London ist zu rauchig, Paris zu abgedroschen, New-York zu yankeedoodelich,
Boston und Philadelphia zu muckerisch und Cincinnati, die Königin des Westens,
consumiert zu viel Schweinefleisch.
„New-Orleans ist mit Negerschädeln gepflastert“ äußert ein
amerikanischer Schriftsteller. Er hätte besser gesagt, New-Orleans ist mit schönen
Frauen gepflastert; obwohl auch das Erstere nicht in Abrede zu stellen ist.
In dem Frauenkranz, der sich um die Schläfe der Beherrscherin des
Golfes windet, sind alle Blumen zu finden; neben den flammenden Tuberrosen und Kaiserkronen
strahlt die kokette Camelia, die uns in den Winternächten schonungslos vor ihrer Thüre stehen
läßt; die weiche, sanfte Magnolia, die uns nicht mehr gestattet, als das liebekranke Haupt in
ihren Schooß zu legen; der „Bachelor"s Button“, der für die Ehemänner so gefährlich ist und
das Immergrün „Adelaide d'Orleans“, bei dessem Anblick sogar ein Wholesale Grocer
von Liebe entbrannt werden kann.
Aber zwei Blumen fehlen dieser bunten Flora. Sie sind hier nur selten
anzutreffen. Die sich nach ihnen sehnen, ziehen nach den Ufern des weinrebenbegränzten Ohio.
Sie heißen Maßliebchen und Männertreu. -- --
Wo giebt es mehr Troubadours und Paladine, als in New-Orleans?
Nur Madrid, Sevilla und Barcelona haben das Recht, als Rivalinnen aufzutreten.
Unter den Liebesrittern, die jederzeit bereit sind, für die
Dame ihres Herzens eine Lanze zu brechen, finden sich auch viele Deutsche. Nur Schade,
daß deutsche Ungeschicklichkeit und unbeholfene Zimperlichkeit oft die zarten Fäden wieder zerreißt,
die das Klimpern der Mandoline angesponnen. --
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Unser Büchsenspanner, dessen oberflächliche Bekanntschaft
die schönen Leserinnen bereits gemacht haben, war ein solcher Unglücksvogel.
Seitdem Eliza seinem Freunde mit dreihundert Dollars
durchgebrannt und die Shellroad Mary auf seine Rechnung
an. Einem Abend bei Cassidy vier Dutzend Austern verschlungen
und fünf Flaschen Londoner Porter den Hals gebrochen, zog
er es sich zu Gemüthe und unterließ es, mit Tambourin-Girls und Bajaderen
herum zu „schwimeln“; da er nicht einsah, von welchem Nutzen es sein könnte, auf solche Weise
sein Geld durchzubringen.
Von nun an trank er seinen Cock-Tail ganz allein, aus
genommen, wenn ihn einer seiner Bekannten mit an die Bare zog.
Da er aber einen unwiderstehlichen Drang in sich fühlte,
dem schönen Geschlechte eine Huldigungen darzubringen und
da er öfter gesehen, daß die Caballeros und Messieurs von
New-Orleans mit der Guitarre oder Mandoline unter dem
Fenster ihrer Angebeteten stehen, um derselben ein Ständchen
zu bringen, so wollte auch er einmal sein Glück auf diesem Wege
versuchen; da er sehr gut einsah, daß ihm dieses von Nutzen
sein könne, und er dabei sein Geld spare.
Eine Guitarre hatte er; ebenso war er Dichter; ebenso
hatte er in Tübingen Aesthetik gehört -- denn die Büchsen
spannerei trieb er erst in Amerika. Er war von Haus aus ein
bemoostes Haupt oder besser ein zum Staatsdienst unbrauchbarer Student.
Er zählte jetzt ungefähr 32Jahre und obwohl er behauptet,
in Deuschland sehr schlank gewesen zu sein, so ist ihm hierin
doch nicht recht zu trauen, da er seine Beleibtheit unmöglich in
New-Orleans, das er seit seiner Ankunft in der neuen Welt
nie verlassen, erlangt haben kann. Mit obiger Behauptung
hatte er es schon oft versucht, die Leichtgläubigkeit der Frauen
zu benützen, wenn ihn diese auf die Dislocation seines Wuchses aufmerksam machten. --
Das Schönste an dem Büchsenspanner waren seine Zähne
und er hielt sich in der That für sehr schön, wenn er vor dem
Spiegel stand und seine Korallenlippen zum süßen, schmachtenden Lächeln einstudierte.
In manchen Augenblicken war er jedoch in einigem
Zweifel wegen seiner Holdseligkeit und dann tröstete er sich
immer damit, daß er für sich hin brummte; „nun, wenn ich
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auch nicht schön bin, so bin ich doch wenigstens interessant und
wie viele Beispiele hat man nicht, daß die schönsten gefeiertsten
Frauen häßlichen interessanten Männern vor schönen und un
interessanten den Vorzug gegeben haben.“ Daß aber oft die
Schönheit interessant macht und daß es auch schöne interessante
Männer giebt, schien er dann in seiner Selbstbespiegelung gar
nicht zu bedenken. --
Seine grauen Augen waren nicht so klein, als dies bei
oberflächlicher Beobachtung schien. Sie waren nur von dem
überhängenden Fette an den Lidern zusammengedrückt. Matt
und glanzlos, wenn er nüchtern war, glitzerten seine Augen
ferne, wenn er einige Brandy Cock-Tails zu sich genommen.
In einem solchen Angenblicke war er dann zu Allem fähig d.h.
zu was ein gutmüthiger Mann, wie der Büchsenspanner, über
haupt fähig sein kann.
Er machte Spectakel, war leicht gereizt, renommierte und
schwadronierte, wollte Jedermann, der ihn beleidigt, gleich zu
Leibe, ohne natürlich seinem Beleidiger im Geringsten Etwas
zu Leide zu thun. Es blieb beim Drohen und Toben und sein
Schwert ließ er dabei unangetastet in der Scheide stecken. --
Unrecht hätte man ihm gethan, wenn man eine Beleibt
heit außerordentlichen Mahlzeiten zugeschrieben. Er aß im
Gegentheil sehr wenig, wie überhaupt Alle, denen das übermäßige
Trinken zur zweiten Natur geworden ist, zu thun pflegen. --
Verliebt war er bis über die Ohren und schon der Anblick
einer Schürze und einer wenn auch bestrumpften Wade konnte
ihn außer Fassung bringen. Deshalb lag er auch am liebsten
mit halbem Leibe aus dem Fenster, wenn es regnete und die
schmutzigen Straßen das zarte Geschlecht zwangen, ihre Kleider
in die Höhe zu lüpfen. Dann zwinkerte er vergnügt und über
selig mit den Augen und wünschte die Sonne hinter alle Berge.
Obwohl er sich für einen Weltmann „comme il faut“
hielt und seinen Freunden ein Urtheil über Theater und
Musik oft auf sehr handgreifliche Weise aufdrang, so hatte er
das Theater seit seinem siebenjährigen Aufenhalt in New
Orleans doch nur ein Einzigesmal besucht und sogar bei dieser
Gelegenheit wartete er nicht das Aufziehen des Vorhanges ab,
sondern lümmelte so lange auf der Bare im Büffet
herum, bis seine Freunde sich genöthigt sahen, das „alte Haus“ in einem Cab fortzubringen.
- 52 -
Tags darauf konnte er das gegebene Stück nicht scharf
genug tadeln, und erging sich in schwulstigen Phrasen über die
mehr als geringen Leistungen französischer Schauspieler. --
In Toulousestreet wohnte seit mehreren Monaten Orleana,
das schönste deutsche Creolenmädchen
*), das noch je in Louisiana das Licht der Welt erblickt.
Ihre Eltern, die Beide in New-Orleans geboren, wurden
an Einem Tage vom gelben Fieber dahingerasst und hinterließen ihr außer einem blühenden
Geschäfte, das Orleana jedoch sehr bald in andere Hände übergab, mehrere werthvolle
Grundstücke, im regsten Theile der Stadt gelegen.
Schon zwei Monate nach dem Tode ihrer Eltern setzte Orleana sämmtliche
Grundstücke mit bedeutendem Gewinn in baares Geld um, kaufte sich nach ihrem eigenen Geschmacke
ein Haus in Toulousestreet und lebte von den nicht geringen Interessen des noch übrig gebliebenen Capitals. --
Wenn es wahr ist, daß man aus der Lectüre den mehr
oder minder hohen Grad unserer Bildung ersehen kann, so
muß Orleana eine gute Erziehung genossen haben; denn auf
ihrem Kaminsimse sieht man die Poesien der Mistreß Hemans
und die Memoiren von St. Helena von Las Casas und in
ihrem Schooße liegen die „Propyläen“ von Göthe. -- Ein
vortrefflicher Wiener Flügel und eine über demselben hängende
Guitarre zeugen für musikalischen Sinn. --
Orleana lebte ein stilles, keusches Leben und besorgte
ihren kleinen Haushalt mit Hülfe einer alten Sclavin, die sie von ihren Eltern ererbt.
Ihr Herz war noch frei und kein Mann konnte sich rühmen, von ihr nur die geringste Bevor
zugung oder Begünstigung erhalten zu haben.
Sie hatte mehrere reiche Verwandte in der Stadt, deren Besuch ihr stets
lästig war, da er nur darauf abzielte, sie zu
einer vortheilhaften Heirath zu überreden. Besonders waren es
die Söhne zweier angesehener Kaufleute, die sich berechtigt
glaubten, auf ihre Hand Ansprüche machen zu dürfen. Sie
____________________
*)
Es ist ein großer Irrthum, den sogar Washington Irving begeht, daß man
die Bezeichnung „Creolen“ nur auf französisches Blut überträgt. Wenn man
die ursprünliche Bedeutung dieses Wortes in Betracht zieht, das einen „hier
Erzeugten“ bedeutet, so wird es paradox klingen, wenn man auch von spanischen,
deutschen und Indianer-Creolen spricht. Die Benennung „Creolen“ nur auf die
Abkömmlinge einer vergangenen fanzösischen Colonistengeneration überzutragen,
wie es übrigens gewöhnlich geschieht, zeigt von leichter Kenntniß unserer
Racenverhältnisse, Ein Kind von deutschen Eltern in Louisiana geboren, ist ein
Creole. Ebenso ist ein Creole ein Kind, das aus der Vermischung eines Weißen
mit einer Indianerin entstanden -- aber nicht umgekehrt; da nur die weiße
Farbe des Erzeugers das Kind zum Creolen stempelt.
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wußte aber die zudringlichen Bewerber immer in gehöriger Entfernung zu halten.
Orleana war reich, jung und schön; lauter Vorzüge, die
man zu schätzen verstand. --
[LSZ - 1854.01.17]
Von Orleana hatte auch der Büchsenspanner gehört und
da sie, wie er sich ausdrückte, eine Landsmännin von ihm sei, so glaubte er um so mehr
das Recht zu haben, für sie zu schwärmen und um ihre Liebe zu buhlen.
„Denn“ sagte er zu sich: „gesetzt auch den Fall, ich wäre
nicht schön, so bin ich doch wenigstens interessant und zudem noch ein Landsmann -- was
mehr, um mir ihr Herz zu gewinnen?“
Heute war er nun fest entschlossen, der schönen reichen
Landsmännin ein Ständchen zu bringen. Zuvor mußte er
sich aber in eine erhöhte Stimmung versetzen, da ein Lied, das
austrockner Kehle kommt, nach seinem Dafürhalten durchaus nicht zum Herzen dringt.
Aber mit welchem Liede follte er seine Landsmännin über
raschen; welches möchte wohl auf sie den meisten Eindruck machen?
An Liedern fehlte es ihm nicht, d.h. nicht an gedruckten
und geschriebenen; denn er besaß einen ganzen Berg von
Burschenliedern, worunter auch mehrere feurige Commercelieder
sich defanden. Er durchstöberte einen ganzen Schatz, bestimmte
bald dies bald jenes für die Serenade, verwarf die erst gebilligten
dann wieder, bis er endlich nach einer Stunde Abmühen
und Schwitzen das Rechte gefunden zu haben glaubte. „Es
zogen drei Bursche wohl über den Rhein!“ das muß einen nie
gefühlten Zauber auf ihr noch unschuldiges Herz ausüben, rief
er sich zu und pfiff sich zum Versuch gleich mehre Male hinter
einander die Melodie vor. „Es zogen drei Bursche wohl über
den Rhein“: wie gefühlvoll und sinnig -- gehörig vorgetragen
und noch dazu mit Begleitung der Guitarre, muß es einen
unverwüstbaren Eindruck auf jedes noch unverdorbene Gemüth ausüben --“.
So philosophierte er noch lange fort und nahm von Zeit
zu Zeit einen tüchtigen Schluck aus einer Korbflasche.
Als er seine Guitarre stimmen wollte, bemerkte er zu
seinem nicht geringen Entsetzen, daß zwei Saiten an derselben
gesprungen waren und O Grauen über Grauen, der Resonnanzboden hatte einen großen Riß.
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Dieser Riß entstand dadurch, daß er die letzte Nacht, als
er in etwas begeistertem Zustande nach Hause kam, eine Ratte mit seiner Guitarre erschlug.
Hätte der Büchsenspanner nur etwas weniger in seine Korbflasche gesehen,
so würde er zu dem Schluß gekommen sein, daß für diese Nacht keine Rede davon sein könnte, Orleana ein
Ständchen zu bringen.--
Wir haben schon früher bemerkt, daß der Büchsenspannerauch Dichter war;
nur beging er oft die unverzeihliche Ungeschicklichkeit, seinem Hippogryphen keine Kanthare anzulegen.
So raisonnierte er auf folgende Weise:
„Da es, um für seine Schöne zu schwärmen, von nicht geringem poetischen Werthe ist,
statt eines fröhlichen Herzens ein zersprungenes zu haben oder auch einen Riß mitten durch das Herz,was das
Nämliche ist, und da unsere gefeiertsten Sänger und Paladine in hundert und abermal hundert Liedern
die „zersprungenen Herzensaiten“ erwähnen, so ist es nur ein schönes Symbol meiner Liebesleiden, wenn ich meiner
Landsmännin mit einer zerbrochenen Guitarre ein Ständchen bringe.“
Jetzt erfolgte wieder ein Schluck aus der Korbflasche.
War er bisher dichterischer Pedant, so wurde er nun ein frivoler Abbé Chaulieu. -
Was doch diese verschluckten Geister für eine Wirkung hervorbringen können!
Den Dummsten machen sie witzig und das Phlegma wird genial.
Der Büchsenspanner stand fix und fertig, seine Guitarre unter dem Arm,
einen Heckerhut phantastisch aufs linke Ohr gesetzt und aufgestülpt.
„Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein!“ pfiff er
vor sich hin, als er aus der Thüre auf die Straße trat.
Die Straßen waren schon still.
Die frische Nachtluft wirkte so belebend auf ihn, daß es ihm vorkam,
als hätte er Flügel an den Füßen; ja es schien ihm, daß selbst die Gaslichter, die Häuser --
Alles mit ihm der Toulousestreet zueilten.
Vom Pfeifen ging er zum Declamieren über und man muß wirklich gestehen, daß er
sich hierin selbst übertraf.
„Schöne Frauen von New-Orleans“ so ließ er seiner Phantasie freien Lauf „ich
liebe Euch wegen des schelmischen Blicks, mit dem ihr so oft kokettiert -- -- ich -- -- ich liebe
Euch wegen Eurer naiven Sünden -- -- ich liebe Eure
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Kinder, die Repräsentanten uneigennütziger Liebe und Sinnlichkeit,- -
ich liebe Euch wegen der Prickelhitze auf Euren sammtnen Schultern, die Euch der glühende Helios wund
geküßt -- -- ich liebe Euch wegen des Puders, der meinen Flaus weiß färbt -- -- -- ich liebe Euch wegen der Eau de
Cologne in Euren Hemden und Strümpfen -- -- schönste -- -- schönste Blumen im Palmettoboudoir von Louisiana, ich liebe
Euch mit aller Glut eines Botanikers; denn die verwelkten Stiele und Blätter in meinem Herbarium sind das Evangelium
meiner transatlantischen Liebe. -- --“
„Toulouse Street? Hm,Hm -- -- das muß Toulousestreet sein!“ Wankend sah er sich nach
Jemanden um, den er befragen könnte.
„Damn'd! da bin ich schon zu weit die Straße heruntergegangen -- --
doch -- halt! hier -- hier ist die „Rheinpfalz, hier die „Stadt Mannheim“ und hier „Victor's Restaurat“
--- nun das ist einmal jetzt schur, daß ich zu weit heruntergekommen bin -- und wo wohnt meine Landsmännin
-- -- -- so-so, die haben noch Licht bei Victor's -- da muß ich noch einen „kleinen“ mit auf den Wegzurücknehmen.
Der Büchsenspanner pochte zwei-drei-viermal an die
Thüre des Restaurats, aber umsonst. Man öffnete ihm nicht.
„Den Kerl will ich bankerott machen -- -- warte Hallunke
-- -- verdammt will ich sein, wenn ich noch einmal ein Souper bei dir nehme, drohte er mit geballter Faust den
verschlossenen Thüren.
Bei dem Büchsenspanner trat nun das Stadium ein, wo
ein Betrunkener anfängt, brutal zu werden.
Seine Einbildungskraft flog nun auf das Extrem über.
Er erging sich nicht mehr in Vergötterungen von schönen
Frauen, sondern schimpfte wie ein Rohrsperling
Als er an der Office der „Deutschen Gesellschaft“ vorüderkam,
schlug er seine Guitarre an die Thüre und brüllte:
„Nun, wenn ihr was wißt, "da drinnen -- ihr deutsche
Gesellschaft -- -- wo ist denn das Haus meiner Landsmännin? -- --
ihr, ihr seid mir die rechte Sippschaft -- -- ihr, ihr?
Ihr möchtet wohl ein paar Dollars vorausbezahlt haben und
dann würdet ihr mich doch nicht hinführen.-- -- Sieht das
Nest nicht aus! So schmutzig, so infam und schmierig, daß sich
ein anständiger Mensch schämt nur vorbeizugehen -- -- -- he,
he, deutsche Gesellschaft -- heraus -- -- -- wo wohnt meine
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Landsmännin?„ -- -- -- O, so, ihr seid ja nie zu Haus -- -- -- adieu, -- -- --“
Bald stolpernd und in die Höhe springend, wenn er anstieß,
bald mit einer Guitarre in der Luft herumfuchtelnd, ging es einige Squares weiter.
Hätten jetzt nicht die Töne eines Piano an sein Ohr geklungen,
er wäre wieder bei Orleana's Haus vorübergegangen.
„Halt, halt -- hier -- wie meine Landmännin schön spielen kann,“
warf er, gerade nicht sehr leise, vor sich hin, nachdem er sich Haus, Thüren, Balkon u.s.w. genug besehen hatte.
Dann rief er mehrere Male mit dem höchsten Pathos den Namen seiner Landsmännin
und zuletzt so laut und durch dringend, daß es kein Wunder war, wenn Orleana plötzlich
zu spielen aufhörte und ihre Sklavin weckte.
Eben wollte er „Es zogen drei Bursche ..“ beginnen, als er,
von tüchtigen Faustschlägen getroffen, beinahe hingestürzt
wäre, hätte ihn nicht die naheliegende Mauer, an der er seinen
Kopf heftig anstieß, in aufrechter Stellung erhalten.
„Ich schlage dich todt, Hallunke, wenn du nicht gleich diesen Ort verläßt oder
je wieder hieher zurückkehrt,“ donnerte ihm eine Stimme in französischer Sprache entgegen.
Da aber der Büchsenspanner trotz seines siebenjährigen
Aufenthalts in New-Orleans kein Wort französisch verstand,
er aber ungefähr ahnen mochte, weshalb ihm so mitgespielt
wurde, so schleppte er sich, so gut er es im Stande war, von
diesem Orte weg, um in selber Nacht nicht mehr nach Hause
zu kommen, sondern in der Calaboose zu übernachten. --
Als er Tags darauf die ihm vom Recorder aufgelegte
Geldbuße bis auf den letzten Cent entrichtet hatte und nun
verdutzt nach Hause wanderte, verschwor er sich hoch und theuer,
die ihm zugefügte Unbill zu rächen und einem Nebenbuhler die
Lust zu vertreiben, ihn wieder beim Ständchen-Bringen zu
stören. --
Seine Glut für Orleana aber war durch dieses Hinderniß nur noch mehr angefacht. --
____________________________
Siebentes Capitel.
Parasina Brulard-Hotchkiss.
Wir geleiten jetzt den Leser in die dritte Municipalität,
wo er gewisse Verbrechen begehen sehen wird, welche in und
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um New-Orleans zwar ziemlich häufig vorkommen mögen, nichts desto weniger aber
schaudererregend und entehrend sind. Robber's Roost und ähnliche Schlupfwinkel und Höhlen des
Lasters in St.Louis sind Feentempel gegen die Behausung der berüchtigten Negresse Parasina Abigail Brulard oder
Hotchkiß -- wie sie die Amerikaner nennen -- im östlichen Theile der dritten Municipalität.
[LSZ - 1854.01.18]
Wem das schändliche unsittliche Treiben der Farbigen in New-Orleans kein Geheimniß
mehr ist, der wird auch nicht so sehr schaudern, wenn wir ihn an einen Ort führen,
wo die unnatürlichsten Sünden als ganz gewöhnliche Beschäftigungen betrieben werden und das Laster in seiner vollen
Glorie und Herrlichkeit auftritt. Es wird ihn nicht wundern, wenn er die ungezügelte Frivolität afrikanischer
Schönen die Grenzen des Anstandes, wie sie Civilisation und unentweihte Natur vorzeichnen, so keck
überspringen und sie vom glühenden Strome eines tobenden Sinnlichkeitsvulkanes überfluthet sieht. Für
die jenigen aber, denen im Süden nur die goldenen Früchtem der Orangenbäume und die hellstrahlenden Blumen der keuschen
Magnolien entgegenlächeln und die kein anderes Grauen kennen, als den aufgesperrten Rachen eines Alligator oder den
giftigen Biß einer Congo -- für die mögen die Farben von dem Gemälde, das wir jetzt entwerfen, allerdings zu stark
aufgetragen sein. Sie werden an der Wahrheit des Geschilderten hartnäckig zweifeln und uns anklagen, die Hoheit des
menschlichen Geistes verlästert und seine Würde in den Staub getreten zu haben.
Diese unschuldigen Kinder des Paradieses ersuchen wir, dieses und das folgende Capitel zu
überschlagen und zu warten, bis wir das neunte beginnen. -- Wir haben uns lange besonnen, ob es nicht zu gewagt sei,
diesem Capitel einen Raum in unserm Roman zu gestatten, da noch sehr Viele das „verschleierte Bild“ anbeten,
ohne auch den Muth zu haben, es zu lüften. Unsere Zeit ist aber schon längst zu der Philosophie gekommen,
daß mit dem Verschleiert ein nichts mehr gewonnen wird und daß das Erkennen bei weitem nicht so gefährlich ist,
als es uns einst eine düstere Religionsanschauung vorgelogen hat. Wenn wir auch unter dem Schleier zu wilden Bestien
entartete Menschen finden, so ist es noch immer besser, wenn wir sie in ihrer ganzen Häßlichkeit sehen, als daß wir nur ihr
Geheul und Grinsen hören und uns vor Angst hinter die zweideutige Schürze einer Amme verkriechen. „Das Laster in
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seiner Nacktheit gemalt, führt zur Menschenkenntniß; bloße Anspielung und zarte Verhüllung zur Confusion. --
Im östlichen Theile der dritten Municipalität steht ein großes Gebäude von
Backsteinen aufgeführt, in der Form eines länglichen Parallelogrammes. Die vielen großen Thore,
die an der Frontseite des Hauses, welches gegen Süden liegt,angebracht sind, findet man beständig verschlossen
und der Muthwille hat sie dergestalt beschmutzt und mit den verschiedensten Carricaturen und Inschriften bekleidet,
daß die ursprünglich grüne Farbe derselben nur noch an wenigen Stellen zu erkennen ist. Dieses Gebäude, in dessen
erstem Stock nirgends ein Fenster zu finden ist, hatte noch vor einigen Jahren zu einer Tabacksniederlage gedient,
und kam im Jahre 1847 durch eine Versteigerung an die jetzige Eigenthümerin, die freie Negresse Parasina Brulard.
Dieses Gebäude wurde damals für sie um den enormen Preis von fünfzehn tausend Dollars erstanden. Wenn man bedenkt,
daß der ganze erste Stock nur in einem einzigen Raume bestand, in welchemman nur die aufstrebenden nackten Balken
ohne jede andere Decoration bemerkte; wenn man bedenkt, daß die große Anzahl von Zimmern im zweiten Stocke nur aus
Bretterverschlägen von der nachlässigsten Construktion, ohne alle weitere Wohnlichkeit und Bequemlichkeit, bestanden,
so muß man wirklichstaunen, daß sich Jemand beifallen ließ, dieses Gebäude für einen andern Zweck als für ein Depot
zu kaufen. Man glaubte Anfangs, Madame Brulard würde den untern Stock, vermiethen oder auf irgend eine andere Weise
mit der Benützung desselben spekulativ zu Werke gehen. Nun war aber schon ein ganzes Jahr verstrichen und das Haus
stand immer noch öde und still da. Nirgends das geschäftige Treiben, wie vorher, keine Drays, keine Clerks, keine
Commissionaire -- nichts von alledem war vor und in dem Hause zu bemerken. Die Thüren blieben jetzt wie zuvor geschlossen.
Die Leute konnten denken, was sie wollten, und die schwarze Dame hatte ebenfalls das Recht, über ihr Eigenthum zu
verfügen wie sie wollte. Einen ziemlich geräumigen Hof an der hintern Seite des Gebäudes schloß eine dreizehn Fuß
hohe Mauer ein, in der eine kleine Thüre angebracht war, zu der wieder eine drei Fuß hohe Treppe führte. Das war
der einzige sichtbare Eingang, da die Thore der Frontseite, wie bereits erwähnt, nie geöffnet wurden. Wir wollen
uns jedoch nicht länger bei der
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äußern Beschreibung dieses Ortes aufhalten, sondern gleich einen Blick in das Innere werfen.
Die große Flur im Erdgeschosse, welche die ganze Länge und Breite des Gebäudes einnahm,
und deren Uebersicht durch keine Partitionen oder Abtheilungen gestört wurde, war von
Madame Brulard in Einen Schlafsaal verwandelt, auf dessen mit Strohmatten bedeckten Dielen hunderte von Matratzen
herumlagen. Einen auffallenden Contrast zu der mehr als cynischen Einfachheit dieses ungeheuren Schlafsaales, desen
nackte Wände nicht einmal übertüncht waren und desen Plafond die rohen Balken und Latten sehen ließ, bildeten mehrere
an 6“ hohe Ankleidespiegel, die immer je zwei zu zwei so gestellt waren, daß die sich Ankleidende gerade so gut von vorne als
von hinten sehen konnte. Diese Spiegel hingen jeder zwischen zwei Gueridons, in deren Vertiefungen das Material zur
Beleuchtung des Schlafsaales sich befand, was hier unumgänglich nothwendig war, da die Dunkelheit des Ortes sonst
kaum die Umrisse des Körpers deutlich sehen ließ; diese Gueridons vertraten hier die Stelle der beiden Säulen,
zwischen denen solche Spiegel gewöhnlich angebracht sind und hatten den Vortheil voraus, daß das von denselben
ausströmende Licht keinen störenden Refler für die Toilette machende Person hervorbrachte.
Es war an einem Sonntag Morgen. Im Schlafsaale herrschte bange, unheimliche Ruhe,
nur hie und da unterbrochen durch das Geflüster einiger Mädchen, die, halb von ihrem einfachen Nachtlager
erhoben, leise mit Einander Worte wechselten. Die Meisten waren noch in tiefem Schlummer versunken
oder wälzten sich träge auf den bunt gewürfelten Decken.
Zwei von ihnen mußten eben eingetreten sein; denn der vollständige Anzug und
das mißmuthige Gesicht ließen schließen, daß sie die Nacht außer dem Hause zugebracht. Wieder andere
hatte die Ungeduld aus den Betten getrieben, und standen im tiefsten Negligée vor den Spiegeln, um ihre Haare in Ordnung
zu bringen. Es waren lauter junge Mädchen von 8 - 12 Jahren : Negerinnen, Mulattinnen, Mestizen, Quadroons --
kurz, alle Schattierungen farbigen Blutes. Wer so, ohne den Grund ihres Beisammenseins zu kennen, in dieser Stunde
hereingetreten wäre, möchte an seinem wachen Zustande gezweifelt und geglaubt haben, irgend ein Gaukelwerk hätte ihm
die Sinne verwirrt und er stände unter dem Zauberstabe irgend eines böswilligen Schwarzkünstlers. Hätte er alsdanu
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gelauscht und die leisen Gespräche der Erwachten vernehmen
können, so hätte er zu seinem Entsetzen gesehen, daß hier von
keiner Zauberei oder einem berauschenden Traumbild die Rede
sei, sondern daß dies Alles wahr und wirklich sich zutrage. Er
wäre zur gräßlichen Erkenntniß gekommen, daß er in eine
scheußliche Höhle des Lasters getreten und daß die Leiber dieser
schönen Mädchen verkauft und vermiethet seien. Er hätte die
Besitzerin dieser Mädchen in seiner ersten Aufwallung
erdrosseln können, ohne zu ahnen, daß er dann nicht mehr
lebend diesen Schlupfwinkel des Lasters verlassen hätte. --
Die beiden eben Angekommenen setzten sich, nachdem sie
ihre Kleider abgelegt und ihre langen Hemden übergeworfen
hatten, auf Eines der leeren Betten. In das Namensverzeichniß
ihrer Gebieterin waren sie als Pharis und Elma
eingeschrieben. Sie waren von mittelmäßigem Wuchse und
ihre langen pechschwarzen Haarflechten schlangen sich um ihre
vollen braunen Schultern. Die tiefschwarzen Augen, die
dunkelrothen Lippen, die glänzend weißen Zähne, die bei jedem
Worte, das sie mit Einander sprechen, sichtbar werden -- die
runden schwelenden Formen ihres Körpers, von Lebenswärme
durchdrungen und noch nicht durch den giftigen Hauch einer
habituellen Prostitution erschlafft: das waren lauter Eigenschaften,
die Parasina Brulard gut zu benützen verstand. War
sie einmal bei guter Laune, so nannte sie diese Beiden ihre
lieben „gold-chickens“, ein Schmeichelwort, dem sie eben nicht
gewogen waren. Bei den übrigen Mädchen standen sie im
großen Ansehen und die größten Mißhandlungen hatten die
jenigen zu befürchten, welche Pharis und Elma beleidigten.
„Pharis,“ sagte Elma, doch so leise, daß es die Andern
nicht vernehmen konnten, „glaubst du denn wirklich, daß wir
dem jungen Gentleman trauen dürfen?“
„Was kann er mit uns vorhaben, Elma?“ erwiederte in
einem bekümmerten Tone Pharis. „Wenn er auch ein Versprechen nicht hält, das er uns gegeben hat, so können wir
doch in keine schlechtere Lage gerathen, als wir uns jetzt
befinden. Ich gehe auf einen Vorschlag willig ein, mag dann geschehen, was auch will.“
„Aber bedenke doch, welchen Qualen wir uns aussetzen, wenn
wir wieder zurückgebracht werden sollten! Madame wird nicht
eher ruhen, bis sie unserer wieder habhaft ist und ihre Verbindungen
mit den großen reichen Gentlemen werden es ihr leicht
machen. Ich kenne die Gesetze nicht, aber Celia, die vor einigen
- 61 -
Wochen von einer Plantage zu uns kam, hat mir erzählt, daß
ihr Bruder, der vor der Grausamkeit eines Massa nach Boston
floh, wieder zurückgeliefert wurde und die fürchterlichsten
Schmerzen hat ausstehen müssen. Das habe ich noch nicht vergessen!“
Pharis schien einige Augenblicke nachzudenken, dann er
wiederte sie in einem zuverlässigen Tone:
„Man wird uns zwingen können, Elma, wieder in die
Sklaverei zurückzukehren, aber man wird uns nicht nöthigen
können, wiederholt ein so schändliches Leben führen zu müssen.
Wir werden Madame anklagen und wir werden Recht bekommen!“
„Anklagen? -- -- Recht bekommen? Weißt du denn
nicht,“ fuhr Elma bitter fort, „daß Wir kein Recht haben und nicht klagen dürfen?“
„Warum denn nicht? Für was sind denn die Gerichte, die
Advocaten und alle diese weißen Gentlemen? Wenn ich Unrecht erduldet habe, soll
ich nicht auch klagen dürfen? Macht die Farbe da auch einen Unterschied?“
[LSZ - 1854.01.19]
Ein starkes Pochen, das vom obern Stockwerke zu kommen
schien, unterbrach sie in ihrem Gespräche und alle Mädchen,
bei achtzig an der Zahl, die noch auf ihren Matratzen ausgestreckt lagen,
sprangen wie auf ein Commandowort auf, kleideten sich in ihre langen weißen Hemden und
schlüpften in ihre Schuhe. Dann ging es an ein Waschen und Coiffuren vor
den Spiegeln und in einem Nu standen sie fix und fertig da
und stellten sich in gerader Linie in zwei Reihen den Schlafsaal entlang auf
Dieses Manöver hatte seine bestimmte Bedeutung, wie
man gleich sehen wird.
Pharis und Elma hatten sich nebeneinander in die vordere
Reihe gestellt.
„Madame“ flüsterte die Erstere „wird heute kein Sünden
geld von mir erhalten; der junge Gentleman versprach mir es erst bis nächsten Samstag
auszubezahlen. Ich hoffe, Madame wird deshalb nicht erzürnt sein.“
„Ich weiß es nicht,“ bemerkte Elma etwas lauter, „wie
Madame gerade aufgelegt ist. Frage nur Hyderilla, die wird dir sagen, wie in einem
ähnlichen Falle mit ihr verfahren wurde.“
„Was sprecht ihr von mir?“ rief ein Mädchen von ungefähr
acht Jahren mit einer hellen Kinderstimme.
- 62 -
„Elma meint, du wärest von Madame hart bestraft
worden, als du dem reichen Pflanzersohn eine ganze Nacht creditiertest.“
„Ja, das bin ich!“ rief lebhaft die kaum erst den Kinder
schuhen entwachsene Mestize. „Von nun an laß ich mich aber immer vorausbezahlen. Ich
könnte diese Strafe nicht zum zweiten Male mehr ausstehen. O, wie das brannte und stach
-- -- und schreien konnte ich auch nicht, da man mir den Mund verband. Ihr wißt es doch Alle,
wie ich damals geschunden wurde.“
„Die arme Hyderilla!“ bemerkte theilnehmend eine Andere.
„Sie hätte daran sterben können.“
Madame Brulard mit einer Geldbörse in der linken
Hand und einem Pocket-book unter dem rechten Arm trat
herein. Ihr zur Seite ging ein schmächtiges Männchen.
Die Persönlichkeit dieses Weibes mußte Jeden, der sie so
zum Erstenmale sah, aufs höchste überraschen. Es wäre eine
vergebliche Mühe, ein tantalisches Haschen nach treffenden
Worten, die volle Gewalt zu schildern, die Parasina schon bei
ihrem bloßen Erscheinen auf ihre armen Schlachtopfer ausübte.
Der Anblick des Venerabile, vom Priester einer gläubigen
Menge prostituiert, hätte keine tiefere Stille hervorzaubern
können. Ganz deutlich konnte man das Athmen der schwarzen
und braunen Leiber vernehmen. Ihre Blicke flogen scheu und
ängstlich umher und wagten kaum auf der Gebieterin zu haften.
Wer sich in seiner Phantasie je so hoch verstiegen hat, das
Bild der babylonischen Hure auszumalen und in der Erinnerung
festzuhalten, würde hier ihre Doppelgängerin gefunden haben.
Madame Brulard war eine stämmige, an sechs Fuß hohe
Gestalt, deren volle und saftige Formen durch die nachlässige
Verhüllung ihres Körpers strotzend hervortraten. Ihre Hautfarbe,
deren Glanz und Schwärze mit Sammet und Ebenholz
wetteiferten, wäre sehr treffend mit dem dunklen Harze zu
vergleichen, das von den glühenden Strahlen der tropischen
Sonne übergoldet wird. Die großen schwarzen Augen, welche,
wie die Secundenzeiger auf dem weißen Grunde einer Uhr, die
trägen Minuten hinter sich lassen und beständig vorausflackern,
werden von langgefranzten Wimpern überschattet, in denen
der kecke Sohn der Cythere seinen Sitz aufgeschlagen hat.
Aus dem halboffenen feuchten Munde von heller Purpurröthe,
glitzert das Email ihrer untadelhaften Zähne. Ihre Brüste
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heben sich und wogen wie der Ocean in einer schwülen Gewitternacht.
Um ihren Kopf windet sich eine Art Turban von
carmoisinrother Seide mit feinen, schwarzen Streifen durch
zogen. Die Ohren zieren goldene Ringe, die bis auf die halb
entblößten Schultern herabfallen. Das schon mehrmals
erwähnte „lange Hemd“ von der Reinheit des frischgefallenen
Schnee's ist um die Taille mit einer grünseidenen golddurch
wirkten Schnur eingebauscht, deren Quasten bis unter das
Knie herabsinken. Ihre Füße bedecken Moccasins mit hellblauen
Schleifen und Perthen geziert. Am kleinen Finger funkelt ein Diamant.
Ihr Begleiter, der wahrscheinlich die Nacht bei ihr
zugebracht, war so klein, daß er Madame Brulard kaum an den
Busen reichte. Er war in einen langen schwarzen Rock gekleidet,
bis an den Hals zugeknöpft und trug einen schwarzen nach
oben schmäler zulaufenden Strohhut. Seine ganze Haltung,
die, schlaffen Gesichtszüge, der unstete, unsaubere Blick, der
beständig die Mädchenreihen musterte, beurkundeten einen
physisch zu Grunde gerichteten Mann. Sein Kopf war sehr
klein, die Augen tief in den Höhlen versteckt und die Wangen
dunfig aufgetrieben. Sein Gesicht hatte jene zweideutige
Carnation, die zwischen der eines gelben Fieber-Reconvaleseenten
und ausschweifenden Wüstlings getheilt war. Seine
Hände waren klein und von untadelhafter Weiße und Zartheit
-- wohl das Schönste an der sonst so jämmerlichen Gestalt.
„Belvidere, Deidamia, Celestiella, Wales, Adelaide,
Springer, Hannah, Gizard, Jane, Eliza, Diana, Adeline,
Lydia, Penelope, Harry und Semiramis haben noch die Rückstände
von der vorigen Woche zu berichtigen!“ ertönte die
männliche Stimme der Madame Brulard, indem sie dabei
eine officielle Miene annahm, die ihr jedoch -- nebenbei gesagt -- sehr schlecht stand.
Die bei ihren Namen. Aufgerufenen übergaben ihr je nach
ihrem Verdienste größere oder kleinere Summen Geldes, das flink in die aufgehaltene Börse Parasina’s glitt.
Pharis stand zitternd neben Elma; denn die Gesichtszüge
ihrer schwarzen Gebieterin schienen ihr heute keine Schonung
zu versprechen. Sie dachte an die von Hyderilla überstandenen
Leiden und mochte wohl ein Gleiches ahnen. Elma tändelte
mit ihren schwarzen Haarflechten und schien den kleinen Herrn
gar nicht zu bemerken, der vor ihr stand und sie mit seinen
gierigen Blicken zu verschlingen drohte.
- 64 -
Die Mädchen hatten sich diesmal sämmtlich sehr besorgt
um Parasina's Geldbeutel gezeigt; denn halbe und ganze Eagles wanderten in Menge
zum großen Sündenfond. Es waren noch zwei übrig, deren Erwerb Madame Brulard
einzucassiren hatte. Es waren Elma und Pharis, die am äußersten Ende der Reihe standen.
„Nun meine gold-chickens,“ begann sie mit widerlicher
Freundlichkeit, indem sie dabei ihre beiden Reihen Zähne zeigte,
„macht euch eures Namens würdig -- ein Hurrah für meine California Diggins!“ --
Der kleine Herr belachte pflichtgemäß den schlechten Witz der baechantischen Mänade und grinste
dabei mit filzigem Behagen die beiden Mädchen an. Pharis und Elma senkten ihre Blicke.
Die Letztere entsprach den Forderungen.
„Nun Du zauderst, Pharis?“ herrschte Parasina, „heraus mitder
Sprache! Ich hoffe nicht, daß du eine so schlechte K.... bist, wie Hyderilla .. es würde
dir noch viel übler ergehen ..“ Während sie so sprach, fuhr sie mit ihren Händen
über den zitternden Körper Pharis’s, um -- nach Geld zu fühlen. Als sie sich in ihren Erwartungen
getäuscht fand, gab sie mehreren Mädchen Befehl, genau das Bett der Schuldigen
zu untersuchen. Sie selbst beeilte sich, dem armen Kinde das
Hemd über den Kopf zu streifen und an Stellen zu suchen,
wobei sich Pharis die Augen mit beiden Händen zuhielt.
Nachdem auch dieses fruchtlos abgelaufen, wurden der armen
Pharis mit ihrem eigenen Hemde die Hände auf den Rücken
gebunden und ihr befohlen, in Begleitung von Madame und
dem kleinen Manne sich in's obere Stockwerk zu begeben.
„Monsieur Dubrueil,“ begann Parasina zu dem kleinen
Manne gewendet, indem sie jedes Wort nach dem bekannten Neger-Französisch falsch
betonte, „wollen Sie nicht die Erecution an dieser Betrügerin selbst vornehmen? Treten Sie mit
ihr in diese Kammer; hier ist Alles in Bereitschaft: Zangen,
Nägel, Hammer, Bürsten und Stricke -- und wenn dies nicht
zureichen sollte, so finden Sie hinter der Tapete jenes Kamines
ein Universalmittel comme il faut. Ich verlasse Sie jetzt, um
meine Kasse in Ordnung zu bringen. A revoir, Monsieur Dubrueil!“
„Madame!“ rief Dubrueil dem Weibe, das eben in ein
nahegelegenes Zimmer verschwinden wollte, nach, nachdem er
vorher einen flüchtigen Blick auf seine Uhr geworfen hatte,
- 65 -
„’s ist bereits acht Uhr -- um neun Uhr soll ich predigen! Will's
lieber mit dem Abstrafen auf Abend verschieben.“
Parasina brach bei diesen Worten Dubrueil's in ein
schallendes Gelächter aus und hielt sich mit beiden Händen
ihre Hüften. „Sie wollen heute noch predigen, Monsieur -- bitte, sagen Sie mir über welches Thema?“
„Ueber das sechste Gebot!“ antwortete der Kleine, indem
er seine Augen salbungsvoll nach Oben richtete.
„Wird heute schlecht von Statten gehen,“ bemerkte Parasina, in
Einem fort lachend.
„Fürchten Sie nichts Madame! Der heilige Geist wird
mir vorher in Gestalt eines Glases guten Cognac's erscheinen
und mich begeistern. Jung gewohnt, als gethan. A revoir, Madame Brulard!“
„Adieu, mein Herr Dubrueil! Die Betrügerin bleibt
bis zu Ihrer Wiederkunft in der Kammer eingesperrt ... verlassen Sie sich darauf!“ --
Dubrueil verließ das Haus der Negresse und eilte mit
niedergeschlagenen Augen seiner Wohnung zu, von Zeit zu Zeit die Grüße der
vorübergehenden geputzten Kirchengänger erwiedernd.
[LSZ - 1854.01.20]
____________________________
Achtes Capitel.
Ein Intermezzo.
und
Weitere Ereignisse bei Madame Brulard.
Der Katholicismus hatte einst auch sein classisches
Zeitalter, wie es die Mythologie unter den Griechen gehabt hat. Was waren die
Kreuzzüge wohl anders, als eine Iliade? Ein poesiereiches, blühendes Leben verband
die christlichen Völker und ihre Märtyrer und Heiligen waren damals
noch keine Heuchler und Charlatane. Die unbefleckte Jungfrau
war das Ideal der Frauen und der schwärmerischen Jünglinge
und am Kreuzes stamme des Erlösers verblutete so manche
gläubige Seele. Eine Wallfahrt nach Loretto war noch keine
Gaukelei, kein formelles Possenspiel, keine unlautere Speculation
für den Danaiden-Geldbeutel der Pfaffen. Verzückte
Heilige glaubten wirklich an ihre Visionen und spielten so
- 66 -
unschuldigen Betrug. Die liebliche Wahlverwandtschaft zwischen
Abälard und Heloise konnte nur diesem Zeitalter entkeimen.
Ein Raphael von Urbino konnte nur unter den wärmenden
Sonnenstrahlen des Katholicismus eine reizenden Engelsköpfe
und Madonnenbilder erschaffen. Der große Dante Alighieri
konnte mit seiner Geliebten „höher und höher“ in den Himmel
schweben; denn seine göttliche Komödie war von einem gläubigen Herzen
dictirt *).
Mit Boccaccio's „Decamerone“ schlich sich schon der kalte
Scepticismus ein und der Dichter wurde zum grübelnden
Scholastiker. Von dieser Zeit an hörte auch das Classische
des Katholicismus nicht nur, sondern des ganzen Christenthums
auf und mit dem Aufhören der Classicität hätte moralischerweise die ganze Posse
von rechtgläubigem Christenthume enden sollen. Die Geschichte der Menschheit hätte sich
dann wenigstens nicht die Schmach einer dreihundertjährigen
Heuchelei aufgebürdet. Der Verstand benutzte das Christenthum
nur noch zur Ausbeute und zu schändlichen Zwecken. Mit
Ignaz Loyola stürzten sich die dämonischen Gewalten in die
durch den unbewußten Glauben geheiligten Kirchen
und vertrieben Ruhe und Friede aus der gläubigen Brust.
Der geheiligte Schooß der alleinseligmachenden Kirche -- zur Zeit der classischen Periode des Katholicismus
ein wahres und aufrichtiges Epitheton -- wurde zum Schindanger
und zur Galgenstätte, auf welchen sich schwarzes Gezücht
und schmutzige Stymphaliden herumtummelten. Moder- und
Leichengeruch wurden das substituierte Parfum für Myrrhen
und Weihrauch. **)
Wie der Leser diese vorausgeschickten Raisonnements in
Einklang mit diesem Capitel bringen wird, wie er überhaupt
nur einen Funken von Dialektik und Logik in dem Gesagten
finden mag -- das sind lauter Dinge, auf die ein Leser von „Geheimnissen“
vorbereitet sein muß. --
Die alte französische Kirche an der Rampartstraße war
heute gedrängt voll Menschen. Viele, die der enge Raum derselben nicht mehr fassen
konnte, standen außerhalb auf den Stufen oder im Portale, um von hier mit erhobenen Zehen
und vorgestreckten Köpfen der donnernden Rede des berühmten Predigers zu lauschen. An hundert Cabs, Volanten und
*) Arabeske zu einer in diesem Capitel erwähnten Predigt, deren Inhalt
wir den Lesern jedoch nicht mit heilen, wenn wir uns auch durch die Unterlassung
der Zeitungsetikette: „audiatur et altera pars“ eine Rüge zuziehen.
*) Zweite Controvers -- Arabeske zu genannter Predigt
- 67 -
Buggies rollten heran und mußten wieder umkehren, da es
den Darinsitzenden unmöglich gewesen wäre, sich durch die
-- außenstehende Menge in die Kirche hineinzudrängen.
Unter denjenigen, die einen bequemen und vortheilhaften
Sitz in der Nähe der Kanzel einnahmen, saßen auch zwei in
tiefe Trauer gekleidete Damen, von denen die Jüngere mit der
gespanntesten Aufmerksamkeit die albungsvollen Worte des
Predigers verfolgte und manchmal, wenn sie gerade ein
Blick traf, tief erröthend zu Boden sah. Die ältere Dame saß
steif und mit gegen den Altar gewendetem Gesichte auf einem
gepolsterten Stuhle. Mit beiden Händen hielt sie das große
schwarzsammetne Gebetbuch, das mit einem goldenen und mit
Edelsteinen besetzten Schlosse versehen war. Von Zeit zu Zeit
sah sie unwillig um, wenn sie nämlich der Lärm und das
Gewoge an der Thüre in ihrer Andacht störte. An ihrem
langen vollen Halse und den elliptisch geformten kleinen Ohren
erkannte man leicht ihre schottische Abkunft.
In den Gesichtszügen des Predigers prägte sich jener
eigenthümliche Enthusiasmus aus, der wegen seiner forcierten
Ercentricität den Menschenkenner zweifeln ließ, ob dieser Mann,
der hier das Wort Gottes verkündet und strafend seinen
Finger emporhebt, auch wirklich ein unbeflecktes Herz und
einen reinen kindlichen Glauben in sich trage. -- So wenigstens dachte
bei sich eben ein Mann, der hart an der Kanzel
stehend, öfter zu demselben mit verhaltenem Grolle hinaufblickt
und dann wieder auf Augenblicke die Andacht der Zuhörer zu mustern
schien. Er war nicht hieher gekommen, um das Wort
Gottes zu vernehmen oder sich von den phantastischen Auslegungen des
Evangeliums erquicken zu lassen -- ihn trieb nur
die Neugierde, den berühmten Prediger zu sehen und zu hören,
in die ihm sonst verhaßten Räume. Zudem befand sich ja auch
die engelschöne Miß Dudley Evans mit ihrer Mutter
hier, der Abgott der katholischen Geistlichkeit in New-Orleans
und der leidenschaftlich verehrte Gegenstand seiner Liebe.
Wer ein für Kunst und Poesie empfängliches Gemüth
besitzt, wird gewiß nie den Eindruck vergessen, den eine Madonna Raphael’s auf
ihn gemacht hat. Miß Dudley Evans war ein solches Madonnenbild, mit allem Zauber
einer frischen sich eben entfaltenden Rosenknospe und umflossen vom Heiligenscheine
der Unschuld. Schon als kleines Kind in den gefährlichen
Zauberkreis des katholischen Irrgartens hineingezogen, beseelte
sie eine schwärmerische Liebe zur Mutter Gottes und ein unbegrenzter
- 68 -
Gehorsam gegen die Priester, der zwar nicht für das
Kind, wohl aber für die Jungfrau sehr gefährlich war. Von
ihrer Mutter sehr oft zu strengen Bußübungen und Kasteiungen
angehalten, hatte ihr Blick einen leidenden und schmerzlichen
Ausdruck angenommen, der im Contraste zur rosigen Frische
ihres Gesichtes einen unendlichen Reiz auf alle die ausübte,
die sich in ihrer nächsten Umgebung befanden. Miß Dudley
war das vollendetste Bild einer Heiligen und hätte sie einige
hundert Jahre früher gelebt, so wäre sie gewiß wegen ihrer
Frömmigkeit, noch mehr aber wegen ihrer unaussprechlichen
Schönheit von irgend einem verliebten Pabste canonisiert
worden. Sogar der blasierte König Salomo, der wollüstige
Sänger des hohen Liedes, hätte bei ihrem Anblicke trotz seiner
Weisheit wiederholt eine Sünde begangen und mit seiner
lebensmüden Phrase: „alles ist eitel!“ noch einige Zeit zurückgehalten.
Der Verkündiger des göttlichen -- doch nein, des
entgöttlichten Wortes stand auf einem Schemel, da er wegen seines
kleinen Körperbaues sonst kaum bis an den Rand der Kanzel
gelangt hätte. In seinem Eifer bog er sich manchmal mit halbem
Leibe über dieselbe heraus, als wollte er sich alle Augenblicke
auf die Menge hinabstürzen. Seine kleinen Hände ballten sich
krampfhaft zusammen, seine Augen rollten wie Feuerräder in
ihren tiefen Höhlen herum, bald hob sich sein Körper, bald
sank er wieder so weit unter den Horizont der Kanzel hinab,
daß man nicht das Geringste mehr von ihm erblicken konnte;
jetzt fährt er mit seinen beiden Armen in die Höhe und läßt
entzückt seinen Blick nach Oben schweifen, jetzt ist er wieder
ganz ruhig und kreuzt die Hände auf die Brust, dämpft den
schrillenden Ton einer Stimme und senkt die Augen zu Boden;
da fährt er auf einmal wieder wie besessen in die Höhe und
geberdet sich wie der alte Ahriman oder wie ein wüthender
Roland -das Alles im Verlauf einiger Minuten! Und was
begeistert diesen heiligen Mann? Was Jeden von uns unter
Umständen auch begeistern würde und zum Garrick auf der
Kanzel machen könnte: ein derber Schluck Cognac.
Wir lassen ihn füglich weiter predigen und wollen auch
die Andacht der Zuhörer nicht stören. Wir bemerken nur noch
so viel, daß die Predigt zwei volle Stunden dauerte und daß
der begeisterte Kanzelredner mit einem kräftigen „Anathema sit“ gegen alle Ketzer schloß. --
- 69 -
Am Abend desselben Tages fuhr Herr Dubrueil, nachdem
er in der Nähe der Pontalba-Gebäude in ein Cab gestiegen war, der dritten Municipalität zu.
Der Zeiger auf der Cathedrale wies auf acht Uhr.
Am sternbesäeten Himmel schwamm munter und selig die
silberne Sichel des abnehmenden Mondes.
Herr Dubrueil war heute in einen langen, braunen Paletot
gekleidet und trug eine graue Mütze, die er bis über die Ohren
herabgezogen hatte. Manchmal sah er zum Wagen hinaus
und legte sich dann wieder ärgerlich zurück, indem er seine
Füße auf den Sitz stellte und sie bis an die Brust heraufzog.
„Der verdammte Mond aber auch!“ murmelte er dann in
dieser zusammengekauerten Stellung. „Dieser Schurke scheint
immer zur ungelegenen Zeit ... ein aufdringlicher Geselle! ....
ein lästiger Beobachter .... sacre nom de Dieu ... ich kehre
wieder um! ... He Boy, Garçon, boy he!“ rief er plötzlich
dem jungen Kutscher zu, indem er das Schiebfenster zurück
schob und sich halb aus dem Wagen herausbog: „Fahr” wieder
zurück nach den Pontalba's!“
„What do you talk about? d'mned my bloody soul be d.....
back again?“ raisonnierte der whiskeyduftende Irländer, seine
Pferde nur noch schneller antreibend.
„Sacre nom de Dieu!“ fluchte der Andere wieder „he,
he Garçon, boy, boy ... attendez un-peu! ... je vous donnerais
deur Louis!... he, he, he Garçon ... sacre nom de Dieu ... ich will aussteigen!“
Der Kutscher aber schien auf das wüthende Fluchen des
kleinen Herrn gar nicht zu achten, sondern fuhr fort, seine
Pferde anzutreiben, bis er an dem ihm zuerst von Herrn Dubrueil bezeichneten Orte ankam.
[LSZ - 1854.01.21]
Das Cab hielt jetzt still.
„Hier wohnt die Putzmacherin Boncoeur, Gentleman!“
sagte nun höflicher der unerbittliche Patrick, indem er
auf ein zweistöckiges Framehaus zeigte, desen Fenster sämmtlich
erhellt waren, „und gerade hier gegenüber wohnt Madame
Brulard -- oder Hotchkiß, wie Sie wollen .. Soll ich Sie
vielleicht noch bis vor die kleine Thüre in der Mauer fahren,“
bemerkte er schelmisch lächelnd weiter: „Hat verdammt schöne
Mädchen diese Madame Brulard: He Gentleman, wie wär's,
wenn Sie so großmüthig wären, mich mit einem solchen
schwarzen oder braunen Engel zu treaten .. oh, und ein kleines
Mestizchen ist drin, anyhow das schönste Kind im ganzen
- 70 -
Parish von New-Orleans ... und die Semiramis erst! Die ist
so schwarz, wie das Kind der Mutter Gottes in Altötting ..
in ganz Irland hab' ich kein so schönes schwarzes Fleisch
gesehen ... beim heil. Patrick, Gentleman, wenn ich die
Semiramis kaufen könnte, ich gäbe meinen heiligen Namenspatron dafür ...“
Herr Dubrueil biß sich vor Aerger in die Lippen; denn der
irische Kutscher sprach diese Worte so laut, daß die Bewohnerinnen des
Häuschens, in dem die Putzmacherin wohnte, ihre
Fenster öffneten, um nach den saubern Vögeln zu sehen, die
hier so laut und offen ihre Wünsche aussprachen. Um allen
Unannehmlichkeiten und compromittierenden Tete a Tetes vorzubeugen,
warf er dem geschwätzigen Irländer seine Geldbörse
hin und verschwand in einer nahegelegenen Alley.
Der erfreute Kutscher schlang die Zügel seiner Pferde um
einen alten, einzeln dastehenden Fenceriegel und huschte mit
der vollen Börse in das eben erwähnte Haus, dessen Bewohnerinnen
ihn mit schallendem Gelächter aufnahmen und die Thüre hinter ihm zuschlugen.
Wir lassen ihn in der Gesellschaft dieser, wie es scheint,
ihm nicht ganz fremden Göttinnen und sehen uns wieder nach
Monsieur Dubrueil um, der auf diese Weise freiwillig seine
ganze Börse mit wenigstens fünfzig Dollars Inhalt eingebüßt hatte.
Der kleine Mann hatte sich in einer an die Alley an
stoßenden Lumberyard zwischen den aufgeschichteten Brettern
versteckt und wollte hier abwarten, bis der vermaledeite Irish
man mit einem Cab den Platz verlassen würde. Er horchte,
aufmerksam nach jener Richtung hin, wo dasselbe stand, und
hörte immer noch das ungeduldige Stampfen und Scharren
der Pferde. Er wäre jetzt gerne aus seinem Schlupfwinkel zu
Madame Brulard hinübergeeilt, aber er fürchtete, man möchte
ihm aufpassen und einen Possen spielen. Zudem war es für den
in der ganzen Stadt allgemein geachteten und beliebten Prediger
ein zu großes Wagniß, an einem so verdächtigen Orte mit
mehreren Personen zusammen zu kommen und bei dieser Gelegenheit
erkannt zu werden. Der Versuch, die Alley entlang
zu entwischen, um auf einem Umwege zu Madame Brulard's
Haus zu gelangen, war ihm gleich Anfangs mißglückt. Der
Ausgang derselben war nämlich durch eine querüberlaufende
Bretterumzäunung versperrt und als er des ungeachtet
versuchte, hinüber zu steigen, um so zu einem Ziele zu gelangen,
- 71 -
fingen mehrere Hunde an zu bellen, worauf er sich wieder zum
Rückzuge genöthigt sah.
So mochte er wohl eine ganze Stunde in banger
Erwartung zugebracht haben, als er wiederholtes „good bye, good
bye!“ vernahm und gleich darauf einen Wagen die Straße
hinabrasseln hörte. Zugleich schallte durch die schweigende
Nacht die wilde Musik eines tollen, bacchantischen Tanzes
und als er, ängstlich umblickend, auf die andere Seite der
Straße hinüberschlich, bemerkte er zu einem höchsten Erstaunen,
daß diese Töne aus dem Hause Parasina's kamen.
„Was mag es da drinnen geben?“ schmunzelte er: „Sie
hat mir doch heute früh kein Wort davon gesagt ... und was
mag mit Pharis sein? Ein Tanzen und ein Wüthen, daß
man ganz taub davon werden könnte ... ist wohl wieder der
reiche Schelm von Buenos Ayres angekommen, dieser Wind
beutel und Gaucho. Ich kann diese Südamerikaner nicht
ausstehen ... ein freches elendes Volk das!“
Wie ein Kater, der zur Zeit der Liebesperiode nach der
schnurrenden Kätzin schleicht und leise auftappt, dann auf
Einmal wieder große Sprünge macht, so schlich sich Herr
Dubrueil dem Gebäude entlang hin und sprang mit einem
Satze die Stufen hinauf, die zur kleinen Thüre in der Mauer
führten. Rasch, doch leise drehte er den Schlüssel um und
schloß ebenso sachte die Thüre wieder zu. Er blieb nicht
einmal im Gange stehen, der rechts in den großen Schlafsaal
und links die Treppe hinauf zu Madame Brulard's Gemächern
und zu der Kammer führte, in der sich Pharis seit sieben Uhr
Morgens eingesperrt befand. Ihn kümmerte jetzt wenig der
rasche Flug der tanzenden Paare, noch die rauschenden Töne
des üppigen Saraband. Der Schlüssel zur bewußten Kammer,
den er in einer Seitentasche trug, ließ ihn nicht ruhen -- rasch
eilte er die schmale, baufällige Treppe hinauf und öffnete die Thüre.
Pharis stand nackt und mit auf den Rücken gebundenen
Händen, gerade wie er sie verlassen hatte, neben einem offen
stehenden Fenster und neigte den Kopf dreimal, als Dubrueil eintrat.
Es war kein Licht in der Kammer.
Der Mond lag wie der Geist einer abgeschiedenen Seele
auf dem Schieferdache der großen Sündeneaserne und erhellte
mit einem keuschen Scheine das unglückliche Mädchen. Als
- 72 -
sich Herr Dubrueil ihr näherte, schloß sie die Augen und stammelte ein rührendes Gnade! Gnade! .....
Als es draußen vom Thurme der katholischen Kirche zehn
Uhr schlug, war das scheußliche Verbrechen bereits begangen
und der Mond beschien eine himmelschreien die Sünde.
Der Genius der Menschheit aber weinte und verhüllte
trauernd sein Antlitz. --
Wir finden Herrn Dubrueil indem nunzum Tanzsaale um
gewandelten Schlafsaal im untern Stocke wieder. Die Ursache
dieser außerordentlichen Festlichkeit und berauschenden Lustbarkeit
war Parasina’s Geburtstag: der ein und dreißigste Januar.
Der ungeheure Schlafsaal, auf dessen Dielen heute früh
noch hunderte von Matrazen herumlagen, war während des
Tages mit räthfelhafter Schnelligkeit und außerordentlichem
Aufwande von goldenen Spiegeln, seidenen Vorhängen, Odalisken-Stübchen,
Schmachtsophas, T
* Stühlen, mit Sammet
ausgepolsterten Hängematten, „contre deur,“ „Joli-jolies“ in
einen feenhaften Tummelplatz verzaubert, auf dem Terpsichore
mit losgebundenem Gürtel, Venus vulgativa, der weinduftende
Bacchus, unfläthige Faunen und Satyre in der modernen
Gestalt blasierter Flaneurs und fashionabler Calomelritter mit Einander fraternisierten.
Dubrueil war ausgelassen lustig. Als Virtuose auf der
Guitarre und dem Tambourin, mit einem ausgezeichneten
Tenor begabt, wurde ihm in den Zwischenakten öfter Gelegenheit,
seine Talente glänzen zu lassen und verdiente mit
Recht den ihm von seiner Coterie ertheilten Namen eines „Troubadour.“
Unter anderm forderte ihn Parasina auf, ein Vaudeville
zu singen, dessen französischen mit amerikanischen Idiotismen
untermischten Tert wir hier deutsch folgen lassen. Elma be gleitete den Gesang nach
einem kurzen Vorspiele auf der Guitarre und ein rundes, frisches Negermädchen warf rasselnd
und trommelnd das Tambourin:
„New-Orleans, auf deinen Porchen
Sitzen Ladies kreideweiß,
Nicht verlegen um die Schminke!
Calomel vertreibt den Schweiß.
Schlanke Neger stehn Parade,
Fächer in den fetten Händen;
Hier in jener Straße sind
Alle Häuser zu verrenten.
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Sommer ist ja vor der Thüre
Und die Hitze macht verlegen,
Nur das alte Laster schleicht
Träge noch auf staub’gen Wegen.
Statt der schönen Blumen blüht
Kautabak in allen Gärten
Und die schönste Lady nimmt
Kautabak sich zum Gefährten.
Will sie den Geliebten küssen,
Küßt sie doch nur Kautabak --
Whiskey dann und Julepp träufeln
Ab vom schwarzen Yankeefrack.
Eis und Soda sind die Thränen,
Die man auf die Todten weint
Und das Port-Monnaie die Liebe,
Die ein Yankee-Paar vereint.
An der Bare nur die Freundschaft,
Händedruck und Bruderkuß
Schwinden mit dem Treaten wieder --
Wie ja. Alles enden muß!
Schönste Stadt! Auf deinen Gräbern
Will ich mir ein Häuschen bauen,
Still in lauen Sommernächten
Deiner Straßen Oede schau'n.
Will die Wagen alle zählen,
Die den lieben Todten folgen --
Müde dann, von Bar zur Bare
All' mein bischen Geld verstrolchen;
Bis man mich aus meinem Häuschen
Selbst nach jenen Gräbern bringt,
Wo man' muß so stille
Und nur modrig Wasser trinkt:
Wo an einer großen Bahre
Der Verwesung Keeper steht
Und wer einmal hingetreten --
Nicht mehr aus der Bare geht.“
Die Bacchanalien und wüsten Orgien dauerten bis an
den frühen Morgen. Vereinzelt, in einander verschlungen und
zusammengeknäuelt lagen Tänzer und Tänzerinnen, von
feurigen moussierenden Weinen benebelt, auf den Teppichen und
Ottomanen herum; ja, selbst Madame Brulard vergaß bei
dem allgemeinen Durch- und Uebereinander ihre Würde und
schnarchte, in unanständiger Stellung auf dem Boden ausgestreckt,
wie eine unheilverkündende Lokomotive.
[LSZ - 1854.01.22]
____________________________
Neuntes Capitel.
Das wandelnde Kreuz.
Die Negerkanone, die während der Wintermonate um
acht Uhr abgefeuert wird und die Straßen von New-Orleans
von dieser Zeit an zum Monopol der weißen Race macht, hatte
bereits alle Sclaven, die keinen Ausweis von ihrem Master
wegen ihres längeren Ausbleibens in ihrer Tasche trugen,
nach Hause beordert. Nur hie und da sah man noch Einzelne
- 74 -
in raschen Sprungen durch die Straßen eilen, um ihre allen fallsige Verspätung durch
ein keuchendes Ankommen bei ihren Herrn vergessen zu machen.
Ein trostloser und trauriger Tag war diesem Abend
vorhergegangen.
Unaufhörliche Regengüsse hatten in wenigen Minuten
die Straßen und Banquets des untern Theiles der Stadt
vollkommen unter Wasser gesetzt. Als gegen Abend die Wolken
sich zertheilten und das Wasser abgelaufen war, wimmelte es
in den Barrooms und vor den Cigarrenläden in der nächsten
Umgebung von St.Charles Hotel von spekulierenden Faullenzern,
Ladendienern, Clerks bei Cottonbrokers und Geldwechslern, angekommenen
Fremden und den notorischen Dandies von New-Orleans.
Das St.Charles Hotel trug damals noch auf seiner
majestätischen Kuppel den zierlichen Monopteros, der diesem
Gebäude ein höchst überraschendes Aeußere verlieh. Hier ist
der Mittelpunkt des spekulierenden und politischen Treibens
des amerikanischen Theiles unserer Bevölkerung. Hier werden
Pläne zum Bauen von Eisenbahnen oder Anlegen von Canälen
ausgesponnen und oft schon nach einigen Gläsern Cock-Tails
und Brandies ganz artige Aktiengesellschaften geschlossen, deren
Quelle, an der Bare vor gefüllten Gläsern sanctioniert,
gewöhnlich mit dem Trockenwerden der Kehle auch wieder
versiegt. Die Nachbarschaft des gegenüberliegenden Verandah
Hotels trägt auch viel dazu bei, daß, wenn sonst die ganze
Stadt zur Ruhe gegangen zu sein scheint, hier doch immer noch
lebhaftes Treiben und Drängen zu finden sind. Ja, man findet
bereits nach acht Uhr Abends die nächstgelegenen Straßen,
besonders Camp-, Magazine- und Carondoletstreet fast ganz
menschenleer, indem sich Alles was gesunde Beine hat und dem
Getöse freund ist, auf das eben besprochene Terrain concentriert.
Einem Dandy, mag er nun Loafer oder von der „upper ten“
sein, schmeckt eine Cigarre nur gut, wenn er an einer der
Säulen des St.Charles Hotel gelehnt, auf die wogende
Menschenmenge herabblickt und hie und da einem sorglos auf
seinem Bocke sich hinflegelnden Cabtreiber den noch glimmenden
Stumpen ins Gesicht werfen kann. --
Für den Romantiker ist hier nichts zu finden und er muß
seine Schritte zu jenen Plätzen im französischen Distrikt lenken,
wo man „Domino à la poudre“ spielt und den Farbenunterschied nicht so genau
nimmt. -- Wir aber wenden uns nach der uahegelegenen Magazinestraße.
- 75 -
Nicht nur jedes Gebäude von irgend einer Bedeutsamkeit,
sondern auch jede baufällige Barracke nimmt bei einbrechender
Dunkelheit und dem Flimmern des Gaslichtes eine eigene
Physiognomie an, die von der bei Tage beobachteten ganz
verschieden ist. Besonders ist dies der Fall, wenn sich irgend
eine dunkle Begebenheit oder historische Reminiscenz daran knüpft.
Unter allen Gebäuden von New-Orleans, das alte Kloster
der Ursulinerinnen und die bekannte Residenz der freien Negresse Parasina Abigail
Brulard ausgenommen, erschien wohl keines in der Nacht von so ominösem und geheimnißvollem
Aeußern, als das der Atchafalaya Bank, gegenüber der Bank's Arkade,
Jeder, der sich nur einigermaßen um die commerziellen
Verhältnisse von New-Orleans bekümmert hat, kennt die Geschichte der
Entstehung dieses Gebäudes, sowie auch das Wirken des damaligen Bankdirektoriums.
Zur Zeit, als wir dem Leser dieses Gebäude vorführen,
war es schon lange verödet und verlassen und der Wind fegte
durch die zerbrochenen Scheiben und war Musik für die hier
sich sicher fühlenden Ratten und Mäuse.
Die Säulen, mit deneu eine Frontseite geschmückt war,
waren von Sturm und Regen zerrissen und abgefegt und ihre
Capitäler so zerbröckelt und abgetragen, daß es sogar für einen
Architecten schwierig war, ihre Ordnung zu bestimmen.
In das Giebelfeld hatte launisches Unwetter tiefe Furchen
gezogen, die, vor kurzer Zeit noch gestaltlos, plötzlich nach
einer stürmischen Nacht die Form eines Kreuzes angenommen hatten.
Zur rechten Seite des Haupteinganges führte eine Treppe
in den obern Stock und von da wieder auf entgegengesetzter
Seite eine schmalere ohne Geländer in mehre Dachstuben.
Diese Stuben waren, als die Bank noch wirksam war, von
dem untern Stockwerke gewöhnlich durch eine Fallthüre abgeschlossen
und öffneten sich nur dem Schlüssel der betreffenden Bankbeamten.
Diese Fallthüre ist jetzt geöffnet und eine schwere eiserne
Stange dagegengestemmt, um das Zuklappen derselben zu
verhindern. Mehrere Stufen an dieser Treppe sind sehr schadhaft und durch
querüberliegende Stuhlbeine sicher gemacht.
Noch ehe man bis zur Hälfte diese Treppe erstiegen, streift
man an ein Fenster vorüber, durch das die Hinterge
bäude, die den schmutzigen Hofraum einschließen, bequem
- 76 -
gesehen werden können. In diesen wohnt schon seit mehreren
Monden eine Negerfamilie, die aus einem bereits grauköpfigen
Mann, zwei Frauen und mehreren Kindern von sechs bis zwölf
Jahren besteht. Eine Hütte, "an der noch eine lange Kette
befestigt ist, deren Ringe aber halb im Schmutze vergraben
sind, zeigt an, daß man es früher für nöthig erachtet, einen
nächtlichen Beschützer zu haben. --
Daß die Gebäulichkeiten im Hofe von einer Negerfamilie
bewohnt waren, wußte wohl Jeder, der nur einigermaßen
Ortskenntnisse von New-Orleans besitzt, wenn man auch nicht
von der eigentlichen Ursache ihres Hier wohnens unterrichtet
war. Anders verhielt es sich mit den Stuben im obersten
Stockwerk. Daß diese bewohnt waren, ahnte wohl Niemand.--
Ueber die beiden Fenster, welche diese Dachgemächer
enthalten, zieht sich eine dunkelblaue Sammettapete, welche sie
gänzlich verdeckt, so daß kein Lichtstrahl hereindringen kann
und es also auch während des Tages einer künstlichen Beleuchtung bedarf.
Die ursprünglich rohen Wände sind mit dem
nämlichen Stoffe,der auf seinem Grunde zahllose Sterne zeigt, bekleidet.
Der Fußboden dieser Gemächer, welche durch zwei
spanische Wände mit verhängten Thüren von Einander getrennt
sind, ist mit den kostbarsten Teppichen belegt.
Polster, Ottomanen und Causeusen, eine mit rosarothem
Sammet ausgeschlagene Hängematte, ein Divan von ziemlicher
Breite, der von den feinsten Vorhängen ringsum eingeschlossen
ist, ein Spiegel von drei Amoretten getragen, silberne zwölf
armige Leuchter im Roccoco Geschmacke, nebst vielen andern
Lurusgegenständen, zieren. Eine von diesen Stuben.
Unbegreiflich bleibt es, wie diese Gegenstände an diesen
Ort gelangen konnten, ohne von der Nachbarschaft bemerkt
worden zu sein. Denn gewiß ist es, wie wir schon bemerkten,
daß Niemand auch nur die geringste Ahnung davon hatte, daß
in dem Hauptgebäude Menschen wohnten, geschweige, daß man
vermuthen konnte, daß Pracht und Bequemlichkeit im obersten
Stockwerk ihren Sitz aufgeschlagen.
Wo man nur Ratten und Fledermäuse vermuthete, strahlte
in feenhafter Beleuchtung sybaritische Herrlichkeit.
Auf den weichen Kissen des Divans ruhen in halbaufge,
richteter Stellung zwei Personen.
Die eine ist ein junger Mann, kaum fünf und zwanzig
Jahre alt, mit schönen langen blonden Haaren und großen
himmelblauen Augen, die von langen an den Spitzen eingebogenen
- 77 -
Wimpern halbverschleiert sind. Er hat seine glühende
Wange an einen vollen Nacken geschmiegt und kämmt mit den
Fingern einer rechten Hand einen üppigen Wald raben-schwarzer Haare.
Bis auf ein kurzes Oberkleid von weißer Seide und einen
silbernen Gürtel, der aus unzähligen feinen Ringen zusammengesetzt ist, ist er ohne Bekleidung.
Ihm zur Seite, den rechten Arm um seinen Leib geschlungen,
liegt eine Frauensgestalt, die schwelenden Formen mit
rubinrother Seide verhüllt. Sie sieht in seine blauen Augen
mit solcher Glut und solch innigem Verlangen, als wollte sie
in ihnen wohnen und sie nie mehr verlassen.
„Also schon sechs Wochen sind seit der Zeit verflossen, als
ich mich in toller Laune in deine Kleider warf? Und doch ist's
mir, als wären erst wenige Stunden dahingeschwunden --“
knüpfte. Sie wieder ein Gespräch an, das durch Liebkosungen einige Minuten unterbrochen war.
„Wir werden heute noch darüber Aufschluß erhalten“,
erwiederte der junge Mann, „er hat es uns auf heute noch versprochen.“
„Wenn er zurückkommt, müssen wir ihn gleich darum
bitten,“ fuhr sie fort.
„Wer hätte das gedacht! -- -- -- Als ich mich vom
Fenster herabließ und von einem Arme umschlungen war -- --“
„Sei ruhig mein Herz -- ich glaube, er kommt schon
die Treppe herauf -- -- es ist doch noch nicht seine Zeit -- --“
Sie hielten sich Beide umschlungen und horchten. -- -- --
Sie täuschten sich nicht.
Die morschen Stufen der schmalen Treppe stöhnten und
aus den verlassenen feuchten Räumen des untern Stockwerks trat der Ersehnte durch
die Oeffnung der Fallthüre in die Wärme des üppigen Gemaches.
Beide erhoben sich von ihrem Lager. Ehrfurcht und Liebe
sprachen aus ihren Mienen.
„Venus Urania beschütze Euch!“ bewillkommte
sie der Eintretende, indem er auf. Beide zutrat und sie auf die Stirne küßte.
Es war eine abgemagerte langgezogene Figur, den Ober
körper etwas vorgebückt und die schneeweißen Haare unter
einer Pelzmütze verborgen, die er bis an die Brauen herabgezogen hatte.
Sein Antlitz war ein Bild unsäglichen Kummers und
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Leidens und trotz der Herzensgüte, die aus seinen Mienen
sprach, beim ersten Anblick schaudererregend und abschreckend.
[LSZ - 1854.01.24]
Vier Menschenalter waren schon über seinen Scheitel
hinweggezogen, und noch immer trug er sich mit einer Hoffnung
auf der Erde herum, die ihn vielleicht zum Grabe geleiten sollte.
Seine ungeheuern Reichthümer datieren sich schon vom
Jahre 1785. Vom See Ithaska bis zu den donnernden Wogen
des Golfes, vom atlantischen Ocean bis zum stillen Weltmeere,
allenthalben ist er herumgeschweift und kam als Heiland wieder
in seine Geburtsstadt zurück.
Er hatte die Goldadern Californiens und Australiens
geöffnenge, lange Jahre vorher, ehe die Argonauten sich
einschafen, um dort das goldene Vließ zu erbeuten.
Jetzt steht er hier in einfacher Kleidung, über ein Jahr
hundert hat an seine Schläfe gepocht -- und noch hat er die
Erfüllung seiner Wünsche,die ihn von seiner frühesten Jugend
an begleiteten, nicht aufgegeben.
Er versucht jetzt den letzten Wurf und wenn ihm dieser
mißlingt, werden ihn wohl eine weißen Haare in die Grube ziehen. -- --
Lucy und Emil verbeugten sich unwillkührlich, als er sich
zwischen ihnen niederließ. Der Alte begann:
____________________________
Zehntes Capitel.
Mantis religiosa.
„Wundert Euch nicht darüber, daß alle Ereignisse, die
seit mehreren Wochen zwischen Euch vorfielen, aus Eurem
Gedächtnisse verschwunden sind. -- -- Wenn Ihr mir als den
Urheber dieser Vergessenheit zürnen wolltet, so könnte ich Euch
dies nicht verargen. Verhältnisse, die Euch unzertrennlich
schienen, wurden durch mich zerschnitten und Ihr dadurch aus
jener lügnerischen Lebenssphäre gerissen, die doch nur in Bälde
Euer innerstes Seelenmark aufgezehrt hätte. -- --“
Emil und Lucy’s Blicke hingen wie festgebannt an seinen Lippen.
Der Alte fuhr fort:
„Was seit jenem Abend und in jener Nacht, wo eine
doppelte Verkleidung zu einer von Euch nie vorausgesehenen
Entwicklung führte, vorgefallen ist, findet Ihr in diesen Papieren,
- 79 -
die ich Euch hier übergebe“ -- hier überreichte der Alte
Emil ein rothammtenes Futteral, in das mehrere Papierrollen
gesteckt waren -- „und die sich Euren Blicken nur erst nach
meiner Entfernung von hier eröffnen dürfen. Ihr selbst werdet
dann diese Räume verlassen und nie wieder hier zurückkehren.
-- -- Die Hälfte meiner Reichthümer, immer noch genug,
um den Hofstaat eines orientalischen Fürsten zu ernähren,
werde ich Euch zurücklassen. Ihr werdet mit diesen Schätzen
wieder unter die Gemeinheit und Niederträchtigkeit der Menschen zurückkehren;
aber nicht mehr aus Noth gezwungen sein,
durch irgend eine zweideutige Handlung die strahlende Schön
heit Eures Leibes zu verfinstern. -- --“
„Aber in jener Nacht, wo ich mich herabließ und -- --“
Emil sprach es nicht aus, denn Lucy warf ihm einen abwehren den Blick zu.
„Als du in jener Nacht von den rohen Händen des Gesetzes
ergrissen wurdest, da war ich in der Nähe; ich konnte es
nicht dulden, daß durch die plumpe Hand eines Polizisten die
Schönheit, die nur durch Mißverhältnisse abgehalten wurde,
überall ihren erwärmenden Strahl auszugießen, verknittert
werde“ -- fiel der Alte begeistert ein; dann tief aufathmend sprach er:
„Nach Durchlesung dieser Papiere werden alle Umstände,
die Eurer Vergessenheit anheimgefallen sind, wieder klar vor
Eure Einbildungskraft treten und“ (indem er sich an Emil
wandte) „du wirst die Namen Jenny, Frida, Albert und Karl wieder als Bekannte vorfinden.“
Bei dem Nennen dieser Namen strich sich Emil mit der
flachen Hand über die Stirne, als erwachte er aus einem
schweren Traume. Es war ihm mit Einemmale, als sei dies
bisher Vorgefallene nur Alles Blend- und Zauberwerk -- --
als habe er erst aus tiefem Schlafe zu erwachen
Der Alte bemerkte dies.
Er ergriff Emil’s rechte Hand und fast in ihm in
überzeugendem und allen Zweifel verscheuchendsil" Tone:
„Du irrst Dich, wenn Du hier zu träumen wir sonst oder
gar glaubt, in die Hände eines Cagliostro oder irgend eines
Schwarzkünstlers gefallen zu sein. Ich glaube, die Zeiten sind
vorüber, wo man noch an dergleichen Blend- und Herenwerk
glaubte. Ein aufgeklärtes Jahrhundert hat all' diesen finstern
Wust von sich geworfen und übt seine Verstandeskräfte nur an
den Gesetzen und den Erscheinungen der Natur. Auch hat man
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nicht nöthig, Vergessenheit aus Lethe's Fluthen zu trinken;
wir haben das Mittel, das uns in selige Träume der Vergessenheit
wiegt, ganz in unserer Nähe. Es ist nicht Opium, das
die Nerven schwächt und die Denkungskraft des Menschen
betäubt und im Uebermaße genossen, den Tod im Geleite hat;
es ist nicht Olibanum, dessen wallende Dünste nur für Augen
blicke herben Kummer vergessen machen, und die glühendsten
Bilder der Ueppigkeit den gereizten Sinnen vorführen und so
der Aqua Tossana ähnlich den Organismus vergiften. -- Es
ist eine unscheinbare Pflanze an den Euch und der ganzen
civilisierten Welt noch unbekannten Quellen des Red River:
*)
„Es ist die
Mantis religiosa. -- -- --“
„Schon zwanzig Jahre vor der ersten Expedition unter
dem ersten französischen Consul sind mir die Quellen des rothen
Flusses bekannt gewesen und ihre Entdeckung wäre von mir
sicherlich der wissenschaftlichen Welt bekannt gemacht worden,
hätte ich nicht in der Mesa, die diese Quellen wie ein gähnendes
Grab umgiebt, dies Pflänzchen gefunden, das bisher nur von
Büffeln, Panthern und Jaguaren berührt wurde und diese
kostbarste, aber auch zugleich fürchterlichste Gabe der Natur
enthält.-- --“
Der Alte ließ Emil’s rechte Hand, die er bisher festgehalten,
los und stieg durch die Oeffnung der Fallthüre rasch die baufällige Treppe hinab.
In wenigen Secunden stand er wieder vor Emil und Lucy.
Sie sahen Einander erstaunt und beängstigend an. Es
war ihnen, als befänden sie sich vor einem Wesen höherer Art, das ihre Schicksale zu leiten vermöge.
Der Alte zog eine große goldene Kapsel hervor, öffnete sie
und hielt sie den Erstaunten hin.
Sie erblickten sie gefüllt mit zahllosen kleinen Körnchen,
deren jedes an Keimtheile bei genauer Besichtigung ein winziges dunkles Pl Ven enthielt.
„Dashera wohl die Samenkörnchen der Mantis religiosa?“
frug mit untederückter Stimme Lucy, dabei ängstlich dem Alten in's Gesicht, schend.
„Der Mantis religiosa?“ schien Emil ebenfalls fragen
zu wollen; aber seine Lippen blieben geschlossen und er verschloß die Frage in sein Inneres. --
_______________
*) Zur Zeit, als diese “wurden, hatte Capt. Marcy seine Entdeckungsreise
zum Aufsuchen der Quellen des Red River noch nicht unternommen.
Sie sind bis jetzt noch nicht bekannt. Alle Berichte hierüber, sowohl die von
A. von Humboldt bis weiter zurück, die des Lieut. Pike und Colonel Long aus den Jahren
1805, 1806 und 1812 sind durchgängig unbrauchbar. --
- 81 -
„Ja“ -- unterbrach der Alte sein Stillschweigen, „aus
diesen Körnchen entsteigt die verhängnißvolle rosarothe Blüthe
der Mantis Religiosa, deren Dufte Euch in’s Reich der Vergessenheit hinüberfuhrten.
An mir selbst habe ich in jungern Jahren ihre Wirkung erprobt, aber jetzt, jetzt bin ich zu alt;
sie verschwenden umsonst ihre Düfte für mich -- ja, alle meine
Rückerinnerungen steigen jetzt um so unerbittlicher aus der
Tiefe meines Gehirns hervor, dessen Kammern ich so oft verschloß. -- --“
Eine Thräne perlte ihm bei diesen Worten aus den Augen.
Mit gezwungener Stimme fuhr er dann fort:
„Aber nicht nur besitzt diese Pflanze jene schmerzenstillende
Eigenschaft, sondern sie trägt auch den Keim des Verderbens -- einer -- -- -- schrecklichen Seuche in sich. --“
„Des gelben Fiebers?“ warfen unwillkührlich Emil und Lucy zugleich ein.
„Ja! ich gebrauche sie als Rachemittel!“ erhob der Alte
seine Stimme mit einer Feierlichkeit und einem Pathos, das Beide schaudern machte.
„An Euch liegt es, einer weitern Verheerung vorzubeugen.
Ich verlasse Euch noch heute und habt Ihr die Feuerprobe bestanden und bei Benützung
der Reichthümer, die ich Euch hinterlasse, Eurer Schönheit keinen Mackel hinzugefügt, so
werde ich Euch, wenn ich wieder hier erscheine, in einen Wir kungskreis einführen, der Euch
bei der Nachwelt unsterblich machen wird. Denn wißt, es giebt hier Ketten zu
zerbrechen -- -- und nur die Schönheit hat das Recht, sie zu zerbrechen und sich an die Spitze
einer Bewegung zu stellen, die, schon längst von mir ersehnt, endlich zur Reife gelangt ist.
Nicht Eigennutz, Eitelkeit und schnöder Gewinn sollen einst die Beweggründe sein, um unsern
Boden von einer Schandthat, die er an einem Theil der Menschheit verübt, zu befreien. Ihr sollt die
Repräsentanten einer an brechen den Morgenröthe sein! -- --“
Durch die Augensterne Lucy's und Emil’s flog es wie leuchtender
Wetterschein und sie, die sich noch vor wenigen Wochen um die kleinlichen Interessen und
Zwischenfälle des gewöhnlichen Lebens abgequält, flammten nun für ihre hohe Aufgabe, die sie
an einem Theil der Menschheit zu erfüllen hatten. -- -- --
Noch diese Nacht verließ sie der Alte.
- 82 -
Emil entrollte die Blätter, die ihnen derselbe hinterlassen und Lucy,
an ihn geschmiegt, horchte mit gespannter Aufmerksamkeit der Enträthselung ihrer jüngsten Vergangenheit.
[LSZ - 1854.01.25]
____________________________
Eilftes Capitel.
Die Negerfamilie.
Fast zur nemlichen Zeit, als der Alte sich zwischen Emil
und Lucy niedergelassen hatte, um sie mit einer geheimnißvollen Pflanze bekannt zu machen,
waren die Glieder einer Neger familie, die, wie unsere Leser sich aus einem früheren Capitel
erinnern werden, im Hofraume der Atchafalaya Bank wohnten, in einem Gespräche begriffen, das
wir um so mehr erwähnen müssen, als dadurch manches Dunkle an das Tageslicht gezogen und ein
Ariadnefaden durch das Labyrinth späterer Vorkommnisse und Mißverhältnisse angesponnen wird.
Um den Feuerplatz einer geräumigen Küche hatte sich, ein
junges Mädchen von eilf Jahren ausgenommen, das, sinnend in einer Ecke, ihren rechten Arm
auf eine Stuhllehne stützte, die ganze Familie gelagert.
Das Haupt der Familie, ein grauköpfiger Neger, hatte
sich in einem Lehnstuhl niedergelassen und wärmte seine Füße. Neben ihm zu beiden Seiten
sitzen zwei Frauen in den mittleren Jahren und verzehren noch die Ueberreste eines frugalen
Abendmahles. Eine andere Frau, in Jahren schon weiter vorgeschritten, hatte die Wollköpfe
zweier Kinder unter sieben Jahren in ihrem Schooße, die ruhig schlummerten.
Sie sind sämmtlich einfach aber reinlich gekleidet. Die
Frauen mit hellcarrirten Tüchern um den Kopf und schneeweißen langen Kleidern ohne
Taille, die zu ihrer rabenschwarzen Hautfarbe in wildschönem Contraste stehen.
„Dank dem edlen Fremdling“ begann der Graukopf,
nachdem er seine kurze Tonpfeife angezündet hatte, „der uns Alle aus den Händen unters
Masters befreit hat. Was wäre aus uns Allen geworden? Du, Sarah, wärest wahrscheinlich
zu Derbigny und Breton auf die Plantage gekommen, da du eine gute Wäscherin und Näherin
bist. Dich, Abigail“ und dabei wandte er sich an die andere junge Frau, „hätte man in
das St.Charles Hotel gebracht, wo du Tag und Nacht hättest
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arbeiten müssen. Die kleinen Kinder hätte der alte Master mit nach Mobile geschleppt,
und so wären wir Alle von Einander getrennt worden. Und wie hat man Euch Sarah und
Abigail im Auctionslocale behandelt? Ich habe doch viel schon erlebt
und gesehen beiderlei Gelegenheiten, aber eine solche Behandlung, wie man sie an
Euch Beiden ausübte, erlaubt man sich selbst bei Talbots nicht an den -- Niggern,“ setzte
er bitter hinzu. -- -- -- „Mir alten abgeschliffenen Kerl schoß das Blut zu Kopf, als man Euch
so frech entkleidete und Euch von Oben bis Unten betastete und Ihr mußtet Euch dies
nicht nur Einmal, sondern fünf bis sechs Mal gefallen lassen. Jeder, der nur Miene machte,
für Euch ein paar tausend Dollars zu verausgaben, begriff und betastete Euch. Und wie
Viele kamen, die vielleicht keinen Cent in der Tasche hatten, und aus bloßer
Neugierde Euch die Kleider vom Leibe zogen -- -- -- wäre ich noch zehn Jahre jünger, ich
wüßte, zu was ich mich noch entschließen könnte -- -- so aber bin ich ein alter überall her
umgezogener und abgequälter Nigger, der keinen Zahn mehr im Maule hat-- ha, ha,- die
Hälfte habe ich so verloren, die Hälfte haben sie mir ausgeschlagen -- das macht aber
Alles nichts, ich war, bin und bleibe ein Nigger oder ein Vieh! ha! ha! ha! -- -- --“
In diesem Tone raisonnirte der Graukopf fort, indem ihm
die Pfeife zu wiederholten Malen ausging.
Cato -- so hieß nemlich das grauköpfige Haupt unserer
Negerfamilie -- war bereits fünf und sechszig Jahre alt und daß er noch sehr rüstig
sein mußte und zu manchem einträglilichen Geschäft zu gebrauchen war, geht schon
daraus hervor, daß man ihn noch vor zwei Jahren mit sechshundert Dollars
unter den Hammer des Auctionators brachte. Er war bereits schon das Eigenthum von
wenigstens. Ein Dutzend Herren, die ihn immer wieder mit vielem Gewinn an die
Meistbietenden verschacherten. Er war ein eben so guter Schmied als trefflicher
Zimmermann; er verstand es, einen Gemüsegarten zu bebauen, ja selbst in den
Treibhäusern eine nicht geringe Tournure an den Tag zu legen. Er verfertigte so
gut wie irgend ein Schneider Hosen, Jackets und war auf den Plantagen wegen seiner
Gewandtheit während der Baumwollenernte sehr geliebt oder vielmehr benützt. Es gab
eine Zeit für Cato, wo er das Vergnügen genoß, daß ein „schwarzes Stück Menschenfleisch“
für 2500 Dollars losgeschlagen wurde! Somit war unser Cato trotz seines Sclavenjoches
ein sehr reicher Mann; reicher doch
- 84 -
gewiß, wie mancher weiße Gentleman, aus dessem Leibchen man vielleicht keine fünf
Dollars lösen könnte. Cato gehörte zu den jenigen Sklaven, die äußerstthätig sind,- auf
den leisesten Wink gehorchen, vor ihrem Master schweifwedeln wie bestrafte
Hunde -- aber wenn die Zeit der Ruhe kommt und die nächtlichen Schatten über die
Augenlider ziehen -- die Zähne zusammenbeißen, auf Mittel und Auswege sinnen, um zu
entfliehen oder ihren Herren im Geheimen einen Schaden oder auch nur einen Possen zuzufügen.
Fünf und sechszig Jahre lang hatte er so geschweifwedelt
und die Zähne zusammengebissen, er hatte sich abgequält und abgearbeitet; mit Tausenden
hatte er die Säckel seiner Herren gefüllt, aber um sich loszukaufen, war er eine zu
theure Waare. Wie wäre es ihm auch möglich gewesen, trotz all seiner Sparsamkeit
zwei -- dreitausend Dollars zu erübrigen?
Die Ersparnisse von fünf und zwanzig Jahren, 800
Dollars, die er einst seinem Master anbot, um die Freiheit zu erkaufen, wurden von
demselben zwar angenommen, aber nicht um ihm dafür Freipapiere einzuhändigen, sondern
sie für eine bessere, elegantere Umzäunung der Cottage zu verwenden.
„Ich will dir die 800 Dollars aufbewahren, Cato“ sprach
damals sein Herr zu ihm und hast du dir noch 800 Dollars dazu erspart, so kannst du
laufen, wohin du willst.“ Cato war ein Nigger; er mußte sich ducken, er durfte nur
die Zähne zusammenbeißen -- -- --.
Cato war jetzt frei! Ein Mann,den er nie gesehen, über
bietet bei einer Auction 500 Dollars mit 1000 Dollars und kauft ihn jammt seiner
Familie und macht sie dann frei. Er versieht sie mit Geld und verwendet sich noch
auf andere edle Weise für ihr weiteres Unterkommen.
Ein 65 jähriges Joch hatte ihn aber so niedergedrückt und
ihn dem wirklichen Bewußtsein seiner jetzigen Freiheit so unzugänglich gemacht, daß
er sich noch immer für einen Sclaven hält und bei Gelegenheiten murrt und raisonniert,
wo es für ihn, den Freien, gar nichts zu murren und zu raisonniren giebt.
Begeht er irgend eine Ungeschicklichkeit, zerbricht er ein Glas
oder Kochgeschirr, so fährt er erschreckt zusammen und faltet
beide Hände, als erwarte er eine Peitsche.
Will er Brandy trinken, so versteckt er die Flasche
vorsichtig in irgend einen Winkel des Hofes, schleicht bei Nacht
heimlich aus der Stube und nimmt einen tüchtigen Zug mit
auf den Rückweg zu seinem Lager, wo er dann kaum zu athmen
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sich getraut, aus Furcht, der Geruch des Getränkes könnte ihn
verrathen. So sind dem Armen seine Ketten zwar abgestreift,
aber ihn schmerzen noch die Male, die sie ihm eingedrückt. --
Die zwei jüngern Frauen, die um den Feuerplatz sitzen,
sind die Weiber seiner zwei Söhne, die die Seuche vor vielen
Jahren dahingerasst. Die beiden schlummernden Kinder sind
seine Enkel und die ältere Frau ist das Weib oder vielmehr
die Concubine eines freien Negers, der in einer der nördlichen
Staaten der Union ein Cigarrengeschäft besitzt, zur Zeit aber,
wo wir sie hier treffen, sich in New-Orleans befindet.
Das junge Mädchen oder vielmehr „woman“ - denn
jede Negerin, die über 11 Jahre zählt, ist nach den Begriffen
der Amerikaner schon kein Mädchen mehr, -- welches sich in
einer Ecke der Küche auf eine Stuhllehne stützt, ist von gelblicher
Gesichtsfarbe, im Staate New-Hampshire freigeboren und an Kindes statt von
dem Cigarrenhändler angenommen. --
„Mein Mann bleibt lange aus“, bemerkte die ältere von
den Frauen -- „Vater wird seine Geschäfte noch nicht beendet haben und da wir die
nächste Woche wieder nach dem Norden abreisen wollen, so wird er wohl seine Zeit
benützen“ -- fiel das junge Mädchen ein.
„Ihr habt wohl viel Geld von dem Alten erhalten?“ -
fuhr die Erstere dann in scheinbar gleichgültigem Tone wieder
fort, zu den beiden jüngeren Frauen gewendet.
„Vorläufig hat er uns nur tausend Dollars gegeben und
die Miethe unserer Wohnung auf ein halbes Jahr an den
Eignern dieses Gebäudes vorausbezahlt,“ erwiederte Abigail
treuherzig und mit freudestrahlenden Augen.
Das Mädchen,das sich bisher noch immer auf die Stuhl
lehne gestützt, verließ diese und trat mit neugierigen Mienen zu
den sich um den Feuerplatz gelagerten Personen vor.
„Nach Verlauf eines halben Jahres“ fuhr Abigail dann
wieder fort „werden wir ein Haus in der Rue d'amour im dritten Distrikt beziehen,
das man uns zum Geschenk machen will.“
„So wollt Ihr also nicht mit uns nach dem Norden?“
frug das junge Mädchen.
„Wer hat dir gesagt, daß wir mit Euch nach dem Norden
ziehen wollen?“ entgegnete Sarah.
„Cato hat es gestern meinem Mann versprochen“,
erwiederte ärgerlich die Frau des Cigarrenhändlers. „Er wollte
mit meinem Sulla in Partnership treten -- --“
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„Hast du das gesagt, Cato?“ frug Abigail den Graukopf erstaunt?
„Ja, ich hab's ihm versprochen,“ erwiederte der Gefragte;
„aber macht, was Ihr wollt.“ Dabei sah er furchtsam auf
die beiden neben ihm sitzenden Frauen, als befürchte er eine Bestrafung. --
„Ich begreife dich nicht, Cato, wie du dies versprechen
konntest; du weißt ja, was unser Wohlthäter noch weiteres
für uns zu thun im Sinne hat“ warf Sarah ein.
Die Frau des Cigarrenhändlers und ihre Adoptivtochter
warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu.
In dem nemlichen Augenblicke öffnete sich die Thüre und
ein langer, schlankgewachsener Neger in feinster Kleidung, begrüßte sie, indem er
seinen Hut abzog und ihn graziös in der einen Hand hielt.
[LSZ - 1854.01.26]
„Gute Geschäfte gemacht!“ rief er aus. Habe 20.000
Stück Habanas von den feinsten Brands gekauft; das Tausend zu nur 18 Dollars -- die Herren
im Shakespeare Hotel werden sie mir theuer bezahlen, wenn wir nach New-York zurückkommen
-- -- -- nun Cato, seid Ihr auf übermorgen gefaßt und vor bereitet?
Der Steamer geht um 4 Uhr ab.-- -- Es ist schon. Alles besorgt! --“
„Die Leute bleiben hier, Sulla,“ sagte die Frau des
Cigarrenhändlers, „Cato war etwas zu voreilig im Versprechen.“ --
„Ich habe aber schon. Alles besorgt und in Richtigkeit
gebracht, die Passage für Euch. Alle bezahlt und mehrere Einkäufe gemacht -- wenn Ihr
Euch wieder anders besonnen habt, so ist es Eure Schuld, wenn ihr mir jetzt meine Auslagen
zu vergüten habt, ohne einen Nutzen davon zu haben -- da, da, hier sind die Passage-Tickets,
der Capitain wird sie nicht mehr zurücknehmen!“
Er reichte ihnen die Reise scheine hin und stellte sich dann
neben seine Frau, die ihn mit dem Arme leise, doch von den Andern unbemerkt, anstieß. --
„Das macht zusammen 80 Dollars, wir wollen sie Euch
gleich zurückerstatten, entgegnete Abigail, indem sie sich erhob und die Küche verließ.“ --
„Wo geht Abigail hin?“ frug Sulla Sarah.
„Sie geht ins Schlafzimmer, um Euch das Geld zu holen,
das Ihr für uns verausgabt habt,“ erwiederte dieselbe unvorsichtig, dann setzte sie hinzu:
- 87 -
„Wenn Ihr sonst noch eine Vergütung wollt, so sagt es,
sie soll Euch werden. Ihr dürft deßhalb nicht ungelegen sein;
Ihr bleibt bis zu Eurer Abreise bei uns und wir scheiden als gute Freunde.“
Abigail trat ein mit dem Gelde in der Hand.
Es bestand aus acht Goldstücken von der neuesten Münzung. --
Die Frau des Cigarrenhändlers sah auf ihren Mann
und dann auf ihre Adoptivtochter. --
„Das ist genug!“ sagte Sulla, als ihm Abigail die Gold
stücke hinreichte: „ich verlange weiters keine Vergütung von Euch, obwohl ich noch an
zwanzig Dollars nebst einigen Schillingen für jetzt unnöthige Provisions ausgegeben habe;
da Ihr Euch aber gestern weigertet, von mir Kostgeld anzunehmen, so will ich auch nichts
mehr verlangen. Es thut mir nur leid, daß ihr nicht mit uns nach dem Norden zieht und gezwungen
seid, hier zu bleiben -- -- aber sagt mir doch, wie kommt der Alte dazu, Euch zu kaufen, freizugeben
und dann Euch noch so viel Geld zu verabreichen?“
Wir wissen es selbst nicht, antworteten die beiden Frauen
fast zu gleicher Zeit. Er ist uns so unbekannt wie Euch und wird uns vielleicht noch lange
unbekannt bleiben, da wir ihn heute zum Letztenmale sehen.
„Wie so?“ frug die Frau des Cigarrenmachers gespannt,
dann fuhr sie fort: „Ich wäre doch begierig, diesen wunderlichen
Mann zu sehen, der so über und über voll Gold ist; wenn er so freigebig ist,
ist er es wohl nicht nur für Euch -- ?“
„Ihr könnt ihn heute noch zu sehen bekommen, wenn Ihr
aufbleiben wollt!“ bemerkte Sarah.
„Wenn er nicht zu lange auf sich warten läßt, möchte ich
ihn wohl auch kennen lernen“; sagte Sulla.
„Wenn er nicht so lange auf sich warten läßt?“ wiederholte
seine Frau, „bist du denn so müde?“
„Ja, ich will mich bald zur Ruhe legen; ihr könnt ja so
lange aufbleiben, bis Ihr Eure Neugierde befriedigt habt.“
„Wollt Ihr vielleicht gleich zu Bette?“ frug ihn die
aufmerksame Abigail. „Nehmt dann dies Licht mit. Ihr braucht unsere Thüre im Schlafzimmer
nur zuzulehnen; wir werden sie selbst abschließen, wenn wir schlafen gehen.“
Sulla bemühte sich zu gähnen und nachdem er seiner
Adoptivtochter durch einen Blick bedeutet, ihm nach einiger
Zeit zu folgen, verließ er mit dem Lichte in der Hand die Küche. --
- 88 -
Als Sulla sich entfernt hatte, fing Eines der beiden
Wollköpfe, die bisher ruhig fortgeschlummert hatten, laut zu schreien
an und sich erschreckt umzusehen. Das andere Kind, ein Mädchen von 5 Jahren,
wurde dadurch aus dem Schlafe geweckt und rieb sich die schläfrigen Augen.--
„Tom hat mich aufgeweckt und ich habe so gut geschlafen!“ rief es aus.
„Tom hat wohl böse geträumt,“ sagte Sarah, indem sie
auf den Kleinen zueilte.
Während sich nun die drei Frauen mit den beiden Kindern
unterhielten, verließ die Adoptivtochter Sulla's ebenfalls die Küche und begab sich zu ihrem Vater.
Die Frau des Cigarrenhändlers schien nicht darauf zu
achten. Ebenso wenig die beiden andern Frauen. --
Sehen wir uns nach Cato um.
Derselbe hatte sich gleich nach dem Erscheinen des Cigar
renhändlers von dem Feuerplatze zurückgezogen und unter
einem langen Tisch, auf dem mehrere Kuchengeräthe standen,
mit ein Paar Decken und einem alten Polster sein Nachtlager zurecht gemacht.
Die beiden Frauen hatten es schon oft, aber immer vergebens,
versucht, ihn dahin zu bestimmen, in einem bequemen
Bette zu schlafen, das für ihn neben ihrem Schlafzimmer aufgeschlagen und von ihm
nur ein Einziges mal bestiegen worden war. In jener Nacht schloß Cato kein Auge, immer
in Furcht schwebend, er könne dasselbe verderben oder durch irgend eine
Bewegung in Gefahr bringen.
Seitdem bestieg er nie mehr ein Bett, sondern machte sich
dasselbe jeden Abend selbst auf dem Boden zurecht.
So oft ihn die Frauen darüber zur Rede stellten, gab er
jedesmal zur Antwort: „für einen so alten Nigger wie ich bin, sind ein paar Decken genug,“
und man mußte ihn nachgerade in seiner Hallucination gewähren lassen.
Wenn Alles noch in tiefem Schlafe lag, war er schon auf
den Beinen und scheuerte die Küche, legte Feuer an und reinigte
den Hof und wenn die Negerkanone abgefeuert wurde, schrak
er jedesmal bis in sein Innerstes zusammen und schien nachzudenken,
ob er auch wirklich schon zu Hause bei seinem Master sei.
So hatte der Arme auch jetzt noch Tag und Nacht keine
Ruhe und es entsteht die ernste Frage, ob er nicht glücklicher
gewesen, wenn er nie freigegeben worden wäre? -- -- --
- 89 -
Zwölftes Capitel.
Sulla.
Der vorgebliche Cigarrenhändler, dieses echte Prototyp
eines fashionablen Negers aus den Neu-Englandstaaten, zählte
ungefähr fünf und zwanzig Jahre. Trotz seiner Jugend hatte
er bereits die ganze Scala der Leiden und Trübsale, wie sie
einen Mann in seinen Jahren treffen können, durchlaufen.
Er war dadurch nicht besser, sondern schlechter geworden.
Er ist übrigens ein Mann von der schönsten Gesichtsbildung
und einem freimüthigen Aeußern, hat ein brennendes
Auge und tadellose Lippen, die man so selten bei seinem
Stamme findet; eine unmerklich gebogene seine Nase und eine
hohe -- intelligente Stirne könnte man sagen, wenn die
schwarze Farbe unserm Vorurtheile die Intelligenz nicht verdeckte.
Auf die Gefahr hin, die Monopolisten der kaukasischen
Race zu erzürnen, ist sogar sein in wilden Flocken aufgethürmtes
Haar schön zu nennen, allerwenigstens steht es ihm besser,
als Herrn Alexander Dumas, der bekanntlich wegen sothanen
Haargekräusels in einem Billardsalon in New-Orleans die
Bekanntschaft einiger zu derben Sklavenzüchter-Fäuste machen mußte. -- --
Es ist ein bedeutender Unterschied zwischen einem freien
Neger, der in den südlichen Staaten seßhaft ist und einem
freien Neger aus den freien Staaten. Ein solcher Freier in
der südlichen Region wird sicher immer von dem Neuengland-Neger dominiert,
wenn sie irgendwo zusammentreffen. Diese Gewalt übte in hohem Grade Sulla auf eine
südlichen oder vielmehr im Süden wohnenden Landsleute aus.
Verließ er sie, so sahen sie immer zu spät ein, daß sie von ihm
gebrandschatzt waren und verfluchten dann den damn’d Yankee
Nigger bis in den tiefsten Winkel der Hölle, ja sogar bis in die Calaboose.
Es war schon das dritte Mal, daß Sulla New-Orleans
besuchte und jedesmal gerierte er sich als der Besitzer eines nicht
unbedeutenden Cigarrengeschäftes im Osten, eine Consequenz,
die ihm reichliche Zinsen trug.
Sulla war zu klug und erfahren, als daß er nicht das
Gefährliche eines Wechselns seines einmal den Leuten vorgelogenen Metiers eingesehen hätte.
- 90 -
Reiner Zufall war es übrigens, daß er mit der uns aus
dem vorigen Kapitel bekannten Negerfamilie zusammentraf.
Er hatte sich, durch die tölpelhafte Redseligkeit Cato's aufgemuntert, ohne weiteres
mit der Familie bekannt gemacht, hatte sie einige Male besucht, bis sie ihm und seinem
angeblichen Weib und seiner angenommenen Tochter ihre Wohnung bis
zu einer Abreise auf höchst freundschaftliche Weise anboten.
Intriguen, die er anfangs mit Beihülfe eines Weibes
und Kindes angesponnen, ließ er fallen, da ihm die Unerfahrenheit und Gutmüthigkeit
der erst freigewordenen Familie dieselben als überflüssig erscheinen ließen.
Zu ihrem Gelde, das er übrigens in seiner Einbildungs
kraft weit überschätzte, mußte er gelangen. Das war bei ihm
fester Entschluß. Er war in seinen Gedanken schon auf's Aeußerste vorbereitet, falls sich
ihm nicht vorauszusehende Hindernisse in den Weg stellen sollten.
[LSZ - 1854.01.27]
Es genügte ihm zu wissen, daß sie im Besitze einer großen
Summe seien. Das Uebrige mußte sich ohnehin finden.
Die Familie mit sich nach dem Osten zu nehmen, daran
dachte er nicht im Entferntesten. Es war nur ein Mittel, von
derselben Geld zu erschwindeln, um seine momentanen Verlegenheiten zu beseitigen.
Er beschwätzte Cato in Abwesenheit der beiden Frauen so lange, bis derselbe ihm das Versprechen
gab, mitzuziehen und -- wie er sich ausdrückte -- mit ihm in
Partnership zu treten. Er wußte nur zu gut, daß die Frauen
nicht darauf eingehen würden; daher überraschte er sie mit dem
Vorzeigen gefälschter Passage scheine und mit der ärgerlichen
Bemerkung, daß er bereits schon so viel Geld mit anderweitigen
Vorkehrungen verausgabt hätte. Die Frauen ließen sich, wie
er voraus berechnet, durch dieses Manöver leicht übertölpeln ;
dachten auch nicht daran, daß die Scheine falsch sein könnten
und bezahlten ihm die achtzig Dollars.
Mit dieser Summe wollte er sich im Nothfalle die Mittel
und Wege verschaffen, zu entkommen; denn da er gänzlich
von Geld entblößt war, so mußte er erst solche Vorsichtsmaß
regeln ergreifen - zudem lag ja ein Mißlingen seines Vorhabens nicht außer
dem Bereiche der Wahrscheinlichkeit. --
An Sulla's Herkunft knüpft sich eine wahrhaft dämonische
und schaudererregende Geschichte.
Wir wollen die hauptsächlichten Data seiner Vergangen
heit hier kurz zusammenfassen, um auf diese Weise auch mit
einer vorgeblichen Frau und Adoptivtochter bekannt zu werden.
- 91 -
Sulas Eltern, die sieben englische Meilen westlich von
Montreal in Canada, in dem kleinen Dorfe Marytown, wohnten, besaßen daselbst eine
Schenkwirthschaft oder sogenannte „traders inn“. Das Aushängeschild zeigte im schwarzen
Felde eine weiße Rose und darunter stand mit großen goldenen
Buchstaben die bekannte Devise:„hony soit, qui mal y pense!“
Wie die Eigner dieser Schenke zu genannter Devise kamen
oder in welchem Verhältnisse dieselbe zur weißen Rose stand,
wäre schwer zu ermitteln gewesen. Ein Witzkopf meinte, es
hieße so viel, als: „da wir in unserm Schilde eine weiße Rose
führen, wir, die Besitzer der Schenke aber Schwarze sind, so
denket nichts schlechtes dabei.“ Dies war allerdings eine sehr
trockene Auslegung, wozu man gerade keine Sphynx nothwendig
gehabt hätte. Sei dem nun, wie es wolle, die Schenke hieß
„zur weißen Rose“ und die Eigenthümer der weißen Rose
machten glänzende Geschäfte. Jeder Fremde, der Montreal
besuchte, mußte auch einmal „zur weißen Rose“ gewesen sein,
ja noch mehr, er mußte da einmal übernachtet haben.
Wenn wir übrigens hier von „übernachten“ reden, so ist
damit noch nicht gemeint, daß man da auch geschlafen haben müsse.
Die Dornen, welche der Maler an der weißen Rose im
Schilde aus einer unverzeihlichen Nachlässigkeit weggelassen
hatte, schienen, um so mehr im Innern der Schenke vorhanden zu sein.
Für den Insektensammler war hier alles Andere eher zu
finden, als der Schlaf.
Deßungeachtet war nie Platz genug für Fremde und man
mußte sich oft damit behelfen, daß man dieselben in das wenigstens 10 Fuß breite Ehebett
der Wirthsleute steckte, wo letztere natürlich auch nicht fehlten.
Victoria, die Frau des Gastgebers, war übrigens ehrbar
genug, die überzähligen Gäste sich nicht neben sich legen zulassen, sondern stets
ihren dicken Sullivan als unübersteigliche Barrikade vorzuschieben.
Sullivan hatte, obwohl er schon längst die fünfziger Jahre
überschritten, einen wohlgenährten Bauch, kleine funkelnde
Augen und an seinen Wangen war das Fett eben auch nicht
gespart. Sein Gang war gravitätisch und sein Dienstpersonal
- das meistens aus Franzosen bestand -- verstand er in ausgezeichneter
Ordnung zu erhalten. Mancher Britte, der von Alt-England herüber kam, vergaß hier seinen Spleen, wenn er
- 92 -
Sullivan erzählen hörte, daß er von einem Fürsten abstamme,
der einst über zwanzig Negerreiche geherrscht und an der Elfen
beinküste Städte gegründet und Forts erbaut habe, zu einer
Zeit,wo noch kein Engländer daran gedacht, daß es eine solche
gäbe, geschweige, daß schon Schiffe aus dem Baltimorer Hafen
dorthin abgesegelt wären.
Bei dieser Gelegenheit wies er dann auch einen langen
Dolch vor, auf dessen Klinge sich in der Mitte mehrere eirunde
Löcher zeigten, die den Zweck hatten, sich mit dem klebrigen
Safte einer giftigen Frucht zu füllen, die nur an der Elfenbeinküste anzutreffen sei.
Dieser Dolch war ebenfalls das Erbstück eines Negerfürsten
und nach seinem Vorgeben schon über fünfhundert Jahre alt. Derselbe war übrigens ein
kostbares Instrument, nicht nur in praktischer Beziehung, sondern auch was den Werth
des Metalls, aus dem der Griff bestand, anbelangte. -- Ein
Engländer, der ein großer Freund von Curiositäten war, wollte
ihm einmal 500 Pfd. Sterl. für diese Waffe geben, was er aber
verweigerte anzunehmen. Es bot sich ihm aber bald die Gelegenheit dar, dies zu bereuen. --
Victoria nemlich, die, nebenbei gesagt, fünf und zwanzig
Jahre jünger war als ihr Sullivan, überraschte ihn eines Tages mit der unverhofften Kunde,
daß sie sich Mutter fühle. In ihrem Eifer ging sie sogar so weit, daß sie die Namen,
welche ihr zukünftiges Kind haben sollte, voraus bestimmte, Ein Junge sollte Sulla und falls
es der Vorsehung gefiele, ein Mädchen das Tageslicht erblicken zu lassen, so sollte dasselbe
nach seiner Mutter Victoria heißen.
Ueber die Benennung der etwaigen Kinder hatte Sullivan
durchaus nichts einzuwenden, aber daß seine Victoria sich
Mutter fühlte, wollte ihm nicht recht einleuchten.
Er schien scheinbar darüber erfreut und verbarg seinen Argwohn.
Von dieser Zeit an hatte er aber ein scharfes Auge auf
seine Stammgäste und auf alle Bekannte, die periodisch von
einem Monat über den andern in seiner Schenke einkehrten.
Wenn er bisher den Zuwachs seiner Gäste und somit
seines Geldes seiner Liebenswürdigkeit und guten Bewirthung
zu verdanken glaubte, so sah er jetzt nur zu gut ein, daß seine
Gäste und all die reichen Fremden, die der Weg hieher führte,
durchaus nicht von der weißen Rose herbeigezogen wurden, sondern daß der Magnet eine schwarze war.
- 93 -
Unter Allen, die sein scharfes Auge beobachtete, fiel ihm
besonders ein junger Mulatte auf, der lange Zeit im Dienste
des Gouverneurs gestanden hatte und von sehr einnehmendem
Aleußern war. Derselbe hofierte Victoria bei jeder Gelegenheit
und schien sogar einen gewissen Einfluß auf seine häuslichen
Angelegenheiten auszuüben, der ihm bisher unbemerkt blieb. --
Ja, es däuchte Sullivan, daß er seine Einnahme mit einem Dritten zu theilen habe.
Weder Victoria, noch ihr Liebhaber ahnten, welches
Ungewitter sich über ihren Köpfen zusammenzog. --
Dasselbe sollte sich bald entladen. --
Sullivan besaß neben seiner Schenke bei Marytown in
einer Entfernung von ungefähr einer halben Meile eine aufs
Vollkommenste eingerichtete Sommerwirthschaft, in der treffliches
Ale und echter Porter aus Perkins Brauerei die trockenen Kehlen der Gäste tränkte,
Es war ein schöner milder Abend im Indianersommer,
als die Einwohner von Marytown in großen Schaaren hinauszogen,
um sich an den Produktionen einer deutschen Musikbande aus Montreal, die
Sullivan für den heutigen Abend engagiert hatte, zu erfreuen und sich bei Ale und Londoner
Porter gütlich zu thun.
Sullivan, der, ungeachtet seiner vielen Domestiken, vollauf
zu thun hatte, um den Wünschen seiner Gäste nachzukommen,
bemerkte mit. Einemmale die Abwesenheit seiner Frau, was
ihm um so mehr auffiel, als sie bei derlei Gelegenheiten die
größte Emsigkeit und Thätigkeit an den Tag legte,
Sein schon lange genährter Argwohn bekam hiedurch nur
neue Nahrung, und steigerte sich in solchem Grade, daß er
Alles bei Seite warf und Nachforschungen nach seiner Victoria anstellte,
Nachdem er das ganze Local durchstöbert und die umliegenden
Gebüsche und hie und da zerstreut liegenden Bosquets
ohne Erfolg besichtigt hatte, schlug er den Rückweg nach der
„weißen Rose“ ein, und zwar in solcher Haft, daß er dieselbe
bereits nach 5 Minuten erreicht hatte. --
In die Schenkstube eingetreten, fand er nur zwei ihm
übrigens ganz fremde Personen vor, die tüchtig darauf
loszechten und aus Maiskolben große Wolken schlechten Tabacks
ausdampften. Da sie den Eintretenden nicht zu bemerken
schienen, so unterließ er auch, sie zu grüßen und eilte instinktmäßig
- 94 -
der Kellerthüre zu, aus deren Oeffnung ihm der matte Schein einer Oellampe entgegenleuchtete. -
Fast wäre er blindlings die steile Treppe hinabgestürzt,
als er seine Frau bemerkte, wie sie eben dem jungen Mulatten um den Hals fiel und ihn beschwor,
doch in ihr Vorhaben ein zugehen, bevor es zu spät wäre.
Er hielt sich jedoch noch zur rechten Zeit, obwohl seine
Füße zitterten und seine Beine schwankten. Als er aber
vernahm, um was es sich hier handelte, so fuhr ein kalter Strom
durch seinen Körper und an die Stelle der Gereiztheit und
peinlichsten Gespanntheit trat ruhige Ueberlegung und Muth.
„Wir haben auf heute Nacht keine Gäste in unserer
Schlafstube“ hörte er sie sagen. „Es wird mir nicht schwer
werden, ihm mit seinem Dolche den Garaus zu machen, wenn
er schläft. Er kommt ohne dem betrunken nach Hause und da
hab' ich um so leichteres Spiel -- du hast dann weiter Nichts
zu thun, als in der Nebenkammer zu warten und mir dann zu
helfen, ihn bei Seite zu schaffen. -- -- Da morgen der Tag
ist,wo er auf eine Woche nach Montreal fährt, um dort
Einkäufe zu machen, so wird man ihn nicht vermissen und das
Andere wird sich schon finden -- -- -- denk' an dein Kind!“
fügte sie schließlich hinzu, indem sie einen Finger emporhob. --
Welchen Entschluß Sullivan bei Anhörung dieser Worte
gefaßt hatte, kann sich Jeder leicht denken. Eben wollte er wieder
so sachte als er angekommen, zurückschleichen, als er an der
Thüre ausglitschte und kopfüber in den Keller hineinfiel. -- --
[LSZ - 1854.01.28]
Den nächsten Tag zog man den Körper Sullivans und
den des jungen Mulatten, Beide von mehreren Dolchstichen durchbohrt, aus dem Keller hervor.
Victoria zur „weißen Rose“ war spurlos verschwunden. --
Zwei Monate nach diesem Vorfalle ereignete sich in Knoxville, einem
Grenzstädtchen auf amerikanischem Gebiete eine Scene, bei deren Beschreibung die Feder die Tarantola zu
tanzen anfängt, als wäre sie von jener giftigen Spinne gebissen worden. Die Feder selbst lehnt sich
gegen die Hand auf und lähmt sie. Sie wird zum gezückten Dolch und verwundet den, der sie hält.
Es fielen nämlich im genannten Städtchen zwei rasch auf
Einander folgende Mordthaten vor, deren raffinierte Nebenumstände die Volkswuth auf eine solche Höhe trieben, daß sie die
vermeintliche Verbrecherin, ein hochschwangeres Negerweib,
- 95 -
dem gesetzlichen Justizgange entzogen, um an ihr eigenhändig die Todesstrafe zu vollziehen.
Zu diesem Zwecke wurde sie, mit Stricken um Hals und
Leib, auf eine barbarische Weise durch die Straßen Knoxville's
geschleppt, um außerhalb der Stadt an einen Baum gehängt zu werden.
Die Haupturheber dieser furchtbaren Volksjustiz waren
zwei Canadier und ein junger Pflanzersohn aus Louisiana; der Letztere der Träger eines
berühmten historischen Namens und der Sohn eines Volksrepräsentanten und Calhounisten von der wüthendsten Race.
Als das Opfer ihrer unmenschlichen Barbarei, mit der
Schlinge um den Hals, hinaufgezogen werden sollte, empörte
sich denn doch das Gefühl des erst noch vor Kurzem wüthenden
Volkshaufens und schon schien man Miene zu machen, dieselbe
aus den Händen ihrer Henker zu befreien -- da stürzt sich der
genannte Pflanzersohn auf das arme Negerweib und schnellt sie in die Höhe.
Die Ungeschicklichkeit, mit der dieses schreckliche Manöver
ausgeführt wurde, verhinderte jedoch, daß die Schlinge knapp faßte, das Opfer somit unter
fürchterlichen Zuckungen am schwankenden Aste baumelte.
Da machte der Pflanzersohn zum zweitenmale den Henker,
steigt auf den Baum, stemmt sich mit den Knieen gegen die
Schultern der nur halb Gehängten und bricht ihr mit kräftigen Fäusten das Genick. --
In dem nämlichen Augenblicke entwindet sich dem Schooße
der Gehängten ein lebendes Wesen und fällt mitten unter den entsetzten Pöbelhaufen.
So war der Henker die Hebamme eines armen Negerkind es! Das Kind
war -- Sulla. -- -- -- -- -- -- -- Victoria aber büßte ein Verbrechen, das sie nicht begangen, mit
dem Tode, während sie für eine Greuelthat, im Keller ihrer Schenke bei Marytown verübt, ungestraft davon kam. --
Die nun folgenden complicierten Zufälle im Leben Sulla's
wollen wir jetzt nicht weiter berühren, da es uns zum Abschluß
drängt und wir den Faden unseres Romanes wieder aufzugreifen haben. --
Es sei vorläufig nur so viel erwähnt, daß Sulla, nachdemer den Kinderschuhen
entwachsen, einer der berüchtigten und gefürchteten Gambler in den Five Points wurde und bald
- 96 -
großen, bald geringen Schwindeleien sich ergeben und so bisher sein Leben gefristet hatte. --
Die Bekanntschaft einer Negresse, die er auf einer Reise nach Buffalo
kennen lernte, übte auf ihn einen so gefährlichen Einfluß aus, daß er bereits in einem Alter von ein und
zwanzig Jahren jedem Verbrechen sich gewachsen fühlte, wenn es nur darauf abzielte, ihm Geld zu verschaffen.
Ein noch blutjunges Mulattenmädchen, das als Kind von
6 Jahren ihren Eltern entlaufen, war ihre unzertrennliche Gefährtin und Helfershelferin und mit
einem Scharfsinn begabt, der wirklich seines gleichen sucht. --
So sehen wir nun Sulla bemüht, die Gutmüthigkeit und
Gefälligkeit Cato's und der beiden Frauen auf eine schändliche Weise zu mißbrauchen. --
____________________________
Dreizehntes Capitel.
Das Manuscript.
Mit zitternden Händen hatte Emil die Blätter entrollt.
Mit leiser, doch verständlicher Stimme begann er zu lesen:
„Wenn dem Schiffer auf hoher See die Trugbilder der Fata Morgana begegnen,
so läßt er seine Hände von den Speichen des Steuerrades gleiten und sieht entsetzt auf die
unbekannten Gestalten,die sich immer mehr und mehr einem Fahrzeuge zu nähern scheinen. Schon sieht
er im Geiste seine Segel zersetzt, die Masten zersplittert und sein Schiff in die Tiefe der Meere
versenkt - da zerrinnt plötzlich der Nebel vor seinen Augen, eine günstige Brite bläht seine
Segel und er steuert wieder mit frohem und gestärkstem Muthe einem ersehnten Ziele zu. Vergessen ist
die gespenstische Fata Morgana; für ihn giebt es keine beängstigende Ahnung mehr -- -- er fragt nicht
woher und warum? Wie Anders bei Euch? -- -- Ihr, die Ihr bisher Euer Schifflein im Rinnsteine des
gewöhnlichen Lebens dahi triebt und statt der Fata Morgana nur die Schreckbilder des
Elends und der Verzweiflung erblickt habt -- -- Ihr hattet keine Ursache, vor einer unbekannten Gefahr
zu schaudern, und sah Euch je einmal der Tod ins Angesicht, so habt Ihr ihn hinweg gespottet mit
Wein und mit Küssen. --“
- 97 -
Mit flammenden Augen hing Lucy an Emil’s Gesichtszügen, die
ihr noch nie schöner geschienen, als in diesem Augenblicke.
Emil schlang seine Arme fester um Lucy und fuhr fort:
„-- -- Aber von dem Augenblicke an, wo Ihr Euch so plötzlich aus der Sphäre Eures frühern
Lebens und Treibens herausgerissen saht, ohne Euch des Zusammenhanges der
vorgefallenen Ereignisse bewußt zu sein, mußte Euch wohl schon oft die Frage auf den
Lippen geschwebt haben: Woher und Warum? Ihr kennt bereits die geheime Kraft der
Mantis religiosa, uber sie habe ich Euch nicht mehr aufzuklären; aber Ihr werdet bei
Durchlesung dieser Blätter das Gedächtniß wieder zurück erhalten, was Euch jene geraubt.
Ihr werdet längst vergessene Bilder wie in weiter Entfernung wieder auftauchen und Eure
Phantasie umgaukeln sehen. Aber hütet Euch, alte Verhältnisse wieder aufzusuchen oder sie
auch nur in Gedanken heraufzubeschwören. Sie würden Euch nur abhalten von dem hohen Ziele, das
ich Euch vorbereitet und dem ihr mit heiligem Eifer nachzustreben habt. Ueberlaßt in Zukunft
die kleinlichen Sorgen der Pflicht, wie sie Euch Gesetz und Uebereinkunft vorschreiben,
weniger von der Natur begabten Seelen. Da die
Armuth die Verstümmlerin alles Erhabenen ist und den
Menschen in den Abgrund des Schmutzes und Lasters
hinabzieht; der Reichthum aber, wenn er nach und nach
erworben und mit unsäglichem Selbsteigenem Abmühen und
Abquälen sich in’s Tausendfache vermehrt und vergrößert,
nur abstumpft und für Alles höhere Streben untauglich
macht, so hinterlasse Ich Euch all' die Millionen, die Ihr in
unterm Raume Eures gegenwärtigen Wohnsitzes vorfinden
werdet, um verdient und ohne daß Euch die Schweiß
tropfen, die Sinnen, Arbeiten und Speculiren auspressen,
die Schönheit und Anmuth Eures Antlitzes verzerrt haben.
Nur die Schönheit, vermählt mit den Schätzen dieser Erde, hat das Recht, für
eine hohe Idee in die Schranken zu treten und sie durchzukämpfen; denn die Häßlichkeit
wenn sie reich, und die Schönheit, wenn sie arm -- werden
in ihren Handlungen und Unternehmungen nur von unedlen Motiven geleitet. -- --“
Wie der verirrte Wanderer, der in der Dunkelheit der
Nacht plötzlich in der Ferne ein Licht erblickt, aufjauchzt und
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dem blinkenden Hoffnungsterne raschen Schrittes entgegeneiler
-- so sahen sich Emil und Lucy, als sie das Dunkel, das sie
bisher umschwebt, von einem so hellen Strahle erleuchtet
sahen, entzückt und vergöttert in die begeisterten Augen.--
Sie begriffen nur zu gut die gigantische Wahrheit dieses
erhabenen Satzes. -- -- Noch vor wenigen Minuten hatte der
Alte selbst in ähnlicher Weise zu ihnen gesprochen -- sie hatten
ihn verstanden, aber nicht
begriffen!
„Wenn Ihr die Feuerprobe bestanden und Eurer
Schönheit keinen Mackel hinzugefügt, so werde ich Euch, wenn ich
später wiederkomme, in einen Wirkungskreis einführen,
der Euch bei der Nachwelt unsterblich machen wird“:
wiederholte Emil die Worte, die der Alte selbst zu Ihnen gesprochen, in feierlichem Tone.
„Denn es giebt hier Ketten zu zerbrechen und den Süden
von seiner Schandthat zu befreien“: wiederholte in heiliger Begeisterung Lucy. -- -- --
Emil aber übergab Lucy das Manuscript des Alten, mit
der Bitte, weiter zu fahren.
Nachdem dieselbe ihre dunklen Haarflechten aus der Stirne
gestrichen, begann sie zu lesen. -- -- --
Als Lucy den noch folgenden Theil des Manuscripts
vollendet hatte, war die Zeit bereits bis nach Mitternacht vorgerückt.
In dem, was Emil aus Lucy’s Munde durch das
Manuscript erfuhr, waren die eigentlichen Verkettungen und Begebenheiten, die die
Zeit von jener Nacht an bis zu ihrem Dasein in der Atchafalaya Bank ausfüllten, klar und bündig
auseinandergesetzt und die mantis religiosa hatte von diesem Augenblicke an ihre Kraft an
ihnen verloren. In der letzten Zeile stand der Name
Hiram. Emil und Lucy starrten diesen Namen
sprachlos an; er erschien ihnen wie eine Hieroglyphe und doch war es ihnen
wieder, als hätten sie schon einmal diesen Namen vernommen.
[LSZ - 1854.01.29]
* * *
(Nach dem Manuscript des Alten bearbeitet.)
1. Folgen der Faschingsnacht.
Noch ehe Emil mit den Füßen den Boden berührt hatte, hatte ihn der
Sergeant der Nachtwache mit kräftigen Armen gefaßt und ihm befohlen, ihn ohne Umstände zu begleiten.
„Man kennt Euch, Sennor, und was Ihr diesmal wieder
mit Eurer Verkleidung im Schilde führtet, werdet Ihr morgen
- 99 -
früh die Güte haben, unserm ehrenwerthen Recorder etwas näher auseinander zu setzen“,
sprach zu ihm im höflichen Tone, der so sehr von seinen kräftigen Fäusten abstach, Luis Montes,
der Sergeant der Nachtwache im zweiten District.
„Man kennt Euch auch, Mister Luis, und ich habe gerade
so gut das Recht, Euch zu ersuchen, mich zu begleiten“, entgegnete ihm Emil trotzig. -- -- „Wenn Ihr
mich nicht loslaßt“, fuhr er dann in gesteigertem Tone fort, „so weiß es morgen
die ganze Stadt, daß Mister Luis, der allmächtige und gestrenge
Sergeant der Nachtwache im zweiten District aus Eifersucht
einen jungen Mann, der sich den Spaß erlaubt, sich in die
Kleider seiner Freundin zu werfen, in das Stadtprivy
*) abgeführt hat. -- --“
Mister Luis, welcher den Trotzkopf Emil"s kannte und
einen persönlichen Conflict befürchtete, griff behutsam unter seinen Rock nach der Maritze
**),
um im Nothfalle sogleich einige Privates
***) herbeizuziehen.
Emil bemerkte dies. Mit unglaublicher Behendigkeit
entriß er seinen rechten Arm den Fäusten des Sergeanten, um
ihn zu hindern, die Maritze zu drehen -- da fällt Mister Luis
vor den erstaunten Blicken Emil’s plötzlich zu Boden, als wäre
er vom Blitze erschlagen. Zu gleicher Zeit sah Emil eine alte,
langgezogene, abgemagerte Gestalt vor sich, die ihm bedeutete,
den zu Boden Gefallenen in die nächste Alley zu schleppen und
ihn daselbst seinem Schicksale zu überlassen. --
Mechanisch vollzog Emil den gebietenden Wink des Unbekannten.
Dann, als er sich von seinem ersten Schrecken erholt,
erbat er sich von dem unbekannten Retter über die eben vorgefallene Scene Aufschluß. -
Statt aller Antwort nahm ihn jener bei der Hand und zog ihn mit sich fort.
Emil fing es jetzt an unheimlich zu werden-denn der
Unbekannte hieß ihn, nachdem sie einige Schritte gegangen,
seinen Arm in den Seinigen legen, nachdem er ihm vorher
selbst mit dem Schleier das Gesicht verhüllt.
Emil, der bisher vergessen zu haben schien, daß er in
Frauenkleidern stecke, kam mit Einemmale wieder auf seine
_____________________
*) Calaboose.
**) Ein Instrument, das einen schnarrenden Ton von sich giebt, und das von
den Wachleuten nur im Nothfalle gebraucht wird, um Hülfe herbeizuführen. Auch
gebrauchen sie es jetzt als Signal bei Feuersbrünsten
***) Die Gemeinen der Nachtwache.
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Verwandlung zurück. Es erschien ihm jetzt das Benehmen des Unbekannten ganz klar, das gar nicht so
absonderlich sei, da ihn derselbe natürlich nur für eine Dame gehalten haben könne. Er hätte jetzt
beidem Gedanken, daß dieser Alte für ein cavaliermäßiges Benehmen irgend eine Begünstigung von
ihm verlangen könnte, laut aufgelacht, hätte ihn nicht zu gleicher Zeit der Blick dieses Unbekannten
getroffen, der ihm mit bitterm Ernte in's Gesicht sah.
„Ich weiß wohl, was diesen Augenblick in Euch vorgeht“,
unterbrach derselbe sein Stillschweigen. Wenn Ihr glaubt, daß ich Euch für eine Dame halte, so
seid Ihr in einem großen Irrthum befangen und ich rathe Euch daher, Eurer
ausschweifenden Phantasie Ketten anzulegen. Ich kannte Euch trotz der Verkleidung so gut als
Sennor Luis, der nun todt in jener Alley liegt.“ -- --
„Todt?“ wiederholte Emil, vor Schrecken bleich. „Wie
kommt Ihr dazu, ihn zu tödten -- --?“
„Ja, Sennor Luis Montes ist todt“ unterbrach ihn jener
ernst „und ich sage Euch, junger Mann, daß er den Tod verdient hat.“
Der Alte sprach dies im ernsten, scharfen Tone, dabei
trotz der Verhüllung durch den Schleier die Gesichtszüge Emil's musternd.
„Aber todt -- todt! unmöglich -- -- also wirklich todt?
aber bedenkt, wenn man ihn in der Nähe von Madame Wilson’s Haus findet, wenn man mich
gesehen -- Euch gesehen -- -- doch Euch kennt man nicht -- -- mich aber -- -- aber was führt Euch dazu? -- -- --“
So phantasierte Emil, ohne seinen Worten jene Bestimmt
heit verleihen zu können, die man ihm in den schwierigsten Fällen des Lebens nie absprechen konnte.
Eine unaussprechliche Angst bemächtigte sich jetzt seiner.
Er versuchte es vergebens, sich zu fassen und den Vorfall als
ein gewöhnliches Faktum darzustellen -- -- aber umsonst -- Grauen und Entsetzen behielten
diesmal die Oberhand über den absprechenden Leichtsinn.
Lange ging er wieder neben dem Alten her, immer noch
seinen Arm in den Seinen gelegt und kein Wort entglitt einen
Lippen. - -
Er bemerkte nicht einmal, daß sie bereits die Levee entlang
der dritten Municipalität zugingen und ihnen zur Rechten Masten und Takelwerk stöhnten und
krachten und die Strandwächter
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am Mississippi ihre dunkelrothe Glut in den schwarzen Knäuel der Wolken fanden,
die schwer und träge über ihren Köpfen dahinzogen. --
Ein in kurzen Zwischenräumen wiederkehrender Stoßwind
rüttelte so heftig an den Laternen, daß die Gasflammen nur
einen unsichern Schein verbreiten konnten -- und ermahnten, genau auf seiner Hut zu sein.
Von den Barroom's strömte wüthender Gesang und rück
sichtsloses Geschrei der Shoreboy's und Matrosen, welche
letztere vielleicht erst gestern den Gefahren auf der See entronnen,
hier in voller Anbetung des Amerikanischen Halbgottes
„old irish whiskey“ schwelgten und dann und wann den an
wesenden Tambourinmädchen, die mit Gesang und Spiel die
Saufgelage nur noch erhöhten, gar bedeutungsvolle Blicke
zuwarfen. Mancher Picayune flog dabei auf das Tambourin oder in die aufgehaltene Schürze.
Die Wachtleute schlugen geschäftig ihre mit Eisen
beschlagenen Stöcke auf die Banquets, worauf stets aus allen Theilen
der Stadt ein hunderfältiges Echo erfolgte.
Der Alte blieb jetzt stehen und ließ seinen Arm von dem Emil’s gleiten.
„Jetzt sind wir an der „Hamburger Mühle“ sagte er:
„Wollt” Ihr mir und Euch die Gefälligkeit erzeigen, Lucy Wilson herauszurufen -- -- doch -- warten
wir noch ein wenig, sie ist eben im Tanze begriffen. -- --“
„„Hier, tretet auf diesen Treppenabsatz und seht durch
die Spalte des Vorhanges -- so könnt ihr sie sehen-betrachtet sie Euch
genau -- Ihr seht sie zum Letztenmale in ihrem Leichtsinne!“
Emil trat auf die Stufen und sah durch die Spalte des
zerknitterten Vorhanges.
Er sah Lucy in ihrer Verkleidung, wie sie eben mit einem
jungen Creolenmädchen mit üppigen Geberden, vom Saraband
*)
ergrissen, dahinfliegt.-- -- -- --
Der Saraband war zu Ende.
Der Alte gab Emil einen Wink, in den Tanzsaal zu treten, um mit Lucy zurückzukommen. -
Als Emil durch die erschöpften Tänzer und Tänzerinnen
drang, streifte Lucy -- wie wir wissen als Gentleman verkleidet, -- mit der jungen Creolin
Hand in Hand, an Emil
______________________________
*) Eine ausschweifende Variation des Fandango;
ursprünglich ein beliebter Tanz der Türken.
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vorüber. Ein Blick auf ihn machte sie anfangs bestürzt und
starr ihn anblickend; dann fiel sie ihm wie närrisch um den
Hals, schob dessen Hut und Schleier zurück, bewunderte seinen
Scheitel, seine Haartour, fing dann an zu lachen, ihn zu
wiederholten Malen zu küssen, ohne auf die Anwesenden zu achten
die, durch dieses sonderbare Schauspiel angezogen, bald einen
Kreis um sie schlossen.
„Hab' ich dir nicht gesagt, daß dieser junge, schöne Gentleman
Madame Wilson ist?“ sagte ein junger französischer Steuermann zu einer blonden, kleinen
dicken Elsässerin, die halb trunken vom rasenden Tanze, an seinem Arme hing.
„Sie ist immer noch die lustige Madame Wilson vom
Mulattoe's Settlement“ fuhr er dann fort. „Verdammt will
ich sein, wenn es im ganzen Parish von New-Orleans ein so
schönes Weib giebt -- -- sieh' sieh' nur, mein süßes Herz --
diese prächtigen schwarzen funkelnden Augen -- verdammt,
man könnte ganz verrückt werden, wenn man sie so sieht -- --
sieh' sieh' nur, wie gut ihr die Hosen stehen. -- --“
Zum großen Glücke hatte die dicke kleine Elsässerin einen
so schweren Kopf vom Tanzen und vielleicht auch vom Trinken
-- daß diese ungalanten Worte ihres Beau's von ihr ungehört blieben.
Lucy's ungestümes Benehmen verletzte Emil in eine nicht
geringe Verlegenheit. Wie sollte es ihm jetzt möglich werden,
Lucy zu bestimmen, den Saal zu verlassen, um dem Befehl des
Unbekannten Folge zu leisten. Befehl? Wohl; für ihn war
es ein Befehl; denn derselbe hatte ihm gegenüber eine so
gebieterische Miene angenommen, daß er wirklich glaubte, er
müsse unbedingt seinen Befehlen Folge leisten. Eine unerklärliche
Ahnung sagte ihm, daß er bereits nicht mehr sich selbst
angehöre und einen Herrn über sich habe, der seine zukünftigen
Schritte und Handlungen leite.
Emil war manchmal Phantast bis zum Ertrem und Phantasten gebiert der
Aberglaube. Schon das plötzliche Erscheinen des Alten, in einem Augenblicke,
wo es zwischen ihm und dem Sergeanten zu ernstlichen Auftritten gekommen wäre, hatte ihn
demselben unterthänig gemacht.
Was nun thun? die Ballgäste drängten sich immer dichter
und dichter um die Beiden und schienen mit der größten Gespanntheit auf die Entwicklung
dieser wunderlichen Scene zu warten. Hätte er auch Lucy am Arme gefaßt, um sie zur Thüre
hinauszuziehen; es wäre ihm sicher nicht gelungen und wenn
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es ihm auch gelungen, der ganze Schwarm der Neugierigen
und Betrunkenen wäre ihnen nachgeeilt und der Alte? -- -- --
diese Gedanken durchkreuzten eben Emil’s Gehirn, als die
Thüre aufging und ein alter Mann auf der Schwelle stehen
blieb und durch das Gesumse, Gelächter und Geschrei eine
ehrfurchtgebietende Stimme ertönen ließ. Bei dem Tone dieser
gewaltigen Stimme fuhren die Ballgäste entsetzt auseinander,
wendeten sich von Emil und Lucy und starrten den unheimlichen
Gast an. Derselbe rief in die Menge: „Lucy Wilson!
ich habe ein Wort mit Euch zu sprechen!“ --
Noch ehe sich die erhitzten Gemüther von ihrem Erstaunen
erholen konnten, waren Emil und Lucy aus dem Ball alle verschwunden. --
[LSZ - 1854.01.31]
2. Eine andere Wohnung und das Billet.
In der Rue d'Amour, im dritten District, steht neben
verwitterten Bretterhütten ein niedliches freundliches Häuschen inmitten eines von Oleandern,
Magnolia's und Lila's beschatteten Gärtchens. -- Das Häuschen ist zweistöckig, hat eine
mattgelbe Farbe und hellgrüne Jalousien. Aus dem mit Schiefer bedecktem Dache erhebt sich
in der Mitte ein Belvédèr, auf dem zwei Bänkchen angebracht sind, von wo aus man
in klarer Nacht in ungestörtem Frieden das Kreuz des Südens flimmern sieht.
In einer der untern Stuben sitzt noch spät in der Nacht
ein junger Mann vor dem Kamine, gerade beschäftigt, zu wiederholten Malen ein Billet durchzulesen.
Seine schönen Gesichtszüge waren vom Scheine eines starken Steinkohlenfeuers scharf gezeichnet und gaben ihm und
seiner nächsten Umgebung das Ansehen eines Rembrandt'schen Gemäldes.
Zwei Wachskerzen, die auf einem runden Tische mit
weißer Marmorplatte, zu beiden Seiten eines Tintenfasses stehen, waren ausgeblasen und an den Dochten flimmten noch
hie und da leichte Sternchen auf und ab. Ein wirrer, großer Feuerschein schwankte am Plafond, so
wie das Feuer im Kamine stärker ausslackerte und zog sich wieder zusammen, wenn die Flamme einwärts fchlug und die
innern Schichten der Steinkohlen beleckte.
Die Stellen in der Stube, die außerhalb der Peripherie
des Kaminfeuers sich befinden, sind in ein magisches Dunkel gehüllt.
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Der junge Mann ist nicht allein.
Unter den feinen Muskitovorhängen eines zweischläfrigen
Bettes kniet ein junges Weib, das mit einem Pfauenfächer die Muskitoes aus dem Bette treibt und behutsam die Vorhänge
wieder schließt, wenn sie glaubt, dieselben verjagt zu haben. --
Geschmeidig und gelenk wie eine Tigerkatze und rasch wie
ein Panther in den Rohrbrüchen von Louisiana oder Arkansas, hatte sie wahre Liebe plötzlich so zahm gemacht wie ein Ljana,
das freudig und geduldig die Last seines Herrn trägt.
Der junge Mann war bezaubert von dem Feuer des
jungen Weibes und ließ sich gerne von den Tatzen dieses weiblichen Panthers zerfetzen.
Es war die erste Liebe Emil’s,
Die erste Nacht verbrachten sie wie Bräutigam und Braut.
Der junge Mann ward nachdenkend und schauderte über
seinen glücklichen Besitz. Heute war es die dritte Nacht, die er mit ihr hier verbringen sollte.
Das junge Weib kniete noch immer unter den Vorhängen
und sah mit trunkenen Blicken auf die Stelle am Kamin.
Der junge Mann hatte das Billet, das er zu wiederholten Malen durchlesen, auf
den Mantel des Kamins gelegt und stützte seinen schönen Kopf nachdenkend in die flache Hand.
Das junge Weib betrachtete aufmerksam jede seiner Bewegungen.
„Ich hoffe, meine Antwort auf diese Zeilen wird mich auf
immer von meiner Frau scheiden und Jenny bewegen, in Zukunft sich nicht
mehr um mich zu bekümmern“, murmelte der junge Mann vor sich hin.
„Ich glaube es jetzt selbst“ fuhr er dann fort, „daß ich nie Liebe für
Jenny gefühlt und zudem hindert mich dieses Verhältniß auch, den Pflichten nachzukommen, die mir der Alte
auferlegt; denn was mir meine Lucy erlaubt, würde mir Jenny nie gestatten und so käme es doch immer
wieder zu jenen kleinen Zwistigkeiten und albernen Zänkereien, die mich ihr zuletzt doch entfremden
würden. -- -- Daß sie meine jetzige Wohnung ausfindig machte, wundert mich nicht so sehr; denn
der kleine Tiberius ist gewiß die ganze Stadt auf und abgerannt
-- -- und dies Billet -- -- hm! hm! Vergebung, Alles soll vergessen sein -- zurückkehren an den häuslichen Heerd, hm!
hm! -- -- das sind lauter Köder, durch die ich mich jetzt nichtmehr fangen lasse. -- -- Sentimentales Gerede -- -- nun,
wenn ihr Tiberius von der Anwesenheit Lucy’s trotz seinem
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Versprechen, es nicht zu thun, erzählt hat, -- -- so ist wohl jede Antwort unnöthig und Frida -- die wird ihr ohnedem zu
einer abermaligen Verbindung nicht zureden. -- -- Dann erinnere ich mich, daß Tiberius Lucy weinen sah -- -- O hätte
nur Tiberius Alles haarklein erzählt,was er gesehen -- -- ich hätt' es ihm nicht verbieten sollen -- -- -- -- und wie ist
Lucy so umgewandelt, wie sie mich liebt, nein, mehr als das, wie die rasend in mich verl--“ verliebt ist, wollte er sagen --
„nein, das ist ein gemeines Wort, gebraucht, verbraucht und abgenützt -- -- und wem, wem ich es verdanke? wem anders,
als dem räthselhaften Unbekannten. -- --“
Plötzlich horchte Emil auf.
Lucy schlug eben mit ihrer Zunge an die Zähne und zischte
mit dem ihrer Race eigenthümlichen Ton, wenn sie - die Liebe quält.
Emil wandte sein Gesicht von der Steinkohlengluth, in die
er bisher geflüstert und tauchte seinen Blick in das magische Dunkel der Bettvorhänge.“
„Emil, mein Geliebter, begann Lucy, indem sie ihre Rechte
auf's Herz legte und den Zeigefinger der linken Hand einwärts bog: „„Betrachte den Gang
des Zeigers auf der Sonnenuhr meiner Liebe, wie rasch er vorwärts drängt und dich mahnt,
die dunklen Schatten der Nacht nicht umsonst schwinden zulassen.““
Emil zuckte bei diesen Worten finnestrunken zusammen.
Es war dies bereits das dritte Mal, daß ihn Lucy so anredete;
es lag für ihn etwas Ueberirdisches in dieser wunderlichen Ansprache.
„Emit, mein Geliebter, blicke nicht so trüb' in die dunkle
Glut und laß mir die Wolken von deiner Stirne verscheuchen...
hörst du nicht die rauschende Musik in meinem Herzen...
komm”, lege deinen schönen Kopf an mein Herz und horche, wie
da drinnen der Liebesgott die Zaranda
*) spielt …. hörst du's?
jetzt klatschen sie in die Hände -- -- die Zaranda verstummt
und die Liebe hat wieder einen neuen Triumph gefeiert ...
und du säumst mein Geliebter?“
Was bei diesen Worten in Emilvorging, als er seufzte:
„lasse mich hier noch ein wenig stehen, michfriert“ bleibt ein
Räthsel, das nur die Liebe zu lösen im Stande ist.
„Emil, mein Geliebter, wie kannst du dich an die todte
_______________
*) Ein kleines Saiten-Instrument, anf dem Cupido spielt, wenn er sich seines Siegesgewiß ist.
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Glut setzen, wenn dich friert?... Weißt du nicht, daß das
Herz deiner Lucy mehr erwärmt?... Wenn die Sonne wieder
durch die Lila"s und Cypressen bricht, ist jene Glut erloschen,
aber die Glut meines Herzens nicht....“ Ebenso räthfelhaft
erwiederte Emil: „Es ist noch zu früh, daß ich mich dir an's
Herz lege, meine Lucy, singe mir lieber eines jener Lieder, die
du als Kind auf der Plantage so oft singen hörtest -- -- singe mir ein Negerlied!“
„Erlasse mir jene Melodieen;“ seufzte Lucy.
Emil nahte sich jetzt Lucy und schlang seinen Arm um sie. -- -- -- -- -- --
Draußen flimmerte das Kreuz des Südens ruhig am tiefblauen Sternenhimmel. --
____________________________
3. Ein Schlüssel zur Rückerinnerung.
Emil und Lucy hatten bereits schon mehrere Tage in
ihrem schönen Häuschen verlebt, ohne daß sie der Alte je
besucht hätte. Sie hatten ihn in ihrem stillen Glücke nicht
vergessen -- sehnsüchtig erwarteten sie ihn jede Stunde.
Da, als Lucy eben ihre jüngst gepflanzten Orangenbäumchen
begießt, fällt ein Brief zu ihren Füßen nieder. Sie wendet
sich um, kann aber Niemand erblicken. Ohne denselben zu
erbrechen oder auch nur die Adresse zu lesen, eilt sie in’s Häuschen
und übergiebt ihn Emil, der sinnend vor einem Buche saß,
das aufgeschlagen auf einem Pulte lag. Emil öffnet den Brief,
Die Hand ist ihm unbekannt, um so eher erkennt er aus dem
Inhalte desselben desen Urheber.
Der Brief lautete:
„Die beiden alten Neger Lucy's haben gestern ihre
Freipapiere erhalten und zugleich ihr Haus in der Orleans
straße bezogen, das jetzt ihr Eigenthum ist. Niemand soll
von nun an sagen, daß Lucy Wilson Sclaven halte oder
daß dieselben ihre Ketten mit in den Sarg nehmen. Sie
sollen die wenigen Jahre, die sie noch zu leben haben, frei
und ohne Nahrungssorgen dahinbringen, um nicht später
als abgenützte Waare bei Seite geschafft zu werden, wie man
es mit den zum Arbeiten untauglichen Maulthieren macht.
-- Lucy und Emil werden dieser Tage ihr Häuschen verlassen
und mit mir einen anderen Wohnort beziehen, wo ihnen
auf einige Zeit jede Rückerinnerung an ihr vergangenes
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Leben und mit sie noch zuwerten ängstigenden Verhältnisse
schwinden wird. Denn für den hohen Zweck, auf den ich sie
vorbereite, halte ich ein solches Mittel für unumgänglich
nothwendig. -- -- Späterhin, wenn sie diese Pause überstanden
haben, wird ihnen die Erinnerung an ihre Vergangenheit nicht
mehr hindernd in den Weg treten. Dafur sorgt eine heilsame
Gabe der Natur. "
Der Sinn der letzten Worte schien Emil
und Lucy ein unauflösbares Räthsel. Daß sie das ihnen lieb gewordene
Häuschen verlassen sollten, beunruhigte sie, doch fügten sich in die Wünsche des Alten. -- --
Nach Verlauf von zwei Tagen, in einer dunklen Nacht, erschien der Alte in eigener Person
vor ihnen, und fuhrte sie, nachden sie noch vorher einen von ihm selbst vorbereiteten
Abschiedstrank zu sich, genommen, sicher und vorsichtig in die hochstgelegenen Semächer
der Atchafalaya Bank, wo wir sie im neunten Capitel unseres Romanes so unerwartet wieder getroffen haben. -- --
* *
*
Als Emil das Manuscript des Alten zusammenrollen wollte, entfiel demselben
ein Streiten feinsten Pergaments, das ihnen den Ort, wo derselbe seine Schätze aufwahrt, genau bezeichnet. -- --
Wie ihnen der Alte befohlen, hatten sie noch in der nemlichen Nacht die Atchafalaza Bank
sammt den Schätzen verlassen, um sich anderswo einen Autenthalt nach ihren eigen Gutdunken zu wählen. -- --
(Ende des ersten Bandes)
31 Januar 1854
Restauriert und bearbeitet aus Buch und Zeitung von
Peter R K Wagner - 2019